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Sagen und Geschichten aus deutschen Gauen
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Aloys Wilhelm Schreiber

Treuenfels.

In einem wilden, unwegsamen Tal nicht weit vom Rheine sieht man auf einer jähen Felswand wenige, mit Gras und Brombeerhecken bewachsene Überreste eines alten Gemäuers und zwischen dem Gemäuer einen geborstenen Granstein, auf welchem der Name Liba deutlich zu lesen ist. Von der übrigen Schrift des Steins sind nur noch halbverwischte Züge zu erkennen. Treuenfels heißt die Talwand, und die Kapelle, welche da gestanden, war dem Andenken der sterbenden Jungfrau geweiht. Die Geschichte ihrer Erbauung will ich euch erzählen.

In der Nähe des Siebengebirgs lebte ein bejahrter Ritter, Balther mit Namen, der hatte eine noch junge Tochter, die Liba genannt wurde. Das Mägdlein war schön und fromm, daß sich keine andere mit ihr vergleichen mochte, und viele Ritter warben um ihre Hand; aber ihr Vater hatte sie bereits dem wackeren Schott von Grünstein zugesagt, und Liba machte gegen diese Wahl wohl auch keine Einwendung; denn der Jüngling war edel von Gestalt und Sitte, mannhaft und biederherzig. Der Frühling der ersten Liebe blühte in reicher Fülle um das beglückte Paar, und weder der Ritter noch die Jungfrau bemerkten die schwarze Gewitterwolke, die hinter ihnen aufstieg.

Der alte Balther nährte lange schon einen tiefen Groll gegen den frommen, aber strengen Bischof Engelbert von Köln, dessen Dienstmann er war, und als einst einige seiner Nachbarn zu ihm kamen, die sich ebenfalls gar heftig über den Bischof beschwerten, da zog er die Augenbrauen zusammen und sagte: »Könnt' ich noch ein Schwert führen, wie in den Tagen meiner Kraft, ich wollte wahrlich den pfäffischen Übermut nicht dulden. Behandelt er uns nicht wie seine Eigene, und sind wir von minder edler Geburt als er?«

»Was können wir tun?« sagten jene.

Da nahm Balther einen Becher mit Wein, der vor ihm stand, und rief: »Auf den Tod unseres Erzfeindes! Wer von euch ein Mann ist, der wird mich verstehen.« Mit diesen Worten leerte er den Becher. – »Das trinken wir mit,« schrien die Ritter und schwuren, den Bischof aus dem Weg zu räumen.

Das geschah auch bald nachher; aber der Kaiser ließ die Täter ergreifen und schmählich hinrichten. Vor ihrem Tod bekannten sie, daß Balther sie zu dem Frevel angemutet. Der Kaiser ergrimmte darob und befahl, seine Burg zu verbrennen und alles, was darin sein möchte. Ein Heerhaufe wurde stracks ausgesandt und umzingelte Balthers Schloß, noch bevor er einen Argwohn geschöpft hatte. Es war in einer finstern, stürmischen Nacht, und er lag in tiefem Schlaf, als Liba, im leichten Nachtkleid, mit fliegenden Haaren, in sein Gemach stürzte und ihn durch ihr Jammergeschrei weckte. Balther geriet außer sich vor Angst; denn die Burg brannte schon, und jeder Weg zur Flucht war versperrt. Er stand eine Weile betäubt und sprachlos, dann riß er sein Schwert aus der Scheide und wollte sich das Leben nehmen. Liba fiel ihm in die Arme. »Wir wollen durch den unterirdischen Gang entfliehen,« sagte sie, und zog ihn mit sich fort, die Treppe hinab. Von beiden Seiten schlugen schon die Flammen ihnen entgegen und sengten Balthern das Haar und die Augenbrauen. Liba blieb unberührt, als ob eine unsichtbare Macht sie schützte. Der Gang zog sich unter einem Waldbach hin und führte in eine ferne Bergschlucht, welche dicht mit Gesträuch bewachsen war. Ermattet sanken die Flüchtlinge dort in einen kurzen Schlummer, aus welchem das frühe Gezwitscher der Waldvögel sie erweckte. Liba brach einige wilde Beeren von den Hecken, um sich etwas zu erquicken. Ihr Vater, dem seine versenkten Augen heftigen Schmerz verursachten, wurde von einem schrecklichen Durst gequält und lechzte nach einem Trunk Wassers. Schüchtern wagte sich die Jungfrau aus dem Gestrüpp hervor und erspähte in der Nähe eine kleine Quelle. Sie machte aus Baumrinde eine Art Schale, füllte sie mit Wasser und brachte es dem leidenden Greis. – Sie verweilten an dieser Stelle bis zur Abenddämmerung und setzten dann ihren Weg weiter fort durchs einsame, wilde Geklüft und kamen endlich zu einer Höhle am Fuß der Felsenwand, wo die Trümmer der Kapelle liegen. »Hier wollen wir bleiben,« sagte Liba, »denn in diesen schauerlichen Aufenthalt mag wohl selten ein Mensch sich verirren.«

»Was soll hier aus uns werden?« seufzte der Greis.

»Was Gott will,« versetzte Liba mit schönem Vertrauen und küßte die Hand ihres Vaters.

Sie blieben einige Wochen in der Höhle, und Wurzeln und Kräuter waren ihre Nahrung. Balthers Augenübel vermehrte sich täglich, und er wurde zuletzt blind. Doch trug er alles mit großer Geduld und sagte oft: »Ich danke Gott, daß er mir noch Zeit läßt, mein Unrecht zu büßen.« Unterdessen nahmen die Lebensmittel immer mehr ab in der unfruchtbaren Wüste, und Liba mußte sich schon eine ziemliche Strecke weit von der Höhle entfernen, um ein kleines Körbchen, das sie sich aus Binsen geflochten, mit Himbeeren und Erdbeeren zu füllen. Bei einer solchen Wanderung erblickte sie einst einen Jäger, der etwa hundert Schritt von ihr unter einem Baume saß und sein Haupt müde oder traurig mit der Hand stützte. Neben ihm lag ein Jagdspieß und ruhten ein Paar Weiße Doggen. Nach einer Weile stand der Jäger auf, und die Hunde sprangen um ihn her, Liba erkannte ihn, es war Schott von Grünstein, ihr Verlobter.

Unwillkürlich streckte sie ihre Arme nach ihm aus und wollte ihn beim Namen rufen; aber das Wort erstarb ihr auf der Lippe. Soll ich ihn auch in unser trauriges Verhältnis ziehen? sagte sie bei sich. Er würde uns nötigen, eine Zuflucht auf seiner Burg zu nehmen, und dadurch ebenfalls in die Acht geraten, und ich hätte nicht nur ein Leiden mehr, sondern auch einen Vorwurf auf meiner Seele. Nein, ich muß büßen mit meinem Vater und für meinen Vater, damit die Strafe des Richters dort oben früher von ihm genommen werde.

In diesem hohen Entschluß, der ihrer Seele wunderbare Stärke gab, kehrte sie zur Höhle zurück. Sie fand ihren Vater ruhiger als sonst, und er sagte, indem er ihre Hand ergriff:

»Ich weiß nicht, mir ist heute so leicht ums Herz, und es würde mir noch leichter werden, wenn ich nur einen Augenblick den Himmel da oben sehen könnte. Nicht wahr, Liba, er ist ganz heiter?«

»Er ist heiter,« antwortete die Jungfrau, »bis auf eine schwarze Wolke, aber diese scheint vorüberzuziehen.«

»Könntest du mich nicht in die Sonne führen? Ich möchte mich einmal wieder wärmen an ihrem Strahl.«

Liba sah sich allenthalben um. »In diese Schlucht herab kommt die Sonne nicht,« sagte sie, »aber ein bequemer Pfad führt auf die Felsenwand, da will ich Euch hinaufhelfen.«

Sie führte ihn auf die Höhe auf einen bemoosten Stein, wo der Greis sich niedersetzte und an den dürren Stamm einer abgelebten Eiche lehnte. »Liba,« rief er, »ich sehe den Himmel, ich sehe die Sonne.«

»Ihr seht wieder, Vater?«

»Mit diesen toten Augen nicht, die sind vertrocknet, aber in mir steht ein Himmel und eine Sonne.«

Liba warf sich auf die Knie und betete mit gefalteten Händen: »Richter dort oben, gib ein Zeichen der Versöhnung!«

Balther faltete seine Hände gleichfalls und sagte: »Amen!« Da plötzlich rollte der Donner und zuckte der Blitz herab und tötete den Greis und seine Tochter. Balthers Leib war in Asche verwandelt, aber Liba lag neben der Asche, unversehrt und ohne ein Zeichen gewaltsamen Todes. In ihrem Antlitz war die Ruhe einer Schlummernden und der Friede der Unschuld.

Schott von Grünstein hatte den Schlag gehört und den Strahl gesehen, wie er auf die Felsenwand herabfuhr. Neugierde trieb ihn, die Spuren zu betrachten, die er zurückgelassen haben mochte, und er erstieg die Höhe. Da fand er seine Verlobte und die Asche ihres Vaters. Sein Schmerz war groß. Er ließ auf der Stelle eine Kapelle bauen und weihte sie der sterbenden Mutter des Erlösers. Der Fels aber heißt seitdem Treuenfels, zum Andenken frommer, kindlicher Treue.


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