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Die Auster

Ein Märchen

Von Johannes Trojan.

Aus »Für gewöhnliche Leute«. Berlin 1893. G. Grotesche Verlagsbuchhandlung.

 

Der Zwergkönig Kruppunder hatte zur Feier des Tages, an dem er auf eine glorreiche fünfhundertjährige Regierung zurücksah, von der Fürstin Flundra als Ehrengabe eine Auster geschenkt bekommen. Der Sendung war ein langes Schriftstück beigegeben, welches außer vielen herzlichen Glückwünschen die Bemerkung enthielt, daß die Auster das köstlichste Wildbret des Salzwassers sei. Darum – so hieß es in dem Schreiben – achten die Menschen, welche sonst sehr töricht, in der Schätzung dessen aber, was da gut schmeckt, nur zu gewitzt sind, die Auster über alles hoch und bezahlen sie teuerer als irgend einen seltenen Fisch oder Vogel. Am Schluß war gesagt, der erhabene Kruppunder möge nun zusammen mit seiner allerholdesten Gemahlin, der Königin Wurzelinde, sowie mit Hinzuziehung der Angesehensten und würdigsten seines Hofes, sotanen Leckerbissen sich wohl schmecken und wohl bekommen lassen. An edlen Getränken, wie sie allein zur Gesellschaft für eine so vornehme Speise sich eigneten, werde es ja wohl in den königlichen Kellereien nicht fehlen.

Auf einem mit zwanzig Seepferden bespannten Lastwagen war die Auster bis vor den Eingang der Höhle gefahren worden, in welcher Kruppunder seine Residenz hatte. Da war sie abgeladen worden, und die Begleitung des Wagens, nachdem sie das Schreiben abgegeben und ein reichliches Botenlohn empfangen, hatte sich vergnügt auf den Rückweg gemacht.

Da lag nun die Auster, fest geschlossen und von außen nicht eben lecker anzusehen, und um sie herum stand der König mit seinen getreuen Räten. Keiner wußte, was nun anfangen mit dem Ungeheuer. Daß ein eßbares Tier in dem steinernen Schalenhause verborgen war, sagte man sich wohl, wie aber war demselben beizukommen?

Es war nicht anzunehmen, daß es auf bloßes Zureden die Schalen auseinander tun würde, denn es konnte sich unmöglich Gutes davon versprechen. Offenbar mußte man mit Gewalt vorgehen. Einer hielt es für das Beste, über der Auster ein Hammerwerk zu erbauen und dann von oben her durch einen furchtbaren Schlag ihr Gehäuse zu zerschmettern, also dasselbe Mittel anzuwenden, durch das man schon vor Jahren einmal eine Haselnuß geöffnet hatte. Ein anderer schlug vor, das Gehäuse auseinander zu sprengen, indem man in die Schale Löcher bohrte, diese mit Pulver füllte und dasselbe anzündete. Beide Vorschläge wurden verworfen aus der Erwägung, daß bei Anwendung einer so starken Gewalt gar leicht nicht nur das Schalengehäuse zerbrochen, sondern zugleich der eßbare Inhalt desselben gänzlich zermalmt und in eine nicht mehr den Appetit reizende Masse verwandelt werden könnte, wie es ja damals auch mit der berühmten Haselnuß ergangen wäre. Das Sprengen aber wäre noch gefährlicher als das Zertrümmern mittels des Hammers, weil die umherfliegenden Sprengstücke große Zerstörungen anrichten und sogar das Leben der Umwohnenden gefährden könnten.

Der königliche Koch, welcher mit zu der Beratung hinzugezogen war, wußte nichts Besseres zu tun, als die Achseln zu zucken und sich den Kopf zu kratzen, »vielleicht«, meinte er, »sei es das Gescheiteste, wie man es bei den kleinen Schnecken täte; wer aber hätte einen Fischkessel, der groß genug dazu wäre? Übrigens sei das Schlachten großer Tiere nicht seine Sache, sondern käme anderen zu. Diese möchten auch diesmal das Ihrige tun. Wenn dann das Fleisch ausgeschlachtet in die Hofküche käme, wollte er es schon kochen, braten, schmoren, spicken, farzieren und solche Saucen dazu machen, daß jedermann, der überhaupt einen feinen Geschmack habe, damit zufrieden sein solle.

Während also beraten wurde, hatte sich auch ziemlich viel Volk angesammelt, und alles bestaunte das Meerwunder. Da dieses sich nicht rührte und regte, sondern ganz still sich verhielt, wuchs den Leuten, die anfangs sehr schüchtern und vorsichtig gewesen waren, der Mut. Einige klopften mit ihren kleinen Hämmern ganz keck auf dem Schalenrande herum; andere hielten ein Ohr an den Spalt zwischen den Schalen und versicherten, daß sie deutlich ein unheimliches Brummen, Grollen und Grummeln aus dem Innern herausschallen hörten. Zuletzt wurden einige so übermütig, daß sie auf das Ungeheuer hinaufkletterten und auf ihm herumsprangen. Als aber der König das sah, wurde er unwillig und befahl, daß alle von der Auster heruntersteigen sollten. Überhaupt sollte männiglich ein paar hundert Schritte weit von ihr zurücktreten, denn niemand wüßte, was geschehen könnte, vielleicht öffnete das reißende Meertier plötzlich seine Schalen, käme herausgesprungen und verschlänge, was gerade in seiner Nähe sei. Dafür wolle er nicht die Verantwortung tragen, deshalb gebiete er allen, sich von dem Untier, dem jedenfalls nicht zu trauen sei, in eine Sicherheit gewährende Entfernung zurückzuziehen. Also geschah es.

Es war aber am Hofe des Königs Kruppunder ein sehr kluger und kunstreicher Mann namens Spintifex, der als Maschinenmeister bereits Tüchtiges geleistet hatte, von ihm rührte die Blaubeerkelter her, die nachher allgemein eingeführt wurde, und der vielbewunderte Mohnsamenspalter. Er hatte auch die nach ihm benannte Raupenfalle erfunden und ein sehr zweckmäßiges Ameiseneisen, mit welchem er einen von dem Könige ausgesetzten Preis gewann. Dieser nun machte sich anheischig, in fünf Tagen eine Maschine zum Öffnen der Auster zu erbauen. Zwar hatte er sich vorher an so große Dinge noch nicht gewagt, er war aber guten Mutes, und nachdem der König auf sein Anerbieten eingegangen war und sie alles beredet hatten, machte er sich ans Werk und brachte richtig in fünf Tagen eine Vorrichtung zustande, von der er sich den gewünschten Erfolg versprach. Das Ganze ging darauf hinaus, daß mit Anwendung von zweihundertfünfzig Mäusekräften ein starker eiserner Keil zwischen die beiden Schalen der Auster getrieben werden sollte; in dem Geschick aber, mit dem er diese ungeheure Kraft anbrachte und wirken ließ, zeigte sich die ganze Kunst des Erfinders.

Die Aufregung am Hofe und im Volk war groß, und man sprach von nichts anderem als von Spintifex und seiner Austernöffnungsmaschine. Man hörte sehr verschiedene Urteile darüber. Diejenigen, die viel von ihm hielten und ihm wohlwollten, waren davon überzeugt, daß er alles aufs beste zu stande bringen würde, und dann würde er ja wohl zum Hofmaschinenmeister ernannt werden. Andere aber, die ihn um seinen Ruhm beneideten, sagten voraus, daß alles schief gehen würde. Dann sei natürlich seines Bleibens am Hofe nicht länger, und er könnte noch froh sein, wenn er nicht ins Gefängnis gesetzt würde.

Der große Tag, an dem die Maschine ihre Probe bestehen sollte, kam heran. Spintifex verteilte seine Leute und ordnete alles an, was er für nötig hielt. Rings um die Auster herum stellte er auf erhöhten Standorten eine große Anzahl von Speerschützen auf. Diese sollten, sowie die Auster sich auftäte und ihre Schalen auseinanderklappte, mit Speeren nach ihr werfen und sie erlegen, ehe sie Zeit hätte, herauszuspringen. Für den König war ein Thron errichtet, von dem er alles bequem sehen konnte, ohne dabei in Gefahr zu geraten – so meinte Spintifex wenigstens; die anderen konnten sich hinstellen, wo sie wollten, vorausgesetzt, daß sie die zum Schutz der Zuschauer gezogenen Schranken nicht überschritten. Der Zudrang war gewaltig.

Um die bestimmte Stunde gab der König das Zeichen, daß die Sache vor sich gehen sollte. Sofort erteilte Spintifex der Bedienungsmannschaft die nötigen Befehle, und die Maschine fing an zu wirken. Es vergingen einige Minuten, während welcher man eine Mücke husten und die Marienkäferchen lachen hören konnte. Dann erfolgte ein furchtbarer Knall, und im Augenblick darauf lag das Ungetüm mit aufgeklappten Schalen da. Kaum war das geschehen, so warfen auch die sämtlichen Schützen ihre Speere, und die meisten verfehlten ihr Ziel nicht.

Als der große Krach erfolgte, flüchteten alle Zuschauer von ihren Plätzen und verkrochen sich unter das Farnkraut oder suchten Schutz hinter Steinen. Auch der König verließ seinen Thron und stellte sich hinter denselben; da aber alles ruhig blieb, gewann er bald seine Fassung wieder und näherte sich sogar mit Kühnheit dem Ungeheuer, das, gespickt mit einer Unzahl der aus seinem Waldgrase verfertigten Speere, in einer Vertiefung seiner unteren Schale dalag.

Was für ein sonderbares Ungeheuer! Es hatte weder Augen noch einen Mund oder Schnabel, noch auch Füße. Schon deshalb erschien es wenig gefährlich, aber es war auch gänzlich regungslos. Offenbar lebte es nicht mehr, durch die Speerwürfe war es getötet worden. Der König beglückwünschte den trefflichen Spintifex zum Gelingen seines Werkes und ernannte ihn auf der Stelle zum Oberhofmaschinenmeister.

Alles drängte sich heran, um das erlegte Ungeheuer anzustaunen. Dasselbe wurde, nachdem die Speere herausgezogen waren, auf Befehl des Königs in drei gleiche Teile zerlegt. Die Leute, welche dies ausführten, hatten, um auf der glatten Oberfläche des Untieres nicht auszugleiten, Schuhe mit eisernen Spitzen unter den Hacken angelegt, wie man sie zum Gehen auf dem Eise gebraucht, die Teilung aber bewerkstelligten sie mit großen Beilen.

Mit den drei Teilen der Auster geschah folgendes: Das eine Drittel wurde sofort zubereitet und kam noch an demselben Tage auf die königliche Tafel; das zweite Drittel wurde sauer eingekocht und in Steintöpfe gefüllt, das dritte wurde geräuchert.

Der Koch hatte seine Sache sehr gut gemacht. Unter Zutat von Safran, Ingwer, Basilikum, Ysop, Muskatnuß und einigen anderen Kräutern und Würzen hatte er aus dem einen Austerndrittel ein Frikassee hergestellt, das für siebenundzwanzig Personen ausreichte und allen trefflich mundete. Wenigstens taten alle so, als schmeckte es ihnen herrlich, in der Tat war es einigen nicht ganz leicht, die seltene Speise hinabzuwürgen. Getrunken wurde dazu, außer einigen Fäßchen alten Blaubeerweins, achtundzwanzig Flaschen Erdbeerchampagner.

Am anderen Tage ging der König zu Rate mit sich, welch ein Gegengeschenk er wohl der Königin Flundra machen könnte. Lange sann er umsonst nach, endlich fiel ihm etwas Gescheites ein. Vor einigen Tagen hatte er auf der Jagd mit seinen Leuten ein sehr wildes und schreckliches Tier erlegt, welches die Zwerge Lindwurm, die Menschen aber Maulwurfsgrille nennen. Dies erschlagene Ungeheuer lag noch im Schloßhof, der König aber entschied sich dafür, es ungesäumt der Seefürstin als Gegengabe zu schicken. Denn es ist, sagte er sich, unzweifelhaft ein ebenso merkwürdiges Landtier, als die Auster ein Seetier.

Sofort wurde eine Gesandtschaft mit dem toten Lindwurm nach dem Seestrande abgeschickt. Man folgte den noch deutlich erkennbaren Geleisen, welche der Lastwagen, auf dem die Auster nach Kruppunderheim gekommen war, in die Erde gefahren hatte. Der Weg ging ganz über den Pimpipellenpaß und Quaduxendorf. Zwischen Zaunkönigshausen und dem Ort, welcher »die drei Glocken« genannt wird, mußte ein großer Umweg durch einen dichten Thymianwald gemacht werden, weil eine Ringelnatter die Heerstraße verlegt hatte. Nahe dem Strande geriet man in ein furchtbares Dickicht von sehr stacheligem Strauchwerk, das ganz wie aus grünem Glase gebildet zu sein schien, und mehrere von der Gesandtschaft trugen erhebliche Verletzungen davon.

Wo die Wagengeleise sich im feuchten Seesande verliefen, legte man den Lindwurm nieder und kehrte um. Als man sieben Tage darauf wieder nachsah, war das Untier verschwunden. Ohne Zweifel hatte die Fürstin es durch ihre Leute abholen lassen.


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