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Mannuckerle und Mannickerle

Von Ernst Budde.

»Blätter aus meinem Skizzenbuch«, Berlin, Verlag von Georg Reimer.

 

Sie waren zusammen etwa zwei Jahre alt, beide rund, beide dick, und beide liefen auf allen vieren, aber nur einer aus Beruf: Denn Mannuckerle war ein kleiner Mensch, und Mannickerle ein kleiner Hund. Sie gehörten meinem Nachbar, dem Professor, und vom Fenster meines Arbeitszimmers aus, welches auf seinen Garten ging, hatte ich sie auftauchen und anwachsen sehen. Erst erschien Mannuckerle als weißes Bündel auf weiblichen Armen oder als schlafendes Fleischklümpchen hinter den blauen Vorhängen seines Wagens; nach etwa einem Jahre kam Mannickerle dazu, als gelbliches Wollknäuel, das sich auf vier Semmelfüßen plump und vergnüglich tummelte. Der Papa förderte ihr Zusammenleben auf jede Weise; er sagte »unsere Kleinen«, wenn er von ihnen sprach; die junge Frau war im Anfang innerlich empört darüber, daß ihr Goldkind mit dem Hund auf gleichem Fuß benamst und behandelt werden sollte, aber was konnte sie machen? Der Professor hatte seine eigene, gutmütig ironische Art, seine Auffassung durchzusetzen, und es blieb dabei: wie sie ihren Jungen Mannuckerle, so taufte er seinen Hund Mannickerle. Und den beiden Kleinen war es recht; sie hielten treulich zusammen von den ersten Tagen ihrer Bekanntschaft an. Trug eine Frau den Knaben auf dem Arm, so konnte man sicher sein, daß Mannickerle an ihrem Kleide zerrend, sich mitschleifen ließ, und wurde der Hund aus Gründen der Sicherheit oder der Bequemlichkeit in die Küche gesperrt, so stimmte Mannuckerle kräftigst in das Geheul seines Freundes ein, bis beide wieder vereinigt waren. Sie teilten miteinander, was sie hatten; Mannickerle bekam seine Prozente, wenn sein Freund ein Biskuit aß, und er zeigte sich seinerseits erkenntlich; einmal brachte er zwei Koteletteknochen, die er – der Himmel weiß wo – ergattert hatte, und trug sie getreulich auf den Teppich, wo sein Bundesbruder auf ihn wartete; dieser nahm den einen, er selber den anderen, und beide waren fröhlich am Nagen, als die Frau vom Hause dazukam – ich höre noch den mütterlichen Schreckensschrei und Mannuckerles Protest gegen die nachfolgende Mundwaschung.

Es war ein schöner warmer Sommer. Der Professor kam mit Tinte und Papier, setzte sich an den Tisch unter der dichtbelaubten Kastanie, nahm behaglich einige Züge der Morgenluft und zündete sich eine Zigarre an; dann öffnete er seine Mappe, verglich Notizen und begann zu schreiben. Nicht lange, so erschien auch seine Frau, ihren Sohn auf dem Arm, Mannickerle, wie üblich, hinterdrein.

»Bernhard«, sagte sie, »du weißt, ich störe dich nicht gern, wenn's nicht unbedingt nötig ist. Aber heute ist's nötig, ich habe das Mädchen ausschicken müssen, die Babett' muß kochen, ich selbst muß nach den Zimmern sehen, also spare dir von Zeit zu Zeit ein wenig Aufmerksamkeit ab und gib acht, daß die beiden sich nicht umbringen; in einer halben Stunde wirst du befreit.«

»Gut«, sagte er, »setze das Wurm dort auf das Rosenbeet; das schlimmste, was ihm begegnen kann, ist, daß er sich in die Finger sticht, und wenn er das tut, wird er schon Lärm machen.«

Sie warf einen mitleidigen Blick auf die Fingerchen ihres Lieblings und einen zweiten gen Himmel: »Zeus, du hörst den Barbaren!«

»Hm«, lächelte er, »Zeus weiß auch, daß kleine Jungen das Institut der Brennesseln und Stacheln aus persönlicher Erfahrung kennen lernen müssen. Setze ihn nur dahin; dort kann er nicht fallen, und ich kann ihn überwachen, ohne mehr als einen Blick von meiner Arbeit abzuziehen.«

Sie tat's und sprang fort. Ich schaute noch einmal nach dem Papa und sah, daß er ohne Aufenthalt wieder vollständig in seine Beschäftigung versunken war; er merkte nicht einmal, daß eine große grüne Raupe sich angestrengt bemühte, an seinem Tintenfaß in die Höhe zu klettern. Es war ihr vorläufig zu glatt, und sie kam nur dazu, mit ihrem Vorderkörper allerlei Fragezeichen gegen das Glas hin zu bilden. Ich nahm mein Hundepfeifchen von der Wand, um im Notfall ein kräftiges Signal bei der Hand zu haben.

Da waren nun die beiden Kleinen sich selbst überlassen. Ein paar Minuten saß Mannuckerle ruhig, während Mannickerle planlos um ihn herumwinselte. Aber bald fanden sie eine ernste Beschäftigung. Ein Kelleresel kam arglos daher gekrochen und wollte zwischen ihnen durchschleichen. Augenblicklich hatte Mannickerle den Sport erfaßt, stellte die Vorderbeine breit auseinander, legte den Kopf schief und blies den grauen Vielfüßler schnaubend an. Der fand die Sache bedenklich, hielt an und krümmte sich zu einem Kügelchen zusammen. Jetzt mischte sich auch Mannuckerle hinein, setzte sein linkes Händchen auf den Boden, stützte sich darauf und spitzte die Finger des rechten Händchens; der Hund aber tanzte vor- und rückwärts und streckte eine Pfote aus, um den Kelleresel zu rollen. Da griff der kleine Mensch zu, faßte das Kügelchen und führte es zum Munde – ich hob die Pfeife – aber er fand den Brocken nicht schmackhaft und spuckte ihn schleunigst wieder aus. Mannickerle trat mit gespitzten Ohren näher, senkte die Nase und putzte mit der unnachahmlichen Bewegung, womit kleine Hunde einen Gegenstand eingraben, die lebende Kugel vor sich her, bis sie in einer Vertiefung am Abhang des Rosenbeets liegen blieb. Dann kratzte er etwas Erde auf sein Opfer und legte sich selbst lang darüber. Der Fall war erledigt; der Kelleresel war begraben und hatte ein Denkmal.

In diesem Augenblicke öffnete sich die Hintertür, durch welche des Professors Küche mit dem Garten in Verbindung stand, und heraus trat Babett', in der Hand auf reinlicher hölzerner Platte einen prächtigen, gelblich und rot schimmernden Kirschkuchen tragend. Vorsichtig setzte sie das Gebild der Menschenhand auf einen niedrigen Tisch, der sich neben ihrer Tür befand, schaute sich um, ob keine diebische Katze in der Nähe sei, warf einen Blick auf Mannuckerle und verschwand kopfnickend. »So«, sagte sie im Abgehen, »da kann er sich abkühlen; das Gute hat das kleine Scheusal wenigstens, daß er keine Katzen heranläßt, und er selber ist noch zu klein, um auf den Tisch steigen zu können.«

Inzwischen schaute sich Mannuckerle nach neuen Genüssen um. Wieder stützte er sich auf sein Händchen, brachte auch das andere Händchen auf den Boden, drehte den Unterkörper langsam herum und stand nunmehr in Marschpositur auf allen vieren; unternehmungslustig hob er sein Näschen und setzte sich in Bewegung, während Mannickerle sein Schürzchen mit den Zähnen faßte und bereit war, zu zerren oder sich zerren zu lassen. Der Zug ging zunächst nur fünf Schritte weit; da stand im Winkel des Buschwerks die grüne, langhalsige Gießkanne – ich konnte von oben herab das Wasser in ihrem dunklen Bauche glitzern sehen. Mannuckerles Näschen drehte sich nach ihr hin, der übrige Körper folgte, der Hund zog munter an der Schürze, und bald waren sie angelangt. Ich hob die Pfeife – zu spät, es war schon geschehen, aber der kleine Mensch hatte einen glücklichen Tag: Er faßte nicht den Körper der Gießkanne, um sich daran aufzurichten sondern ihren Hals; infolgedessen goß er ihren Inhalt nicht sich selber sondern seinem vierbeinigen Kameraden über den Leib. Der stieß vor Schreck einen quiekenden Laut aus, schüttelte sich eifrig, wälzte sich am Boden und rieb den Rest von Wasser und Erde, den er im Pelz trug, an Mannuckerles Kleidern ab. Letzterer bekam dadurch ein ziemlich feldzugsmäßiges Ansehen, blieb übrigens sitzen, wo er hingeplumpst war, zauste seinen Freund am Fell, und beide waren höchst vergnügt.

Da raschelte es hinter dem Ziergesträuch; eine Katze war von irgend einer Mauer herabgesprungen. Hurtig wie der Blitz war Mannickerle hinterdrein, mit Kläffen und Fauchen ging die Jagd über Rasen und Weg und an der Küche vorbei, und der Feind wurde siegreich über die Grenze, d.&nbsp;h. über die Gartenmauer, geschlagen. Bei dem Lärm wurde der Professor denn doch aufgerüttelt und hob den gedankenvollen Kopf. Mit dem ersten Blick sah er die Katzenjagd, mit dem zweiten seinen Sprößling, der ruhig im Grase saß, mit dem dritten nahm er wahr, wie die erwähnte grüne Raupe ihm ins Tintenfaß fiel – es war ihr nach langer Anstrengung gelungen, sich über den Rand des Glases zu schwingen. Er fischte sie kopfschüttelnd heraus, schleuderte sie ins Weite, machte dabei einen Klecks auf sein Manuskript und war für die nächsten Minuten von der Reinigung seines Papieres völlig in Anspruch genommen.

Mannickerle aber blieb aus. Der Kater war längst vertrieben, aber der Hund kam nicht wieder; seinem zurückgebliebenen Kameraden wurde die Zeit lang. Da stemmte er wieder erst ein Händchen auf den Boden, hierauf das andere und setzte sich in Marsch; es kann nicht verschwiegen werden, daß er dabei mit seinen Beinen eine recht sichtbare Furche in den Schlammstreifen der umgefallenen Gießkanne grub. Das hinderte ihn aber nicht; tenax propositi steuerte er geradeaus bis ans Ende des Buschwerks, wandte sein Näschen nach rechts und erspähte, wie Mannickerle mit hochgezogenen Ohren an dem Tischchen vor der Küche emporschnüffelte. Also machte auch er eine Schwenkung, schwerfällig, aber mit Erfolg, und kroch dort hinüber. Und dann strebten sie beide an den Tischbeinen in die Höhe. – Soll ich zur Pfeife greifen? Nein, die Babette ist eine anständige Köchin, wenn sie einen Kirschkuchen backt, so sind die Kirschen ausgekernt; abgekühlt ist er jetzt auch, also lassen wir die Sache sich ruhig entwickeln. – Mannickerle arbeitete vergeblich; seine kurzen Vorderbeine reichten nicht hoch genug; der kleine Mensch aber faßte sachte ein Bein des Tisches, langsam ging ein Händchen ums andere in die Höhe, er glitt wohl einmal ab, aber er faßte sich wieder, ein Füßchen stemmte sich auf, er hob und zog, der andere Fuß kam nach, er stand. Sein Näschen reichte gerade bis an den Tischrand, und was es ihm meldete, das ließ er sich nicht zweimal sagen. Ungeschickt streckte er eine Hand aus und griff in die halbweiche Masse hinein. Das war zuviel für den Hund; mit einem leisen Sehnsuchtsgewinsel sprang er seinem Freunde vor den Leib; der verlor sein ohnehin nicht sonderlich festes Gleichgewicht und knickte hintenüber. Aber die eingekrallte Hand hielt fest, und der Kuchen fiel ihm auf die Füße. Als er sich vom leichten Schreck des Falles erholt hatte, sah er, daß Mannickerle bereits ein namhaftes Loch in den gelblichen Teig gefressen hatte. Da griff er auch zu, mit beiden Händen, und sie feierten eine greuliche Orgie.

Zehn Minuten später öffneten sich gleichzeitig die beiden Gartentüren des Hauses; aus der einen trat Babett', aus der anderen die Frau Professor. Letztere schaute nach der Richtung ihres Mannes auf den Boden; erstere blickte auf den Tisch und sah gleichfalls nichts. Babett' öffnete den Mund: »O du nichtswürdiges Katzenv... Hilfe, o du grundgütiger Heiland, Frau Professorin, Frau Professorin, kommen Sie her!« Die Hausfrau stürzte hin, den Professor hatte der Schrei aufgerüttelt, und er eilte hinterher. Da lagen sie, zwei kleine, vollgegessene Ungeheuer, und schliefen den Schlaf der Verdauung; Mannickerle hatte das übrig gebliebene Viertel des Kuchens als Kopfkissen benutzt, Mannuckerle hatte das rechte Hinterbein des Hundes in der Hand und machte noch ab und zu eine Bewegung, als wollte er es zum Munde führen. Ein bitterer Seufzer stieg in die Höhe, als die Mutter den Zustand ihres Söhnchens ersah, ein unsäglich vorwurfsvoller Blick wurde dem Professor zugeworfen, traf aber das Ziel nicht. Der Gelehrte sagte still lachend: »Ach wie schade, daß deine mütterlichen Nerven das nicht aushalten, sonst müßte man die beiden Kerlchen so photographieren lassen; kannst du es vielleicht noch fünf Minuten ansehen?« Da griff sie zu und schleppte den Sohn mit weit vorgestreckten Armen ins Haus, der Professor aber ging an seine Arbeit zurück. Babett' hielt den Epilog: Sie gab dem Hunde einen gelinden Tritt, den er mit verschlafenem Stöhnen entgegennahm, warf den Kuchenrest über die Mauer und sprach im Abgehen: »Und das will ein Mann sein, der alles weiß, und dem soll man die Kreatur anvertrauen! O du grundgütiger Himmel, ich sollte die Madam sein!«


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