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Die vergessene Hortensie

Von Detlev von Liliencron.

Sämtliche Werke. 9. Bd. Schuster & Loeffler, Berlin und Leipzig. 1900.

 

Ich hatte einige Tage in einer kleinen Stadt zu tun. Alle kleinen Städte, ohne Ausnahme, sind langweilig. Und dann kommen unsere unangenehmen menschlichen Eigenschaften, ich sage unsere unangenehmen, mehr zum Vorschein, als in großen Städten; die Klatschsucht, der Neid, die Scheelsucht zum Beispiel. Nicht einen Schluck Kaffee können wir trinken, ohne daß es sofort das ganze Örtchen weiß. Freilich, auch ihre guten Eigenschaften haben kleine Städte; frische Luft und einsame Spaziergänge.

Und wie bestechlich sind sie, wenn wir auf kurzen Besuch oder zur Erholung dort weilen: wie idyllisch kommt uns dann dies Leben vor, wie harmlos, wie patriarchalisch, ja wie paradiesisch. Und es steckt doch hinter all dieser scheinbaren Harmlosigkeit nicht nur der oft grell zu Tage tretende Egoismus sondern auch eine fürchterliche Teilnahmlosigkeit. Das ganze große Leben in großen Verhältnissen geht spurlos vorbei an und in jedem kleinen Neste.

Das Städtchen, wo ich mich einige Tage aufhalten mußte, lag entzückend. Ein raschfließendes Flüßchen mit vielen bunten Wimpeln im Süden, ein bewaldeter Höhenzug, gleichsam wie ein Raupenbusch von ferne anzusehen, im Norden, Heiden im Westen und Osten, schlossen es ein.

Ein herrlicher Sommertag ging zu Ende. Ich saß vor der Tür des einzigen Wirtshauses und trank mein Bier. Um die Linden der Kirche gaukelten wie tanzende Schneeflocken Hunderte von Kohlweißlingen. Der Wochenwagen kam und hielt. Die Pferde bekamen ihren Hafer vorgeschüttet und tranken dann in jenen langen, behaglichen Zügen. Das Wasser, wenn sie die Köpfe aus dem Eimer steckten, tröpfelte von den Lefzen aufs Pflaster. Und nun kamen auch die allabendlich heimgetriebenen Kühe. Jede kannte ihren Stall, ihren Torweg; und ohne viel Hott und Hü und Zurechtweisung traten sie in die ihnen schon geöffneten Ställe. Nur eine buntrote Kuh schien eigensinnig zu sein. Sie erschreckte, prustend und schnuppernd (sie hatte Durst), einen trinkenden Pudel. Aber einige Peitschenhiebe des kleinen Hütejungen erinnerten sie, alle Narrheiten zu unterlassen.

Als ich mein Zimmer zum Zubettgehen aufsuchen wollte, durchschritt ich den Saal des Hauses. Dieser Saal sah aus wie alle solche Säle, wenn sie sozusagen nicht im Dienste sind zu größeren Essen, Auktionen, Tanzfesten, Vereinssitzungen. Meine Schritte hallten durch die Leere. Die kleine Liebhaberbühne war verhängt. Das alte Klavier dick bestaubt. Auf einem rot angestrichenen Tannentische stand eine geleerte Bierflasche. Auf einem Stuhl lag ein Besen. Den einzigen lebenden Schmuck des weiten toten Raumes bildete in einem Fenster eine Hortensie. Über und über in höchster Zier, zeigte sie ihre schönen Doldenbälle. An ihrem Stämmchen hing an einem Faden ein weißes Papptäfelchen. Auf diesem Täfelchen stand die Nummer 731. Ich fragte die mir begegnende Wirtin, was es für eine Bewandtnis habe mit dem einen Topfgewächs, weshalb sie es nicht in ihr Wohnzimmer nehme. Sie antwortete mir, daß die Hortensie vergessen sei, abgeholt zu werden. Sie sei ein Gewinn aus der letzten Lotterie der Tierschau; nun müsse sie hier so lange stehen, bis die Zeit abgelaufen. »Übrigens«, fügte sie hinzu, »sehen Sie, daß sie keine Not leidet; ich begieße sie täglich und lasse ihr Sonne und Licht zukommen, so viel sie haben will.«

Die Hortensie ging in meine Träume über. Bald stand sie oben auf dem Mittelmaste eines Riesenschiffes, und die Wellen des Ozeans umschlugen und umspritzten sie. Bald stand sie auf einem goldenen Teller vor einem weißhaarigen und weißbärtigen Könige, der leise vor sich hinsprach: »Die Menschen liebe ich nicht, aber die Blumen liebe ich, denn die Blumen schwatzen nicht.« Nun wieder war sie die einzige Freude einer alten Näherin: Alle Augenblicke sah die fleißige Frau von ihrer schweren Arbeit auf und betrachtete liebevoll den Stock, und sie hielt dabei immer den Kopf etwas schief. Und nun gar: Die Hortensie wuchs zur Größe einer ungeheuren Eiche; und ich hörte ein Rauschen: So seh' ich aus auf dem Jupiter. Und es wurde eine dieser Hortensien, die die Größe einer Eiche hatten, ganz phantastisch: Wunderbare Geschöpfe, mit Flügeln statt Ohren, tanzten und rutschten und fingen sich und lachten und kicherten in ihren Zweigen. Da erschien ein Ungetüm, das die Formen, aber viel gewaltiger als aus Erden, des Krokodils hatte. Und das Ungeheuer schielte von unten hinauf; und es streckte eine lange, lange schmale, spitzzulaufende Zunge aus, und leckte sich geschickt die merkwürdigen Geschöpfe von den Ästen herunter. Und dies Ungetüm wandte sich nun auch gegen mich und wollte mich verschlucken. Ich versuchte, um Hilfe zu rufen, um Hilfe, Hil–fe; aber ich brachte keinen Ton heraus. Und schweißgebadet erwachte ich. Es war heller Morgen.

Als ich mich angekleidet, drängte es mich, die Blume zu besuchen, die mir solche Träume geschenkt hatte. Sie stand einsam, keinem zur Freude, wie gestern im Fenster. Ein großer Brummer ruhte sich auf der Ziffer 1 der Nummer 731 aus.

Im freundlichen Garten des Hotels nahm ich meinen Kaffee. Alle jene bekannten Morgengeschäfte hatten begonnen. Der Hausknecht rollte Fässer durch die Eingangstür. Die Köchin schlug zu meinem Entsetzen mit raschen Beilhieben zehn Enten die Köpfe ab; zu meinem noch größeren Entsetzen flogen und flatterten dann die enthaupteten Vögel eine ganze Strecke noch. Ich hörte die scheltende Stimme der Wirtin auf das Stubenmädchen. Drei Weinreisende spielten, wirklich! am schönsten Morgen! ihren Skat in einer Laube. Ein Gutsbesitzer, der eben vor dem Hause sein Gefährt angehalten hatte, sprang vom Bock und besichtigte, indem er mit der Hand hinunterfuhr, das rechte Hinterbein eines seiner Wagenpferde. Ein Bauer ging mit einem Sack quiekender Ferkel über den Platz. Der reiche Bäckermeister drüben stand in bloßen Beinen und in weißem Unterzeug; er kam mir vor wie ein Derwisch, vor seinem Laden. Er brachte seine kurze Pfeife, die augenscheinlich nicht recht ziehen wollte, besser in Brand, den rechten Zeigefinger energisch hineinstoßend. Und was sich da so mehr in täglicher Wiederholung abläuft. Als ich mich in die Geheimnisse des Lokalblättchens zu vertiefen trachtete, hörte ich die Stimme des Ausrufers. Ich legte die Zeitung auf den Tisch und horchte. Sehen konnte ich den wackeren Herold nicht, weil ihn mir die Gartenplanke verbarg; aber ich hörte, was er kundgab: »Vun de Aukschon bi Hans Mehrens hüt Namiddag, kumm nix nah.«

Pause. Dann wieder drei Schläge mit der Glocke: »Sünndag grote Danzmusik bi Krischan Ehlers in'n »Söten Kringel«; ward ok 'n fett Swin verkegelt.«

Mir schoß plötzlich ein Gedanke durch den Kopf. Ich rief den eben vorübergehenden Kellner: »Bitte, sagen Sie dem Ausklingler, er möchte einen Augenblick zu mir kommen.«

»Sehr wohl.«

Der Ausrufer kam. Es war ein alter, krumm gehender Mann mit einem ernsten, gleichgültigen Gesicht. Ich wandte mich zu ihm: »Hier nehmen Sie das Zehnmarkstück, und rufen Sie dann durch das ganze Städtchen aus, daß der Gewinn, Nummer 731, von der Lotterie der letzten Tierschau her, noch immer nicht abgeholt sei; in einigen Tagen wäre der Termin abgelaufen.«

Der Ausklingler war es sehr zufrieden. Nach einigen Minuten schon hörte ich, daß er in gleichmäßigem Tone das von mir Gewünschte in Fenster und Türen durch die Straßen dröhnen ließ.

Es kam wie eine Beruhigung über mich. Ich sprang, als wenn mich ein wichtiges Ereignis riefe, auf und eilte in den Saal, um nach der Blume zu sehen.

Als ich sie vor mir sah, hätte ich sie liebkosen mögen. Und allerhand rührselige und rührsame Gedanken durchzogen mich; wunderbarerweise, denn ich gehöre durchaus nicht zu den »empfindsamen« Menschen. Was auch ging mich denn eine vergessene Hortensie an; ein einfaches Stämmchen, wie's zu Hunderten in den Fenstern der Wohnhäuser steht. Lächerlich. Ich begriff mich nicht, war es die Langeweile, die mich zu solchen, mindestens überflüssigen Gedankengängen trieb? Und aus meiner Beruhigung, die ich vorhin verspürt hatte, als ich den Ausrufer hörte, entstand eine Unruhe. Ich ließ mir Stuhl und Tisch vor den Eingang des Hotels stellen und wartete. Aber kein Mensch erschien, der den Gewinn abholen wollte. Der Wirt sagte mir, daß die Nummer sicher von einem Landmanne der umliegenden Dörfer gezogen sei.

Der Mittag kam. Ich wartete. Ich aß draußen auf meinem Platze vor der Tür. Ja, ich wich und wankte nicht von der Stelle, nur daß ich ab und zu in den Saal ging, um nach dem Stämmchen zu sehen. »Liebe, schöne Blume, du sollst noch ein Menschenherz erfreuen.«

Mit diesen leise gesprochenen Worten ertappte ich mich auf bedenklich weichherzigen Wegen. Mein Gott, wenn doch der Gewinner käme! Wirt und Wirtin, Kellner und Gäste, ich merkte es deutlich, fingen an, mein Benehmen, ich ließ nicht nach mit Fragen, recht wunderlich zu finden. Ja, ein ruppig und struppig aussehender Viehhändler, der aber den Schalk im Nacken zu haben schien, kam geradeswegs zu mir und fragte mich unvermittelt: »Seng'n Se mal, wat hebt Se egentlich mit de Blom?«

Ich sah ihn groß an und antwortete ihm eben so ruhig, wie er mich ruhig gefragt hatte: »Sehn Se mal, dat geit Se gar nix an.« Der Viehhändler entfernte sich brummend. Meine Unruhe wuchs.

Ich saß noch immer an meinem Tischchen und wartete. Es schlug sechs Uhr vom Turm. Da erschien in der Straße, die auf das Wirtshaus zuführte, ein kleines Mädchen, das acht, neun Jahre zählen mochte. Es hielt in der Rechten ein weißes Zettelchen. Ich sprang auf und eilte ihr stürmisch entgegen. Ich riß ihr, ohne sie weiter zu fragen, das Stückchen Papier aus der Hand. Richtig, es war die Nummer 731. Das Mädchen war gekommen, um den Gewinn abzuholen. Sie schien etwas enttäuscht zu sein, als ich ihr im Saal den Blumentopf zeigte. Sie hatte, wie sie mir erzählte, bestimmt geglaubt, daß ihr Gewinn ein landwirtschaftliches Gerät, ein Spaten, eine Harke, eine Schaufel gewesen sei. Die Kleine nahm den hübschen Stock in den Arm. Ich begleitete sie hinaus. Und es war wie von selbst gekommen, daß ich mit ihr ging; ich wollte sie bis an ihre Wohnung bringen. Wieder war's ein so herrlicher Sommerabend wie gestern. Der Wochenwagen fuhr ein. Die Kühe kamen, sich mit den Schwänzen die Fliegen wegklatschend, getrieben von der langen Peitsche des jungen Hüters. Um die Linden an der Kirche gaukelten Hunderte von Kohlweißlingen. Und durch diesen kleinstädtischen Sommerabendfrieden schritt neben mir die Kleine. Es war ein entzückend Bild: Sie ging an meiner Rechten, im rechten Arm das blütenüberfüllte Bäumchen tragend. Die Sonne glitt über ihre hellblonden Haare, deren Zöpfe, nach polnischer Art, rund um den Kopf gelegt waren. Es war ein so zierliches Ding, das ganze Persönchen. Und während sie sorgfältig das Gewächs trug, schaute sie im Plappern zu mir auf. Und was sie mir alles erzählte! Anna Hamann habe gestern das rote Kleid angehabt, in diesen Tagen solle sie selber zu Hans Saling, dem Milchbauer ihrer Eltern, nach Osdorf, und wie sehr sie sich darauf freue. Und dann bekam ich von ihrer Schule und von ihren Lehrern zu hören, von Onkeln und Tanten und Freunden und Verwandten. So schritten wir munter übers Pflaster, als wären wir seit Jahren die besten Bekannten. »Ja, aber wie heißt du denn, das weiß ich noch nicht«, fragte sie. »Emma Stuhr, und wie heißt du?«

Ich nannte ihr meinen Namen.

»Sind wir nun bald bei deinem Hause, Emma?«

Ehe wir es erreichten, erkundigte ich mich, wer denn eigentlich das Stämmchen gewonnen habe. Und die kleine Emma erwiderte mir, daß das Los ihrem Bruder gehört habe, der, vom Seminar beurlaubt, jetzt zu Hause wohne, weil er sehr krank sei und immer zu Bett liege, und der wohl heute noch, setzte sie mit völlig naiver, ja mit wichtiger Stimme hinzu, sterben müsse.

»Was? Dein Bruder muß heute sterben? Ist er so schwer krank? Und das erzählst du mir erst jetzt, Emma?«

Meine Miene war ernst geworden. Ich bedachte in diesem Augenblick nicht, daß ein Kind neben mir schritt. Die kleine Emma fing über meine strengen Worte an zu weinen. Aber ich beruhigte sie gleich wieder. Und in den Wimpertränchen blitzte die Sonne.

Nun waren wir an Ort und Stelle. Es war ein kleines, einstöckiges Gebäude. Ein ungemeines Gewucher gelber, nicht seltener Rosen überspann die ganze Vordermauer. Ich trat mit dem Mädchen hinein. Und von dem Augenblick meines Inshaustretens an kam es mir vor, als habe ich von jeher zu dieser Familie gehört. Ich fühlte mich als Familienglied. Nichts schien mir an und in dem Hause und bei den mir bisher gänzlich unbekannten Leuten fremd. Und sonderbar, auch ich schien diesen guten Menschen durchaus nicht fremd zu sein. Als die kleine Emma und ich eintraten, merkte ich an allem sofort, daß ein Schwerkranker, ein Sterbender in der Nähe weile. Die Haustürglocke war abgestellt; über den Treppenstufen lagen Tücher und Teppiche. Eine alte Wärterin kam mit finsterer, besorgter Miene aus dem Keller. Sie trug ein warmes Getränk: Zuweilen lüftete sie den Deckel und pustete hinein. Sie ging hinauf. Der Arzt, ein junger Mann, kam von oben. Er blieb bei mir stehen und schüttelte den Kopf: »Es ist bald aus.« Dann verschwand er durch die stumm gewordene Haustür. Überall, so kam es mir vor, roch es schon nach jenen Säuren und Essenzen, die wir sprengen, wenn eine Leiche noch im Sterbezimmer liegt.

Nun nahm ich der kleinen Emma den Stock ab. Sie faßte mich an der linken Hand. Und so stiegen wir beide hinauf. Ich öffnete leise eine Tür, die mir von dem Kinde bezeichnet war. Hier fand ich den Vater. Er stützte den Kopf in die Linke. Er weinte nicht; aber er war zum Umsinken gebeugt. Ich zeigte ihm das Bäumchen. Er nickte nur; dann wies er auf eine Stubentür. Sie war angelehnt. Ich schob sie auf.

In einem matt erhellten Raum, in den aber die Sonne einige Strahlen schicken durfte, lag in einem Bette an der Wand ein etwa zwanzigjähriger, bartloser Mann. Die Wangen waren ihm eingefallen. Er wandte, ohne den Kopf zu drehen, die Augen zu uns, schwer, mit Anstrengung. Und ein himmlisches Leuchten, wie ich es nie bei einem Menschen beobachtet hatte, drang aus seinen Augen: So sanft, so liebevoll, so stillselig, so zufrieden. Er hatte die schöne Blume entdeckt. Und ich wußte nun, weshalb ich an dem ganzen Tage eine solche Unruhe gehabt hatte. Ich konnte, ich durfte nicht zu spät kommen, um einem Sterbenden die letzte Freude zu bringen.

Seine alte Mutter lag auf den Knieen vor seinem Lager. Er hatte ihr die Linke überlassen, die sie immer wieder mit Küssen bedeckte. Zu Häupten stand der würdige Pastor des Ortes. Er hielt die Hände über die Kopflehne des Bettes gefaltet. Mit kurzen Pausen betete er laut, die Stirn jedesmal auf seine Hände senkend.

Die kleine Emma und ich stellten auf einen Tisch zu Füßen des Kranken die blühende Pflanze; wir stellten sie so, daß er sie ganz sehen konnte.

Zuweilen fuhr ein Wagen unten vorbei. Durchs geöffnete Fenster klangen die Stimmen fröhlich spielender Kinder: Und ein besonders helles Stimmchen sang: »Laterne, Laterne, Sonne, Mond und Sterne«, und sang diesen Vers immer wieder.

Ich hatte mich so gestellt, die kleine, mich ängstlich anschauende Emma nicht loslassend, daß mich der Kranke nicht sah. Und während die Mutter mit beiden Händen die kalt werdende, mit Schweiß sich benetzende linke Hand ihres Sohnes hielt, und während der Pastor inbrünstig seine Gebete sprach, lagen die brechenden Augen des Sterbenden, als sähe er den Himmel offen, auf der vergessenen Hortensie.

Und der Todesengel schritt herein; und sein Palmenwedel berührte die bleiche Stirn. Der junge Mensch hatte ausgelitten. Die angeschobene Tür öffnete sich. Ich bemerkte den ganz gebrochenen Vater; Tränen sickerten ihm jetzt durch die vors Gesicht geschlagenen Finger.

Der greise Prediger hielt wie segnend die Hände auf dem Haupte der zusammengesunkenen Mutter. Seine Augen hingen verklärt an der Decke, in sicherem, festem Glauben an den Heiland. In seinen edlen Gesichtszügen lag die Liebe, die werktätige Liebe zu seiner kleinen Gemeinde, zu den Menschen. Und seine Stimme bebte in tiefem Basse: »Er ist bei Gott.«

Es war eine große, ernste, feierliche Minute.

Die Alte, die ich unten mit dem dampfenden Gefäß gesehen hatte, erschien. Sie hob abermals den Deckel ab und roch und pustete hinein. Gute Alte, dein Dekokt kommt zu spät.


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