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Geschichte des Königs, des Wesirs und dessen Frau.

Ein König, der große Macht besaß, aber der Liebe zu den Frauen sehr ergeben war, sah einst auf dem Dache eines Hauses ein Mädchen von besonderer Schönheit und beschloß, ihr seine Liebe zu entdecken. Er erkundigte sich daher, wer sie wäre, und als man ihm berichtete, sie wäre bereits verheiratet, und zwar an seinen Wesir, so benutzte er die erste Gelegenheit, die sich ihm darbot, diesen auf unbestimmte Zeit in eine entfernte Gegend seines Reichs zu schicken. Kaum war dieser abgereist, als der König sich Zutritt bei seiner Frau zu verschaffen wußte. Sie erkannte den König sogleich, warf sich ihm zu Füßen und sprach: »Welch einem Umstande verdanke ich deinen gnädigen Besuch?« Jener erwiderte unbefangen: »Der Stärke meiner Liebe zu dir und der Sehnsucht, dich zu sehen.« Sie warf sich ihm hierauf zum zweiten Male zu Füßen und sprach: »Ich fühle, daß ich nicht wert bin, eine Sklavin der geringsten deiner Dienerinnen zu sein. Es ist daher ein außerordentliches Glück, daß du mich in diesem Maße eines Blicks gewürdigt hast.« Der König wollte sie wegen dieser freundlichen Antwort küssen, sie aber antwortete: »Unterlaß dieses noch; wir haben Zeit, es entgeht uns nicht. Ich bitte nur den König, mir, seiner Sklavin, die Gnade zu erweisen, diesen Tag bei mir zu bleiben, um ihn bewirten zu dürfen.« Der König setzte sich hierauf, und sie überreichte ihm unterdessen ein Buch, worin Warnungen, Vorschriften der Weisheit und Anempfehlungen der Sittlichkeit enthalten waren. Während der König diese Lehren las, welche ihn von seinem Vorhaben abbrachten, bereitete die Frau Speisen zu und ließ nach einer Weile dieselben in neunzig Schüsseln austragen. Der König aß von jeder Schüssel etwas, und so verschiedenartig auch das Ansehen der Speisen war, so bemerkte er doch mit Erstaunen, daß sie alle denselben Geschmack hatten. Als er der Frau darüber sein Befremden bezeigte, erwiderte sie: »Ich habe dir hierdurch nur ein kleines Gleichnis darstellen wollen. Die neunzig Schüsseln bedeuten die neunzig Mädchen, die du in deinem Schlosse hast. Dem Ansehn nach sind sie verschieden, aber ihre Küsse sind sich alle gleich.« Da schämte sich der König, ließ von seinem Vorhaben ab und ging in sein Schloß. Er hatte indes seinen Siegelring bei ihr vergessen, und als er es bemerkte, trug er Bedenken, ihr denselben abzufordern. Während der Zeit kehrte ihr Mann zurück, und als er sich auf das Sofa setzte, fand er einen Ring unter dem Kissen, den er sogleich für den Ring des Königs erkannte. Er schöpfte sogleich Verdacht auf seine Frau und hielt sich deshalb ein ganzes Jahr lang von ihr entfernt, bis sie sich darüber bei ihrem Vater beschwerte.

 

Neunhundertundeinundachtzigste Nacht.

Dieser begab sich deshalb zum Könige und verklagte den Wesir, der eben gegenwärtig war.

»Ich hatte,« sprach er zum Könige, »einen schönen Garten, den ich gepflanzt und mit eigener Hand gepflegt hatte. Einen großen Teil meines Vermögens hatte ich darauf verwendet, bis er Früchte tragen konnte. In diesem Zustande schenkte ich ihn deinem Wesir. Dieser hat davon genossen; nun aber hat er ihn überdrüssig, und sein Glanz vergeht.« Da erwiderte der Wesir: »Er hat ganz recht, o König; ich habe dieses Geschenk auch stets hochgehalten; allein eines Tages betrat ich den Garten und fand darin die Spuren eines Löwen, von dieser Zeit an habe ich mir den Besuch des Gartens untersagt.« Der König, der sehr wohl verstand, was der Wesir damit meinte, sprach zu diesem: »Sei unbesorgt, kehre in deinen Garten zurück, und wenn der Löwe auch ihn betreten hat, so hat er ihn doch unverletzt wieder verlassen.« Der Wesir gehorchte, ließ sich den Vorfall daheim von seiner Frau erzählen und lebte von neuem glücklich mit seiner Familie.

 

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Hier folgt in der tunesischen Handschrift die Geschichte von dem Ehemanne und dem Papagei, die wir hier auslassen, da sie bereits im ersten Bande (Seiten 112 ff.) mitgeteilt worden ist. (Anm. Habichts.)

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Neunhundertundzweiundachtzigste Nacht.

Ich habe dir dieses erzählt,« fuhr der Wesir nach Beendigung dieser Geschichte fort, »um dir zu zeigen, wie weit die List der Weiber gehen kann, und wie groß die Reue ist, wenn man ihren Versicherungen je Gehör gegeben hat.« Der König wurde nun abgeneigt, seinen Sohn töten zu lassen. Sowie indes die Nacht begann, kam die Frau zum Könige und sprach: »O Herr, wie kann es dir so gleichgültig sein, mich beleidigt zu sehen, und was wird die Welt sagen, wenn sie erfährt, daß du einen Befehl gegeben hast, und daß dein Wesir dich davon abwenden konnte. Ich bitte, verschaffe mir Gerechtigkeit gegen deinen Sohn und habe zugleich die Güte, folgende Geschichte von mir anzuhören. –

 


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