Der Roman eines Konträrsexuellen
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III. Jugend – Erste Handlungen

Ich hatte eine lebhafte Zuneigung zu einem prächtigen jungen Menschen gefaßt, der seit einiger Zeit als Knecht in unserem Stall diente. Er war wirklich herrlich, jung, mit kleinem, kastanienbraunem Schnurrbart. Er war von mittlerer Gestalt, kräftig und wohlgebaut. Ich brachte ihm heimlich Zigarren, die ich aus dem Rauchzimmer meines Vaters entwendete, und sogar Kuchen und Süßigkeiten, derer ich mich seinetwegen beraubte. Es war ein sehr anständiger Mensch, der gern etwas frei sprach, sich aber nie eine Vertraulichkeit erlaubte. Eines Tages, als ich ihn im Scherz bat, er möge sich mir nackt zeigen, schalt er mich aus und wollte meinen Wunsch nicht erfüllen. Ich empfand immer größere Freundschaft für ihn, und mein Wunsch, ihn zu sehen, ihm nahe zu kommen, sein Gesicht zu berühren, wurde wirklich zur fixen Idee.

Da ich nichts von ihm erhoffen konnte, suchte ich mir in der Phantasie einzureden, ich wäre seine Frau, und nachts legte ich mein Kopfkissen neben mich und küßte und biß es, als wenn es eine lebende Person wäre. Ich dachte an den schönen, so kräftigen und frischen jungen Mann und suchte, indem ich mich bewegte, mir die Illusion zu verschaffen, ich schliefe mit ihm. *Dabei erfaßte mich, fast gegen meinen Willen, eine große Unruhe, und zum ersten Mal ergoß ich meinen Samen.*

Ich war sehr erschreckt darüber, und trotz des Vergnügens, das ich empfunden hatte, nahm ich mir vor, nicht mehr in einen solchen Irrtum zu verfallen. Ich hielt dieses Versprechen sehr wenig, und bald verfiel ich in eines der erniedrigendsten Laster, in die wir verfallen können. Meine lebhafte Phantasie spiegelte mir die gefälligsten Bilder vor, und ich genoß dieses gräßliche Vergnügen, indem ich die Bilder von Männern vor mir erstehen ließ, die mir gefielen und mit denen ich gern zusammengewesen wäre. Obwohl dem Anschein nach zart, war meine Konstitution doch sehr stark, und so hatte das, was zweifellos einen anderen getötet hätte, bei mir keinerlei körperliche Folgen.

Zur damaligen Zeit gingen die Geschäfte meines Vaters schlecht, wir mußten Italien verlassen und wieder einmal in Frankreich unser Glück versuchen. Wir blieben damals mehrere Monate in Paris, das ich bereits vor einer Reihe von Jahren besucht hatte. Ein sehr einfaches Leben folgte unserem luxuriösen Aufwand, und ich kann Sie versichern, daß dies die traurigste Zeit meines Lebens war. Der Charakter meines Vaters hatte sich verbittert, selbst in Paris gingen seine Geschäfte immer schlechter. Meine Erzieherin verließ uns zu dieser Zeit, und ich trat als Externer in ein Internat in Paris.

Ich konnte den Unterricht im Gymnasium nicht ausstehen, und um mehr Zeit für mich zu haben und nicht mehr einem regelmäßigen Unterricht folgen zu müssen, erklärte ich, ich hätte keine Neigung für den Beruf eines Ingenieurs, für den mein Vater mich bestimmt hatte, und wünschte Malerei zu studieren, da ich im Zeichnen ein sehr hübsches Talent entwickelte.

Durch Zärtlichkeiten und Schmeicheleien gelang es mir, meinen Vater dazu zu bringen, daß ich das Gymnasium verlassen konnte. Er brachte mich zu einem Maler, zu dem ich übrigens nur sehr selten ging, da ich es vorzog, in Paris herumzubummeln und die Galerien und Museen zu besichtigen. Ich ging morgens zu dem Maler, der sehr weit von uns entfernt wohnte, und brachte den Nachmittag mit Lesen und Zeichnen zu.

Diese Zeit war für mich recht angenehm, doch der Wunsch, einem Manne anzugehören, verfolgte mich beständig, und ich fühlte mich unglücklich, zu einem Geschlechte zu gehören, mit dem meine Seele keine Berührung hatte. Ich setzte mein einsames Laster fort, das bald keinen Reiz mehr für mich hatte und das ich in der Folgezeit aufgab, denn es fing an, meinen Körper und meinen Geist allzusehr anzustrengen und machte mir fast gar kein Vergnügen mehr.

Nach mehrmonatigem Aufenthalt in Paris kehrten wir nach Italien zurück, wohin die Geschäfte meinen Vater aufs neue riefen. Ich besuchte wieder eine Akademie der schönen Künste, doch ich hatte für die Kunst keine Leidenschaft mehr und ging nur hin, um nicht etwas anderes tun zu müssen, was mir in dem psychischen Zustande, in dem ich mich befand, ganz besonders widerwärtig gewesen wäre. Die Jungen, die mich in der Schule der schönen Künste umgaben, erschienen mir schrecklich gewöhnlich und gemein; sie hatten gräßliche Hände, meine waren die schönsten und gepflegtesten, die man nur sehen konnte. Außerdem war ich sehr stolz auf meine Geburt, auf meine Reisen, auf meine höhere Erziehung, und ich hatte keine Lust, mit so kleinen Leuten zu verkehren, die fast alle Söhne von Schlächtern oder Krämern waren. Jetzt sind mehrere von ihnen reizende Künstler, während ich selbst in der Kunst, die ich mir gewählt hatte – allerdings aus Laune gewählt hatte – keine Fortschritte gemacht habe.

Ich war Herr über meine Zeit, denn ich ging nur sehr selten zur Schule und brachte meine Zeit mit Grübeln und Lesen zu. Während dieser Zeit betrat ich, von einigen meiner Gefährten und Vettern meines Alters beeinflußt, zum ersten Mal ein öffentliches Haus. Ich verließ es verzweifelt und angeekelt. Die Frauen reizten mich überhaupt nicht, und ich empfand nur Widerwillen gegen sie. Eine von ihnen umarmte mich, und ich empfand einen so heftigen Ekel vor dieser schrecklichen Person, daß ich mich so schnell wie möglich von ihr losmachte und eiligst davonging, zur großen Verwunderung derjenigen, die mich an diesen Ort begleitet hatten. Ich bin mehrere Male dorthin zurückgekehrt mit dem festen Wunsch, meinen Widerwillen zu besiegen und das zu tun, was die anderen tun, doch es ist mir niemals gelungen. Ich blieb eiskalt unter den glühendsten Liebkosungen und empfand nur einen schrecklichen Widerwillen.

Einer meiner Freunde, ein junger Wüstling, wollte mich sogar an seinen Manipulationen mit einem dieser Weiber teilhaben lassen, doch ich konnte meine angeborene Abneigung nicht überwinden, und diese ausschweifende Szene ließ mich vollständig kalt.

Diese schlechten Orte übten dennoch auf mich eine Art geheimer Anziehungskraft aus, und so manches Mal habe ich nicht diejenigen beneidet, die dorthin gingen, wohl aber die, die darin wohnten.

Ich kam soweit, daß ich mich als ein außergewöhnliches und phantastisches Wesen betrachtete, ein Wesen, bei dessen Entstehung die Natur sich geirrt hat, das seinen entsetzlichen Zustand wohl erkennt, nichts aber dazu tun kann, ihm abzuhelfen. Ich verlor den Geschmack an allem; meine traurige und verdüsterte Seele überließ sich einer tiefen Verzweiflung, und ich verfiel in vollständige Niedergeschlagenheit.

Ich verbrachte meine Vor- und Nachmittage damit, daß ich in den Gärten und an einsamen Plätzen spazieren ging; im Banne der größten Traurigkeit verzweifelte ich an allem, an der Natur wie an Gott. Ich fragte mich, warum ich unter so elenden Verhältnissen geboren sei und welches Verbrechen ich vor meiner Geburt begangen hätte, um in so schrecklicher Weise bestraft zu werden. Meine ganze Umgebung merkte nichts und schrieb mein Schweigen und meine Traurigkeit einem schlechten Charakter, einer natürlichen Seltsamkeit zu. Mein Vater war viel zu sehr mit seinen Geschäften und der Wiedergewinnung seines Vermögens beschäftigt, an das er fortwährend dachte; meine Mutter kümmerte sich um das Haus und ihre Besuche und war außerdem nicht von der Art, daß sie sich wegen seelischer Leiden beunruhigt hätte.

Meine Brüder waren fern, ich lebte also ganz allein, meinen Schmerzen und meinen traurigen Gedanken überlassen. Ich sah mein ganzes Leben vor mir liegen, zerstört von einer schrecklichen Leidenschaft, die die blinde Natur mir eingeflößt hatte. Ich fühlte in mir Schätze, von denen niemand etwas wissen wollte, die stets in meiner Seele eingeschlossen bleiben und mich schließlich rasch töten würden.

Es kam soweit, daß ich mir den Tod wünschte und ihn in der schrecklichen Einsamkeit, in der ich mich befand, herbeisehnte. Nie werde ich die schrecklichen Qualen ausdrücken können, die mich damals peinigten. In diesem langen, schmerzvollen Zustand verfiel ich zuweilen in eine Stimmung voller Energie, grundloser Freude und Hoffnungen, die sich nie verwirklichen sollten. Ich versuchte, meine Natur durch ernste Lektüre und Ausübung meiner religiösen Pflichten zu verändern. Alles war umsonst, und nach jedem Versuch war ich verzweifelter als zuvor.

Ich wollte zu Frauen, jungen Mädchen, fast noch Kindern, Zuneigung fassen, doch es gelang mir nicht. Die Frauen erschienen mir als schöne und zärtliche Freundinnen, die in voller Sicherheit neben mir hätten schlafen können, ohne daß ich sie auch nur mit einem Wunsche gestreift hätte.

Nur der Mann erschien mir in seiner Kraft und Stärke reizvoll und schön, und zu ihm fühlte ich mich von einer unbekannten Kraft, von einem unwiderstehlichen Zauber hingezogen. Es machte mir Vergnügen, die schönen jungen Männer durch die Straßen wandeln zu sehen, und wenn jemand mir gefiel, so wandte ich mich um, um ihn noch einmal zu erblicken. Ich hatte dann im Geiste Geliebte, die ich verehrte und denen ich stillschweigend folgte, ohne daß jemals einer irgendetwas ahnte. Ich verkehrte mit niemandem, aus Furcht, mein schreckliches Geheimnis zu verraten, vor dem ich zitterte und dessen ich mich schämte. Ich will nicht beschreiben, was ich damals litt, auch will ich die entsetzlichen Gedanken nicht nennen, die in meinem Kopfe auftauchten. Sie werden sie sich leicht vorstellen können.

So erreichte ich mein 18. Jahr, ohne daß alle diese moralischen Qualen meine Konstitution und meine Gesundheit spürbar beeinträchtigt hätten.

Ich war damals derselbe, der ich mit kleinen Veränderungen noch heute bin. Meine Gestalt ist unter Mittelgröße, 1,65 Meter, wohlgebaut, ich besitze schlanke Formen, bin aber nicht mager. Mein Körper ist prächtig; ein Bildhauer würde nichts daran auszusetzen haben und zwischen dem des Antinous und dem meinen keinen großen Unterschied finden. Ich bin sehr gewölbt gebaut, vielleicht zu sehr, und meine Hüften sind sehr entwickelt; mein Becken ist breit wie das einer Frau, meine Knie sind leicht eingebogen, meine Füße ganz klein, meine Hände prächtig, die Finger gekrümmt, mit glatten, rosigen und glänzenden Nägeln, die wie die der antiken Statuen viereckig geschnitten sind. Mein Hals ist lang und rund, mein Nacken bezaubernd, mit kleinen Härchen versehen, mein Kopf ist ebenfalls reizend, und mit 18 Jahren war er es noch mehr. Das Oval desselben ist vollendet und fällt jedermann durch seine kindliche Form auf.

Mit 23 Jahren hält man mich höchstens für siebzehn. Mein Teint ist weiß und rosig, ich werde bei der leichtesten Erregung purpurrot; die Stirn ist nicht schön, sie ist leicht fliehend und an den Schläfen eingefallen, doch glücklicherweise wird sie halb von dunkelblonden Haaren verdeckt, die natürlich gelockt sind. Die Form des Kopfes ist wegen der gelockten Haare vollkommen, doch bei näherer Betrachtung zeigt sich am Hinterkopf ein sehr starker Vorsprung. Meine Augen sind langgestreckt, blaugrau, mit langen, kastanienbraunen Wimpern und sehr starken, bogenförmigen Brauen. Mein Blick ist wie von einer Flüssigkeit getrübt, meine Augen sind fast immer von Schatten und Ringen umgeben, auch sind sie Zuckungen unterworfen, die schnell vorübergehen. Der Mund ist ziemlich groß, mit dicken, roten Lippen; die Unterlippe fällt herab, man sagt mir, ich hätte einen »österreichischen« Mund. Die Zähne sind blendend, obwohl drei plombiert und schlecht sind, doch zum Glück sieht man sie nicht. Die Ohren sind klein mit sehr dunklen Ohrläppchen. Mein Kinn ist sehr fett, mit 18 Jahren war es glatt und samtweich wie das einer Frau. Jetzt bedeckt es ein leichter, stets rasierter Bart. Zwei schwarze, samtweiche Flecken befinden sich auf meiner linken Wange und bilden einen starken Gegensatz zu meinen blauen Augen. Meine Nase ist fein und gerade, mit weichen Nüstern und kleiner, kaum merklicher Krümmung. Meine Stimme ist sanft, und man bedauert stets, daß ich nicht Gesang gelernt habe.

Das ist mein Porträt; es wird Ihnen vielleicht beim Nachzeichnen des seltsamen Wesens dienlich sein können, das die Natur zu meiner großen Verzweiflung geschaffen hat.

Mit 20 Jahren, dem Alter der allgemeinen Einberufung, hätte ich meine Soldatenpflicht erfüllen müssen. Da mein Vater von neuem Vermögen erworben hatte, konnte ich vor der vom Gesetz vorgeschriebenen Zeit dienen und als Freiwilliger eintreten. Mein Vater hatte die Kavallerie gewählt, die mehr kostete, aber infolgedessen auch besonders »chic« war. Man hatte ihm übrigens auch gesagt, daß die Anstrengung bei dieser Waffe viel erträglicher wäre, und bevor ich das 19. Jahr erreicht hatte, trat ich in ein Regiment ein, das in einer kleinen Stadt in Garnison lag, in einiger Entfernung von den kommandierenden Generälen. Die Offiziere, so versicherte man uns, seien sehr gut erzogen und behandelten die Freiwilligen gut.

Ich hatte stets einen wahren Horror vor dem Militärleben gehabt; die Anstrengung, der Zwang, die schreckliche Disziplin erschreckten mich sehr, und ich hätte ich weiß nicht was gegeben, um von der furchtbaren Unannehmlichkeit befreit zu werden, ein ganzes Jahr auf diese unangenehme Weise verbringen zu müssen. Die erste Zeit erschien mir wirklich sehr hart, doch nach und nach gewöhnte ich mich an dieses Leben, dem es übrigens nicht an Zerstreuungen fehlte.

Ich hatte mehrere Kameraden, auf ihren Adel und ihren Reichtum sehr eingebildete kleine Herrchen, mit denen ich sehr schnell Freundschaft schloß. Jedermann gewann mich bald lieb, denn mein hübsches, kindliches Gesicht bildete einen seltsamen Gegensatz zu der Husarenuniform, die ich trug und die mich als ein verkleidetes Mädchen erscheinen ließ.

Die zahlreichen Beschäftigungen, der Unterricht in der Reitbahn und das Leben in freier Luft beeinflußten in sehr günstiger Weise meine Gesundheit und meine Stimmung. Die Festtage, die langen Spazierritte, die Soupers und Diners söhnten mich schließlich mit dem Militärleben aus, das die Gefälligkeit der Offiziere uns ziemlich behaglich gestaltete.

Was uns besonders entzückte, war der Umstand, daß wir den einfachen Soldaten gegenüber die Prinzen spielen durften und uns diesen armen Leuten gegenüber in allem als überlegen zeigen konnten.

Wir schliefen mit unserer Einheit zusammen in großen, geräumigen Sälen. Wir hatten gewünscht, ein Zimmer für uns zu bekommen, doch das war unmöglich, und ich habe es später auch nicht bedauert.

Der Unteroffizier, der bei uns schlief, war ein alter, äußerst langweiliger und verdrießlicher Brummbär, auf den wir nur wenig Einfluß hatten und der aus Furcht, er könne sich kompromittieren und dürfe uns nicht mehr nach Belieben anfahren, nichts von uns annehmen wollte. Die anderen Unteroffiziere waren dagegen immer sehr liebenswürdig zu uns und wiesen nie das zurück, was wir ihnen anboten, auch kamen sie stets zu den Diners, zu denen wir sie einluden.

Bei diesem bewegten und arbeitsamen Leben hatten sich meine Sinne beruhigt, und die unaufhörlichen Halluzinationen, von denen ich so lange verfolgt worden war, wurden weniger und hörten fast ganz auf. Wir waren zu müde, um an etwas anderes als an unsere Pflicht zu denken. Die Männer, welche mit uns zusammenschliefen, führten mich nicht in Versuchung. Sie waren zu plump, zu häßlich, zu stupide, um mir irgendwelches Verlangen nach ihnen einzuflößen. Außerdem waren sie schmutzig und haben für mich nie eine Versuchung dargestellt.

Sechs Monate waren verflossen, und es kam der Frühling. Ein Teil des Regiments wechselte die Garnison, und andere Einheiten nahmen die Stelle derjenigen ein, welche abzogen.

In unserem Saale fand an dem Tage, an dem die Neuen eintrafen, eine wahre Revolution statt. Ich benutzte die Gelegenheit, um den Platz zu wechseln und mein Feldbett in den abgelegensten und bequemsten Winkel des Saales zu stellen. Meinem Bette gegenüber ließ sich der Unteroffizier nieder, der die eben eingetroffene Einheit befehligte.

Dieser Mann war jung (25 bis 26 Jahre) und besaß ein sehr hübsches Gesicht. Ich achtete nicht besonders auf ihn und kümmerte mich anfangs auch nicht viel um ihn. Er war sehr schweigsam und bescheiden, rüffelte die Soldaten nur wenig und sprach außerhalb des Dienstes fast gar nicht. Er befehligte seine Einheit mit viel Geschick und Energie, und ich bewunderte in der Folge die reizende und ritterliche Manier, mit der er sein Pferd ritt. Er ließ es auf dem Waffenplatz Gräben und gefährliche Hindernisse überspringen, vor denen ich eine schreckliche Angst hatte. Das erste Gefühl, das ich ihm gegenüber hegte, war Eifersucht und Neid. Er kam mir, der ich hager und klein war, sehr groß vor und erschien mir mutiger und gewandter als wir alle; er hatte eine Art zu kommandieren, um die ich ihn beneidete und die ich niemals haben werde.

Gewöhnlich legte er sich sehr früh zu Bett, während meine Kameraden und ich ins Theater gingen oder in der Regimentskantine blieben, um dort zu musizieren oder fröhlich zu speisen. Eines Abends verließ ich, von irgendeiner Laune beeinflußt, die Gesellschaft und zog mich in unseren Schlafsaal zurück. Viele Soldaten lagen schon im Bett, der Unteroffizier war im Begriff, sich zu entkleiden. Ich tat dasselbe und schickte mich an, mich hinzulegen, ohne daß mir dabei eine einzige Bewegung meines Nachbarn entging. Er stand bereits im Hemd da und zog bald, auf seinem Bett sitzend, sein letztes Kleidungsstück aus, um sich nur mit seinem Unterhemd ins Bett zu legen.

Ich war beeindruckt von der Schönheit und Vollkommenheit seines Körpers, der mir bei dem schwachen Schein der an der Decke hängenden Lampe wunderbar schön vorkam und die antiken Meisterwerke zu übertreffen schien, die mich einst begeistert hatten. Jene waren aus Marmor, dieser schöne Körper war voll Kraft und Jugend. Besonders die Beine fielen mir auf; sie waren vollendet in ihrer Form und gleichzeitig nervig, schlank und geschmeidig. Sein ganzer schöner Körper ließ im Verein mit der anmutigsten Form eine außergewöhnliche Kraft vermuten. Am nächsten Morgen betrachtete ich ihn mit großer Aufmerksamkeit und war von seinem hübschen Gesicht und der Eleganz seiner Züge sowie von seinen wohlgepflegten Händen mit den kurzen Nägeln betroffen. Ich fühlte mich von Freundschaft für diesen jungen Mann ergriffen, der so traurig seine Pflicht tat, nüchtern war und wenig ausging. Dennoch hatte ich kein Verlangen nach ihm. Ich bewunderte ihn wie eine schöne Statue und traute ihm nicht zu, mich jemals verstehen zu können. Oft setzte ich mich abends neben ihn, und es machte mir Spaß, mir etwas von seiner Heimat, seiner Geburtsstadt und seiner Familie erzählen zu lassen. Er hatte keine Mutter mehr, und sein Vater hatte von einer anderen Frau mehrere Kinder. Das hatte ihn veranlaßt, weiter beim Militär zu dienen. Sein Vater war ein kleiner Beamter, der ihm einige Erziehung hatte zuteil werden lassen; er schrieb sehr gut und las in seinen freien Stunden aus dem Französischen übersetzte Bücher, besonders die Werke des älteren Dumas.

Ich begann an seiner Gesellschaft immer mehr Gefallen zu finden und empfand bald die zärtlichste Freundschaft für ihn. Ich lud ihn mehrer Male ein, mit uns ins Theater zu kommen, und das schien meine Kameraden nicht zu ärgern, die für diesen jungen Mann ebenfalls Sympathie hegten. Er speiste auch einige Male mit uns, zeigte sich aber immer sehr kühl und zurückhaltend. Er hatte soviel Beschäftigung und war abends oft so müde, daß er es vorzog, das Quartier nicht mehr zu verlassen. Ich hätte ihm gerne Geld angeboten, doch ich fürchtete, er würde es nicht annehmen.

Bald konnte ich nicht mehr ohne ihn auskommen und suchte jede Gelegenheit, ihm angenehm zu sein. Ich begnügte mich damit, seine Hand zu berühren und manchmal mit der meinen über seinen Kopf zu fahren, der mit seinen feinen, weichen, kastanienbraunen Haaren reizend war. Ich bemerkte und bewunderte die Schönheit seiner Zähne und seines hübschen Mundes, der mit einem kleinen, kastanienbraunen Schnurrbart geschmückt war, aber nicht von ihm verdeckt wurde. Ich sah in ihm alle meine Lieblingshelden wieder, und wenn er in seiner hübschen, schwarzgelben Uniform auf seinem Pferd vorbeiritt, verglich ich ihn unwillkürlich mit Hektor und Achill.

Ich war eifersüchtig, doch es machte mir Spaß, mir seine flüchtigen Liebeshändel und seine Garnisonsabenteuer erzählen zu lassen. Obwohl er körperlich sehr stark veranlagt war, suchte er doch höchstens zweimal im Monat Frauen auf, denn sie waren sehr teuer, und er hatte wenig Geld.

Übrigens gab er sich wenig mit den Frauen und der Liebe ab, da er seit dem Alter von 17 Jahren im Heere diente und keine Muße gehabt hatte, seine Sinne zu verfeinern. Ich beneidete wütend alle Frauen, die diesen schönen jungen Mann, den ich jetzt als meinen Gott ansah, auch nur ein einziges Mal in ihren Armen gehalten und glücklich gemacht hatten. Ich hätte ein ganzes Leben der Freude darum gegeben, um wenigstens einmal diese Befriedigung haben zu können. Ich war wirklich unglücklich! Und niemals würde mir dieses ungeheure Vergnügen zuteil werden, neben dem alle anderen verblassen.

Dennoch hätte ich nie gewagt, ihm von alledem ein Wort zu sagen. Ich wäre vor Scham gestorben, bevor ich den schrecklichen Satz ausgesprochen hätte. Doch was kommen mußte, kam. Eines Abends hatten wir alle zusammen gespeist, und unser Freund war mit von der Partie. Alle hatten wir getrunken, und zwar viel. Bei der Rückkehr ins Quartier wurden mehrere von uns schrecklich krank. Die Soldaten schliefen nicht mehr mit uns zusammen, sondern in einem Saal nebenan. Unsere 8 oder 10 Betten verloren sich in dem riesigen, dunklen Raum, der nur von einer ganz kleinen Lampe erleuchtet wurde, die mitten in der Nacht erlosch.

Wir waren mehr oder weniger erregt und tollten bis in die tiefe Nacht herum. Auch der Quartiermeister, der in einem kleinen Nebenzimmer schlief, war sternhagelbetrunken und schnarchte fürchterlich. Mein Bett stand in dem dunkelsten Winkel, dem des jungen Unteroffiziers gegenüber, der sich ebenfalls infolge des starken Weines, den er getrunken hatte und an den er aus vielen Gründen nicht gewöhnt war, in fröhlicher Stimmung befand. Meine Kameraden schliefen schon, als wir immer noch nicht ausgekleidet waren. Endlich entschloß ich mich, zog meine Uniform aus, schlüpfte in mein Batisthemd und huschte in mein Bett, auf das ich meinen jungen Freund sich hatte setzen lassen. Voller Erregung und berauscht vom Wein und vom Lärm, den wir gemacht hatten, überschüttete ich ihn wie zum Spaß mit den zärtlichsten Liebkosungen und schmeichelhaftesten Worten. Ich lag halb in den Kissen, das wir in unserem Bett behalten durften. Er war halb ausgezogen *und saß auf meinem Schoß, an mich gelehnt.* Ich sprach wie im Entzücken zu ihm, wie in einem Halbrausch, verursacht durch die Müdigkeit und die Wärme des Bettes, als er sich ganz zu mir herabbeugte, *mich mit seinen beiden Armen umschlang und mein Gesicht mit Küssen bedeckte; gleichzeitig steckte er die Hände unter die Decke und ergriff mit beiden Händen mein Fleisch.* Ich fühlte mich dem Tode nahe, und zugleich erfaßte mich plötzlich eine ungeheure Freude. *So blieben wir einige Zeit in der Wärme des Bettes, den Kopf aneinander gelehnt, mit flammenden Wangen, mein Mund auf seinem.* Nie war ich so glücklich.

Die auf der Erde stehende Lampe gab nur ein verschwommenes Licht ab in dem riesigen Schlafsaal, in dem in weit entfernt stehenden Betten meine Kameraden schliefen, und ließ den Winkel, in dem wir uns in unserer Verzückung befanden, in tiefster Dunkelheit.

Dennoch hatte ich Furcht, es könnte uns jemand sehen, und da ich mich der Hingabe meines Freundes vollkommen zu erfreuen wünschte, gab ich ihm einen Kuß und flüsterte ihm ins Ohr: »Lösch die Lampe aus und komm zurück, aber schnell!« Er erhob sich zitternd und trank aus dem Krug, der neben der Lampe auf der Erde stand; sachte löschte er das kleine Flämmchen aus, das schon von selbst erstarb. Der Schlafsaal wurde nur noch von der Lampe des Nebensaales erleuchtet, das heißt, man sah wohl ein wenig in der Mitte des Saales, doch alles übrige war in tiefstes Dunkel getaucht.

Ich sah im Halbdunkel, wie er zu seinem Bett zurückkehrte, das meinem gegenüberstand. Ich hörte, wie er sich sehr schnell entkleidete und, seinen Atem anhaltend, wieder zu mir zurückkehrte. *Diese wenigen Sekunden erschienen mir wie eine Ewigkeit, und als ich spürte, wie er neben mich in die Bettwärme huschte, umschlang ich ihn, streichelte ihn und küßte ihn voller Glut, schrie fast vor Freude und Verlangen. Er erwies sich als leidenschaftlicher Liebhaber, in unserer Nacktheit bildeten wir schnell einen einzigen Körper, hielten uns engstens umschlungen. Niemals hätte ich geglaubt, daß man solche Wonnen genießen kann. Unsere Lippen vereinigten sich in unseren Mündern, wir hielten uns so fest, daß wir kaum atmen konnten. Mit meinen Händen fuhr ich über diesen schönen und so heftig ersehnten Körper, über diesen hübschen, männlichen Kopf, der so ganz anders war als meiner. Schließlich fanden unsere Wonnen ein Ende, und was uns am meisten erfreute, war, daß wir zur gleichen Zeit den Höhepunkt erreichten. Lange blieben wir umschlungen liegen, sagten uns einander Schmeicheleien und süße Worte. »Ich habe nie ein solches Vergnügen bei einer Frau gefunden«, sagte er mir, »ihre Küsse und Liebkosungen sind nicht so heiß und leidenschaftlich«.* Diese Worte erfüllten mich mit Freude und Stolz! Endlich hielt ich ihn also in meinen Armen, diesen so heiß ersehnten Mann, und was für einen netten Mann! Jede Frau würde mich darum beneiden.

Endlich trennten wir uns mit dem Versprechen, uns immer zu lieben und möglichst immer zusammenzubleiben.

Am nächsten Morgen, als wir aufstanden, wagten wir nicht, uns einen Blick zuzuwerfen: für den Moment war unserer tollen Lust die Scham gefolgt, die frische Morgenluft hatte uns vollständig ernüchtert. Den ganzen Vormittag über wechselten wir nur wenige Worte miteinander, doch am Abend, sobald wir im Bett lagen und uns allein in der tiefen Dunkelheit befanden, erfaßte mich das Verlangen von neuem, ich hielt den Atem an, erhob mich und suchte ihn auf. Er war noch wach und erwartete mich, wie er sagte.

*Diese Nacht der Leidenschaft kosteten wir in voller Länge aus, und ich glaube, daß niemand verliebter und leidenschaftlicher sein kann, als wir es waren. Wir wurden von Wonneschauern geschüttelt, waren wie von Sinnen, und meine Liebkosungen weckten in ihm solche Lust, daß er sogar meinen Fuß nahm und wie wild küßte.*

In dieser Nacht schwand auch der letzte Rest von Zurückhaltung, und von da an verbrachten wir fast alle Nächte gemeinsam in einem Bett, um uns zu umarmen und zu liebkosen. »Was für hübsche Wangen du hast«, sagte er zu mir, »sie sind weicher als die der Frauen, und Füße hast du, die man für die eines Kindes halten könnte.« Diese Reden erfüllten mich mit Freude; ich wünschte nicht mehr, Weib zu sein, denn ich fand diese schreckliche Leidenschaft genußreicher und amüsanter und dem überlegen, was die bekannte Liebe bieten konnte, die mich überhaupt nicht reizte.

Ich faßte eine solche Zuneigung zu diesem schönen jungen Mann, daß ich ihn bald mehr liebte als alles auf der Welt und nur noch für ihn Gedanken hatte. Ich wollte ihn schön und gut gekleidet sehen; ich ließ ihm eine schöne Uniform auf meine Kosten machen und wollte ihn, wie gesagt, hübsch parfümiert und schön gekleidet sehen. An Geld fehlte es mir nie, und ich gab es für ihn mit vollen Händen und ohne Bedauern aus. Zuerst wollte er nichts von mir annehmen, doch bald drängte ich ihn anzunehmen, was ich ihm gab. Er verlangte nie etwas, doch ich wußte, wessen er bedurfte, und verstand es, allen seinen Wünschen zuvorzukommen. Ich wünschte, er solle mit uns essen, doch er wollte nicht, um meinen Kameraden nicht lästig zu fallen und damit nicht irgendein Schlaukopf unsere allzu große Freundschaft erraten könnte. Ich mied meine Kameraden soviel als möglich und suchte Vorwände, mich von Ihnen fernzuhalten und an ihren Amüsements nicht teilzunehmen. Ich hielt mich von ihnen fern, während sie spazieren oder ins Theater gingen; ich schloß mich in das möblierte Zimmer ein, das ich in der Stadt gemietet hatte und wo mich mein Freund vor allem sonntags und an den Festtagen aufsuchte. Dort fanden feine Diners und hübsche Soupers zu zweien statt, und fast alle endeten in derselben Weise.

Der Gedanke an meinen Freund hielt mich unaufhörlich gefangen und verließ mich nie; ich hätte ihm alles geopfert. Und doch erfreuten wir uns aneinander in der unschuldigsten Weise, das heißt in der am wenigsten verbrecherischen Weise.

Er war nicht an die feinen Parfüms und wohlriechenden Wasser gewöhnt, in die ich mich tauchte; und obwohl er sehr reinlich war, verstand er sich doch nicht auf Raffinements dieser Art, die ihn nichtsdestoweniger entzückten. Nach der Mode trug ich Nachthemden aus Seide, die schön dufteten und sich weich anfühlten. Das starke Essen und die guten Weine, mit denen ich ihn ernährte, wirkten ebenfalls mächtig auf diese Natur, die sich nicht auf das raffinierte und sanfte Leben verstand, dessen ganzes Behagen aber deutlich fühlte.

*Wenn er mich in meinem Zimmer aufsuchte, fand er mich meistens im Bett. Er küßte mich und sagte dabei: »Gott, was für eine hübsche Frau wärest du! Aber gleichviel, du bist ja meine kleine Frau!« Und Liebesgeflüster erfüllte den dunklen Raum, unablässige Liebkosungen, glühende Küsse auf dem großen Bett, das mit einem weichen, weißen Tuch bedeckt war, das ich von zu Hause mitgebracht hatte. Es war so ganz anders als das graue und harte Bettuch der Soldaten.

Ein besonders großes Vergnügen bereitete es uns, wenn wir sonntags und an Feiertagen die warmen Bäder dieser lieblichen Stadt aufsuchten. In einem Raum standen zwei Wannen, deren Wasser wir mit Duftstoffen parfümierten. Oft saßen wir zu zweit in einer Wanne und blieben dort lange Zeit, in dem warmen Wasser eng umschlungen.*

Mein Freund hatte sich so an mich gewöhnt, daß er mich ebensowenig entbehren konnte wie ich ihn. Er war niemals so geliebt worden und hatte noch nie all die Freuden genossen, die ich ihm bot. Wir machten sogar Ausflüge im Wagen in die Umgebung der Stadt; er führte mich durch die vom Mond beschienenen Felder, und wir erfreuten uns des vollkommenen Glücks.

Er wollte mir auch seine Freundschaft zeigen und mir beweisen, daß er an mich ebenso dachte wie an sich selbst. Eines Tages sprang er bei einem unserer Regimentsmärsche über einen sehr breiten Graben, um mir eine Weintraube zu pflücken, nach der ich Verlangen trug; kurz, niemals sind wahre Liebende so glücklich gewesen und haben eine größere Leidenschaft im Herzen getragen, als es die unsrige war. Die schreckliche und verfluchte Glut, die seit meiner Kindheit in mir brannte, hatte endlich ihren Weg gefunden und ein unschuldiges Wesen, das für seine Fehler nichts konnte und das allein meine verdammte Leidenschaft angesteckt und vergiftet hatte, mit sich fortgerissen. Ich habe mir oft Vorwürfe gemacht, einen jungen Menschen, der vielleicht von diesen Leidenschaften keine Ahnung hatte, auf solche Abwege getrieben und durch mein Beispiel demoralisiert zu haben. Dennoch dachte ich damals an nichts und fand mein Betragen nicht tadelnswert. Erst später haben mich die Gewissensbisse gepackt und habe ich meinen und seinen Fehltritt bitter bereut.

Unsere Militärzeit näherte sich fast ihrem Ende, und – was ich ein Jahr zuvor nicht für möglich gehalten hätte – ich sah mit wahrhaftem Schrecken den Augenblick meiner Abreise kommen. Der Gedanke, mich für lange Zeit, vielleicht für immer, von meinem Freund trennen zu müssen, war mir unerträglich, und oft weinten wir nachts zusammen darüber. Er hatte noch mehrere Jahre zu dienen und sah mit Schmerzen den Augenblick kommen, wo er allein und einsam da zurückbleiben würde, wo er einen Freund gehabt hatte, der so leidenschaftlich an ihm hing.

Ich will Ihnen nicht erzählen, was wir damals alles litten, auch will ich Ihnen nicht von den Tagen sprechen, die unserer Abreise vorausgingen. Ich hatte meine Kameraden in der letzten Zeit stark vernachlässigt, und obwohl sie nichts ahnten, sahen sie doch mit Verdruß, daß ich ihnen einen jungen Mann vorzog, den sie nicht für ebenbürtig erachteten.

Endlich kam der schreckliche Tag; wir sagten uns in unserem Zimmer Lebewohl, in dem wir so schöne Stunden erlebt hatten, und ich schob meine Abreise auf, um mich noch ein letztes Mal meines teuren, geliebten Freundes erfreuen zu können. Ich ließ ihm alles da, was ich an Geld besaß, gab ihm mehrere Souvenirs, wobei ich ihm nahelegte, mir so oft wie möglich zu schreiben. Er versprach es mir, und ich reiste endlich ab.

Bei meiner Rückkehr ins Elternhaus empfand ich eine schreckliche Leere, die Familiengewohnheiten erschienen mir unerträglich. Alle bereiteten mir den liebevollsten Empfang, und ich wurde auf die zärtlichste Weise verhätschelt. Meine Nerven waren wie gebrochen, eine unbesiegbare Melancholie hielt mich beständig in ihrem Bann. Ich hatte Nerven- und Fieberanfälle, die so stark wurden, daß man mir für einige Zeit Luftveränderung anriet und ich mich nach dem Süden Italiens begab. Alles war umsonst, mein einziger Trost waren die Briefe, die ich von Zeit zu Zeit erhielt.

Doch zu Ende des dritten Monats kam ich wieder vollständig zu Kräften und begann von neuem, mich mit Malerei und Literatur zu beschäftigen, die mich sehr interessierten. Das Bild meines Freundes verblaßte bald und verlor all seinen Zauber und seine Lebendigkeit. Er schrieb mir noch einige Male, doch ich antwortete in immer längeren Abständen und mit immer kühleren Briefen. Bald hörte er auf, mir zu schreiben, und ich war darüber nicht allzu böse. Sechs Monate nach meiner Abreise wechselte sein Regiment die Garnison, und er wurde von einem betrunkenen Kameraden, der wegen des Dienstes einen Streit mit ihm gehabt hatte, durch einen Pistolenschuß getötet. Er starb sofort auf der von Fichten gesäumten Landstraße, die sich von der Stadt zur Festung erstreckt. Sein Mörder wurde zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurteilt. Ich habe den Tod nicht bedauert, den ich durch die Zeitungen erfuhr und dessen Einzelheiten mir von einem Unteroffizier, den ich später kennenlernte, mitgeteilt wurden. Die allzu leidenschaftliche Freundschaft, die ich für ihn empfunden hatte, hatte sich von selbst verzehrt, und es blieb davon nichts weiter übrig als die Asche. Ich hätte kein Vergnügen daran gefunden, ihn wiederzusehen, und hätte mich nur für ihn und für mich geschämt.

Die Erde wird dieses Geheimnis bewahren, und nur diese Seiten werden es Ihnen bekannt machen. Ich habe die reine und einfache Wahrheit gesagt, es steht Ihnen frei, es zu glauben oder nicht. Die Sache wird Ihnen wie ein Roman erscheinen, aber sie ist dennoch wahr.

Ich lebe noch immer einsam, »jungfräulich«, da ich keinen Geschmack an dem Leben finde, von dem ich keinen Genuß habe. Das Verlangen nach dem Manne verfolgt mich noch immer, doch da ich keine Gelegenheit habe zu straucheln, werde ich so gut wie sicher nicht mehr in den schrecklichen Irrtum meiner Sinne zurückfallen. Ich werde keine Familie und niemals Kinder haben; jedermann ist überrascht, mich in meinem Alter, mit meinem Aussehen und in meiner Lage traurig und düster zu sehen. Würden Sie, mein Herr, diese Verwunderung teilen, wenn Sie mich kennten? Ich glaube es nicht. Alle quälen sich, um die Ursache meiner Traurigkeit, meiner Verzweiflung in Erfahrung zu bringen. Ich habe mich fast von der Welt zurückgezogen und lebe zur großen Verwunderung aller in fast vollkommener Einsamkeit. Meine Gesundheit wird bedeutend schwächer, was ich mit Vergnügen bemerke, denn obwohl ich den Tod fürchte, möchte ich doch schon tot sein.

Verzeihen Sie, mein Herr, diese so schrecklich geschriebenen Seiten, ich lese sie nicht noch einmal durch, denn wenn ich es täte, würde ich sie nicht abschicken. Verdiente eine so schreckliche Krankheit der Seele nicht, von dem größten Sammler menschlicher Dokumente unserer Zeiten beschrieben oder wenigstens doch gekannt zu werden? Ich weiß nicht, ob Sie etwas mit der schrecklichen Leidenschaft anfangen können, die ich Ihnen gebeichtet habe; auf jeden Fall bin ich zufrieden, sie Ihnen mitgeteilt zu haben. Wenn das Elend, das mich zu Boden drückt, in den erhabenen Schilderungen des menschlichen Elends einen Platz finden kann, verehrter Meister, schildern Sie mich bitte nicht allzu gräßlich. Ich lebe mit dem Tode in der Seele und habe hier auf Erden keine Freude mehr zu erwarten. Ich fühle mich schuldig und von einem schrecklichen Verhängnis betroffen, dem ich nicht entfliehen kann. Bin ich nicht genug gestraft? Ich hoffe, selbst wenn Sie mich nicht kennen, werden Sie sich einer solchen Indiskretion gegen mich nicht schuldig machen.

Seit fünf Stunden schon schreibe ich, und vor Müdigkeit fällt mir die Feder aus der Hand. Wenn ich Ihnen mit diesen Zeilen in irgendeiner Weise nützlich sein kann, werde ich die Zeit nicht bedauern, die ich gebraucht habe, Ihnen zu schreiben - wenn da nur nicht das gräßliche Motiv wäre, das mir die Feder in die Hand gedrückt hat.


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