Der Roman eines Konträrsexuellen
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[Erstes Dokument]

Herrn Emile Zola, Paris

Ihnen, verehrter Herr, der Sie der größte Romanschriftsteller unserer Zeit sind, der Sie mit dem Auge des Gelehrten und des Künstlers alle Verkehrtheiten, alle Schändlichkeiten, alle Krankheiten, die die Menschheit betrüben, so machtvoll ergreifen und schildern, Ihnen sende ich diese menschlichen Dokumente, die von den Gelehrten unserer Zeit so gesucht sind.

Diese Beichte, die kein Beichtvater je aus meinem Munde erfahren hat, wird Ihnen eine schreckliche Krankheit der Seele enthüllen, einen seltenen – wenn nicht unglückseligerweise einzig dastehenden Fall –, der wohl von psychologischen Gelehrten studiert worden ist, den aber noch kein Romanschriftsteller in einem literarischen Werk in Szene zu setzen gewagt hat. Balzac hat »La Belle aux yeux d'or« (»Die Schöne mit den Goldaugen«) geschrieben, doch er hat das schreckliche Laster, das das Pendant zu dieser Geschichte bildet, nur gestreift: Sarrasine liebt Zambinella wirklich, doch er hält ihn für ein Weib und hört auf, ihn zu lieben, nachdem er die Wahrheit entdeckt hat. Es ist also nicht der schreckliche Fall, von dem ich Ihnen heute erzählen will.

Sie selbst, verehrter Herr, haben in Ihrem wunderbaren Buch »La Curée« (»Die Beute«) in der Person des Baptiste eines der schrecklichsten Laster, die die Menschheit entehren, nur gestreift. Jener Mensch ist ehrlos, denn die Ausschweifung, der er sich ergibt, hat nichts zu tun mit Liebe und ist etwas absolut Materielles, eine Frage der organischen Bildung, die die Ärzte mehr als einmal beobachtet und beschrieben haben. Das alles ist sehr gewöhnlich und sehr widerwärtig und hat nichts mit der Beichte zu schaffen, die ich Ihnen schicke und die Ihnen vielleicht in irgendeiner Weise nützlich sein kann.


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