Hans Christian Andersen
Der Improvisator
Hans Christian Andersen

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Onkel Peppo. Die Nacht im Kolosseum. Der Abschied.

Was nun eigentlich aus mir werden sollte, das war die große Frage, als wir nach Rom und dem Hause meiner Mutter zurückgekehrt waren. Fra Martino stimmte dafür, daß ich Mariuccias Eltern, einem braven Hirtenpaare in der Campagna, übergeben werden sollte. Die zwanzig Scudi würden für sie ein Reichtum sein, der mir einen Kindesplatz in ihrem Herzen und Hause sicherte. Jedoch war ich auch halb ein Glied der Kirche, und kam ich nun in die Campagna hinaus, so konnte ich nicht länger das Rauchfaß in der Kapuzinerkirche schwingen. Federigo fand ebenfalls, daß es das beste wäre, ich bliebe bei ehrlichen Leuten in Rom; er wünschte nicht, sagte er, daß ich ein roher einfältiger Bauer würde. Während Fra Martino mit den Klosterbrüdern beratschlagte, kam mittlerweile mein Onkel Peppo auf seinen Holzklötzen angerutscht; er hatte vom Tode meiner Mutter und daß mir zwanzig Scudi zugefallen wären gehört, und namentlich dieser letztern wegen erschien er, um gleichfalls seine Stimme geltend zu machen. Er erklärte, daß er als der Einzige, den ich jetzt in der Welt hätte, sich meiner annehmen müßte. Ich sollte ihn begleiten, und alles was sich noch im Hause befände, gehörte ihm nun nicht weniger als die zwanzig Scudi. Mariuccia versicherte mit dem größten Eifer, daß Fra Martino und sie alles aufs beste geordnet hätten, und gab ihm zu verstehen, daß er als Krüppel und Bettler genug mit sich selbst zu thun hätte und hier keine Stimme haben könnte. Federigo verließ das Zimmer, und die beiden Zurückgebliebenen ließen nun einander gegenseitig die eigennützige Ursache ihrer Sorge für mich hören. Onkel Peppo spie Galle, und Mariuccia stand ihm wie eine Furie gegenüber: sie wollte weder mit ihm, noch mit dem Knaben, noch mit dem Ganzen etwas zu thun haben, sagte sie; ihretwegen könnte er mich dreist nehmen und mir ein paar Rippen brechen, um einen Krüppel zu bekommen, der für seine Tasche betteln könnte! Er sollte mich nur gleich mitnehmen, allein das Geld behielte sie, bis Fra Martino käme; nicht einen Groschen sollten seine falschen Augen zu sehen bekommen. Peppo drohte, ihr mit seinem Handbrette ein Loch in den Kopf zu schlagen, so groß wie die Piazza del Popolo. Ich stand weinend zwischen ihnen; Mariuccia stieß mich von sich, und Peppo zog mich zu sich; ich sollte ihn begleiten, sagte er, mich nur an ihn halten. Wenn er die Last hätte, müßte er auch den Lohn erhalten! Der römische Senat verstände schon einem ehrlichen Manne zu seinem Rechte zu verhelfen! Ohne daß ich es wollte, zog er mich darauf bis zur Hausthür hinaus, wo ein zerlumpter Junge seinen Esel hielt; denn zu größeren Ausflügen und wenn es auf Geschwindigkeit ankam, warf er die Handbretter beiseite und preßte seine verdorrten Beine fest an den Esel; dieser und er wurden dadurch förmlich ein Körper. Mich nahm er vor sich auf das Tier, der Junge versetzte demselben einen Schlag, und dann galoppierten wir vorwärts, während er mich auf seine Weise liebkoste.

»Siehst du, mein Kind!« sagte er, »ist es nicht ein herrlicher Esel. Und fliegen kann er, fliegen, wie ein Wettrenner auf dem Korso! Du sollst es gut bei mir bekommen, wie ein Engel Gottes, du lieber Junge!« Und nun folgten tausend Flüche und Verwünschungen über Mariuccia.

»Wo hast du das schöne Kind gestohlen?« fragten ihn seine Bekannten beim Vorbeireiten, und dann wurde jedesmal meine Geschichte zum besten gegeben und fast an jeder Ecke wiederholt. Die Limonadenverkäuferin gab uns auch für die lange Erzählung ein ganzes Glas, um es uns zu teilen, und schenkte mir für unterwegs eine Pinienfrucht, denn die Kerne hatte sie schon alle verloren. Bevor wir noch unser Obdach erreicht hatten, war die Sonne schon untergegangen. Ich sprach nicht ein Wort, drückte aber die Hände vor die Augen und weinte. In einem kleinen Verschlage neben dem großen Zimmer wies er mir im Winkel eine Schicht von Maisblättem, oder vielmehr von den Hülsen dieser Frucht, zum Schlafen an; hungrig konnte ich, wie er sagte, noch nicht sein, und durstig eben so wenig; wir hätten ja das köstliche Glas Limonade getrunken; er streichelte mir die Wangen und zeigte dabei das häßliche Lächeln, welches mich immer erschreckt hatte. Nun, fragte er mich aus, wie viel Silberstücke sich in dem Gelbbeutel befänden, ob Mariuccia den Vetturino daraus bezahlt hätte, und was der fremde Diener gesagt, als er mit dem Gelde kam. Aber ich wußte keinen Bescheid zu erteilen und fragte weinend, ob ich immer hier bleiben müßte, ob ich nicht morgen nach Hause käme.

»Ja gewiß, ja gewiß!« sagte er, »schlaf nur, aber vergiß dein Ave Maria nicht! Wenn der Mensch schläft, wacht der Teufel! Mache das Kreuzeszeichen über dir, es ist eine eiserne Mauer, welche der brüllende Löwe nicht durchdringen kann! Bete fromm und bitte, daß die Madonna die falsche Mariuccia, die dir Unschuldigen Kummer bereitet, und dich und mich um dein Wohl betrügt, mit Gift und Eiterbeulen bestrafen wolle. Schlafe nur, die Luke lasse ich offen stehen, die frische Luft ist halbes Abendbrot! Fürchte dich nicht vor den Fledermäusen! Sie kommen nicht herein, sie fliegen vorbei, die armen Geschöpfe. Schlafe süß mit dem Jesuskinde!« und damit schloß er die Thüre zu.

Lange wirtschaftete er in dem andern Zimmer umher; jetzt unterschied ich mehrere Stimmen und sah einen Lichtschimmer durch eine Thürspalte zu mir hereinfallen. Da erhob ich mich, aber ganz leise, denn die trockenen Maisblätter raschelten laut, und ich war besorgt, er könnte es hören und dann wieder hereinkommen. Durch die Spalte sah ich nun, daß die beiden Dochte in der Lampe angezündet waren, Brot und Rüben lagen auf dem Tische und eine Foglietta Wein kreiste in der Gesellschaft umher. Alle Anwesende waren Bettler, alle Krüppel; ich erkannte sie sehr gut, obgleich jetzt auf ihren Gesichtern ein ganz andrer Ausdruck ruhte, als ich sonst an ihnen zu sehen gewohnt war. Der fieberkranke halbtote Lorenzo saß lustig und lärmend da, schwatzte unaufhörlich, und am Tage hatte ich ihn stets auf dem Monte PincioAuf demselben befindet sich eine öffentliche Promenade, die sich von der spanischen Treppe und der französischen Akademie bis zur Porta del Popolo erstreckt, mit der Aussicht über den größten Teil Roms und über den Garten bei der Villa Borghese. ausgestreckt im Grase liegen sehen, wo er den verbundenen Kopf an einen Baumstamm lehnte und wie in den letzten Zügen die Lippen bewegte, während seine Frau den Vorübergehenden ihren fieberkranken leidenden Mann zeigte, Francia mit den fingerlosen Händen trommelte mit den Stummeln der blinden Cattarina auf die Schultern und sang halblaut das Lied von »Cavalière Torchino.« Zwei bis drei andere saßen der Thür näher, aber so im Schatten, daß ich sie nicht erkennen konnte. Mein Herz klopfte stark vor Angst; ich hörte, daß sie von mir sprachen.

»Läßt sich der Junge zu irgend etwas gebrauchen?« fragte der eine. »Hat er irgend ein Gebrechen?«

»Nein, die Madonna ist ihm nicht so gnädig gewesen!« sagte Peppo, »er ist schlank und wohlgebildet wie das Kind eines Edelmanns.«

»Das ist ein großes Unglück!« sagten sie alle. Die blinde Katharina fügte hinzu, da ließe sich ja leicht nachhelfen, man könnte ihm ja selbst irgend einen Schaden zufügen, der ihm sein irdisches Brot verschaffen könnte, bis ihm die Madonna das himmlische verliehe.

»Ja,« sagte Peppo, »wäre meine Schwestertochter vernünftig gewesen, dann hätte der Junge sein Glück machen können. Eine Stimme hat er, o, wie die lieben Engel Gottes! Er ist für die päpstliche Kapelle geschaffen! Was könnte das für ein Sänger werden!«

Sie sprachen von meinem Alter, von dem, was noch geschehen könnte und was für mein Glück gethan werden müßte; ich verstand nicht, was sie mit mir vornehmen wollten, aber so viel sah ich deutlich ein, daß es etwas Böses war, was sie vor hatten, und ich bebte vor Schrecken. Wie sollte ich doch entkommen! Das allein füllte meine ganze Seele. Wohin? Ja, daran dachte ich nicht einmal. Ich kroch den Boden bis zur offnen Luke entlang. Mit Hilfe eines Holzblockes gelangte ich zu derselben empor. Ich sah nicht einen einzigen Menschen auf der Straße, alle Thüren waren geschlossen. Ich mußte hoch hinabspringen, wollte ich ins Freie kommen; mir fehlte der Mut, den Sprung zu wagen. Da war es mir, als griffe man nach der Thürklinke, als wollte man zu mir herein. Vor Schrecken fuhr ich zusammen und ließ mich die Mauer hinabgleiten. Ich fiel hart, aber doch auf den Boden und zwar auf Rasen.

Schnell richtete ich mich in die Höhe und lief dann, ohne zu wissen wohin, durch die engen winkligen Straßen; ein Mann, welcher laut sang und mit seinem Stocke gegen das Steinpflaster schlug, war der einzige, den ich traf. Endlich stand ich auf einem großen Platze, der Mond schien, ich erkannte die Stelle, es war das Forum Romanum, der Kuhmarkt, wie wir ihn nannten.

Der Mond beleuchtete die Rückseite des Kapitols, die, wie ein senkrechter Feldweg, den schmalen Raum von dem freieren Teile abzuschneiden schien. Auf der hohen Treppe, die zu dem Triumphbogen des Septimius Severus hinaufführt, lagen einige Bettler, in ihre großen Mäntel eingehüllt, und schliefen. Die hohen Säulen, die noch von den alten Tempeln herrühren, warfen lange Schatten. Nie war ich nach Sonnenuntergang hier gewesen; das ganze hatte etwas Gespensterhaftes für mich, und beim Gehen fiel ich über marmorne Kapitäler, die in dem hohen Grase lagen. Ich stand wieder auf und schaute zu den Ruinen der Kaiserburg empor. Der dichte Epheu machte die Mauern noch unheimlicher; die dunklen Cypressen hoben sich so dämonisch und gigantisch von der blauen Luft ab, daß ich noch ängstlicher wurde. Im Grase lagen zwischen umgestürzten Säulen und Marmorschutt einige Kühe, und Maulesel grasten. Es war für mich eine Art Trost; hier waren doch lebende Wesen, die mich nicht ängstigen und kränken wollten.

Es war in dem klaren Mondschein fast tageshell; jeder Gegenstand trat deutlich hervor. Da hörte ich jemand kommen. Wenn ich es war, den man suchte? In meiner Angst flüchtete ich mich in das riesengroße Kolosseum, welches wie eine völlige Felsenpartie vor mir lag. Ich stand in dem doppelten Bogengange, der sich noch vollständig und großartig, als wäre er erst gestern vollendet, um das halbe Gebäude erstreckt. Hier war es stockfinster und eisigkalt. Ich ging einige Schritte zwischen den Säulen vorwärts; aber leise, ganz leise, denn der Schall meiner Fußtritte jagte mir noch größere Angst ein. Ich erblickte nicht weit vor mir ein loderndes Feuer und konnte vor demselben die Umrisse dreier menschlicher Gestalten erkennen. Waren es etwa Bauern, die sich hier ihr Nachtlager gewählt hatten, um nicht zur Nachtzeit über die öde Campagna zu reiten? Waren es vielleicht die Soldaten, welche die Wache im Kolosseum hatten, oder gar Räuber? Ich glaubte das Klirren ihrer Waffen hören zu können, und zog mich deshalb leise dorthin zurück, wo die hohen Pfeiler ohne jegliches anderes Gewölbe, als das, welches Büsche und Schlingpflanzen bilden, dastanden. Seltsame Schlagschatten fielen im Mondscheine auf die hohen Mauern; die Quadersteine, welche aus ihren Fugen gewichen und mit Immergrün bewachsen waren, sahen aus, als wollten sie hinabstürzen und hingen nur noch an den dichten Ranken fest.

Oben in dem mittelsten Säulengange gingen Leute, sicherlich Reisende, welche spät im Mondenscheine diese merkwürdige Ruine besahen; eine weißgekleidete Dame war mit in der Gesellschaft. Noch sehe ich deutlich dieses seltsame Gemälde: wie sie zum Vorschein kamen, verschwanden und sich wieder zwischen den Säulen zeigten, beleuchtet vom Mondscheine und der roten Fackel. Die Nacht hatte sich unendlich dunkelblau auf die Erde hinabgesenkt; Büsche und Sträucher sahen wie der schwärzeste Samt aus; jedes Blatt atmete Nacht. Mein Auge folgte den Fremden. Als sie mir schon gänzlich aus dem Gesichte verschwunden waren, sah ich noch den roten Schein der Fackel, aber auch dieser verschwand, und alles rings umher war totenstille.

Hinter einem der vielen hölzernen Altäre, die Seite an Seite innerhalb der Ruinen stehen und die Stationen der Kreuzeswanderung Christi bezeichnen, setzte ich mich auf ein zerbrochenes Kapitäl, welches im Grase lag. Der Stein war kalt wie Eis, mein Kopf brannte, mein Blut kochte in Fieberhitze. Schlafen war mir unmöglich, und nun fiel mir alles ein, was mir von diesem alten Gebäude erzählt worden war, von den gefangenen Juden, die diese großen Steinblöcke für den mächtigen römischen Kaiser hatten aufrichten müssen; von den wilden Tieren, die hier miteinander, ja häufig sogar mit Menschen hatten kämpfen müssen, während das Volk auf den steinernen Bänken saß, die amphitheatralisch von der Erde bis zum obersten SäulengangeDas Kolosseum hat eine ovale Form, ist aus Travertiner-Stein und vierstöckig erbaut. Jede dieser Etagen zeigt eine besondere Ordnung dorische, jonische und korinthische. Es wurde unter Vespasian, siebzig und einige Jahre nach Christi Geburt aufgeführt, 12 000 gefangene Juden arbeiteten daran. Es hat 80 Bogen und der Umfang desselben wird von den meisten auf 1641 Fuß angeschlagen. Rings um die Arena sollen sich 86 000 Sitzplätze und ganz oben 20 000 Stehplätze befunden haben. Jetzt ist die Ruine dem christlichen Gottesdienste geweiht worden. emporstiegen.

While stands the Coliseum, Rome shall stand,
When falls the Coliseum, Rome shall fall;
And when Rome falls – the world –.«
                                                    Byron.

Es raschelte im Gesträuche über mir; ich blickte empor und es kam mir vor, als bewegte sich etwas; ach ja, ringsum zeigte mir meine erregte Phantasie bleiche dunkle Gestalten, welche mauerten und hämmerten. Ich hörte deutlich den Klang jedes Schlages, sah die magern schwarzbärtigen Juden Gräser und Sträucher ausreißen und Stein auf Stein wälzen, bis das ganze ungeheure Gebäude wieder neu aufgerichtet dastand, und nun war alles ein ungeheures Menschengewimmel, Kopf an Kopf; das Ganze schien unendlich größer, ein lebendiger Riesenkörper.

Ich sah die Vestalinnen in langen weißen Kleidern, den prächtigen Kaiserhof, die nackten blutenden Gladiatoren; hörte nun, wie es ringsum in den untersten Bogengängen brauste und heulte. Von mehreren Seiten stürzten Scharen von Tigern und Hyänen herein, sie jagten dicht bei meinem Ruheplatze vorbei, ich fühlte ihren brennenden Atem, sah ihren roten Feuerblick und schmiegte mich fest an den Stein, auf dem ich saß, während ich zur Madonna um Errettung betete. Aber immer noch wilder lärmte es; doch konnte ich mitten in dem Aufruhr das heilige Kreuz erblicken, welches noch steht und welches ich immer fromm geküßt habe, so oft ich an demselben vorüber ging. Ich strengte meine ganze Kraft an, fühlte deutlich, daß ich meine Arme um dasselbe schlang, aber alles ringsum stürzte zusammen, Mauern, Menschen und Tiere. Ich verlor das Bewußtsein, ich fühlte nichts mehr.

Als ich wieder die Augen aufschlug, war mein Fieber vorüber, aber ich war entkräftet und von einer unendlichen Mattigkeit befallen.

Ich lag wirklich auf den Stufen des großen hölzernen Kreuzes. Ich betrachtete nun meine ganze Umgebung, die durchaus nichts Erschreckendes hatte. Eine tiefe Feierlichkeit ruhte über dem Ganzen; eine Nachtigall sang im Busche oben auf der Mauer. Ich dachte an das liebe Jesuskind, dessen Mutter nun, da ich keine mehr hatte, ja auch meine war, schlang meine Arme um das Kreuz, lehnte den Kopf an dasselbe und schlief bald einen ruhigen stärkenden Schlaf.

Er muß mehrere Stunden gedauert haben; Gesang erweckte mich. Die Sonne beleuchtete den obersten Teil der Mauern, die Kapuziner wanderten mit brennenden Lichtern von Altar zu Altar und sangen ihr »Kyrie eleison« in den schönen Morgen hinein. Sie standen am Kreuze, wo ich lag; – ich sah Fra Martino sich über mich beugen. Mein verwirrtes Aussehen, meine Blässe und daß ich zu dieser Zeit hier war, beunruhigte ihn. Wie ich mich erklärte, weiß ich nicht, aber meine Furcht vor Peppo, mein verlassener Zustand war ihm deutlich genug. Ich hielt ihn an seiner braunen Kutte fest, bat ihn, mich nicht zu verlassen, und es war, als ob alle Brüder an meinem Unglücke teil nahmen, sie kannten mich ja alle, ich war ja bei ihnen in ihren Zellen gewesen und hatte mit ihnen vor dem heiligen Altare gesungen.

Wie froh wurde ich nicht, als mich Fra Martino mit in das Kloster nahm, und wie vergaß ich nicht völlig alle meine Not, als ich in seiner kleinen Zelle saß, wo die alten Holzschnitte an die Wände geklebt waren, und der Orangenbaum seine grünen duftenden Zweige zum Fenster hinein streckte! Fra Martino hatte mir auch versprochen, daß ich nicht zu Peppo kommen sollte. »Einem Bettler,« hörte ich ihn zu den andern sagen, »einem Krüppel, der von Almosen lebt, kann der Knabe nicht übergeben werden.«

Zur Mittagszeit brachte er mir Rüben, Brot und Wein, und sagte dann recht feierlich, so daß mein Herz bebte:» Armer Knabe! Hätte deine Mutter gelebt, dann hätten wir uns nicht zu trennen brauchen, die Kirche hätte dich behalten, und du wärest in ihrem Frieden und Schirm aufgewachsen. Nun mußt du hinaus in die unruhige See, mußt schwimmen auf dem losen Brett, aber ich denke an den blutenden Erlöser und die himmlische Jungfrau! Halte an ihnen fest! Du hast in der ganzen weiten Welt niemand als sie.« »Wo soll ich hin?« fragte ich; und nun erzählte er mir, daß ich zu Mariuccias Eltern in die Campagna hinaus sollte, legte mir's an das Herz sie wie Vater und Mutter zu ehren, ihnen in allem, was sie verlangten, zu gehorchen und nie meine Gebete und die Lehren, die er mir gegeben hätte, zu vergessen. Gegen Abend stand Mariuccia mit ihrem Vater an der Klosterpforte, um mich abzuholen; Fra Martino führte mich zu ihnen hinaus. In Bezug auf die Kleider sah Peppo fast zierlicher und saubrer als dieser Hirt aus, dem man mich jetzt übergab. Die zerrissenen, bestaubten Lederstiefel, die nackten Kniee und der spitze Hut mit dem blühenden Haidekraute, das war es, was mir zuerst in die Augen fiel. Er beugte die Kniee, küßte Fra Martino die Hand und sagte, mich anschauend, ich wäre ein hübscher Junge, und er und seine Frau würden gern den letzten Bissen mit mir teilen. Mariuccia gab ihm nun den Geldbeutel mit all' meinem Reichtum, und wir gingen darauf alle vier in die Kirche; sie hielten ein stilles Gebet und auch ich kniete nieder, konnte jedoch nicht beten. Meine Augen suchten alle bekannte Bilder: Jesus, der hoch über dem Portale der Kirche segelte, den Engel auf dem Altargemälde und den schönen Sankt Michael; selbst den Totenköpfen mit den grünen Epheukränzen mußte ich Lebewohl sagen. Fra Martino legte mir seine Hand auf den Kopf und gab mir beim Abschiede ein kleines Buch mit Holzschnitten »Modo di servire la sancta messa« und dann trennten wir uns. Als wir über die Piazza Barberini gingen, konnte ich nicht unterlassen, zu dem Hause meiner Mutter emporzuschauen; alle Fenster standen offen, die Zimmer warteten auf neue Bewohner.


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