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Die Selbstanzeige der Witwe Kruschwitz in Gassen.

(Niederlausitz. Arsenikvergiftung oder eingebildeter Giftmord?)
1869.

Am 9. Februar 1867 meldete sich die verwitwete Scharwerker Kruschwitz, Johanne Juliane geborene Skerl, verwitwet gewesene Kuntze aus Gassen, bei dem Staatsanwalt zu Sorau und erklärte, ihr Gewissen lasse ihr keine Ruhe, sie habe ein schweres Verbrechen begangen, und so komme sie denn, es zu bekennen und sich selbst anzuzeigen. Ihre That bestehe darin, daß sie ihren ersten Ehemann mit Rattengift getödtet habe.

Ueber die Motive zur That und den Hergang gab sie Folgendes an:

»Im Jahre 1831, als ich erst 17 Jahre alt war, heirathete ich meinen ersten Ehemann, den Schuhmachermeister Johann Traugott Kuntze aus Seifersdorf; es geschah gegen meine Neigung und nur auf Zureden meiner Aeltern. Anfangs wohnte ich mit meinem Ehemann bei meinen Aeltern in Großteuplitz, dann pachtete er die Schenke in Brinsdorf und nach einiger Zeit zogen wir nach Schöneich, wo mein Mann wiederum die dortige Schenke gepachtet hatte. Unsere Ehe war von Anfang an eine unglückliche. Mein Mann trank und betrank sich oft, infolge dessen kamen wir in unsern Vermögensverhältnissen sehr zurück. Die Behandlung, die mir von meinem Manne zutheil wurde, war von jeher eine schlechte, sowol im trunkenen als nüchternen Zustande schlug er mich oft blutig, namentlich aber in der Trunkenheit war er besonders roh gegen mich. Auch die Kinder hatten große Angst vor ihrem Vater und wurden von ihm hart gemishandelt. Von den sechs Kindern, die ich meinem ersten Ehemanne gebar, starben zwei im Alter von vier und sechs Jahren noch bei Lebzeiten des Vaters. Als ich mit dem jüngsten Kinde schwanger ging, im Sommer vor 24 Jahren, fand in der Schenke zu Schöneich Tanzmusik statt. Mein Mann hatte sich stark betrunken, war dann nach Gurkau in die Schenke gegangen und gegen Morgen noch betrunkener zurückgekommen. Schon bei seinem Weggange dachte ich, es würde mir recht traurig ergehen, wenn er zurückkäme, ich fühlte mich vor ihm meines Lebens nicht sicher. Deshalb kam ich auf den Gedanken, daß ich ihm bei seiner Rückkehr von dem Rattengift geben wollte, um ihn auf diese Weise vielleicht los zu werden.

»Als er nach Hause kam, verlangte er zu essen, ich reichte ihm Brot und Gallerte mit einem Löffel, denn er war wegen seines trunkenen Zustandes nicht im Stande, allein zu essen. Dann nahm ich zwei dünne Stückchen Brot, jedes von der Größe einer halben Hand, und strich auf dieselben aus einem Näpfchen von dem Rattengifte, welches ich zur Vertilgung des Ungeziefers im Hause vorräthig hatte. Auf jedes Brotschnittchen kam ein Stückchen Gift von der Größe eines halben Fingergliedes. Diese beiden Schnittchen gab ich meinem Ehemanne nacheinander in die Hand, ich hoffte, er würde daran sterben, wenn er sie aufäße. Er nahm die beiden Schnittchen und aß sie im trunkenen Zustande vor meinen Augen auf. Nach dem Genusse des Giftes schlief er zuerst, in der Nacht aber klagte er sehr über Leibschmerzen und bekam Erbrechen. Nach Mitternacht schickte ich in die Apotheke und ließ Tropfen holen, von denen mein Mann auch einnahm. Sie halfen indeß nichts, denn am Abend starb er. Ich glaube, daß der Tod infolge des Giftes eingetreten ist, welches ich ihm gegeben habe. Das Gift hatte ich von einer inzwischen verstorbenen alten Frau, die zu Schöneich wohnte, behufs Vertilgung des Ungeziefers gekauft.

»Das von mir begangene Verbrechen lastete schwer auf meinem Gewissen, indeß habe ich doch niemand Mittheilung gemacht, bis ich vor etwa acht Tagen dem Prediger Großmann zu Gassen beichtete und dieser mir sagte, ich möchte dem Staatsanwalt davon Anzeige machen.«

Bei ihrer demnächstigen gerichtlichen Vernehmung wiederholte die Kruschwitz dieses Geständniß und ergänzte es dahin:

»Es war morgens zwischen 6 und 7 Uhr, als mein Mann betrunken aus der Schenke nach Hause kam. Bald nach seiner Zurückkunft strich ich ihm das Gift auf das Brot und gab es ihm zu essen, damit er sterben solle. Ehe ich ihm das Gift gab, klagte er nicht über Schmerzen. Nicht erst in der Nacht, sondern schon am Tage, nachdem ich ihm das Gift gegeben, klagte er über Schmerzen in der Magengegend und brach sich auch. Den Tag darauf gegen Abend ist er gestorben.«

Nach Ausweis des Kirchenbuchs für die Gemeinden Brestau, Schöneich und Pitschkau ist der Schuhmachermeister und Pachtschankwirth Johann Traugott Kuntze am 10. October 1843 abends ¾8 Uhr im Alter von 38 Jahren 11 Monaten und 15 Tagen gestorben. Als Todesursache ist in dem Kirchenbuche angeführt:

»Starb schnell an den Folgen der Trunkenheit.« Beerdigt ist die Leiche auf dem Kirchhofe zu Brestau, der seit alter Zeit auch zur Beerdigung der Leichen aus der Gemeinde Schöneich dient.

Das Grab des etc. Kuntze wurde ermittelt und aufgegraben. Man nahm Knochen von dem darin befindlichen Skelet heraus und untersuchte sie chemisch. Die Untersuchung schien die Wahrheit der Selbstanzeige der Witwe Kruschwitz zu bestätigen, es wurde deshalb gegen sie wegen Gattenmordes Anklage erhoben und die Sache am 11. und 12. März 1869 vor dem Schwurgericht in Sorau öffentlich verhandelt.

Die Angeklagte ist am 26. Oktober 1814 geboren, evangelischen Glaubens, von weniger als mittlerer Größe, gelblichblassem Aussehen, abgemagert und an körperlicher Schwäche leidend, sie bekannte sich schuldig und wiederholte in klarer, zusammenhängender Erzählung im wesentlichen ihr früher abgelegtes Geständniß.

Was zunächst den objektiven Thatbestand betrifft, so wurden am 13. Februar 1867 unter Leitung des Untersuchungsrichters und mit Zuziehung des Kreisphysikus und Kreiswundarztes, der Dorfgerichtspersonen, des Predigers und Küsters, der Todtengräber, der Ehefrau Halbbauer Hanko, Schwester des verstorbenen etc. Kuntze, der Ernestine Brache und der Angeklagten auf dem Kirchhofe zu Brestau Recherchen nach dem Grabe des etc. Kuntze angestellt.

Man fand daselbst, lose an die Kirchhofsmauer gelehnt, ein Kreuz vor, welches auf dem Grabe des etc. Kuntze gestanden hatte. Es trug die Inschrift: »Hier ruht der Schuhmacher Johann Traugott Kuntze aus Schöneich und starb den 10. October 1843, alt 38 Jahre 11 Monate und 15 Tage.«

Das Kreuz war von Holz, am Fußende abgebrochen und nach dem Augenscheine und dem Gutachten der Dorfgerichtspersonen so beschaffen, daß es auf einem hölzernen Pflock eingepfercht gewesen sein mußte.

Dann wurde eine Gräberreihe ermittelt, in welcher nach Ausweis der auf den Grabhügeln vorhandenen Denkmäler Leichen von im Jahre 1842 verstorbenen Personen beerdigt worden sind. Oestlich von dieser Gräberreihe fand sich eine andere, welche keine Grabdenkmäler enthielt und nach der Angabe der Dorfgerichtspersonen aus Schöneich die Leichen der im Jahre 1843 Verstorbenen in der Reihenfolge von Süden nach Norden enthielt. In dieser Gräberreihe bezeichnete die unverehelichte Ernestine Brache einen Grabhügel, unter welchem ihre Großmutter, die verehelicht gewesene Gärtner Brache, begraben liege. Das eingesehene Kirchenbuch bewies, daß die verehelichte Gärtner Brache am 9. August 1843 gestorben ist. Nach dem Kirchenbuche sind nach der etc. Brache zwei Kinder gestorben, und der Augenschein ergab, daß hinter dem Grabe der etc. Brache in der Richtung von Süden nach Norden die Hügel von zwei Kindergräbern sich befanden. Nach diesen Kindern ist, wie man aus dem Kirchenbuche entnahm, der Zeitfolge nach der zunächst gestorbene Erwachsene der Schuhmachermeister und Pachtschankwirth Kuntze, der erste Ehemann der Angeklagten. Auf dem Kirchhofe wurde auch, an diese Kindergräber in der Richtung von Süden nach Norden sich anschließend, ein Grabhügel vorgefunden, der das Grab eines Erwachsenen andeutete. An dem Kopfende dieses Grabhügels fand sich ein verwitterter Holzpflock, der nach dem Befunde des Untersuchungsrichters und der Dorfgerichtspersonen so beschaffen war, daß das an der Kirchhofsmauer angelehnte Kreuz sehr wohl auf denselben gepaßt haben konnte. Der Todtengräber Gottlieb Kutscher bekundete eidlich, daß jenes Holzkreuz an dem Kopfende dieses Grabes gestanden hatte, auch von andern Zeugen wurde bestätigt, daß das beschriebene Kreuz in der Gegend dieses Grabhügels von ihnen früher gesehen worden war.

Es wurden dann noch in derselben Gräberreihe auf den Grabhügeln Erwachsener Nachgrabungen nach Holzpflöcken vorgenommen, aber keine dergleichen vorgefunden.

Die Ehefrau Hanko, die Schwester des etc. Kuntze, hielt das Grab, an dessen Kopfende der verwitterte Holzpflock sich befunden, für das ihres verstorbenen Bruders, und auch die Angeklagte pflichtete dieser Ansicht bei. Schon achtzehn Jahre vor diesen Recherchen war sie von Schöneich nach Gassen gezogen und auch während ihres Aufenthaltes in Schöneich nach dem Tode ihres ersten Mannes nur selten auf den Kirchhof zu Breslau gekommen, daher nicht im Staude, die Grabstätte des etc. Kuntze genau zu bezeichnen.

Dieses Grab wurde nunmehr für das des etc. Kuntze angenommen und geöffnet. Der über das gewöhnliche Niveau des Kirchhofes wenig emporstehende Grabhügel war mit gewöhnlichem Rasen überdeckt und bestand zunächst aus Humus. Nach Entfernung des letztern folgte gelber, poröser, grobkörniger Sand. Nachdem dieser etwa zwei Fuß tief entfernt war, erschienen ziemlich in der Mitte des Längendurchmessers des Grabes lose, gelb und bräunlich gefärbte Gebeine, bestehend in Schenkelknochen, einigen Rippen, zwei Beckenknochen, einem Schädel und einem mit Zähnen versehenen Unterkiefer. Da diese Knochen, insbesondere der Kopf, nicht tief genug, namentlich letzterer in der Mitte und zur rechten Seite des Grabhügels lagen, mußte angenommen werden, daß sie nicht den aufzusuchenden Ueberresten des etc. Kuntze angehören konnten, wie dies auch die beiden Todtengräber Gottlieb Kutscher und Traugott Schölzke bestätigten.

Nachdem 4½ Fuß tief gegraben war, erschien ein verfaultes, indeß noch ziemlich zusammenhängendes, einen Fuß breites Bret von gelbbrauner Farbe, welches den obern Theil des Sarges bildete und beim Auffallen des Grabscheites einen hohlen Ton gab. Nach Entfernung desselben und des umliegenden Sandes wurde an dem westlichen oder Kopfende des Grabes zunächst der Schädel entdeckt, welcher mit Wurzeln und Moos und noch kenntlichen rothbraunen Haaren bedeckt war und sofort auseinanderfiel. Die einzelnen Knochen waren porös, schwarzbraun und mit weißlichem und gelbem Schimmel bedeckt und ganz bruchig.

Nach der weitern Bemerkung in dieser Verhandlung waren diese Knochen ganz lose, frei von allen weichen Bestandtheilen und befanden sich in ihrer natürlichen Lage. Aus der Länge des Skelets war zu entnehmen, daß dasselbe unzweifelhaft einem erwachsenen, wenn auch nicht großen Menschen angehört hatte, und aus der Beschaffenheit der Beckenknochen constatirten die Medicinalbeamten das männliche Geschlecht desselben.

Es wurden nun von dem Skelet ein Scheitelbein und fünf Wirbelkörper aus der Rückenwirbelsäule, eine Partie Sand und Sägespäne, auf welchen die Knochen gelegen hatten und ein Stück des Bretes, welches den Sargboden bildete, und zwar aus der Mitte des Bretes, entnommen und in verschiedene Gefäße behufs der chemischen Untersuchung gethan.

Die Größe des in dem Grabe vorgefundenen Skelets sprach dafür, daß das richtige Grab geöffnet worden, denn die Angeklagte, die Ehefrau Hanko, der Gerichtsschulze Schulze, Gerichtsmann Schittke und Tischler Meyer stimmten darin überein, daß etc. Kuntze ein kleiner, schwächlicher Mann gewesen sei.

Dagegen gaben die Angeklagte und die genannten Zeugen ebenfalls übereinstimmend an, daß etc. Kuntze schwarzes Haar gehabt habe, während der aus dem Grabe entnommene Schädel mit rothbraunem Haar bedeckt war.

Die Chemiker Dr. Sonnenschein und Dr. Zinrek zu Berlin, welchen durch Vermittlung des dortigen Stadtgerichts die eingesiegelten Gefäße zur chemischen Untersuchung zugestellt wurden, gaben bezüglich der Farbe dieser Haare ihr Gutachten dahin ab, daß die auf dem Schädelknochen vorgefundenen Haare die röthliche Farbe ursprünglich nicht gehabt hätten, daß vielmehr diese Farbe eine dunklere und zwar höchst wahrscheinlich braunschwarze oder schwarze gewesen sei und daß diese Farbe durch die zerstörenden Einflüsse der Verwesung, resp. durch die theilweise Zerstörung der Epidermis sowie der Pigmentschicht und durch die verwesenden organischen Stoffen eigenthümliche Färbung in die gegenwärtige röthliche Farbe umgewandelt worden sei.

Der Dr. Sonnenschein führte bei der öffentlichen Verhandlung noch an, daß er, um für das auf chemischem Wege erzielte Ergebniß sich Bestätigung zu verschaffen, auf dem Militärkirchhofe zu Berlin das Grab eines vor 22 Jahren beim Scheibenschießen verunglückten Grenadiers, der nach dem Signalement in der Stammrolle ganz schwarzes Haar gehabt, sich habe öffnen lassen und gefunden habe, daß die Haare auf dem Schädel des Grenadiers dieselbe röthliche Farbe gehabt hätten wie die auf dem ihm zur Untersuchung übergebenen Schädelknochen befindlichen.

Hinsichtlich der Beschaffenheit des Rattengifts hatte die Angeklagte erklärt, daß es von dunkelgrauer, weißlicher Farbe gewesen sei und sich wie Butter habe schmieren lassen.

Es fiel ihr später ein, daß die alte Frau, von welcher es ihr überlassen worden, die verwitwete Bauer Herrmann zu Schöneich war. Wegen ihrer langjährigen Abwesenheit von Schöneich und weil die etc. Herrmann damals schon alt gewesen, hatte sie vorausgesetzt, daß dieselbe längst gestorben wäre.

Die wegen ihres hohen Alters commissarisch in ihrer Wohnung vernommene Witwe Herrmann sagte eidlich aus, daß sie jahrelang sowol vor als nach dem Tode des etc. Kuntze für die Gutsherrschaft in Schöneich und auch für andere Leute von dem alten Kammerjäger Tschirsanke zu Reinswalde Rattengift geholt habe. Das Gift habe aus einer grauen, mehr trockenen als nützlichen Salbe bestanden und sei, soviel sie sich erinnere, geruchlos gewesen. Tschirsanke habe das Gift in einen Topf gethan, ihn fest zugebunden und sie mit dem Bemerken, daß die Salbe sehr giftig sei, zur Vorsicht ermahnt.

Der Kammerjäger J.G. Tschirsanke, Sohn des ebengenannten Tschirsanke, bezeugte, daß er seinem vor 25 Jahren verstorbenen Vater bei der Anfertigung von Rattengift oftmals Hülfe geleistet, und daß sowol sein Vater als auch später er zu Rattengift stets Arsenik und niemals Phosphor verwendet hätten. Auf eine Portion zum Preise von 5 Sgr., die ungefähr den Inhalt eines kleinen Tintefasses von Glas ausgefüllt haben würde, seien zwei starke Prisen Arsenik gekommen.

Die Witwe Herrmann vermochte sich zwar nicht zu erinnern, ob sie von dem von etc. Tschirsanke geholten Rattengift der Angeklagten überlassen hatte, ihre Angabe über den Erwerb des Rattengiftes wurde aber durch die Aussage des Tischlers Meyer, Schwiegersohnes der Witwe Herrmann, unterstützt. Dieser saß mit seiner Frau im Vorderzimmer, als die Angeklagte aus der von seiner genannten Schwiegermutter bewohnten hintern Stube kam. Auf seine Frage, was die Angeklagte gewollt, erwiderte seine Frau, sie sei bei ihrer Mutter wegen Rattengift gewesen. Damals habe etc. Kuntze noch gelebt.

Ueber die Zeit, zu welcher die Angeklagte ihrem Manne das Rattengift gegeben haben will, über die Krankheitserscheinungen an demselben, über die nähern Umstände, unter denen sein Tod erfolgt ist, und über die Beschaffenheit der Leiche ist Folgendes ermittelt worden:

Am 9. October früh morgens zwischen 6 und 7 Uhr kann die Angeklagte ihrem Manne das Rattengift nicht eingegeben haben, es kann erst gegen Mittag geschehen sein.

In den Dörfern Schöneich, Gurkau und Brestau, welche in geringer Entfernung voneinander liegen, wurde damals Kirchweih gefeiert. Nach der Angabe der Angeklagten ist etc. Kuntze, nachdem in ihrer Schenke das Tanzvergnügen aufgehört hatte, nach Gurkau in die Schenke gegangen, und bei seiner Rückkehr von dort zwischen 6 und 7 Uhr morgens will sie ihm, wie sie zuerst erklärte, das Rattengift eingegeben haben.

Der Gerichtsmann und frühere Musikus Schittke aus Schöneich spielte in jener Nacht in Gurkau zum Tanze auf; gegen 4 Uhr morgens fand sich auch etc. Kuntze dort ein. Beide gingen dann gegen 6 Uhr früh nach Schöneich zurück und Kuntze theilte ihm auf dem Wege mit, daß er noch nach Brestau in die Schenke gehen wolle. Ob Kuntze wirklich dorthin gegangen, weiß der Zeuge nicht, weil er ihn bei seiner Wohnung verließ und die Schenke zu Schöneich, in welcher etc. Kuntze wohnte, das äußerste Haus nach Brestau zu war.

Die verwitwete Webermeister Schmidt, welche noch mehrere Jahre mit etc. Kuntze und auch nach dessen Tode mit der Angeklagten zusammen in der Schenke zu Schöneich gewohnt hat und sich des 9. und 10. October 1843 noch genau erinnert, sah, daß etc. Kuntze am 9. früh morgens, aus der Richtung von Gurkau kommend, an seiner Wohnung vorbeiging und, ohne in dieselbe einzutreten, den Weg nach Brestau zu einschlug. An diesem Vormittage erzählte ihr die Angeklagte auch, daß ihr Mann nach Brestau gegangen sei. Gegen Mittag hörte die Zeugin den etc. Kuntze wieder in seiner Stube sprechen und zwar unzusammenhängend, wie es ein angetrunkener oder betrunkener Mensch zu thun pflegt. Dieser Tag war ein Montag.

Die Angeklagte kann sonach das Rattengift ihrem Manne nicht schon am Montag früh zwischen 6 und 7 Uhr, wie sie zuerst angab, sondern erst gegen Mittag nach seiner Rückkehr von Brestau eingegeben haben. Sie erklärte denn auch später, daß es wol erst gegen Mittag gewesen sein würde, und entschuldigte ihre frühere abweichende Angabe mit der Länge der Zeit.

Außer der Angeklagten selbst berichtete nur noch die Schwester des Kuntze über den Verlauf der Krankheit. Sie wurde am Nachmittage des Todestages ihres Bruders von einem Töchterchen desselben mit dem Bemerken gerufen, daß dem Vater so schlecht sei. Als sie hinkam, lag Kuntze im Bett, seine Ehefrau ließ sich nicht sehen. Auf ihre Frage, was ihm fehle, antwortete er anfänglich: »Nichts!« Auf ihr wiederholtes Drängen sagte er: »Hier thut's mir weh« und fuhr dabei mit der linken Hand von links nach rechts unmittelbar unter der Herzgrube über den Magen entlang. Sie entfernte sich und hörte einige Stunden später, daß er gestorben war.

Die mit etc. Kuntze in demselben Hause wohnende verwitwete Webermeister Schmidt sah den etc. Kuntze von Montag früh, als er von Gurkau kommend an seinem Hause vorbei in der Richtung auf Brestau zuging, bis zu seinem Tode nicht wieder. Am Dienstag Abend in der Dunkelstunde stand sie im Hausflur am Ofen, um Abendbrot zu kochen, als sie plötzlich in der Kuntze'schen Stube drei durchdringende Schmerzensschreie hörte, die sich in kurzen Zwischenräumen noch zweimal wiederholten. An der Stimme erkannte sie, daß etc. Kuntze diese Schmerzensschreie ausstieß. Bald, jedoch nicht unmittelbar nach dem letzten Aufschrei, trat die Angeklagte vom Hofe her in den Hausflur und ging, nachdem sie ihr mitgetheilt hatte, daß ihr Mann so geschrien habe, in die Stube. Kurze Zeit darauf kam sie wieder heraus und richtete an die Zeugin die Bitte, mit hineinzukommen, da etc. Kuntze wol todt wäre.

Ob jemand bei dem Ableben des etc. Kuntze zugegen gewesen, wurde ebenso wenig ermittelt, als ob und welche Aeußerungen er noch etwa in Bezug auf seinen Krankheitszustand gethan hat.

Ueber den Befund in der Kuntze'schen Wohnstube gab die Witwe Schmidt an: Die Leiche lag auf dem Rücken im Bett, das Deckbett zu den Füßen, der Mund war fest geschlossen, die Knie waren krampfhaft bis an das Kinn in die Höhe gezogen, beide Arme lagen fest am Körper in der Biegung nach oben, die Hände waren geballt.

Auch die Ehefrau Hanko bestätigte, daß die Knie der Leiche nach dem Bauche zu in die Höhe gezogen waren. vermochte aber sonst über die Lage der Leiche nichts Näheres anzugeben.

Von den Chemikern fand der Dr. Zinrek in den ihm zur Untersuchung übermittelten Gegenständen weder Arsenik noch ein anderes Gift, dagegen ermittelte er in den Knochen und Holztheilen eine ungewöhnliche Menge Phosphorsäure und gab sein Gutachten dahin ab: er könne zwar nicht mit Bestimmtheit angeben, daß der Mensch, dem die untersuchten Knochen angehört hätten, mit Phosphor vergiftet sei, halte dies aber für höchst wahrscheinlich.

Der Dr. Sonnenschein fand in den Knochen, aber nicht in den Erd- und Holztheilen Arsenik. Er sprach seine Ansicht dahin aus, daß aus der in den Knochen vorgefundenen Phosphorsäure ein Schluß auf eine Vergiftung durch Phosphor nicht gezogen werden könne, weil die bei der Verwesung organischer Substanzen sich bildenden Säuren auch die Knochen in ihrer Zusammensetzung wesentlich alteriren und größere Mengen von Phosphorsäure in denselben zu bilden ganz geeignet seien.

Bei der Verschiedenheit des Befundes und des Gutachtens der Sachverständigen wurde ein Obmann in der Person des Professor Dr. Schneider zu Berlin zur nochmaligen Untersuchung der corpora delicti herangezogen. Die durch die frühern Untersuchungen nicht absorbirten Reste, die ihm übergeben wurden, waren indeß sehr geringfügig und betrugen bei den verschiedenen Untersuchungsobjecten nur wenige Gramme. In diesen fand der Obmann keine Spur von Arsenik. Er bemerkte jedoch, daß die von ihm untersuchte Knochenmasse der Hauptsache nach in zwei Stücken bestanden hätte, die er nach Gestalt und Dicke als Fragmente des Schädels anzusehen sehr triftigen Grund gehabt habe, und daß, falls etc. Kuntze wirklich infolge des Genusses und bald nach dem Genusse von arseniger Säure gestorben sei, bei der fortschreitenden Zersetzung der Leiche im Grabe zwar den dem Magen und dem Darme zunächstliegenden Knochen, etwa denen der Rückenwirbelsäule und des Beckens, arsenikhaltende Substanz habe zugeführt werden können, daß aber andere, ferner gelegene Knochen, wie die des Kopfes, schwerlich Gelegenheit gehabt haben würden, Arsenik aufzunehmen. Die von dem Dr. Sonnenschein untersuchten Knochen haben aber zum Theil gerade in Bruchstücken der Wirbelsäule bestanden.

Das zur Abgabe eines Gutachtens aufgeforderte Medicinalcollegium der Provinz sprach sich dahin aus: die Leichenreste seien erst, nachdem sie ungefähr 24 Jahre in der Erde gelegen, ausgegraben worden. Der Magen und der obere Theil des Darmkanals, also gerade die Organe, in welchen das Gift ursprünglich aufzusuchen gewesen, seien durch die Verwesung bereits längst spurlos aufgezehrt und damit das Ergebniß der chemischen Untersuchung der Leichenüberreste schon von vornherein als ein sehr unsicheres auzusehen. Der Nachweis einer Phosphorvergiftung sei unter diesen Umständen unmöglich. Dem Befunde des Dr. Sonnenschein stehe das Resultat der Untersuchung des Dr. Zinrek und das Bedenken entgegen, daß er Spuren von Arsenik nur in den Knochen, nicht aber in dem mit den Knochen aus dem Grabe entnommenen Sande uud den Bretstücken des Sarges nachgewiesen habe. Auch bleibe die Möglichkeit, daß den Knochen durch daraufgefallene Erde oder auf andere Weise Arsenik zufällig beigemischt sei. Durch die chemische Untersuchung der ausgegrabenen Leichenreste und der dem Grabe entnommenen Holz- und Erdtheile habe sonach nicht mehr festgestellt werden können, daß eine Vergiftung des etc. Kuntze stattgefunden habe.

In der öffentlichen Verhandlung blieb der Dr. Zinrek bei seinem Gutachten, daß höchst wahrscheinlich eine Phosphorvergiftung vorliege, stehen.

Der Dr. Sonnenschein gab sein Gutachten bestimmt dahin ab, daß der Mensch, dem die untersuchten Knochen angehört hätten, durch Arsenik vergiftet worden sei.

Nachdem er sein Verfahren bei der chemischen Untersuchung näher auseinandergesetzt, namentlich angegeben hatte, daß er die Knochen zuerst abgesudet und die abgesudete Masse auf Arsenik untersucht, aber nicht in dieser abgesudeten Masse, sondern nur in den Knochen Arsenik gefunden habe, trat der Vertreter des Medicinalcollegiums, Geh. Medicinalrath Dr. Ebert, dem Gutachten des Dr. Sonnenschein, daß eine Vergiftung durch Arsenik vorliege, unbedingt bei. Er führte, im Widerspruch mit der oben mitgetheilten Ansicht des Collegiums, aus, daß, weil der Dr. Sonnenschein weder in den Erdtheilen des Grabes und den Bretstücken des Sarges, noch in der von den Knochen abgesudeten Masse, sondern nur in den Knochen selbst Arsenik vorgefunden habe, angenommen werden müsse, daß das Arsenik durch die Circulation des Blutes in die Knochen gelangt sei, daß mithin der Mensch, dem die untersuchten Knochen angehört hätten, das Gift genossen haben müsse.

Zur Vertilgung von Ratten wurden nach dem Ausspruche der Sachverständigen vor 25 Jahren hauptsächlich arsenikhaltige Gemenge gebraucht, welche die Form eines dicken Breies hatten und auf Brotschnitte gestrichen zu werden pflegten. Seltener wurde damals noch Phosphorbrei und äußerst selten ein strychninhaltiges Gemisch zu Rattengift benutzt.

Die Sachverständigen Dr. Ebert und Dr. Sonnenschein hoben ferner hervor, daß, wenn etc. Kuntze am 9. October von seiner Ehefrau Rattengift bekommen habe, anzunehmen sei, daß er Arsenik und nicht Phosphor erhalten habe. Denn Phosphorbrei habe einen so widerlichen Geruch und Geschmack, daß selbst ein angetrunkener Mensch nicht ohne Widerwillen und ohne etwas zu äußern eine damit bestrichene Brotschnitte und dann gar noch die zweite essen werde. Arsenik sei ein scharfes Gift, nach dessen Genuß Magen und Darmkanal in einen entzündlichen Zustand geriethen, der in einigen Stunden und auch noch später bei geringern Dosen durch Schmerz in der Magengegend, Uebelkeit, Würgen und Erbrechen sich äußere. Später kämen heftige Kolikschmerzen mit Durchfall oder Stuhlverhaltung hinzu und endlich zunehmende Angst, Ohnmacht und Tod.

Wenn man mit diesen Erscheinungen die Krankheitssymptome, welche der bis dahin gesunde Kuntze vor seinem unerwartet schnell eingetretenen Tode gezeigt habe, vergleiche, so seien dieselben allerdings ganz geeignet, den Verdacht der Vergiftung des etc. Kuntze zu unterstützen. Die Beobachtungen, welche von der Angeklagten und den Zeugen an etc. Kuntze von dem Genusse des Rattengiftes an bis zu seinem Tode und dann an dem Leichnam desselben gemacht worden seien, sprächen für ein bei ihm vorhanden gewesenes entzündliches Magenleiden, wie solches mit rasch tödlichem Verlauf vorzugsweise bei Vergiftungen mit scharfen Giften, namentlich bei Arsenikvergiftungen, vorzukommen pflege, und die Zeit von 30–40 Stunden, in welcher der Tod des etc. Kuntze eingetreten, sei als eine Krankheitsdauer zu bezeichnen, wie solche nach dem Genusse einer genügenden Menge dieses Giftes beobachtet werde.

Mit Bezug auf das von dem Kammerjäger Tschirsanke beschriebene Gemenge von Rattengift gaben die Sachverständigen noch an, wenn der etc. Kuntze davon zwei Stückchen, jedes von der Größe eines halben Fingergliedes, auf zwei Brotschnittchen gestrichen, genossen habe, so würde dies mehr als hinreichend gewesen sein, um seinen Tod durch Vergiftung herbeizuführen.

Der Gerichtsmann Schittke, mit welchem etc. Kuntze am Morgen des 9. October von Gurkau nach Schöneich zurückgegangen war, hatte in der Voruntersuchung schon bekundet, daß etc. Kuntze auf dem Rückwege einmal über Leibschmerzen geklagt und die Hosen abgezogen habe, um ein Bedürfniß zu verrichten, daß etc. Kuntze aber alsbald ihn wieder eingeholt habe und daß sie ohne weitere Unterbrechung zusammen nach Schöneich gegangen seien.

Mit Rücksicht auf diesen Umstand hatte das Medicinalcollegium sich dahin ausgesprochen: es sei möglich, daß diese Leibschmerzen der Anfang eines durch Erkältung und übermäßigen Genuß spirituöser Getränke herbeigeführten entzündlichen Darmleidens gewesen und daß dieses Leiden durch das spätere unzweckmäßige Verhalten des etc. Kuntze, sowie durch seinen Besuch der Schenke zu Brestau und den fernern Genuß von berauschenden Getränken und scharfen reizenden Speisen so gesteigert worden sei, daß es am Abend des folgenden Tages einen tödlichen Ausgang genommen habe.

Nachdem der Gerichtsmann Schittke in der Hauptverhandlung ausgesagt hatte, daß etc. Kuntze bei der Rückkehr von Gurkau weder betrunken noch angetrunken, überhaupt kein Trinker gewesen sei, ließ sich der Dr. Ebert, wiederum abweichend von dem Medicinalcollegium, welches er vertrat, dahin aus: die Annahme, daß in den von etc. Kuntze geäußerten Leibschmerzen der Anfang eines entzündlichen Darmleidens mit so rapidem tödlichen Ausgange gelegen haben könne, erscheine nur dann gerechtfertigt, wenn zu jener Zeit in dortiger Gegend die asiatische Cholera grassirt habe, was erwiesenermaßen nicht der Fall gewesen sei. Beim Nichtvorhandensein der asiatischen Cholera könne es bei Kindern vorkommen, daß entzündliche Darmleiden so rasch tödlich verliefen; bei Erwachsenen gehöre aber ein so rascher tödlicher Verlauf zu den seltensten Fällen. Es sei daher höchst unwahrscheinlich, daß in jenen Leibschmerzen der Anfang der Todesursache des etc. Kuntze gelegen habe.

Sämmtlichen Zeugen, welche die Angeklagte gleich nach dem Tode ihres Mannes und bei dessen Beerdigung sahen, fiel die völlige Theilnahmlosigkeit derselben auf; keine Thräne kam in ihre Augen. Nur die Schwester des etc. Kuntze, verehelichte Bauer Hanko, will einige Aufgeregtheit in den Gesichtszügen der Angeklagten bemerkt haben.

Durch die Aussage des Küsters Bogisch wurde noch festgestellt, daß die Angeklagte selbst die Anmeldung von dem Tode ihres Mannes bei der Geistlichkeit gemacht und dabei die Todesursache so angegeben hatte, wie sie im Kirchenbuche eingetragen steht.

Bald nach dem Tode des etc. Kuntze heirathete die Angeklagte ihren zweiten Ehemann, den Scharwerker Kruschwitz. Wann dies geschehen, vermochte sie nicht anzugeben, auch konnte es sonst nicht ermittelt werden. Es muß aber nicht lange nachher gewesen sein, denn sie sagt selbst, Kruschwitz habe ihr versprochen, die Kosten des Begräbnisses ihres ersten Mannes zu bezahlen und der Kinder sich anzunehmen.

Daß die Angeklagte schon zu Lebzeiten ihres ersten Mannes in einem Verhältniß zu Kruschwitz gestanden hätte, wurde nicht bewiesen. Nach ihrer Angabe gebar sie dem etc. Kruschwitz ein Kind und trennte sich dann von ihm, weil er sie nicht ernähren konnte und ebenfalls dem Trunke ergeben war. Kruschwitz ist vor mehrern Jahren gestorben.

Einige Zeit nach der erfolgten Verhaftung der Angeklagten trug ihre Tochter Marie Kuntze auf Untersuchung des Geisteszustandes derselben an, indem sie anführte, daß ihre Mutter dem Rentier Neumann gegenüber Spuren geistiger Störung gezeigt habe.

Der Rentier Neumann sagte in dieser Beziehung aus: Im Herbste 1866 habe die Angeklagte ihn besucht und ihn gebeten, er möge ihr ihre Sünden vergeben. Als er sie an ihren Seelsorger verwiesen, habe sie ihm erwidert, bei diesem sei sie schon gewesen und habe auch öfter das heilige Abendmahl genommen. Sie fühle sich aber nicht ruhig und zufrieden; er sei der einzige, der ihr die Sünden vergeben könne. Auf seine Frage, was sie denn eigentlich so bedrücke, habe sie erklärt, sie habe vor ungefähr 26 Jahren, als er noch das Rittergut Zwippendorf besessen, von ihm ein Schock Reisig gekauft und nicht bezahlt. Da er sich dessen nicht erinnert, habe er die Aufforderung der Angeklagten, ihr den Preis mitzutheilen, abgelehnt und beruhigend hinzugefügt, daß er, wenn es auch der Fall sei, Bezahlung nicht verlange. Die Angeklagte habe hierauf unter vielen Danksagungen sich entfernt. Der Zeuge räumte die Möglichkeit ein, daß er der Angeklagten früher einmal Reisig verkauft und Bezahlung nicht erhalten habe, und fügte hinzu, daß der ganze Vorgang und namentlich die Art und Weise, wie sie ihr Geständniß eingeleitet, auf ihn den Eindruck gemacht habe, als wenn sie geistig gestört gewesen sei.

Die Angeklagte gab an, es sei das Bedürfniß in ihr rege geworden, sich von ihren Sünden zu reinigen, sie habe deshalb ihr vergangenes Leben recapitulirt und dabei sei ihr auch eingefallen, daß sie vor ungefähr 26 Jahren von dem Rittergutsbesitzer Neumann zu Zwippendorf ein Schock Reisig gekauft und es nicht bezahlt habe. Um die Schuld zu tilgen und damit ihre Sünde zu sühnen, habe sie sich zu etc. Neumann begeben.

Der Gefangenarzt, Kreisphysikus und Director der ständischen Irrenanstalt zu Sorau, Sanitätsrath Dr. Kuruth, welcher die Angeklagte längere Zeit im Gefängniß beobachtet hatte, erklärte sich über seine Wahrnehmungen in der Voruntersuchung dahin: Bei der Besprechung ihrer frühern Lebensverhältnisse habe die Angeklagte sich stets lange auf deren chronologische Folge besonnen und beispielsweise nicht anzugeben vermocht, wie alt sie gewesen sei, als sie das angebliche Verbrechen begangen. Sie gerathe bei näherm Eingehen in das letztere in eine absonderliche religiöse Schwärmerei und Confusion der Vorstellungen, welche im wesentlichen immer dieselben blieben, nur mit verschiedenen Variationen und in wenig logischem Zusammenhange ausgesprochen würden.

Darüber, daß sie ihre Ruhe in dem Herrn Jesus, der für alle gestorben sei, finden, und daß Gott ihr ihr Verbrechen vergeben werde, rede sie ohne entsprechende Gemüthsbewegung, ohne Thränen, oft mit einfältigem Lächeln und einer gewissen abschweifenden Geschwätzigkeit, aus welcher man sie auf den angeregten Gegenstand des Gesprächs zurückführen müsse, oder die sie selbst durch einige Seufzer und die Ausrufungen: »Ach Herr Je, ach Herr Jesus!« unterbreche. Mit besonderer Vorliebe und Betonung komme sie immer darauf zurück, daß die frommen Bücher und die schönen Predigten des Pastors Großmann sie zur bessern Erkenntniß und religiösen Erweckung geführt hätten.

Bei längerer Auseinandersetzung ihrer so ernsten und trostlosen Angelegenheit würden ihr Blick, ihre Physiognomie nicht etwa lebhafter und sie gerathe dabei nicht in jene Gemüthsstimmung, die der Ausdruck der tiefsten Reue und Verzweiflung seien, bespreche vielmehr jene als einen zur Gewohnheit gewordenen und liebgewonnenen Gegenstand.

Erkundigungen bei ihrer Mitgefangenen, der verehelichten Tuchmacher Völz, mit der sie dieselbe Zelle bewohne, hätten ergeben, daß die Angeklagte sich mit Federreißen beschäftige, bei dieser Beschäftigung oft aufspringe, über Angst und Andrang des Blutes nach dem Kopfe klage, auf die Knie falle und bete, des Nachts öfter ihr Lager verlasse und ebenfalls knie und bete, ihr Verbrechen mit allerlei religiösen Expectorationen erörtere und dadurch auch bei ihrer Gefährtin die Meinung hervorgerufen habe, daß sie wol in ihrem Kopfe nicht richtig sei.

Bezüglich des somatischen Befindens der Angeklagten falle zunächst ihr kränkliches, bleichgelbes Aussehen, die allgemeine Abmagerung, die geringe und schlaffe Muskulatur, das matte, bei physischer Aufregung umherschweifende Auge auf. Schon diese äußern Erscheinungen deuteten auf ein langdauerndes, die Kräfte und Säfte consumirendes Leiden, das zunächst auf einer organischen Verbildung der linken Seite des Herzens zu beruhen scheine. Bei der physikalischen Untersuchung dieses Organs durch die Percussion und Auscultation habe er eine Erweiterung des linken Herzventrikels und eine Unzulänglichkeit der Klappen desselben entdeckt, und es sei erfahrungsmäßig nicht zu bezweifeln, daß organische Herzleiden durch die Störungen der Blutcirculation von Gefühlen der Angst und Beklommenheit begleitet würden und eine häufige Ursache von Gemüths- und Geistesstörungen bildeten; demnach erscheine es mehr als wahrscheinlich, zumal eine andere körperliche Krankheit bei der Angeklagten nicht ermittelt worden, daß sie seit vielen Jahren am Herzen und an Angstgefühlen leide und daß letztere sich bis zum Trübsinn (Melancholie) gesteigert hätten.

Es sei ferner der Erfahrung entsprechend, daß zu solchen Gemüthsalienationen falsche deprimirende Vorstellungen über Irreligiosität und Sündhaftigkeit sich gesellten und die Leidende nöthigten, in Gebetbüchern und der Bibel viel zu lesen, begangene Fehler und Sünden zu vergrößern, oder die ungeheuerlichsten Verbrechen sich einzubilden.

Es gewinne daher einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit, daß die Angeklagte infolge dieses langsam und chronisch verlaufenden Herzleidens in deprimirende und ängstliche Gemüthsstimmung, über welche sie noch fortwährend klage und die sie von der Arbeit aufzuspringen nöthige, verfallen und auf einmal fromm geworden sei, mehr, als sie sonst gethan, religiöse Schriften gelesen und den Gottesdienst besucht, sich für eine große Sünderin gehalten, deshalb sich von andern die Kirche Besuchenden durch Alleinsetzen isolirt, zuletzt nach Beendigung des Gottesdienstes die Kirche verlassen, nach längern Besprechungen mit dem Geistlichen nach Gewohnheit melancholischer Irren begehrt und demselben am Ende ein Verbrechen eingestanden habe, welches möglicherweise gar nicht von ihr begangen worden sei.

Wenn die Angeklagte ihren Mann wirklich durch Gift getödtet habe, so sei es zu bewundern, daß sie diese That beinahe drei Decennien zu verheimlichen im Stande gewesen sei, und man müsse dann annehmen, daß etwas Außergewöhnliches sie aus der Schweigsamkeit herausgetrieben habe, nämlich die Gemüthskrankheit, welche sie das Geständniß abzulegen gezwungen habe.

Daß große Verbrecher wahnsinnig würden, sei eine häufige Beobachtung und schon aus dem moralischen Kampfe erklärlich, den sie Tag und Nacht mit ihrem Gewissen kämpften. Auf die Angeklagte hatten das Herzleiden und dieser Kampf jahrelang eingewirkt und sie in Melancholie mit religiöser Schwärmerei versetzt, infolge deren ihre höhern und niedern Geistesfunctionen geschwächt und ihre Körperkräfte absorbirt worden seien.

Er komme daher zu dem Resultat, daß die Angeklagte schon seit mehrern Jahren melancholisch und in dem Grade geistig geschwächt sei, daß sie das Vermögen, die Folgen ihrer Handlungen zu überlegen, nicht besitze.

Da dieses Gutachten bei der Staatsanwaltschaft und dem die Untersuchung führenden Richter Bedenken erregte, so wurden zunächst noch mehrere Personen, welche mit der Angeklagten in frühern Jahren bis in die neueste Zeit verkehrt und sie zu beobachten Gelegenheit gehabt hatten, sowie der Prediger Großmann über ihr Benehmen und ihr Thun uud Treiben als Zeugen vernommen.

Der Gerichtsschulze Schulze, die Ehefrau Hanko, der Gerichtsmann Schittke und Tischler Meyer, welche die Angeklagte am längsten und aus der Zeit ihres Aufenthalts in Schöneich sowol vor als nach dem Ableben ihres ersten Mannes kannten, schildern sie als still und wenig mittheilsam, zuweilen etwas gedankenlos und zerstreut. etc. Schittke sagt, es sei wol vorgekommen, daß, wenn ein Gast einen Schnaps bestellt, die Angeklagte ein Glas Bier gebracht habe und umgekehrt. Die Witwe Schmidt sagt aus, die Angeklagte habe sich zuweilen dumm gestellt, sei aber andererseits wieder schlau und klug gewesen. Sämmtliche Zeugen stimmen darin überein, daß sie niemals etwas bei der Angeklagten wahrgenommen hätten, was auf eine geistige Störung hätte schließen lassen. Der Gerichtsschulze Schulze und die Witwe Schmidt bekunden noch, daß die Angeklagte sowol vor als nach dem Tode des etc. Kuntze wenig zur Kirche gegangen sei.

Der Gerichtsschulze Kutau, welcher die Angeklagte seit ihrer Uebersiedelung nach Gassen, also seit ungefähr 20 Jahren, kennt, bezeugt, daß sie durch Stricken von Strümpfen sich ernährt, sich stets von aller Geselligkeit fern gehalten und einen stillen und ruhigen Lebenswandel geführt habe. Bei seinen oftmaligen Unterhaltungen mit ihr ist sie ihm stets völlig geistesklar vorgekommen.

Die Witwe Scholtke zu Gassen, bei deren Schwiegersohn und Tochter die Angeklagte mehrere Jahre gewohnt hat, gibt an, daß sie vielfache Gelegenheit zur Beobachtung derselben gehabt habe. Die Angeklagte sei ängstlich und in sich gekehrt gewesen, sei abgesprungen, wenn man mit ihr eine Unterhaltung habe anknüpfen wollen. Einigemal habe sie die Angeklagte in ihrer Stube auf den Knien liegen und beten sehen. Sie habe oft davon gesprochen, daß sie früher nicht so gelebt, wie sie gesollt, daß sie alle Tage Buße thun müsse, was von ihr und ihrer Tochter so aufgefaßt worden sei, als ob die Angeklagte früher einen unsittlichen Lebenswandel geführt oder gestohlen habe. Einmal habe die Angeklagte auch geäußert, daß sie ihrem ersten Manne ein Mittel gegen den Trunk gegeben habe, sie habe aber dabei nicht gesagt, was es für ein Mittel gewesen sei und ob es geholfen habe. Als geistig gestört sei ihr die Angeklagte niemals vorgekommen.

Die Witwe Scholtke und die Eheleute Bauer Weise, bei welchen letztern die Angeklagte von Michaelis 1865 bis zu ihrer Verhaftung wohnte, erzählen von dem häufigen Besuch der Kirche und des Abendmahls seitens der Angeklagten, sowie von ihrem vielen Beten. Die Eheleute Weise schildern die Angeklagte als eine verständige Person, bei der sie niemals eine geistige Störung wahrgenommen hätten. Nur unruhig und zerstreut sei sie gewesen; sie sei leicht erschrocken, wenn jemand durch das Fenster in ihre Stube hineingesehen habe oder in ihre Stube getreten sei. Auch habe sie mitunter, wenn sie zu ihnen gekommen sei, die Thür sperrweit aufgelassen und erst daran sich erinnert, sie wieder zu schließen, wenn sie schon eine Weile in der Stube gewesen sei.

Der Prediger Großmann zu Gassen kennt die Angeklagte seit sieben Jahren und bezeugt, daß sie fleißig die Kirche und ungewöhnlich oft das Abendmahl besucht habe. Sie sei eine eifrige Missionsfreundin gewesen und habe für diese Zwecke reichlichere Spenden gegeben, als ihre Verhältnisse es gestattet hätten. Ihr Blick sei unstet und ihr ganzes Benehmen unruhig gewesen, sodaß er bald herausgefühlt habe, daß sie ein schwer beladenes Gewissen drücke. Geistesstörung oder Umstände, die auf eine solche hindeuteten, habe er niemals bei ihr wahrgenommen. In den mit ihr gehaltenen religiösen Gesprächen habe sie große Klarheit und eingehende tiefe Kenntnitß der christlichen Lehren gezeigt.

Nunmehr wurde das Medicinalcollegium der Provinz um ein Gutachten über die Zurechnungsfähigkeit der Angeklagten ersucht und auf dessen Verlangen die Angeklagte in das Stadtvogteigefängniß zu Berlin translocirt, woselbst sie längere Zeit durch Deputirte des Medicinalcollegiums beobachtet wurde.

Ueber diese Beobachtungen äußerte diese gedachte Behörde: »Die Angeklagte ist eine magere, leidend aussehende Frau von bleicher Gesichtsfarbe und normaler Schädelbildung. Das Gesicht hat für gewöhnlich einen gutmüthigen und ruhigen Ausdruck, der aber ernst und traurig wird, wenn auf ihr Verbrechen und die Sünde, die sie damit begangen, die Rede kommt. Dann brechen wiederholentlich Thränen aus ihren Augen hervor. Ihre Sprache ist leise, aber deutlich, sie faßt die an sie gerichteten Fragen leicht auf und gibt sofort entsprechende Antworten; ihr Benehmen ist gesittet und bescheiden. In der Zeitbestimmung und der chronologischen Folge ihrer Lebensereignisse ist sie allerdings unsicher, aber dies ist bei Leuten von ihrem Bildungsgrade meistentheils der Fall. Sie hat öfter selbst gesagt, daß sie jetzt schwach im Kopfe sei. Wenn man ihr aber Zeit zum Nachdenken ließ, besann sie sich meist auf die Folge der Ereignisse und gab den Zeitpunkt gewöhnlich richtig an.

»Die Angeklagte ist allerdings herzkrank, sie hat eine mäßige und deshalb wahrscheinlich noch nicht seit Jahren bestehende Vergrößerung der linken Herzkammer mit Ablagerungen an der Klappe dieser Kammer (Mitralklappe), welche indeß ihre Verschließungsfähigkeit noch nicht eingebüßt hat. Das ist indeß kein bedeutendes Herzleiden. Sie will davon auch vor ihrer Verhaftung nichts wahrgenommen und erst im Gefängnisse zu Sorau zeitweise an Beklemmung gelitten haben, sodaß möglicherweise das Leiden erst nach ihrer Inhaftirung entstanden ist. Aber selbst wenn das Herzleiden auch schon seit Jahren bestanden hätte und viel bedeutender wäre, als es in der That ist, so würde es doch sehr gewagt sein, daraus die Entstehung einer Geistesstörung herleiten zu wollen, da die große Masse selbst der schwersten Herzkrankheiten erfahrungsgemäß diese Folge nicht hat, sondern ohne jedes Zeichen von Geistesstörung oder Gemüthskrankheit bis zum Tode besteht.

»Auf die Vorhaltung der Commissarien, man sei der Meinung, daß sie die That gar nicht begangen habe, sondern sich dieselbe nur einbilde, erwiderte sie mit Bestimmtheit: ›Nein, ich habe sie begangen, mit einer Lüge will ich nicht aus der Welt gehen.‹ Sie hat auch erzählt, daß sie noch andere Sünden wieder gut zu machen versucht habe. So habe sie dem Rentier Neumann ein Schock Reisig bezahlen wollen, welches sie vor vielen Jahren ihm schuldig geblieben sei, und ebenso habe sie einem Manne in Proskau einen Thaler wiedergebracht, den sie vor Jahren von ihm geliehen gehabt habe.

»Eine ihrer Gefängnißgenossinnen, die verehelichte Schrader, versicherte, daß die Angeklagte auch mit ihnen vernünftig spreche, daß sie ihnen ihre Lebensgeschichte und ihr Verbrechen ganz offen erzählt habe, daß sie fleißig bete und auch sie ermahne und zur Buße auffordere und daß sie nie etwas gethan oder gesprochen habe, was beweise, daß sie im Kopfe nicht richtig oder gemüthskrank sei.«

Auf Grund der gemachten Wahrnehmungen gab das Medicinalcollegium das folgende Gutachten ab: »Die Angeklagte ist zur Zeit, als sie das ihr zur Last gelegte Verbrechen begangen haben will, eine Person gewesen, zu welcher man sich einer solchen That recht wohl versehen konnte, oder bei welcher eine solche wenigstens nicht unerklärlich war. Sie hat in der Kindheit und Jugend höchst mangelhaften Schul- und Religionsunterricht genossen; der Prediger, der den letztern leitete, hat es allem Anscheine nach aufgegeben, ihr von den Religionslehren etwas beizubringen, denn er ist, wie sie eingesteht, immer von ihr fortgegangen, weil sie nicht hat antworten können. Sie weiß daher nur sehr wenig von diesem Unterricht anzuführen und fast gar nichts von dem, was sie dort gelernt hat. Sie sagt, sie habe wenig von Gottes Wort gehört, sie habe damals nicht daran gedacht, daß ein Gott im Himmel sei, und sei zu dumm, sei in der Finsterniß gewesen. Es hat ihr also an genügender Ausbildung des Verstandes, vor allem aber an dem durch Auffassung der Lehren der Religion bedingten moralischen Halte gefehlt, als sie als junges, unbesonnenes Mädchen von 17 Jahren wider ihre Neigung, gezwungen in die Ehe getreten ist. Diese war völlig ungeeignet, sie aufzuklären und ihren Verstand zu bilden. Sie kam an einen Mann, der dem Trunke ergeben war, mit ihr zankte, sie mishandelte und in beständiger Furcht und Schrecken erhielt. Sie gebar nacheinander sechs Kinder, die Kinder und die Wirthschaft, in welcher es oft an dem Nöthigsten fehlte, nahmen alle ihre Gedanken und ihre ganze Thätigkeit in Anspruch. Es war daher kein Wunder, daß sie keine Zeit fand, das in der Kindheit und Jugend Versäumte nachzuholen, daß sie auch damals, wie die Zeugen bekunden, die Kirche wenig oder gar nicht besuchte, daß sie, wie sie selbst sagt, in der Finsterniß blieb. Aus ihren Erzählungen, die sie stets in gleicher Weise, ohne sich zu widersprechen, wiederholt, hört man heraus, wie die Angst vor ihrem Manne mehr und mehr wuchs, wie sie sich, wenn er betrunken war, in den tiefsten Winkel vor ihm versteckte, wie sie ihres Lebens sich nicht mehr sicher glaubte. Man wird es daher begreiflich finden, daß eine solche mit den Lehren der Religion nicht vertraute und des moralischen Haltes entbehrende, unwissende und fast ganz auf sich und ihre traurige Lage angewiesene Frau den Gedanken faßte, sich von ihrem Manne zu befreien, ihn mit dem Mittel, das ihr zur Hand war, nämlich mit dem zur Vertilgung des Ungeziefers im Hause vorräthigen Rattengift, ums Leben zu bringen, und daß sie diesen Gedanken ausführte, als sich ihr eine sehr bequeme Gelegenheit dazu darbot und sie sich gerade wieder sehr vor der rohen Behandlung ihres Mannes fürchtete. Hiernach erscheint es auch glaublich, daß sie in ihrer damaligen mangelhaften geistigen und moralischen Ausbildung der Größe ihres Verbrechens sich nicht klar bewußt gewesen ist. Sie hat wiederholt erklärt, sie sei damals in religiöser Beziehung nicht aufgeklärt gewesen, sie habe es nicht verstanden und eine solche Handlung für kein Verbrechen gehalten. Wenn sie auch jetzt die Größe ihres Verbrechens einsehe und dasselbe mit tiefer Reue bekenne, so sei sie sich doch nicht ganz klar, ob sie durch das Eingeben des Rattengifts ihren Mann wirklich ums Leben gebracht habe. Auf die Frage, wie sie auf den Gedanken gekommen sei, ihren Mann zu ermorden, antwortete sie: ›Ich dachte, vielleicht wirst du dein Leiden los, vielleicht stirbt er daran, und wenn er nicht stirbt, dann kannst du nichts mehr machen.‹

»Auf die fernere Frage, ob sie sich damals über ihre That Vorwürfe gemacht habe, gab sie die Antwort: ›Nein, ich dachte mir nicht soviel dabei, denn ich dachte nicht, daß ein Gott im Himmel ist; aber nachher that es mir leid, denn ich dachte doch, von dem Trunke allein könnte es nicht sein, es mußte doch wol das Zeug gewesen sein, was ich ihm gegeben hatte.‹

»Deshalb hat auch damals die That auf sie keinen tiefen Eindruck gemacht, wie aus den Zeugenaussagen hervorgeht; sie hat bald darauf einen andern Mann geheirathet und, da sie auch mit diesem in Noth gerathen, sich von ihm trennen und nun für sich und ihre Kinder allein arbeiten müssen und mit den Mühen und Sorgen des täglichen Lebens zuviel zu thun gehabt, um an ihre That, an Reue und Buße zu denken. ›Wir sind des Morgens‹ – sagt die Angeklagte – ›aufgestanden ohne Gebet.‹

»Erst in Gassen ging es ihr besser, ihre Kinder wuchsen heran, sie hatte nicht mehr so viel Mühe von ihnen und fand bessern Verdienst. Von ihrem Vater erbte sie fromme Bücher, sie fing an darin zu lesen und die Kirche zu besuchen. Je mehr sie mit Gottes Wort vertraut, je mehr es ihr klar wurde, daß man nicht sündigen dürfe, desto mehr erwachte ihr Gewissen und das Bewußtsein dessen, was sie gethan. Besonders geschah dies, als der Prediger Großmann nach Gassen kam, von dessen Reden sie sich sehr angezogen fühlte, dessen Gottesdienste und Missionsstunden sie überaus fleißig besuchte.

Was über diese Zeit von ihr selbst und den Zeugen, die ihr Thun und Treiben zu beobachten Gelegenheit gehabt haben, ausgesagt worden ist, schildert ganz einfach den Zustand eines Menschen, bei dem das böse Gewissen erwacht ist und der einen innern Kampf kämpft, weil er das Bedürfniß hat, seine Sünden zu sühnen und zu bekennen. Je mehr sich ein solcher Mensch täglich und stündlich mit den Lehren der Religion beschäftigt, je mehr ihm von der Sünde und deren Bekennen vorgepredigt wird, desto sichtbarer wird dieser innere Kampf sich aussprechen, und so ist denn auch das Benehmen der Angeklagten in den letzten Jahren ganz allein und vollständig aus diesem Kampfe und dem Bedürfniß nach Buße und Sühne erklärlich; ein Zeichen von Geistesstörung ist darin nicht zu finden.

»So ist es namentlich erklärlich, daß die Angeklagte ungewöhnlich oft das Abendmahl besuchte und verhaltnißmäßig reiche Spenden für Missionszwecke gab, daß ihr Blick unstet und ihr ganzes Benehmen unruhig wurde, daß der Prediger herausfühlte, daß sie ein schwer beladenes Gewissen haben müsse, daß sie ängstlich und in sich gekehrt war und oft davon sprach, sie habe in früherer Zeit nicht so gelebt, wie sie gesollt, sie müsse alle Tage Buße thun u. s. w., daß sie häufig auf den Knien lag und unter Thränen betete. Spuren von Geistesstörung sind von keinem Zeugen bei ihr wahrgenommen worden. Der seiner Bildung nach competenteste unter denselben, der Prediger Großmann, bezeugt sogar, daß sie in den Gesprächen mit ihm große Klarheit und eine eingehende tiefe Kenntniß der christlichen Lehren an den Tag gelegt habe.

Der einzige Zeuge, der einigen Zweifel an der geistigen Gesundheit der Angeklagten aufkommen läßt, ist der Rentier Neumann. Allein etc. Neumann schildert eben auch nur eine Person, die unruhig, ängstlich und bedrückt und allem Anschein nach mit dem Gedanken zu ihm gekommen ist, ihm, ihrem frühern Almosenspender, sich zu vertrauen und ihre Sünden zu bekennen. Ihr Besuch bei etc. Neumann hat im Herbst 1866, also wenige Monate vor dem schließlichen Geständniß ihrer Schuld an den Prediger Großmann, stattgefunden. Gerade um diese Zeit hat sie mehr und mehr mit dem Drange gekämpft, ihre Sünden zu gestehen, um Sühne und Ruhe in ihrem Gemüthe zu finden. In diesem Seelenzustande ist sie zu etc. Neumann gekommen und hat, getrieben von dem Wunsche, sich möglichst von aller Schuld zu reinigen und wie vor Gott dazustehen, außer dem an ihrem ersten Ehemanne begangenen Verbrechen sich auch andere frühere Sünden ins Gedächniß zurückgerufen, und es ist ihr eingefallen, daß sie dem etc. Neumann vor vielen Jahren das Geld für ein Schock Reisig schuldig geblieben ist. Auch dies hat sie in ihrer jetzigen religiösen Anschauung für eine Schuld gehalten, die sie, wenn auch spät, wieder gut machen müsse. An der Richtigkeit des Factums ist bei der bestimmten Versicherung der Angeklagten nicht zu zweifeln, zumal auch etc. Neumann die Möglichkeit zugibt, daß die Angeklagte Reisig von ihm gekauft und nicht bezahlt habe. Die Scene bei etc. Neumann erklärt sich somit auf ganz natürliche Weise und man hat nicht nöthig, zur Annahme einer Geistesstörung der Angeklagten seine Zuflucht zu nehmen. Die Einleitung der Unterredung mit der Bitte an etc. Neumann, er möge ihr ihre Sünden vergeben, hat dem mit ihrem damaligen Seelenzustaude unbekannten Neumann allerdings auffallen müssen. Dies ist aber auch das Einzige, woraus etc. Neumann den Eindruck gewonnen hat, als ob die Angeklagte geistesgestört sei.

Ganz ähnlich, wie die Angeklagte den etc. Neumann aufsuchte, um eine alte Schuld gut zu machen, hat sie auch zu derselben Zeit zu einem Manne in Proskau sich begeben, um ihm einen von ihm geliehenen Thaler wiederzugeben, und sie hat auch diese Abtragung einer alten Schuld mit so vielen offenbar nicht erdichteten Details erzählt, daß man an der Richtigkeit des Factums nicht zweifeln kann.

Die Angeklagte hat eben immer mehr den Drang in sich gefühlt, alle frühere Schuld, alle frühern Sünden nach Möglichkeit wieder gut zu machen. Sie hat sich auch mehr und mehr gedrängt gefühlt, ihr Verbrechen zu bekennen, und als sie einige Zeit vergebens gehofft hatte, der Prediger werde zu ihr kommen, hat sie sich endlich zu ihm begeben und die That, die schwer auf ihrer Seele lastete, die Vergiftung ihres ersten Mannes, gestanden. Sie hat die Ausführung des Mordes ziemlich in gleicher Weise in ihren gerichtlichen Verhören, in ihren Unterredungen mit dem Dr. Karuth und den Commissaren des Medicinalcollegii angegeben. Von dem Prediger Großmann an den Staatsanwalt verwiesen, hat sie vor Gericht ein klares, offenes Geständnis abgelegt, welches den Verdacht einer Geistesstörung bei ihr nicht aufkommen läßt. Sie hat sich vielmehr von diesem Zeitpunkte ab als eine reuige, zur Erkenntniß gekommene Sünderin benommen, die Trost und Erleichterung darin findet, ihr Verbrechen bekannt zu haben.

»In ganz ähnlicher Weise wie dem Dr. Karuth, hat sie auch den Commissarien des Medicinalcollegii gegenüber erklärt:

»Erst als sie die frommen Bücher, die ihr Vater ihr hinterlassen, gelesen und die schönen Predigten des Pastors Großmann gehört habe, sei sie zu der Einsicht gekommen, wie schwer sie sich gegen Gott vergangen, und infolge dieser Einsicht sei in ihr der Drang rege geworden, ihr Verbrechen zu gestehen. Sie habe gehofft, der Prediger werde zu ihr kommen, als er dies aber nicht gethan, sei sie zu ihm gegangen. Jetzt, nachdem sie ihr Verbrechen gestanden habe, sei ihr leicht ums Herz. Sie wisse, daß in der Bibel stehe: ›Wer einen Menschen umbringt, der soll des Todes sterben.‹ Das wäre zwar sehr schmerzlich für ihre Kinder, aber sie wolle ihre Sünden büßen, sie fürchte den Tod nicht und hoffe auf Vergebung. Der zeitliche Richter werde ihr nur das Leben nehmen, Christus ihre Seele erretten, da er für die Sünder gelitten habe und gestorben sei; nach Gottes Willen solle es geschehen, wie das Gericht es verhänge.

›Ich werde meine Ruhe in dem Herrn Jesus finden, der für uns alle gestorben ist, Gott wird mir mein Verbrechen vergeben.‹

Alles dies hat die Angeklagte mit einer Klarheit und Ergebung gesagt, daß den Commissaren bei zwei langen Unterredungen auch nicht der geringste Zweifel an ihrer Zurechnungsfähigkeit beigegangen ist.

»Gegen die von dem Dr. Karuth behauptete Melancholie sprechen die Aussagen der Zeugen, die mit der Angeklagten in den letzten Jahren verkehrt haben und sie als eine verständige Person bezeichnen.

Von religiöser Schwärmerei ist bei der Angeklagten keine Spur zu entdecken. Mit ruhigem, ergebenem Ausdruck des Gesichts, mit bescheidenem Wesen hört sie auf jede Frage, die an sie gerichtet wird, sie gibt sofort angemessene Antworten und führt erst dann gelegentlich eine fromme Redensart an, wenn die Frage dazu veranlaßt, namentlich wenn die Unterredung auf ihre Sünden und deren Buße kommt. Sie citirt dann hin und wieder Bibelstellen, fromme Sprüche und Verse, allein diese stehen immer mit dem Inhalte des Gesprächs und ihren letzten Worten in logischem Zusammenhange. Daß sie aber gern fromme Reden und Citate im Munde führt, kann bei einer Person nicht auffallen, die sich jetzt fast ausschließlich mit religiösen Gedanken beschäftigt, die in der Religion ihren Trost sucht und findet und deren ganzes Thun und Denken auf Buße gerichtet ist.«

Das schließliche Gutachten des Medicinalcollegiums geht demnach dahin: daß die Angeklagte als zurechnungsfähig zu betrachten ist.

 

Während ihrer fast zweistündigen Vernehmung bei der Hauptverhandlung sprach die Angeklagte sich klar und verständig aus; kein einziger Moment trat ein, welcher auf eine Trübung ihrer geistigen Fähigkeiten hingedeutet hätte.

Der Kreisgerichtsrath Roßmy, der die Voruntersuchung geführt hatte, versicherte, bei der Angeklagten niemals einen Zustand der Unzurechnungsfähigkeit wahrgenommen zu haben.

Der Dr. Karuth sowol als auch der Vertreter des Medicinalcollegiums, Dr. Ebert, wohnten der Vernehmung der Angeklagten und der Zeugen, überhaupt der ganzen Hauptverhandlung bei und blieben bei ihrem Gutachten, resp. dem Gutachten des Medicinalcollegiums stehen. Der Dr. Ebert erweiterte letzteres noch dahin: daß die Angeklagte auch zur Zeit der That zurechnungsfähig gewesen sei.

Der Staatsanwalt beantragte hierauf, das Schuldig nach der Anklage gegen die Angeklagte auszusprechen.

Der Vertheidiger suchte auszuführen, daß eine Vergiftung nicht nachgewiesen und daß die Angeklagte jedenfalls nicht zurechnungsfähig sei.

Nach geschlossener Hauptverhandlung wurden den Geschworenen folgende Fragen vorgelegt:

»1) Ist die Angeklagte schuldig: im October 1843 zu Schöneich ihren ersten Ehemann, den Schuhmachermeister und Pachtschankwirth Johann Traugott Kuntze, vorsätzlich getödtet zu haben und zwar mit Ueberlegung?

Im Falle der Bejahung der ersten Frage:

2) Hat die Angeklagte zur Zeit der That ohne Zurechnungsfähigkeit gehandelt?«

Der Ausspruch der Geschworenen lautete: Zu Frage 1. Nein, die Angeklagte ist nicht schuldig.

Als hierauf das Erkenntniß publicirt und die Angeklagte von der Anklage des Gattenmordes kostenfrei freigesprochen wurde, begann sie bitterlich zu weinen, sie weinte, weil sie freigesprochen worden war.

 

Dem Vernehmen nach ist der Ausspruch der Geschworenen mit 6 gegen 6 Stimmen beschlossen worden, sodaß nach dem einschlagenden Gesetz die der Angeklagten günstigere Meinung den Vorzug haben und das Nichtschuldig ausgesprochen werden mußte. Die Geschworenen, die bei der Abstimmung das Nichtschuldig ausgesprochen haben, sollen dabei von folgenden Erwägungen geleitet worden sein:

Wenngleich gegen die Zurechnungsfähigkeit der Angeklagten kein Bedenken obwalte, auch anzunehmen sei, daß das richtige Grab geöffnet worden und die ausgegrabenen Knochen die des etc. Kuntze gewesen seien, so könne doch nicht als vollständig bewiesen betrachtet werden, daß der Tod des etc. Kuntze die Folge des von der Angeklagten ihm eingegebenen Giftes gewesen sei. In dem Gutachten des Medicinalcollegiums sei gesagt worden, daß das Ergebniß der chemischen Untersuchung von vornherein als ein sehr unsicheres anzusehen sei, und dann weiter ausgesprochen, daß durch die chemische Untersuchung nicht mehr habe festgestellt werden können, daß eine Vergiftung des etc. Kuntze stattgefunden habe. Dieser Ausspruch sei darauf gestützt worden, daß dem Befunde des Dr. Sonnenschein, der Arsenik in den Knochen gefunden habe, das Bedenken entgegenstehe, daß er nur in den Knochen, nicht aber in dem mit den Knochen aus dem Grabe entnommenen Sande und den Bretstücken des Sarges Arsenik nachgewiesen habe. Bei der Hauptverhandlung habe nun der Vertreter des Medicinalcollegiums diese Ansicht verlassen und habe mit dem Dr. Sonnenschein eine Vergiftung durch Arsenik angenommen, und zwar aus dem Grunde, weil der Dr. Sonnenschein nur in den Knochen und nicht auch in den mit den Knochen aus dem Grabe entnommenen Sande und den Bretstücken des Sarges Arsenik nachgewiesen habe. Derselbe Grund also, der in dem Gutachten des Medicinalcollegiums gegen die Annahme einer Vergiftung geltend gemacht worden, sei von dem Vertreter dieses Collegiums für die Annahme einer Vergiftung angeführt. Das sei nicht überzeugend. Dazu komme, daß etc. Kuntze nach der Aussage des Gerichtsmanns Schittke schon auf dem Rückwege von Gurkau nach Schöneich, also zu einer Zeit, wo er das Rattengift noch nicht genossen hatte, über Leibschmerzen geklagt habe. Und wenn auch der Vertreter des Medicinalcollegiums sein Gutachten dahin abgegeben habe, daß es sehr unwahrscheinlich fei, daß diese Leibschmerzen der Anfang eines entzündlichen Darmleidens gewesen, so habe doch das Medicinalcollegium selbst dies als möglich hingestellt. Und diese Möglichkeit ist für die sechs für Nichtschuldig stimmenden Geschworenen bestimmend gewesen. Sie sollen ihre Ansicht dahin ausgesprochen haben, daß, wenn eine Frage auf Versuch der Tödtung gestellt worden wäre, sie diese bejaht haben würden.

 

Psychologisch räthselhaft bleibt es bei der unverkennbaren Bußfertigkeit und Frömmigkeit der Angeklagten, daß nach dem Resultat der Beweisaufnahme die von ihr angegebenen Motive zur That zum Theil bedenklich erscheinen und daß sie in dieser Beziehung die Unwahrheit angegeben hat.

Die Angeklagte behauptet, etc. Kuntze sei dem Trunke stark ergeben gewesen und habe sie sowol im nüchternen als im trunkenen Zustande auf die brutalste Weise gemishandelt und oft blutig geschlagen, sodaß sie ihres Lebens vor ihm nicht sicher gewesen sei; auch die Kinder sollen von ihm gemishandelt worden sein.

Aus diesem Verhalten ihres Mannes will die Angeklagte den Beweggrund zu ihrer That entnommen haben.

Alle Zeugen, die den etc. Kuntze gekannt haben, der Gerichtsschulze Schulze, der Gerichtsmann Schittke, Tischler Meyer und Witwe Schmidt schildern ihn dagegen als einen umgänglichen und friedfertigen Mann. Alle verneinen entschieden, daß er ein Trunkenbold gewesen sei, sie stimmen darin überein, daß er nicht mehr getrunken habe als andere Landleute auch; nur bei festlichen Gelegenheiten habe er sich wol einen Rausch getrunken. Selbst als er mit etc. Schittke von der Kirmeß zu Gurkau am Tage vor seinem Tode zurückkehrte, ist er nach Schittke's Versicherung nicht einmal angetrunken, geschweige denn betrunken gewesen.

Die genannten Zeugen und die Schwester des etc. Kuntze, die verehelichte Hanko, bezeichnen das Verhältnis; beider Eheleute zueinander allerdings als kein glückliches. Die Witwe Schmidt, welche wegen ihres Zusammenwohnens mit den Eheleuten Kuntze die beste Gelegenheit zu Beobachtungen nach dieser Richtung hin hatte, bekundet, die Angeklagte habe ihre Wirthschaft nicht sauber gehalten und darüber habe ihr Mann sie ausgezankt. Die Angeklagte sei mehrmals zu ihr in die Stube oder in den Garten geflüchtet und Kuntze habe sie in der Regel bis zur Thür verfolgt, sei aber dann von weiterer Verfolgung abgestanden. Nur einmal sei etc. Kuntze bis in ihre Stube hinter der Angeklagten hergekommen und habe sie dort bei den Haaren gezupft.

Der Gerichtsschulze Schulze hat den etc. Kuntze einmal nach Großteuplitz begleitet, weil die Angeklagte ihren Mann verlassen und ohne seine Erlaubniß zu ihren dort wohnenden Aeltern sich begeben hatte. Schulze war hier Zeuge eines sehr heftigen Wortwechsels zwischen beiden Eheleuten.

Von rohen Mishandlungen und blutigen Schlägen aber, die etc. Kuntze nach der Behauptung der Angeklagten ihr und den Kindern zugefügt haben soll, hat kein Zeuge etwas wahrgenommen.

Auch die Angaben, welche die Angeklagte über ihren zweiten Ehemann, Kruschwitz, gemacht hat, haben sich als unrichtig erwiesen. Sie will sich von ihm getrennt haben, weil er sie nicht habe ernähren können und ebenfalls dem Trunke ergeben gewesen sei.

Der Gerichtsschulze Schulze und die Witwe Schmidt verneinen indeß entschieden, daß etc. Kruschwitz dem Trunke ergeben gewesen sei. Beide bezeugen, daß er mehrere hundert Thaler mitgebracht und davon die Häuslernahrung zu Schöneich, mit welcher die Schankgerechtigkeit verbunden gewesen, gekauft habe.

Die Witwe Schmidt sagt aus, daß, solange das Geld, welches etc. Kruschwitz mitgebracht, vorgehalten habe, das Einvernehmen beider Eheleute ein gutes gewesen sei, daß, als dieses aber nachgelassen habe, die Angeklagte gegen ihren Mann mürrisch geworden sei und ihm oftmals kein Essen bereitet habe, wenn er von der Arbeit nach Hause gekommen sei.

Aus diesen Angaben der Zeugen geht mindestens so viel hervor, daß die Wahrheitsliebe der Angeklagten nicht über jeden Zweifel erhaben ist. Hat sie sich aber wirklich bekehrt, ist sie wirklich durch die Angst ihres Gewissens getrieben worden, den Mord zu bekennen und die Strafe dafür zu leiden, dann bleibt es schlechthin unerklärlich, daß sie ihrem Manne noch in das Grab hinein Fehler nachredet, die er nicht gehabt, und Roheiten aufbürdet, die er sich nicht zu Schulden gebracht hat. Es kann eben doch nur eins oder das andere wahr sein. Entweder die Angeklagte ist eine durch das Wort Gottes und die Predigt bekehrte reuige Sünderin, dann kann sie über die Motive zur That nicht die Unwahrheit gesagt, dann müssen sich alle die Zeugen geirrt haben, welche den verstorbenen Kuntze und den verstorbenen Kruschwitz als nüchterne, friedfertige Männer bezeichnen. Oder man glaubt den Zeugen, dann hat die Angeklagte gelogen, dann ist sie aber auch nicht von wahrer Reue ergriffen, sondern hat sich Frömmigkeit und Buße nur angeschwärmt, dann bleibt es trotz der Ausführungen des Medicinalcollegiums möglich, daß sie sich ein Verbrechen eingebildet hat, welches niemals begangen worden ist.

 

Abgesehen von der sehr zweifelhaften Frage, ob dem Geständnis; nach der Persönlichkeit der Angeklagten Glauben beizumessen ist, möchten wir noch auf Folgendes aufmerksam machen: Die Krankheitserscheinungen und der Krankheitsverlauf sind so mangelhaft beschrieben und die Angaben der Angeschuldigten und der zwei Zeuginnen, welche den etc. Kuntze auf seinem Sterbelager gesehen haben, sind so ungenügend, daß daraus auf die Todesursache kein Schluß zu ziehen ist.

Leibschmerzen, Erbrechen, Schmerzen in der Magengegend, mehrere durchdringende Schmerzensschreie, nach dem Tode festgeschlossener Mund, krampfhaft in die Höhe gezogene Knie und geballte Hände, das ist alles, was wir erfahren. Ein Bild von dem Beginn der Krankheit, von ihrer Steigerung, ihren Symptomen und ihren Wirkungen auf den Organismus erhalten wir nicht und es würde geradezu unverantwortlich sein, wollte man aus diesen ganz oberflächlich beschriebenen einzelnen Erscheinungen den Schluß ziehen, daß Kuntze an Arsenikvergiftung gestorben sei. Was uns die Angeklagte, deren Zeugniß überdies mit großer Vorsicht aufzunehmen ist, weil ja erst entschieden werden soll, ob sie eine Mörderin oder sich den Mord nur einbildet, und die Zeugen sagen, hat lediglich eine negative Bedeutung, nämlich die, daß dadurch die Arsenikvergiftung nicht widerlegt wird, daß vielmehr gewisse Symptome, welche hierbei vorkommen müssen, auch an dem verstorbenen Kuntze beobachtet worden sind.

Aber die Hauptsache bleibt doch, daß es unsers Erachtens am Beweise des objectiven Thatbestandes vollständig fehlt. Zunächst steht nicht fest, daß die Angeklagte überhaupt jemals Rattengift besessen hat. Sie will dergleichen von der Witwe Herrmann erhalten haben, aber die Witwe Herrmann erinnert sich nicht daran, und daß deren Schwiegersohn, der Tischler Meyer, die verehelichte Kuntze einmal bei seiner Schwiegermutter gesehen und von seiner Frau gehört hat, sie sei wegen Rattengiftes dort gewesen, ist natürlich kein Beweis. Aber angenommen, die Angeklagte habe von der Witwe Herrmann das gewünschte Mittel bekommen, woher weiß man denn, daß dies Rattengift und daß darin Arsenik war? Die Witwe Herrmann war ja selbst nur eine Mittelsperson. Der Mann, der das Gift zubereitet hatte, der Kammerjäger Tschirsanke, ist längst todt und wenn sein Sohn versichert, sein Vater habe nur Arsenik, nicht Phosphor verwendet und zwar auf eine Portion im Preise von 5 Sgr., die ungefähr den Inhalt eines kleinen Tintenfasses von Glas ausgefüllt hätte, zwei Prisen genommen, so kommen wir dadurch doch nicht über das Feld der Vermuthungen und Möglichkeiten hinaus. Höchstens kann man es hiernach als wahrscheinlich, aber niemals als erwiesen bezeichnen, daß die Angeklagte durch Vermittelung der Witwe Herrmann etwas Rattengift erhalten hat, in welchem sich eine unbestimmte Menge Arsenik befand.

Da aber der Besitz von Arsenik nicht vollkommen festgestellt ist, so konnte auch kein Versuch eines Giftmordes angenommen werden. Hielten indeß die Geschworenen trotz der in diesem Falle sehr schwer wiegenden Bedenken die Angeklagte für zurechnungsfähig und ihr Geständniß für glaubhaft, nahmen sie ferner trotz des äußerst mangelhaften Beweises an, die Angeklagte habe mit Arsenik zubereitetes Gift besessen und solches ihrem Ehemanne eingegeben, so hatte die Verhandlung doch fast nichts dafür erbracht, daß Kuntze auch an Arsenik gestorben sei. Einmal bleibt es höchst problematisch, ob das richtige Grab gefunden worden ist, noch zweifelhafter ist es, ob man die Gebeine des verstorbenen Kuntze aus dem Grabe genommen hat. Denn die Knochen, welche zuerst zu Tage kamen, als man das angeblich richtige Grab öffnete, nahm man nicht, weil sie nicht tief genug lagen und weil sich der Kopf in der Mitte befand. Aber wem gehörten denn diese Gebeine? Warum mußten sie tiefer liegen? Und sind denn Todtengräber vollwichtige Sachverständige in Bezug auf die Frage nach dem Alter und der Lage eines Skelets?

Setzt man sich über alle diese Zweifel weg und sieht man als festgestellt an, daß die Sachverständigen in der That die Überreste des Kuntze und nicht etwa wenigstens zum Theil die einer andern Person untersucht haben, so gehen doch ihre Ansichten über den Befund so auseinander, daß wiederum jede Sicherheit über die Todesart fehlt.

Der Dr. Zinrek hat in den Knochen und in den Holztheilen keinen Arsenik, aber eine ungewöhnliche Menge Phosphorsäure gefunden.

Der Dr. Sonnenschein hat keinen Phosphor, sondern Arsenik entdeckt und zwar nur in den Knochen, nicht in den Erd- oder Holztheilen und nicht in der von den Knochen abgesudeten Masse.

Der Dr. Schneider hat nur sehr geringfügige Objecte untersucht, aus diesen aber keinen Arsenik darzustellen vermocht.

Schon nach diesen Ergebnissen kann man mit demselben Recht behaupten, daß die Gebeine Arsenik, wie daß sie keinen Arsenik enthalten hätten; bewiesen ist weder das eine noch das andere. Aber nun gar die medicinischen Schlüsse! Dr. Zinrek nimmt Tod durch Phosphor-, Dr. Sonnenschein nimmt Tod durch Arsenikvergiftung an, das Medicinalcollegium der Provinz erklärt: Da nur in den Knochen, nicht in dem aus dem Grabe herausgenommenen Sande und den Bretstücken von dem Dr. Sonnenschein Arsenik nachgewiesen worden sei, und da es doch möglich bleibe, daß den Knochen durch aufgefallene Erde oder auf andere Weise Arsenik habe beigemischt werden können, so sei durch die chemische Untersuchung eine Vergiftung nicht nachgewiesen.

Der Dr. Ebert, der Vertreter des ebengenannten Collegiums, führt aus: gerade weil nur in den Knochen, nicht auch in den Erd- und Holztheilen Arsenik enthalten gewesen sei und das Gift in die Knochen nur durch die Circulation des Blutes gelangt sein könne, müsse der Verstorbene den Arsenik genossen haben.

Diese verschiedenen Gutachten sind absolut nicht zu vereinigen, sie stehen sich diametral entgegen und es würde sehr gewagt sein, wenn man in einer Kapitalsache darauf hin einen Giftmord für bewiesen halten wollte. Die Geschworenen sollen freilich nur auf Grund ihrer Überzeugung urtheilen, sie brauchen über die Gründe, durch welche sie bestimmt worden sind, keine Rechenschaft zu geben, aber dies berechtigt sie natürlich nicht, ihre Überzeugung auf völlig unzureichende Grundlagen zu stützen und es würde ihnen mit Recht ein Vorwurf gemacht werden können, wenn sie, wo wissenschaftliche Autoritäten darüber streiten, ob Arsenik oder Phosphor gefunden, ob eine Arsenikvergiftung dargethan ist oder nicht, gewissermaßen ein Obergutachten in letzter Instanz abgeben und aussprechen wollten: ja, es liegt ein Giftmord vor. Wo die Beweise so unzureichend, wo so viele ungelöste Widersprüche vorhanden sind, wo so große Unklarheit und so großes Dunkel herrscht wie in dem vorliegenden Falle, ist nur das non liquet auszusprechen, und jeder Unbefangene wird es billigen, daß der Wahrspruch in dieser Untersuchung Nichtschuldig gelautet hat.


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