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Der Buchbindermeister Ferdinand Wittmann

(Wollin und Posen. Sechsfacher Giftmord.)
1862 bis 1868.

Ende October 1865 zog der Buchbindermeister Wittmann von Wollin nach Posen. In Wollin hatte er seine Buchbinderei nebst allen Werkzeugen verkauft, und in Posen machte er keinerlei Anstalt, ein neues Geschäft zu begründen, trat vielmehr als Rentier auf und ließ sich als solcher auch bei der Polizeidirection anmelden. Seine Wohnung miethete er in der geschäftsstillen, von Rentiers und Beamten sehr gesuchten Berliner Straße und zwar für jährlich 320 Thlr., kaufte zur Einrichtung seiner Zimmer für mehr als 500 Thlr. Möbel und lebte so, daß man ihn für einen sehr bemittelten Mann halten mußte. Er gab Gesellschaften, besuchte fast täglich die öffentlichen Locale und reiste zu seinem Vergnügen in ziemlich weite Ferne. Oft hörte man ihn klagen, daß er in Wollin kein Familienglück gehabt habe, und in der That waren ihm dort drei Frauen und ein Kind aus der ersten Ehe gestorben. Kurz vor seinem Wegzuge aus Wollin hatte er sich zum vierten male verheirathet, aber auch diese Ehe sollte traurig beginnen, denn fünf Tage nach ihrer Einsegnung war sein Stiefkind, ein liebliches Mädchen von fast zwei Jahren, welches ihm von seiner vierten Frau aus deren früherer Ehe zugebracht war, gestorben. Mit großer Zärtlichkeit hatte er das kranke Kind gepflegt, und auch von der Leiche mochte er sich nicht trennen. Er nahm den kleinen Sarg mit nach Posen und ließ ihn daselbst auf dem evangelischen Kirchhofe beisetzen. Selten verging ein Tag, ohne daß er mit seiner Gattin das Grab des Kindes besuchte. Aus seinen frühern Ehen hatte Wittmann nur einen dreijährigen Knaben am Leben behalten, Mitte Juli 1866 wurde ihm jedoch von seiner Ehefrau ein Töchterchen geboren.

Um diese Zeit lief von der Polizeiverwaltung zu Wollin unter der Ueberschrift »zu secretiren« bei der Polizeidirection zu Posen ein Schreiben ein, durch welches die Aufmerksamkeit der letztern auf Wittmann gelenkt wurde. In Wollin war schon längst die große Zahl von Todesfällen in der Wittmann'schen Familie und der rapide Verlauf der Krankheiten auffällig gewesen, man hatte den Bürgermeister der Stadt um Einleitung einer Untersuchung gebeten; der betagte Vorsteher der Stadtgemeinde hatte jedoch den Verdacht nicht ausreichend gefunden, um dem competenten Staatsanwalt zu Kammin eine Anzeige zu machen. Jetzt war ein Wechsel im Amt eingetreten, der neue Bürgermeister, ein junger energischer Mann, ließ sich von den Verdachtsgründen unterrichten, und als sich in Wollin das Gerücht verbreitete, auch die vierte Frau des Wittmann sei kürzlich mit Tode abgegangen, setzte er die königliche Polizeidirection in Posen davon mit dem Zusätze in Kenntniß, alle diese Todesfälle seien um so bedenklicher, weil Wittmann von jeder seiner Ehefrauen erhebliche Vermögensobjecte durch Erbschaft erlangt habe. In Posen ward der Polizeicommissarius des betreffenden Reviers mit den discret vorzunehmenden Recherchen beauftragt; derselbe begab sich unter dem Vorwande einer Nachfrage in Klassensteuerangelegenheiten in die Wittmann'sche Wohnung, fragte nach dem Ergehen der Wöchnerin, von deren Entbindung ihm amtlich Mittheilung zugegangen war, und erhielt die Antwort, daß es der Frau Wittmann recht gut gehe. Der Beamte beruhigte sich bei dieser Antwort, denn er hörte die Bestätigung aus dem Munde der Todtgeglaubten selbst, die sich im Nebenzimmer singend mit ihrem Töchterchen beschäftigte.

Am 19. September 1866 wurde demselben Beamten der Tod der Frau Wittmann polizeilich mit dem Bemerken, daß sie am 18. September an der Cholera gestorben sei, und mit der Bitte von dem Rentier Wittmann angezeigt, zur Vermeidung von Ansteckung die Beerdigung der Leiche schon für den 19. September zu gestatten. Sogleich erinnerte sich der Polizeibeamte des früher gegen Wittmann erhobenen Verdachts, er fragte nach den Einzelheiten des traurigen Ereignisses, und Wittmann erzählte unter vielen Thränen, daß die Verstorbene nur einen Tag krank gelegen habe und daß alle Pflege und Bemühung des Arztes umsonst gewesen. Er überreichte dabei ein von einem praktischen Arzte, dessen Namen wir wol verschweigen dürfen, ausgestelltes Attest, wonach die Frau Wittmann an der Cholera verstorben sein sollte.

Die Cholera trat im Juli und im August 1866 in der Stadt Posen sehr heftig auf. Hunderte von Menschen wurden von der bösen Krankheit hinweggerafft, und scheu mied man das Haus, welches eine Choleraleiche beherbergte. Im September hatte die Epidemie allerdings nachgelassen, aber es wurde täglich doch noch eine Reihe von Todesfällen gemeldet, das Gesuch des Witwers erschien daher wohlbegründet, und für die Zweckmäßigkeit der frühzeitigen Beerdigung fiel noch ein zweiter Erwägungsgrund ins Gewicht: An dem Tage der Meldung sollte in der Stadt Posen ein Fest gefeiert werden, ein Fest, das wie kein anderes einen Widerhall in den Herzen der Bewohner fand. An der Spitze des 5. Armeecorps sollte der ruhmgekrönte Sieger von Nachod, Skalitz und Schweinschädel, der commandirende General Steinmetz, seine siegreichen Truppen in die Stadt Posen führen, und hierbei mußte gerade die Berliner Straße passirt werden. Wenn auch mancher in den Reihen fehlte, der auf blutiger Walstatt gefallen, oder im fremden Lande der Seuche erlegen war, und wenn auch manches Herz fühlte, daß dieser Krieg ihm theuer zu stehen gekommen und das Liebste, was es besaß, gefordert hatte, so überwog doch die eine große, gemeinsame Empfindung des Dankes und der Begeisterung für Führer und Truppen, welche mit verhältnißmäßig kleinen Opfern so Gewaltiges vollendet hatten!

Schon vor der polizeilichen Meldung hatte Wittmann sorglich alle Vorbereitungen zu der schleunigen Beerdigung in Gemeinschaft mit dem ihm bekannten Tapezierer Weimann getroffen, der ihn an dem Todestage aufgesucht, die Nacht bei ihm geschlafen hatte und ihn nun auf seinen Gängen begleitete. Er zeigte beim Prediger Herwig den Tod seiner Frau an, bestellte die Leichenwäscherin, kaufte einen gelblackirten Sarg mit Beschlägen für 16 Thlr., erwarb, als es ihm nicht gelang, neben dem Grabe seines Stiefkindes einen Platz zu bekommen, einen andern und ließ sich sogleich vom Pastor Schönborn die Erlaubniß der Translocation der Leiche des Kindes ausstellen. Am 19. September mittags um 1 Uhr wurde der Sarg gebracht, Wittmann legte seine von der Leichenwäscherin Wolf angezogene Frau mit Hülfe der letztern in den Sarg, weinte und küßte die Todte mehreremal. Seitens der Polizei war man indessen nicht unthätig gewesen. Man erfuhr, daß ein Arzt bei der Krankheit der Frau Wittmann gar nicht zugezogen worden war, daß Wittmann auch die Hülfe seiner Hausgenossen nicht in Anspruch genommen, daß er ihnen im Gegentheil von der schweren Erkrankung erst dann Mittheilung gemacht hatte, als die Leidende bereits bewußtlos war. Man hörte, daß viele Hände im Hause bereit gewesen wären, der Frau Wittmann beizustehen, wenn man nur eine Ahnung von ihrem Zustande gehabt hätte. Entscheidend war endlich eine Aeußerung der Leichenwäscherin Wolf, welche offen erklärte:

»Ich habe viele Choleraleichen gewaschen, aber die Leiche der Wittmann kommt mir doch ganz sonderbar vor, die kann unmöglich an der Cholera gestorben sein.«

Nach diesen Ermittelungen war es dem Polizeipräsidenten von Bärensprung nicht mehr zweifelhaft, daß das Begräbniß zu inhibiren und daß in dem Wittmann'schen Hause nunmehr eingehende Nachforschungen nach den Spuren des anscheinend begangenen Verbrechens anzustellen seien. Damit der Angeschuldigte das nicht vereitelte, wurde er unter dem Vorgeben, über die Beerdigung sei noch eine polizeiliche Rücksprache erforderlich, zur Polizeidirection geführt und dort einstweilen in Haft genommen. Als die Polizeibeamten in seine Wohnung kommen, finden sie den Leichenwagen schon vor der Thür und den Geistlichen anwesend. Sogleich wird die Beerdigung als inhibirt erklärt und die ganze Wohnung versiegelt. Am andern Tage nimmt man eine genaue Durchsuchung der Wohnung vor und findet in ihrem äußersten Winkel, in einer Art von Vorrathskammer, eine verschlossene Kiste aus Kiefernholz. Der Schlüssel dazu fehlt und ist, wie sich später herausstellt, in Wittmann's Besitz. Durch einen herbeigerufenen Schlosser wird die Kiste geöffnet; ihr Inhalt besteht aus Briefschaften, Rechnungen, allerlei andern Papieren, Fläschchen und einer Schachtel mit Vergoldungspulver. Neben und unter diesen Gegenständen liegt sorgfältig in Papier gewickelt ein Stück weißer porzellanartiger Masse, von der Größe einer Kinderfaust, welche der Polizeisergeant Schuster zum Munde führt, um ein Stück abzubeißen und sich durch den Geschmack zu überzeugen, was es ist. Besorgt springt jedoch der Polizeiinspector Eitelt hinzu, verhindert ihn daran und schafft dieses Stück zum Apotheker, welcher nach der chemischen Untersuchung dasselbe als arsenige Säure oder sogenannten weißen Arsenik erkennt und die Masse für groß genug erklärt, um Hunderte von Menschen zu vergiften. An dem Stück Arsenik war, wie man deutlich sah, gekratzt und geschabt. So war denn das erste, schwere, handgreifliche Belastungsmoment gefunden und dem dunkeln Verdacht die erste sichere Grundlage gegeben. Auf Antrag des Staatsanwalts wurde die Section der verstorbenen Frau Wittmann vorgenommen.

Die Erscheinungen bei Choleraleichen unmittelbar nach Eintritt des Todes: auffallend lange Körperwärme, Contraction einzelner Muskeln, vermöge welcher die Extremitäten oft mehrere Stunden nach dem Tode ihre Stellung verändern, sowie die höchst charakteristische Stellung der Extremitäten – hatten hier nicht beobachtet werden können, weil der Todesfall erst am nächsten Tage polizeilich angemeldet worden war. Dagegen fehlten andere charakteristische Merkmale, die sich auch jetzt noch hätten zeigen müssen. Bei Personen, die an der Cholera gestorben sind, pflegt das Gesicht so entstellt zu sein, daß man es kaum wiedererkennt; die Augen sind in ihre von breiten blauen Ringen umgebenen Höhlen tief eingesunken und die Augenlider halb geschlossen; die Nase ist spitz und ragt weit über die Wangen hervor; Fett und alles Zellgewebe in der Umgegend der Muskeln ist völlig geschwunden; die Lippen und Nägel an Händen und Füßen sind dunkelblau, überhaupt ist ein großer Theil der übrigen Körperoberfläche deutlich cyanotisch; die Lungen zeigen einen schnellen und vollständigen Collapsus und eine trockene Beschaffenheit; die schlaffen und schwappenden Dünndarmschlingen haben ein eigenthümliches rosenrothes Aussehen. Eine den Reiswasserstühlen der Cholerakranken ähnliche ungefärbte, mit weißen Flecken gemischte Flüssigkeit findet sich in großen Mengen. Das wichtigste Kennzeichen ist die massenhafte Abstoßung der Schleimhautepithelien, welche der Darmwand unter der Form von schleimigen Fetzen anliegen, oder als jene weißlichen Flecken in dem Transsudate schwimmen.

An der Leiche der Frau Wittmann machte man dagegen folgende Wahrnehmungen: guter Ernährungszustand, kein auffälliger Collapsus der Weichtheile und kein Schwinden des Fettes. Die Augen der Leiche waren geschlossen, Lippen und Zahnfleisch sehr bleich und nirgends cyanotische Färbung, die Lungen waren schwammig und lufthaltig, die Außenfläche der Därme und des Magens hatte eine bleiche Färbung. Weiter war der Magen mit einer ziemlich dünnflüssigen gelbgrünen Masse gefüllt, seine Innenfläche mit einem dicken grünlich-gelben zäh anhaftenden Schleime bedeckt, und die Schleimhaut des Magens in ihrer ganzen Ausdehnung verdickt.

Aus diesem Befunde ergab sich also das Gegentheil von allen vorzüglichen und charakteristischen Erscheinungen der Choleraleichen. Nur in einer Beziehung waltete eine gewisse Aehnlichkeit ob: die Schleimhaut des Darmrohres war aufgelockert, geschwollen und mit blutigen Ekchymosen versehen, und auch bei der Cholera kommen ödematöse Durchtränkungen der geschwollenen und aufgelockerten Darmschleimhaut und nicht selten Blutaustretungen in das Gewebe und auf die freie Fläche der Schleimhaut verbunden mit zahlreichen Ekchymosirungen vor. Allein der Sitz dieser Erscheinungen sind bei der Cholera die tiefern Theile des Dünndarmes, in der Leiche der Frau Wittmann waren dagegen der Magen und der Zwölffingerdarm der Hauptherd. Bei der Section zeigte sich auch, daß diese Entzündungserscheinungen sich nach unten verminderten, während bei den Choleraleichen gerade von dem Dünndarm an gerechnet eine Verringerung der Krankheitserscheinungen auch nach oben wahrgenommen wird.

Hiernach mußte von den Gerichtsärzten das Gutachten dahin abgegeben werden, daß die Frau Wittmann unmöglich an der Cholera gestorben sein könne, dagegen waren dieselben nicht im Stande, aus den Resultaten der Section allein die Todesursache zu erkennen, dazu war eine chemische Analyse erforderlich. Es wurden der Schlund, der Magen, der Zwölffingerdarm, die Dünndärme, die Dickdärme und ein Stück Leber in verschiedene vorher sorgfältig gereinigte Glaskrausen gethan und versiegelt dem Medicinalassessor Reimann zu Posen übergeben.

Der Sachverständige fand im Magen, im Dünndarm, im Dickdarm und in der Leber Arsenik vor. Das Quantum des Schwefelarseniks, welches bei der Analyse des dazu verwendeten Magenstücks von dem Chemiker ermittelt wurde, betrug fast 2 Gran und war einem Quantum von 1½ Gran arseniger Säure oder weißen Arseniks gleich. Da zur Analyse nur der sechste Theil des Magens genommen war, müssen in dem ganzen Magen etwa 9 Gran Arsenik gewesen sein, und da ein Theil des den Körper zugeführt gewesenen Giftes durch Erbrechen und Laxiren bei Lebzeiten ausgestoßen war, ein anderer Theil aber in andere Verdauungsorgane und ein fernerer durch Säfteumlauf sich im ganzen Körper verbreitet hatte, mußte die Verstorbene eine sehr große Quantität Arsenik genossen haben.

Außer diesem Resultat der chemischen Untersuchung und außer den vorerwähnten Wahrnehmungen bei der Obduction war für die Gerichtsärzte bei ihrer Begutachtung noch maßgebend, daß sich bei der Aufschneidung der Leiche ein eigenthümlicher widerlich-süßlicher Geruch bemerkbar gemacht hatte und daß an den innern Häuten des Verdauungsapparats, insbesondere des Magens Anschwellung der Schleimhaut, Blutaustritt, Ekchymosirung und Geschwürbildung vorhanden waren, welche aus der Einwirkung heftig reizender corrodirender Stoffe erklärt werden mußten. Alle diese Beobachtungen gewannen durch die Auffindung des Arsens ihre ungezwungene Erklärung und sonach mußten die Aerzte gutachtlich sich dahin aussprechen:

daß der durch die chemische Analyse in dem Körper der Frau Wittmann vorgefundene weiße Arsenik mit dem Tode derselben in Verbindung stehe wie Ursache und Wirkung.

Weiter war den ärztlichen Sachverständigen die Frage vorgelegt worden:

auf welchem Wege dem Körper der Frau Wittmann das Gift zugeführt sei? und wie lange vor dem Tode es geschehen sein müsse?

Die Gerichtsärzte führten bei der Beantwortung dieser Fragen Folgendes aus:

»Die sogenannte acute Arsenikvergiftung, um welche es sich hier nur handelt, äußert sich entweder

  1. als ein acutes Leiden der Haut, oder
  2. als eine acute Magendarmentzündung, oder
  3. als acutes Hirnleiden, oder endlich
  4. als Arsenikasphyxie.

»Da die Wundfläche nicht entzündet und auf der Haut kein Geschwür gefunden worden ist, so steht fest, daß eine Einwirkung des Arseniks von der Haut aus nicht stattgefunden haben kann. Nicht minder ist jede directe Uebertragung dieses Stoffes in das Blut durch Infusion – oder in den Athmungsproceß in gasartiger Form – ohne weiteres schon wegen des massenhaften Auffindens des Giftes in den Verdauungsorganen abzuweisen. Somit kann die Vergiftung nicht auf den zu a und d angegebenen Wegen stattgefunden haben. Die zu b und c geschilderten Intoxicationsarten kommen nicht immer rein und scharf abgegrenzt vor, sondern gehen bisweilen ineinander über. Sie verbinden sich zum Beispiel, wenn neben der örtlichen Einwirkung auf den Magen und Darm gleichzeitig die Resorption und Ueberführung eines Theils des Giftes in die Blutmassen erfolgt. Im allgemeinen gilt die Erfahrung, daß, je heftiger die Entzündungserscheinungen im Alimentarkanale auftreten, um so weniger rasch Resorption und Uebergang in die Blutmasse erfolgt und umgekehrt. Aus den im Verdauungsapparat der Verstorbenen nachgewiesenen pathologischen Erscheinungen ergibt sich, daß dem Tode der Secirten ein schwerer Krankheitszustand der Verdauungsorgane mit Reizungs- und Entzündungszuständen vorausgegangen ist; und hieraus muß der Schluß gezogen werden, daß die Verstorbene durch eine Magendarmentzündung infolge directen Arsenikgebrauchs unter Aufnahme des Giftes durch den Mund zu Grunde gegangen ist. Allem Anschein nach ist das Hirn von dem zerstörenden Giftstoff ergriffen worden, da Blutstauungen im Hirn stattgefunden haben und da in den zweiten Wegen – und zwar in der Leber – Arsenik in erheblicher Quantität nachgewiesen worden ist, und wenn auch, wie erwähnt, die Aufsaugung und Uebertragung des Giftes in das Blut im umgekehrten Verhältniß zu den örtlichen Entzündungserscheinungen des Magens steht, so schließt dies doch nicht aus, daß von einem Theile der unverletzten Magen- und Darmwände auch in dem vorliegenden Falle eine theilweise Aufsaugung stattgefunden hat.

»Bei Beantwortung der weitern Frage über den Zeitpunkt der Beibringung des Giftes ist zu erwägen, daß arsenige Säure wegen ihrer leichten Löslichkeit schon in Gaben von 1 – 2 Gran, also dem Volumen nach gerechnet in einem Quantum von 1 – 2 Kümmelkörnern, den Tod eines Menschen herbeizuführen im Stande ist. Weiter ist zu berücksichtigen, daß die Gegenwart organischer Stoffe in Flüssigkeiten die Löslichkeit des Arsens steigert, daher die in therapeutischer und forensischer Beziehung wichtige Beobachtung, daß Arsen im verdauenden Zustande weit heftiger wirkt als im nüchternen. Ferner war zu beachten, daß bei dem guten Ernährungszustande der Leiche und ihrer reichlichen Fettbildung der zum Tode im ursächlichen Verhältniß gestandene Proceß nur eine sehr kurze Dauer gehabt haben kann. Wenn nun Arsenik zur Entzündung der Magendarmhäute führt, so pflegen die ersten Vergiftungserscheinungen in der Zeit von 1 bis 2, ja bis 6 Stunden einzutreten und sich als Gefühl von brennendem Schmerz in der Magengegend, von Uebelkeiten. Würgen und häufig wiederkehrendem Erbrechen zu äußern. Wenn der Tod nach dieser Intoxicationsform eintritt, so pflegt dies in der Regel nicht vor einigen Tagen zu geschehen, bei gleichzeitiger Aufsaugung und Uebertragung des Giftes in das Blut kann dieser Ausgang dagegen schon viel früher und selbst in einigen Stunden eintreten, und da die Uebertragung des Giftes in das Hirn anzunehmen und die Verabreichung sehr großer Gaben durch die Analyse dargethan ist, so muß mit großer Wahrscheinlichkeit angenommen werden, daß die Einflößung des Giftes in beträchtlichen Quantitäten nicht viel über 12 – 18 Stunden vor dem Tode stattgefunden haben kann.«

Auf Grund dieses Ausspruchs wurde gegen Wittmann die Untersuchung wegen Mordes eingeleitet. Der Angeschuldigte ist am 11. September 1836 in Koblenz geboren und in Deutsch-Crone in Westpreußen, wo sein Vater Gefangenmeister des Kreisgerichts ist, erzogen worden. Er besuchte die Elementarschule und ein Jahr lang das Gymnasium, dann trat er in die Lehre bei einem Buchbindermeister, wurde 1855 Geselle, arbeitete als solcher in verschiedenen Orten und etablirte sich 1859 als Meister in Wollin. Er verheirathete sich, wie wir bereits erwähnt haben, nacheinander viermal und begrub im Laufe von fünf Jahren vier Frauen und zwei Kinder. Niemals war er wegen der plötzlichen Todesfälle in seinem Hause zur Verantwortung gezogen worden, da ward er, wenige Stunden vor der Versenkung der sechsten Leiche in die Gruft, von dem Arme der Gerechtigkeit ergriffen. Wie die Schauer des Jüngsten Gerichts mußte es ihn durchzittern, als ihm der Aufschub des Begräbnisses und die Verhaftung angekündigt wurde. Jetzt stiegen alle die hingemordeten Opfer aus ihren Gräbern und legten Zeugniß ab gegen den Mann, der so unerhört an Weib und Kind gefrevelt hatte. Aber er war ein Verbrecher mit einer eisernen Stirn. Schnell hatte er den ersten Schrecken niedergekämpft und sich gerüstet zur Verteidigung mit den Waffen der Lüge und der List. Als man ihm die Kiste zeigte, in welcher man den Arsenik gefunden hatte, erklärte er ruhig:

»Die Kiste ist mein Eigenthum, indeß habe ich dieselbe nicht gebraucht, meine Frau hat vielmehr anfangs Kinderwäsche und dann andere Gegenstände darin aufbewahrt. Wenn mir gesagt wird, daß Arsenik in dieser Kiste gefunden sei, so muß ich erwidern, daß ich davon nichts weiß. Ich habe niemals Arsenik besessen, und kenne überhaupt Arsenik nicht. Ebenso wenig weiß ich, wie ein solches Stück Arsenik in die Kiste gekommen ist. Möglich ist es dagegen, daß das Gift von meiner vierten Frau herrührt, denn diese hat mir gesagt, daß sie im Besitze eines Mittels gegen Ratten und Mäuse sei, und daß sie Rattengift von Wollin nach Posen mitgebracht habe. Den Schlüssel zu dem Kasten habe ich allerdings gehabt, doch habe ich ihn erst nach dem Tode meiner Frau mit den andern Schlüsseln an mich genommen.«

Diesen Angaben widersprach der Inhalt jener Kiste, denn nicht ein einziges Stück, was der Frau Wittmann gehörte, war darin aufbewahrt, sondern eine Wittmann gehörige Brieftasche, Papiere, deren Eigenthum er nicht ableugnen konnte, Vergoldungspulver, welches von ihm als Buchbinder gebraucht worden war, und das Arsenik war in Makulatur eingewickelt, die erwiesenermaßen aus seinem frühern Geschäft herrührte.

Aber nicht blos in jenem Behältnisse lag Arsenik, Wittmann trug das Gift sogar bei sich. In seiner Westentasche fand man zwei Papierhülsen mit einem weißen Pulver: die eine enthielt 5, die andere 2 Gran Arsenik. Aus einer Apotheke war es nicht entnommen, denn die Apotheker dürfen Arsenik in Stücken oder Pulvern überhaupt nicht unvermischt abgeben, und dann wird das Gift in einem Mörser gestoßen und mit einem Haarsiebe durchsiebt, sodaß eine feine mehlartige Masse gewonnen wird. Die Wittmann'schen Pulver enthielten dagegen kleine Körner, sie waren augenscheinlich von dem großen Stück abgeschabt.

Der Beschuldigte verlor seine Kaltblütigkeit auch diesem Beweise gegenüber nicht. Er hatte sofort eine unverschämte Lüge bei der Hand: »Am Todestage meiner Frau holte ich ein schwarzseidenes Kleid derselben aus dem Schranke. Ich lehrte die Taschen um und es fiel ein Schnupftuch meiner Frau heraus, in welchem sich zwei Papierchen befanden. Ich legte sie auf den Tisch und steckte sie am andern Morgen, als sie beim Abwischen zu Boden fielen, in die Westentasche, ohne zu wissen, ob und was in den Papieren enthalten sei.«

Daß diese Fabel keinen Glauben verdient, brauchen wir nicht noch besonders hervorzuheben.

Die Untersuchung stellte aber auch ferner fest, daß Wittmann Gelegenheit hatte, sich Arsenik zu verschaffen und mit den Wirkungen dieses Giftes sich vertraut zu machen. Er wohnte im Jahre 1861 in der Nähe einer Apotheke, die an den Apotheker Stuhr in Wollin verkauft wurde. Dieser ließ die Apothekerwaaren, unter denen sich wol auch Arsenik in Stücken befunden haben kann, aus dem Stalle, wo sie aufbewahrt wurden, in seine Officin schaffen, und der Angeklagte half nicht nur dabei, sondern war sogar einige Zeit allein in jenem Stalle. Der Zeuge Lindenstrauß war mit ihm hineingegangen und sah mehrere halbgefüllte Flaschen und etliche mit einem Todtenkopfe gezeichnete, anscheinend gefüllte Düten, auf denen das Wort »Gift« stand. Er sagte zu Wittmann: »Hier kann einem ja bange werden.« Wittmann erwiderte: »Der Fund ist gut, das kann man als Rattengift gebrauchen«, und verweilte, während Lindenstrauß sich entfernte, um dem Apotheker Stuhr Anzeige zu machen, allein im Stalle, bis ein Apothekerlehrling kam, unter dessen Aufsicht die Waaren fortgebracht wurden.

In der schon erwähnten Brieftasche lag ein Recept zur Vertilgung von Ungeziefer, und der Hauptbestandtheil desselben waren 5 Loth Arsenik. Endlich hatte Wittmann nach dem Tode seiner dritten Frau eine Auflösung von Arsenik aus der Apotheke holen lassen, um Fliegen zu vergiften.

Der Angeschuldigte blieb trotzdem dabei, daß er Arsenik nicht kenne. Allein Wittmann hatte auch zwei chemische Werke zum Einbinden längere Zeit in seinem Hause gehabt und konnte sich durch die Lektüre derselben die genaueste Kenntniß dieses Giftes erworben haben.

In dem einen jener Werke, welches den Titel führt: »Ausführliches Lehrbuch der Chemie von Dr. Otto«, ist eine eingehende Darstellung der Eigenschaften und der Wirkungen des Arseniks enthalten. Es wird insbesondere die Wirkung nach der Größe und Form der Dosen erörtert und erwähnt, daß Arsenik in heißem Wasser und andern heißen Flüssigkeiten leicht löslich ist. Auch die Krankheitserscheinungen finden sich abgehandelt, welche nach dem Genusse des Giftes einzutreten pflegen.

Bezeichnend für das Schuldbewußtsein des Angeklagten war, daß er die beiden Bücher nicht gesehen, geschweige denn von ihrem Inhalte Kenntniß genommen haben wollte, er verleugnete sogar seine eigene Buchbinderarbeit, als ihm der Einband vorgelegt wurde, welcher nach dem beschworenen Zeugniß des Apothekers Schmurr von Wittmann eigenhändig gefertigt worden war.

Dieser Zeuge bekundete noch einen andern Umstand, der gleichfalls ein Licht auf die Gedanken und Plane wirft, mit welchen Wittmann sich um jene Zeit getragen haben muß. Er sagt:

»Wenn ich danach gefragt werde, ob Wittmann sich anderweit Kenntniß über die Wirkungen des Arsens verschafft habe, so weiß ich darüber nichts Bestimmtes anzugeben. Ich erinnere mich indeß eines Gesprächs, welches ich etwa um die Zeit, wo die Bücher eingebunden wurden, jedenfalls aber noch vor dem Ableben seiner ersten Frau mit ihm über Gift gehabt habe. Er fragte mich nämlich, ob Vergiftungen noch nach dem Tode nachweisbar seien, und ich habe ihm damals eine im allgemeinen bejahende Antwort gegeben. Ich glaube nicht, daß er mich nach Arsenikvergiftungen und ihrer Nachweisbarkeit gefragt hat, dagegen weiß ganz bestimmt, daß die obige Frage in ihrer Allgemeinheit von Wittmann mir damals vorgelegt worden ist.«

Auch diesem Theil des Schmurr'schen Zeugnisses gegenüber wußte der Angeklagte nur zu erklären:

»Es ist nicht wahr, daß ich mit dem Apotheker Schmurr überhaupt über Gift gesprochen habe, am wenigsten habe ich ihn darüber befragt, ob es nach dem Tode nachzuweisen sei, wenn jemand an Vergiftung gestorben ist.«

Bevor wir zur Darstellung der einzelnen Fälle übergehen, in denen dem Angeschuldigten seine verbrecherische Thätigkeit nachgewiesen werden soll, müssen wir einiges über seinen Lebenswandel und Charakter vorausschicken. Wittmann ward von allen den Meistern, bei denen er als Geselle gearbeitet hat, als ein tüchtiger Mensch bezeichnet. Ebenso hat er in der ersten Zeit seiner Niederlassung als Meister in Wollin durch sein anscheinend solides Wesen, seinen Fleiß und seine Geschicklichkeit das Publikum für sich einzunehmen gewußt, und sein Geschäft ist ein einträgliches gewesen. Nach kurzer Zeit fängt er jedoch an, sein Geschäft zu vernachlässigen, er besucht die Wirthshäuser täglich und kehrt zuweilen erst tief in der Nacht heim. Nachdem er die Bahn des Verbrechens einmal betreten hat, steigert sich der Hang zum Nichtsthun und zum wüsten Leben, Wittmann gilt nun für einen arbeitsscheuen Menschen, der sich von seinen Ehefrauen meist vergeblich zur Arbeit antreiben läßt. Sein Besitzthum vermehrt sich indeß durch Erbschaften, und als er schließlich eine Frau mit einem Vermögen von mehr als 3000 Thlrn. bekommt, legt er sein Handwerk nieder und ergibt sich in einem Alter von kaum 29 Jahren dem Müßiggange völlig.

Sein Charakter wird von seiner Schwiegermutter aus erster Ehe, der Frau Gehm, in Uebereinstimmung mit vielen andern Zeugen als versteckt, habgierig und kalt bezeichnet. Alle seine Ehefrauen klagten über Kälte und Gleichgültigkeit, und alle diejenigen, mit denen er in Erbschaftsfällen concurrirte, wurden theils betrogen, tbeils in zahllose Processe verwickelt. Von einem religiösen Sinn konnte bei einem Menschen wie Wittmann selbstverständlich keine Rede sein. Es war ihm nichts mehr heilig, selbst der Eid nicht, und zu einem Freunde, dem Kupferschmied Volkmann aus Wollin, that er die charakteristische Aeußerung:

»Was wollt Ihr? Es gibt weder einen Gott noch eine Unsterblichkeit, nur dumme Menschen sind es, die noch an eine Fortexistenz der Seele nach dem Tode und an einen Gott glauben!«

Wir schildern nun in chronologischer Reihenfolge die einzelnen Verbrechen des Angeklagten.

I.

Die erste Ehefrau des Angeschuldigten Wittmann hieß Emilie Marie, war die Tochter des in Wollin wohnhaften Arbeitsmannes Gehm und am 17. Januar 1830 geboren, also bei ihrer Verheirathung, die den 16. Februar 1860 stattfand, sechs Jahre älter als Wittmann. Ihre Aeltern waren unvermögend, sodaß sie, als sie kaum erwachsen war, einen Dienst suchen mußte und in dieser Weise sechs Jahre lang bei verschiedenen Herrschaften thätig war. Eine Reihe von Jahren hatte sie dem Buchbindermeister Pirsch in Wollin, einem verkrüppelten und gebrechlichen Manne, die Wirthschaft geführt. Er setzte sie zur Erbin ein, und durch seinen am 1. Januar 1859 erfolgten Tod gelangte sie in den Besitz seines Hausgeräths und seines Handwerkszeugs. Sie war körperlich gesund und genoß bei denen, die sie kannten, das Lob einer sehr thätigen und arbeitsamen Frau.

Wittmann war während dieser Ehe, wie er sagt, aus Rücksicht für seine Gattin, von der katholischen zur evangelischen Confession übergegangen und versicherte: »Ich habe meine Frau, die Emilie, sehr geliebt, habe glücklich mit ihr gelebt und, sie gut behandelt. Das können alle unsere damaligen Hausgenossen bezeugen.«

Aber die Nachbarn, vornehmlich die Witwe Kutscher und der Kahnschiffer Hoffmann, sagten ganz anders aus; sie berichteten, daß die Ehe oft durch die Lebensweise des Buchbindermeisters Wittmann und durch den deswegen entstehenden Streit gestört worden sei.

Am 1. September 1862 wurde Frau Wittmann zum zweiten male entbunden. Die Geburt ging glücklich von statten, und die Wöchnerin befand sich auch in den ersten drei Tagen ganz wohl. Demnächst traten aber heftige Krankheitserscheinungen ein und zwar nach dem Genusse einer Wochensuppe. Diese Suppe war in Gegenwart der verehelichten Inspector Böttcher, welche damals zur Hülfleistung bei Wittmann thätig war, von einer Nachbarin, der verehelichten Schiffszimmergesell Mietz, in die Wittmann'sche Wohnung gebracht worden, und der Angeschuldigte hatte sie seiner Frau gereicht.

Lassen wir hierüber und über die Folgen, welche sich nach dem Genusse der Suppe zeigten, die beiden Zeuginnen selbst reden. Frau Mietz gab an:

»Ich bin in dem Wittmann'schen Hause nur während der Ehe mit seiner ersten Frau gewesen und habe die letztere während ihrer Krankheit einigemal, aber immer nur ganz flüchtig besucht.«

»Bei einem dieser Besuche und zwar wenige Tage nach ihrer zweiten Entbindung habe ich ihr eine Hafersuppe gebracht, die ich auf die gewöhnliche Weise zubereitet hatte, wie sie Wöchnerinnen der Regel nach zu genießen pflegen. Sie war lediglich aus Hafer und Wasser zusammengekocht, und war nur etwas Zucker, Zimmt, ein wenig Butter und etwas Zwieback hinzugethan. Ich trug die Suppe in die Stube, in welcher die Frau Wittmann krank lag, stellte dieselbe auf den Tisch und sagte der Frau Wittmann, daß ihr diese Suppe gar gutthun werde. Sie aß indeß die Suppe nicht sofort, und ich weiß auch nicht, was mit der Suppe geschehen und namentlich von wem die Suppe der Frau Wittmann gereicht worden ist. Ich war eilig und entfernte mich bald. Ob sonst noch jemand in der Wittmann'schen Stube sich befand, als ich die Suppe dorthin brachte, weiß ich nicht mehr. Frau Wittmann lag nach diesem Ereignisse über acht Tage krank, und ich bin noch öfter, aber immer nur auf kurze Zeit, an ihr Krankenbett gekommen. Wittmann klagte, daß seiner Frau die Suppe nicht gut bekommen sei, und äußerte einmal, daß es für ihn das Beste sei, wenn seine Frau stürbe. Ich habe daraus geschlossen, daß dem Wittmann der Tod seiner ersten Frau nicht gerade sehr zu Herzen gegangen ist.«

Frau Böttcher erklärte:

»Ich und Wittmann waren in der Stube zugegen, als die Frau Mietz die hier in Rede stehende Suppe überbrachte. Richtig ist, daß die Frau Mietz sich sofort nach dem Ueberbringen der Suppe wieder entfernte und daß die Frau Wittmanu diese erst etwas später genossen hat. Ich ging in die Küche, um dort häusliche Geschäfte zu verrichten. Als ich wieder in die Stube trat, aß die Frau Wittmann von der ebenerwähnten Suppe, ihr Ehemann hatte sie auf einen Teller gethan und denselben seiner Ehefrau gereicht. Sonst war niemand in der Stube anwesend. In der nächsten Nacht klagte Frau Wittmann über heftige Leibschmerzen und bekam Durchfall. Ob Wittmann in die Suppe während meiner Abwesenheit Gift oder sonst etwas gethan hat, weiß ich nicht. Am andern Tage wollte ich den übriggebliebenen Rest der Suppe essen, Wittmann aber verhinderte mich daran mit den Worten: »Lassen Sie das, wollen Sie von der verfluchten Suppe auch krank werden?«

Schon in den ersten Tagen der Krankheit wurde ein Arzt in der Person des Dr. Wiener zu Wollin zugezogen, der bei seiner gerichtlichen Vernehmung so aussagte:

»Ich habe die erste Frau des Buchbinders Wittmann ärztlich behandelt und zwar in der Zeit vom 3. – 16. September 1862. Ueber Symptome und Verlauf der Krankheit vermag ich nur aus der Erinnerung folgende Momente mitzutheilen. Die Kranke klagte über Schmerzhaftigkeit im Magen und im Unterleibe, die sich beim Druck namentlich in der Gegend der Gebärmutter steigerte. Die Zunge war belegt. Es soll Uebelkeit und Erbrechen dagewesen sein. Der Bauch war aufgetrieben, der Durst groß, das Fieber heftig. Später trat starkes Herzklopfen und Frieselausschlag auf. Die Kranke wühlte häufig im Bette wie blödsinnig herum. Es erfolgte alsdann Collapsus und der Tod. Die angeführten Erscheinungen bestimmten mich, die Krankheit als eine Wochenbettkrankheit und zwar als eine Entzündung der Innenfläche der Gebärmutter zu diagnosiren und die vorhandenen Magen- und Darmerscheinungen, wie Erbrechen und gleichzeitige Diarrhöe, als Complication der genannten Krankheit zu betrachten.«

Dieser Beurtheiluug entsprechend lautete der Todesschein dahin, daß Frau Wittmann am Weißen Friesel gestorben sei. Die Leiche wurde ausgegraben, und wir halten es für angemessen, bei diesem ersten Falle das über diesen Act aufgenommene Protokoll seinem wesentlichen Inhalte nach mitzutheilen. Das Gericht begab sich unter Zuziehung der Gerichtsärzte am 29. April 1867 auf den evangelischen Kirchhof in Wollin. Hier erklärte zuvörderst der Todtengräber:

»Ich führe ganz genaue Register über die Gräber der beerdigten Personen und kann demnach mit der größten Bestimmtheit das Grab der ersten Wittmann'schen Frau bezeichnen. Es befindet sich an der linken Seite vom Haupteingange des Kirchhofes in der zweiten großen Reihe und zwar ist es der erste Hügel in der bezeichneten Reihe vom frühern alten Zaune, jetzigen neuen Steige an. Dieser Hügel zeichnet sich durch seine Größe aus und deckt nicht allein die Leiche der ersten Wittmann'schen Frau, sondern auch die Leiche der zweiten Frau und eines Wittmann'schen Kindes erster Ehe. Der Sarg des Kindes ist weiß angestrichen und steht zwischen den beiden großen Särgen. Der Sarg der ersten Frau ist der zweite vom Hauptsteige an gerechnet.«

Hierauf begab man sich an das beschriebene Grab. Dasselbe unterschied sich von den benachbarten Gräbern durch die auffallende Größe seines Hügels. Nachdem der Todtengräber und mit ihm übereinstimmend mehrere Zeugen erklärt hatten, daß dieses das Grab der ersten beiden Wittmann'schen Frauen und eines Kindes erster Ehe des Wittmann sei, wurde zur Aufgrabung des Grabhügels geschritten.

Man fand zwei große schwarze Särge und einen kleinen weißen Sarg. Derjenige Sarg, welchen die Zeugen als den der ersten Wittmann'schen Ehefrau recognoscirten, wurde aufgehoben, in das Krankenhaus geschafft und geöffnet.

In dem Sarge, welcher mit Hobelspänen und Heu ausgefüllt war, liegt eine Leiche weiblichen Geschlechts, 4 Fuß 10 Zoll lang und von ebenmäßigem Gliederbau. Auf dem Kopfe befinden sich Spuren einer Haube, um den Hals ist ein fast zwei Zoll breites, gelb gewordenes seidenes Band gebunden. Den Körper umschließt ein grau und schwarzes Kleid, unter demselben bemerkt man Fetzen eines leinenen Hemdes. Die Füße sind bis zum Knie mit weißen, hier und da gelb und braun gewordenen Strümpfen bekleidet.

Der Leichnam ist wenig in Verwesung übergegangen, vielmehr vertrocknet und ganz geruchlos. Die Haut zeigt sich überall lederartig und mumienhaft trocken, die Eingeweide der Bauchhöhle sind von Würmern nicht angegriffen und haben dieselbe lederartige Beschaffenheit, ebenso das zusammengetrocknete Herz. Die Organe im Innern, der Bauch und die Brusthöhle sind genau erkennbar. Das Herz, die Lungen, der Magen, der Darmkanal und die Leber werden aus der Leiche genommen und in Glaskrausen gethan, welche man gehörig verschließt und versiegelt. Auch das Gehirn ist nicht verwest, sondern zu einer trockenen braunen Masse zusammengeschrumpft.

Schon auf Grund dieses Befundes konnten die medicinischen Sachverständigen den Thatbestand der Arsenikvergiftung als wahrscheinlich hinstellen. Um Gewißheit hierüber zu gewinnen, war jedoch die chemische Analyse erforderlich.

Dieselbe wurde auch in diesem Falle durch den Medicinalassessor Reimann in Posen bewirkt. Der Chemiker fand im Magen, im Darmkanal, ferner in der Leber und im Herzen eine beträchtliche Menge Arsenik.

Auf Grund dieser Ermittelungen erklärten die Gerichtsärzte, daß der in den Eingeweiden der ersten Wittmann'schen Ehefrau vorgefundene Arsenik die Ursache des Todes gewesen sei. Aus der Auffindung des Giftes in den Verdauungsorganen, im Herzen und in der Leber zogen sie den Schluß, daß das Gift der Frau Wittmann bei Lebzeiten beigebracht und daß es von ihr durch den Mund verschluckt sein müsse.

Als dem Angeklagten diese fast überwältigenden Beweise vorgelegt wurden, gab er kaltblütig zur Antwort:

»Ich will nicht bestreiten, daß der große Grabhügel, wie ihn der Todtengräber dem Gerichte zu Wollin an der linken Seite des Kirchhofes dicht an dem neuen Steige nachgewiesen hat, das Grab meiner ersten beiden Frauen und meines Sohnes Johannes birgt. Ich weiß auch, daß meine erste Frau vom Hauptsteige an gerechnet die zweite Stelle in der gemeinsamen Gruft innehat, und es wird wol die richtige Leiche sein, welche man da ausgegraben hat. Wenn aber in ihrem Leichnam Arsenik gefunden worden ist, so vermag ich das nicht zu erklären. Ich habe meine Frau liebgehabt und schmerzlich um sie getrauert, und meiner Seele ist der Gedanke, ihr Gift einzuflößen, fern gewesen.«

»Der Zeit ihrer Entbindung vermag ich mich sehr wohl zu erinnern, es war das der 1. September 1862, ich weiß auch, daß sie drei Tage nachher des Nachts an Leibschmerzen erkrankt ist und daß sie am Tage zuvor eine Wochensuppe gegessen haben soll, welche ihr die Frau Mietz gebracht hat. Ich habe ihr diese Suppe nicht zum Essen gegeben, ich habe das Gefäß vielmehr gar nicht in der Hand gehabt, worin sich die Suppe befunden hat, ich bin auch gar nicht im Zimmer gewesen, als meine Frau von der Suppe gegessen, habe vielmehr während der Zeit auf dem Flur gearbeitet. Es kann wol sein, daß meiner Frau die Suppe schlecht bekommen ist, aber sie ist ja nicht an Arsenik, sondern am Weißen Friesel gestorben, das hat mir der Dr. Wiener, den ich gleich zugezogen habe, nach ihrem Tode gesagt, und so steht es auch im Todtenschein. Wenn in der Suppe etwas Schädliches gewesen ist, dann muß es die Mietz oder die verehelichte Böttcher hineingethan haben, die Böttcher hatte dazu auch gute Gelegenheit, denn sie hat den Teller geholt, auf welchen die Suppe gefüllt worden ist. Wenn die Böttcher sagt, daß sie die Suppe hätte kosten wollen und daß ich sie davon abgehalten hätte, so ist das eine grobe Unwahrheit. Ebenso ist es unrichtig, wenn die Mietz gesprochen, daß ich zu ihr gesagt haben soll: ›Für mich ist es das Beste, wenn meine Frau stirbt.‹«

Wittmann besaß ursprünglich kein Vermögen, es war ihm erst durch ein Darlehn der Witwe Harder, einer Tante seiner ersten Frau, gelungen, die Mittel zur Ablegung seiner Meisterprüfung zu erlangen. Seine Frau hatte, wie wir wissen, ihre Wirthschaftssachen und das Handwerkszeug, mit welchem Wittmann seine Buchbinderei betrieb, durch Erbschaft von dem alten Pirsch erworben, und Pirsch war am Neujahrstage 1859 plötzlich in Wollin gestorben, nachdem Wittmann tags zuvor dort zum Besuch angekommen war. Die Witwe Harder starb ebenfalls sehr schnell, nachdem sie testamentarisch Wittmann's Frau und deren Schwester, die unverehelichte Ulrike Gehm, zu Erbinnen eingesetzt hatte. – Noch jetzt erzählt man sich in Wollin, daß die beiden alten Leute vor ihrem Todeskampfe über heftige Schmerzen im Unterleibe und über große Angst geklagt hätten. Durch die Resultate der Untersuchung wurde im Volksmunde der Glaube zur Gewißheit, daß auch diese beiden Erblasser der Habgier des Angeschuldigten zum Opfer gefallen seien, und daß er an ihnen das Gift zuerst probirt habe. Die Behörden sind auf diese Fälle nicht näher eingegangen, sie haben sich begnügt, dem Angeklagten die Ermordung seiner vier Frauen und zweier Kinder nachzuweisen. Wir müssen indeß die Erbstreitigkeiten, welche nach dem Ableben der Witwe Harder entstanden, mit einigen Worten erwähnen, weil sie die Habsucht und das betrügerische Wesen Wittmann's kennzeichnen. Das Vermögen der Verstorbenen bestand hauptsächlich in Forderungen im Gesammtbetrage von etwa 300 Thlrn. Wittmann übernahm bereitwillig die Mühe, diese Forderungen einzukassiren, und man überließ ihm als dem Gewandtesten und Lebenserfahrensten der Familie gern das Geschäft. Allein als die Gelder eingezogen waren, vertheilte er dieselben nicht, es entstanden heftige Streitigkeiten und es kam zu Processen. Wittmann ging aus denselben als Sieger hervor, aber nur dadurch, daß er mehrere sehr bedenkliche Eide schwor und in einem Falle einen Schuldschein auf die Seite brachte, welcher ein gefährliches Beweismittel gegen seinen Anspruch war. Außer einigen alten Kleidern erhielt die Miterbin Ulrike Gehm nichts von der Harder'schen Erbschaft.

Der Streit um das Mein und Dein hatte die Frau Wittmann mit ihrer Schwester und ihren Aeltern so verfeindet, daß sie sich nicht mehr besuchten. Auch als die Nachricht von der schweren Erkrankung der Frau zu den Ohren der Familie Gehm gelangte, war der Vater nicht zu bewegen, das Haus seines Schwiegersohnes zu betreten. Nur die Mutter machte sich auf, um sich mit ihrer im Sterben liegenden Tochter auszusöhnen, aber der Schwiegersohn wies sie ab unter dem Vorwande, daß der Arzt jede Aufregung streng verboten habe.

Nach dem Tode seiner Frau fiel dem Buchbindermeister Wittmann in Gemeinschaft mit seinen Kindern das gesammte Vermögen derselben zu, außerdem bekam er noch ein Kapital, auf dessen Erwerb er hauptsächlich speculirt zu haben scheint. Er hatte bereits am 22. October 1860 sein und seiner Ehefrau Leben bei der Lebensversicherungsgesellschaft Germania auf die Höhe von 250 Thlrn. versichert und die Prämie für diese Versicherung nur bis zum 22. October 1862 bezahlt. Die Auszahlung des Kapitals erfolgte am 27. September 1862 auf Grund eines von dem Dr. Wiener ausgestellten Attestes, in welchem ein Puerperalfieber als die Todesursache bezeichnet wurde.

Ueber den an sich auffälligen Umstand, daß er in so jungen Jahren und bei ungünstigen Vermögensverhältnissen das Leben seiner Frau versichert hatte, konnte Wittmann keine genügende Aufklärung geben. Denn seine Behauptung, die verstorbene Ehefrau habe dies so gewollt, erschien nicht glaubhaft, und das Anführen, der Agent der Gesellschaft habe ihn dazu aufgefordert, wurde von dem letztern in Abrede gestellt. Als er vor Eingehung der zweiten Ehe ein Inventarium des Nachlasses errichten mußte, erwähnte er das Kapital von der Lebensversicherung nicht und bestärkte dennoch die Richtigkeit des Inventariums eidlich. Von dem Untersuchungsrichter über seine Vermögensverhältnisse beim Tode der ersten Frau vernommen, verschwieg er die Auszahlung des Geldes wiederum, und es wurde dieser Umstand erst durch die Ermittelungen der Polizeiverwaltung zu Wollin festgestellt.

II.

Einige Zeit nach dem Ableben seiner Frau brachte Wittmann seinen am 4. November 1860 geborenen Sohn Johannes, das älteste seiner beiden Kinder, bei der verehelichten Maler Wittmann in Wollin unter; das jüngste Kind wollte er bei einer verrufenen Familie in Pflege geben, auf die Vorstellung seines Hauswirths that er es jedoch zu dem Arbeiter Breihahn. Am 31. Januar 1863 beauftragte er seine Aufwärterin Bertha Benther, seinen Sohn Johannes zu holen; er gab ihr einen Krug mit gekochter Chocolade, den sie dem Knaben reichen sollte. Die Benther nahm das Kind auf den Schos, überzeugte sich durch Eintauchen der Lippen, daß die Chocolade nicht zu warm war, und ließ es dann trinken. Der kleine Johannes leerte den Krug und wurde gegen Abend auf seines Vaters Geheiß zu seiner Großtante zurückgetragen. Der Knabe, der den Tag über noch vergnügt mit andern Kindern gespielt hatte, sah schon bei der Rückkehr sehr blaß aus und lehnte den Kopf an die Schulter der Benther.

Als sie mit ihm in die Wohnung der verehelichten Wittmann kam, mußte er sich übergeben, alsbald trat auch Durchfall ein, und das Kind warf sich stöhnend hin und her. Der in der Nähe wohnende Sanitätsrath Dr. Schmurr, welcher noch am 31. Januar zugezogen wurde, nahm außer Brechreiz und Durchfall krampfhafte Erscheinungen an Armen und Beinen sowie ein starkes Eingezogensein des Unterleibes, verbunden mit einer großen Angst wahr. Die von dem Arzte gegen das Erbrechen und die Diarrhöe angewendeten Mittel halfen nicht, im Gegentheil verschlimmerte sich der Zustand auffallend schnell, die Extremitäten wurden blau und kalt, und bereits am 2. Februar, morgens 7 Uhr, starb das Kind.

Dr. Schnurr hatte die Krankheit für einen Brechdurchfall gehalten, aber in dem Todtenscheine heißt es: der Knabe sei an der Halsbräune gestorben. In Wahrheit ist er jedoch ebenso wie seine Mutter durch Arsenik vergiftet worden.

Die Leiche wurde ebenfalls wieder ausgegraben, sie war mehr zerfallen als verwest und völlig geruchlos, die Hautbedeckungen hatten eine dunkelbraune, lederartige Beschaffenheit.

Von den Eingeweiden der Bauchhöhle war nur noch die Leber zu unterscheiden, sie zeigte sich vertrocknet, von fester Beschaffenheit und hatte eine lederartige Farbe. In den beiden Untersuchungsobjecten, welche der chemischen Analyse unterworfen wurden: in der Leber und in den Resten der Eingeweide, ward Arsenik, wenn auch nicht in großer Quantität, doch in so genügender Menge gefunden, daß man mehrere Arsenikspiegel erhielt. Auf Grund dieses Befundes, mit Rücksicht auf die erwähnten, von den Zeugen bekundeten Krankheitserscheinungen und nach den Wahrnehmungen bei der Obduction der Leiche wurde das Gutachten von den Gerichtsärzten dahin abgegeben, daß Johannes Wittmann durch Arsenik um das Leben gebracht, und daß dieses Gift etwa 36 Stunden vor dem Tode durch Verschlucken in den Körper gedrungen sei.

Wittmann erklärte auf Vorhalt dieser Resultate:

»Mein Sohn Johannes ist, während er bei der verehelichten Maler Wittmann in Pflege war, allerdings in meiner Wohnung gewesen, aber nur einmal, auch habe ich das Kind nicht holen lassen. Der nähern Umstände entsinne ich mich nicht, ebenso wenig, ob das Kind bei mir etwas genossen hat, bestimmt aber weiß ich, daß ich selbst dem Kinde weder Chocolade noch sonst etwas, am wenigsten Schädliches gegeben habe oder habe reichen lassen. Chocolade ist damals in meiner Wohnung nicht gekocht worden; ich selbst verstehe deren Bereitung nicht. Woran das Kind, bei dem ich die letzte Nacht vor dem Tode gewacht habe, erkrankt ist, weiß ich nicht, habe aber immer geglaubt, daß es an der Halsbräune gestorben sei. Der früher ganz gesunde Knabe hat überhaupt während der Zeit, wo er bei der Frau Wittmann in Pflege gewesen ist, gekränkelt, und an dem Tage seiner letzten Erkrankung war er gar nicht in meiner Wohnung.«

Hiermit im Widerspruch versicherten die verehelichte Maler Wittmann und eine zweite Zeugin, die unverehelichte Luise Hartmann, daß der Knabe bis zum 31. Januar 1863 wohl und munter gewesen sei, beide und die Bertha Benther wissen, daß der Besuch bei dem Angeschuldigten an jenem Tage stattgefunden hat, die Benther hat mit eigenen Augen gesehen, daß Wittmann den Krug mit der Chocolade gebracht hat.

Als der Angeschuldigte an dem Tage der Erkrankung in die Wohnung der verehelichten Maler Wittmann gerufen wurde, räumte er ein, dem Kinde Chocolade gegeben zu haben, behauptete aber wahrheitswidrigerweise, daß der Knabe sich schon in seiner Wohnung übergeben habe.

Wittmann suchte das Zeugniß der Benther dadurch zu entkräften, daß er angab, sie sei zur Zeit der Erkrankung des Kindes bei ihm gar nicht mehr Aufwärterin gewesen, vielmehr habe die Tochter des Schuhmachers Hartmann diese Dienste verrichtet. Indeß auch diese Ausrede wurde widerlegt, die unverehelichte Hartmann sagte aus:

»Ich habe allerdings nach dem Tode der ersten Ehefrau Aufwärterdienste bei Wittmann geleistet, jedoch ist dies nur 14 Tage lang geschehen, weil ich alsdann wegen der mir von Wittmaun gestellten unzüchtigen Anträge das Haus desselben gemieden habe. Bestimmt weiß ich, daß das Kind erst mehrere Wochen, nachdem ich den Dienst aufgegeben hatte, gestorben ist.«

Hiernach war es kaum noch zweifelhaft, daß der entmenschte Vater seinem Sohne den giftigen Trank gereicht hatte. Und auch der Beweggrund zu der schrecklichen That war klar. Durch den an seiner Frau verübten Mord hatte er sich in den Besitz ihres Vermögens gesetzt, aber noch lebten die Kinder, mit denen er theilen mußte, die Kinder, welche ihm vielleicht bei Schließung eines neuen Ehebündnisses im Wege standen, und kaltblütig mischte er schon nach wenigen Monaten dem ältesten Knaben den Giftbecher. In der langen Reihe seiner Verbrechen ist dieses das ruchloseste. Unter das eigene Dach läßt er den frischen blühenden Sohn führen, unter der heuchlerischen Maske einer besondern Zärtlichkeit bereitet er ein Getränk, das Kinder am liebsten zu trinken pflegen, er schüttet das Gift hinein, dessen Wirkung er bereits erprobt hat, und als das arme unschuldige Opfer in seinen Schmerzen und Qualen sich krümmt, sitzt er die Nacht über am Bettchen und beobachtet, wie das junge Leben allmählich erlischt!

III.

Bereits am 15. Juni 1863 verheirathete sich Wittmann zum zweiten male mit Charlotte Auguste Höhn, der jüngsten Tochter des Tischlermeisters Höhn in Deutsch-Crone. Die Frau zeichnete sich durch Herzensgüte, durch ein sanftes und anspruchsloses Wesen sowie durch eine stille und häusliche Lebensweise aus. Wittmann lebte mit ihr in einer anscheinend nicht unglücklichen Ehe, aber schon im October erkrankte die an sich schwächliche Frau und mußte von da ab fast unausgesetzt das Bett hüten. Die Krankheit äußerte sich in einem mit starkem Auswurf verbundenen Husten, in Schmerzen im Magen, Diarrhöe und wiederholt eintretendem Erbrechen, endlich in viel Durst und kalten geschwollenen Füßen. Das, was sie beim Erbrechen von sich gab, hatte stellenweise eine grünlich-blaue Farbe.

Der behandelnde Arzt Dr. Wilm hielt die Krankheit für ein gastrisches Fieber und traf danach seine Anordnungen. Die Pflege der Kranken wurde von dem Angeschuldigten selbst und der damals 13 Jahre alten Emilie Herr besorgt, welche seit Michaeli 1863 bei Wittmann in Dienst stand. Von der letztern wurden die Speisen und Getränke gekocht, zuweilen übernahm dies aber auch der Angeklagte, und in andern Fällen wurden der Kranken von der verehelichten Maler Wittmann und der Hauswirthin, verehelichten Kahnschiffer Hoffmann, Speisen gebracht.

Die Kranke pflegte eine Abkochung von Thee zu trinken, den Wittmann ihr gab oder geben ließ, obgleich sie behauptete, daß sie ihn nicht vertragen könne. Am 22. December hatte sie zu Mittag zwei Kaulbarsche gegessen, welche die verehelichte Kahnschiffer Hoffmann ihr brachte. Als bald darauf der Dr. Wilm erschien, fand er sie leidlich wohl, sodaß er den Genuß der Fische nicht misbilligte.

Am Nachmittage wurde Wollin von einem heftigen Gewitter heimgesucht; etwa eine Stunde zuvor ließ Wittmann seine Ehefrau wieder jenen Thee trinken. Bei der Bereitung war er diesmal insofern thätig, als er den Thee in den dazu gewöhnlich gebrauchten Topf schüttete, Wasser daraufgoß und das Gefäß der Emilie Herr übergab, um dasselbe zum Kochen ans Feuer zu setzen. Die Herr stellte einige Zeit nachher den gekochten Thee in die Stube auf den Tisch und der Angeschuldigte gab ihn seiner im Bett liegenden Ehefrau.

Nachdem das Gewitter vorüber war, wurde von den Wittmann'schen Eheleuten Kaffee getrunken. Die Emilie Herr hatte denselben in der Küche gekocht. Wittmann nahm ihr die Kanne ab und reichte seiner Ehefrau eine Tasse voll, er selbst trank aus einer andern Tasse. Bald darauf verließ Wittmann auf kurze Zeit die Wohnung, um, wie er sagte, bei einem in dem benachbarten Dorfe Hagen wohnenden Bäcker zum Weihnachtsfeste Kuchen zu bestellen. Während seiner Abwesenheit blieb Emilie Herr bei der Kranken, die letztere genoß nichts mehr, namentlich nicht von dem vorerwähnten Thee. Nach der etwa um 5½ Uhr nachmittags erfolgten Heimkehr des Angeschuldigten kamen die verehelichte Maler Wittmann und die verehelichte Hoffmann, um sich nach dem Befinden der Kranken zu erkundigen. Die Frau Wittmann äußerte auf die an sie gerichteten Fragen: »Es geht mir ganz gut und ich werde nun bald alles essen können, nur das Gewitter heut hat mir eine so heftige Erschütterung gemacht.« Sie unterhielt sich mit den Frauen noch über andere gleichgültige Dinge, plötzlich aber stieß sie die Hände von sich, holte tief Athem und verschied.

Wittmann heuchelte eine tiefe Traurigkeit, er schickte den Sohn seines Hauswirths, den Schiffer Georg Hoffmann, schnell zu dem Dr. Wilm und ließ, als dieser nicht getroffen wurde, durch den Sanitätsrath Dr. Schnurr Wiederbelebungsversuche anstellen, die jedoch fruchtlos ausfielen. Dr. Schnurr und der später hinzukommende Dr. Wilm nahmen an, daß die Verstorbene durch eine Nervenlähmung infolge des Schreckens über die plötzlichen schweren Donnerschläge gestorben sei.

Auch die Leiche der zweiten Wittmann'schen Ehefrau wurde aus der Ruhe des Grabes herausgerissen, um gegen ihren Mörder zu zeugen. Man fand wiederum die charakteristischen Merkmale: völlige Geruchlosigkeit und lederartige Beschaffenheit der zusammengeschrumpften Haut. Von den Eingeweiden der Bauchhöhle war nur ein Stück Leber erhalten, die andern bildeten eine feste schwarzbraune Masse. In der Brusthöhle waren nur noch Ueberreste der Lungen erkennbar. Diese Lungentheile und das Stück Leber wurden in Posen chemisch analysirt und überall fand man Arsenik. Die Gerichtsärzte zogen aus diesem Befunde, den Wahrnehmungen bei der Obduction und der Geschichte der Krankheit den bestimmten Schluß, daß die zweite Frau des Angeschuldigten durch Arsenik gestorben sei, der durch Verschlucken in ihren Körper gelangt sein müsse. Ihrer Ansicht nach ist es wahrscheinlich, daß ihr während der Krankheit zunächst kleinere Gaben von Arsenik und kurz vor dem Tode eine größere Dosis beigebracht worden ist.

Wittmann behauptete, von der Todesursache nichts zu wissen, er sagte:

»Ich habe allerdings mit der Emilie Herr die Pflege meiner zweiten Ehefrau in ihrer Krankheit besorgt, ihr auch zuweilen Speisen und Getränke verabreicht. Jedoch ist dies in der Regel von der Emilie Herr geschehen. Meiner Frau habe ich wenige Stunden vor ihrem Tode keine Getränke gegeben, ebenso wenig jemals für dieselbe Speisen oder Getränke bereitet.«

Die zweite Ehefrau hatte dem Angeschuldigten bei Eingehung der Ehe 400 Thlr. eingebracht. Außerdem besaß sie Wäsche und Betten. Um diese Erbschaft nicht mit ihren Blutsverwandten theilen zu müssen, hatte er sie eine Woche vor ihrem Tode zur Errichtung eines wechselseitigen Testaments bestimmt, in welchem beide Eheleute sich gegenseitig zu Universalerben einsetzten. Daß dies auf Andringen Wittmann's geschehen war, geht aus einem Gespräche hervor, welches die Frau Wittmann wenige Tage vor ihrem Tode mit dem Kahnschiffer Hoffmann führte. Der Zeuge sagte zu ihr:

»Ich habe gehört, liebe Frau Wittmann, daß Sie den Herrn Richter Rosenow und den Actuarius haben holen lassen, um Ihr Testament zu machen. Glauben Sie denn wirklich, daß Sie sterben werden?«

»Ach«, entgegnete sie, »mein guter Herr Hoffmann, wenn Sie wüßten, welche furchtbaren Schmerzen ich im Magen habe, wie das brennt und frißt, so würden Sie mir glauben, daß ich wünsche, es möchte bald zu Ende gehen. Ich habe schon ganz geschwollene Füße, das Gericht habe ich indeß nicht holen lassen.«

»Aber die Herren vom Gericht waren doch heute Vormittag hier!«

»Ja«, lautete die Antwort, »mein Mann hat es schon immer gewollt, und heute hat er in der Stube zu der Emilie gesagt, sie möchte hingehen und den Herrn Kreisrichter holen. Ich bin ganz still gewesen, aber die Emilie mußte gleich hingehen.«

»Wenn Sie nun Ihr Testament gemacht haben«, sagte Hoffmann, »so haben Sie doch wol dabei an Ihren alten Vater gedacht, denn Sie erzählten mir ja früher, daß Ihr Vater sein Haus verkauft und dabei 150 Thlr. als zukünftiges Erbtheil für Sie habe eintragen lassen, daß es ihm aber schlecht gehe und er die Zinsen davon bei Lebzeiten nicht entbehren könne.«

»Ja«, erwiderte die Frau Wittmann, »das weiß ich alles. Ich habe ja keine Kinder und neben meinem Vater manchen armen Verwandten, den ich hatte bedenken können, aber mein Mann hat mir so zugesetzt, daß ich das Ganze ihm habe vermachen müssen. Dafür hat er mir aber auch versprochen, daß er für meinen Vater und meine Schwester sorgen will, wenn es ihnen einmal schlecht geht.«

Mit dieser Hoffnung starb die Unglückliche. Wie sie von ihrem Manne um ihr Leben betrogen war, so wurden auch ihre letzten Wünsche getäuscht, denn Wittmann streckte, anstatt aus dem Nachlasse den armen Verwandten mitzutheilen, seine habgierige Hand sogar nach deren Vermögen aus und suchte ihnen in verschiedenen Processen einen Theil davon streitig zu machen.

IV.

Kaum waren drei Monate nach dem Tode seiner zweiten Ehefrau verflossen, so verheirathete sich Wittmann zum dritten male und zwar am 1. April 1864 mit der unverehelichten Auguste Kornitzki. Sie war bis Michaeli 1862 bei dem Rittergutspächter von Klaeden auf Chwalkowo bei Gnesen Wirthin gewesen, hatte demselben außerehelich zwei Kinder geboren, und als Abfindung die Summe von 1000 Thlrn., eine große Menge Möbel, Betten und Wäsche im Werthe von etwa 500 Thlrn., und schon vorher ein kleines Haus mit einem Stück Land erhalten. Auguste Kornitzki galt daher für eine gute Partie. Sie lebte in Jastrow bei ihrer Mutter. Eines Tages wurde ihr von dem Tuchscherermeister Wrasse der Angeklagte zur Heirath in Vorschlag gebracht. Wittmann kam bald darauf selbst nach Jastrow, verlobte sich mit der sechs Jahre ältern Auguste Kornitzki und vier Wochen später fand die Hochzeit statt. Die Ehe war von Anfang an eine unglückliche. Die Frau hatte einen sehr heftigen, aufbrausenden Charakter; Wittmann ging fast alle Abend in die Wirthshäuser, und kam erst tief in der Nacht heim; er unterließ diesen Besuch auch nicht in Krankheitsfällen der Frau, und da er überdies eigenmächtig über ihr Vermögen disponirte, kam es zwischen den Eheleuten häufig zu Streit und Zank, der nicht selten sogar in Thätlichkeiten ausartete.

Bis zum Winter 1864 auf 1865 war Frau Wittmann gesund und kräftig, vom 22. Februar bis zum 30. März 1865 aber litt sie an einer Krankheit, welche von dem Dr. Wilm für ein gastrisches Fieber gehalten wurde.

Am 24. Juli 1865 erkrankte sie von neuem und der Arzt erklärte das Leiden für eine sporadische Cholera. In beiden Fällen klagte Frau Wittmann vornehmlich über Erbrechen und Diarrhöe, verbunden mit Leibschmerzen.

Am 31. Juli 1865 wurde sie von einem todten Kinde entbunden, welches schon einige Tage zuvor im Körper der Mutter abgestorben war. Die Wöchnerin befand sich leidlich wohl, obgleich sie durch die frühern Krankheiten geschwächt und die Geburt eine schwere gewesen war.

Am Nachmittage des 1. August 1865 trat jedoch bei ihr, und zwar einige Stunden nach dem Genusse einer Hafersuppe, ein heftiges Unwohlsein ein. Die Suppe war ihr von der verehelichten Kürschnermeister Müller, in deren Hause die Wittmann'schen Eheleute damals wohnten, gebracht worden, nachdem die Hebamme Franke eine solche als die geeignetste Wochensuppe bezeichnet hatte.

Ueber die Verbreitungsweise und die Verabreichung dieser Suppe sagte die Frau Müller Folgendes aus:

»Am Tage nach der Entbindung der Frau Wittmann brachte ich ihr eine Hafersuppe, die, wie man dergleichen leichte Suppen gewöhnlich zu bereiten pflegt, mit etwas Butter und Zucker abgekocht war.

»Von dieser Suppe habe ich selbst der Frau Wittmann zwei Teller verabreicht, und den Rest dem in der Stube anwesenden Angeschuldigten mit den Worten übergeben: ›Wenn Ihre Frau Appetit hat, dann lassen Sie sie noch etwas von der Suppe essen.‹ Hierauf habe ich mich entfernt.«

»Ob Wittmann seiner Ehefrau späterhin noch Suppe gereicht hat, weiß ich nicht. Etwa fünf Stunden nachher rief er mich mit dem Bemerken, daß seine Frau plötzlich erkrankt sei und stets breche und laxire, und daß sie weiter nichts als meine Suppe genossen habe. Ich begab mich in die Wittmann'sche Wohnung und fand die Kranke sehr leidend. Sie theilte mir mit, daß sie die Suppe vollständig verzehrt habe, und daß nichts davon übriggeblieben sei. Ihr Mann muß ihr den Rest der Suppe selbst gegeben haben, da eine andere Person sich nicht in der Wohnung befunden hat, die Wöchnerin aber im Bette lag.«

Ueber die ersten Wahrnehmungen nach der Erkrankung vom 1. August vermochte die Hebamme Franke die beste Auskunft zu geben, sie bekundete:

»Nach der Entbindung befand sich Frau Wittmann den Umständen nach ganz wohl; am zweiten Tage wurde sie aber krank. Ich glaubte, daß ihr Zustand von großer Aufregung herrührte; denn der Angeschuldigte hatte ihr das todt zur Welt gekommene übrigens sehr entstellte Kind gezeigt, und sie hatte um den Sarg ihres Kindes im Bette eine große Guirlande geschlungen. Ich sagte zu ihm, es sei unrecht, daß er seine Frau sich in dieser Weise habe anstrengen lassen, er erwiderte mir jedoch, sie sei von ihrem Vorhaben nicht abzubringen gewesen. Die Frau Wittmann brach eine grünblaue, dann eine gelbgefärbte Flüssigkeit aus, ich schickte deshalb zum Arzt.«

Der Dr. Wilm verordnete eine Arznei, welche eine entschiedene Besserung herbeiführte, bis am 6. August Brechen und Durchfall von neuem stärker auftraten. Frau Wittmann klagte zugleich über einen brennenden und fressenden Schmerz im Magen und über fortwährenden, nicht zu stillenden Durst. Wittmann reichte ihr so viel Bier zu trinken, als sie nur verlangte. Der Hebamme schien dies bedenklich zu sein, sie machte den Angeschuldigten darauf aufmerksam und wollte das Bier kosten, er verweigerte es aber mit den Worten: »Ich werde meiner Frau kein Bier geben, welches ihr schadet.« Das Benehmen Wittmann's gegen die Kranke war rücksichtslos und roh.

Es geht dies am klarsten aus den Angaben des Kahnschiffers Hoffmann hervor, welcher folgenden Vorfall erzählt:

»Ich war zu der Zeit, als die dritte Frau des Wittmann kurz vor ihrem Tode schwer erkrankt war, in der hiesigen Lau'schen Tabagie und spielte dort mit dem Angeschuldigten und dem Messerschmied Loth Karten. Bei jener Gelegenheit und zwar abends zwischen 6 und 7 Uhr kam das Wittmann'sche Dienstmädchen in die Tabagie und meldete, daß seine Frau augenscheinlich sehr gefährlich krank geworden sei und daß er sofort nach Hause kommen möge. Wittmann nahm diese Nachricht sehr gleichgültig auf, spielte weiter Karten und entfernte sich sogar dann nicht, als sein Dienstmädchen wiederkam und ihn dringend bat, wegen der bedeutenden Krankheit seiner Frau sofort nach Hause zu kommen. Entrüstet über dieses beispiellos gleichgültige Betragen warf ich die Karten hin und erklärte, nicht weiter spielen zu wollen, da es offenbar Pflicht von Wittmann sei, jetzt zu seiner erkrankten Frau zu gehen.«

»Erst infolge dieser meiner Aufforderung und zwar nicht sofort, sondern erst, nachdem er noch geistige Getränke zu sich genommen, verließ Wittmann das Lau'sche Local. Die dritte Wittmann'sche Frau ist wenige Tage nach dem obigen Vorfall gestorben.«

Andere Zeugen gaben an, Frau Wittmann habe sich beklagt, daß ihr Mann sie hungern lasse, und geäußert: »Wenn der liebe Gott mich noch einmal gesund werden läßt, so will ich auch nicht mehr bei dem schlechten Kerl bleiben«, und Wittmann erwiderte darauf:

»Wenn du nicht gehst, dann werde ich gehen.«

Er machte auch aus seinen Empfindungen beim Herannahen des Ablebens seiner Ehefrau kein Hehl, sondern antwortete, als Frau Müller vor dem Tode zu ihm sagte, er würde sich wol nicht sehr grämen, wenn seine Frau stürbe:

»Das ist der glücklichste Tag meines Lebens, an welchem ich meine Frau nicht habe sprechen hören.«

Wir haben die Symptome in den drei Erkrankungsfällen vom 24. Juli, 1. August und 6. August 1865 und den Verlauf der Krankheiten bisher nur angedeutet, weil wir in dem vorliegenden Falle im Besitze eines genauen ärztlichen Berichtes sind, den der behandelnde Arzt nach seinem Tagebuche zusammengestellt hat. Dieser Bericht lautet folgendermaßen:

»Am 24.Juli 1865 bekam die Frau Wittmann Erbrechen und Durchfall, verbunden mit periodischen Leibschmerzen, belegter Zunge, Mangel an Appetit und heftigem Durst. Das Leiden documentirte sich als eine Cholera sporadica und wich auch in kurzer Zeit dem dagegen angewendeten Arzneimittel, sodaß eigentlich schon am 25. Juli die Krankheit beseitigt war.«

»Am 31. Juli 1865 wurde die Frau Wittmann von einem todten Kinde entbunden. Da bei den äußerst spärlichen und schwachen Wehen die Entbindung sehr langsam von statten ging, und die Kreißende sich sehr matt fühlte, so wurde ich zur Hülfe gerufen und verordnete ein Wehen beförderndes Arzneimittel in Pulverform. Nach der Entbindung entfernte ich mich, kam aber am 1. August wieder. An diesem Tage stellte sich bei der Frau Wittmann unter Kollern und periodischem Leibschmerz Erbrechen und Durchfall in mehrmaligen Anfällen ein. Die erbrochenen Massen habe ich nicht gesehen, sie sollen aus einer grünlichgelben Flüssigkeit bestanden haben. Mir fiel die gelblich belegte Zunge, der frequente, recht harte Puls und bei der Untersuchung des Bauches eine Empfindlichkeit der Herzgrube gegen Druck auf. Die Hauttemperatur war etwas erhöht, die Haut trocken, die Patientin klagte über Durst und Kopfweh. Infolge der hiergegen angewandten Arzneimittel nebst Blutegeln verschwand das Erbrechen sowie die Empfindlichkeit der Magengegend, und wenn ich nicht irre, auch der Durchfall, es trat eine entschiedene Besserung ein, sodaß ich die Kranke für gerettet hielt.«

»Am 6. August zeigten sich indeß Erscheinungen, die ich mir nicht erklären konnte: vermehrte Pulsfrequenz, Erbrechen, Diarrhöe, Empfindlichkeit des Bauches gegen Druck. Die Zunge, anfangs gelblichweiß belegt, wurde nach einigen Tagen trocken, dann bräunlich wie lackirt und bedeckte sich zuletzt mit einem kleberigen zähen Schleim, wie es bei Typhuskranken zu sein pflegt. Der Durst der Kranken war während dieser Tage gewaltig, und die Patientin, welche sich stets sehr eigenwillig zeigte, trank gegen alle Warnung, was ihr beliebte, namentlich auch große Quantitäten bairischen Bieres. Aetzungssymptome des Mundes wurden von mir nicht wahrgenommen und die vorhandenen Kopfschmerzen wurden als erträglich angegeben. Die Thätigkeit der Sinne und das Bewußtsein der Kranken war bis zum 11. August ungestört, an diesem Tage aber trat Umnebelung des Verstandes ein, die Patientin sollte nach Angabe der Hebamme Franke im ersten Augenblick Personen nicht richtig erkannt haben. Am 12. August früh, wo ich die Kranke noch einmal vor ihrem Tode sah, war sie schon schwer besinnlich und lag soporös da. Einige Stunden später war die Frau Wittmann verschieden. Was das Erbrechen und den Durchfall in der Zeit vom 6. – 12. August anlangt, so traten darin Schwankungen ein, bis beide zuletzt ganz verschwanden. Die verordneten Arzneien wurden sehr unregelmäßig, theilweise gar nicht genommen. Da ich das Leiden der Frau Wittmann für einen acuten Gastrointestinal-Katarrh hielt, und den einmal bei mir auftauchenden Gedanken, daß die Gastrointestinalreizung durch Gift hervorgerufen sein könne, durch keine mir ausreichend scheinende Gründe stützen konnte, so war meine ärztliche Behandlung auch nur demgemäß eingerichtet.«

In dem Todtenscheine wurde gesagt, Frau Wittmann sei am Typhus gestorben.

Auch diese Leiche wurde aus dem Grabe aufgescheucht und in dem betreffenden Protokoll bemerkt:

»Der Körper ist 5 Fuß 1 Zoll lang, das Antlitz war mit bräunlich gefärbten Fetzen ursprünglich weiß gewesener Leinwand bedeckt, das Gesicht noch nicht ganz unkenntlich. Die Todte war mit einem schwarzen, mit drei Fallblättern versehenen langen Kleide bekleidet. Die linke Hand und ein Theil des linken Vorderarmes zeigte sich mit eingetrocknetem weißen Schimmel überzogen. Die Haut war noch wohl erhalten und von braunrother, zum Theil schwarzer Farbe. Man fand den Leichnam nicht verwest, sondern mumienartig zusammengetrocknet und von den Würmern noch nicht zerstört. Es war nur ein geringer und zwar ein eigenthümlicher Verwesungsgeruch wahrnehmbar, ein Geruch wie von Fleischwaaren, wenn solche der Räucherung mit Holzessig ausgesetzt gewesen sind. Von den Eingeweiden der Bauchhöhle ließ sich noch die Leber unterscheiden, die man in zusammengetrocknetem Zustande und von stahlgrünem Aussehen vorfand. Der Magen, der Darmkanal und die andern Eingeweide der Unterleibshöhle bildeten ein lederartiges, trockenes, schwer trennbares Convolut; in der Brusthöhle erkannte man die Speiseröhre noch, das Gehirn war nicht verzehrt, sondern zu einer hellbraunen Masse von der Consistenz einer etwas steifen Salbe zusammengeschrumpft.«

Wie in den andern Fällen, so wurden auch hier die innern Theile dem Chemiker übergeben. Er fand in der Speiseröhre kein Gift, dagegen wies er in dem Darmkanal und in der Leber mit der größten Bestimmtheit Arsenik nach und stellte ihn in einer Reihe von Arsenikspiegeln metallisch wiederum her.

Die Gerichtsärzte sprachen sich darauf hin dahin aus: »daß die bei der chemischen Analyse aufgefundenen Giftstoffe die Ursache des Todes der dritten Ehefrau des Angeklagten gewesen seien, daß ferner die Einführung des Giftes nur auf dem Verdauungswege erfolgt sein könne, und daß es durch Lösung und Beimischung in Speisen und Getränken der Frau Wittmann beigebracht sein müsse«.

Die Sachverständigen nahmen nicht für erwiesen an, daß die Krankheit vom Winter 1865 und vom Juli desselben Jahres Folgen von Arsenikvergiftung gewesen seien. Dagegen waren sie der Ueberzeugung, daß die Krankheitsanfälle vom 1. und vom 6. August die unmittelbaren Folgen von dem nur wenige Stunden vorher in größern Gaben gereichten Giftes gewesen und daß allein Anscheine nach der Kranken auch noch nach dem 6. August wiederholt kleinere Gaben von Arsenik eingeflößt worden seien.

Wittmann leugnete frech und hartnäckig, seiner Frau Gift verabreicht zu haben. Er gab nur so viel zu, daß die Ehe keine friedliche gewesen sei, schob aber die Schuld davon auf den jähzornigen Charakter der Verstorbenen. Mit den Zeugen gerieth er in scharfen Widerspruch, er suchte wahrscheinlich zu machen, daß er der Kranken nur Bier, aber niemals andere Getränke oder Speisen gegeben habe. Es gelang ihm indeß nicht, die Angaben der Hebamme und seiner Hausgenossin, der Frau Müller, zu erschüttern. Die Habgier und vielleicht die Lust am Mord hat auch diese schwarze That geboren.

Der Angeklagte ging die Ehe überhaupt nur ein, um in den Besitz des Vermögens zu kommen; kaum hatten beide die Ringe gewechselt, so betrieb er die Rückzahlung von 600 Thlrn. Kapital, welche seiner Frau gehörten, auf das eifrigste, und brachte es wirklich dahin, daß ihm das Geld gegen Rückgabe der Schuldscheine am 17. Juli 1864 ausgehändigt wurde. Er behauptete zwar, im Auftrage seiner Frau gehandelt zu haben, allein dies ist eine Unwahrheit, vielmehr hat er ihr die Schuldscheine heimlich weggenommen, das Kapital hinter ihrem Rücken eingezogen, und daß sich alles so verhalten, einem Zeugen, dem Schneidermeister Franke, selbst zugestanden.

Es ist wegen dieser eigenmächtigen Handlungsweise eine heftige Scene zwischen den beiden Ehegatten entstanden, und zwei Zeugen, welche dabei zugegen waren, haben gehört, daß die Frau dem Manne die bittersten Vorwürfe machte.

Die Verstorbene besaß ferner ein Kapital von 200 Thlrn., welches auf einem Grundstücke des Colonisten Schwarz in Colonie Kickeberg bei Aromberg auf ihren Namen hypothekarisch eingetragen war. Ihr Mobiliar muß ebenfalls werthvoll gewesen sein, denn sie hatte es mit 500 Thlrn. gegen Feuersgefahr versichert.

Um alles allein zu bekommen, suchte er seine Frau zur Errichtung eines Testaments zu bestimmen, in welchem sie ihn zum Erben einsetzte. Er wandte sich zu diesem Zwecke zunächst an die Frau Kürschnermeister Müller, welche auf seine Veranlassung an die Kranke einen Tag vor ihrem Tode die Aufforderung richtete, zu Gunsten ihres Gatten zu testiren. Frau Wittmann lehnte indeß ab; nun rief der Angeklagte die Witwe Boese, dieselbe, die er später als seine vierte Frau heimführte, herbei und bat sie, in demselben Sinne zu der Patientin zu sprechen. Die Witwe Boese that es, allein Frau Wittmann war standhaft, sie starb, ohne letztwillig verfügt zu haben.

Wittmann schlug jetzt einen andern Weg ein, um die Mutter und die Geschwister der Verstorbenen um das Erbe zu betrügen. Er spiegelte ihnen vor, das Kind sei lebend zur Welt gekommen und später gestorben als seine Frau. In diesem Falle würde nach dem in Wollin geltenden Lübischen Rechte das Kind die Mutter und der Vater das Kind beerbt haben. Demgemäß meldete er zunächst seiner in Jastrow lebenden Schwiegermutter die Entbindung und bezeichnete dieselbe als eine glückliche. Von dem Ableben seiner Frau machte er vorläufig gar keine Anzeige, und als diese Nachricht durch Dritte zufällig nach Jastrow kam, schrieb er einen Brief an seinen Schwager, den Schuhmachermeister Meilert, in welchem er sich den Anschein gab, als wenn er den Tod seiner Frau bereits mitgetheilt hätte. Der Heuchler spricht darin von seinem Kinde, wie wenn es lebte, und verfolgt offenbar den Zweck, seine Schwiegermutter von einer Reise zu ihm abzuhalten. Doch wir geben den Brief selbst. Er lautet:

 

»Mein lieber Herr Meilert!

Ich bewundere sehr, daß Sie mir von meiner Todesanzeige meiner Frau noch keine Antwort geschrieben haben. Ich habe an Mutter auch gleich geschrieben, aber nicht daß sie todt ist, sondern daß sie nur die Ruhr hat.

Wenn Sie es der Mutter noch nicht gesagt haben, was ich Ihnen geschrieben habe, so lassen Sie es nicht mit einmal fühlen, bis ich nach Jastrow komme, denn sie ist sehr schwächlich. Ich bringe mein Kindchen gleich mit, wenn sie es haben will in Pension. Die Mutter und die anderen sollen sich nicht zu sehr grämen, denn meine Hand ziehe ich nicht zurück. Ich komme innerhalb 14 Tagen – 3 Wochen nach Jastrow.

Ein Mündliches mehr. Grüßen Sie alle insgesammt vielmal von mir, Johann und Emilie, die sollen doch der Mutter gut thun, es ist ihr Schade sicher nicht, denn ich halte sehr viel von der Emilie, aber wenn ich komme und höre es, daß sie die Mutter nicht gut thut, dann werde ich böse, denn die gute Auguste hat es mir sehr ans Herz gelegt, ich solle ja auf die Mutter gut aufpassen, ich werde es auch so lange thun, bis ihre Augen auf sind, ich mußte es ihr noch am Bette fest versprechen.

Grüßen Sie die Mutter, Ihre liebe Frau nebst Kinder.

Es grüßt Ihnen
Ihr tiefbetrübter Freund
F. Wittmann.
Wollin, den 25. August 1865.«

 

Die Täuschung gelang dem Angeklagten jedoch nicht; die Witwe Kornitzki ließ sich von der Reise zu dem Grabe ihrer Tochter nach Wollin nicht abhalten und nahm ihren Schwiegersohn, den Schuhmachermeister Meilert aus Jastrow, mit.

Wittmann, dem die Verwandten sehr ungelegen kamen, gab seinen Plan dennoch nicht auf.

Er überredete seine Schwiegermutter zunächst, daß sie keine Theilung des Nachlasses verlangen, sondern bei ihm wohnen bleiben solle; sie war damit einverstanden und Meilert reiste wieder ab. Das hatte der Angeklagte gerade gewollt, nun schlug er der alten Frau vor, daß sie lieber Theilung halten und das baare Geld dabei auf 500 Thlr. annehmen wollten, gleichzeitig bestellte er einen Wagen, fuhr mit der Schwiegermutter zum Notar Reichhelm in Wollin und ließ von demselben unter dem 1. September 1865 zwei Verträge aufnehmen, durch welche die Witwe Kornitzki die auf dem Schwarz'schen Grundstücke eingetragene Forderung von 200 Thlrn. an Wittmann cedirte, und ihm ihre gesammten Erbansprüche an dem Nachlaß ihrer Tochter abtrat, während Wittmann sich nur verpflichtete, zu den Unterhaltungskosten seiner Schwiegermutter in Zukunft nach Kräften beizutragen.

Die Witwe Kornitzki wurde hierauf von ihrem Schwiegersohne nach Jastrow znrückgeleitet; er versprach ihr daselbst, daß er ihr die Hälfte der vorhandenen Betten, Wäsche und Kleidungsstücke schicken und auch jene 200 Thlr. in monatlichen Raten von 4 Thlrn. zahlen würde, hielt aber sein Wort nicht. Außer zwei alten Kleidern hat seine Schwiegermutter gar nichts erhalten. Einen Proceß, den sie anstrengte, mußte sie verlieren, weil sie alle Erbansprüche auf Wittmann übertragen hatte, und die von der Polizei angestellten Versuche, den Angeklagten im Wege der Güte zu bestimmen, daß er seine gebrechliche, auf die Armenpflege angewiesene Schwiegermutter unterstützen möge, scheiterten an seinem Geize.

Wittmann hatte aber auch noch in anderer Weise schon bei Lebzeiten seiner Frau eine Speculation auf ihren Tod gemacht, indem er sie ohne ihr Wissen in eine Lebensversicherung einzukaufen versuchte.

Wir wissen, daß er nach dem Ableben der ersten Frau von der Gesellschaft Germania 250 Thlr. erhalten hatte; die dritte Frau sollte ihm ein doppelt so großes Kapital einbringen, er entschloß sich deshalb, ihr Leben auf 500 Thlr. zu versichern, wählte aber als kluger Mann nicht wieder die Germania, sondern wandte sich an die Norddeutsche Lebensversicherungsgesellschaft. Der Maurermeister Engmann zu Wollin, der Agent derselben, sagt darüber Folgendes: »Wittmann kam zu mir und wollte sein und seiner Ehefrau Leben versichern. Ich gab ihm zu diesem Behufe zwei Formulare, von welchen eins von ihm selbst und das zweite von seiner Ehefrau eigenhändig unterzeichnet werden mußte. Wittmann brachte diese beiden Formulare, von ihm selbst unterzeichnet, zurück. Um Gewißheit zu erlangen, ob die von Wittmann vollzogenen Unterschriften genügten, übersandte ich beide Formulare der Gesellschaft mit der Anfrage, ob dieselben in jetziger Gestalt gültig seien. Die Gesellschaft schickte mir indeß das Formular für die Frau Wittmann mit dem Bemerken zurück, daß ich dasselbe von der Frau Wittmann selbst unterzeichnen lassen sollte. Ich gab infolge dessen das Formular dem Wittmann mit der Aufforderung zurück, solches, von seiner Ehefrau vollzogen, mir demnächst zu remittiren. Wittmann brachte mir auch das Formular zurück. Da indeß die Unterschrift augenscheinlich von Wittmann selbst gemacht war, und die Sache mir verdächtig vorkam, erklärte ich ihm, daß die Gesellschaft nicht weiter darauf eingehen würde, und das Geschäft zerschlug sich.«

Wittmann begriff recht gut, daß dieses Zeugniß einen neuen schweren Verdachtsgrund wider ihn zur Gewißheit erhob, er legte sich deshalb auch in Betreff dieses Punktes auf das Leugnen und stellte keck in Abrede, mit Engmann jemals über eine Versicherungsangelegenheit gesprochen zu haben.

Wie groß die Geldgier des Angeschuldigten war, ergibt sich ferner daraus, daß er, um den Staatsfiscus um den Erbschaftsstempel zu betrügen, einen Meineid schwor. Er ward vom Kreisgericht angewiesen, ein Inventarium aufzustellen, welches er eidlich bestärken könnte. Hierauf errichtete er ein Inventar, nach welchem die Activa der Erbschaft 400 Thlr., die Passiva aber 750 Thlr. betragen sollten, und leistete den Manifestationseid ab! In der Untersuchung wurde ihm nachgewiesen, daß er unter den Activis eine große Menge von Vermögensstücken nicht mit aufgeführt und folglich falsch geschworen hatte.

V.

Etwa acht Tage nach dem Tode seiner dritten Ehefrau zog Wittmann bereits in das Haus und in die Wohnung der Witwe Böse und lebte mit ihr wie Mann und Frau. Die Verheirathung erfolgte zwei Monate später, am 17. October 1865, in Wollin.

Frau Böse war die Witwe des im September 1864 auf einer Seefahrt ertrunkenen Schiffskapitäns Böse, und von diesem mit einem einzigen, am 5. Februar 1865 geborenen Kinde, Namens Georgine, in guten Vermögensverhältnissen zurückgelassen worden. Sie wohnte mit dem Kinde in einem ihr gehörigen Hause auf der von der Stadt Wollin etwa zehn Minuten entfernten sogenannten Amtswiek, besaß Aecker und Wiesen und ein von ihrem Ehemanne früher geführtes Schonerschiff, alles in ungetheilter Gemeinschaft mit ihrem Kinde. Vor der Heirath Wittmann's mit der Witwe Böse hatte zwischen dieser und dem Kinde eine Auseinandersetzung des Vermögens erfolgen müssen, dabei war das Erbtheil des Töchterchens auf circa 831 Thlr. ermittelt und sichergestellt worden. Der Stiefvater streckte nach diesem Vermögen die gierige Hand aus und das kleine Mädchen mußte sterben. Georgine Böse war ein völlig gesundes, kräftiges Kind; am 22. October 1865 ging sie noch wohl und munter mit der ledigen Emilie Schwenk, welche in Wittmann's Diensten stand, spazieren, am Abend aber erkrankte sie plötzlich. Sie brach und klagte über großen Durst. Eine Veranlassung war nicht erkennbar, namentlich war ein Diätfehler nicht vorgekommen. Frau Wittmann eilte in die Apotheke, um ein ihr von einer Freundin empfohlenes Arzneimittel zu holen; Wittmann blieb inzwischen allein bei dem Kinde zurück, saß auch im Verlaufe der Krankheit vielfach au dem Bette seiner Stieftochter und reichte ihr öfter Wasser. Er gab sich den Anschein großer Zärtlichkeit und Fürsorge für die kleine Kranke und ließ sie in der Nacht zwischen sich und seiner Frau schlafen. Ein Arzt wurde nicht gerufen, der Angeschuldigte wußte es zu hintertreiben; erst als die auf demselben Flure wohnende unverehelichte Parow auf die Nothwendigkeit ärztlichen Beistandes aufmerksam machte, schickte die Mutter am 23. October zu dem Dr. Wiener, der sich zwischen 11 und 12 Uhr vormittags einfand und folgende Wahrnehmungen machte: Das Kind hatte eine bleiche Gesichtsfarbe und einen theilnahmlosen, verdrießlichen Gesichtsausdruck. Die Hauttemperatur war etwas erhöht, der Puls beschleunigt und die Zunge mäßig belegt. Dagegen wurde im Unterleibe nichts Abnormes bemerkt, ebenso wenig in der Mundhöhle, in welcher der Arzt nach etwaigem Durchbrechen von Zähnen forschte. Ob das Uebel eine gastrische Störung oder eine Gehirnaffection oder die Vereinigung von beidem war, wußte der Dr. Wiener damals nicht zu unterscheiden, er ordnete daher die Anwendung von Kalomel an und wiederholte an demselben Tage seinen Besuch. Bei diesem zweiten Besuche am Abend des 23. October hörte er, daß wiederholtes Erbrechen und Diarrhöe eingetreten sei, er fand das Fieber lebhafter und die Zunge belegter; er hielt nun den Zustand für rein gastrischer Natur und traf danach seine Maßregeln; als er jedoch am andern Morgen wiederkam, fand er die Kranke nicht mehr am Leben. Das Kind war in der Nacht vom 23. zum 24. October unter Krampferscheinungen gestorben. Der Arzt, der nicht an ein Verbrechen dachte, erklärte die Krankheit für eine acute Gehirnentzündung. Die Aeltern ließen die Leiche in einen Sarg legen und nahmen denselben, wie wir früher erwähnten, bei ihrem Umzuge nach Posen mit, dort wurde er in die Gruft gesenkt.

Am 17. October 1866 fand die Ausgrabung statt. Die Contouren des kleinen Körpers waren wohl erhalten, die Haut fest anliegend, pergamentartig, trocken und mit Schimmel bedeckt. Bei normalen Verhältnissen hätten die gesammten Weichtheile sowie die Sehnen und Knorpel bereits durch Verwesung aufgelöst sein müssen, hier aber waren die innern Organe noch vollkommen erkennbar und nur zusammengeschrumpft und vertrocknet. Die chemische Analyse entdeckte im Magen und im Darmkanal erhebliche, in der Leber, den Nieren, dem Herzen und den Lungen, endlich in einem bei der Obduction herausgeschnittenen Stück Muskelfleisch geringere Quantitäten Arsenik. Die Gerichtsärzte erklärten mit der größten Bestimmtheit, daß das Kind an Arsenikvergiftung gestorben sei. Sie nahmen an, daß das Gift durch Verschlucken den Verdauungsorganen zugeführt und von hier durch den Umlauf der Säfte dem ganzen Körper mitgetheilt worden sei, und sprachen aus, es müßte dem Kinde etwa 36 – 40 Stunden vor dem Tode und kurze Zeit vor der Erkrankung Arsenik in großen, zur Tödtung eines Menschen völlig ausreichenden Gaben beigebracht sein.

Wittmann räumte ein, vor der Erkrankung, im Verlauf der Krankheit und beim Eintritt des Todes in der unmittelbaren Nähe des Kindes gewesen zu sein, und demselben wiederholt Wasser und Milch zum Trinken gegeben zu haben. Dagegen behauptet er, Georgine Böse sei bereits am 22. October 1865 leidend gewesen, und bestritt auf das entschiedenste, sich an ihrem Leben vergriffen zu haben.

VI.

Wittmann's vierte Frau war zwei Jahre älter als er, gutmüthig, von einnehmendem Aeußern und in Wollin kerngesund gewesen. In Posen wechselte ihre Stimmung häufig; meist war sie allerdings heiter, aber nach dem Tode ihres Kindes sah man sie oft in Thränen, sie schien eine Ahnung von ihrem eigenen frühzeitigen Ende zu haben und gab sich traurigen Gedanken hin. So schrieb sie im Frühjahr 1866 an ihre in Wollin wohnende Schwägerin Alwine Böse:

»Wie oft wünsche ich Dich hierher, Du würdest Dich freuen, in unserer schönen Wohnung zu sein und immer die schöne Militärmusik zu hören, Du würdest Dich erholen, aber mich kann nichts erfreuen. Musik und Gesang bringen für mich nur Thränen – meine Freude auf dieser Welt ist verschwunden, meine Freude ruht in der Erde! – Ich gebe mich auf Wunsch von Wittmann vielem hin, ich gehe ins Freie und in Gesellschaft, was mir hier mehr geboten wird als in Wollin, aber in meinem Herzen ist ein unauslöschlicher Kummer und Schmerz. Vor der Welt zeige ich mich stark, aber kehre ich ins Haus zurück und bedenke meine großen Leiden, so kehrt auch der Schmerz über den Verlust meines theuern Kindes zurück. An seinem Grabe ist mir am wohlsten, und da gehen wir oft hin. Wittmann sagt dann immer, da liegt das arme Würmchen, und küßt das Grab, und bittet mich sehr, ich soll nicht weinen. Wir haben meinem Liebling ein schönes Marmorkreuz setzen lassen, und die Blumen werden nicht welk, die ich darauf pflanze.«

Ueber Wittmann ließ sie sich in ihren Briefen in sehr verschiedener Weise aus, indem sie bald seine Aufmerksamkeit und Fürsorge pries, dann aber sich wieder beklagte: es sei alles nur Schein, ihre Ehe sei eine sehr unglückliche.

Die Aussage derjenigen Zeugin, welche über die Lebensweise der Wittmann'schen Eheleute seit ihrem Eintreffen in Posen und über das Verhältnis derselben die beste Auskunft ertheilte, geben wir wörtlich wieder. Diese Zeugin, Frau Henriette Neumann, gab an:

»Ich bin aus Deutsch-Crone gebürtig, ebenso wie der Buchbindermeister Wittmann, und kenne den letztern von Kindheit an, denn mein Vater war Gefangenwärter bei dem Gericht in Deutsch-Crone, und der Vater des Wittmann, wie ich glaube, Executor daselbst. Jahrelang hatte ich den Wittmann aus dem Gesicht verloren, da besuchte er mich im September 1865 in Begleitung einer mir unbekannten Frauensperson, die er mir als seine vierte Frau vorstellte. Wie er mir sagte, wollte er hierher ziehen und sich eine Wohnung miethen. Ende October schrieb er mir, das Kind seiner Frau aus erster Ehe sei gestorben; sie würden indeß trotzdem bald kommen und die Leiche hier begraben lassen. Einige Tage nachher trafen die Wittmann'schen Eheleute ein und mietheten eine Wohnung in der Berliner Straße. Gleich nach ihrem Einzuge machten sie eine Vergnügungsreise nach Kassel, wo sie zwei Brüder der Frau Wittmann, die dort lebten, besuchen wollten. Etwa acht Tage vor Weihnachten kehrten sie zurück. Sie sind dann sehr oft in meinem Hause gewesen, ich aber suchte sie nur selten auf. Das erste mal, im Jahre 1866, geschah es auf ausdrückliches Ersuchen des Wittmann. Er bat mich, eine Hebamme mitzubringen, weil seine Frau ihre Niederkunft erwartete, und frug nach einem gewissen Weymann, der seiner Frau ein Testament machen sollte. Ich fand die Wittmann damals in ihrer Wohnung außerhalb des Bettes; sie sagte mir, sie wolle ein Testament errichten. Ich suchte ihr diese Absicht auszureden, sie aber beharrte bei ihrem Vorhaben und bemerkte: »Ich weiß, daß mein Mann nach dem Tode der früheren Frauen so viele Umstände gehabt hat, und will nicht, daß es ihm nach meinem Tode ebenso geht.«

»Was das Verhältniß der Wittmann'schen Eheleute zueinander betrifft, so war Wittmann, soviel ich beobachtet habe, nicht zärtlich oder gut mit ihr; das verstand er gar nicht. Sie aber liebte ihn sehr und fühlte sich sehr unglücklich, wie sie mir vielfach gesagt hat, namentlich kam sie noch zu mir am Freitag vor ihrem Tode, klagte fürchterlich, weinte und rang die Hände, ohne gerade einen Grund anzugeben. Nur so viel äußerte sie:

»Was habe ich gemacht? Ich bin nicht werth, daß mich die Steine tragen! Sie werden mal sehen, ich werde es wol bald überstanden haben.« – Bei diesem Besuche sah die Wittmann schlecht aus, was ich dem Umstände zuschrieb, daß sie ihr Kind nährte; sie entgegnete aber: »Nein, nein, hier sitzt es mir!»« dabei faßte sie mit der rechten Hand nach der linken Seite. Sie hatte mir schon früher mitgetheilt, daß sie dort Schmerzen habe, und namentlich über den Magen geklagt.

»Die Frau fühlte sich auch deshalb unglücklich, weil ihr Mann nicht arbeitete. Auf meine Vorstellung, daß sie als Frau ernstlich auftreten und den Mann zur Arbeit auffordern sollte, erwiderte sie: ›Das ist mein Unglück, daß ich ihm so gut bin.‹«

Ueber ihre letzten Tage gaben die verehelichte Schmidt und die ledige Henriette Kitzing, ihre Hausgenossinnen, Auskunft. Die letztere ließ sich so vernehmen: »Frau Wittmann hat im vergangenen Winter öfter geklagt, daß ihr unwohl wäre, daß sie namentlich so ein Fressen im Innern hätte, wobei sie auf die Herzgrube zeigte und eine Hand auf dieselbe drückte, indem sie manchmal hinzusetzte, daß sie es heute gar nicht mehr aushalten könnte. Sie schrieb dieses Unwohlsein auf ihre damalige Schwangerschaft, wobei sie noch äußerte, daß sie während der Schwangerschaft mit dem ersten Kinde immer gesund gewesen wäre und nun immer kränkelte.«

»Unter solchen Erscheinungen war Frau Wittmann im Februar 1866 und dann acht Wochen nach ihrer am 13. Juli 1866 stattgehabten Entbindung, Anfang September desselben Jahres, erkrankt. Bei dem letztern Krankheitsfalle zeigte sich Erbrechen und mit Blutabgang verbundene Diarrhöe; beidemal jedoch erholte sie sich bald und begann am 17. September eine nicht unbedeutende Menge Wäsche in der Waschküche des Hauses zu waschen, lehnte auch die Beihülfe anderer mit den Worten ab: ›Ich bin ja gesund und stark, und wenn ich heute nicht fertig werde, so wasche ich morgen weiter.‹«

»In der zweiten Nachmittagsstunde trat jedoch ein plötzliches Unwohlsein ein, sodaß sie mich zu sich hereinrief und über Bangigkeit und Brechreiz klagte. Als ich sie frug: ›Sie haben wol noch nicht zu Mittag gegessen?‹ erwiderte sie: ›Ja, Papachen hat gekocht.‹«

Frau Schmidt deponirte über die Vorgänge des 17. September 1866 Folgendes:

»Am Montag vor ihrem Todestage, also am 17. September, habe ich die Frau Wittmann vormittags ganz munter in der Waschküche gesehen; jedoch kam sie am Nachmittag, vielleicht um 2 Uhr, gebückt über den Hof an das Fenster meiner Wohnung und sagte mir, sie habe solches Schneiden, daß sie es gar nicht mehr aushalten könne, auch gebrochen habe sie sich. Als ich sie nachher in der Waschküche aufsuchte, klagte sie fortwährend über Unwohlsein, fuhr aber dessenungeachtet mit dem Waschen fort. Ungefähr um 4 Uhr ging ich nochmals zu ihr. Ich traf sie zwar noch am Waschfaß, jedoch ganz krumm stehend; sie hielt die Hand auf die Brust und klagte über Schmerzen darin. Auf mein Zureden verließ sie endlich die Waschküche und ging nach ihrer Wohnung, mit dem Bemerken, daß sie sich niederlegen werde, vielleicht würde ihr am andern Tage besser sein.«

Von dem Augenblicke an, wo Frau Wittmann sich aus der Waschküche entfernte, bis zum andern Nachmittage, eine halbe Stunde vor ihrem Tode, hat kein fremdes Auge die unglückliche Frau gesehen; sie war allein mit ihrem Manne und den beiden kleinen Kindern. Daß sie in dieser Zeit einen schweren Todeskampf gekämpft hat, geht aus der Aeußerung ihres vierjährigen Stiefsohnes hervor: »Die Mama hat sehr gestöhnt und der Papa hat die Thür zugemacht.« Wie aber benahm sich der Mörder in den verhängnißvollen Stunden? Er aß und trank und war heiter wie gewöhnlich, mit der ledigen Kitzing scherzte er über den bevorstehenden Einzug der Truppen und erwähnte mit keinem Worte, daß seine Frau im Sterben lag.

Als am 18. September, ihm sehr ungelegen, der Sergeant Rautenberg und seine Ehefrau zu ihm kamen, empfing er sie auffallend betreten und verstört. Er sagte, daß seine Frau zum zweiten male die Cholera habe. Die Frage der verehelichten Rautenberg, ob ein Arzt dagewesen sei, verneinte er mit dem Bemerken, daß er keinen Boten habe. Frau Rautenberg forderte ihn auf, sich selbst auf den Weg zu machen, und erbot sich, einstweilen dazubleiben. Wittmann nahm dies an; Frau Rautenberg trat an das Krankenbett, die Kranke wollte ihr etwas mittheilen, konnte aber nur die Worte hervorbringen: »Ach Emilie!«

Der Angeklagte kam schon nach 10 Minuten mit der Nachricht zurück, daß er den Arzt nicht getroffen habe; Frau Rautenherg und deren Ehemann gingen nun fort. Wittmann war in der That bei dem Dr. Laube gewesen, hatte ihn aber nicht einheimisch getroffen und die Sache auch nicht besonders dringlich gemacht. Um 3 Uhr nachmittags schickte er die ledige Kitzing nochmals zum Arzt, allein auch diesmal war der Doctor nicht zu Hause. Eine halbe Stunde später rief Wittmann die in demselben Hause wohnende Frau Kaminska in das Krankenzimmer; sie fand die Wittmann sprach- und anscheinend auch leblos im Bette liegend, die Thränen liefen ihr aus den geschlossenen Augen, die Hände waren ganz kalt. Wittmann sagte ihr, daß seine Ehefrau an der Cholera erkrankt sei, stellte sich höchst unglücklich und beklagte sich, daß, des wiederholten Rufens ungeachtet, ein Arzt nicht gekommen sei. Es wurde nun zum Oberstabsarzt Dr. Mayer und nochmals zum Stabsarzt Dr. Laube geschickt, aber als die Aerzte erschienen, war die verehelichte Wittmann bereits todt.

Wittmann machte bei seiner gerichtlichen Vernehmung über die Krankheit der Verstorbenen unwahre Angaben. Er sagte:

»Meine Frau war an dem Tage, an welchem sie im Waschhause zu waschen anfing, also am 17. September, des Morgens ganz gesund und ist erst nach dem Mittagessen an Diarrhöe und Erbrechen erkrankt. Ein Unwohlsein hat sie aber schon am Vormittag mit den Worten: ›Mich schaudert so‹, zu erkennen gegeben.

»Der Verpflegung meiner Frau in ihrer Krankheit habe ich mich ganz allein unterzogen und diejenigen Mittel angewendet, welche nach meiner Ueberzeugung die richtigen waren. Ich habe ihr nämlich Pfeffermünzthee eingegeben und an den Unterschenkeln krampfstillende Umschläge gemacht.

»Es ist richtig, daß bei Lebzeiten meiner Frau kein Arzt dagewesen ist, allein daran bin ich nicht schuld, ich bin selbst zum Dr. Laube gegangen und habe dreimal zu ihm geschickt; das ist aus eigenem Antriebe und nicht, wie die Rautenberg'schen Eheleute gesagt haben, auf deren Veranlassung geschehen. Dann muß ich sagen, meine Frau hat den Arzt nicht haben wollen, und ich konnte die beiden Kinder nicht allein lassen, es ging alles zu schnell, gar zu schnell.«

»Wenn meine Frau an Arsenik gestorben ist, so hat sie sich möglicherweise selbst vergiftet, denn sie hat nicht einmal, sondern wiederholt davon gesprochen, daß sie sich das Leben nehmen müsse. Sie hatte nämlich vielen Verdruß mit ihren Verwandten, und in der letzten Zeit war ein Brief voller Klagen und mit der Bitte um eine Geldsendung von ihrer Schwester Marie, die nach London gegangen war und der es dort sehr schlecht ging, eingetroffen. Ich glaube wohl, daß sie sich den Inhalt dieses Briefes sehr zu Herzen genommen hat.«

In der That ist in der Wohnung des Angeklagten ein von seiner Schwägerin Marie geschriebener und aus London datirter Brief gefunden worden. Allein Wittmann hat darauf auch Geld nach London geschickt, wenigstens glaubte die Verstorbene, daß dies geschehen sei, denn sie sprach gegen die Frau Neumann ihre Freude über diese Güte ihres Mannes aus. Keiner von den zahlreichen Bekannten der Frau Wittmann hat jemals eine auf Selbstmordgedanken hindeutende Aeußerung aus ihrem Munde gehört, und eine solche Handlung wäre bei ihrem Charakter und bei ihrem Temperament sowie kurz nach der Geburt eines Kindes, über das sie sich sehr freute und das sie selbst stillte, geradezu undenkbar gewesen.

Schließlich that der Angeklagte die frivole Aeußerung: »Wenn meine Frau vergiftet ist, so muß der Polizeicommissarius es gethan haben, der im August 1866 in meiner Wohnung war und nach der Klassensteuer sowie nach dem Ergehen meiner Frau fragte.«

Wir erinnern uns, daß der Angeschuldigte das Begräbniß soviel als möglich zu beschleunigen suchte, daß in der Leiche Arsenik gefunden wurde, und daß Wittmann Arsenik besaß. Es muß somit als bewiesen angesehen werden, daß er auch diesen Mord, der ihn zum Erben des etwa 3000 Thlr. betragenden Vermögens seiner Frau gemacht haben würde, verübt hat.


Nach geschehener Voruntersuchung wurde der Buchbindermeister Wittmann für dringend verdächtig erklärt, in der Zeit vom September 1862 bis zum September 1866 seine vier Ehefrauen, seinen leiblichen Sohn Johannes und seine Stieftochter vorsätzlich und mit Ueberlegung getödtet zu haben. Der Staatsanwalt Schmieden in Posen erhob hierauf im December 1867 die Anklage, und jedermann war auf die Verhandlung des Processes gespannt. Ehe wir auf diese Verhandlung eingehen, müssen wir ein neues Manöver berichten, durch welches Wittmann sich zu retten suchte. Er stellte sich wahnsinnig. Bis zum Frühjahr 1867 bemerkte man an ihm nichts Auffallendes. Er schien fest davon überzeugt zu sein, daß man ihn eines Mordes nicht überführen könne. Er fürchtete nur, daß er wegen Meineides in Betreff des wider besseres Wissen von ihm eidlich bestärkten Inventars über den Nachlaß seiner ersten und dritten Frau verurtheilt werden würde. Im April 1867 aber fing er an, seine frühere Zuversicht zu verlieren; er schlug deshalb ein anderes Vertheidigungssystem ein und simulirte Wahnsinn, um für unzurechnungsfähig erklärt zu werden. Plötzlich sprach und schrieb er verwirrtes Zeug, z.B. in einem Briefe an seine Vettern: »Ihr müßt mir umgehend Sachen schicken, indem ich bald auf ein verblendetes Schwurgericht komme, indem sie hier an das Schaffot kommen, dann erst später vor das Schwurgericht geführt werden. Hier muß das eine eigene Construction sein.«

Bei seinen Vernehmungen behauptete er, der Untersuchungsrichter habe ihm Schriftstücke ohne vorherige Verlesung zur Unterschrift vorgelegt, er erklärte, daß er diese Protokolle ohne Kenntnißnahme und in der Verwirrung unterschrieben habe, und daß er diese Unterschriften widerrufe. In seiner Zelle verübte er einen fast tobsüchtigen Exceß. Das Gericht forderte von dem Kreisphysikus Medicinalrath Dr. Gall, der zugleich Gefangenarzt ist, einen Bericht über den Geisteszustand des Angeschuldigten, und das Gutachten fiel dahin aus, »alle Widersinnigkeiten seien rein simulirt«. Es wurde hervorgehoben, daß Wittmann in seinen Aeußerungen und seinem Benehmen sich stets als ein kalt überlegender, folgerichtig denkender und besonnen handelnder Mensch gezeigt habe, daß er auch körperlich sich durchgängig wohl befinde, und daß seine widersinnigen Aeußerungen mit andern Wahnvorstellungen und krankhaften Geistesrichtungen in keinem Zusammenhange ständen.

Nach Abgabe dieser Erklärung, die ihm bekannt geworden war, zeigte sich Wittmann einige Monate lang ruhig; dann aber spielte er von neuem den Irrsinnigen und führte alberne Reden: »Die Polizei hat mich zu unrecht verhaftet, ich will das nicht dulden, auch das Gericht hat kein Recht, mich gefesselt zu halten, und thut mir Gewalt an, und will mich zu Grunde richten. Man hat mich zu Unterschriften veranlaßt, und mir falsche Schriftstücke untergeschoben, das thut auch mein Rechtsanwalt; ich werde geradezu verkauft.«

Im October 1867 geberdete er sich wie ein an Krämpfen Leidender und als ob er Brechneigung habe. Mit großer Anstrengung gelang es ihm, eine halbe Untertasse voll weißlichen, schleimigen Schaumes hervorzubringen. Dabei klagte er über heftige Schmerzen in den Unterschenkeln und wurde, obgleich objective Krankheitssymptome an ihm nicht bemerklich waren, seinem Verlangen gemäß in die zum Lazareth bestimmte Abtheilung des Gefangenhauses gebracht. Hier wiederholten sich die Würge- und Brechversuche, er schlief einige Nächte nicht und störte andere Kranke durch sein Raisonniren; er rief, daß man ihn zu Grunde richten wolle und ihm schädliche Speisen verabreiche. Das Einzige, woran Wittmann wirklich litt, war Indigestion und Stuhlverstopfung, und da er fortgesetzt ein für ihn bestimmtes Medicament zu nehmen verweigerte, traten leichte Fieberbewegungen mit frequentem Pulse ein. Gegen die Wärter und Aufseher benahm er sich trotzig und auffahrend und beschuldigte dieselben, sie hätten sich gegen ihn verschworen, um ihn zu verderben. In der Nacht vom 15. zum 16. October stellte er sich tobsüchtig und wollte sich mit den Worten: »Meine Zeit ist um, das ist meine innere Wuth«, gewaltsam aus dem Corridor drängen. Mit Hülfe von zwei andern Gefangenen wurde er gebändigt und in das Lazareth zurückgebracht, biß aber dabei den Gefangenwärter in den Arm und zerriß einem der beiden Mitgefangenen die Jacke.

Wenige Tage nach diesem Exceß erklärte Wittmann, er werde keine Nahrung mehr zu sich nehmen. Zugleich schwatzte er fortgesetzt ungereimtes Zeug, sprach mehrere Worte leise und dann ein Wort laut, und sang im jüdischen Dialekt, wie seine Mitgefangenen meinten, um dadurch einen israelitischen Lazarethbeamten zu ärgern. Beim Sprechen und Singen vermied er es, andere anzusehen, wenn aber sein Blick zufällig auf jemand fiel, konnte er sich des Lachens nicht enthalten. Dem Arzte log er vor, daß er nicht schlafen könne, und genoß vom 19.-22. October keinen Bissen. Um seinen Appetit zu reizen, hatte man die für ihn bestimmten Speisen an seinem Lager stehen lassen und erreichte dadurch in der That, daß sich der Gefangene nach dreitägigem Fasten über seine Schüssel hermachte und den kalten Brei mit dem darin enthaltenen Fleische und der Brotportion bis auf den letzten Rest verzehrte, obgleich er vorher behauptet hatte, die Suppe sei von Hundeknochen gekocht.

Daß er seinen vollen Verstand hatte, ging aus der Aeußerung zu einem Krankenwärter hervor: »Wenn ich nur wüßte, wie ich aus dem Gefängniß heraus und in das städtische Lazareth von Posen kommen könnte, ich wollte dann weiter nichts haben als Mütze und Stock, und wer mir dazu verhülfe, dem würde ich gleich 50 Thlr. bezahlen.«

Vielleicht war die Fiction des Irrsinns von Wittmann damals nur zu dem Zwecke erfunden worden, um in eine Krankenanstalt oder in ein Irrenhaus geschafft zu werden. Im Gefängnisse war er, auch wenn er sich in der Lazarethabtheilung befand, stets unter den Augen von Beamten oder zuverlässigen Mitgefangenen; aus seiner Zelle konnte er nicht ausbrechen, denn die Wände waren im Innern der Sicherheit halber mit hölzernen Bohlen verschlagen, und Werkzeuge, sie zu durchschneiden und sich seiner Fesseln zu entledigen, besaß er nicht. Wurde er dagegen in das weniger fest verwahrte Krankenhaus gebracht, so durfte er hoffen, sich durch die Flucht zu befreien. Vermuthlich war ihm auch nicht unbekannt geblieben, daß nicht lange zuvor ein in das städtische Lazareth zu Posen gebrachter Gefangener von dort glücklich entkommen war.

Statt dessen wurde er auf Grund des die erneuerte Simulation des Wahnsinns feststellenden ärztlichen Gutachtens in seine Zelle zurückgebracht, und die Schwurgerichtsverhandlung auf den 17. Februar 1868 anberaumt.

Wittmann fuhr indessen fort, dem Gefangenwärter und den Gerichtsbeamten gegenüber Wahnsinn zur Schau zu tragen. Die Anklage, welche ihm deutlich vorgelesen wurde, hörte er zwar mit Aufmerksamkeit an, unterließ jedoch auch hier nicht, wirre Reden vorzubringen. Er wählte zu seinem Vertheidiger den Rechtsanwalt Dockhorn in Posen; aber auch gegen ihn führte er, nach Art von Geisteskranken, verwirrte und unzusammenhängende Reden. Sein Vertheidiger hielt es daher für seine Pflicht, bei dem Kreisgericht den Antrag zu stellen, daß noch zwei andere Sachverständige darüber vernommen würden, ob Wittmann verhandlungsfähig sei. Gleichzeitig benannte er als solche Sachverständige zwei Vorsteher von Irrenheilanstalten im Großherzogthum Posen. Das Kreisgericht beschloß, dem Antrage stattzugeben, und forderte, im Einverständnis mit dem Staatsanwalt, den Director der Provinzial-Irrenheilanstalt zu Owinsk bei Posen, Sanitätsrath Dr. Bescherner, und ein Mitglied des Medicinalcollegiums der Provinz, den Medicinalrath Dr. Rehfeld zu Posen, auf, sich über den Geisteszustand Wittmann's zu äußern. Die beiden Herren erklärten sich indeß außer Stande, ohne eingehende Beobachtung und ohne Kenntniß der Acten sich ein sicheres Urtheil zu bilden. Der Termin zur Schlußverhandlung wurde deshalb aufgehoben und den beiden Doctoren Gelegenheit gegeben, Wittmann zu sehen und zu sprechen, so oft sie es wünschten. In der That kommt es, wie eine Autorität auf diesem Gebiete, Casper, in seiner »Gerichtlichen Medicin« sagt, »bei der Frage, ob Geisteskrankheiten simulirt seien oder nicht, auf die schärfste Beobachtung, die genaueste Berücksichtigung aller, oft gerade anscheinend ganz geringfügiger Umstände, z. B. einzelner Antworten, ja selbst einzelner Worte an. Es muß die möglichst scharfsinnige Combination der Umstände des Einzelfalls eintreten, es ist endlich nicht nur die Kenntniß des Wesens der Geistesstörungen und des Verhaltens der Geisteskranken erforderlich, sondern sie vermag erst in Verbindung mit der Kenntniß der Verbrecherwelt selbst dem Arzte eine gewisse Sicherheit der Diagnose zu geben«.

Zur Ueberwindung dieser Schwierigkeiten, die durch den hohen Grad von Schlauheit und von Verstellungskunst Wittmann's gesteigert wurden, waren die beiden Sachverständigen günstig gewählt, indem der eine von ihnen langjähriger Vorsteher einer großen Irrenheilanstalt, der andere dagegen gleichfalls längere Zeit Kreisphysikus gewesen war.

Sie unterzogen sich ihrer Aufgabe mit bewährter Pflichttreue und lösten sie meisterhaft. Wir theilen nicht blos ihr Gutachten, sondern auch einen Auszug aus ihren Gesprächen mit dem Gefangenen mit, schicken aber voraus, was sie über seine äußere Erscheinung sagen:

»Wittmann ist ein Mann von fast jugendlichem Aussehen, von kaum mittlerer, 5 Fuß 3 Zoll betragender Größe, gracilem, wohlproportionirtem Körperbau, ziemlich kräftiger Muskulatur, gerader, aufrechter, keineswegs schüchterner, sondern ziemlich kecker, selbstbewußter Haltung, sicherm, nur der Fesseln wegen etwas gehemmtem Gange, ziemlich bleicher Hautfärbung und geringer Hauttemperatur, welche z. B. in der linken Achselhöhle nur 28,8° R. betrug. Der Bau seines Schädels ist von der Norm abweichend, fast rund, von ungewöhnlicher Scheitelhöhe, hoher, schmaler Stirn, sehr abgeflachtem Hinterhaupt und auffällig geringem Umfange (51 Centimeter = 19 1/2 Zoll). Das reichliche, in der Mitte gescheitelte Kopfhaar, sowie Augenbrauen, Wimpern und Bart sind dunkelblond, die Wangen etwas eingefallen die Augen ziemlich groß und wenig vorstehend, mit hellblauer Iris, theils sicherm, herausschweifenden, theils lauerndem Blicke, die Nase groß und lang, an ihrem Rücken in der Mitte breit, gegen die Spitze nach außen geschweift, der Mund breit, mit ziemlich dünner Ober- und etwas aufgeworfener Unterlippe, die Zunge rein, die Zähne gesund, das Kinn zugespitzt, das Gesicht schmal und wohlgeformt, doch von wechselndem, meist kaltem oder bitterm, bald lächelndem, bald tückisch lauerndem oder frechem Ausdrucke. Der Hals mäßig lang und ziemlich stark, der Brustkorb gut gewölbt, die Stimme nicht sehr kraftvoll und laut, die Sprache geläufig und monoton.

»Bei unserm ersten Besuche begann er auf eine seine geläufigen und offenbar richtigen Mittheilungen über seine Lehrlings- und Gehülfenjahre unterbrechende Frage, warum er sich in Fesseln und im Gefängniß befinde? sofort mit dem Ausdrucke grimmigen Hohnes in Blick und Stimme, in lebhafter und rascher Weise ein delirienartiges Geschwätz mit häufigen Wiederholungen einzelner Worte und Redewendungen, ungefähr folgenden Inhalts:

»›Hier sagen sie wegen Giftmischerei! Ha! ha! ha! Giftmischerei! Giftmischerei! Ja unter allen diesen Spitzbuben, die durchbrennen, ausbrechen, habe ich Anstalten zur Flucht gemacht? Todt soll die Frau sein – todt die Alwine, – kann ich das wissen? es ist nicht wahr – sie leben – sie lebt – die Anklage ist nicht richtig – die Polizei hatte kein Recht, mich zu verhaften – sie darf nicht – das ist nicht Gesetz – sie hat mich verkauft – meine Frau hat mich hintergangen aus Eitelkeit – mir haben sie zu viel auferlegt – daran bin ich nicht schuld – ich verlange mein Erkenntniß – das Schwurgericht soll aufgehoben sein – ich will aber vors Schwurgericht – da werde ich mich rechtfertigen – vor dies Gericht hier gehöre ich nicht – das ist ja polnisch – ich verlange andere Gerichte, in Berlin, Wollin – mich hat man verkauft! die Acten sind gefälscht, keine richtigen Anklagepunkte. Herr Groß (der Untersuchungsrichter) hat mich zu viel zugemuthet, mich wegen Meineides angeklagt – falsche Acten vorgelegt – meine Unterschrift erzwungen – das ist nicht zu Recht – zu Recht – zu Recht – der ist auch gestorben, die Namen sind gefälscht, die Sachen falsch eingetheilt, – vertheilt – verkauft – ich will entlassen sein, niemand darf mich hier halten, u. s. w.«

»Dabei gibt sich Wittmann den Anschein zu weinen. Einige beruhigende Worte unterbrachen sofort dieses Delirium, er gab die Vornamen seiner vier Frauen, ihre Herkunft, ihre älterlichen und verwandtschaftlichen Verhältnisse, ihre Hochzeits- und Sterbetage, gleichwie die Geburtstage seiner Kinder mit größter Genauigkeit an; ebenso beschrieb er die angeblichen Krankheitszustände, welche den Tod einer jeden herbeigeführt haben sollten, in völlig übereinstimmender Art mit seinen früheren actenmäßigen Auslassungen, nannte die Aerzte, von welchen sie behandelt wurden, und die Namen der vermeintlichen Leidensformen, welche in den ärztlichen Attesten als Todesursachen bezeichnet waren.

»Auf die Frage, mit welcher von seinen Frauen er am glücklichsten gelebt, und welche er am meisten geliebt habe, wiederholte er anscheinend mit Befremden: ›Geliebt! geliebt!‹ erging sich dann in Beschimpfung seiner dritten Frau, ›die habe im Zuchthause gesessen, von verschiedenen Männern zwei Kinder vor der Verheirathung gehabt, von ihr hätte er sich wollen scheiden lassen, u. dgl.‹ Bei Erwähnung der Todesart seiner vierten Frau begann von neuem ein verworrenes Geschwätz von polizeilich-gerichtlichen Verfolgungen und ihm zugefügter Ungerechtigkeit. Bei seiner Abführung verhielt er sich trotzig, ohne ein Zeichen der gewöhnlichsten Artigkeit.«

Bei dem zweiten ärztlichen Informationstermine am 14. Februar fing Wittmann auf die Frage, warum er den Genuß von warmen Speisen seit 14 Tagen verweigert habe, an, sofort über seine Beköstigung und Verpflegung in wahnsinniger Weise zu raisonniren: »Man habe ihm eine Niere von einem tollen Hunde vorgesetzt, einem schwarzen Pudel, den er am Tage zuvor im Hofe hätte liegen sehen; – die Hundeniere hätte er am zwetschlichen Aussehen erkannt, eine Kalbsniere wäre doch glatt; – von der Krankenkost hätte er Verdauungsbeschwerden und Halsbrennen bekommen, in den Suppen hätte er Schaben, Hornschabsel und Menschenhaare gefunden, z. B. auch Läuse.«

Weiter sagte er: »Damals sei er krank gewesen, aber nicht körperlich; jetzt sei er gesund, nur werde ihm das Temperament durchs Essen aufgeregt, besonders durch die sauern Suppen und Hexerei; – man kenne ja die wormser Geschichten. In Worms liege ja Luther's Bibelübersetzung begraben, dort sei ja die Kapelle und die Hexerei, um das Volk dumm zu machen; von den Fesseln wären seine Beine so dick geworden, daß sie nicht dicker sein könnten, das eine habe wie Rindfleisch, das andere wie Kalbfleisch ausgesehen. Auch jetzt sei noch der eine Fuß von den Fesseln gequetscht und dick.« Die sofortige Besichtigung ergab vollkommen gesunde Haut und keine Spur von den gefesselten Theilen.

An einen der Aerzte, welcher sich Vermerke über die Aeußerungen des Angeklagten machte, richtete er die Worte: »Warum schreiben Sie da immer ins Notizbuch? Sie wollen mich wol auch verkaufen? Das Gericht ist eine geschlossene, gezwungene Gesellschaft – die Polizei ist fürs Volk – das Gericht schwebt fürs Volk – das Gericht schwebt fürs Volk – die Polizei hat mich nicht verhaftet, nur abgeführt, die Polizei kann nicht verhaften, Gericht und Polizei gehören zur Fortschrittspartei – sie schreiten über andere fort – nehmen ihre Stellen und Vermögen, so ein Polizeicommissarius will Inspektor werden.«

Auf die Frage: ob er für erlaubt halte, seine Feinde, z. B. Gerichts- oder Polizeipersonal zu vergiften, oder gar die eigene Mutter? äußerte er nach einigem Besinnen: »Warum nicht, es kommt alles auf die Umstände an!« Auf die Frage, ob er an einen Gott glaube? folgte als Antwort: »Gott ist Natur! Christus ist menschlich! In der Bibel glaube ich nicht alles! Wer hat sie geschrieben? Der Glaube macht selig; die Evangelischen haben eine andere Bibel als die Katholischen, diese haben nur einen Auszug.« Auf die Frage, warum er gerade von so vielen Menschen verfolgt werde? erwiderte er nach einigem Zögern: »Ich sage es Ihnen geradezu, der König ist mein Pathe!« Auf die Frage: was ist Arsenik? antwortete er rasch: »Ich bin kein Chemiker, ich weiß nichts von Chemie.« Ferner auf die Frage: wie kam ein Stück Arsenik in Ihre Kiste, zu der Sie den Schlüssel führten? »Fragen Sie den, welcher es herausgenommen hat.« Auf die Frage: wie kamen zwei Arsenikpulver in Ihre Westentasche? »Die nahm ich aus einem seidenen Kleide meiner Frau, vielleicht wollte sie sich damit vergiften.«

Nach diesen Fragen begann Wittmann lebhafter zu deliriren, und zwar in einer veränderten Richtung, indem er behauptete: »Die Gerichts- und Polizeipersonen hätten sich in seine Habe bereits getheilt, Herr Groß (der Untersuchungsrichter) trage seine Uhr, Herr Dr. Gall seine goldene Uhrkette, der Gefangenaufseher seinen Hut u. s. w. Er wisse nicht, ob die Stadt Posen zur Festung oder die Festung zur Stadt Posen gehöre. Hier sei Berlin! Er wolle aufs Schaffot! Eigentlich heiße das ›schaff fort!‹ – wie seine vierte Frau werde er dann auch wieder aufleben.« Auf die Frage: ob seine übrigen Frauen auch wieder lebendig seien? antwortete er: »Nein, die habe ich selber begraben.«

Zu dem folgenden Interimstermine hatten die beiden medicinischen Sachverständigen einen dritten der Stenographie mächtigen Arzt hinzugezogen, nach dessen Aufzeichnungen auf folgende Fragen die nachstehenden Antworten von Wittmann gegeben wurden.

Frage. Sind Sie die letzten drei Wochen gesund gewesen?

Antwort. Ja, krank bin ich nicht gewesen. Seit ich den Advocat Dockhorn angenommen habe, schwitze ich in der Achselhöhle sehr stark, – ich bin körperlich und geistig gesund – ich bin noch nie irre gewesen, – irren ist menschlich – man kann einen Menschen auch irremachen – ein paar Tage bin ich irrisch gewesen – das war, als wie Kreisgerichtsrath Groß die falschen Schriften, die zwei, angefertigt hat, die erste mit einem, die andere mit zwei Namen. Der Tod von meinem Bruder – der steht schon in der Bibel, es war der 15. April v. J., ich habe die Schriften bis heute noch nicht zurückbekommen, wo er sie gemischt hat, weiß ich nicht.

Frage. Sie sagten ja, Herr Groß habe die Uhr von Ihnen?

Antwort. Ja, das sage ich noch, so hat auch der Herr Medicinalrath meine Kette und Herr Liersch (der Gefangenaufseher) meinen Hut – meine Sachen sind hier alle unters Gericht vertheilt, die Sachen sind alle gestohlen.

Frage. Sehen Sie auch an uns von Ihren Sachen?

Antwort. Nein – Sie wollen mich wol auch ans Gericht verkaufen, um einen Rang höher zu steigen?

Frage. Was ist das für ein Gebäude, in welchem Sie sind?

Antwort. Das Haus ist ein gerichtliches Haus, und hier treibt das Gericht mit mir ein Puppenspiel. Hier ist das Gericht eine geschlossene Gesellschaft. Wenn ich hier herauskomme, dann sehen sie mich alle an, als wenn ich weglaufen sollte, mit meinen Händefesseln. – Die Anklage ist zurückgenommen worden, und da muß man mich loslassen. – Das ist gerade so, als wenn er hingerichtet werden soll. ... Da muß der Arzt ein Attest schreiben.

Frage. Glauben Sie denn nicht, daß hier nach dem Gesetz verfahren wird?

Antwort. Die Bibel muß man umkehren, dann kommt das Justizgesetz heraus.

Frage. Wissen Sie jetzt, weshalb Sie angeklagt sind?

Antwort. Wegen sechsfältigen Mordes, aber das muß man beweisen – beweisen – beweisen – beweisen! Nein, nehmen Sie die Bibel in die Hand, da steht's drein, umgekehrt wird ein Schuh draus. Wissen Sie, was Amerika ist? Meine Brüder sind auch dort, – mein Bruder ist auch so weggestohlen in Greifswalde, das steht ja in der Bibel von den sieben Brüdern. Ich bin der Jakob, der Rauhe, der achte, mich will man um die Letztgeburt betrügen. Aber das ist von der Ferse, sowie man mich in den Kalender hineinbringen will. Die 20 Thlr., die ich geschickt, hat man unterschlagen, meine Frau und Schwester sind auch hier in England. Posen ist die Hauptstadt von Berlin, und hier verfolgt und ärgert man mich.

Frage. Wer ärgert Sie?

Antwort. Mich selber, ich verlange hingerichtet zu werden, die letzte Frau lebt noch, ich will nach Wollin hingeführt werden, ich weiß nur schuldig oder nichtschuldig, ich kenne die Instruction von 1807.

Frage. Wenn Sie hingerichtet werden wollen, müssen Sie sich doch für schuldig erachten?

Antwort. Nein!

Frage. Fürchten Sie sich nicht vor dem Tode?

Antwort. Nein, wenn sich nur meine Aeltern und Brüder eingekauft haben. Das Gesetz muß oben bleiben. Die stehen dann wieder auf. Zwei sind in Deutsch-Crone hingerichtet worden – und zwei in Wollin, die haben noch nicht rausgefunden. Es heißt »schaff fort« – wie zu Hand – von den Zwillingen auch zur Hund ... Ich werde kein Gnadengesuch einreichen, ich will nach Wollin – nein nach Kammin oder lieber nach Crone. Begnadigt will ich nicht werden.

Frage. Sie sagten, Ihre letzte Frau lebt?

Antwort. Ja! meine Frau ist nicht beerdigt. Groß ist der Papst, der scheidet sie, – der scheidet sie ...

Frage. Sagen Sie das fünfte Gebot!

Antwort. Wissen Sie, hier ist kein Geistlicher, man will mich noch katholisch machen.

Frage. Haben Sie wol viel gelesen?

Antwort. Nein! gar nichts, – gar nichts.

Frage. Sie haben ein Buch in Wollin von einem Apotheker gehabt, das haben Sie so lange behalten; was war es?

Antwort. Chimie – Chimie – Chimie.

Frage. Von wem war es?

Antwort. Es war Kolbe.

Frage. Kennen Sie Arsenik?

Antwort. Nein, gar nicht! – ich habe nicht studirt.

Frage. Wissen Sie, daß man mit Arsenik vergiften kann?

Antwort. Ja, wenn es Gift ist, dann kann man wol damit vergiften – Vieh und Menschen.

Frage. Kennen Sie einen Menschen Namens Lindenstrauß?

Antwort. Ja! In Wollin sollt' ich Schneider werden? Schneider werden? Ist ein erbärmlicher Schneider!

Frage. Halten Sie des Lindenstrauß Aussage für unrichtig, auch wenn sie beschworen wird?

Antwort (Lachen). Nicht wahr – ja schwören, man kann auch falsch schwören.

Frage. Wie ist der Stand Ihres Vermögens?

Antwort. Alles in allem gegen 2000 Thlr.

Auf Grund ihrer Beobachtungen vereinigten sich die Sachverständigen zu folgendem Gutachten:

A. Zusammenstellung derjenigen Punkte, welche bei Wittmann als Beweismittel für das Vorhandensein einer Geisteskrankheit, also gegen Simulation einer solchen gedeutet werden könnten.

1) Auffallend niedere Hauttemperatur. Vielfache in neuester Zeit veranstaltete Temperaturmessungen bei den verschiedenartigsten Krankheiten bestätigen die längstbestehende Ansicht der Psychiatriker, daß die allgemeine Körpertemperatur solcher Geisteskranker, welche an passiven und lähmungsartigen Irreseinsformen seit längerer Zeit leiden, im Verhältniß zur normalen Temperatur gesunder Menschen merkbar vermindert ist, und daß selbst bei activern Formen chronisch verlaufender Geisteskrankheiten eine wenngleich geringere Temperaturerniedrigung stattfinde.

2) Geringe Pulsfrequenz (von etwa 60 Schlägen in der Minute) und ungleiche Stärke der beiderseitigen, übrigens gleichzeitigen Pulse am Halse.

Der Erfahrung gemäß gehören alle Formen chronischen Wahnsinns und selbst der Tobsucht zu den fieberlosen Krankheiten. Man hat auch eine constante Verlangsamung der Pulse bei den Irren mehrfach behauptet, und die Beobachtung gemacht, daß bei partiellen Wahnsinnsformen und bei paralytischem Irresein die Pulse der beiderseitigen Halsschlagadern nicht immer in gleichzeitigem Rhythmus und in gleichmäßiger Stärke pulsiren.

3) Abnorme Schädelbildung in Bezug auf beträchtliche Scheitelhöhe, mangelhafte Hervorragung des Hinterhauptes und geringer Umfang des Kopfes. Nach zeither allgemeiner Annahme werden auffällige Abweichungen der Knochenform des Schädels von der idealen Norm bei Geisteskranken verhältnißmäßig häufiger vorgefunden als bei physisch gesunden Menschen.

4) Wesentliche Veränderung in Bezug auf äußere Erscheinung, als Körperfülle, Haltung und Gesichtsausdruck seit dem Beginn der anscheinend psychischen Krankheit, – wie solche nach den Mittheilungen der Umgebungen des Wittmann bemerklich geworden ist.

5) Auffällige Veränderung im Betragen. – Wittmann war, übereinstimmenden Aussagen zufolge, im Gefängniß früher heiter, fast jovial, gegen die vernehmenden Herren Gerichtsräthe höflich und bescheiden, später jedoch unhöflich, höhnisch, frech und beleidigend.

6) Anscheinende Natürlichkeit der sich darstellenden Form und Art von psychischer Krankheit, hinsichtlich ihres Entstehens aus körperlichen und psychischen Anlagen, Charaktereigenthümlichkeiten und Lebensverhältnissen.

Die naturgemäßeste Form von Seelenstörung bei einem Verbrecher, welcher in das Bereich der Polizei und des Gerichts gelangt, ist unstreitig der Verfolgungswahn; der nächste logische Schritt eines sich verfolgt wähnenden Giftmischers führt sicherlich zum Vergiftungswahn.

7) Vielfache Uebereinstimmung der sich darstellenden psychischen Krankheitsform mit denjenigen Symptomen und Eigenthümlichkeiten, welche in den meisten Fällen von Verfolgungs- und Vergiftungswahnsinn beobachtet werden, z. B. Sinnestäuschungen und hypochondrische Wahnvorstellungen sowie die Neigung zu fortdauernden Raisonnements.

8) Auffallende Gedächtnißschärfe in Bezug auf Namen, Personen und Zahlen. – Ein schwaches Gedächtniß prädisponirt zum Vergessen früherer Anfeindungen und Beleidigungen, gleichviel ob wirklicher oder vermeintlicher. Die Gedächtnißschärfe ist daher ein constantes und logisch nothwendiges Symptom des Verfolgungswahnsinns.

9) Mangelhafter Schlaf, als charakteristische Eigenthümlichkeit der zahlreichsten activen Wahnsinnsformen, und besonders derjenigen, welche aus Argwohn hervorgegangen sind.

10) Nahrungsverweigerung, welche als constantes Merkmal des Vergiftungswahns und einiger Formen von Melancholie anerkannt ist.

11) Verleugnen des bestehenden Wahnsinns bei fortdauernder Kundgebung desselben.

12) Vernunftmäßige Beantwortung und Erörterung derjenigen Fragen, welche Umstände und Erlebnisse betreffen, die außer dem Bereiche der Wahnsinnsideen liegen.

B. Zusammenstellung derjenigen Punkte, welche gegen das Vorhandensein eines geisteskranken Zustandes bei dem Wittmann, also für Simulation sprechen.

1) Mangel an Disposition zu psychischen Krankheiten. – Ein solcher Mangel muß bei Wittmann angenommen werden, denn seine völlige Gefühls- und Empfindungslosigkeit in moralischer, religiöser und verwandtschaftlicher Beziehung steht im organischen Gegensatze zu reger Blutbewegung und empfindsamem Nervensystem. Das Irresein in activer Form, zu welchem der Verfolgungswahn mit Raisonnirwuth zu rechnen ist, hängt aber ursächlich mit Blutcongestionen und Ueberreizung des Nervensystems, wol niemals mit Herzlosigkeit und Gefühllosigkeit innig zusammen. Die niedere Körpertemperatur und geringe Pulsfrequenz finden hierin eine der anscheinenden ganz entgegengesetzte Deutung, da sie sich in diesem Falle als organische Bedingungen seines Charakters, nicht aber als Folgesymptome eines Blut- und Nervenleidens darstellen.

2) In psychischer Hinsicht sind Gemüthskälte und Klugheit, egoistische Schlauheit und gänzliche Lieblosigkeit kein geeigneter Boden und keine günstige Temperatur zum Keimen wie zur Entwickelung des Wahnsinns.

3) Der Verfolgungs- und Vergiftungswahnsinn ist eine auf angeborenem Argwohn beruhende und demnach in zahlreichen Fällen erbliche Krankheit. Bei Wittmann ist die Erblichkeit des Wahnsinns nicht nachzuweisen. Der Selbstmord eines seiner Brüder ist wegen Unkenntniß der Motive hier weder pro noch contra in Anrechnung zu bringen.

4) Simulation muß nach Lage der Untersuchung dem Wittmann als das einzige Rettungsmittel vor dem Beile der Gerechtigkeit erscheinen.

5) Nahrungsverweigerung ist zwar ein höchst charakteristisches und naturgemäßes Symptom des Vergiftungswahns, keineswegs aber eine so launenhafte Art der Verweigerung, wie die von Wittmann nur in Bezug auf einzelne Speisen, und höchst unvollständig oder mit mangelnder Ausdauer geübte.

6) Dem Schlafmangel des Wittmann fehlen die charakteristischen Zeichen, namentlich die monatelange Dauer und das damit verbundene und anhaltende Raisonnement.

7) Das von Wittmann so vielfach mit mangelhaftem Erfolge versuchte Würgen, zur Herbeiführung von Erbrechen, ist kein echtes Symptom von Vergiftungswahn, denn der krankhafte Ekel bewirkt ebenso leichte und reichliche Entleerung des Mageninhalts, als der wahrhaftigste und lebhafteste Ekel.

8) Wittmann's Blick ist weder scharf, noch stechend, noch scheu und angstvoll genug für einen Irrsinnigen, der sich von Feinden umringt oder mit Giftspeisen täglich bewirthet wähnt.

9) An den Pupillen des Wittmann ist weder Erweiterung, noch Verengung, noch sonstige Unregelmäßigkeit zu bemerken.

10) Wittmann's Mimik hat keinen ausgeprägten Wahnsinnscharakter, sie ist nicht scharf und sprechend genug. Seine Gesticulation ist für wahrhafte Wahnsinnserregung gegen anwesende Feinde viel zu träge, ebenso die gesammte Körperhaltung viel zu ruhig. Kein scheues Zurückweichen, kein gewalttätiges Bedrohen fand statt. Sein Raisonnement bezog sich gewöhnlich nur auf nicht anwesende Personen oder auf Standes- und Berufsverhältnisse der Anwesenden.

11) Der Selbstglaube an die Wahrhaftigkeit des Raisonnements, wie er der Manomanie eigen ist, fehlt dem Wittmann allem Anschein nach, denn früher sah er während seiner sinnlosen Gespräche den Zuhörer nicht an, und mußte lachen, sobald auf diesen seine Blicke fielen. Ebenso läßt er sich allzu leicht durch Mahnungen oder Zwischenfragen während seiner lebhaftesten Delirien beruhigen, unterbrechen oder auf andere Gesprächsgegenstände hinleiten.

12) Der Stimme Wittmann's fehlt die charakteristische Heiserkeit oder Dämpfung der mit folie raisonnante behafteten Irrsinnigen, welche mit unerschütterlicher Beharrlichkeit und ohne sich von irgendjemand unterbrechen zu lassen, gewöhnlich viele Stunden lang bei Tag und Nacht laut, ja fast schreiend ihre Selbstgespräche führen bis zur völligen Heiserkeit, und auch dann noch kaum verständliche Sprechversuche fortsetzen.

13) Wittmann scheint nur dann besonders raisonnirsüchtig und zu Selbstgesprächen geneigt, wenn er sich von Aufsehern beobachtet sieht oder glaubt, was bei wirklichen Monomaniaten nur selten der Fall ist.

14) Das bei Wittmann wiederholt vorgekommene Weinen und Thränenvergießen über das ihm angeblich zugefügte Unrecht widerspricht gänzlich der Krankheitsform des Verfolgungswahns mit folie raisonnante, welcher erfahrungsgemäß weichmüthige Stimmungen ausschließt, und sich auf unablässiges Schelten, Anschuldigen und Beschimpfen der vermeintlichen Widersacher beschränkt. Wenn der alte Spruch: »Der Wahnsinn hat keine Thränen«, auch keineswegs gemeingültig ist, so hat er doch völlige Geltung bei der Raisonnirsucht.

15) Die Sinnestäuschungen sind nicht, wie in allen derartigen Wahnsinnsfällen, fest und bestimmt, sondern alle diesfälligen Angaben des Wittmann sind unsicher, unklar und in ihren Beziehungen undeutlich. So die Gesichtstäuschungen, z. B. die Erscheinung seiner Frau und Kinder, ob im Traume oder Wachen, ob lebend oder als Bilder; die zahlreichen Verunreinigungen der Speisen und Medicamente mit Ungeziefer, Giftstoffen, Menschenhaaren, ebenso die Geruchstäuschungen, z. B. der giftigen Dünste durch schädliche Kräuter, mit welchen eingeheizt werde; ferner die Gefühlstäuschungen, z. B. durch krankmachendes Anfassen an der Brust; die Personenverwechselung, z. B. seines in Müllertracht verkleideten Bruders, und die Sachverwechselungen, z. B. des Hutes, der Uhrkette, welche er an andern Personen bemerkte und als sein Eigenthum bezeichnete, aber zu reclamiren vergessen hat.

16) Abwesenheit aller Symptome von Gehörtäuschungen, welche am ausgeprägtesten bei Verfolgungswahnsinn auftreten, und bei derartigen Patienten noch niemals fehlten.

17) Das Deliriren Wittmann's zeigt einen zu großen Wechsel und zu vielseitiges Schwanken in den Ideen wie in der Ausdrucksweise, entspricht mithin keineswegs dem stabilen oder stereotypen Raisonnement der Monomaniaten.

18) Die mangelnde Natürlichkeit seines Deliriums bekundet sich auch durch häufige Silbenstecherei, Wortspielerei und Wiederholen derselben oft ganz nebensächlichen Worte.

19) Der von Wittmann dargelegten Krankheitsform fehlt überdies ein wesentlich charakteristisches Merkmal des Verfolgungswahnsinns, nämlich scharf ausgeprägte Selbstüberschätzung und Dünkelhaftigkeit. Das einzige von ihm gegebene derartige Anzeichen ist seine Behauptung, daß der König sein Pathe sei.

20) Am naturwidrigsten kennzeichnet sich Wittmann's Delirium durch jedesmaliges Eintreten nach Vorlegung einer solchen Frage, die er aus guten Gründen nicht beantworten wollte oder konnte, z. B. bei der Frage nach den Zehn Geboten.

21) Die dargelegte Gedankenverwirrung steigerte sich bei Wittmann in rapider Weise bei jedem nächstfolgenden Informationstermine so bedeutend, daß zuletzt vollständige blödsinnige Verworrenheit zu Tage gefördert wurde, welche keiner Form des partiellen Wahnsinns in so hohem Maße eigenthümlich ist. Der Diebstahl seiner Effecten und das Tragen derselben von seiten der Gerichts- und ärztlichen Beamten kam z. B. erst in den beiden letzten Informationsterminen zum Vorschein.

22) Wittmann zeigt eine merkliche Unsicherheit und ein unverkennbares Schwanken selbst in Darstellung der Hauptsymptome seines Wahns, indem einmal die vermeintliche polizeigerichtliche Verfolgung als Actenfälschung, Lug und Trug, dann wieder als Vergiftungsprocedur, dann wieder als Erbschleicherei und Diebstahl fast ausschließlich gebrandmarkt wird.

23) Die Art der Motivirung des am 14. März a. c. bei Wittmann stattgehabten anscheinenden Tobsuchtsanfalls durch die Worte: »das sei seine innere Wuth«, ist ein Anzeichen von richtigem Selbstbewußtsein. Ein wahrhaft tobsüchtiger Kranker erkennt vor erfolgter Genesung seine maniatischen Anfälle als Ausbrüche innerer Wuth niemals an, sondern motivirt sie durch äußerliche, entweder wahre oder eingebildete Veranlassung.

24) Wittmann bekundete bei Beantwortung aller ihm vorgelegten Fragen, welche sich auf seine früheren Lebensverhältnisse bezogen, eine ganz vorzügliche Erinnerungskraft, und zwar auch in der Weise, daß er selbst inmitten seiner Delirien genau dieselben Beschönigungen, Entschuldigungen, Rechtfertigungen oder Ableugnung aller ihn gravirenden Momente mit größter Genauigkeit wiederum vorbrachte, wie bei seinen früheren gerichtlichen Verhören. Nur für belastende Momente verrieth er auch keine Spur von Gedächtniß. Eine derartig zweckdienliche Erinnerungsschärfe vermag ein Irrsinniger schwerlich zu üben.

25) In den verschiedenen Gesprächen zeigte Wittmann durchgängig eine rasche und gewandte Auffassung, ein vollkommenes Begreifen und Verständniß jeder Frage, auch ein Errathen der zu Grunde liegenden Absicht. Nur wo und insoweit sich diese Fragen auf seine verbrecherischen Handlungen bezogen, da schienen diese Fähigkeiten wie durch Zauber sofort verschwunden, um dem Delirium Raum zu geben.

26) Einsicht, Umsicht, Uebersicht in Bezug auf die Verwaltung seines Vermögens, auf den Stand desselben, auf seine zahlreichen Processe, standen ihm vor und nach seinem anscheinenden Erkranken hinreichend zu Gebote.

27) Dem Wittmann einen genügenden Grad von Selbstbewußtsein abzusprechen, ist unmöglich, wenn man das schlaue Ausweichen und Vermeiden jedes ihn irgend beschuldigenden Umstandes, selbst im anscheinenden Delirium, sein geschicktes Aufrechterhalten und Fortspinnen des zu seiner Rettung begonnenen Lügengewebes erwägt. Fortdauerndes Leugnen, mögliches Verdunkeln der verbrecherischen Thätigkeit, sogar ein schlaues Verdächtigen anderer behufs Zuschiebens der Vergiftungsschuld, sind jedenfalls keine Zeichen von Verminderung der Geisteskräfte.

28) Wittmann verräth gesunde Urteilsfähigkeit in Bezug auf die Tragweite vorgelegter Fragen, kluge und gewandte Vermeidung jeder Klippe. Richtiges Erkennen und Ueberlegen der Folgen seiner früheren Handlungsweise wie seiner gegenwärtigen steht ihm noch zu Gebote; z. B. in den Aeußerungen: »Ein Mörder gehört aufs Schaffot!« »Einen Kranken kann man nicht richten!« »Auch einem Gefangenen gebührt sein Recht!« Er kann also nicht für blödsinnig erachtet werden, weil ihm das Vermögen, die Folgen seiner Handlungen zu überlegen, nicht mangelt.

29) Wittmann's Vernunftgebranch erscheint nicht gestört, insofern man unter Vernunft ein richtiges Vernehmen, ein Einvernehmen und Zusammenwirken aller verschiedenartigen Geisteskräfte eines Individuums zu bestimmten Zwecken versteht. Sein Delirium sogar ist insofern vernünftig, als es seiner unzweifelhaften Absicht auf Rettung aus dringender Lebensgefahr, sowol im Einzelnen als im Ganzen, in ausgezeichneter Weise entspricht. Wittmann kann also auch nicht für wahnsinnig erklärt werden, weil er keineswegs des Gebrauchs seiner Vernunft gänzlich beraubt ist.

30) Gänzlicher Mangel jedes erkennbaren Einflusses des anscheinend bestehenden Wahnsinns auf das von Wittmann sowol früher als noch jetzt zu seiner Rettung geübte Ableugnungs- und Verdächtigungssystem. Keine Form des Irrseins ist denkbar ohne wesentliche Beeinträchtigung einiger oder mehrerer Geisteskräfte. Der Verfolgungswahn mit Delirium und Raisonnirsucht kann unmöglich Monate lang bestehen ohne merklichen modificirenden Einfluß auf die fernere Ausführung eines auf Lüge und Verdächtigung beruhenden Gespinstes, welches mit Schlauheit, List und Beharrlichkeit zur Verschleierung der stattgehabten Verbrechen ersonnen und mit Geschick in Ausführung gebracht wurde. Bei Wittmann zeigt sich in seinem Benehmen sogar während seiner Delirien die consequente Fortsetzung dieses Verdunkelungsplanes mit ungeschwächten Geisteskräften in Bezug auf Gedächtnis, Auffassen und Errathen, also geschärftes Verständniß und Urteilsfähigkeit, gleichwie des Zieles vollbewußte Willenskraft in solchem Maße, daß kaum der geringste Widerspruch mit seinem im Stadium psychischer Gesundheit begonnenen absichtlichen Täuschungen bemerkbar wird.

C. Vergleichsweise Würdigung der beobachteten Merkmale in Bezug auf Wahnsinn oder Simulation.

Zur Begründung und Feststellung eines definitiven Urtheils über die wirkliche oder erheuchelte Krankheit Wittmann's ist demnächst eine Vergleichung der aufgestellten beiderseitigen Symptomgruppen in Bezug auf ihre größere oder geringere Beweiskraft erforderlich. Die sub Lit. A. aufgestellten 12 Ergebnisse sorgfältiger Beobachtung werden jedem Beurtheiler psychischer Krankheitszustände die Meinung erwecken, daß entweder ein Fall des sogenannten Verbrecherwahnsinns in Wirklichkeit, oder eine mit auffälliger Sachkenntnis; und seltener Geschicklichkeit ausgeführte Simulation vorliegt. Wenn auch nach der nur scheinbar zutreffenden Ansicht Casper's in der Bezeichnung »wahnsinniger Verbrecher« ein innerer Widerspruch enthalten wäre (weil im Wahnsinn kein Verbrechen begangen, und ein wahnsinnig gewordener Mensch wegen früherer Verbrechen nicht mehr verantwortlich, also kein Verbrecher mehr ist), so gibt es dennoch eine solche Art von echter Seelenstörung, die unter dem Einflusse des Verbrechens und des Gefängnisses ein eigenthümliches specifisches Gepräge annimmt, weil sich nothwendig der Inhalt des vergangenen Lebens und alles, was den menschlichen Geist innerlich bewegt, also der beständige Gedanke an die verübten Verbrechen, das Leugnen, die Verstellung, das Mistrauen, die Sehnsucht nach Freiheit, Roheit, Lüge, Gewissenskampf, bei langer Einsperrung, ungewohnter Nahrungs- und Lebensweise, mangelhafter Bewegung u. s. w. in den Krankheitsäußerungen abspiegelt. Hierdurch werden Erscheinungen veranlaßt, welche bei nicht verbrecherischen Seelengestörten in derselben Weise nicht vorkommen. Dieser sogenannte Verbrecherwahnsinn tritt erfahrungsgemäß in der Form von partiellem Wahnsinn und speciell als Verfolgungs- oder Vergiftungswahn mit Raisonnirsucht verhältnißmäßig am häufigsten auf. Für einen gefangenen Verbrecher ist es demnach ein glücklicher Griff, gerade unter der Firma dieser natürlichen Form den Wahnsinnigen zu spielen.

Die Lit. A. Nr. 1 und 2 bezeichneten körperlichen Eigentümlichkeiten des Wittmann werden auch bei geistig gesunden Menschen zuweilen angetroffen, wenngleich seltener als bei Irrsinnigen. Sie sind im vorliegenden Falle wahrscheinlich die nothwendigen organischen Bedingungen eines Charakters, der weniger einem heißblütigen und lebhaft pochenden Menschenherzen, als vielmehr dem Organismus eines giftigen Reptils entspricht. Wittmann's Kopf und Herz muß ja nothwendigerweise von der allgemeinen Norm des Menschengeschlechts wesentlich abweichen, um eine so unmenschliche Thätigkeit wie die seinige zu erzeugen und zu erklären. Die Lit. A Nr. 3 als abnorm bezeichnete Schädelbildung ist von solcher Art, daß sie wegen der beträchtlichen Höhe des Scheitels eine hoch aufsteigende Entwickelung des Großen Gehirns, des Organs der Intelligenz (wahrscheinlich auf Kosten des Gefühls- und Empfindungslebens) bekundet. Sie kann demnach in Wirklichkeit um so weniger als ein Anzeichen bestehender Geisteskrankheit gedeutet werden, als sie einer allen heftigern Gemüthsaffecten widerstrebenden Geistesentwickelung vorzüglich entspricht.

Die Lit. A. Nr. 4 und 5 erwähnten Veränderungen im Aeußern und im Betragen des Wittmann, welche von den Herren Untersuchungsrichtern gleichwie von den Gefängnißbeamten bemerkt und als auffällig bezeichnet worden sind, erklären sich aus der physischen und psychischen Einwirkung des Gefängnisses, aus den jede Hoffnung mehr und mehr vereitelnden Fortschritten der Untersuchung, und aus der aufreibenden Seelenthätigkeit eines verzweifelnden Simulanten.

Die Lit. A Nr. 6 und 7 angeführte naturgemäße Genesis und mit der Wirklichkeit vielfach übereinstimmende Darstellung der Symptome einer bestimmten Irreseinsform werden von den Verfassern gerichtsärztlicher und psychiatrischer Lehrbücher als die wichtigsten und untrüglichsten Erkennungsmittel der Simulation krankhafter Zustände angegeben, und durch übereinstimmendes Zusammentreffen sowie durch die anscheinende Echtheit dieser Zeichen bei zahlreichen anderweitigen Widersprüchen erlangt der Wittmann'sche Fall einen hohen Grad von Schwierigkeit und von wissenschaftlichem Interesse. Daß aber dieses Uebereinstimmen und Zusammentreffen nur ein oberflächliches und scheinbares sei, wird sich aus der anderweitigen sub Lit. B. aufgestellten Zusammenstellung der Beobachtungen ergeben. Völlig erklärbar könnte diese anscheinende Uebereinstimmung durch den Nachweis werden, daß Wittmann sich entweder durch Lektüre eine nähere Kenntniß der Symptomengruppen einiger Wahnsinnsformen erworben, oder im Gefängniß zu Deutsch-Crone, wo sein Vater als Gefangenwärter angestellt ist, derartige Krankheitszustände an Verbrechern beobachtet hätte.

Die Lit. A. Nr. 8 angeführte Gedächtnißschärfe ist eine Eigenschaft aller einseitig entwickelten herzlosen Verstandesmenschen.

Der Lit. A Nr. 9 aufgeführte Schlafmangel ist nur unsicher constatirt und, dem gutachtlichen Berichte des Herrn Medicinalraths Dr. Gall zufolge, nur selten beobachtet worden.

Die Lit. A. Nr. 10 erwähnte Nahrungsverweigerung war nur eine partielle, inconsequente und zu wenig energische.

Das Lit. A. Nr. 11 angegebene Verleugnen des noch fortdauernd dargelegten Wahnsinns wird ebenso als ein wichtiges Erkennungsmittel wahren Irreseins in den gerichtsärztlichen Lehrbüchern angegeben, zumal ungeschickte Simulanten sich oft genug als wahnsinnig bezeichnen; auch wird dieses Symptom der Echtheit durch das bei Wittmann stattgefundene Einräumen eines früheren zwei- bis dreiwöchentlichen Anfalls von Irresein keineswegs verdächtigt, vielmehr werden ähnliche Zugeständnisse von den Pfleglingen der Irrenanstalten nicht selten ausgesprochen.

Die Lit. A. Nr. 12 bemerkte partielle Vernunftmäßigkeit in Bezug auf alle außer dem Bereiche der krankhaften Vorstellungen liegenden Lebensverhältnisse ist dem Monomaniaten eigenthümlich, nur unterliegt dieselbe keineswegs einer so deutlich ausgeprägten und zweckbewußten Absichtlichkeit, wie dies bei Wittmann in allen seinen Gesprächen unverkennbar der Fall war.

Die Lit. B des Gutachtens aufgeführten Beobachtungen und Merkmale, welche gegen die Echtheit des von Wittmann geäußerten Wahnsinns, also für die Simulation desselben Zeugniß ablegen, sind nicht allein zahlreicher und zur Entkräftung der meisten sub Lit. A für die Echtheit seines Irreseins zusammengestellten Beweisgründe völlig geeignet, sondern es liegt in mehrern derselben ein so hoher Grad von Beweiskraft, daß jeder Zweifel an der beabsichtigten Simulation schwinden muß.

Der psychologisch unantastbare Grund, daß der Wahnsinn die gleichmäßige Ausführung früherer Vorsätze und kluger Beschlüsse wesentlich beeinträchtigen, und in Bezug auf vorangegangene Verbrechen zum Verräther werden müsse, ist allein wichtig und entscheidend genug, um das Vorhandensein einer Simulation bei Wittmann vollkommen sicherzustellen, selbst wenn alle übrigen Erkrankungszeichen als zweifelhaft oder nichtig befunden würden.

Demnach ergibt sich:

a) daß bei Wittmann in allen Symptomen von anscheinender Geisteskrankheit die beharrliche Absicht einer Täuschung anderer über seinen psychischen Zustand bemerklich geworden ist;

b) daß Wittmann mit seltener Sachkenntniß, Consequenz und Meisterschaft die Simulation von Verfolgungswahnsinn in Form der Raisonnirsucht während seiner Untersuchungshaft von Ostern v. J. ab bis jetzt durchgeführt hat;

c) daß Wittmann bei völlig günstigem Zustande seiner Auffassung, seines Verständnisses, seiner Ueberlegung und seines Urtheils gegenwärtig in gerichtlicher gleichwie in schwurgerichtlicher Beziehung für verhandlungsfähig zu erachten ist, und

d) daß Wittmann zum Behufe seiner Rettung die Rolle eines Wahnsinnssimulanten aller Wahrscheinlichkeit nach bis zum Ende fortzuspielen den Willen und die Kraft haben wird.

 

Nach dieser klaren und bestimmten Beurtheilung durfte mit der schwurgerichtlichen Verhandlung nicht länger gezögert werden, und der Termin dazu ward auf den 22. Juni 1868 und die folgenden Tage angesetzt.

Noch nie hatte die Stadt Posen eine Schwurgerichtsperiode wie diese gehabt. Nur zwei Anklagesachen kamen zur Verhandlung, die eine betraf den Tagearbeiter Martin Hochberger, der 1867 in einem Dorfe bei Posen den Krüger der Ortschaft, welcher ihn aus Mitleid aufnahm und in seinem Schlafzimmer bettete, zur Nachtzeit überfallen und ihn, seine Frau und seine zwei Kinder – die vier Bewohner des Hauses – mit einer Axt erschlagen hatte, und dann mit der Baarschaft der Ermordeten entflohen war. Hochberger wurde nach einer dreitägigen Verhandlung durch Urteil des Schwurgerichtshofes vom 19. Juni 1868 zum Tode verurtheilt. Nach den Nachrichten öffentlicher Blätter hat der König die Todesstrafe aus Gnaden in lebenslängliche Zuchthausstrafe verwandelt.

Hierauf folgte der Proceß gegen Wittmann. Am 22. Juni 1868, vormittags um 8 Uhr, eröffnete der zum Vorsitzenden ernannte Kreisgerichtsrath Thiel die Sitzung. Wittmann erscheint und nimmt auf der Anklagebank Platz, auf der einen Seite faßt ein Gefangenwärter, auf der andern ein Soldat mit geladenem Gewehr Posto. Die Augen aller Anwesenden richten sich auf den Angeklagten, dessen bleiche Gesichtsfarbe die lange Zeit der Haft verräth, während sein Gesichtsausdruck ein unbefangener, ruhiger, man möchte sagen heiterer ist. Lautloses Schweigen herrscht in der Versammlung. Der Vorsitzende fragt den Angeklagten nach seinen persönlichen Verhältnissen, und dieser antwortet schnell und richtig. Trotzdem beschließt der Gerichtshof durch mündliche Befragung der Sachverständigen zunächst festzustellen, ob Wittmann verhandlungsfähig ist. Wiederum geben die Doctoren übereinstimmend ihr Gutachten dahin ab, daß Wittmann die Wahnsinnsäußerungen nur simulirt habe, und weder wahnsinnig noch blödsinnig, vielmehr vollständig zurechnungsfähig sei.

Der Gerichtshof entscheidet darauf hin, daß das Verfahren seinen Fortgang haben solle, es wird die Geschworenenbank gebildet, die Anklage verlesen und an Wittmann die Frage gerichtet, ob er sich schuldig bekenne. Er erwidert: »Ich bin unschuldig.«

Der Präsident fragt ihn nach den Namen seiner Frauen und seiner Kinder, nach ihren Geburts- und Sterbetagen. Der Angeklagte gibt mit der größten Genauigkeit alles an, und spricht auch sonst in ganz vernünftiger Weise, aber nur so lange, als die ihm zur Last gelegten Verbrechen nicht berührt werden.

Sobald die Fragen die Anklage betreffen, fängt er wirre Reden an. Etliche Beispiele mögen seine Taktik veranschaulichen.

Vorsitzender. Die Anklage behauptet, daß Sie mit Ihren Ehefrauen, besonders mit der dritten, in Unfrieden gelebt haben, und zwar weil Sie sich einem wüsten Leben ergeben, und viel in Restaurationen und Tabagien verkehrt haben. Ist das richtig?

Angeklagter. Tabagien und Restaurationen das ist ein Unterschied. In Restaurationen bekommt man kalte und warme Speisen, in Tabagien Getränke.

Vorsitzender. Wissen Sie, aus welcher Sprache das Wort »Restauration« stammt?

Angeklagter. Ich habe nicht Theologie studirt.

Vorsitzender. Was verstehen Sie unter Theologie?

Angeklagter. Theologie ist eine Wissenschaft, da lernt man alle Sprachen, englisch, polnisch, französisch, russisch und auch jüdisch.

Vorsitzender. Kennen Sie Arsenik?

Angeklagter. Ich habe nicht Chemie studirt.

Vorsitzender. Sie erinnern sich aber wol, daß Sie ein Buch über Chemie für den Apotheker Schmurr eingebunden haben?

Angeklagter. Es ist möglich. Ich habe leider so viele Bücher eingebunden, daß ich nicht mehr weiß, was es für Bücher waren.

Vorsitzender. Sie sollen mit dem Zeugen Lindenstrauß zusammen in einem Stalle gewesen sein, in welchem sich giftige Stoffe befanden?

Angeklagter. Das ist nicht wahr!

Vorsitzender. Sie haben dies früher eingeräumt.

Angeklagter. Da muß ich erst meine Unterschrift sehen. (Das Protokoll wird ihm vorgelegt.) Die Unterschrift erkenne ich nicht an. Die ist gefälscht; das habe ich gar nicht ausgesagt. Das hat der Kreisgerichtsrath Groß ausgesagt. Die ganzen Acten sind gefälscht.

Vorsitzender. Die Anklage behauptet, Sie hätten bei einem Gespräch mit dem Zeugen Volkmann geäußert: »Wie kann man nur so dumm sein, an Gott und die Unsterblichkeit zu glauben!« Haben Sie sich so geäußert?

Angeklagter. Das ist nicht wahr. Wer ist denn der Volkmann? Der soll mir gegenübergestellt werden. Was ist das überhaupt für ein Verfahren? Es gibt dreierlei Verfahren: ein gerichtliches, ein polizeiliches und ein militärisches. Das soll ein Schwurgericht sein!? Nach welcher Verordnung wird denn hier verfahren, von 1807 oder 1849 oder 1867? Ich bin schon 1866 arretirt, und kann deshalb nicht nach der Verordnung von 1867 verurtheilt werden. Seitdem ich in Posen bin, bin ich bereits verhaftet, denn das Haus, in welchem ich hier gewohnt habe, gehört ja zur Englischen Gesellschaft.

Vorsitzender. Was ist das für eine Englische Gesellschaft?

Angeklagter. Das kann ich hier vor dem ganzen Publikum nicht sagen.

Vorsitzender. Sagen Sie es immerhin.

Angeklagter. Das ist ja die Gesellschaft in dem kleinen gelben Hause am Sapiehaplatze.

Vorsitzender. Bezeichnen Sie das Haus näher.

Angeklagter. Na, kennen Sie denn das Gefängniß nicht?

Vorsitzender. Kennen Sie den braunroth angestrichenen Kasten, der hier im Gerichtssaale vor uns steht? Er soll Ihnen gehört haben.

Angeklagter. Es kann sein, es kann vieles sein, es kommt aber nur auf das Justizgesetz an.

Vorsitzender. In diesem Kasten ist eine Brieftasche gefunden worden. Erkennen Sie diese Brieftasche als die Ihrige an?

Angeklagter (nach Vorlegung der Brieftasche). Ja, ich erkenne sie.

Vorsitzender. In dieser Brieftasche war ein Recept zur Vergiftung von Ungeziefer. Gehört das Ihnen?

Angeklagter. Es ist möglich. Es soll von meinem Bruder Wilhelm herrühren, der ist verrückt gewesen. Er hat sich in Greifswald erschossen.

Vorsitzender. In dem Kasten ist ferner bei der Haussuchung ein Stück Arsenik gefunden worden. Wie ist das hineingekommen?

Angeklagter. Das weiß ich nicht. Fragen Sie doch die, welche es herausgenommen haben.

Vorsitzender. Womit haben Sie sich während Ihres Aufenthalts in Posen beschäftigt?

Angeklagter. Ich bin spazieren gegangen.

Vorsitzender. Haben Sie denn dazu die Mittel gehabt?

Angeklagter. Nun Schulden habe ich nicht gemacht.

In ähnlicher Weise läßt sich der Angeklagte auf die andern Fragen aus, die ihm über den Inhalt der Anklage vorgelegt werden, und fügt häufig seinen Antworten, wenn dieselben auch klar und erschöpfend sind, eine Menge unzusammenhängender, unverständlicher und zur Sache nicht gehörender Redensarten hinzu.

An seine Vernehmung schließt sich die Beweisaufnahme. Der Inhalt der Anklage wird im wesentlichen bestätigt, wir beschränken uns deshalb darauf, nur das Neue zu berichten, was in der Verhandlung vorkommt. Dahin gehört zunächst das Zeugniß des Kanzlisten Henning, der darüber Mittheilung macht, wie Wittman in den Besitz des Arseniks gelangt sein kann. Er gibt an:

»Im Sommer 1855 wurde in dem Handelssaale am Alten Markt zu Posen ein Naturaliencabinet gezeigt. Unter den ausgestellten Gegenständen befanden sich auch zwei Stücken einer weißlichen Masse, welche von dem Inhaber des Cabinets als Arsenik bezeichnet wurden. Die Stücken lagen unter Glasglocken und hatten verschiedene Größe. Während ich in der Nähe dieser Glasglocken stand, bemerkte ich, daß ein junger Mensch sich mit einem Messer unter den Glasglocken etwas zu schaffen machte. Bald nachher hörte ich, daß der Eigenthümer des Cabinets laut rief, das eine der beiden Stücken Arsenik sei gestohlen worden. Der Thäter wurde damals nicht ermittelt. Ich habe auf den eben erwähnten jungen Menschen Verdacht gehabt, der zur Zeit der Nachforschung nach dem Diebe nicht mehr in der Ausstellung war, und den ich nur von hinten gesehen habe. Jener junge Mensch hatte dieselbe Größe wie Wittmann.«

Es wird dem Zeugen das Stück Arsenik vorgezeigt, welches in der Wittmann'schen Wohnung mit Beschlag belegt worden ist, und er sagt:

»Das eine jener beiden Stücken Arsenik war erheblich größer als das hier vorliegende, über die Größe des andern und darüber, welches Stück gestohlen ist, vermag ich nichts anzugeben. Ueber den Thäter weiß ich nur noch eins, daß man nämlich damals sagte, der junge Mensch sei ein Buchbinder gewesen.«

Der Angeklagte stand damals in Posen als Buchbindergeselle in Arbeit. Freilich ist damit noch nicht bewiesen, daß er den Arsenik gestohlen hat, aber wir erinnern daran, daß er auch in der Giftkammer des Apothekers Stuhr unter verdächtigen Umständen gewesen ist, und überlassen es unsern Lesern, ob sie annehmen wollen, daß Wittmann das Stück Arsenik aus dem Naturaliencabinet oder aus jenem Stalle, in welchem die Apothekerwaaren sich befanden, entwendet hat.

Ferner wurde bewiesen, daß der Angeschuldigte zu Anfang des Jahres 1866 auch das Leben seiner vierten Ehefrau, und zwar bei der Stuttgarter Lebensversicherungsgesellschaft für 500 Thlr. hatte versichern wollen. Frau Wittmann war damals in andern Umständen, deshalb ging der Agent auf den Antrag nicht ein. Wittmann spielte den Zeugen gegenüber seine Rolle des Wahnsinnigen consequent fort, er verdächtigte und schmähte namentlich die Frauenspersonen, welche vor den Schranken des Gerichts erschienen, und rief: »Verkauft, verrathen, ich will vor ein anderes Schwurgericht, dies soll nicht über mich richten. Ich will nach Wollin, vor dem hiesigen Schwurgerichte geht es zu wie auf dem jastrower Pferdemarkte.«

Erst als der Präsident ihm eröffnete, daß nunmehr die gegen ihn geübte Langmuth erschöpft sei, und daß er ins Gefangniß abgeführt, und in seiner Abwesenheit gegen ihn weiter verhandelt werden würde, wenn er die Verhandlung wieder störe, wurde er ruhiger.

Die Basis der ganzen Anklage war natürlich das Gutachten der Gerichtsärzte, daß Wittmann's Frauen und Kinder durch Arsenik vergiftet worden seien, und dieses Gutachten stützte sich wieder auf die chemische Analyse. Der Vertheidiger des Angeklagten griff diese Analyse an und behauptete: »Die von dem chemischen Sachverständigen angewandte Untersuchungsmethode und die Art der Untersuchung biete keine Gewähr dafür, daß der vorgefundene Arsenik aus den untersuchten Körpern herrühre; ferner sei der Schluß falsch, daß das Gift den Verstorbenen bei Lebzeiten beigebracht sein müsse; endlich enthalte jeder menschliche Körper in geringerer oder größerer Menge Arsenik, und die Untersuchung habe bei sämmtlichen Leichen nicht solche Quantitäten Arsenik ergeben, daß mit Nothwendigkeit auf eine Zuführung des Giftes von außen geschlossen werden müsse.«

Zum Beweise dieser Behauptungen waren zwei Gegensachverständige benannt worden, und es hatten sich demgemäß der Dr. Krug und der als Chemiker berühmte Dr. Sonnenschein aus Berlin eingefunden. Dem letztern wurden folgende Fragen vorgelegt:

I. Ist die von dem Medicinalassessor Reimann angewandte Untersuchungsmethode die richtige gewesen?

Dr. Sonnenschein. Herr Reimann hat die Untersuchung unter Anwendung des Marsh'schen Apparates in einer Weise ausgeführt, daß, wenn er Arsenik gefunden, solches entschieden in den Untersuchungsobjecten gewesen ist. Das Einzige, was ich gegen sein Verfahren erinnern könnte, ist, daß er nicht überall die Quantitäten angegeben hat, welche in den Untersuchungsobjecten enthalten sein mußten.

II. Ist anzunehmen, daß das Arsen, welches von dem Sachverständigen Reimann in den Leichen vorgefunden worden ist, den Verstorbenen bei Lebzeiten influirt sein muß?

Dr. Sonnenschein. Es ist dies eine Frage, zu deren Beantwortung eigentlich der medicinische Sachverständige und nicht der Chemiker berufen ist. Wenn ich mich indessen darüber auslassen soll, so muß ich sagen: Da das Arsen nicht nur in den Verdauungsorganen, sondern auch in den zweiten Wegen, namentlich in der Leber gefunden, und da es auch im Gehirn enthalten gewesen ist, wohin es nur durch den Säfteverlauf gelangt sein kann, so muß ich mich für die Ansicht entscheiden, daß der arsenige Giftstoff von den Verstorbenen bei Lebzeiten genommen worden ist.

III. Muß das in einer Leiche enthaltene Arsen von einer Vergiftung herrühren, oder enthält jeder menschliche Körper in geringerer oder größerer Menge Arsenik?

Dr. Sonnenschein. Die letzte Frage muß entschieden verneint werden. Einige französische Chemiker haben zwar vor 30 Jahren die Behauptung aufgestellt, daß im normalen Zustande arseniksaurer Kalk in den Knochen vorkommen könne. Diese Behauptung ist indeß durch angestellte Versuche als unhaltbar zurückgewiesen worden.

IV. Kann der aus der Leiche dargestellte Arsenik etwa anderer Natur sein wie das bei dem Angeklagten gefundene weiße Stück Arsenik?

Dr. Sonnenschein. Arsenik ist Arsenik, wo und wie er gefunden wird, hat er nach bisherigen Erfahrungen überall dieselben Eigenschaften, dieselben charakteristischen Reactionen und Wirtungen.

V. Kann es vorkommen, daß gewisse Papierarten arsenikhaltig sind? Und wenn dies der Fall ist, kann aus dem arsenikhaltigen Papiere etwa Arsenik in die Eingeweide eingedrungen sein?

Dr. Sonnenschein. In ganz ordinärem Packpapier kann Arsenik vorkommen, namentlich aber auch in dem früher gebrauchten sogenannten Kanzleipapier, weil dasselbe meist durch Smalte gebläut wurde. Diese Smalte, eigentlich Kobaltpräparat, ist fast immer arsenikhaltig. Immerhin ist bei der Trockenheit der Untersuchungsobjecte eine Aufnahme von Arsenik aus dem Papiere, in welchem die Untersuchungsobjecte nach der Ausgrabung und vor der chemischen Analyse gelegen haben, sehr unwahrscheinlich.

Die Glaskrausen, in welchen sich die Eingeweide der in Wollin ausgegrabenen Leichen befunden hatten, wurden vorgelegt und der Sachverständige Reimann als Zeuge darüber vernommen, in welche Papiersorten die Intestina eingewickelt gewesen seien. Er bezeichnete einzelne Papierhüllen als identisch mit den früher gebrauchten und versicherte, daß das andere Papier dieselbe Beschaffenheit gehabt habe. Dr. Sonnenschein besichtigte das ihm vorgelegte Papier und erklärte, daß in einem solchen noch nie Arsenik gefunden worden und darin auch kein Arsenik enthalten sei.

VI. Können Arsenikvergiftungen durch Tapeten oder grünen Zimmeranstrich herbeigeführt werden?

Dr. Sonnenschein. Die zum Anstrich von Zimmern verwendeten lebhaft grünen Farben bestehen in der Regel aus dem stark arsenikhaltigen Schweinfurter und Kasseler Grün, insbesondere sind auch zu Tapeten früher dergleichen Farben gebraucht worden. Möglich ist es allerdings, daß infolge des Bewohnens solcher Zimmer eine chronische Vergiftung erfolgen kann.

Es wurden hierauf die verehelichte Maler Wittmann und der Kahnschiffer Hoffmann in den Saal gerufen und über die Wandfarben in den frühern Wittmann'schen Wohnungen gefragt. Dieselben geben an:

»Wir kennen alle Wohnungen, welche der Angeklagte in Wollin bewohnt hat, aber keine derselben war tapeziert und keine seiner Stuben war grün gestrichen.«

VII. Kommen arsenikhaltige Kleider und Blumen vor, und kann durch derartigen Leichenschmuck das Arsen in die Leiche eindringen?

Dr. Sonnenschein. Die in neuerer Zeit benutzten grünen Tarlatankleider sind stark arsenikhaltig, ebenso manche grüne Bänder, sowie manche schöne, grüne, fabricirte Blumenblätter. Es kann die Möglichkeit der Uebertragung des Arsens aus den soeben genannten grünen Stoffen in den Leichnam, nachdem derselbe längere Zeit in der Erde gelegen, absolut nicht bestritten werden.

Die verehelichte Maler Wittmann und Frau Hoffmann sagen auf Befragen nach dem Schmuck der Leichen in dem Wittmann'schen Hause aus:

»Wir haben die drei ersten Ehefrauen und den ältesten Sohn in Wollin vor der Beerdigung in den Särgen gesehen; die Leichen waren aber weder mit grünen Kleidern noch mit dergleichen Blumen oder Blättern oder Bändern bekleidet oder geziert.«

VIII. Kann das bei der chemischen Analyse der in Wollin ausgegrabenen vier Leichen und der in Posen ausgegrabenen Kindesleiche vorgefundene Arsen erst nach dem Tode aus der Erde durch Inbibition in die Leichen gelangt sein?

Da ein solcher Einwand vorauszusehen war, hatte man schon vorher eine Quantität Erde von dem evangelischen Kirchhofe in Wollin, und zwar aus der Nähe der Wittmann'schen Gräber, und ferner eine Partie Erde vom evangelischen Kirchhofe in Posen dem Medicinalassessor Reimann zur Untersuchung übergeben. Reimann hatte eine genaue chemische Prüfung angestellt und gab nun seine Erklärung dahin ab:

»Bei der chemischen Untersuchung der wolliner Kirchhofserde habe ich gefunden, daß dieselbe in der That arsenikhaltig ist. Die von dem evangelischen Kirchhofe zu Posen entnommene Erde ist grobsandig, mit vielen Kalkstücken vermischt und stark eisenhaltig. Durch kaltes und kochendes Wasser habe ich ebenso wenig wie bei der wolliner in dieser Erde Arsenik ermitteln können. Durch die Behandlung mit concentrirten Säuren habe ich dagegen in der posener Kirchhofserde Arsenik, sogar noch in erheblicherer Menge als in der wolliner Erde, gefunden. Da dieses im Erdboden enthaltene Arsen – wie angegeben – in Wasser nicht lösbar ist, so kann das in den Leichen gefundene arsenige Gift sich ihnen unmöglich nach der Beerdigung aus der Erde mitgetheilt haben.«

Der Dr. Sonnenschein, welcher der chemischen Untersuchung der beiden Erdarten beigewohnt hatte, schloß sich diesem Gutachten durchaus an und fügte hinzu:

»In manchen Gegenden kommen kleine Lagen von Schwefelkies im Erdboden vor. Schwefelkies ist immer arsenikhaltig, durch Verwitterung und Oxydation bildet sich aus demselben Eisenoxyd, welches dann das vorhandene Arsenik als arseniksaures Eisenoxyd enthält. Unter Umständen kann sich bei dem Vorhandensein von Kalk auch gleichzeitig Arsenik oder arseniksaurer Kalk bilden. Diese Verbindungen des Arsenik sind aber sowol in kaltem als in warmem Wasser vollständig unlöslich.«

Diese seine Begutachtung belegt der Sachverständige durch ein Beispiel von einem Kirchhofe in Frankreich, dessen Erde stark arsenikhaltig ist. Man hat auf diesem Kirchhofe zwei nebeneinanderliegende Leichen mehr wie einmal in verschiedenen Zwischenräumen ausgegraben und untersucht. Es hat sich dabei ergeben, daß die Leiche derjenigen Person, welche nachweislich durch Arsenik vergiftet worden, mit diesem Gift stark durchdrungen gewesen ist; daß dagegen die Leiche der zweiten Person, welche nicht an Arsenik gestorben, auch nicht eine Spur von Arsenik enthalten hat.

IX. Ist Arsenik durch den Geschmack erkennbar, und verräth sich das Gift dadurch denen, deren Vergiftung durch einen andern beabsichtigt wird?

Dr. Sonnenschein. Der Geschmack des Arseniks läßt sich durch Beimischung anderer Ingredienzien, wie z. B. Zucker, umhüllen, sodaß man während des Genusses den Geschmack in Wirklichkeit nicht unterscheiden kann. Erst einige Zeit nach dem Genusse hinterläßt der Arsenik einen metallischen, unangenehmen Nachgeschmack. Ich habe selbst eine kleine Quantität Arsenik einmal mit Zucker vermischt genommen, und dabei die obenerwähnte Wahrnehmung gemacht.«

Mit diesem Gutachten, welchem der Dr. Krug in allen wesentlichen Punkten beitritt, ist die Beweisaufnahme geschlossen.

Auf die Frage des Vorsitzenden, ob der Angeklagte noch etwas anzuführen habe, erklärt dieser:

»Ich will nicht in Posen bleiben; ich bin in Posen nicht angehörig, man hat mich verfallen lassen. Das ist Fensterrecht, nein 1 plus 1 ist 2. – Warum ich verhaftet bin, weiß ich nicht, man hat mich herausgeluxt. Ich habe den Kreisgerichtsrath Groß gebeten, mich zu entlassen, derselbe hat mich gefragt, warum ich hineingekommen bin. Ich bin unschuldig, man wird mich nicht schuldig machen, ich werde mich vertheidigen. Uebrigens die Geschworenen kann ich nicht annehmen; sie sind parteiisch.«

Vorsitzender. Das sind Beleidigungen gegen die Geschworenen, die ich nicht gestatten kann.

Angeklagter. Parteien, Parteien – ich kenne die Fortschrittspartei!

Nachdem Wittmann in dieser Weise noch minutenlang weiter raisonnirt hatte, beantragte der Staatsanwalt, die bereits im präparatorischen Verfahren vernommenen medicinischen Sachverständigen über die Fortdauer der Verhandlungsfähigkeit gutachtlich zu hören.

Der Vertheidiger macht dagegen geltend:

»Ich behaupte, daß der Angeklagte nicht simulirt, und daß derselbe nicht zurechnungsfähig ist. Ich beantrage deshalb, den drei Sachverständigen die Fragen vorzulegen, ob der Angeklagte dispositionsfähig ist, oder an Wahnsinn leidet, event. ob er jetzt etwa an Verrücktheit oder einer andern geistigen Krankheit leidet, und ob es überhaupt möglich ist, daß Wittmann, ohne Kenntniß der äußern Typen einer geistigen Krankheit, deren Merkmale dennoch habe richtig darstellen können.«

Der Gerichtshof ersucht hierauf die drei medicinischen Sachverständigen, sich gutachtlich zu äußern,

1) ob der Angeklagte während der Verhandlung vor dem Schwurgericht fortwährend zurechnungsfähig gewesen, und es gegenwärtig noch sei;

2) dabei den Antrag des Vertheidigers zu berücksichtigen und zu beantworten, ob der Angeklagte jetzt etwa an Verrücktheit oder an einer geistigen Krankheit leide, und ob es überhaupt möglich sei, daß er ohne Kenntniß der äußern Typen einer geistigen Krankheit deren Merkmale äußerlich dennoch habe richtig darstellen können.

Die Aerzte erwidern nach kurzer Berathung:

»Der Angeklagte ist in der Verhandlung fortwährend zurechnungsfähig gewesen, und ist dies auch gegenwärtig. Ohne Kenntniß der äußern Typen einer geistigen Krankheit, hat er deren Merkmale nicht füglich richtig nachahmen können; er hat aber auch die Typen der Geisteskrankheit, die er zu simuliren versucht, keineswegs richtig dargestellt.«

Der Vertheidiger blieb gleichwol dabei, daß Wittmann geisteskrank sei, und trug darauf an, das Verfahren einzustellen. Dieser Antrag wurde indeß vom Gerichtshofe zurückgewiesen und vom Staatsanwalt das Wort zur Begründung der Anklage ergriffen. Er hob an:

»Der Fall, welcher heute Ihrer Entscheidung, meine Herren Geschworenen, unterliegt, wird als ein seltener in den Annalen der Strafjustiz verzeichnet werden. Wir sehen einen Mann vor uns, der ein Geschäft daraus macht, Frauen und Kinder unter unsagbaren Schmerzen umzubringen, um ihr Vermögen an sich zu reißen. Nicht fremde Menschen sind es, die er tödtet und beraubt, nein diejenigen, welche nach den Gesetzen der Natur und der Ethik ihm am nächsten stehen, die seinem Schutze und seiner Fürsorge empfohlen sind. Um die unglücklichen Frauen an sich zu ziehen, nimmt er gleisnerisch die Maske der Liebe vor, er umstrickt seine Opfer mit Liebkosungen und zärtlichen Worten, vernichtet sie aber ohne Erbarmen, sobald er seine Zeit ersehen hat. Seine Waffe ist Arsenik, ein Gift, dessen unsichtbare Gewalt ihn zum Herrn über Leben und Tod derer macht, welche sich ihm nahen. Für ihn ist das unscheinbare, dem Zucker ähnliche weiße Stück, welches wir hier vor uns sehen, ein dämonischer Talisman, ein Talisman, der ihn der Arbeitsmühe überhebt, und aus den Schranken seiner Verhältnisse hinaustragen soll in andere Lebenssphären. Oft erprobt – wendet sich sein Mittel schließlich gegen ihn! Des unverfolgt gebliebenen Verbrechers Kühnheit und Sicherheit steigt mit der Zahl seiner Thaten. Er glaubt genug gethan zu haben, wenn er das Gift im äußersten Winkel seiner Wohnung verbirgt. Dort aufgefunden, bildet es nunmehr für seine Giftmischerei den ersten und gewichtigsten Beweis. Doch bevor ich zu dieser Würdigung der Beweise übergehe, ist es meine Aufgabe, den objectiven Thatbestand der hier in Rede stehenden Verbrechen darzuthun, d. h. zu erörtern, ob die Verstorbenen durch Gift ums Leben gekommen sind.«

Der Staatsanwalt führt aus, aus welchen Gründen diese Frage in allen sechs Fällen zu bejahen sei, und fährt dann fort:

»Ich will Sie bei Darlegung der erbrachten Beweise nicht durch die Wiederholung alles dessen ermüden, was die Voruntersuchung und die mündliche Verhandlung erbracht hat. Meine Aufgabe wird es vielmehr sein, das Verfahren des Angeklagten in den Specialfällen zu schildern, weil Sie daraus ersehen, daß Wittmann im Morden ein bestimmtes System befolgt hat. Gleichartigkeit finden wir zunächst in der Auswahl des Giftes und in der Zeit, wo er es seinen Opfern beibrachte. Er nimmt jedesmal Arsenik, und wählt in der Regel einen Zeitpunkt, wo die Frauen an andern Krankheitszuständen leiden. Es geschieht dies, um den Arzt und andere zu täuschen, und die Täuschung gelingt. So erkrankt die erste Frau drei Tage nach ihrer Entbindung; die zweite Frau ist schon seit Monaten unwohl, die Katastrophe aber tritt an einem Tage ein, an welchem ihre Nerven durch ein starkes Gewitter erschüttert worden sind. Die dritte Frau wird am zweiten Tage nach der Niederkunft vergiftet, und die Erkrankung der vierten Frau fällt in einen Monat, wo die Choleraepidemie in Posen grassirte.«

»Weiter sehen wir, wie der Angeklagte sich überall den Einwand offen hält, daß eine andere Person das Gift absichtlich oder zufällig in die Speisen oder Getränke gethan habe. Berechnend und schlau sorgt er dafür, daß in jedem einzelnen Falle eine andere Pflegerin zugegen ist, denn jemand, der öfter die gleichen Symptome sah, hätte Argwohn fassen und dem Giftmischer auf die Spur kommen können.«

»Auch mit den Aerzten hat Wittmann gewechselt, soweit dies möglich war; denn in jedem der ersten drei Fälle wurde ein anderer Arzt herbeigeholt, und in dem vierten und fünften Falle wandte sich Wittmann wol nur darum an einen der früher zugezogenen Aerzte, weil in Wollin nur drei Aerzte existiren.«

»Systematisch geht ferner der Angeklagte darauf aus, das ganze Vermögen der dem Tode geweihten Frauen an sich zu bringen. Systematisch sucht er den möglichst großen Nutzen zu ziehen, deshalb kauft er seine dem Tode geweihten Opfer in die Lebensversicherungen ein, oder versucht es, sie einzukaufen.«

Der Staatsanwalt schließt:

»Schrecken Sie nicht zurück, meine Herren Geschworenen, vor der schweren Tragweite Ihres Verdicts. Ist es nicht eine gerechte Strafe, wenn derjenige den Tod erntet, der ihn fünf Jahre hindurch gesäet hat? Sein Leben in diesen fünf Jahren war Heuchelei und Falschheit und gipfelt in einer Reihe entsetzenerregender Verbrechen! Heute ist der Tag, an welchem die Rechnung dieses Lebens gezogen wird. Möge Ihr Wahrspruch die Sühne bringen für die Verleugnung der Gesetze Gottes und der Menschen! – Ich beantrage, den Angeklagten schuldig zu erklären.«

Hierauf erhebt sich der Vertheidiger und spricht zunächst im allgemeinen über das Amt der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung, dann geht er in die Sache selbst ein und sagt:

»Der ganze Beweis der Schuld des Angeklagten besteht darin, daß nach dem Gutachten der Sachverständigen Arsenik in den Leichen der vier Frauen und den beiden Kindern gefunden, und daß dieser Arsenik nach dem Gutachten der Sachverständigen im Wege der Nahrungsaufnahme verschluckt sein müsse. Ich gebe gern zu, daß diese Gutachten nach sorgfältiger und gewissenhafter Prüfung, dem heutigen Standpunkte der Wissenschaft gemäß, abgegeben worden sind; allein der jetzige Standpunkt der Wissenschaft, insbesondere der Chemie, ist noch so niedrig und der Veränderung so unterworfen, daß das, was heute als wahr gilt, morgen schon als falsch verworfen wird.«

»Auch die medicinischen Sachverständigen irren sehr häufig in ihren Gutachten. Denn wie oft kommt es vor, daß ein Arzt sein Gutachten dahin abgibt, ein Mensch sei an einer bestimmten Krankheit gestorben, während es sich nachher herausstellt, daß er einer ganz andern Krankheit erlegen ist. Wenn Sie nun die Ueberzeugung von der Richtigkeit der Gutachten in beiden Wissenschaften nicht gewinnen können, so ist der Beweis für die Schuld des Angeklagten nicht erbracht. Denn alle Thatsachen, welche die Anklage dafür anführt, sind unerheblich. Ich räume ein, daß in dem Kasten des Angeklagten und in dessen Westentasche Arsenik gefunden worden ist, allein dies ist gerade ein Beweis für seine Nichtschuld; denn es widerspricht doch zu sehr der sonst an ihm gerühmten Klugheit, daß er im Besitze des Mordwerkzeugs geblieben sein sollte. Ich bestreite auch nicht, daß der Angeklagte seinen Ehefrauen und deren Kindern kurz vor dem Tode Suppe, Chocolade oder Thee gereicht hat, und daß die betreffenden Personen bald nach dem Genuß dieser Speisen und Getränke erkrankt sind, allein daraus folgt noch lange nicht, daß sie auch infolge dieser Nahrungsmittel krank geworden und gestorben sind.«

»Was endlich das angebliche Motiv des Angeklagten, die Habsucht, anlangt, so erledigt sich dies bei näherer Erwägung seiner Vermögenslage.«

Der Vertheidiger bemüht sich darzuthun, daß Wittmann aus den Erbschaften erhebliche Vortheile nicht gehabt habe, und geht sodann zur Erörterung des geistigen Zustandes des Angeklagten über.

»Ich bleibe dabei, daß Wittmann nicht vollständig zurechnungsfähig ist. Sie, meine Herren Geschworenen, sind keineswegs an die Feststellungen des Gerichtshofes gebunden, vielmehr haben Sie nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, aus Ihren eigenen Wahrnehmungen über den Geisteszustand des Angeschuldigten zu urtheilen. Sind Sie nach der Verhandlung davon überzeugt, daß er nicht etwa zur Zeit der That, sondern jetzt, während der Verhandlung, unzurechnungsfähig ist oder gewesen ist, so müssen Sie das Nichtschuldig über ihn aussprechen. Das Gesetz schreibt ausdrücklich vor, daß jemand, der ohne eigene Verschuldung außer Stande ist, sich selbst zu vertheidigen, nicht verurtheilt werden darf, weil erst aus der Anklage und der Verteidigung das rechte Bild von der Sache entsteht. Fällt das eine, die Vertheidigung, weg, so leidet nothwendig das ganze Bild, und ein Unzurechnungsfähiger ist ja nicht im Stande, sich selbst richtig zu vertheidigen.«

Der Vertheidiger bittet die Geschworenen schließlich, sich nicht durch die allgemeine Stimme, welche sich in der Stadt gegen den Angeklagten erhoben habe, beirren zu lassen, und stellt ihnen den Spruch anheim.

Nachdem der Vorsitzende das Resultat der Verhandlung resumirt hat, werden sechs Fragen an die Geschworenen gerichtet, von denen sich jede auf eine der dem Angeschuldigten zur Last gelegten Mordthaten bezieht.

Die Geschworenen ziehen sich in ihr Berathungszimmer zurück, treten aber schon nach 20 Minuten wieder in den Saal, und der Obmann verkündigt den Spruch, der zu allen sechs Fragen lautet: »Ja, der Angeklagte ist schuldig!«

Der Staatsanwalt stellt seinen Strafantrag, und nach kurzer Berathung verkündigt der Präsident das von dem Gerichtshofe über Wittmann gefällte Todesurtheil. Ruhig und ohne eine Miene zu verziehen hat der Mörder das Verdict der Geschworenen vernommen – ohne irgendwie die innere Bewegung zu verrathen, hört er sein Todesurtheil.

Die Sitzung ist geschlossen. Die Fesseln werden dem Angeklagten wieder angelegt, und er wandert zurück in seine einsame Zelle.

 

Der Vertheidiger wendete Nichtigkeitsbeschwerde ein, weil nach Eröffnung der Verhandlung über die Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten in Gegenwart der Geschworenen verhandelt worden sei, bevor der Gerichtshof die Jury vereidigt habe.

Das Obertribunal zu Berlin wies jedoch das Rechtsmittel durch Erkenntniß vom 9. September 1868 als unbegründet zurück.

»Der Richter« – so heißt es in den Urtheilsgründen des höchsten Gerichtshofes – »ist verpflichtet, sich vor allen Dingen Gewißheit darüber zu verschaffen, ob er überhaupt mit dem Angeklagten verhandeln kann, was unzulässig ist, wenn der Angeklagte zur Zeit nicht zurechnungsfähig sein sollte. Dies kann der Natur der Sache nach nur durch ein Vorverfahren festgestellt werden; und wenn der Gerichtshof diese Frage über die zeitige Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten in öffentlicher Sitzung und in Gegenwart sämmtlicher für die Schwurgerichtsperiode einberufenen Geschworenen erörtert hat, so ist das kein Grund zur Anfechtung seines Erkenntnisses. Denn es ist weder im Gesetz vorgeschrieben, daß ein solches Verfahren mit Ausschluß der Öffentlichkeit und in Abwesenheit der Geschworenen erfolgen soll, noch ist ein innerer Grund dafür ersichtlich.«

»Ein Wahnsinniger kann nicht verurtheilt, ein Irrsinniger kann nicht hingerichtet werden«, das hat Wittmann, während er sich in der Lazarethabtheilung des Gerichtsgefängnisses befand, oft ausgesprochen. Er spielt die einmal angenommene Rolle weiter und stellt sich auch jetzt noch wahnsinnig, vermuthlich weil er hofft, daß der König, wenn es ihm gelingt, einen Zweifel an seiner Zurechnungsfähigkeit zu erregen, das Todesurtheil nicht bestätigen wird.


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