Willibald Alexis
Isegrimm
Willibald Alexis

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Zwanzigstes Kapitel.

Im Schnee.

Ein heftiges Schneetreiben hatte auf der Landstraße den leichten Reisewagen überfallen, in dem zwei französische Militärs, tief eingehüllt in ihre Mäntel, saßen. Das en avant, en avant! des einen aus dem Wagen fruchtete auf die Dauer so wenig, als die Flüche und handgreiflichen Mahnungen des auch militärischen Dieners auf dem Bocke. »Boukre Du nur,« dachte oder sprach der vor ihm reitende Postillon. »Was nicht geht, geht nicht.« Im Carriere war es gegangen, obgleich die Landstraße keine Chaussee war; aber die Peitsche vermochte nichts mehr über die vier keuchenden Pferde, als das kalte Naß schon stundenlang auf ihre rauchenden Körper schlug. Der Wind trieb den Schnee über das weite Flachland, und wellenartig schichtete er sich gerade vor ihnen im gehöhlten Wege. Die Pferde versanken schon bis an den Bauch.

»Da haben wir die Bescherung!« rief der Schwager und sprang ab. Das eine Vorderpferd war gestürzt. Er riß umsonst, es stand nicht wieder auf. Da keuchte und röchelte es ihm zur Seite; auch sein Handpferd stürzte.

Es brauchte keiner Worte noch einer Verständigung durch den Dolmetscher, der der Kammerdiener und Husar war, es war nur ein seltsamer Kontrast in der südfranzösischen Wut des Generals, der noch eben erklärt, er müsse noch heut, koste es, was es wolle, in einem Ort sein, den er nannte, und der Ruhe des Postknechts, mit der er das Gestränge den gestürzten Tieren abnahm.

»Mais, que faire donc?« die zwei übrigen Pferde konnten unmöglich den Wagen weiter ziehen, wo die Kräfte von vieren nicht ausgereicht.

Mit der Notwendigkeit kämpft auch der siegreichste Held vergebens. Es kommt nur darauf an, wie er sich in die Notwendigkeit schickt, um Held zu bleiben. Der Postillon sollte nach der nächsten Station reiten, um frische Pferde zu besorgen; da man aber weder seiner Eilfertigkeit, noch seinem guten Willen trauen mochte, ward der Kammerdiener auf dem anderen Pferde ihm mitgegeben.

Bis zu ihrer Rückkehr mußten, im günstigsten Falle, Stunden vergehen. Es dunkelte schon stark, im halboffenen, ausgespannten Wagen bis dahin auszuhalten, war eine relative Unmöglichkeit. Man sah glücklicherweise Licht schimmern aus einem verfallenen Gehöft, dessen tief herabgehendes, vom Schnee weißgefärbtes Dach es dem Auge verborgen hatte. Der Postillon bestätigte, daß es ein Vorwerk oder eine Ausspanne sei, die von ihrem Besitzer in den Kriegsnöten und Durchmärschen längst verlassen und Wind und Wetter preisgegeben sei.

Auf die Frage, warum sie das getan? hatte der Postillon eine Antwort, die der Dolmetscher wohl nicht so keck übersetzte, als der Bursch sie gegeben, der schon auf dem Pferde sich in einer gewissen Sicherheit den Offizieren gegenüber fühlte, welche, trotz ihrer hohen Stiefel, unsicher im Schnee einen Weg suchten: »Weil sie die schwerenötsche Einquartierung nicht mehr aushalten konnten.«

Endlich hatten sie, zwischen Hecken und über Gräben steigend, die Hütte erreicht. Während der General einen Blick nach dem Wagen und den Reitern warf, die nur noch wie dunkle Punkte aus dem Schneegewirbel vorschimmerten, spannte der Adjutant unterm Arm die Pistolen und blickte vorsichtig durch das Fenster nach dem Lichtschein.

»En avant!« rief der General und stieß die Tür auf. »Wo Feuer brennt, sind doch keine Wölfe!«

Nachdem die Eigentümer ausgezogen, mußten noch viele in das Haus eingezogen sein. So viele hatten hier mutwillig zerstört. Kein Fenster war ganz, keine Tür unzerschlagen, selbst die Seitenwände waren niedergerissen. Das spärliche Feuer auf dem Herd hauchte die Verwüstung noch trostloser an. Männer wie die Eingetretenen waren an Schreckensszenen jeder Art gewöhnt. Dem General aber, einer hohen Gestalt, dessen Federhut die Decke fast berührte, sah man an, daß er auch in Palästen zu Hause war. Unter seinen festen, klirrenden Schritten zitterten die morschen Dielen, als auch er mit der Hand am Degen plötzlich inne hielt und seinen Blick in eine dunkle Ecke warf, wo dumpfe Töne vernehmbar wurden. Der Adjutant hatte ebenso schnell einen Kienspan am Feuer entzündet und in die verdächtige Ecke geleuchtet. Er lachte auf:

»Gute Aussicht, wenn uns hungert. Verirrte Schweine.«

»Und ein Mensch daneben.«

»Vieh beim Vieh!«

Der Schweinetreiber, der auf zusammengefegtem Müll und Stroh halb lag, halb saß, schien auch wirklich auf die Benennung Anspruch zu machen. Er glotzte, das Brot im Munde, und in der Hand Messer und Käse, die Eintretenden an, ohne aufzustehen oder sich nur im geringsten stören zu lassen.

»Wenigstens ein Vieh,« sagte der General, »das aus Instinkt dasselbe tat, was wir aus Vernunft, er hat auch ein Obdach gesucht vor dem Wetter.«

»Und für unsere Erleuchtung gesorgt,« setzte scherzhaft der andere hinzu, und versuchte mit einigen Brocken Deutsch eine Art Unterhaltung anzuknüpfen. Der Mensch war aber entweder zu stumpfsinnig oder das Deutsch des Adjutanten zu unverständlich. Er erhielt auf die einfachsten Fragen keine deutliche Antwort.

Der General hatte dem gleichgültigen Gegenstande längst den Rücken gewandt und sah bald auf das Feuer, bald auf die Schneeflocken, die durch das Fenster trieben, um zum Teil zur Tür wieder hinauszufliegen.

»Was kümmern Sie sich um diese vertierten Geschöpfe, d'Espignac?«

»Exzellenz, wir sind in Feindesland.«

»Aber nicht in Italien oder Spanien.«

»Exzellenz, wenn ich mich nicht täuschte, sah ich schon unter den Bauern trotzige und tückische Gesichter.«

»Weil es Leibeigene sind. Sie mußten nachts in die Teiche peitschen, damit die Frösche durch ihr Gequak nicht die gnädige Wöchnerin im Schlaf störten.«

»Aha, das!« lachte der Adjutant. »Ich wüßte doch nicht, daß meine Frau Mutter und Großmutter es prätendiert hätten. Im übrigen weiß ich nicht, ob es schlimmer wäre, in lauer Sommernacht am Teich sitzen und mit Ruten ins Wasser schlagen müssen, als in der Julisonne auf dem Weizenfelde Fronarbeit zu tun.«

»Wir erscheinen diesem Volke als seine Befreier, wenn es ein Einsehen hat!«

Der Adjutant wiederholte mit einem satirischen Blick die letzten Worte:

»Wenn Exzellenz dieser Ansicht sind, wundert mich um so mehr die Eile, mit der Sie auf dem kürzesten Wege, der aber, wie die Dinge stehen, der längste werden kann, das Ziel verfolgen.«

»Es dependierte von Ihnen, ob Sie mir folgen wollten. Russac war sehr bereit.«

Die Worte wurden in so determiniertem Ton gesprochen, daß der Subaltern die Weisung, zu schweigen, verstand. Der General schwieg auch, er amüsierte sich, Holzstücke, an denen noch kein Mangel unter den Trümmern war, in das Feuer zu werfen. Er schien sich mit den hellprasselnden Flammen eine Weile zu unterhalten, bis er wieder das Bedürfnis zum Sprechen empfand.

»Fürchten Sie etwa, daß mein helles Feuer eine brandenburgische Guerilla anlockt?«

»Ich sah nur im Flammenschein Eurer Exzellenz Heldengestalt. Sonst, glaubte ich, noch keine Probe abgelegt zu haben, daß man mich zu denen zählen könnte, die sich fürchten.«

»Was sagte Ihnen der Kommandant in Nauwalk? Mir gab er die Versicherung, der Weg sei jetzt sicher.«

»Sicher,« wiederholte der Adjutant lächelnd, indem er aufs Fenster zeigte. »Wenn Sie nicht unter dem Schnee einen Weg finden, darüber prescht jetzt kein Husar.«

Es schien wirklich, als ob der Himmel platzte und eine dicke Schneewand in der Luft sich schichte. Der Adjutant mochte einen Ausbruch der Ungeduld erwarten; aber der General sah, fast träumerisch stumm, auf das weiße Gewirbel. Dann warf er sich auf eine Bank am Herde und stützte den Kopf in die Hand.

»Wenn er daran scheiterte!«

»Woran?«

»Woran scheitert die Götterkraft des Menschen? An der Dummheit, am Ungefähr. Napoleon hat an Duroc geschrieben, er habe in Preußen ein fünftes Element und einen neuen Feind kennen gelernt, den Kot. Unsere besten Truppen bleiben wie gelähmt an einem Flecke, sie können oft wochenlang absolut nicht weiter.«

»Sein Adler holt das Versäumte nach.«

»Das sind Ihre Komplimente, d'Espignac. Ich möchte einmal Ihre Wahrheit hören, wie die Herren von den alten Seigneursfamilien eigentlich über ihn denken. Hier behorcht uns niemand; in mir werden Sie keinen Verräter furchten.«

»Mein General, wer sich in der Sonne ausstreckt, um warm zu werden, fragt nicht, woher sie ihren Wärmestoff hat.«

»Eigentlich aber knirschen Sie innerlich über die Notwendigkeit, ihm dienen zu müssen. Wenn einmal eine Schlappe ihn trifft, etwas schief geht, freuen Sie sich nicht heimlich darüber?«

»Ich gerade nicht, mein General; es mögen ihrer sein –«

»Ich weiß es, Sie sind ein Philosoph,« unterbrach der General und stand mit boshafter Bewegung auf. »Uns gerade ist er – O, daß auch diese Titanennatur, ein Meteor, das aus sich heraus, allein aus sich zur Sonne ward, zu einer so strahlenden, wie die Welt sie nie gesehen –«

»Einmal untergehen muß, ohne das Sternensystem verrückt zu haben!« fiel der Adjutant ein.

»Wir gehen alle einmal unter. Nur ein Narr sorgt darum! Unsere Namen bleiben. Das Firmament ist groß genug, um neue Gestirne aufzunehmen.«

»Und der Name Victor kann nie untergehen.«

Der General schien dies grobe oder feine Kompliment überhören zu wollen, obgleich sein Gesicht ein wohlgefälliges Lächeln nicht unterdrücken konnte.

»Aber daß diese Sonne in einen Sumpf untersinken könnte!«

»Kann sein Hauch diesen Schnee schmelzen? Wenn diese glitzernde, weiche, widerstandslose Masse, in der sich die Feuchtigkeit der Atmosphäre verkörpert, hier schon eine so niederdrückende Gestalt annimmt, den Widerstand der Trägheit und Faulheit übend, wie erst weiter im Norden! Mit welchen Waffen ist dagegen zu kämpfen, wenn das ganze Heer eingeschneit ist, wie wir in dieser Spelunke. Aegyptens Staubwirbel, Syriens Sonnenbrand sind dagegen nichts. Das kann ein Widerstand werden, woran des Titanen Kraft erlahmt.«

»Es schneit nicht immer, Exzellenz.«

»Und schon zwei Stunden!« rief der General, mit dem Fuße stampfend.

»Wir müssen Geduld lernen von jenem Kretin. Er hat sich auf seinen Kober zum Schlafe gelegt.«

»Ein Kretin ist er nicht,« sagte der General, der wieder am Herde Platz genommen. »Ueberhaupt unterschätzen wir nicht diese Menschen! Ihre Soldaten waren gut, gerade aus diesem Lande. Wenn sie andere Offiziere gehabt –«

Der General suchte in der Tasche; der Adjutant fragte, ob er nach dem Wagen zurückspringen und Lektüre bringen solle – oder vielleicht Karten? Der General lächelte: »Ich glaube, Sie wären imstande, auch hier Bank zu legen. Es ist aber zu kalt, um mich von Ihnen ausziehen zu lassen.«

Der General überflog ein Papier, das er aus der Brieftasche gezogen, und, es entfaltend, gegen Zugluft, Schnee und Flamme zu hüten schien.

»Wenn nur nicht diese barbarischen Namen wären, die wir nicht aussprechen können. Wenn zu rasch gehandelt wird, möchten Verwechselungen entstehen, vor denen man sich zu hüten hat.«

»Wie nur Fouché in Paris wissen kann, was unsere gescheitesten Spürhunde hier nicht ausstöbern!«

»Fouché weiß alles – was nötig ist zu wissen, und zuweilen hält er es für nötig, daß die, welche es wiesen müßten, nichts davon erfahren. Darum muß seine Schrift und Liste dem Kaiser allein vorgelegt werden; er allein kann da entscheiden.«

»Kennt denn Seine Majestät diese Herren von itz und witz und quitz?«

»Er wird hineingreifen, und wo er zugreift, hat er recht gegriffen. Das ist das Patrimonium des superieuren Genies.«

»Ich fürchte nur, daß wir uns lächerlich machen, wenn wir diese soi-disant Seigneurs einer Konspiration anklagen.«

»Wer redet von einer eigentlichen Konspiration! Man hat hier keine Höllenmaschinen zu fürchten, keine Assassinendolche. Die Deutschen sind einmal eine aparte Rasse Menschen, die wir erst studieren müssen. Es scheint ein Volk unpraktischer Träumer, aber indem sie träumen und metaphysisch grübeln, präparieren sie in ihrer Art das Handeln vor. Auf ihren Universitäten lehrt jeder Professor, was er Lust hat, und kein Staatsmann kümmert sich darum, man verachtet es oder macht sich lustig, wie über eine Spielerei der Jugend, die man ihr gönnt, als heiteren Eingang in das saure Leben. Aber ehe eine Generation vergangen, haben diese Ideen unmerklich durchgeschlagen, sie sind ins Fleisch eingedrungen, und was man vorhin als Torheit verspottet, ist nun Regime. Diese in der Regel kümmerlich lebenden Gelehrten und Dichter dünken sich daher in ihrer Dachstube die Könige und Gesetzgeber kommender Zeit.«

»Wie's ihnen beliebt. Wir sind Satelliten der Gegenwart; was gehen sie uns an?«

»Mehr als wir denken, sagt Bignon, der in Berlin Deutsch lernt; während wir handeln, denken sie uns

»Desto besser; wenn sie sich in uns hineindenken, werden sie Franzosen.«

»Sie denken sich in das hinein, was uns frei, einig, groß und siegreich gemacht hat. Sie studieren unsere liberalen Ideen. Was sagen Sie dazu?«

»Daß wir sie quittiert haben.«

»Ganz, Marquis d'Espignac?« fragte der General mit Betonung, »wir haben sie nur mit unserer Glorie vergoldet. Ja, mein Herr, die Deutschen fragen sich, wodurch werden wir die große Nation?«

»Den Zorn des Kaisers über die deutschen Ideologen konnte ich nie begreifen.«

»Ich begreife ihn jetzt. Durch ganz Deutschland läuft diese stille Verschwörung. Man sieht endlich ein, daß die alte Staatswirtschaft in allen ihren Branchen sich überlebt hatte; selbst das preußische Militärwesen, das auch wir einmal für das vorzüglichste hielten, ist vor aller Augen zum Kinderspott geworden. Diese Ueberzeugung, die wie ein Gewitterschlag über sie gekommen, hat auch blitzartig auf die Gemüter gewirkt. Solcher Umschlag war in Deutschland noch nicht da, und wir sind ihre Aerzte, ihre Magnetiseure.«

»Meinethalben, aber was tun sie? frage ich.«

»Und ich antworte: sie denken! Wer, der in die Historie blickt, Herr von Espignac, wagt zu bestreiten, daß der Gedanke eine furchtbare Waffe ist, die Reiche vernichtet und Nationen verwandelt, aus der Reihe der Lebenden ausgelöscht hat? Auch wir in Frankreich hatten uns überlebt, und ehe wir es inne wurden, stand der Gedanke, groß geworden, geharnischt da, und das blutige Ende brach herein.«

»Hier sind keine Harnische und kein Blutdurst.«

»Welche Waffen hatten unsere Marseillaiser! Was halfen dem König seine Kanonen, der Mut und die Taktik der Schweizer! Wo ein Volk aufsteht, hat es Waffen. Und wenn Eventualitäten einträten! Es gibt keinen Feind von Fleisch und Blut, den er noch zu fürchten hätte; aber wer sagt uns, daß der Feind in Fleisch und Blut erscheint! Eben diese Wege, dieses Wetter, dieser Schnee, ich gestehe Ihnen, in diesem Dunstlande wachsen mir Gespenster auf. Wenn er da in den Morästen eingeschlossen, sein Heer ertrunken, erfroren, von Krankheiten hingerafft, wenn es vernichtet wäre, wer, mein Herr, bürgt Ihnen, daß das Volk in Deutschland nicht doch aufsteht? Die Emissäre dieses Bündnisses schleichen in allerhand Gestalten durch das Land. Das haben wir ermittelt, aber sie haben keine Kennzeichen. Sie verständigen sich nur durch die Gesinnung. Sie klopfen leise an, horchen aus, ermahnen zur Geduld, aber ermutigen –«

»Sie präparieren wirklich einen Coup?«

»Nein, nein, ich sage Ihnen ja, das ist nicht deutsche Art. Sie schmieden nicht Waffen, nur die Gesinnung. Unverrückte Treue nennen sie's gegen ihren König, und weil sie dabei alles pünktlich tun, was unser Gouvernement befiehlt, kann man ihnen nicht einmal zu Leibe gehen.«

»Und darum müssen Exzellenz zum Kaiser fliegen?«

»Hier sehen Sie Fouchés Liste.«

Er entfaltete sie und las eine Reihe deutscher Namen, die aber ein deutsches Ohr kaum verstanden hätte, wenn auch wir unter dem Herrn von Ilis oder Ilsse den Herrn von der Quarbitz auf Ilitz enträtseln mögen.

»Die Liste ist lang, die Kreuze, Striche, Nullen dabei eigenhändig von Fouché. Das Gouvernement hätte entweder nichts daraus gemacht, ungeschickt untersucht, oder noch ungeschickter hineingegriffen, wie mit dem Bürgermeister dort. Das hat unnütz böses Blut gemacht.«

»Sollen alle diese Herren nun auf den Verdacht hin, daß sie möglicherweise in der Zukunft als des Kaisers Feinde auftreten könnten, arretiert werden? Es wäre persisch und türkisch, nicht französisch.«

»Mich dünkt, es gibt auch europäische Polizeien, die das und noch mehr möglich machen. Ist die Provinz nicht ohnedem verdächtig? Hat der arme Bürgermeister dort etwa den Ball gegeben? Man weiß jetzt, es waren die Gutsbesitzer vom Lande. Das genügte schon, um einzuschreiten. Dazu kommt, daß sie die Armee um die Pferdelieferung betrügen wollten, der effektive Verlust, den die Freibeuter in der Stadt angerichtet, man muß ihn so groß als möglich schildern, auch die Stimmung unter dem Landvolk; sie helfen sich selbst gegen die Einquartierung. Wer kann diese stupiden Sklaven dazu aufgereizt haben, als ihre Herren! Endlich sind die Schillschen Parteigänger noch immer in der Provinz. Wie könnten sie es sein ohne Unterstützung. Mein Herr, es bedarf ja keiner Advokatenkunst, um einen Bericht zu liefern, daß den Herren im Kriegsrat die Haare zu Berge stehen und der Kaiser über die Nachlässigkeit des Gouvernements, das er zurückließ, in Feuer und Flammen gerät.«

Der Adjutant war verstummt; ihm schien ein Licht aufzugehen.

Der General aber fuhr fort:

»Nichts von Füsilladen! Man weiß unter uns nicht, welche unangenehme Situation die des Buchhändler Palm veranlaßt. Die deutschen Nerven vertragen das nicht; ihre Fürsten liebten es auch nicht, aber an Einsperrung sind sie gewöhnt. Wenn man ein Dutzend aus dieser Liste aufgreift, in Festungen sperrt, ist die Provinz gesichert. Sind Sie nicht auch der Meinung?«

»Gewiß, eine angemessene Strafe für das, was sie hätten tun können.«

»Nichts von Strafe, nur Präventivhaft.«

»Eine etwas lange, wenn die einen in den Pyrenäenfestungen, die anderen in Calais oder in Genua sitzen.«

»Nicht länger, als der Friede auf sich warten läßt. So wird es auch zum Unterpfand für diesen, den wir doch alle wünschen müssen.«

Es trat eine Pause ein. Ein Blick des Generals schien ihn aber zum Reden aufzufordern.

»Sind Euer Exzellenz befeindet – ich meine, nicht ganz zufrieden mit dem Gouvernement, das der Kaiser hier zurückließ?«

Der General stutzte einen Augenblick, lächelte aber gleich darauf, indem er die Hand vertraulich auf die Schulter seines Adjutanten legte, der um einen Kopf kleiner war.

»Mein lieber d'Espignac, ich habe keine Rivalität mit den Herren, die vom Kaiser entfernt sind, aber die, welche täglich um ihn sind, bilden schon einen militärischen Hof und üben ein Schranzenwesen, wie nur bei den Königen ihrer alten guten Zeit. Ginge es nach ihnen, so käme kein Verdienst mehr auf. Wo hat man den tapferen Brune hingestellt? Da oben an die schwedische Grenze, wo keine Lorbeeren mehr wachsen können. Wie wird Bernadotte behandelt! Wie mancher Tapfere wartet vergebens auf den Marschallshut, weil er nicht das Glück gehabt, unter Napoleons Augen zu reüssieren. Andere Verdienste müssen ungeheuer groß sein, wenn sie nicht durch die Vermittlung seiner Umgebung zu ganz kleinen zusammenschrumpfen. Schlimm, daß es ist, aber es ist, daß man sich schon vordrängen muß, um dem Kaiser den eigenen Wert zu zeigen. Wer die Gelegenheit nicht ergreift, was er wert ist, zur Geltung zu bringen, ist ein Narr. Unter Lügnern kommt der Wahrheitsfreund überall zu kurz.«

»Victori gloriam Der Adjutant verneigte sich. Im Lächeln verschluckte er das Darum! »Ich ward kein Hellseher in diesem Dunstlande, aber ich sehe ihn sehr klar auf Euer Exzellenz Haupte – den wohlverdienten Marschallshut.«

Der General ward durch ein Geräusch draußen an der Antwort gehindert. »Was ist das?« Es arbeitete sich etwas durch den Schnee und stand jetzt in der Gestalt eines hochbepackten Mannes in der Hütte. Der General warf einen mißbilligenden Blick auf den Adjutanten, der den Degen ziehen wollte.

»Es ist kein Wolf – auch kein Brigant – wenn ich nicht irre, ein Handelsjude.«

Der Hausierer hatte noch nicht den Schnee von seinen Schultern geschüttelt und seine Hucke zu Boden gestellt, als er in schlechtem Französisch seine Freude nicht lebhaft genug ausdrücken konnte, die gnädigste Exzellenz gefunden zu haben. Er wäre beinahe erfroren und verschneit, wenn nicht der Eifer ihn geführt, einen so berühmten und großen Mann, den Stolz der unüberwindlichen Armee, den Liebling seines Kaisers, aufzusuchen. Und wäre es nicht zum Erschrecken, einen solchen Prince und Marschall in solcher Lage und in solchem wüsten Loche zu finden!

Es war keine erfreuliche Botschaft, die sich auf ein barsches: »Was soll's?« loswand. Der Hausierer war auf dem Herwege dem Postillon und dem Kammerdiener begegnet. Damals waren sie noch nicht bis an den Karutzsee, und die Wege drüben waren noch weit tiefer verschneit. Er rechnete aus, daß sie noch in dem Augenblick nicht bis zur Stadt sein könnten, und wenn sie auch wirklich dort parate Pferde träfen, diese vier bis sechs Stunden gebrauchten, um von Nauwalk bis hier zu gelangen. Da er sich nun lebhaft die Ungeduld der gnädigsten Herren Generäle vorstellen können, sei er mehr hergestürzt und gesprungen, als gegangen, um sie zu avertieren. –

Die Dielen schütterten unter den Fußtritten des Generals. »Und fort muß es, und wär's zu Fuß.«

Ein mißtrauischer Blick des Adjutanten maß den Juden.

»Nur um uns davon zu avertieren, haben Sie den Weg hierher gemacht?«

Der Hausierer versicherte, die Hand auf der Brust, daß er's aus reiner Menschenliebe getan haben würde, daß solchem großen General einen Dienst zu leisten aber sein höchster Stolz sei.

»Den Henker für seinen Dienst, ich will Pferde!« hatte der General, mit großen Schritten den kleinen Raum messend, gerufen, während der Adjutant mit dem Juden verhandelte.

Das Resultat war, es gab keine nähere Poststation als Nauwalk, aber in einem von der Landstraße abgelegenen Dorfe jenseits des Moores wären reiche Bauern, die tüchtige Pferde besäßen. Das Moor, über welches der Fußweg dahin führt, sei fest gefroren, daher sicher zu passieren, wenn man das Waten durch den Schnee nicht scheue. Der Jude getraue sich, den Weg zu zeigen, im Schneegewirbel wie bei Tage, und etwa in zwei Stunden verspreche er, daß sie es zu Fuß erreicht. Von dort könnte sie auf Schlitten die Landstraße schnell wieder gewinnen.

»Zwei Stunden Arbeit besser, als sechs hier warten!«

»Es ist ein Mann, des Vertrauens wert,« sagte mit mokanter Miene auf Italienisch der Adjutant, als der General die Frage aussprach: »Was sein Metier?«

»Der Menschheit zu dienen.«

Ein Schwall von Worten löste sich von den Lippen. Nur der Menschheit zu dienen, er kenne nicht Freund und Feinde wenn es Helfen gilt. Da es ihm nun endlich gelungen, nach unsäglicher Anstrengung, jedoch unterstützt von einigen chemischen Kenntnissen, die er zu besitzen sich schmeichele, weil er in Polen einer Offizin vorgestanden, aber, wie Exzellenz denken können, mit ungeheuren Opfern, denn es sei jetzt alles teuer, aber die Kaufleute und Drogisten hierzulande geradezu unverschämt in ihren Forderungen – da es ihm nun mit diesen Opfern und diesen Kenntnissen gelungen, eine Stiefelwichse herzustellen, von der er ohne Ruhmredigkeit sagen könne, daß sie ihresgleichen suche. Davon wolle er nicht reden, aber wovon er reden müsse, und wenn Exzellenz, mon prince, es nicht glauben wolle, bäte er, an Dero Stiefeln sofort einen Versuch machen zu dürfen, damit son altesse sich davon überzeuge, daß sie auch dem Schnee widerstehe, und da er wisse, wie die große Armee in den unergründlichen Kotwegen an der Weichsel gerade am Fußwerk leiden müsse, und der so höchst nötigen Reinlichkeit entbehre, hoffe er, mit dieser seiner Erfindung nicht allein einem dringend gefühlten Bedürfnisse entgegenzukommen, sondern er könne sich schmeicheln, daß ihr unvertilgbarer Glanz wirklich Sensation mache, vorausgesetzt – denn wie die Welt nun einmal wäre, sei das Beste und Schönste nichts ohne Fürsprache – daß er sich der Empfehlung und Protektion eines hohen Gönners erfreue, der die Großmut und Humanität selbst und zugleich ein Kenner sei.

Die Stiefelprobe unterblieb.

Der Entschluß war schnell gefaßt, den Wagen im Stich zu lassen, die wertvollsten Effekten mitzunehmen. Wer sollte sie tragen?

»Da ist ja das andere Vieh, der Schweinetreiber!« rief der Adjutant. »Er hat starke Schultern.«

Aber der Schweinetreiber war nicht mehr da. Wie man auch suchte, rief, er blieb verschwunden.

Der Jude entschloß sich, auch zum Dienst der Menschheit, seine Erfindung und seine Schätze im Stich zu lassen; auf seine Hucke ließ er sich laden, was ein Mensch tragen kann.

Der Weg war lang, er wurde immer beschwerlicher, er schien auch immer länger zu werden. Wir kennen das Querbelitzer Moor, aber noch nicht in seinem ausgesprochenen Winterkleide, ein bis zwei Fuß lockerer Schnee über den gefrorenen Bülten; kein Schritt sicher, unter der weichen Decke Vertiefungen, Steine, Gräben. »Sind wir auch richtig?« fragte der Blick des Generals, der, an einen großen Feldstein sich lehnend, das trostlose weiße Feld überschaute. Der Hausierer verstand ihn.

»Wir haben eine Spur, gnädigste Exzellenz, es muß einer vor uns gegangen sein.«

Drei Stunden waren verflossen, und der Tag graute, als sie an die Querbelitzer Höhen gekommen. Man hörte die Turmuhr schlagen.

Da sanken am Gebüsch zugleich der General und der Hausierer nieder, dieser von der Last, die er trug, jener von der Wucht der hohen Reiterstiefeln, die ihn trugen.

Der Adjutant, der, leichtfüßiger, die Höhe zuerst erstieg, sprach für sich:

»Das alles erträgt der Mensch um – einen Marschallshut und Glanzwichse!«


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