Willibald Alexis
Isegrimm
Willibald Alexis

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Viertes Kapitel.

Die Querbelitzer Schenke.

Zu welcher die von Querbelitz gehörten, was etwa in der Mitte lag, hatte der kluge Kutscher nicht gesagt. Das Dorf sah nicht anders wie andere in unseren Kur-, Mittel- und Uckermarken und der Priegnitz zu Anfang dieses Jahrhunderts aus. Zwischen den vielen ungeputzten Lehmhäusern trat selten ein mit Steinen ausgemauertes, noch seltener zwischen den bemoosten, wettergeworfenen Schilfdächern ein Ziegeldach hervor.

Die Dorfstraße, breit, aber krumm; mit uralten Bäumen bestanden, war bei schlechtem Wetter ein ausgefahrener Hohlweg, besser, ein Sumpf, von dem die Enten, zuweilen die Schweine Besitz nahmen, wenn die jüngste Dorfjugend, Mädchen oder Knaben, barfuß darin plätschernd, die ungebetenen Gäste nicht fortjagten. So viel Häuser, fast so viel Storchnester zählte man auf den Dächern, und so viel Bretterzäune um die Höfe, so viele waren auch schief, von Alter und Wetter halb eingesunken. Und doch sah es heimlich oder häuslich, wie man will, aus, selbst jetzt im Spätherbst, wo die Fliederbüsche nicht die Lehmwände bedeckten und an die Dächer schlugen, noch der Storch auf der Firste klapperte, und weiß und rot als die Farbe proklamierte, die im Dorfe herrschte. Rot waren ja die Ebereschen, rot der wilde Wein, der sich an einer alten Mauer aufrankte, rot und gelb und braun die Birnen- und Aepfel- und Pflaumenbäume, und weiß die Birken, die Gänse und die Laken, die am Zaune trockneten oder wieder naß wurden. Dazu wirbelte der Rauch nicht allein aus allen Schloten, es dampfte auch aus allen Backöfen; denn Fouriere waren dagewesen und hatten Einquartierung angesagt. Kurz, es war lebendig im Dorfe Querbelitz. Ein Wanderer, der den ganzen Tag in Frost und Nässe gewandert, hätte sich gefreut über – das warme Nest.

In der niedrigen Schenkstube zumal war es mehr als warm, es dampfte. Der gnädige Herr von Quielitz, obgleich er noch fröstelte und deshalb vom Kaffee aus der großen Bunzlauer Kanne mehr als eine Tasse hinuntergestürzt, ohne schmecken zu wollen, daß er mit Syrup aufgekocht war, mußte vom Schreibsekretär an dem er Rechnungen durchsah, mehrmals aufstehen und an die freie Luft.

Es gehörten dazu, die dafür geboren waren, wie der Bär für den Winterschlaf, die Biene für ihren Korb, die Eule für den Kellerbalken, um in solcher Stube auszuhalten. Freilich die größte im Dorf, denn die Schenke oder der Krug war zugleich das Schulzenhaus, ehedem war es das Weichhaus oder Vorhaus von dem Herrenhaus gewesen, das nicht mehr existierte; was alles aber mußte die Stube aufnehmen und sein! Da stand das große zweischläfrige Himmelbett mit den gewürfelten Kattunvorhängen, das jetzt nur den Schulzen allein aufnahm, wenn er sich nicht erbitten ließ, seinen blondgelockten Enkelbuben mit hineinklettern zu lassen. Zunächst in der Ecke noch ein zweischläfrig Bett. Ach, auch das war jetzt einschläfrig, die junge Witwe und Schwiegertochter teilte es aber redlich mit ihren zwei Töchterchen, die aus der kleinen Bettstelle daneben, umschichtig, je nach Gunst und Verdienst, zu ihr hineinschlüpften.

Der Säugling aus der Wiege, die zu Köpfen des Bettes stand, konnte freilich noch nicht schlüpfen, die Mutter nahm ihn aber oft aus freien Stücken, oder wenn er durch Geschrei sich meldete, zu sich. Es standen vielleicht noch ein paar Betten da, die ich vergaß, mein Papier aber muß Raum behalten für die Möbel und die Menschen.

Die Möbel waren einfach, lange Tische mit Kreuzbeinen, lange Bänke, hohe Schemel, alle rotbraun angestrichen, wo man die Farbe noch sah. So waren es auch die Schränke, die verschlossenen und die offenen, Urelterväter-Besitz, auf den Brettern der offenen prangte der halbe, wo nicht der ganze Hausrat, Krüge, Teller, Schüsseln, Büchsen, von Blech, Holz und schön gemaltem irdenen Geschirr. Es war ein Mann, der sich und sein Haus sehen lassen konnte, der Schulze. Sonst hätte er auch nicht, was manchen wie eine Moquerie bedünken konnte, an die eine Wand einen Schreibsekretär von fein geädertem und poliertem Birkenholz gestellt; oben hatte er ein Dreieck und Säulen und sogar einen Spiegel. Eigentlich brauchte er ihn nicht, denn das, wozu ein Schreibsekretär dienen kann, dafür hätte es wohl ein Schubfach, einen Tisch oder sonst etwas gegeben. Aber der Schulze hatte zeigen wollen, daß er etwas auf sich und seine vornehmen Gäste halte, und ihn selbst in Berlin gekauft und selbst auf seinem Wagen nach Querbelitz gefahren. Als er ankam, war das ganze Dorf auf den Beinen, um den neuen Schatz, der es schmücken solle, zu sehen.

Das war aber nicht der einzige Schmuck. Der Schulze hielt auch etwas auf die Kunst. Außer einigen älteren Schildereien, wahrscheinlich Holzschnitten, die man vor dem Rost des Alters, auch Schmutz genannt, nicht mehr erkennen mochte, hingen zwischen den Fenstern zwei größere Porträts Seiner Majestät des Königs und der Königin; zwar auf grobem und etwas gräulichem Papier abgedruckt, dafür aber desto schöner und bunter koloriert. Seine Majestät Friedrich Wilhelm III. als stattlicher junger Mann in der sorgsam zugehäkelten Gardeuniform mit den breiten Rabatten und sauber frisiertem und gepudertem Haar, wobei der Künstler durch geschickte Wendung auch den Zopf, wenn nicht sehen, doch hatte ahnen lassen.

Ihre Majestät, die Königin Luise, mit etwas zu roten Backen und abgestumpfter Nase, und in dem griechischen Kleide, dessen antiker Schnitt in den kurzen Aermeln und der schmalen, hohen Taille gesucht ward. Aber wer hätte sie nicht erkannt, wo er das krawattenartig um den Hals geschlungene Tuch sah! Nicht an die Wand genagelt, nein, in Glas und Rahmen, dieser auch aus hellem Birkenholz, hingen diese Bilder frei an der Mauer, und wenn die Fliegen in sechs Jahren sie etwas verdunkelt hatten, so war das gewiß nur geschehen, weil der Schulz es gegen den Respekt hielt, seinem hohen Königspaare die Köpfe zu waschen.

In Haus Quilitz hatte man bei der Ankunft der Franzosen alle Bildnisse des Königlichen Hauses auf den Boden gebracht. Der Schulz von Querbelitz ließ sie hängen. Er war ein Patriot.

Und in dieser Stube, es war die einzige im Haus, der man den Namen zugestehen konnte, lebte und webte, aß, trank, spann, diskurierte die Familie, die wir in ihren gesamten Gliedern noch nicht einmal kennen gelernt. Wären nicht die Bodenkammern gewesen, so hätte sie auch in der Stube geschlafen, was indessen sich nicht gut tun ließ, denn wie oft ward dem Handwerksburschen, dem Viehhändler, der in Querbelitz nächtete, hier sein Strohlager gestreut. Ja, ging's zum Jahrmarkt nach Nauwalk, so traf sich's wohl, daß alle Bänke und Schemel auf die Tische gestellt werden mußten, und der Fußboden ward eine knisternde Streu. Einen Weg zum Durchgehen ließ man nicht. Stand die Wirtin etwa früher auf als ihre Gäste, ei, so nahm sie's nicht so genau, und stieg über die Träume der Schlummernden. Hier säugte die Mutter ihr Kind, hier brodelte der Topf im großen gemauerten Ofen, hier speisten Familie und Knecht, nachdem sie, stehend und laut, ihr Tischgebet gesprochen; gleichviel ob die Stube voll war, weil der Justitiar Gerichtstag hielt, oder die Gäste ihr saures Dünnbier tranken und aus ihren Pfeifenstummeln einen Qualm ausbliesen, der von der Decke zur Erde schlug und vom Boden wieder zu den Balken stieg. Er fand ja nirgends Platz. Die Stube war, alles in allem, Tanzplatz und Zankplatz, Parlament und Spielhaus; hier wurden die Hochzeiten ausgerichtet, Flüche schallten, und Eichelkönig und Schellenbube knallten, von der markigen Hand des Gewinners auf den Tisch getrumpft.

Hier war jeder Herr für sich, wenig um den andern bekümmert; eine große Republik, in der es allen wohl war, nur vielleicht nicht dem übermüden Wanderer, dem sie Sonntags die Streu in die Ecke gebreitet, aber er ward zuweilen aus dem Schlaf geweckt, weil die Tänzerpaare über seine Füße wirbelten. Ei, man muß den Fuß nach der Decke strecken, wenn auch nicht immer eine Decke da ist, und endlich schläft man doch in allen Wirrsalen und Toben. Die Ruhe ist der letzte Sieger in dieser Welt.

Ganz so bunt und qualmig sah es heut nicht in der Schenkstube aus, es war weder Gerichtstag, noch Jahrmarkt, noch Hochzeit. Aber eine starke Einquartierung war angesagt und der Schulze noch aus, um Zurichtungen zu treffen. Auch die Gegenwart des gnädigen Herrn war nicht imstande, den Protestierenden und Lamentierenden, besonders den Frauen in ihren Herzensergüssen Zaum und Zügel anzulegen. Einige behaupteten, die Franzosen täten nur aus Malice, als ob sie nicht deutsch verständen; andere wußten, daß sie's eigentlich auch sprächen, aber aus Bosheit so schlecht, daß man sie nicht verstehen könnte.

Die Mutter des Schulzen, die Siebzigerin, denn es begegnen sich in der Stube vier aufeinander folgende Generationen, war am lautesten und ungelassensten in ihren Klagen: denselben Kaffee, den der gnädige Herr von Quilitz getrunken, und die Tasse, hatten ihr die Reiterkerle mit den blanken Helmen und den Pferdebüscheln über den Kopf gegossen. Zucker wollten sie, aber nicht Sirup; da hätte man's doch klar gehabt, daß sie deutsch gekonnt.

Ein Bauer mit eisgrauem Haar erzählte jedem, wie der Chasseur, der bei ihm einquartiert gewesen, den ganzen Tag auf der Ofenbank gelegen. Die Tochter hatte ihm die Pfeife anzünden und anrauchen müssen, er, der Alte, aber neben ihm auf der Erde hucken und mit dem Finger die Rädchen seiner Sporen umdrehen. Ward er müde, setzte es Fußstöße. »Das dem alten Steffen!« Dem Patriarchen des Dorfes konnte man so begegnen. Die Geschichte dieses brutalen Uebermutes einer nichtigen Seele erregte ein solches Entsetzen, daß man die eigenen Schreckensgeschichten darüber fast vergaß.

»Es ist böse Zeit, wir müssen uns in die böse Zeit schicken,« war der einzige Trost des Edelmanns. »Es geht uns allen so, Kinder; es wird ja aber auch einmal besser werden.«

»Ach, es wird noch schlimmer!« schallte ihm ein ganzer Chorus entgegen. Die Kontributionen, meinte einer, seien doch noch nicht das Schlimmste. Einen Schulzen hätten sie ja an der Elbe in die Heide geschleppt und geprügelt, damit die Bauernschaft zahlen sollte, was sie verlangten, und der Mann wäre umgekommen, wenn es nicht einem General von den Chasseurs zu rechter Zeit gestochen worden, der den Mann frei gemacht und drei der Marodeure erschießen lassen. Der General hatte die Bauern gescholten, warum sie die schlechten Lumpenkerle nicht aufgegriffen, denen man es auf den ersten Blick ansähe, daß sie nicht die Ehre hätten, französische Truppen zu sein. An den Edelmann ward die schon unter den Dorfbewohnern vielfach verhandelte Frage gestellt, ob sie sich in solchem Falle zusammentun und Widerstand leisten sollten?

Der Gutsherr war nicht darum in der Schenke eingesprochen; er wollte nicht ausgeben, wenn es auch nur ein Rat war, sondern einnehmen.

Den Rechnungsabschluß hatte er in guter Ordnung gefunden, aber mit noch mehr Zufriedenheit einen Barbestand, für dessen Nichtdasein ein anderer Verwalter in so schlimmer Zeit um einen Grund nicht verlegen gewesen wäre. Der Herr von Quilitz war also eigentlich in zufriedener Stimmung, aber die an ihn gestellte Frage riß ihn sichtlich aus derselben und versetzte ihn in das, was er am meisten vermied, in eine Art Effekt, der sich in einer lebhaften abwehrenden Handbewegung ausdrückte.

»Um des Himmels willen, Kinder, keine Uebereilung! Widerstand, wißt Ihr, was das heißt und was daraus werden kann? Wer will denn seine Haut unnötig zu Markte tragen, denn was will der Landmann gegen Soldaten ausrichten? Wie wollt Ihr denn auch unterscheiden, was reguläres Militär ist, und was nicht? Der Herr General, der auf sein schönes Chasseurregiment stolz ist, hat gut reden, aber die Marodeure können ja einem anderen Truppenteil angehören, und Ihr kämt schön an vor dem Kommandeur. Der Himmel hat es nun einmal so gefügt, so müssen wir uns auch fügen. Gebt, was sie fordern, denn sie können's Euch nehmen und noch mehr verderben. Gebt mit guter Miene, aber, wenn Ihr meinen Rat wollt, nicht zu hastig, nicht zu viel mit einem Mal. Kommt Zeit, kommt Rat. Ihr könnt ja sagen, Ihr seid schon geplündert. Es sind ja noble Menschen unter den Feinden, o gewiß. Ihr habt's ja an dem General gesehen. Droht nicht gerade den Soldaten damit, aber haltet Euch immer an die Offiziere, besonders die obern; die allein können uns helfen. Man kann sie warm halten, ihnen gefällig sein, dann werden sie wieder gefällig; denn die Franzosen sind und bleiben eine sehr feine und artige Nation.«

Die Trostrede hatte keinen besonderen Trost für die Zuhörer. Der Redner selbst mußte es sich eingestehen. Was sollten die Bauern in einem verlassenen Dorf mit Künsten, zu denen ihnen die Fähigkeit und die Mittel abgingen! Um so erwünschter kam ihnen ein Beistand in der Person der jungen Hausfrau. Eine schmucke Dreißigerin, der das bißchen Schwarz an ihrem Anzug durchaus nichts Trauriges angeheftet hatte. Sie strahlte vom Wirbel bis zur Zeh von einer Gesundheit, die vieles ausschloß, die Melancholie, die Häßlichkeit und die Schönheit. Den Säugling hatte sie in die Wiege gelegt mit einem: »Nun greine Du nicht auch wie die alten Weiber hier,« und das Kind, dessen Stimme draußen noch eben sehr vernehmlich geklungen, blieb mäuschenstill.

Der Edelmann war gewiß eine unangetastete Autorität in diesem Kreise, aber es mußte der Konflikt der Umstände sein, daß er vor der Bäuerin zurückzutreten schien. Der Schulz hatte Marthen auch nicht umsonst drüben im Nobiskrug ausgesucht zur Frau für seinen Aeltesten. Fünf Jahre älter war sie als der Bräutigam und hatte als Großmagd im Amte gedient. Der Leiterwagen, der sie am Hochzeitstage nach Querbelitz fuhr, war zwar so schön wie einer mit bunten Bändern und grünen Büschen ausgeschmückt gewesen, und die jungen Burschen, die wie toll vorausritten, waren es auch, und sie hatten geknallt mit der Peitsche, und abends mit den Schlüsselbüchsen und Flinten, aber die hölzernen Kisten auf dem Wagen waren weder groß noch schwer. Alle in Querbelitz und rund um hatten sich über den stolzen Schulzen gewundert. Wie viel er sitzen hatte, wußten sie nicht, aber er hatte es sitzen, das wußten sie, und da war kein reicher Bauer, der nicht seine Tochter gern gegeben hätte. Sie wunderten sich damals; seitdem nicht mehr. Die Marte verstand's, es war etwas anderes in die Wirtschaft gekommen. Ueberall hatte sie ihr Auge und ihre Hand auch. Sonst schlug der Schulze los, jetzt sparte er seinen Arm zum Schreiben. Der Marte ihrer war schwer genug und fehlte nicht, wo es not tat. Gottlieb Köpke hatte sich nicht aufs Altenteil gesetzt, Gott bewahre, er war ja noch nicht alt; aber doch war Einigkeit im Haus. Er hatte sie nie gescholten, aber auch nie gelobt. Es ging schon alles, als wenn es so sein müßte.

Da hatten sich die Leute wieder gewundert, warum er die Marte seinem Sohn gegeben und nicht für sich genommen. Er zählte damals knapp fünfzig und war rüstig wie einer; der Marte wär's auch schon recht gewesen, denn ihr Bräutigam war eine Frühgeburt und weiß und schwächlich. Damals hatte er noch keinen Bart, und hatte ihn auch kaum bekommen, als er am Zehrfieber starb. »Just so paßt sich's,« hatte aber Gottlieb Köpke gesagt. »Was der eine nicht hat, bringt der andere zu. Das macht die Ehe.« Wenn er beim Glase warm geworden, sagte er wohl im Vertrauen: »Zur Heirat gehört, daß man kalkuliert. Es teilte sich schon zu sehr, und wären noch Bälger dazu gekommen, hätte sich's noch mehr geteilt. Das tut nicht gut, wenn Gut zu klein wird; sonst hätte ich die Marte schon gemocht.«

Nun war Martin gestorben, ehe das jüngste Balg die vier Wände angeschrien, und Marte hatte wie eine rechtschaffene Frau geschrien und dann still geweint. Gerade so lange, als es sich in Querbelitz und Nobiskrug schickt.

Aber die Tränen waren längst getrocknet, wie die Blumenkränze auf dem Grabe; und dafür schrie jetzt ein blühender Junge in der Wiege und sog Lebenslust an der Brust der auch wieder blühenden Mutter. Dann hatte sich alles wie von selbst gemacht; die Marte, wenn das Kind gestillt und das Trauerjahr um, oder etwas weniger, sollte wieder heiraten; und das war ebenso natürlich und alle waren darin einig, daß sie wieder ins Haus heiraten müsse, denn die Bälger vom ältesten mußten einen Vater haben. Nur war einige Uneinigkeit darüber, wen? Die Marte hätte schon am liebsten den älteren genommen, der nach dem Vater auch Gottlieb hieß. Er war einundzwanzig, hübsch und stark gewachsen, daß er den vollen Müllersack wie einen Beutel auf den Rücken schwang. Etwas dämlich war er; dafür war dann die Frau. Der Schulze aber war für den Peter, der erst neunzehn Jahr alt war, auch etwas weiß und schwächlich, und nicht viel besser zu werden versprach als der älteste.

Denn, sagte er, der Gottlieb mit seinen roten Backen und starken Knochen kriegt überall sein Teil, es hat auch schon Erbtöchter genug auf den Höfen, und wenn wieder Friede wird, fängt er eine eigene Wirtschaft an, und aus unsrer brauchen wir nichts rauszugeben. Für den Peter sei es besser, wenn er im warmen Nest bliebe und die Frau ihm dazu.

Darüber, wie gesagt, war einige Uneinigkeit. Der Gottlieb sagte, es sei ihm gar nicht so um die Marte zu tun, als um sein Recht, und daß es in der Reihenfolge bleibe, und wenn der Weißschnabel sie ihm wegschnappen täte, sollte er sich vorsehen, daß er ihm nicht alle Knochen windelweich schlüge. Der Peter meinte, ihm sei's am Ende auch egal, aber aus Haus und Hof lasse er sich nicht jagen, die Mutter selig habe vom Vater das Wort drauf bekommen. Die Marte sagte: es sei ihr auch nicht so viel um die beiden Brotesser zu tun, ging's nach ihnen, so fräßen sie die Wirtschaft auf; aber was von Gott und Rechts wegen sei, müsse bleiben.

Der Alte pflegte dann dazwischen zu donnern, daß er Herr im Hause sei, und in einem Hause dürfe nichts geschehen, als was der Herr will, und wen er der Marte zum Mann bestimmt, das sei seine Sache und keines andern. Und in der Kammer oben müsse das eine Bett bald leer werden, das sage er ihnen, weil die Jungen drunten zu groß würden und hinauf müßten. Und wen er dann hinunterriefe ins Ehebette, das sage er ihnen auch, der solle kommen und der andre nicht, oder er werde es ihnen auf den Rücken schreiben, was ein Vater kann. Dabei ließ er es indes noch immer in der Schwebe, welchen Sohn er rufen würde, denn mit der Schwiegertochter mochte er es nicht verderben, und hielt mit dem Hofmarschall dafür, daß mit der Zeit Rat kommt.

Im übrigen waren das nur freundschaftliche und artige Dispute, denn die Schulzenfamilie galt für die feinste weit umher, und weil sie alles raus sagten, was sie dachten, verknurrten sie sich auch nicht, und es war Friede im Haus, an dem andere sich ein Exempel nehmen können.

Der Hofmarschall hielt es für anständig, wenigstens der Wirtin sein Mitgefühl zu zeigen, da es mit der Tröstung bei den andern nicht gelungen war. Er klopfte ihr auf die Schulter.

»Daß Sie Ihren Mann verlieren mußte, und gerade jetzt! In solcher schlimmen Zeit bedarf die Frau einer Stütze.«

Frau Marte hielt es für anständig, den Zipfel der Schürze ans Auge zu bringen. Sie beantwortete die Fragen nach seiner letzten Krankheit noch mit weinerlicher Stimme, die aber bald in ihre sehr deutliche und feste überging.

»Ach, gnädiger Herr, eigentlich ist's noch ein Glück, denn mein Gottlieb, Gott hab ihn selig, in diese Zeit hätte er sein Lebtag nicht getaugt. Wenn er Säbel blitzen sah, da flimmerte es ihm immer vor den Augen. Und wie gesagt, er war der beste Mensch, und solch einen krieg ich nicht wieder; schreiben tat er, hübscher als der Vater, es ging nur langsam, aber wenn er hätte Quartierzettel ausschreiben sollen, da wäre es ihm wie ein Brummtriesel im Kopfe 'rum gegangen. Er wurde ja mit nichts fertig. Und am Ende hätten sie ihn auch mit der Stange runtergeholt vom Heuboden, wie drüben in Alt-Klücken den Schulzensohn, der hatte sich aus Angst verkrochen vor den Bärenmützen. Nachher hatte er den Spott weg.«

Frau Marte konnte schreiben, sie hatte es so weit gebracht, die Quartierzettel selbst auf das Papier zu kritzeln. Das war eine Anspielung auf diese ihre Vollkommenheit, auf die sie stolz war.

Sie hatte die ersten Einquartierungen verteilt, und unter den Leuten war die Verwunderung darüber so groß, daß sie im ersten Augenblick vergaßen, wie sie verteilt worden. Denn wer Einquartierung bekommt, hält sich für überlastet und rechnet, wie viel weniger die Nachbarn erhalten. Inzwischen war man zur Besinnung gekommen.

Frau Marte hatte sich eben draußen gewehrt, wahrscheinlich mit Gründen und Zunge, schärfer und deutlicher als ihre Schriftzüge, und dann die klagenden Hausmütter der Autorität ihres Schwiegervaters überlassen, und ihren Jungen gesäugt, und war nun parat zu neuem Kampf und Streit in der Stube.

»Krieg ist Krieg, wie Gewitter Gewitter ist. Wo's einschlägt, da trifft's. Und mit Heulen wird's nicht anders. Wenn Feuer ist, wo geht's denn davon aus, daß man weg läuft! Drauf mit den Eimern und Leitern! Rettet man nicht die Scheune, doch das Haus; brennt das Dach, so kann man noch im Keller räumen. Aber vor den Franzosen möchten sie in die Erde versinken und ins Wasser springen. Dreist ins Gesicht gesehen, sage ich, das tut bei Tieren und Menschen gut. Wo die Bauersleute Reißaus genommen, da schlagen sie den Boden aus dem Faß; wo der Bauer aber an der Tür steht, mit Flasche und Glas, und sagt: trinket doch, Ihr werdet durstig sein! da haben sie die Tür nicht eingeschlagen. – Ja, wo einer ihnen ein Gesicht machte wie's Leiden Christi, und so 'n brummscher Tölpel, wie Steffens Andres, ihnen den Zettel abnimmt und kein Wort spricht, da setzt's Kolbenstöße. Koch' ihnen gut, dann schmeckt's ihnen gut, und wem's gut schmeckt, der ist gut. Die Franzosen sind auch Menschenkinder und keine Menschenfresser, sie sind auch ihrer Mutter Söhne, als wie Ihr seid, und ihnen fortgerissen, weil sie kantonpflichtig waren, und in die Kanonen werden sie getrieben, und wenn sie nicht totgeschossen sind, wollen sie leben, als wie Eure Söhne leben wollen, und von nichts lebt man nicht.«

»Sie plündern uns alle arm und tot,« jammerte ein altes Weib.

»Was werden Sie denn bei Dir plündern, alte Ursel?« rief die Witwe. »Deine Lumpen und Deinen Strohsack nehmen sie nicht mit. Wer sich plündern läßt, ist selbst dran schuld. Wer wird denn Silber und gutes Leinen draußen liegen lassen! Und wer wird denn an den Birnbaum eine Fahne stecken und daran schreiben: hier habe ich meinen Geldtopf vergraben! Wenn sie nur die Kühe nicht forttreiben und schlachten, dann ist das Unglück noch nicht so groß. Pferde muß man geben, das geht nun mal nicht anders, aber man kriegt sie schon zurück, wenn man hinterher ist. Ochsen auch. Nun ja, einer wird mal geschlachtet, wenn sie hungrig sind, man kann ja nicht immer leben. Aber die Kühe, das müßt Ihr nicht zulassen, laßt sie die Kasten ausreißen und die Teller zerschlagen; aber nur nicht fortlaufen. Wozu hat Gott den Frauen den Mund gegeben? – Zum Schreien. Wenn Ihr alle schreit aus Leibeskräften, schreit, daß ihnen die Ohren weh tun – hängt Euch da an einen Arm, faßt sie da am Rocke – meinethalben fallt auf die Erde und klammert Euch um die Beine. – So ein Säbelhieb flach und ein Kolbenstoß – i was, der Mensch kann mehr aushalten – und die Bajonette werden sie Euch nicht in den Bauch stoßen – aber je mehr Spektakel, um so besser – das macht sie am Ende konfus. Ihr wißt's ja vom Gerichtshalter, wenn die Weiber ihm die Ohren vollschreien, da paukt er mit der Faust auf den Tisch und droht, sie ins Loch zu schmeißen, aber am Ende wird's ihm zu viel, er wird blaß und läßt fünfe gerade sein. Und die Franzosen sind auch nur Mannspersonen. Und dann habt Euch nicht wie der leibhaftige Satan, wenn einer Euch um die Hüfte faßt. Krieg ist Krieg, und vom Abküssen stirbt man noch nicht. Manche hat 'ne Kuh dadurch gerettet, und ich sage Euch ja, dann ist doch noch nichts verloren, denn Acker und Feld tragen sie nicht fort.«

»Das ist ein Weib!« rief eine uns bekannte Stimme, und der Kutscher stampfte das Bierglas auf den Tisch, an dem er gemütlich seine Pfeife rauchte. »Die nimmt's mit dem Satan und den Franzosen auf. Trink, Marte –« er hielt ihr das Glas hin – »die Kehle wird Dir trocken sein, und dann fang von neuem an!«

Der Schulze war eingetreten und hatte mit dem Gutsherrn leise besprochen. Ob Marte von neuem angefangen, darüber konnten wenigstens die beiden keine Auskunft geben; denn sie hatten sich schon während der Rede entfernt – vielleicht zur Bewahrung ihrer Autorität. Aber des Schulzen Gesicht war sehr ernsthaft, und der gnädige Herr kaute eine Weile an den Lippen, während sie in dem wüsten Garten an dem schilfichten Teiche auf und ab gingen.

Hier sollte das alte Schloß der Querbelitze gestanden haben; im Teich war es versunken, behauptete die Sage. Trümmer sah man nicht, das einzige, was zuweilen aus der Tiefe blickte, waren die Frösche.

Wenn die hohen Rüstern jenseits am Damme schon zur Wendenzeit gestanden, konnte es wenigstens nicht so groß gewesen sein, als die, welche daher ihre Abkunft rühmten, es gern glaubten. Und doch, was war nicht Streit um den einen Sumpf, in dem nichts sich widerspiegelte, als die Wolken. Auch der Erb-, Lehn- und Gerichtsschulze Gottlieb Köpke rechnete Jahrhunderte hinauf bis zu den Hunnen oder zu den Schweden; so lange hatten seine Väter hier gesessen, und in der Wirtschaft war nichts anders geworden, es war jetzt wie sonst – meinte er.

Das hütete er sich aber wohl vor dem gnädigen Herrn von Quilitz zu meinen; er sparte es auf, bis der Herr von Ilitz, der Mitbesitzer des Gutes, kam.

»Köpke,« sagte endlich der Herr von Quilitz. »Er ist ein verständiger Mann. Ob's nun Wallonen sind oder Italiener und Holländer, sie werden kommen, aber wieder abziehen, wie die Wolken da oben. Ein Kluger weiß, wie er das Wetter nutzt; wenn's naß fällt, hängt er nichts an die Trockenleine, er kann ja das Wasser noch zum Waschen brauchen.«

Der Schulz, der immer noch respektvoll die Pudelmütze zwischen den Fingern hielt, spitzte die Ohren, um zu horchen, was man denn waschen könne.

»Ich meine die Mühle.«

Gottlieb Köpke verstand jetzt, was gewaschen werden sollte. Sein Auge schielte zum Gutsherrn auf, aber er schüttelte den Kopf:

»Die von Ile
Quält ihre Mühle,
Die von Quile
Haben 'ne Kuh (Q) zu viele.«

Der gnädige Herr von Quilitz lächelte gnädig. Es war ein alter Volkswitz.

»Wer weiß, wenn es so fortgeht, ob wir überhaupt noch eine Kuh im Stalle behalten! Aber die Mühle, die Mühle, mit der müßte es jetzt anders werden.«

»Er tut's nicht.« Der Schulze schüttelte den Kopf. »Es steht einmal geschrieben,« sagte er. »Sie muß Bretter sägen, so lange Holz da ist, und wenn sie zehnmal verfaulen.«

»Es könnte doch sein, daß mein Vetter sich jetzt eines Besseren besinnt.«

»Und dann will der gnädige Herr von Ilitz auch die Müller nicht aus dem Brot setzen; die Familie sitzt seit dem ersten König.«

»Und essen unser Gnadenbrot, seit die Bretter keinen Absatz haben. Zudem war's ja schon vor alters eine Walkmühle.«

»Das hört der Herr Major erst gar nicht gern.«

»Der Müller könnte übrigens bleiben, wenn man der Mühle eine andere Bestimmung und Konstruktion gibt. Es ist nur sein Eigensinn und das Testament.«

Der Schulze spitzte wieder die Ohren.

»Was soll sie mahlen? Zum Korn haben wir Windmühlen genug.«

»Man kann viele andere Dinge in nächster Zeit brauchen. Der Baron Eppenstein macht mich darauf aufmerksam, daß bald an Oelmühlen Mangel sein wird, wenn der Rapsbau aufkommt, wie er hofft. Doch hat das noch Zeit. Aber die Franzosen sind einmal im Lande, sie werden lange im Lande bleiben. Sie brauchen vielerlei, Schrot – Pulver –«

»Den Franzosen das Pulver mahlen?« fragte der Schulze, zum Edelmann schielend.

»Was wir nicht, tun andere. An Spekulanten, die sich darum reißen, wird es nicht fehlen, und die Orte, wo für ihn gearbeitet wird, verschont der Feind. Die Franzosen sind jetzt die einzigen, die kaufen können. Wer sagt denn auch, daß wir es tun sollen! Aber ich habe schon manche Nachfrage gehört von Entrepreneuren; was weiß ich, ob zu Pulver oder was sonst! Mir ist ja nur darum zu tun, daß wir die Mühle los werden, und bei Vetter Wolf in Ilitz wird bar Geld auch nicht überflüssig sein. Die Kontributionen werden immer drückender.«

Der Schulze mußte ein Mann von mehr Bedeutung sein, als wir aus seiner demütigen Erscheinung, dem Edelmann gegenüber, schließen durften. Dieser zog ihn nicht nur in sein Vertrauen, er gab ihm auch Motive, Erklärungen, das darf ein so viel höher Stehender gegen einen unter ihm Stehenden nur im äußersten Notfall.

In der Tat war der Schulze immer die Mittelsperson zwischen den beiden Lehnsvettern gewesen, die, wenn sie zu einander kamen, auch aneinander gerieten. Gottlieb Köpke war nur ein schlichter, gerader Mann von nicht viel Worten, aber die Worte trafen immer das Rechte, und was noch wichtiger, ihn verstand der Ilitzer und Quilitzer, wenn sie sich auch untereinander nie verstanden. Seine Rechnungen waren nicht gerade schön geschrieben, aber allezeit richtig und fertig, und der Saldo lag immer in seiner Lade, bar aufgezählt oder schon verpackt. Nur traf es sich, daß die Ausgaben oft den Einnahmen gleich kamen, und das Päckchen Barbestand war demnach klein. Sie mochten nachrechnen, wie sie wollten, die Herren, es war jeder Punkt richtig. Dann pflegte Gottlieb Köpke zum Quilitzer zu sagen:

»Das kommt vom Zusammenbesitz! Der Landwirt muß freier Herr sein, wenn er meliorieren soll. Und wenn man nicht melioriert, wie kann man profitieren!«

Zum Ilitzer zuckte er auch die Achseln: »Der Herr von Quilitz meinen's gewiß recht gut, aber Sie wollen zu viel probieren. Bei der Landwirtschaft kommt dabei nichts 'raus. Ich meine noch immer, wie's unsere Väter gehalten haben, das ist am sichersten. Man weiß, was man hat, man weiß nicht, was man kriegt.«

Da die Vettern nie einig wurden über eine Aenderung, blieb es jahraus, jahrein, wie es gewesen war, und die Leute meinten, der Schulze Gottlieb Köpke stehe sich dabei am besten, obgleich er sich selbst gegen jedermann verschwor: es sei eine Sünde und Schande, daß es so sei, und das ganze schöne Gut gehe zu Grunde, wenn es nicht in eine Hand komme oder geteilt würde. Das ließ sich nun nicht tun. Wenn die Vettern schon nicht einig werden konnten über die Bewirtschaftung, um wieviel weniger über Tausch und Teilung, auch wenn die Sache ganz in ihrer Hand gelegen hätte.

Der Schluß, daß der Schulz ein Mann gewesen, der nur seinen Gutsherrn nach dem Munde geredet, wäre übrigens ein falscher. Nein, er war, wenn es auf gewisse Punkte kam, ein so störrischer, rechthaberischer Bauer, wie nur einer. Mit dem Ilitzer führte er schon seit Jahren einen Prozeß über die Hütung an der Grenze, einen anderen mit dem Quilitzer über einen Torfstich, und mit beiden Herren, als Gesamtbesitzern, einen dritten über die Fischerei in der Quierlitz. Das tut er als Schulze für die Gemeinde, und oft hatte Herr von Quilitz gesagt, er wäre eigentlich ein rebellischer Mensch, der die Gemeinde gegen ihre Gutsherrschaft aufredete, denn die würde sich den Teufel um die paar Stekerlinge und Ikleye scheren, wenn er sie nicht hetzte.

Gottlieb Köpke hatte ruhig erwidert: Recht muß doch Recht bleiben, und von Vergleichen hatte er nie etwas gehalten. Der Herr von Ilitz zürnte ihm darum nicht, er meinte, wenn jeder seine Pflicht täte, ohne Ansehn von Stand und Person, so wäre es besser auf der Welt.

Jetzt hatte der Schulze wieder den Kopf geschüttelt, aber ehe er den Mund auftat, sagte der Edelmann, indem er einen Schritt näher trat:

»Köpke, Er hat ein Einsehen in die Dinge, wie sie sind, und mein Vetter brauchte bisweilen einen Vormund. Ich kann's ertragen, aber ihn ruiniert die Mühle. Das muß jetzt anders werden, und die Gelegenheit kommt nicht wieder. Ich habe einen Pächter. Ehe der mir aus dem Netze geht, muß es richtig gemacht sein. Er handelt für seine Herrschaft, bedenke Er das. Sind wir die Mühle los, wollen wir auch über den Torfstich reden. Ich habe jetzt in Schmachtenhagen eine Wiese angestochen, wo der Torf besser ist, also kommt's mir nicht so viel mehr auf den an, darum wir prozessieren. Versteht Er mich?«

Der Schulze fuhr mit der Hand hinter sein Ohr. »Herr Hofmarschall, ich denke, wegen des Torfs da warten wir ab, was das Kammergericht dazu sagt. Das dritte Urteil muß ja nun in drei Wochen 'rauskommen.«

»Das zu Seinem Ungunsten ausfallen muß, wie die beiden ersten. Mein Justizkommissar schreibt mir, es ist gar kein Zweifel.«

»Nun, dann wissen wir doch, was Recht ist. Aber mit der Mühle, das wissen wir nicht so genau. Herr Hofmarschall, fangen Sie nicht davon in Ilitz an. Die gnädige Frau zittert schon wie Espenlaub, wenn der gnädige Herr mit der Einquartierung parliert. Und nun kommt viel schlimmere. Er kann den Major nicht vergessen, und das Podagra macht ihn noch verdrießlicher. Wenn wir ihm aber mit dem Vorschlag derquere kommen, jetzo gerad, und er riecht Pulver, Pulver für die Franzosen, gnädiger Herr, da geschieht was, und wer auffliegt, das weiß keiner.«

Es war eine Wahrheit in den Reden des Schulzen, die dem Edelmann einleuchtete. Er war der Mann, der Vernunft annahm. Es schien ihm nur darauf anzukommen, wie er den Rückzug maskiere, als er kopfschüttelnd seine Blicke auf dem Sumpfspiegel ruhen ließ.

»Die neuen Truppen wären also so schlimm?«

»Ich will nur die Hälfte glauben, was der Küster aus Marzahne erzählt hat. Und der ganze Zug kommt herüber.«

»Wo kein Feind steht?«

»Was weiß ich's! Nach der See zu marschieren sie. Gegen wen, was geht's uns an, wenn wir's tragen müssen. Wir werden's schon tragen, aber unser gnädiger Herr Major?«

»Mein Vetter ist gewiß ein braver Mann!« sagte der Gutsherr; behielt aber etwas zurück. Der Schulze tat seine Beteuerung hinzu, er schien aber auch etwas zurückzubehalten.

»Köpke, weiß Er noch etwas?« fragte der Edelmann, der ihn scharf fixierte.

»Gar nichts, Herr, es könnte aber doch noch was Schlimmeres kommen, – ich meine, wenn sie lange im Lande liegen blieben. – Meinen der gnädige Herr, daß wir mal französisch werden müssen?« sprach mit leiser Stimme der Schulze, und wieder mit dem schielenden Blick.

»Mein lieber Köpke, man muß sich nicht um alles Kopfzerbrechen machen. Aber Er hat es ja selbst gesagt, ein kluger Mann muß auf alles gefaßt sein.«

»Das wird schwer halten, bis unsere Bauersleute Französisch lernen, und hatten einen so guten König, Gott segne ihn.«

»Seine Gesinnung ist vortrefflich, Köpke, aber Er muß sie nicht zeigen! Wir sind einmal in Feindes Gewalt.«

»Da ist nun Volks, das spricht: wie's Wetter umschlägt, kann's auch im Krieg umschlagen. Wenn unsere nur erst ein paarmal gestanden und Courage gekriegt hätten. Manche Festung hielte sich noch. In Schlesien, sagte der Küster von Marzahne, wäre der Fürst von Pleß, der hetzte die Franzosen mit seinem Freikorps, daß sie oft ihre Suppe stehen lassen müßten.«

»Schlesien ist sehr weit.«

»Schon recht, aber sie sagen auch, daß sie sich da oben bei Lübeck oder Kolberg, oder wer weiß wo, noch blutig in den Haaren lägen, das wäre da ein Husarenkorps, das wie der Blitz drein führe.«

»Possen! Wo die große Armee hinkommt, ist kein Widerstand mehr. Unsere ziehen sich immer weiter zurück.«

»Schon recht; was Ernstes ist's auch nicht. Es neckt sich nur; das habe ich weg. Wenn sie nun aber mal bis in unsere Gegend sich neckten!«

»Sie werden nicht so toll sein.«

»Es sind Tollköpfe drunter.«

»Sie richten nichts aus.«

»Das ist schon recht, aber anrichten können sie mancherlei. Volks ist allüberall, das sich lieber 'rumtreibt als arbeitet.«

»Er wird hierorts seine Pflicht tun, Schulze.«

»Gewiß, wenn unsereins nur immer wüßte, was Pflicht ist! Wir sind alle gute Landeskinder und unserem König geschworen mit Gut und Blut, aber – der König ist fort, wir sehen und hören nichts von ihm, und was der eine uns zusticht, das leugnet der andere wieder ab. Der Landrat schreibt uns, wir sollten nach wie vor tun und geben als gute Untertanen und der Obrigkeit gehorsam sein; und der Landrat schreibt nur das nach, was die Regierung ihm vorschreibt, und was die Regierung schreibt, das schreiben der wieder die Franzosen vor, und sind also jetzt die Obrigkeit. Und da ist uns denn auch vorgeschrieben, daß wir uns in keinerlei Verbindung einlassen sollten mit dem Feinde. Wer der Feind ist, steht nicht auf dem Papier, aber daneben steht's: das sind unsere Leute und der König. Und wer's tut, ihnen was zuschickt oder heimlich zusticht, wird am Kragen genommen und auf die nächste Festung geschleppt. Wiedergekommen ist noch keiner. – Und nun posito, gnädiger Herr, ich setzte nun den Fall, es kommt so 'ne Schwadron oder 'n Bataillon, oder was es ist, Preußische mein' ich, rings umher knallt's und schallt's: Vivat der König! die Burschen laufen zu, nämlich unsere Leute, und die Husaren mit den Trompeten und bunten Schabracken und Säbeln und Klunkern preschen durchs Dorf, sie haben gute Beute gemacht, und getrunken wird, da ist ein Jubel und eine Lust. Den Schulzen schleppen sie am Ende am Kragen 'raus, und die Jungen schreien und höhnen: er soll auch jubilieren und alles gut heißen! Ich wüßte wohl, was ich darauf zu antworten hätte, aber da kämen die von Ilitz 'rüber auch mit Trommeln, Flinten, Pfeifen und Heugabeln, alle wollten Soldaten sein, und voran ritte der Herr Major –«

»Er wird doch nicht des Teufels sein!« – brach es von den Lippen des Edelmanns, der sie bisher mit sichtlich steigendem Unmut verkniffen und dabei die Augen umherschweifen lassen, ob kein Lauscher in der Nähe sei. Darüber hatte er nicht die Blicke des Mannes bemerkt, der jeden Muskelzug im Gesicht des andern zu beobachten schien. Jetzt fuhr er ruhiger fort:

»Ich meine auch nicht den Herrn Major allein, aber er könnte doch nicht zurückbleiben, wenn die anderen Herren aufstünden.«

»Wer denn?«

»Nun, die Herren von Quiritz und Quaritz, die Ritzengnitze und Kniewitze. Was die Quiritzer für Patrioten sind, weiß ja jedes Kind, wie sie dazumal in Champagner auf den Napoleon seinen Tod tranken. Und die Herren von Wahrnim! Ja, wenn der gnädige Herr auf Kautzenburg seine Bauern aufsitzen ließe –«

»Warum nicht gar auch der Wahrnim auf Hintzenacker!« unterbrach ihn der gnädige Herr mit einem höhnischen Lächeln. Seine ganze Physiognomie hatte sich verändert, wie jemand, der in banger Erwartung einer Eröffnung zugehört, die ihn peinlich berühren könnte, durch einen gleichgültigen oder launigen Schluß den Zauber gebrochen fühlt. »Laß Er sich doch nichts aufbinden, Schulze. Die –« er verschluckte die Namen – »die sind froh, wenn sie ruhig sitzen bleiben können. Und der Wahrnim-Kautzenburg sollte seine schöne Herrschaft aufs Spiel setzen um einen Kornettstreich? Nein, mein lieber Schulze, da sei Er unbesorgt. Tue jeder, was seines Amtes ist, und seine Schuldigkeit. Das übrige –« sagte er mit einer Miene, die er nur selten anlegte und nur auf dem Lande – »muß man der Vorsehung überlassen, die hat alles so gefügt, und wird wohl wissen, warum es so am besten ist.«

Er schien erheitert und zufrieden ins Haus zurückzukehren; der Schulze war auch zufrieden, er wußte, was er wissen wollte.


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