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Siebzehntes Kapitel.

O ihr Thoren, die Ihr in jenem Strudel, Leben genannt, unaufhörlich nach dem Glücke hascht. Köder sind es, an der Angelruthe des Ehrgeizes, der Habsucht, der Eitelkeit; unglücklich wer, ohne das Ziel zu erreichen, rastlos umhertreibt, unglücklicher wer es zu fangen wähnt, und, aus dem Strudel gezogen, im Erwachen von der schrecklichen Selbsttäuschung qualvoll dahin stirbt. Das Ziel des Lebens ist, aus dem Leben hinaustreten, und in seliger Abgeschiedenheit seine Thorheiten belächeln. Hier stehe ich, ein freier Mann, glücklich durch ein theures Weib; glücklich, weil ich aus dem Strudel eine Landspitze gewonnen, wo kein Napoleon, keine Volkswuth, kein Nationalhaß mich beunruhigen können. Ich weiß nichts von dem, was auf der Welt vorgeht, ich werde nichts davon erfahren. Die schlechte Gegenwart aus dem Buche meines Lebens auslöschend, wohnt mein Geist in der bessern Vorwelt. Alle Keime des Edeln und Schönen sammle ich und pflege ich im Geiste zur Saat für die bessere Zukunft.«

So sprach Theodor, sein blühendes Weib umarmend, und trat aus der Hütte, welche er mit diesem seit einigen Wochen bewohnte. Er stieg die nächste Höhe langsam hinan, indem sein Blick noch oft zurückschweifte, um dem ihrigen zu begegnen. Zuletzt verschwand sie, und er stand auf der Anhöhe, die öde Gegend betrachtend. Die Hütte war von den einfachsten Materialien in einer kleinen Schlucht oder Spalte des felsigen Ufers erbaut, so daß man sie weder vom Lande noch von der See aus in der Ferne erblicken konnte. Es war jetzt sein Geschäft, Strauchwerk und wilde Birnbäume ringsum anzupflanzen, um der Gegend ein noch unwohnlicheres Ansehn zu geben, und den kleinen Garten, welchen er im Begriff war an den beiden Seiten der Schlucht anzulegen, vor den Augen der Fremden, die etwa der Zufall in diese Gegend führte, zu bewahren. Nicht daß er hier ein wüstes nur von den Seevögeln bewohntes Eiland gefunden; es war vielmehr die bewohnte und bewirthschaftete Insel, genannt die Greifswaldische Oie. Er hatte sich aber auf der unfruchtbarsten Spitze derselben, welche zugleich am entferntesten von allen Gehöften lag, angesiedelt, um wenigstens vor den Fremden, die gelegentlich hier landen, verborgen und gesichert zu bleiben.

Im Schweiß seines Angesichts arbeitete er jetzt täglich, nachdem das innere Hauswesen besorgt war, an der Anlegung des kleinen Gartens. Das steinartige Erdreich von gehärtetem kreideartigen Ton widerstand zwar nicht seinem Grabscheid, kostete aber viel Mühe und Zeit. Es war jedoch damit noch nicht alles gethan, sondern er mußte die Erde aus einer entfernteren Gegend herbeischaffen, wobei er oft Tagelang arbeitete, ohne mehr als ein kleines Beet zu Stande zu bringen. Alle Arbeit versüßte ihm indessen sein Weib, wenn sie mitten in seiner Beschäftigung aus der Hütte zu ihm heraustrat, ihm Erfrischungen zu bringen oder ihn zu unterstützen.

Er hatte schon mehrere Stunden getragen, gegraben und gepflanzt, als einige Bauern herankamen, und in seine Hütte den Hausbedarf von Brot, Eiern, geräuchertem Fleisch und dergleichen brachten, was nach einem Vertrage mit ihnen in der Regel wöchentlich geschehen sollte. Sie grüßten ihn freundlich und ehrerbietig zugleich, verweilten aber, als sie ihre Bürde abgelegt hatten, länger als gewöhnlich in der Nähe, indem sie dem emsig Arbeitenden verwundert zusahen. Endlich trat ein durch sein Alter ehrwürdiger Bauer zu Theodor, und redete ihn an:

»Junger Herr! Wir sehen Euch da so anstrengend arbeiten, als wir es kaum unseren Ochsen, geschweige denn unsern Knechten zumuthen würden. Ihr seyd nicht dazu geboren und nicht dazu erzogen, und wie Ihr Euch auch Mühe gebt, so schafft Ihr doch darum kaum so viel als unser Einer. Ihr habt uns, als Ihr auf die Insel kamt, ob wir Euch wol gern als Gast aufgenommen hatten, so viel an Geld und Geldeswerth gegeben, daß es mit dem Flecken unfruchtbaren Landes, dem Bischen Holz und Zuwachs, den wir Euch liefern, von unserer Seite nicht abgethan ist. Wir werden Euch noch viel schuldig bleiben, und überdies ist es uns werth, einen gelehrten Mann auf der Insel zu haben, und besonders einen, der wie Ihr die Baumzucht und das Forstwesen versteht. Thut uns darum den Gefallen, und nehmt auch unsere Dienste an. Es sind so viel junge Burschen und Knechte hier auf der Oie, daß tagtäglich recht gut Einer eure Arbeit verrichten kann, und wenn Ihr dann Lust habt mitzuarbeiten, so steht Euch das ja noch immer frei.«

Theodor hörte mit Wohlgefallen dieses freundliche Erbieten. Auf sein Grabscheid gestützt, antwortete er Ihnen: »Ihr guten Leute, ich danke Euch von Herzen für euren guten Willen. Ist denn aber arbeiten keine Lust? Ich bin hiehergekommen, um zu arbeiten, denn der Mensch ist zum arbeiten bestimmt, und wer nicht arbeitet, verfehlt seine Bestimmung.

»Ja, arbeiten,« fiel der Insulaner ein: »arbeiten soll wol Jeder, aber deshalb doch nicht Jeder den Pflug führen und den Spaten.«

Eben der Landbau; den Boden, den er bewohnt, die Mutter Erde, die ihn geboren hat, soll der Mensch bearbeiten. Das ist die ursprüngliche Bestimmung des Einzelnen und der Völker. Hätten die Menschen daran festgehalten vom Uranfange an, so wären noch die Zeiten der Eintracht und der Glückseligkeit; es wäre kein Blut geflossen, kaum das der Thiere, denn der Mensch, der die höchste Stufe der natürlichen Ausbildung erreicht hat, der Indier, lebt ohne Fleisch, von Pflanzen und Gerüchen. Seine gütige Natur reicht ihm in Fülle Alles dar, weil er genügsam mit Wenigem zufrieden ist.

»Das verstehen wir nun nicht, aber bei uns auf der Oie wächst außer dem Getreide kaum die Kartoffel; da würde es schlimm seyn, wenn wir kein Fleisch hätten, und keine Getränke uns aus Pommern holen könnten.«

Ihr habt ja Wasser, das Getränk, was der Himmel selbst dem Menschen bestimmte.

»Ja, Wasser wol, aber es hat doch immer einen salzigen Meergeschmack, daß wir es kaum rein trinken können. Und wenn man die Woche über Wasser getrunken, will man doch am Sonntag was anderes genießen, eben so, wie wenn man die Alltage gearbeitet, man an den Feiertagen sich lustig machen will. Und wie die Tage verschieden sind, so sind es doch auch wol die Menschen.«

Theodor schüttelte den Kopf: »Sie sind es geworden, aber sie waren es nicht. Als Jeder in jener glücklichen Vorwelt noch allein sein Feld bestellte, war er auch zugleich sein eigener Handwerker. So lebte er in Frieden für sich, da seine Beschäftigung ihm nicht erlaubte, sich um die Anderen zu kümmern; und dahin müßte es zurückkommen, sollte der Friede zur Erde wiederkehren, jedermann ein Bauer –«

»Aber,« unterbrach ihn der Redner: »wo bekämen wir denn Bier und Brantwein, unsere Uhren, die Gebetbücher und die Kalender her?«

Das versteht Ihr nicht, gute Freunde. Doch glaubt mir, daß ich es für das höchste Glück meines Lebens achte, alle Bequemlichkeiten vergessend, hier als Bauer zu leben und zu sterben. Ihr könnt mir nicht mehr gefällig seyn, als wenn Ihr das haltet, was Ihr mir bereits feierlich versprochen, daß Ihr keinem Fremden meinen Aufenthalt verrathet, und keiner von Euch mir oder meiner Frau von dem, was außer diesem Felsen vorgeht, Nachricht gebet, oder auch nur in unserer Gegenwart davon sprecht. Ich will, so lange ich lebe, nichts von dem erfahren, was sich im Leben ereignet, um ruhig und sorgenlos mein Haupt dereinst auf's Kissen zu legen.

»Das haben wir Euch ja schon fest und unverbrüchlich zugesagt,« erwiederten die Insulaner: »und darauf werden wir halten, so lange bis unsere Insel von den Wellen untergraben ist.«

Alle schüttelten ihm hierauf nach der Reihe die Hand und entfernten sich. Er folgte ihnen nachdenkend eine Weile mit den Blicken. Die letzte Anspielung der Bauern war kein leeres Wort. Auch dies letzte Asyl des Verbannten, gegenwärtig sein Paradies, steht dem Untergange, und noch ehe der aller Dinge eintritt, entgegen. Ganz verlassen steht die kleine Insel mitten in der Ostsee, und die Meereswogen wühlen in jedem Herbste gegen ihre Thonwände. Was diese von festerem Gestein enthalten, das liegt schon herausgespült weit umher am Strande. Das Erdreich verbindet sich, aufgelös't, mit dem Elemente, und in Jahrhunderten möchte die Greifswaldische Oie verschwunden seyn, und eine Sandbank den Ort, wo sie gestanden, bezeichnen.

»Alles, alles reift seiner Auflösung entgegen, und was nehmen wir mit?« rief Theodor für sich, und arbeitete wieder angestrengt, um die trüben Gedanken zu verscheuchen. Als er erschöpft nach einer Weile inne hielt, fühlte er einen sanften Druck um den Hals. Gertrud stand neben ihm mit einem Korbe Eßwaaren. Er umschlang sie, und stand einige Minuten an ihrem Halse ausruhend: »Das ist Seligkeit,« sagte er: »die mir kein Napoleon gewährt, kein Enthusiasmus für Vaterland und Freiheit, Begriffe, die der Geist kaum faßt, während sie trunken die Zunge lallt. Gertrud, sprich, hier willst Du ewig mit mir bleiben.«

Die junge Frau, der die Liebe sehr bald die Sprache des Geliebten hatte verstehen lehren, wenn ihr auch noch häufig der Sinn der Worte entging, antwortete ihm, daß sie ihm das ja schon längst versprochen hätte. Beide setzten sich auf einen bemoos'ten Stein und verzehrten ihr kleines Mahl, von dem Theodor versicherte, daß es ihm besser munde, als je eines. Gertrud freute sich wol, und sah ihn lächelnd an während er aß, aber sie schwieg meistens, und er mußte aus ihren Blicken die Antworten auf Fragen lesen, deren Bedeutung sie nicht verstand, und auf deren Aussprache auch in der That nicht viel ankam. Es fiel ihm auf, daß sie mit ihren Blicken ihn dann am aufmerksamsten verfolge, wenn er eine Schüssel eben leeren wollte. Sie riß sie ihm, sobald er den letzten Bissen zum Munde geführt, fort, und packte sie sorgfältig in den Korb. Zuerst wollte ihn dies verdrießen, weil er darin eine Nichtachtung auf seine Reden bemerkte, bald aber entschuldigte er dies Benehmen mit dem zarten weiblichen Ordnungssinn, der sich nirgends verläugnen könne. Als sie Alles eingepackt hatte, und sich wieder auf den Weg machen wollte, drückte er sie noch einmal an die Brust und fragte:

»War es nicht gut, daß wir den Kahn, der uns herübertrug, den Wellen wieder übergaben, so auf immer getrennt von dem Lande drüben; vielleicht von den Wenigen, die sich unser erinnerten, für todt gehalten, für verschlungen von den Wellen?« Gertrud bejahte die Frage mit stummem Kopfnicken wie sie gewohnt war. Ihr Gatte aber mußte seiner Seligkeit noch Luft machen: »Hätten wir jemals drüben Augenblicke wie diesen genossen? Wo stände drüben eine so bescheidene Hütte, der selbst umhegte Garten? Wie könnte uns drüben ein einfaches Mahl so munden, als hier nach vollbrachter Arbeit?«

O ja! erwiederte Gertrud: aber drüben hatten wir eine eingerichtete Wirthschaft, Feld und Vieh, und wenn Dir nicht die Franzosen aufgepaßt hätten, so war's in Mönchgut Alles viel bequemer und schöner und größer.

»Aber; liebe Gertrud, der Geist des alten Triglaff mit seinen gierigen Augen, mit den zitternden Gliedern, hätte uns bei Tag und Nacht umschwebt, mißgünstig, daß wir seine Schätze verzehrten. Und in der Welt giebt es viele, viele Triglaffs, wenn sie auch nicht so alt und häßlich sind als der Gestorbene. Wer weiß, ob nicht in uns selbst der Geist des unglücklichen Alten gefahren wäre.«

Wo Du bist, will ich auch seyn, sagte die junge Frau, und ging in die Hütte zurück, nachdem sie ihren Gatten herzlich geküßt hatte. Theodor sah ihr einen Augenblick nach, dann aber vermochte er es nicht länger zu verweilen; er folgte ihr in die Hütte.

So vergingen Wochen, ohne daß Theodor aus dem kleinen Bezirk seiner Wohnung hinausgetreten wäre. Während er sich aber täglich vorpredigte, das höchste Glück des Lebens beruhe in der Selbstbeschränkung, stand er doch zuweilen Stundenlang am Meeresufer, und sah dem eintönigen Spiele der Wellen zu, die ihm wie Stimmen aus der Ferne über die weite See herüberklangen. Er hörte nur ihren letzten ersterbenden Laut, ohne den Sinn zu verstehen; um desto sehnsüchtiger klang ihm aber die geheime Stimme. Er stellte Gertrud vor, daß es gut für die Wirthschaft sey, wenn sie einen Kahn besäßen, um den kleinen Bedarf an Fischen für ihre Hütte selbst einzusammeln. Dazu durfte die Bewegung des Ruderns für seine Gesundheit zuträglich seyn, und bald lag ein Kahn in der nächsten Bucht, auf welchem das junge Ehepaar in den Abendstunden einsame Ausfahrten machte. Fische wurden nicht viele gefangen; allein an jedem Abende bat Theodor die schöne Steuerin, weiter als das vorige Mal in die See zu stechen, um mehr und mehr von den mahlerischen Küsten Rügens zu erblicken. Sie mußte ihm dann von allen Fischersagen berichten, welche sie in ihrer eigenen Kindheit gehört hatte, und er lernte eine neue Wonne kennen, wenn er, im sanft geschaukelten Kahne ausgestreckt, mit den Augen auf die vom Abendroth gefärbte Meeresfläche hinsah, und mit dem Ohre auf die alten Sagen ans dem schönen Munde horchte. Meist überraschte sie die Nacht, ehe sie ihre Insel wieder erreichten.

Vor allem sah Theodor mit stiller Bewunderung in der Ferne die weißen Kreidepfeiler an Jasmunds Küste. Der Abend erlaubte ihm aber nie, auch nur so weit zu segeln, um den vollen Anblick der weißen Felswand, die er einst unter so ganz anderer Stimmung betrachtet, zu gewinnen. Die Sage von der schönen Büßerin, welche am Fuße der Stubbenkammer auf dem hohen vom Wasser umspülten Steine in der Frühe zuweilen von Fischern gesehen worden, zog ihn mächtig an, Gertrud bezeugte aber niemals Lust, ihn und sich auf dem kleinen Boote einer so gefährlich weiten Fahrt auszusetzen.

Eines Sonntags Morgens stahl er sich aber, fast schon vor Sonnenaufgang, von ihrem Lager fort, und vertraute sich dem Meere und der erlernten Schiffskunde. Als er mit leisem Ruderschlage über die dämmernde Meeresfläche dahin fuhr, wurden alle poetische Bilder, welche je in phantasiereichen Stunden ihn umgaukelt hatten, rege. Es war ganz still auf der weiten See, und doch glaubte er Töne zu vernehmen, Glockentöne aus der Meerestiefe, die Stimmen einer untergegangenen Vorwelt. Die Sagen von dem versunkenen Vineta traten ihm lebendig hervor, und fast dünkte es ihm Unrecht, die heilige Morgenstille durch den Ruderschlag zu stören. So gelangte er, ohne sich von der Zeit Rechenschaft zu geben, bis in die offene See, und sah im Morgengrau die majestätische Felswand der Stubbenkammer vor sich liegen. Er legte das Ruder ein, und starrte, sein Fahrzeug dem ruhigen Meere überlassend, nach der Küste. Da rötheten sich die höchsten Gipfel der weißen Pfeiler; das frische Grün der Buchen, von dem ersten Morgenlüftchen durchhaucht, regte sich auf der Höhe, und Vögel erhoben sich in den Buchten und flatterten, kaum dem Auge bemerkbar, um die Felsenspalten. Theodor wandte sich um, und hinter ihm stieg am wolkenlosen Himmel die goldne Sonnenkugel, so groß wie er sie nie gesehen, aus der Fluth. Es war ein Feenschauspiel, – wäre es auch nur um deswillen, weil selten ein zu Empfinden Fähiger es genießt, da kaum die Fischer der benachbarten Oerter schon in dieser frühen Stunde die Höhe des Meeres erreichen. Indessen hatte der sanfte Wellenschlag den nicht regierten Kahn näher an das Ufer getragen, und Theodor konnte den Stein erblicken, auf welchem die Sage die verlorne Jungfrau weilen läßt. Es war nicht der schöne Sonntag Morgen, nicht die Jungfrau allein, welche er erblickte, die Glocken aus der Tiefe gaben ihm nicht Kunde allein von der versunkenen Stadt; es war ihm, als tönte Alles wieder von der untergegangenen Herrlichkeit des Vaterlandes. Die Stimmen der Geister edlerer Geschlechter riefen ihm, die Glocken tönten wie der Nachhall ehemaligen Ruhmes Deutscher Städte, und das weite Meer erschien ihm wie die Zeit, die alles Herrliche der Vorwelt in ihren Fluthen begräbt, aus der nur Riffe wie die gerötheten Felsen herausblicken und undeutliche Stimmen hervorklingen. Die lang verstummte poetische Ader regte sich in ihm, und es war folgende Ballade, deren Bilder und Rhythmus sich schon im Kahne gestalteten, ob er gleich die Worte erst zu Hause bei gehöriger Muße ordnen konnte:

Wenn die Sonne röthet in früher Stunde,
        Die weißen Felsen am Meer,
Schallen aus tiefem Meeresgrunde
        Glockentöne her.

Als ich lauschend dem Geisterklange
        Ging am Felsen einst früh,
Saß eine Jungfrau am Steinabhange, –
        Schöner sah ich sie nie.

Die Wellen spülten vorüber am Steine,
        Als böten sie Morgengruß;
Ihre Glieder waren wie Schnee so reine,
        Mit den Wellen spielte der Fuß.

Sie strehlte ihr Haar nach vorn in Strähnen,
        So gülden im Morgenschein.
Nieder rollten ihre heißen Thränen
        An den Locken wie Perlenreihn.

Sie wusch im Weißen Meeresschaume
        Am Steine ihr seiden Gewand,
Ich aber stand wie im tiefen Traume
        Und rieb mein Auge so lang.

Schöne Jungfrau Du, guten Morgen,
        Wie stehst Du auf so früh?
So früh in Arbeit und Sorgen
        Sah ich edle Jungfrauen nie.

Da schrak sie zusammen und weinte,
        Und schlug die Arm' in die Höh':
»Schon wieder verloren!« ich meinte,
        Sie stürzte sich in die See.

»Schöne Jungfrau, um Gottes Willen,
        Gott helf' in deiner Noth!
Soll ich beten für Dich im Stillen,
        Oder kämpfen mit dem Tod?«

Auf schlug sie ihre großen Augen
        Und schrie: »Zu spät, zu spät!
Wie der Wind vor meinen Augen –
        Jede Hoffnung schnell verweht.«

»Edle Wäscherin auf dem Steine,
        So schon im Morgenroth,
Sprich, warum mußt' am Strande weinen
        Wol in so tiefer Noth?«

»Mein Vater war ein großer König,
        Meine Mutter war sein Gemahl,
Stolze Fürsten und Herrn unterthä'nig,
        Standen in ihrem Saal.

Mit meinem Bruder im Kampf sich messen
        Mochte kein Ritter gern,
Ich selbst war eine hohe Prinzessin,
        Bedient von Rittern und Herrn.

Strahlend mit Gold und Silberzinnen,
        Stand unser Königsschloß;
Seine Thürme lagen mitinnen
        Einer Stadt so reich und groß.

Mein Vater sitzt nun tief im Meere
        Und rauft den weißen Bart.
O! daß meiner armen Mutter wäre
        Solch bitter Loos gespart!

Mein lieber Bruder ist jetzt ein Drache,
        Und liegt auf rothem Gold,
Und ich, ich weine, weine und wache,
        Ob nie das Glück wird hold.

Die Stadt liegt versunken im Meeresgrunde
        Wol schon an tausend Jahr,
Keine Seele hat auf Erden Kunde,
        Wie sie groß und herrlich war.«

»Schöne Jungfrau, Du hast, wer dein Bruder,
        Vater und Mutter, bekannt,
Aber außer Vater und Bruder
        Nicht mir den Freier genannt.«

Sie barg ihr Haupt in beiden Armen
        Und schluchzte wieder laut:
»Wenn Gott sich unser wird erbarmen,
        Werd' ich meines Retters Braut.

Oft sah ich früh des Sonntags gehen
        Am Strand manch Alltagskind.
Keiner hat mich weinend gesehen,
        Sie gingen vorüber geschwind.

Manch Sonntagskind sah mich liegen und weinen,
        Und stürzte sprachlos fort,
Du hast zu sprechen gewagt alleine,
        Und hast verfehlt das Wort.

O hättest Du's gleich ausgesprochen,
         Gott helf' in deiner Noth!
Dann wäre der Zauber auf immer gebrochen,
        Ich Dein im Leben und Tod.

O Menschenkind, zu spät verstanden
        Hast Du den rechten Laut.
Schloß und Stadt wäre auferstanden,
        Ich deine reiche Braut.

Nun werden die Glocken wieder klingen,
        Tief unten aus dem See,
Und alle meine Jungfrau'n singen
        Nach dem Retter aus dem Weh.«

Da schlugen an in der Tiefe die Glocken,
        Die Jungfrau sprang vom Stein,
Die Welle schlug über ihre goldenen Locken,
        Schäumend so weiß und rein.

Oft hört' ich Sonntags noch die Glocken
        In früher Stunde am Meer
Klingen, den fernen Retter zu locken,
        Nie sah ich die Jungfrau mehr.

Die Mittagszeit war längst vorüber, als er, nach langem müßigen Umherfahren wieder am Strande der Oie aussteigend, seinem ängstlich harrenden Weibe in die Arme sank. Nicht in ihren Worten, aber in dem Blicke, in der Innigkeit, mit der sie zitternd ihn umschlang, lag der Vorwurf für den Verspäteten. »Gertrud,« rief Theodor aus: »ich habe sie gesehen.« – Wen denn? fragte das erstaunte Weib. »Die Wasserjungfrau,« entgegnete ihr Gatte, indem er die Haare der ihn Anstaunenden, auf beiden Seiten aus dem Gesichte strich. »O sie war schön, schön wie wenn der Phantasie ein begeisterter Blick auf jenes Frühlingsreich der goldenen Zeit vergönnt ist, jener Zeit, wo die Völker Kinder waren, unschuldig, rein, wo Eintracht herrschte und weder Erz noch Gold den Frieden störte.« Er sagte noch Vieles, wovon sie nichts verstand, er aber setzte sich, nachdem er kaum das für ihn bereit gehaltene Mahl hastig verzehrt, zum ersten Mal nach langer Zeit zum Schreiben nieder. Jene Ballade in ihrem rohesten Zustande war die Frucht seiner Arbeit, als er am Abende aufsprang, und, voll Dichterlust, zu seinem Weibe hinauseilte, sie ihr mitzutheilen. Sie saß auf einer Bank, mit häuslicher Arbeit beschäftigt. Er las voll innigen Gefühls, und sah sie nach jeder Strophe an. Sie sah ihn wol wieder an, in dem großen Auge und dem starren Blicke las er aber gar nichts. Auch als das Gedicht zu Ende war, wußte sie ihm nichts zu sagen, sondern blickte ihn fortwährend so groß an, daß er es nicht mehr aushielt und in die Hütte zurücksprang, um an den Stellen zu ändern und zu feilen, wo es ihm geschienen, daß Gertrud am theilnamslosesten geblieben. Am folgenden Morgen bat er die Frau, welche in kleinen Geschäften die Gehöfte besuchen wollte, die Bauern zu bitten, in dieser Woche die versprochenen Arbeiter zur Bebauung seines Gartens herüberzusenden, da er selbst behindert sey.

*


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