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Der Goldregen.

Eine wahre Begebenheit.

Auf einem kleinen Landsitze lebte eine angesehene Dame, welche kein großes Vermögen an Gold und Silber, wohl aber an wahrhaft christlichen Gesinnungen besaß. Sie begnügte sich nicht allein, ihrem Gatten innige Liebe zu beweisen und die Kinder mit treuer, mütterlicher Sorgfalt zu bewachen, sondern sie erbarmte sich auch aus Herzensgrunde der armen Kindlein, die an diesem Orte einer Schule entbehrten, und sie sehnte sich, diesem Bedürfnisse abzuhelfen. Doch vergebens schien sie nachzusinnen, denn es zeigte sich kein Mittel zur Ausführung ihres Wunsches. Ihr wohlwollender Gatte suchte sie mit freundlichen Worten zu beruhigen, indem er ihr wiederholt die Unmöglichkeit darstellte, ohne großes Vermögen, wie sie waren, ein Schulhaus zu gründen. Da kam ihr plötzlich der Gedanke, das einzige Kleinod, das sie besaß, einen großen, zu einem Ring gefaßten Edelstein für diesen Zweck auszulosen. Dieser Plan ward alsbald in Ausführung gesetzt, und die Lotterie fand einen so gesegneten Erfolg, daß ihr von all den Loosen nur wenige übrig blieben und mit diesen – man denke sich ihr Erstaunen – gewann sie ihren Ring wieder. Mit dem Erlöse begann sie nun das Schulhaus zu bauen. Doch da die Summe bald erschöpft war, so spielte sie den diamantenen Ring zum zweiten Male aus und kam durch Gottes Fügung wieder in den Besitz des werthvollen Ringes.

Mit fröhlich-dankbarem Herzen gegen Gott, der mit seinem Segen ihren guten Willen so augenscheinlich unterstützte, ließ sie den Bau, dessen Vollendung sie schon nahe wähnte, mit erneutem Eifer fortsetzen.

Doch ach! ehe das Werk vollendet war, hatten sich ihre Geldmittel bereits wieder völlig erschöpft. Sie gewahrte dieses mit tiefem, unaussprechlichem Schmerze, welchen sie außer Gott nur ihrem teilnehmenden Gatten mittheilte. Mit klopfendem Herzen sah sie jenem Samstage entgegen, wo den fleißigen Arbeitern der schuldige Lohn verabreicht werden sollte, den sie selbst nicht in Händen hatte und auch nicht anders aufzutreiben wußte, als nun den Diamantring zu verkaufen, was aber immer noch nicht zur Einrichtung der Schule auszureichen schien. Schon war die Nacht vom Donnerstag auf den Freitag herangerückt, wo sie endlich nach inbrünstigem Gebete in einen wohlthätigen Schlummer versank. Da träumte ihr – o unaussprechliche Wonne! – ein reichlicher Goldregen sei auf sie herabgeflossen. Von unerwarteter Freude erweckt, verfiel sie in desto bittere Enttäuschung. Sie beeilte sich, diesen seltsamen Traum ihrem Gatten zu erzählen, der mit ihr bedauerte, daß es nicht Wirklichkeit, sondern ein flüchtiges Phantasiegewebe der Nacht sei.

In wahrer Herzenstrauer brachte sie den Vormittag des Freitags zu, und sandte nach dem Mittagsmahle die Kinder in den Garten, da sie sich in der trüben Stimmung sehnte, allein zu sein. Indeß sich ein Theil der Kinder beschäftigte, Erdbeeren in den Beeten zu pflücken, und die andern in einem schattigen Gang Kegel schoben, trat zu ihnen ein bekannter, hoher Geistlicher aus der nächsten Stadt und fragte sie angelegentlich, wo sich ihre Mutter befände?

»Die gute Mutter,« antwortete die älteste Tochter, »ist leider heute so traurig, daß sie vorzog, allein auf ihrem Zimmer zu bleiben.«

»So sucht sie auf, liebe Kinder, und bringt ihr diese Rolle Goldes, das ich für ihren guten Zweck bei freundlichen Wohlthätern gesammelt habe; dieser Anblick wird sie gewiß erfreuen.«

Mit pochendem Herzen eilten die Kinder in's Haus zurück, wo sie die Mutter eingeschlummert antrafen. Nun schlichen sie leise auf den Fußspitzen herbei, stellten einen Stuhl hinter den Lehnsessel der schlafenden Mutter, öffneten sachte die Rolle, und ließen, ohne etwas von ihrem Traume zu ahnen, die glänzenden Goldstücke auf sie herabregnen.

Von dem Geräusche erweckt, erhob die gute Mutter ihre Augen, indeß sie zu ihrer unaussprechlichen Ueberraschung den Goldregen gewahrte. Anfangs wähnte sie noch zu träumen, doch nach und nach ward es ihr klar, daß es diesmal nicht Traum, sondern eine ihr unerklärliche Wirklichkeit sei.

Mit innigem Jubel dankte sie Gott für diese unerwartete Hilfe in ihrer tiefen Bedrängniß, und als die Kinder ihr Alles mitgetheilt, erflehte sie himmlischen Segen auf die freundlichen Wohlthäter herab.

Nun vermochte sie das Schulhaus in Bälde zu vollenden, in welches bald eine blühende Kinderschaar ihren dankbaren, fröhlichen Einzug hielt, um in diesen Mauern die nothwendige Anleitung zu einem Gott wohlgefälligen Erdenleben und würdige Vorbereitung für die Ewigkeit auf liebreiche Weise zu erhalten.

Wie rührend ist es, daß Gott gerade einen Freitag – einen Tag, der von Vielen fälschlicher Weise für einen Unglückstag gehalten wird, obwohl er der ganzen Menschheit durch den Tod Jesu den höchsten Segen brachte, – auserkohr, um dieser barmherzigen Dame die beseligende Erfüllung ihres lang gehegten, Ihm sichtlich so wohlgefälligen Wunsches zu erfüllen.


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