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III.

Don Diego.

Fest entschlossen, sich um jeden Preis des Vermögens seines Vaters zu bemächtigen, welches ihm die Heirath seiner Schwester für immer zu entreißen drohte, hatte sich Don Melchior, ohne Scheu vor der Gefahr in die Politik gestürzt, indem er inmitten der Parteien, die seit langer Zeit das Land zerrissen, Gelegenheit zu finden hoffte, seinen Ehrgeiz und seine Habsucht zu befriedigen.

Mit einem energischen Charakter und großer Intelligenz begabt, ohne Zögern und ohne Gewissensbisse von einer Partei zur andern übergehend, je nach den Vortheilen, die ihm geboten wurden, immer bereit Demjenigen zu dienen, der ihm am Meisten bezahlte, war es ihm gelungen, sich zum Herrn wichtiger Geheimnisse zu machen, wodurch er bei Allen gefürchtet ward, und selbst bei den Befehlshabern der Parteien, denen er nach der Reihe gedient, sich ein gewisses Ansehen erworben hatte. Als Spion der vornehmen Leute wußte er überall einzudringen, und sich mit allen Brüderschaften und geheimen Gesellschaften zu verbinden, da er im höchsten Grade das so beneidete Talent der renommirtesten Diplomaten besaß: auf das Natürlichste die widerstrebendsten Gefühle und Meinungen kund zu geben. So hatte er sich in die geheime Gesellschaft Einigkeit und Macht aufnehmen lassen, durch welche er später zum Tode verurtheilt werden sollte, mit dem im Voraus gefaßten Entschluß, die Geheimnisse dieser gefürchteten Verbindung zu verrathen, sobald sich eine günstige Gelegenheit dazu bieten würde. Don Antonio de-Cacerbar war kurze Zeit darauf als Mitglied in dieselbe Verbindung getreten.

Diese beiden Männer sollten einander vom ersten Augenblicke an verstehen. Bald vereinigte sie die innigste Freundschaft.

Es war zu Anfang ihres Bündnisses, als Don Antonio de-Cacerbar, der in Folge anonymer Enthüllungen des Verraths überführt, durch die geheime Gesellschaft verurtheilt und genöthigt worden, sein Leben gegen ein anderes Mitglied derselben zu vertheidigen, – unter den Degenstichen seines Gegners fiel und für todt auf dem Platze gelassen wurde, wo ihn Dominique, wie wir weiter oben berichtet haben, fand. Don Melchior, welcher unter der Maske dieser blutigen Execution von ferne beigewohnt hatte, beschloß, wenn es möglich sei, diesen Mann, der ihm so lebhafte Sympathien einflößte, zu retten. Nach dem Aufbruch seiner Gefährten war er so schnell als möglich herbei geeilt, in der Absicht, dem Verwundeten Hülfe zu bringen, aber er hatte ihn nicht mehr gefunden; der Zufall raubte ihm, indem er Dominique des Weges führte, zu seinem Bedauern die Gelegenheit an, Don Antonio seine Schuld abzutragen.

Später, als Don Antonio, halb geheilt, aus der Höhle, wo man ihn pflegte, entflohen war, hatten sich die beiden Männer wieder getroffen; diesmal glücklicher war es Don Melchior vorbehalten Don Antonio wichtige Dienste zu leisten.

Dieser hatte seinerseits mehrfach Gelegenheit gehabt, den jungen Mann aus dem geheimen Credit, über welchen er disponirte, Nutzen ziehen zu lassen.

Allein, wenn Don Antonio die Geschäfte seines Verbündeten, das Ziel, welches er erstrebte, und die Mittel, welche er, um es zu erreichen, anzuwenden gedachte, aus dem Grunde kannte, so war es mit Don Melchior nicht eben so in Bezug auf Don Antonio de-Cacerbar; dieser blieb für ihn ein unlösliches Räthsel. Obgleich der junge Mann schon mehrmals vergeblich versucht hatte, das Vertrauen seines Freundes und dadurch gewisse Vorrechte zu erlangen, so hoffte er dennoch, eines Tages das zu entdecken, was der Andere bisher zu verbergen strebte.

Der letzte Dienst, welchen Don Antonio ihm erwiesen hatte, indem er ihn so unvermuthet der erbitterten Justiz der Mitglieder der Eintracht und Macht entzog, hatte Don Melchior, einstweilen wenigstens, unter seine Abhängigkeit gestellt.

Don Antonio schien ein gewisses ponti d'honneur darin zu finden, Don Melchior nicht an die ungeheure Gefahr zu erinnern, aus welcher er ihn gerettet hatte; er fuhr fort, ihm zu dienen, wie er es bisher gethan hatte.

Die erste Sorge des jungen Mannes war, sobald er in Puebla angekommen, sich eiligst nach dem Kloster zu begeben, woselbst er seine Schwester untergebracht hatte; aber, wie ihm eine geheime Ahnung sagte, fand er das Kloster leer, das junge Mädchen verschwunden.

Don Antonio hatte darüber nur einige Worte geäußert, aber dieselben enthielten eine furchtbare Beredtsamkeit.

»Nur die Todten entfliehen nicht,« bemerkte er.

Und Don Melchior hatte gesenkten Hauptes die Richtigkeit dieser Worte anerkennen müssen.

Alle Nachforschungen des jungen Mannes in Puebla waren vergeblich, Keiner konnte oder wollte ihm Aufklärung geben; die Superiorin des Klosters war stumm.

»So laßt uns nach Mexiko aufbrechen, dort werden wir sie finden, wenn sie nicht todt ist,« sagte Don Antonio zu ihm.

Sie reisten ab.

Welches Mittel Don Antonio anwendete, den Zufluchtsort Donna Dolores' zu entdecken, wissen wir nicht zu sagen, aber es ist gewiß, daß er Tage nach seiner Ankunft die Wohnung des jungen Mädchens kannte.

Verlassen wir auf einige Augenblicke diese beiden Männer, denen wir nur zu bald wieder begegnen werden, und berichten wir, auf welche Weise Donna Dolores befreit worden war.

Das junge Mädchen war auf Befehl Don Melchior's in ein Carmeliterinnenkloster gebracht worden.

Die Superiorin, welche Don Melchior vermittelst einer bedeutenden Summe und noch größerer Versprechungen für seine Interessen gewonnen hatte, sobald sie mit Eifer und Klugheit seine Pläne in Ausführung bringen würde, ließ keinen andern Besuch zu dem jungen Mädchen als den ihres Bruders. Es war Dolores verboten worden, Briefe zu schreiben, und diejenigen welche an sie gerichtet waren, wurden mitleidslos aufgefangen.

So verbrachte Dolores trübe und einsame Tage in einer engen Zelle, wo sie von allein Verkehr mit der Welt abgeschnitten, selbst nicht die Hoffnung hatte, daß ihr einst ihre Freiheit wiedergegeben werden würde; ihr Bruder hatte ihr in dieser Beziehung seinen Willen ausgesprochen: er verlangte, daß sie den Schleier nehmen sollte.

Dieses Mittel war das einzige, welches Don Melchior ersonnen, um seine Schwester zu zwingen ihm ihr Vermögen zu überlassen.

Indessen konnte Don Melchior, obwohl er sich zum Vormund seiner Schwester hatte ernennen lassen, sie nicht ohne eine Vollmacht des Gouverneurs in ein Kloster bringen, eine Vollmacht, die er sehr leicht erhielt und welche der Geheime Secretair seiner Excellenz Don Diego Izaguirre, der Oberin übergab, sobald das junge Mädchen in das Kloster gebracht wurde.

Am Abend des Tages, wo Don Melchior von Don Adolfo, den er für seinen Gefangenen hielt, so geschickt fortgeführt worden, klopften gegen neun Uhr drei in dichte Mäntel gehüllte Männer, auf schönen, kräftigen spanischen Pferden an die Klosterpforte.

Die Pförtnerin öffnete das in der Thür befindliche Schiebfenster, wechselte einige leise Worte mit einem der Reiter, welcher vom Pferde gestiegen war, und ohne Zweifel von der erhaltenen Antwort befriedigt, öffnete sie die Pforte, um den verspäteten Besucher einzulassen.

Dieser warf die Zügel seines Pferdes einem seiner Gefährten zu, und trat, während diese ihn draußen erwarteten, ein, worauf die Pforte sich wieder hinter ihm schloß.

Nachdem er mehre Corridore durchschritten, öffnete die Pförtnerin die Zelle der Aebtissin und meldete Don Diego Izaguirre, Geheimsecretair seiner Excellenz des Gouverneurs.

Nachdem Don Diego einige Begrüßungen und Complimente ausgetauscht hatte, zog er aus seinem Dolman ein gefaltetes versiegeltes Papier und überreichte es der Superiorin, welche es öffnete und rasch überflog.

»Sehr wohl, Sennor,« sagte sie; »ich bin bereit, Euch zu gehorchen.«

»Erinnern Sie sich wohl der Weisung, Madame, die ich Ihnen mitgetheilt habe und welche ich zu mich wiederholen, genöthigt sehe. Niemand, Madame,« und er betonte diese Worte absichtlich, »darf wissen, wie Donna Dolores das Kloster verlassen hat; dies ist von der höchsten Wichtigkeit.«

»Ich werde es nicht vergessen, Sennor.«

»Es steht Euch frei zu sagen, daß sie entflohen ist, jetzt wollen Sie die Güte haben, Donna Dolores benachrichtigen zu lassen, ich bitte darum.«

Die Superiorin ließ Don Diego in ihrer Zelle zurück und ging selbst, um Donna Dolores aufzusuchen.

Sobald der junge Mann allein war, zerriß er das Papier welches er der Aebtissin gezeigt hatte, in kleine Stückchen und warf sie in den Kamin, wo das Feuer sie augenblicklich verzehrte.

»Ich frage nichts darnach,« sagte Don Diego, indem er sie verbrennen sah, »ob der Gouverneur eines Tages bemerkt, mit welcher Vollkommenheit ich seine Handschrift nachahme, er könnte eifersüchtig darauf werden und er lächelte spöttisch.

Die Aebtissin kehrte nach kaum einer Viertelstunde zurück.

»Hier ist Donna Dolores,« sagte sie; »ich habe Ehre, sie Euren Händen zu übergeben.«

»Sehr wohl, Madame, ich hoffe, Ihnen bald beweisen, daß Seine Excellenz, sobald sich die Gelegenheit dazu bieten wird, die Personen zu belohnen weiß, die ihm ohne Zögern wie ohne Interesse gehorchen.«

Die Superiorin verneigte sich demüthig, indem sie die Augen gen Himmel erhob.

»Sind Sie bereit, Sennorita?« fragte Don Diego das junge Mädchen.

»Ja,« antwortete diese lakonisch.

»So haben Sie die Güte, mir zu folgen, ich bitte.«

»Gehen wir,« erwiderte sie, indem sie sich in ihren Mantel hüllte und ohne Abschied von der Aebtissin zu nehmen, voranging.

Sie verließen die Zelle und gelangten, von der Superiorin geführt, an die Pforte des Klosters. Die Aebtissin hatte die Vorsicht gehabt, unter einem leichten Vorwand die Pförtnerin zu entfernen; sie öffnete also selbst die Thür und sobald Don Diego und das junge Mädchen hinausgetreten waren, grüßte sie ein letztes Mal den Secretair des Gouverneurs, und schloß die Thür wieder, froh, von der Sorge befreit zu sein, die ihr die Anwesenheit Donna Dolores' verursacht hatte. »Sennorita,« wandte sich Don Diego ehrerbietig an das junge Mädchen, »wollen Sie die Güte haben und dieses Pferd besteigen?«

»Sennor,« antwortete sie mit trauriger, aber fester Stimme, »ich bin nur eine arme Waise ohne Vertheidigung; ich gehorche Euch, denn jeder Widerstand von meiner Seite wäre eine Thorheit, aber ...«

»Donna Dolores,« fiel ihr einer der Reiter in's Wort, »wir sind von Don Jaime gesandt.«

»Oh!« rief sie erfreut, »das ist die Stimme von Don Carlos.«

»Ja, Sennorita; beruhigt Euch also und zögert nicht länger, die Zeit drängt.«

Das junge Mädchen schwang sich leicht auf das Pferd Don Diego's.

»Nun, Sennores,« sagte der junge Mann, »bedürft Ihr meiner nicht mehr, lebt wohl und glückliche Reise!«

Sie sprengten wie der Wind dahin und bald waren sie in der Nacht verschwunden.

»Wie sie eilen,« lachte der junge Mann; »ich glaube, Don Melchior würde einige Mühe haben, sie einzuholen.«

Und sich fester in seinen Mantel hüllend, kehrte er zu Fuß in den Palast des Gouverneurs zurück, wo seine Wohnung war.

Die beiden Männer, welche Donna Dolores begleiteten, waren Dominique und Leo Carral.

Sie ritten die ganze Nacht hindurch.

Mit Anbruch des Tages erreichten sie einen verlassenen Rancho, wo mehre Personen sie erwarteten.

Donna Dolores erkannte mit Freuden unter ihnen Don Adolfo und den Grafen.

Jetzt von ihren ergebenen Freunden umgeben, hatte sie nichts mehr zu fürchten, sie war gerettet.

Die Reise entzückte sie, aber ihre Freude erreichte den höchsten Grad, als sie in Mexiko ankam und in Begleitung ihrer braven Freunde das kleine Haus betrat, wo im Voraus Alles zu ihrer Ankunft vorbereitet war. Sie sank weinend in die Arme Donna Maria's und Donna Carmens.

Don Adolfo und seine Freunde entfernten sich, um den Damen Zeit zu lassen, ihre Herzen auszuschütten.

Um mehr in der Nähe über das junge Mädchen wachen zu können, ließ der Graf durch seinen Kammerdiener ein Haus miethen, welches in derselben Straße lag wie das, welches Donna Dolores bewohnte, und bot Dominique an, seine Wohnung mit ihm zu theilen, was dieser eifrig und dankbar annahm.

Um keinen Verdacht zu erregen und um die Aufmerksamkeit nicht auf das Haus der drei Damen zu lenken, wurde beschlossen, daß die jungen Leute nur höchst selten kurze Besuche abstatten sollten. Was Don Adolfo anbelangt, so hatte er, nachdem er das junge Mädchen zu seiner Schwester gebracht, das herumirrende Leben wieder begonnen und war von Neuem unsichtbar geworden. Zuweilen erschien er plötzlich bei einbrechender Nacht in dem Hause der jungen Leute, wo Leo Carral das Hauswesen leitete, indem er behauptete, da der Graf seine junge Herrin heirathen sollte, dieser sein Gebieter sei und er sich demnach als seinen Haushofmeister betrachte.

Um dem braven Diener keinen Kummer zu verursachen, hatte ihm der Graf seinen Willen gelassen.

Bei den seltenen Gelegenheiten, wo der Abenteurer erschien, plauderte er einige Zeit mit den Frauen über gleichgültige Dinge, worauf er sie wieder verließ, indem er ihnen Wachsamkeit anempfahl.

So vergingen mehre Tage. Donna Dolores hatte unter dem wohlthuenden Einflusse des Glücks ihre heitere Sorglosigkeit wiedergewonnen; sie und Carmen zwitscherten wie die Colibris vom Morgen bis zum Abend in allen Winkeln des Hauses; selbst Donna Maria unterlag dem Einfluß dieser so offenen, naiven Freude und erschien ganz verjüngt, ja zuweilen überraschte man ein heiteres Lächeln, welches ihre strengen Züge verklärte.

Eines Abends, als der Graf und sein Freund, um die Zeit zu tödten, eine Partie Schach spielten und Beide mit der Hand auf den Tisch gestützt, schweigend einander gegenüber saßen, unter dem Vorwande über die Züge nachzusinnen, in Wahrheit aber um an ganz andere Dinge zu denken, wurde laut an die Straßenpforte geklopft.

»Wer zum Henker kann zu dieser Stunde noch kommen?« riefen Beide zugleich aus.

»Es ist Mitternacht vorüber,« sagte Dominique.

»Außer Olivier, wüßte ich nicht, wer es sein könnte;« versetzte der Graf.

»Ohne Zweifel ist er es,« begann Dominique wieder.

In diesem Augenblick wurde die Thür des Zimmers geöffnet und Don Jaime trat herein.

»Guten Abend, meine Herren,« sagte er; »Ihr erwartetet mich nicht zu dieser Stunde, nicht wahr?«

»Wir erwarten Euch immer, mein Freund.«

»Habt Dank dafür; Ihr erlaubt,« setzte er hinzu und sich zu dem Kammerdiener wendend, welcher ihm leuchtete, sagte er: »Seid so gut, ein Abendessen für mich anzurichten, Raimbaut.«

Dieser verneigte sich und ging.

Don Jaime warf seinen Hut auf den Tisch und einen Stuhl nehmend, fächelte er sich mit seinem Taschentuche Kühlung zu.

»Oh!« sagte er endlich, »ich sterbe fast vor Hunger, Ihr Lieben.«


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