Paul Adler
Nämlich
Paul Adler

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Von dem Hause des Jesuskindes

Das Haus des lieben Jesuskindes ist ein altes Haus. Darinnen haben einst fromme Mönche gewohnt, darum nennt man es das Alte-Mönchshaus. Über dem Tore des Hauses ist ein Mönch in der Kapuze gemalt, der seinen Finger auf dem Mund hält zum Zeichen, daß Schweigen gut ist. Diese Mauer ist übertüncht mit Leichenfarbe. Der Mann ist der strenge, heilige Dominikus, der Hund des Herrn Jesus.

Wenn jemand in diese Türe hineingeht, so wird sie gleich wieder verschlossen. Es steht eine Wache davor. Auch auf der Treppe darf unsereins nicht ohne die Wache gehn. Das geschieht alles, weil sonst böse Männer kommen und dem Jesuskind die Schüler stehlen. Im Hause des Vaters Jesu sind viele Zimmer. Manchmal schreit einer und tobt unter den Geistern, wenn er hereingebracht wird, aber die meisten werden ganz still davongetragen. Keiner entfernt sich allein, allen gefällt es gut bei uns. Mitunter kommen fremde Herren und verwundern sich, daß es in dem Hause des lieben Jesuskindes so ruhig zugeht. Es gibt da nämlich nur selten Lärm, außer wenn einer ganz unbändig ist. Aber dann muß er schon sehr schlimm sein, denn sonst wird er immer nur von den Brüdern des lieben Jesuskindes ermahnt. Die Brüder sind nicht mehr dieselben, die ehemals im Hause lebten. Ehemals gingen sie in weiten, weißen Mänteln oder auch in braunen Kleidern und 76 hießen Barmherzige. Die jetzigen Brüder tragen aber fast alle weiße Kleider und sind strenger als die frühern Brüder Jesu waren, und reinlicher. Neben diesen Brüdern gibt es noch härtere dienende Halbbrüder; sie wissen sich manchmal keinen Rat mit uns, so schlimm sind einige von uns beschaffen. Das Jesuskind kennt sich rings im freien Umkreis viel besser aus, als wir in unserm Spielzeug. Am Morgen, wenn wir im eisernen Bett liegen, klirrt das Jesuskind in der Nähe wie ein Hahn. Das Jesuskind will dann, daß wir aufstehn sollen. Manchmal, wenns warm wird, versteckt sich das Jesuskind auch in einen großen Baum und ruft: Guckguck . . . Guckguck, rufen wir dann alle zur Antwort. Das Jesuskind legt zu Ostern im Hof bunte Ostereier.

Das Jesuskind weiß sehr viel. Es weiß, daß wir immer brav sein müssen, und es weiß auch warum. Wir wissen nur, daß wir brav sein müssen, doch sagt man uns nirgends den Grund. Wir sind aber noch Kinder, wenn wir erst groß sind, werden wir alles verstehn gleich dem Jesuskind. Manche von uns sind mehr begabt, andre unter uns sind eher faul. Das Jesuskind liebt die Faulen ebensosehr wie die Begabten, zeigt es ihnen aber nicht. Wenn wir nachts schlafen, geht das Jesuskind von dem einen unsrer Betten zum andern. Manchmal sehn wir noch seine Füße. Es gibt auch ein Krankenzimmer. Wir haben sehr viele ein besonderes Zimmer. Ich habe ein sehr schönes Zimmer, 77 in dessen Wand das Fieberrohr der Wasserleitung rauscht. Die Wände sind alle weiß getüncht, mit einem kräftigen blauen Strich hindurch. Die Fenster in unsern Zimmern sind vergittert, damit wir beim Spiel nicht hinausfallen. Auch die Türen sind alle mit einem Schlüssel von außen versperrt. Messer, Gabel und alles Eisen hält das Jesuskind bei seiner Mutter aufbewahrt, damit wir uns nicht schneiden oder stoßen. Ebenso dürfen wir selbst kein Licht in die Hand nehmen.

Wenn wir heftig klagen, halten uns die Brüder des Jesuskindes oder seine Halbbrüder fest. Wenn wir herzzerbrechend sind, werden wir auch gebraust und gebadet. Die Brause zu dem Bad ist für die Kinder im Hause des Jesuskindes die schwerste zulässige Strafe. Ich werde nur selten gebadet, weil ich nur selten brause. Noch weniger schlage ich mit Händen oder Füßen um mich. Schlagen und auch Schreien ist beides sehr schlimm, das Schlimmste, was es gibt. Es gibt Engel bei uns, im Turme. – Ich habe noch niemand umgebracht.

Ich halte mich nicht immer ganz rein, muß mich aber täglich allein waschen. Meine Fingernägel darf ich jedoch nicht ohne Hilfe schneiden. Das Jesuskind meint es mit jedem in seinem Hause sehr gut. Mich hat es sehr lieb, weil es mich selbst da herein gebracht hat. Ich war damals erst dreiunddreißig Jahre alt. Ich habe das Jesuskind auch 78 sehr lieb. Vor seiner Mutter fürchte ich mich aber ein wenig, weil sie von altem Porzellan ist. Die Wangen sind rot, und die Hände halten ein Stäbchen. Das Jesuskind spielt gerne mit einer großen glatten Kugel. Oft spielt das Kind mit mir Schaukelpferd. Immer bin ich das Pferd, und das Gotteskind reitet auf meinem Rücken. Aber davon wird mir gewöhnlich sehr übel in meinem Leib, weil ich Staub fresse, und dann ist unsre Erde so hart. Das Gotteskind tröstet mich aber, daß es später, wenn erst das Gras darüber aufschießt, besser gehn soll. Dann geht das sanfte Schaukelpferd hoch bis in die Wolken.

 

Von meinen Freunden: Von meinen Freunden habe ich sehr lieb den Kaiser Diokletianus. Auch den Schaffner der Mondbahn habe ich sehr gern, wenn auch nicht so gern wie den Kaiser, weil der Schaffner immer bestimmte acht Nächte im Monat unruhig ist. Am liebsten aber von allen Kindern habe ich den lieben Sokrates. Er ist ein Grieche, spricht aber nur noch deutsch. Ich habe ihm gestern, als wir miteinander spielten, sein Schulheft aus der Rocktasche gezogen, will es ihm aber bald zurückgeben, weil er sonst bitter weint. Einmal aber darf ich noch damit spielen. Wir spielen sonst mit dem Sokrates gern im Freien, wenn wir einen Spaziergang machen dürfen. Dann lagert er sich an einem Bache, und 79 wir müssen ihn suchen. Wer ihn zuerst gefunden hat, der bekommt Bachblumen aufgesetzt. Jetzt aber dürfen wir, weil es schon kalt ist, nicht länger mit den Brüdern ins Freie hinaus. Das Jesuskind hat dem Sokrates eine Aufgabe gegeben. Sie heißt die Sokratische Methode. Ich verstehe sie nicht ganz. Ich habe sie aber für den Sokrates abgeschrieben.

 

Die Sokratische Methode

Sokrates: Du bist bekümmert, mein Kindchen, du folgst unserm Spiel nicht recht. Vertraue mir, ob dir unser Spiel regellos oder doch schlecht zu sein scheint, oder ob du das Spielen der Kinder überhaupt verurteilst.

Nämlich: Keines von beiden, lieber Alter. Mein Geist weilte bei den Göttern. Darum sagte mir unser Spiel nicht zu.

Sokrates: Bei welchen Göttern nun verweiltest du, mein Kindlein?

Nämlich: Bei dem menschlichsten, daß du es weißt. Ich dachte an Herakles. An seinen Wahnwitz dachte ich vielmehr. Darum ward ich bekümmert. Ich dachte daran, daß alle Arbeiten sterblich sind.

Sokrates: Dies ist freilich nun einmal so. Die Arbeiter selbst haben ihren Lohn dahin. Aber anders die 80 gottergebenen Kinder. Sieh, mein Bengelchen, in mir den Sokrates.

Nämlich: Wie sagst du? Also bist du noch immer nicht genesen, Alter?

Sokrates: O, bitte, rufe darum den Wärter nicht gleich. Um meinen Wahn. So wie Sokrates darum allein nicht zu spielen aufhören wird. Und verfärbe dich nicht, mutterloser Knabe. Ich bin dir unschädlich. Ich bin kein unkörperlicher Schatten oder Geist.

Nämlich: Was bist du denn? Sage es mir. Ich glaube, daß du ein wenig närrisch bist.

Sokrates: Ich bin kindisch geworden, Kleiner, das ist nicht dasselbe. Deshalb haben sie mich wieder in den Turm geworfen. Glaubst du aber nicht, ernsthaft gesprochen, daß Sokrates unsterblich ist?

Nämlich: Ich glaubte es wenigstens bis zu diesem Tage.

Sokrates: Du glaubst es mit Recht. Aber sage mir, denkst du, daß von dem Sokrates, genauer genommen, der Geist unsterblich ist oder eher des Sokrates Körper?

Nämlich: Des Sokrates Geist, denke ich, ist unsterblich. Denn der Körper, du Narr, ist vorlängst irgendwo in Attika vergangen.

Sokrates: Da denkst du die Wahrheit. Aber kann ein Geist vor deinen Sinnen ohne einen Leib bestehn? 81 Es sei denn, daß du an Erscheinungen glaubst, wie die Wahnsinnigen tun. Aber überlege dir die Antwort gut, mein Kind.

Nämlich: Kein Geist, o Frager, kann in dieser Welt ohne einen Leib bestehn.

Sokrates: Behalte auch dieses in deiner Erinnerung. Nun sage mir noch: Kann also der Geist in dieser Sinnenwelt an irgend etwas ihm eigentümlichen erkannt oder aufgespürt werden, es sei denn an seinem Körper, mit welchem der Geist eben behaftet ist?

Nämlich: In dieser Welt kann der Geist nur allein an seinem Körper erkannt werden.

Sokrates: Vortrefflich geantwortet für deine Jugend. Wenn nun also der Geist unsers Sokrates, um vor deinen Augen kein bloßer Geist oder Schatten zu sein, sich eines Leibes neu bemächtigte? Würdest du, mein Kleiner, ihn an seinem neuen Leibe erkennen oder vielleicht noch an seinem alten?

Nämlich: An seinem neuen Leibe natürlich. Du hältst mich für zu töricht.

Sokrates: Derart, daß wenn Sokrates jetzt, zum Beispiel, als Handwerker umherliefe, nachdem er vorher ein Philosoph war, oder als ein Zwängling, nachdem er ehemals ein Politiker war . . . 82 Meintest du aber, daß der Geist sich seinen Körper erwähle?

Nämlich: Ich meine es. Wie sonst sollte ich es mir vorstellen?

Sokrates: Durch die Auswahl Gottes etwa. Gott erhebt ja die Kleinen.

Nämlich: Was willst du damit Besonderes sagen? Du gehst ja mit einemmal in die Theologie über!

Sokrates: Ich will dich damit nur fragen, ob du vielleicht glaubst, daß der Geist des Sokrates heutzutage eher mit dem Leibe eines ordentlichen Gelehrten bekleidet umherginge oder eher mit dem Leibe eines evangelischen Schusters. Da ja Gott und auch der, jetzt schweifende, Geist des Sokrates, beide die Demütigen lieben.

Nämlich: Ich glaube, Sokrates dürfte eher mit dem Leibe eines evangelischen Schusters unter uns begabt sein.

Sokrates: Du glaubst nur, was zweifellos recht ist. Aber sage mir noch: Eines ärmlichen Schusters eher oder eines reichen? Eines, der hundert Maschinen beschäftigt, oder eines, der keinen einzigen Gesellen ernähren kann?

Nämlich: Eines, so glaube ich, der keinen Gesellen ernähren kann. 83

Sokrates: Oder eines jungen eher als eines alten? In wessen Leibe wohl dürfte das Sokratische nach deiner Meinung angetroffen werden?

Nämlich: In dem Leibe eines alten, vermutlich. Denn dieser ist bei weitem erfahrener.

Sokrates: Dann, eines amerikanischen Schusters – sage mir noch dies – oder eher eines deutschen?

Nämlich: Eines deutschen Schusters, mein Lieber, wenn es denn ein Deutscher sein muß.

Sokrates: Und eines irrsinnigen unter den deutschen oder eines tüchtigen und geistesstarken Schuherzeugers?

Nämlich: Eines irrsinnigen, so schwöre ich. Bei einem, seiner Schuhe gewissen, deutschen Schuhversender aber gewiß nicht.

Sokrates: Und sage mir noch dieses: In einem scharfsichtigen oder in einem kurzsichtigen Schuster? In wessen Leibe von beiden möchte wohl des Sokrates Geist eher zu finden sein?

Nämlich: Ich sage, des Sokrates Geist wäre eher in dem Leib eines kurzsichtigen Schusters zu suchen, weil der scharfsichtige Schuster gewiß seine Schuhe besser erkennt als sein Sokratisches.

Sokrates: Nun also, mein Kleiner, siehe mich an und freue dich mit mir! 84

Nämlich: Ich freue mich mit dir von ganzem Herzen. Du bist wahrhaft Sokrates. Denn dieser Leib, woran ich dich aufspüre, ist nichts als der elende Leib eines alten, kurzsichtigen Schusters im Irrenhause und eines, der keinen Gesellen ernähren kann, obendrein. Wie konnte ich nur jemals daran zweifeln, daß du Sokrates bist!

 

Dieses hatte ich zuletzt zu Papier gebracht. Ein Bruder ertappte mich bei meiner schönen Handschrift und nahm mir mein ganzes Buch weg. Es gelang mir noch kaum, dieses letzte Stück, welches des Sokrates ist, herauszureißen und für seinen Eigentümer aufzubewahren. Aber das Ganze wird, wie es scheint, nun vielleicht immer in unfreundlichen Händen bleiben. Wenn ich auch ein Kind bin, war es mir doch eine süße Beschäftigung zu schreiben. Es scheint, daß es hier nicht mehr erwünscht ist. Das Gesetz, so heißt es, wird das allzu ungebundene Schreiben an diesem Orte nicht länger dulden. Nicht länger mehr werden die Kinder in dem Hause ihres Vaters tun können, wozu er sie erschaffen hat. Ein neuer strenger Befehl ist über uns alle gekommen. Ihm sei gehorcht. Es muß Ordnung im Irrenhaus sein!

Nur noch dieses Eine, Flüchtigste, ohne das alles andre ein Bruchstück ist. 85

 

Geheimnis und lichter Strahl

Was begibt sich, mein Gott? Ich will in meinen vielen Irrtümern nicht selber lesen, mögen andre dies tun, wenn es ihnen nützlich scheint. Ich selbst vermag es nicht. Ich bin Paul, ehemals Künstler an unsrer kleinen Oper, jetzt beschäftigungslos und vielmehr verrückt. Gott, was habe ich da verraten? Wie sie alle erschrecken! Nein! Ich bin nicht verrückt, nicht verrückt in euerm klugen Sinne. Glaubt es, ich bin sehr intelligent, eine versteckte Begabung sogar ist in dieser letzten Zeit in mir zum Vorschein gekommen. Aber ich bin verrückt, verrückt nur deshalb, weil ich in einem Hause der Verrückten wohne. Hütet euch vor dem Fach, vor dem Namen! Mich hat mein Herr, mein Besuch, Christus, mein Vater und Kind, dahinein gebracht. Hier bin ich mit den rabiaten Kaisern und mit dem Sokrates. Hier gehöre ich hin und zu den bunten unglücklichen Tieren. Weshalb tat mir mein Herr also? Weshalb verfuhr er mit mir unmilde wie mit einem Feinde? Er hat mich, auch im letzten noch zögernd, in dieses schreckliche Haus gebracht, weil bei mir, der ich heimlich Avorun gewählt hatte, ein milderes Mittel vielleicht vergebens war. Deshalb hat mich mein Schöpfer in das Fegefeuer versetzt. Er tat es, nicht um mich in das Tiefere, sondern um mich zu dem Vater zu verbringen, ohne dessen Wissen er mich damals, an jenem schwülen Abend, dem Bösen durch einen 86 Kugelwurf abgewann. Ich bin noch jung, mein Körper ist ungeschwächt. Das Theater, die Ouvertüre, muß noch Jahrzehnte lang nicht zuende sein. Inzwischen ist vielleicht mein leiblicher, unnatürlicher Vater in San Franzisco verstorben, dann habe ich auf Erden keinen Vater mehr, und irgend einmal, während meinen Leib die abgemagerten Rappen wegführen, nimmt mich mein Herr bei der Hand, wie er es oft getan, und führt mich in das Innere des Vaterhauses, in das große Gehöfte zwischen den rauschenden unsterblichen Bäumen. Der Vater des Sohnes und aller Welt blickt streng von seinem wunderbaren Buche auf, in dem aller Inhalt leibhaftig ist. Lesen, immer lesen, ist sein ununterbrochenes Werk. – »Wo hast du dich umhergetrieben in dem Stoffe?« so fragt er seinen Sohn, ein wenig unwillig über die Störung. Der Sohn zögert noch . . . Die Sonne schwingt sich herein durch das geöffnete Fenster, wie eine Lampe an ihrer Kette schwingt, wie eine übermütige junge Gattin. Es wird starker Morgen, Avorun, der Hund des Hauses, schweigt. »Ich bringe dir, Vater,« so sagt der Sohn, »in dein Haus meinen Bruder, ein sehr verwildertes, nicht mehr verlorenes Kind.« Da schnuppert der Hund herauf an meinem verwahrlosten Kleide, zur Prüfung. – »Kusch, Avorun,« gebietet der Sohn. Und mit dem Vater unterredet sich der Sohn auf hebräisch. Er nennt ihn: Sokef kefufim, das heißt: Aufrichtung der Gebeugten. So empfängt mich 87 der Vater. Ich will mich neben ihm mit dem Geist auseinandersetzen. Ich will mich entschuldigen. Da verwirrt mich die junge Sonne. Ich stottere nur: »Vater« und »Nämlich«. 88

 

Ich hatte die Methode gestern kaum herausgerissen, der Bruder verfolgte mich mit ihr im Hofe. Da sah ich meinen Freund Sokrates abseits auf dem Pflaster sitzen, er weinte ganz schrecklich. Ich ging zu ihm und gab ihm seine Aufgabe wieder zurück. Ich glaubte, er würde darnach nicht mehr traurig, vielmehr mir dankbar sein und mich anlachen. Er riß mir aber das Blatt aus der Hand und weinte nur immer heftiger. Endlich, es half nichts anderes, mußte ihn ein Bruder in unser Haus hineinführen. Hatte ich nicht schön genug kopiert? Hatte Sokrates einen groben Fehler dort hineingeschrieben? Ich erfuhr es von ihm nicht mehr. Noch in derselben Nacht, in der er so außerordentlich viel weinte, hat ihn, wie man uns sagte, der Schlag gerührt. Er war dreiundsechzig Jahre alt, mit einem schönen Bart. – Ein wahrhaft gutes Kind.

 

Auch mit dem Kaiser, meinem Freunde, habe ich mich nicht mehr oft begegnet. Er war bald darauf nicht mehr zu bändigen. Er hat ein Kind ermordet, während es ruhig bei Tische saß. Er erschlug es mit einem Trinkglas. Das Christkind mußte ihn in ein anderes Haus bringen, wo er jetzt gefoltert wird. Was ist zu tun gegen dieses Schrecklichste? Das Christkind sogar kann es nicht verhindern. Wer bleckt uns jetzt noch die Zunge, so rot wie er? Von 89 allen übrigen ist mein Freund nur mehr der kranke eitle Papagei.

 

Eines Tages, vom Zenith bewegt, kam die Flut meinen Fluß herauf und zerstörte in dem engen Gange die Muschel, die feine Unterscheiderin. Alles ertrank, so Gerechtigkeit wie Ungerechtigkeit.

 

Ein Jahr vergangen. Auch der Papagei starb.

 

Gestern gab es Schweinefleisch, gar zähe. Das
Jesuskind ißt jetzt häufig besonders mit seinen
Brüdern. – Heute gibt es Fleisch mit Kartoffeln,
Sonntags Schweinebraten. Morgen soll es wie-
derum Bauchfleisch geben. – Wer in der Welt
wird noch meine Klagen anhören wollen,
die Klagen eines Hungernden? Ich
bin sehr unglücklich über das
immergleiche Essen.

 

Ende

 


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