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Erledigt

Erst am dritten Tage kommen sie an.

Harrar klärt seinen Vater Ahar über das Vorgefallene auf. Dieser ist einverstanden, erst die Maßnahmen derer von Arah abzuwarten und nicht selbst einen Rachekrieg anzufangen, zumal die Besiegung ihres Stärksten durch seinen »Kleinen« schon eine empfindliche Vergeltung darstellt.

Immerhin soll die Wache verschärft werden.

Nach wenigen Tagen der Ruhe und durch anschließende Kraft- und Waffenübungen hat sich Harrar, der seine Locken wirklich gefärbt hat, soweit erholt, daß er die alte Kraft in sich fühlt. Der merkwürdige Drang, mit dem Satan der Steppe abzurechnen, will ihn Tag und Nacht nicht verlassen, und eines Abends am traulichen Herdfeuer raunt er dem »Kleinen« zu: »Morgen!«

Dem Vater und den andern sagen sie, daß sie zur Jagd wollen.

In der Morgenfrühe ziehen sie mit den gewöhnlichen Jagdgeräten fort; aber der »Kleine« hat in der Nacht Mammutschlingen und Schwerspeere vorausgetragen und versteckt. Er ist ganz Jubel vor Begeisterung. Am liebsten wäre er allein gegangen; doch würde ihm sein Vater dies nie verziehen haben; mit dem erfahrenen und bedächtigen Harrar darf er es eher wagen.

Schwerbeladen mit ihren Geräten besteigen sie eine Felswand in der Nähe ihrer Höhle.

»Was willst du hier oben?« fragt Ruwo den voranschreitenden Harrar.

»Das wirst du sehen!« Er bindet das Rückende des Mammutlassos an eine starke Föhre, die am Rande des überspringenden Felsens steht; die Wurfsehne schlingt er um einen Stein von wohl zehn Mann Gewicht.

»Ah, du willst die Zuverlässigkeit der Schlinge prüfen?«

»Ja – faß an!«

Die beiden wälzen den gewaltigen Block an den Abgrund:

»Achtung! – Eins, zwei!«

Der Felsblock stürzt, ein dumpfes Schütteln der Föhre, die Schlinge hält; der Stein baumelt in der Luft.

»Diesen Halswärmer wird er nicht zerreißen, der alte Kater – – aber, wenn er ihn zerbeißt?« fragt der »Kleine«.

»Nicht einmal eine Hirschsehne könnte er durchbeißen; seine Zähne sind zu stark zugespitzt. Du wirst es an seinem Gebisse sehen, das nur fürs Reißen eingerichtet ist!«

»Wir wollen es ihm verleiden, das Reißen; wenn er uns nicht ausreißt; Harrar! Hihihiiiih! Ich glaube, du hast immer noch Mäuse im Kopf: wie willst du den Stein wieder – heraufholen?«

»Suche die Mäuse bei dir! – Schau her!«

Harrar zieht das kleine Querhölzchen, womit er den Lasso mit dem Baume verknüpft hatte, heraus, die Amschlingung lockert sich, und der Block stürzt samt dem Lasso in die Tiefe.

»Richtig!« meint der »Kleine«, »das ist einfacher, als wenn ich mit dem Stein hätte an der Leine heraufklettern müssen!«

»Wir wollen nachsehen, ob nicht ein Stück durch den Fall gequetscht worden ist.«

Sie steigen auf Umwegen zu Tale und finden die Wurfschlinge unversehrt; der Stein ist auf weichen Boden gefallen.

Wie die scheidende Herbstsonne die farbensatte Steppe verherrlicht, und die fernen Gletscherhöhen blutig aufglühen, erscheinen im Westen die leichtbestandenen Waldzüge des »Weißen Felsen«, wo man das Lager des Löwen vermutet. Ein südlicher Föhndruck läßt die weißen Alpenriesen in greifbarer Nähe und Klarheit erscheinen.

»Innert dreier Tage ändert das Wetter,« erklärt Harrar.

»Spielt keine Rolle!« erwidert der »Kleine«.

»Wirst schon sehen!«

Harrar weiß an einer seichten Stelle des Biberflusses eine kleine Insel. Die beiden waten hinüber, um dort zu nächtigen; eine Insel ist immer der sicherste Ort vor schleichendem Raubwild, und die beiden Jäger brauchen Schlaf vor dem gefahrvollen Abenteuer; eine Jagd auf den Höhlenlöwen zu zweien ist ein Spiel mit Leben und Tod und beansprucht klaren Kopf und geschärfte Sinne.

Zwischen Erlenbüschen legen sie sich auf dürre Zweige und versuchen zu schlafen. Harrar kann dies wie auf Selbstkommando, nicht der »Kleine«, dem das Jagd- und Abenteuerfieber in allen Knochen wühlt. Er singt:

Ich sah sie nur
Auf grüner Flur;
Sie sah mich an und schwieg.
Ein leises Abendrot
In ihre Wangen stieg,
Da war mein Herzchen tot.

Ich sprach zu ihr:
»Was tust du hier?«
›Ich pflücke einen Kranz!‹
»Und einen Strauß für mich?«
›Hier, einen Katzenschwanz!
So nimm und packe dich!‹

»Ich danke dir
Und wünsche mir
Nur Glück zu diesem Pfand,
Das heißt zum Katzenschwanz;
Denn gäbst du mir die Hand,
Hätt' ich die Katze ganz!«

»Ruwo, schlafe jetzt!«

»Gut, eins – zwei – – chchch – – chchch – – ngchch – – chchchaaah – – Harrar, weißt du, was ich tue, wenn er in der Schlinge sitzt?«

»Daß dich die Füchse verschleppten, du Pfeifhase!«

»Ich werde ihn mit dem Speere umschleichen, auf ihn zielen, mich bei ihm auf die Lauer legen, wie er es bei dir gemacht hat, der Strolch!«

»Ich werde die Schlinge durchschneiden, daß du mal zum Schweigen kommst! Schlafe doch, Ruwo!«

»… Ich werde ihn beschnuppern, von unten bis oben, und wenn er …«

»Willst du endlich ruhig sein, oder ich gehe heim!«

»Ausgezeichnet! Ich werde das Scheusal allein erlegen! Welch ein Ruhm für mich, Harrar, wenn ich das Fell der Großmutter heimbringe!«

»Nun ist's genug! Entweder du schläfst, oder …«

»… Du schläfst nicht! Harrar, sei nicht böse! Morgen abend will ich schlafen, meinetwegen eine Woche lang, dir zuliebe. Aber wie soll meine Seele schlafen, am Tage vor der Hochzeit mit ihrem Bräutigam!«

»Du wirst schwitzen vor Todesangst, wenn du diesen Bräutigam siehst – denke daran!«

Harrar ahnte kaum, daß er nicht so Unrecht bekommen sollte!

Mit dem Morgengrauen stehen sie auf und waten ans Ufer.

Es fängt leise zu schneien an.

»Das ist gut!« erklärt Harrar. »Besser hätten wir's nicht treffen können: so sehen wir seine Fährte ausgezeichnet!«

Gegen Mittag sind sie am »Weißen Felsen«.

»Jetzt aufgepaßt, Ruwo! Keinen Laut mehr!«

»Ich schweige wie das Grab. – Wo mag er sein, der Tagedieb! Der wird Augen machen!«

»Ich vermute ihn unter dem Eberfelsen – kennst du ihn?«

»Ist nicht nötig! Wir gehen den Fährten nach!«

»Wo sind sie, Ruwo?«

»Ach ja, sie sind ja bereits verschneit! Was tun? Auf einmal ist er da und sagt, es sei angerichtet!«

»Komm nur! Ich will dir die Fährten zeigen!«

Er geht voran unter den niedern Waldbestand, wo der Boden weich und nicht überschneit ist. Hier brauchen sie nicht lange zu suchen:

»Schau hier – und hier!«

»Wahrhaftig! Hier könnte man ihm das Maß nehmen für zwei Paar neue Handschuhe. – Sieh' da, diese Krallen! Das gibt ein herrliches Halsband!«

»Wenn er es dir nur nicht um den Hals legt, dieses Halsband! Nun still! Die Fährten zeigen alle nach der Höhle unter dem Eberfelsen, wie ich vermutete!«

»War sie nie bewohnt, diese Höhle?«

»Nein, es ist keine Quelle in der Nähe – – – ßßt!«

»Hast du etwas gehört?«

»Nein! Kein Wort mehr! Nur flüstern! – Wir sind nahe!« flüstert Harrar.

»Soll ich ihn anrufen?«

»Dann bist du ein Mann des Todes! Wir steigen auf den Felsen über der Höhle; der Wind ist gegen uns.«

»Famos! Von dort werde ich ihm auf die Glatze spucken!«

»Keinen Laut! – Kein Laub darf knistern!«

Sie sind oben, direkt über der Höhle.

»Schade, daß hier kein starker Baum ist!« meint Harrar.

»Wozu?«

»Um die Schlinge zu befestigen. Das wäre ein gewaltiger Vorteil!«

»Dort, jener Felsblock! Mit dem wird er kaum auf die Hochzeitsreise gehen!«

»Hm! Der Lasso würde dadurch zu kurz. Doch: wir müssen es versuchen. Wickle einmal den deinigen ab; wir knüpfen beide zusammen; den deinen mußt du doppelt nehmen!«

Sie sprechen einander nur leise in die Ohren.

Ruwo löst seine Wurfschlinge und umwindet kunstgerecht den schweren Klotz. Mit dem restlichen Ende wird der Mammutlasso verknüpft.

Harrar prüft alles auf das genaueste und nimmt die schwere Sehnenschlaufe wurfgerecht zur Hand.

»Lege den Speer auf die Wurfstange – so! Hier in dieser Gegend hat es Wildschweine – grunze einmal!«

Das ist etwas für den »Kleinen«! Er besorgt das Geschäft so gründlich, daß Harrar trotz des Ernstes der Lage lachen muß. Es regt sich – nichts! Das ärgert den Kleinen:

»Ich werde ihm den Braten bringen müssen! Oder, wart einmal! Vielleicht hat er die kleinen herzigen Ferkel lieber als so einen alten Knollenzwicker – quiih – quiih – quiiiih! – Da hört doch alles auf! Will er gar Geräuchertes mit Zwiebeln? Soll ich ihm ein Stück hinunterlassen, Harrar? – An einer Schnur? – Oder soll ich weiter Tiere nachahmen?«

»Versuch's mal mit einem Steinbock!«

»M–m–m–ehgehgeh–e–e–eh! Einen fetten Büffel soll er auch haben: Möööööh – – – Ah! Er ist ja ein Liebhaber von Pferdefleisch: Whiähähähäh! – Der Kerl wird unverschämt! Ein anständiger Ahour frißt, was man ihm vorsetzt! Vielleicht hat er Liebesgram! Ich will einmal seine liebende Gattin spielen: Ahouuuuhll – Ffffchch! pf!! Das Scheusal hat keinen Familiensinn; ich kann ihm doch nicht die ganze Steppe zutreiben!«

»Er ist nicht in der Höhle! Entweder hat er sich verzogen, oder er ist während des Schneefalles nicht heimgekommen. Ich sehe keine Schneefährten. Das wäre dem alten Räuber zuzutrauen! Ich werde einmal nachsehen. – Nimm die Schlinge!«

»Nein, nein, Harrar! Das Nachsehen werde ich besorgen!«

»Mit Vorsicht! Bei allen Geistern der Nacht! Es wäre ja möglich, daß …«

»Daß er so lange schläft vor Angst, wie einst der älteste Enkel meiner Großmutter!«

»Spotte nur! Prahlen kommt vor dem Winseln!«

Ruwo steigt nieder, um die Höhle zu untersuchen! In seinen Händen hält er den schweren Speer mit den gefüllten Giftrillen.

»Ruwo!« ruft ihm Harrar nach – »bei Angriff den Speer aufstemmen! Bei Gefahr nur fliehen, wenn du den Ausgang sicher erreichen kannst, ehe er dich hat; ich stehe mit der Schlinge bereit! Als Warnungszeichen gilt der Schrei des Rauhfußbussards! – – Vorsichtig!«

Der »Kleine« ist unten. Harrar ist nicht ruhig!

»Gehe nicht vor, ehe du dich ans Dunkel gewöhnt hast! Die Höhle hat über zwanzig Mannslängen in die Tiefe. Sobald du zwei glühende Augen siehst, ziehst du dich rückwärts – und mit aufgesetztem Speere schrittweise zurück – siehst du nichts?«

»Nein!«

»Himmel! Er ist schon im Hintergrunde – mache Halt und schaue um dich! Hörst du?«

»Ja!«

Harrar zittert für den Bruder; er kennt seinen Leichtsinn und die Tücken eines alten Höhlenlöwen; wenn er die Tierstimmen als falsch gewittert hat, was trotz der Meisterschaft des »Kleinen« in dieser Kunst möglich ist, so wartet der Löwe bis zum Fangbisse, und beide sind verloren; denn allein geht Harrar nicht heim. Es ereignet sich nichts! Ruwo kommt wieder zum Vorschein:

»Harrar! Die Knochen und Schädel sollst du sehen, die da drinnen lagern! Es riecht nach Blut und Aas!«

»Komm herauf!«

»Ich will nochmals hinein! Ich glaube, daß auch frische Menschenknochen herumliegen!«

Er verschwindet wieder. Harrar muß unwillkürlich an Tarahu und Owinar denken. – Es wäre ja möglich, daß … Wenn er eine Spur, ein Kleidungsstück oder eine Waffe, Werkzeuge oder dergleichen von jenen entdecken könnte! Der Verdacht des Mordes, der auf ihm ruht, wäre widerlegt!

»Siehst du Ueberreste von gegerbten Fellen, Waffen oder etwas Aehnliches?«

»Ich glaube, ja! Hier liegt eine – was ist das? – – Eine Sandale!«

»Komm herauf; wir wollen einmal tauschen: Du nimmst die Schlinge und ich will … Sßßßßt! – Horch!«

Harrar droht das Blut zu erstarren! – –

Im Gebüsche vor der Höhle zittern die Zweige – es weht doch kein Windchen! Soll er den Warnungsruf ausstoßen? Der Bruder liefe dem Raubtiere in die Pranken – zu spät! – Himmel!

Dort kommt er daher, der Satan der Steppe, einen Vielfraß im Rachen! Der Anblick ist zum Erstarren: dieser gewaltige fleischlose Kopf mit den furchtbaren Dolchzähnen, die hagere, lange Gestalt mit den bärenhaften Pranken. Der Nacken sieht aus wie bei einem Büffel. Harrars Kinnlade bebt – aus Angst für den Ahnungslosen in der Höhle: er kommt ihm von rückwärts! Wegen des niederhängenden Tieres im gewaltigen Rachen ist ein sicherer Wurf nach dem Kopfe unmöglich. Da gilt kein Besinnen; jetzt ist er da!

Harrar setzt zum Wurfsprunge an und stößt einen gellenden Kriegsruf aus. Das Raubtier läßt die Beute fallen und blickt nach oben. Dieser Augenblick entscheidet: Harrar springt und wirft. – – Die Schlinge zischt – der Jäger von Hador hat sein Meisterstück getan – – der Gottheit Dank. – – Die Schlinge sitzt! … Ein grauenhaftes Gebrüll – die Höhle brüllt mit – an den Felswänden erzittert das Echo. – Der Löwe schnellt auf wie ein getroffener Marder – die Mammutsehne zieht an. – Die gewaltige Katze gebärdet sich wie ein Satan: aufspringend und fauchend schlägt und fletscht er um sich wie streitende Hunde, deren Glieder man im Kampfe nicht mehr sieht; er wirbelt um sich in rasender Wut. Seine Krallen graben sich in die Erde, um die Sehne zu zerreißen – sie hält!

Da tönt es aus der Höhle: »Harrar, du hast ihn! Wirklich! Ist das ein Schoßkind. – – – Wie er Augen macht! – Ich werde …«

»Zurück, Ruwo! Augenblicklich zurück!«

»Ich werde ihn beschleichen und beschnuppern.«

»Ums Himmels willen! Bist du wahnsinnig? Ruwo, Ruwo, ich bitte dich! Bei allen Geistern, er blinzelt nach dir!«

»… Und ich nach ihm! Bei den Spitzbuben von Chohor! Wenn der einem sein Händchen reicht – diese unbeschnittenen Fingernägel! Ich werde sie ihm beschneiden …«

»Ruwo! Mit der Schleuder werfe ich nach dir, wenn du erscheinst!«

»Pah! Das wirst du nicht! Im Jagdfluge fege ich an ihm vorbei. – Paß auf: eins – zwei – drei!«

Der leichtsinnige verwegene »Kleine« will am rasenden Löwen vorbei – dieser tut einen so gewaltigen Ruck nach dem Flüchtlinge hin, daß der Block auf dem Felsen ins Rollen gerät – – das wütende Tier fühlt ein Nachgeben der Schlinge. – Ein Sprung! – Seine Pranke hat den Fliehenden am wehenden Schulterfell gefaßt. – Ein furchtbarer Schrei – ein rasendes Fauchen und – der gewaltige Stein stürzt herunter, den Löwen mit einem Rucke fortschnellend – im entscheidenden Momente, und – Stein und Löwe und Ruwo kollern über den Abhang hinunter.

Harrar faßt den Speer und stürzt sich nach:

»Ruwo – Ruwo! Gib Laut!«

»Hier!«

Harrar stürzt weiter, – – Der Gottheit Dank! Hinter einer Kante kauert er – Ruwo! – Er muß einen rechtzeitigen Seitensprung gemacht haben.

»Wo ist – – – er

»Dort – – dort hat er sich samt dem Steine in den Stämmchen verfangen – Harrar! Wer hätte so etwas für möglich gehalten – diesen Stein!«

Der »Kleine« ist totenblaß.

»Hole deinen Speer! Wir müssen zusammen vorgehen. – Ich warte hier!«

Ruwo kommt mit seiner Waffe gesprungen: »Er hat mich gewollt, Harrar, hast du's gesehen? Wart, dem Satan will ich meinen Dank abstatten!«

»Halt! Sofort stehst du! – Oder …«

»Wir müssen ihm doch den Garaus machen –«

»Ich muß wissen, wie er sich verfangen hat. Ah, schau! Der Stein ist auf der einen Seite der Buche herab und er auf der andern. – – Er sitzt fest!«

»Harrar, lieber Harrar! Darf ich ihn jetzt ein bißchen beschleichen, wie er dich?«

»Meinetwegen – aber sieh dich vor!«

Dem Kleinen entringt sich ein Jubellaut. Harrar folgt ihm – – – dort zwängt das furchtbare Raubtier an der Mammutsehne mit ausgespreizten Pranken. – Umsonst! – Auch die Kraft eines Ahour bringt den festsitzenden Felsblock auf der andern Seite des Stammes nicht von der Stelle!

Der »Kleine« geht bis an die wühlenden Pranken heran. Welch grauenhafte Wut in diesem satanischen Gesichte! Diese glühenden Augen, das schreckliche Gebiß und das von der Schlinge halbgehemmte Gebrüll! Der bis zum Leichtsinn unerschrockene Ruwo begreift, warum die Gazelle vom Rufe dieses Untieres gelähmt wird. Er sieht, wie der gefangene Satan der Steppe keinen Blick von ihm läßt; sein Uebermut scheint verflogen zu sein!

»Harrar! Wollen wir nicht Schluß machen?«

Dieser hat den Speer aufgelegt und mit der Muskelkraft des Urjägers schleudert er die schwere Lanze dem Raubtier in die zuckende Flanke. Der »Kleine« will nicht zurückstehen und stößt den seinigen nach der Brust. – – Da fliegen die Splitter des armsdicken Schaftes durch die Luft. Wie ein Spielzeug hat die schwere Pranke den Speer zerschmettert.

»Warten wir! Der meinige sitzt gut, und das Gift wird wirken, ehe er in der Schlinge erstickt ist!«

Harrar hat recht: des Löwen Kraftanstrengungen gehen in konvulsivisches Zucken und Aufbäumen über, die glühenden Augen trüben sich, der Atem geht ächzend, wie von innerem Feuer angetrieben, die Zunge hängt zwischen den gewaltigen Eckzähnen heraus. – – Ein Zittern, ein Strecken, ein Sich-Legen – die Steppe ist von ihrem furchtbarsten Schrecken befreit; Ahour, der Satan der Steppe, ist tot!

Schweigend stehen sie da, die zwei. Vor ihnen liegt ein toter König, der Schrecken der Tundra und Steppe! Keiner Kraft, nur dem Menschengeiste ist er unterlegen! Was ist ein Menschenarm gegen diese Sehnenpranken! Im Tode noch ist seine Gestalt ehrfurchtgebietend, erschreckend. Der Ausdruck des fleischlosen Kopfes mit dem halbgeöffneten Rachen erscheint wie in Haß und Gier erstorben. Was ist der Fleischkoloß eines Mammuts gegen diesen heimtückischen Schleicher mit seinen furchtbaren Waffen, was die zwei Menschlein da vor ihm? Doch: sie haben ihn besiegt; sie sind die Herrscher über Eis und Tundra und Steppe!

Ein Jubel kommt über die zwei, der allen Lebensernst, allen Kriegerstolz vergessen läßt: sie tanzen und singen und gröhlen wie von Sinnen; Ruwo sitzt wie ein spielendes Kind auf dem Nacken des Löwen, legt sich zwischen die schweren Pranken und zwängt seinen Kopf in den Rachen. Aus den Schnurrbarthaaren dieser alten Katze könnte man Nähnadeln verfertigen; sie haben die Dicke eines Stachels des Schwarzdornes.

»Warum hat er uns nicht gehört, Harrar?« fragt der »Kleine«.

»Weil er Beute trug; dann knurrt er leise vor sich hin wie die Wildkatze, wenn sie mit einem Lemming davongeht; die Gier hat ihm den Tod gebracht; sonst würde er jetzt ›angerichtet‹ haben, Ruwo! Warst du toll, daß du nicht warten konntest?«

»Ich wußte nicht, was ich tat! Der Kerl hat ja gebrüllt und gefaucht, daß es einem am Marke kitzelte. – – Wollen wir ihm den Hochzeitsmantel ausziehen, Harrar?«

»Tue das; lasse den Kopf und die Pfoten in der Haut! Wir wollen damit in Hador Parade machen, Ruwo!«

»Das ist selbstverständlich. Meine Großmutter wird Augen machen, wenn ihr der Prügeljunge von ehedem ein solches Eichhörnchen heimbringt!«

Ruwo zieht seinen Dolch und schneidet das Fell auf bis unter die Kinnlade.

»Sein Hemd ist aus tadellosem Stoff. – Man muß mehr sägen als schneiden!«

»Verletze das Fell nicht! Du kannst es mit der Faust abtrennen; ich habe damit etwas vor!«

»Was?«

»Denke selber nach!«

»Hm! Es soll nicht verletzt werden! – Willst du der Großmutter eine Badewanne machen?«

»Warum nicht eine Kindswindel für dich!«

Eine schwere Arbeit war es, die Gelenkköpfe der Röhrenknochen von ihren Pfannen zu trennen; alles Sehnen und Fasern. Es war eine Lust, dem »Kleinen« zuzusehen; er hantierte so kunstgerecht wie ein geübter Chirurg, und gegen Mittag war das Fell abgeschält. Nach einem kurzen Imbiß wird es mit den Schlingen an ein gefälltes Lärchenstämmchen gebunden und auf die Schultern genommen. Es hat samt Kopf und Pranken das Gewicht eines starken Mannes; die beiden gehen damit, als trügen sie ein Brautgewand an der Stange.

»Halt!« ruft Harrar plötzlich. – »Wir haben in unserem Jagdeifer etwas vergessen – und zwar die Hauptsache!«

»Was meinst du?«

»Die Höhle! Ich habe die Höhle nicht untersucht. – Warte hier!«

Harrar kehrt zurück. Der »Kleine« folgt ihm.

In der Höhle angekommen, wirft die hier herrschende Luft die beiden zurück:

»Dieser Aasgeruch!«

»Sieh' dorthin!«

»Schädel und Gebeine, noch mit Fasern bedeckt, viele von früher her aus der Erde ragend! Hier hat der Teufel der Unterwelt gehaust! – Ein menschlicher Unterkiefer – eine zermalmte Hirnschale. – Ah! Dies scheint ein Gürtel gewesen zu sein – – und da ein Stück gegerbtes Renfell – – –.«

»Ist das nicht ein Knochendolch?«

»Zweifellos – aber schon alt! Der Satan oder ein anderer scheint hier eingekehrt zu sein. – Hier muß früher ein Höhlenbär gehaust haben – sieh' jene Zahnmale! Eine Menschenleiche hat hier in letzter Zeit – nicht gelegen!«

»Hier sind schöne Feuersteinklingen!«

»Aus den Felltaschen früherer Opfer. – – Komm! Laß uns dieses Knochengrab verlassen, nur wieder an die frische Luft! – Hier hat weder Owinar noch Tarahu gelegen! Das ist sicher!«

»Er kann sie auf der Fährte verzehrt haben!«

»Möglich! Ich glaube, daß Owinar in einer Gletscherspalte liegt. – Ich habe Anhaltspunkte: Hyänen streichen dort!«

»Hat der Alte eine schwarze Hand?«

»Sicher! – – Ich zweifelte nie daran!«

»Und Tarahu?«

»Ist vielleicht im Kampfe mit hinabgestürzt. – Der Alte machte mir den Eindruck, als ob er selbst über das Schicksal seines Sohnes im unklaren wäre. – Weiß der Himmel, was hier für ein dunkles Geheimnis waltet!«

»Die Geister des Gletschers werden es offenbaren!«

»Aber wir zwei werden es kaum erleben – komm! Wir müssen vor Nacht auf der Insel sein!«

»Ist nicht nötig! Wenn wir das Hemd Ahours bei uns haben, dürfte sich kaum jemand nähern!«

»Du hast recht! heute dürfen wir auf der offenen Steppe schlafen!«

Sie kehren zurück und nehmen ihre Last wieder auf. Auf offener Steppe zwischen leichtem Gebüsch wird genächtigt.

Kaum haben sie sich niedergelassen, so fragt der »Kleine« verwundert:

»Was hast du gemeint, Harrar, wegen der Haut?«

»Wir füllen sie mit Aesten und Laub, daß es aussieht, als ob wir ihn ganz brächten!«

»Harrar! Ich muß dir einen Kuß geben! Das ist ein herrlicher Gedanke! Wir bringen ihn ganz, den Satan der Steppe, huioh, und – – – halt, Harrar, da kommt mir eine Idee!«

»Was ist's?«

»Wir rücken nachts an, und ich lege den Löwen mit aufgesperrtem Rachen der Großmutter vors Bett! Wenn sie am Morgen erwacht, oder besser vorher, fange ich an zu knurren!«

»Das wird nicht möglich sein; wenn wir kommen, gibt's Spektakel, und zudem ist es nicht geistreich, wegen eines Knabenstreiches die Nacht abzuwarten!«

Harrar legt sich schlafen. Ruwo wacht auch heute: er »präpariert« den Löwen! Feuersteinklingen, Bohrer und Schaber, Nähnadeln aus Knochen, Heftsehnen und Farbenpulver, in Röhrenknochen aufbewahrt, z. B. in Renntierknochen, Vergleiche den Fund von Les Cottés. sowie die unvermeidlichen Waffen gehören zum »eisernen« Bestande der Jagdtasche des Magdalenienjägers. Ruwo ist nicht verlegen; er arbeitet mit einem Eifer, der wirklich eines höhern Zieles würdig wäre; der Mond leuchtet ihm.

Wie Harrar am Morgen erwacht, muß er sich die Lenden halten: vor ihm liegt der Löwe mit aufgesperrtem Rachen; ein Stäbchen ist zwischen den Kiefern eingestemmt; aber nicht dies reizt ihn zum Lachen. Der Löwe hatte einen Bauch, als ob er einen Büffel mit Haut und Haar verschluckt hätte.

»Warum lachst du, Harrar?« fragt Ruwo beleidigt. – »Fehlt etwas?«

»Nein – gewiß nicht!«

»Nun denn?«

»Ich glaube, Ruwo, ehe wir daheim sind, kriegen wir – junge Löwen!«

»Unser Ruhm wird um so größer sein!«

»Im Gegenteil! Man würde seine ›Aufgeblasenheit‹ sehr richtig auf die Künstler übertragen! Nein, er soll erscheinen wie in Natur!«

»Dann wird man meinen, er sei Hungers gestorben und wir hätten ihn irgendwo gefunden!«

»Das werden unsere alten Jäger richtig stellen, Ruwo!«

Harrar trennt die Naht wieder auf und entnimmt dem Innern der Haut einen ganzen Wintervorrat von grünem und dürrem Brennmaterial. Nach dieser Hungerkur sieht das Tier aus wie im Leben, und die zwei binden es aufrecht unter die Stange. Weiter geht es durch die Steppe, und am Abend erreichen sie Hador.

Mit unbeschreiblichem Jubel werden sie empfangen. Weiber kreischen vor Schrecken auf beim Anblick des »wirklichen« Löwen, Kinder gebärden sich wie toll, die Krieger blicken stumm, aber mit wogender Brust auf das seltene Beutestück, und Vater Ahar gibt jedem der beiden Söhne die Hand; seine Augen schimmern feucht: Hador hat die Steppe von ihrem Schrecken befreit; seine Söhne haben ihn bezwungen, den Satan der Steppe!

Die Zähne geben für Harrar, die Krallen für Ruwo eine Halskette, um die sie der älteste Jäger beneiden kann. Das Fell wird gegerbt und vor der Höhle aufgehängt, zum Schrecken des schleichenden Raubwildes, zur Ehre von Hador! – – –

Der Winter stürmt heran, der Winter der Eiszeit! War der kurze Sommer über die Maßen heiß, von schweren Gewittern und Lößstürmen durchzogen, so schlägt der Winter ins Gegenteil um: grimmige Kälte und beißende Nordwinde lassen Stein und Bein gefrieren; hungrige Wölfe durchheulen die langen Nächte und schleichen mit Bären und andern Raubgesellen in der Nähe der Höhlen herum, vom weithin wehenden Dufte bratenden Fleisches angelockt, oder sie stellen mit todesgeduldiger Gier dem Renntier nach, das die spärlichen Flechten unter dem Schnee hervorscharrt, oder, wenn der Boden gefroren ist, selbst verwettertes Buschwerk und immergrüne Nadelholzbäume anknuspert. In keiner andern Zeitperiode hat sich der Kampf ums Dasein so gesteigert wie in den furchtbaren Wintern der Eiszeit. Ganze Herden, ganze Tierarten müssen ihm zum Opfer gefallen sein. Für das Hochwild gab es nur einen Feind, der ihm furchtbarer zusetzte als selbst der Eiszeitwinter: der Mensch.

Der liegt in seiner warmen, wohligen Höhle auf zottigen Wildfellen und röstet – von einem Mahle zum andern – von seinem Ueberflusse an geräuchertem und gedörrtem Wildfleisch. Die langen Winter sind für ihn eine Zeit der Ruhe, der Waffenübung, der Waffenrüstung, der Kunst, der Unterhaltung, der Faulenzerei. Wer glaubte, daß die Jagd im Winter gänzlich schlafe, der würde sich täuschen. Den Hunger, die äußerste Not der Tiere, benutzt der Mensch zu deren Vernichtung. Sinn für Wildschutz ist ihm ein noch unbekannter Begriff; in seiner Gier nach Blut und Vernichtung erreicht, nein, übertrifft er selbst den Höhlenlöwen und bei weitem den gewaltigen Höhlenbären. Wer denkt nicht an die katastrophale Vernichtung der Wildpferde, wie sie uns die Funde von Solutre vor Augen führen, wo über hunderttausend Skelette von Wildpferden von der Massenjagd des Eiszeitjägers erzählen!

Wenn Hunger und Kälte die Tiere in die Nähe der menschlichen Wohnungen trieb, so fanden sie statt des erhofften Almosens – – Fallen, Schlingen und Gruben.

Wie die Natur sich für jede Sünde rächt, so hatte auch diese Vernichtungswut ihre Folgen: der Mensch späterer Zeitperioden mußte mangels genügender Häute die Maschen der Netze enger ziehen, d. h. aus Haaren und Pflanzenfasern künstliche Kleider herstellen, und um der Hungersnot (infolge Wildmangels) zu steuern, war er gezwungen, genießbare Wildpflanzen: Hirse, Fennich, Gerste, Weizen usw. künstlich zu ziehen und eingefangenes Wild aus den Familien der Rinder, Ziegen, Pferde, Hunde usw. künstlich, d. h. durch Hauszucht zu pflegen und zu vermehren.

Der Höhlenmensch verschloß seine Felsenwohnung zuerst mit Stämmchen, Laub und Strauchwerk. Bald entdeckte er, daß Tierhäute die Unbilden der Witterung besser abhalten, und er hing seine Felltrophäen darüber. Wenn ihm auf der fernen Jagd keine schützende Felswand und kein dichtes Buschwerk zur Verfügung stand, so erinnerte er sich der heimischen Vorrichtung und hing seine erbeuteten Felle gegen den Wind auf.

Wenn es an seiner Lagerstelle kein Buschwerk gab, das er zum Aufhängen der Felle benutzen konnte, so mußte er Strauchwerk herbeiholen oder Stangen mitnehmen (bei Gesellschaften genügten meist die Speere) und diese entsprechend in den Boden stecken: wir haben das Zelt! Bald empfand der Mensch, daß dieses Zelt, besonders für den Nomadenjäger, vor der Höhle vieles voraus hatte: es war transportfähig, trockener, reinlicher als die Höhle, und so baute er es aus; es bekam eine bestimmte, praktische Form Siehe z. B. die Höhlenbezeichnung von Font-de-Gaume. Der Verfasser.. Als die Häute nicht mehr im Ueberflusse vorhanden waren, trat an deren Stelle Holz, Rohr und Reisig. Mit dem Aufgeben des Nomadenlebens, d. h. mit dem Beginn der Ackerbau-Viehzucht-Ära, mußte dieses »Zelt« eine festere, beständigere Gestalt annehmen, und da man sich vor menschlichen und tierischen Feinden (besonders für die nächtigenden Herden; man denke an die Räubereien der Bären und Wölfe z. B. im Kaukasus-Gebiet und früher in den Alpen!) in acht zu nehmen hatte, baute man diese »Holzzelte« an seichten Stellen ins Wasser, die Pfahlbaute! Diese Bauweise hatte den nicht zu unterschätzenden Vorteil, daß alle vegetabilischen Abgangstoffe im Wasser hygienisch versorgt wurden und Heere von Fischen nicht nur auffütterten, sondern auch herbeilockten!

Wir dürften nicht allzu kühn erscheinen, wenn wir die alten Alemannenhäuser als direkte »Nachkommen« der aufs Land versetzten Pfahlbauten bezeichnen. Nun fehlte nur, daß das »dunkle Mittelalter« das Bauhandwerk zur Baukunst erhob.

Die heutige »Kultur« ist im weitesten Sinne zweifellos ein Produkt der Entwicklung. – Mensch und Tier haben diese Entwicklung mitgemacht.

Mensch und Tier können sich entwickeln oder degenerieren, bis zur Grenze ihrer Art. Wo die Natur dem Lebewesen die Alternative stellt, entweder sich weiter zu entwickeln (über die Art hinaus!), oder unterzugehen, stirbt es aus. Eine Entwicklung von einer Art zur andern gibt es nicht! Ein Beispiel: im Indischen Ozean liegt eine Insel, welche unter andern Tieren den Löwen beherbergte. Der »König der Tiere« räumte im Laufe der Zeiten mit allen jagdbaren Tieren auf; wird er nun anfangen, Gras zu fressen? – Nie! Er wird degenerieren und aussterben. So kann der Mensch unter den klimatischen Einflüssen und Veränderungen seine Farbe, Größe, Gestalt usw. merklich wechseln, aber nie die Grenze der Menschheit verlassen. Umgekehrt konnte nie ein Affe zum Menschen werden; dies beweist das gänzliche Fehlen fossiler Anhaltspunkte, die – ausgestorbenen Affen und das Tier überhaupt mit seiner ewig stagnierenden Instinkt-Tätigkeit. Das Tier hat keine Kultur!

Kehren wir zu den Urjägern in die Höhle von Hador zurück!

Die Höhle führt tief in den Berg hinein; siebzig Mannslängen vom Eingang erweitert sich der Höhlengang zu einer Halle; von hier aus führen drei schmale Spaltgänge weiter, sich nach dem Innern verjüngend und verlierend. Irgendwo muß ein solcher Spalt ins Freie führen; denn der Rauch zieht immer nach derselben Richtung ab.

In dieser Felsenhalle ist die ganze Sippschaft beisammen: Greise, Männer, Frauen und Kinder. Am Feuer braten Lendenstücke vom Bison, Schlegel von Reh und Hirsch und ein ganzer Eberkopf; er muß bald gar sein; ein kleiner Kerl klaubt heimlich mit den Fingern davon und leckt sie behaglich ab; neben ihm kauert die »Großmutter« und strickt aus Wildpferdhaaren ein Kopfnetz Vgl. die Elfenbeinfigur aus Brassempony.. Sie erzählt Gespenstergeschichten und von selbsterlebtem Teufelsspuk; die lauschenden Kleinen rücken mit furchtgeweiteten Augen näher zu ihr, während Ruwo, der dort auf dem fellbedeckten Steine Lasso dreht, hin und wieder respektlos dazu hustet. Gegenüber an der großen, flachen Felswand steht ein älterer Jäger und – malt mit Ocker und heller Farbe aus Manganerzen einen gewaltigen Bison an die Wand; mit der rechten Hand führt er den Pinsel (aus Wildhaaren), seine Linke hält einen rund ausgehöhlten Steinnapf mit Fett und Fell-Lappendocht, seine Lampe. Sämtliche Farben sind mit Fett angerührt. Neugierige Mädchen verfolgen den Fortschritt seines Kunstwerkes Vgl. die Farbenbilder von Altamira. Der Verf.. Ein steinalter Greis hat sich vor einen Steintisch gesetzt und schabt und schnitzt mit Feuersteinklingen Harpunen aus Renhorn und Dolche mit verzierten Griffen; neben ihm graviert ein Jüngerer Wildköpfe auf einen Lassogriff; auf dem freien Platze einer Ausbuchtung liefern junge Jäger Schein- und Ringkämpfe. Aus einem schmalen Zweiggange schimmert Licht; dort liegt einer und arbeitet mit Steinklinge und -bohrer an einer unzugänglichen Wandstelle herum. Sehen wir genauer hin? Aus dieser Wand tritt ein fast vollendetes Wildpferdrelief Vgl. z. B. die Reliefs von Laussel. Der Verf.. Aus all diesem heimeligen Gerege singt eine liebliche Frauenstimme Lieder aus vergangenen Zeiten. – – –

An sonnigen Wintertagen ziehen die Jäger aus zur Bären- und Wolfsjagd; Fährten finden sie genug in der Nähe der Siedlung. Solche Züge sind mit Vorsicht auszuführen wegen des oft mit plötzlicher Urgewalt einsetzenden Schneetobens und der gefährlichen, bisweilen baumhohen Schneewehen. Glühend und durchnäßt kehren sie am Abend heim und erzählen von ihren Abenteuern und Heldentaten. Mit Sehnsucht erwarten sie die Frühlingsstürme und die antrabenden Herden aus dem westlichen Süden.


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