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Gefangenschaft und Liebe.

Wir finden unsern Helden wieder in einem heftigen Wundfieber auf dem Schlosse des Obersten von der Hardt. Trotz der sorgsamen Pflege, die ihm zu Theil wurde, und der geschickten Behandlung des Hausarztes hatte er selten lichte Augenblicke. Er phantasirte fast beständig; seltsame Bilder strichen an seinen verwirrten Sinnen vorüber und liehen seinen aufgeregten Gefühlen Worte. Bald glaubte er mit schreckhaften Ungeheuern zu kämpfen, bald fand er sich im Gewühle der Schlacht an der Spitze seiner Schwadron, und dann hörte man ihn laut kommandiren: »Vorwärts, Kameraden, haut tapfer drein! Ha seht, ihre Standarte sinkt! Hinein in die Lücke, hinein, ihr Bursche! – Was, ihr weicht? Kennt ihr euern Rittmeister nicht mehr? Vorwärts, ihr Schufte, dort ist der Feind! O weh, das war ein tüchtiger Hieb!« – rief er schmerzvoll und fuhr mit der Hand nach dem Verband. Nach und nach wurde er wieder ruhiger, ein seliges Lächeln verdrängte das Zucken des Schmerzes von seinem blassen Antlitz, als würde seine Seele von Engelchören hinaufgetragen zu höheren Regionen. »Was sehe ich?« begann er wieder; »sind das nicht bekannte Gestalten? – Gott grüß' euch, geliebte Eltern! – Hört ihr mich denn nicht? – Mutter, Mutter, dein Sohn ist ja da! Heißt du ihn denn nicht willkommen? O weh, sie schweben vorüber! – Ha, dort auch eine bekannte Gestalt! – Habe ich sie nicht schon einmal gesehen? – Traf ich dich, liebliche Jungfrau, in einem andern Himmel oder in meinem Erdenleben? Wie ist mir denn? Ach meine Sinne schwinden! Hu, wie dreht sich alles!....«

»He Döppner, Teufelskerl, du schneidest ja dem Rappen die Beine ab! Was soll das? Gehört die Schabracke über den Sattel? – Kerl, du hast ja keinen Kopf! Hat ihn dir auch so ein Schurke von Dragoner herunter gehauen? Was, bin ich denn verhext? Der Kerl fällt ja zusammen wie ein Häufchen Asche! O weh – –!«

Kopfschüttelnd saß der Arzt am Bette des Kranken; und forschend waren die Augen zweier Damen auf dessen besorgliche Mienen gerichtet. Die ältere, eine Frau über die besten Jahre des Lebens hinaus, war die Gemahlin des Obersten. In ihrem Gesichte waren die Spuren vergangener Schönheit nicht zu verkennen und der wohlwollende Ausdruck in demselben, vermischt mit banger Sorge um den Kranken, gab ihr das Ansehn einer Mutter, die am Krankenbette des Sohnes steht. Sie lehnte mit einem Arme leicht auf den Schultern ihrer Tochter. Diese prangte in der frischesten Jugendblüthe, und der Trübsinn, welcher jetzt ihren klaren Himmelsblick umflorte, mochte wohl ein seltener Gast bei ihr sein. Innige Theilnahme spiegelte sich in ihrem schönen Gesichte, auf dem sonst gewiß der Schalk mehr zu Hause sein mochte, denn nicht zu verkennen war das schelmische Grübchen im Kinn. In füllreichen Locken floß ihr kastanienbraunes Haar, der Mode trotzend, über den blendend weißen Nacken hinunter. Ein einfaches Hauskleid bedeckte die schlanken Formen ihrer Glieder, und war kurz genug, um ein Füßchen sehen zu lassen, so nett und zierlich, daß Hebe selbst sich desselben nicht hätte zu schämen brauchen. Gedankenvoll spielte sie mit der weißen Flaumenhand an einem goldenen Kreuze, das an einer Perlenschnur vom Nacken her über den vollen Busen herabhing. Nur zuweilen, wenn dem Rittmeister ein Schmerzenslaut entfuhr, sah sie zu dem Leidenden hinüber, und eine Thräne des innigsten Mitleids perlte dann in ihrem schönen Auge.

Es war nichts seltenes, daß die Damen die Krankenstube besuchten, um sich zu überzeugen, daß dem Kranken nichts abginge und die Wärterinnen ihre Pflicht thäten. Heute hatte die Krankheit den Kulminationspunkt erreicht, und lange schon hatte der Arzt den Gang der Krisis beobachtet. Nachdem der Patient noch eine Zeit lang auf die eben beschriebene Art fortphantasiert hatte, verfiel er in einen tiefen Schlaf.

»Was meinen Sie, Herr Doktor,« fragte jetzt die Frau von der Hardt, »wird der arme Rittmeister wieder aufkommen?«

»So Gott will, gnädige Frau, denke ich ihn durchzubringen; hoffentlich hat sich die Macht der Krankheit jetzt gebrochen, der Schlaf wird wohlthätig auf ihn einwirken, und da sich die Wunde schon geschlossen hat, so denke ich, wird es dann mit der Genesung raschen Schrittes vorwärts gehen. Seine Säfte sind ja frisch und unverdorben, lassen Sie uns ihn nur jetzt nicht stören, damit der Schlaf seine Wirkung thun kann.«

Leise entfernten sich die Anwesenden, nur die Wärterin blieb dem Bette gegenüber sitzen, um den Kranken zu bewachen.

Das Landgut der Familie von der Hardt lag in einer lachenden Ebene, wenige Meilen hinter der Gränzfestung, welche hier das platte Land deckte. Das Schloß ragte unter den niedern Dächern des Dorfes majestätisch hervor, umgeben von einem Park, der jetzt in den frischesten Farben des Frühlings prangte. Lange Laubengänge wechselten darin mit anmuthigen Blumenpartieen und niedern Buchsbaumhecken. Dunkele Grotten lagen versteckt in künstlichen Hainen, in deren frisch belaubten Zweigen zahllose Vögel mit fröhlichem Gezwitscher ihr munteres Spiel trieben. Hell leuchteten die klaren Glasscheiben der Gewächshäuser in der heiteren Frühlingssonne, und fleißige Gärtner waren mit ihren Gehilfen beschäftigt, theils mit dem Rechen in der Hand die Beete in Ordnung zu bringen, theils mit Hippe und Baumscheere die verschiedenen Hecken und Stauden wieder zuzustutzen. In einer offenen Laube saß die Herrin des Schlosses mit ihrer Tochter und dem Doktor beim Theetisch.

»Wie gesagt,« nahm der Letztere das Wort, »der Schlaf wird seine wohlthätige Kraft an dem jungen Mann bewahren, und nicht so gar lange soll es dauern, so wird er Ihnen, meine Gnädigen, hier am Theetisch Gesellschaft leisten.«

»Er scheint mir ein wackerer Jüngling zu sein; denn in seinen Phantasieen, dem untrüglichen Spiegel der Seele, offenbart er ja ein reines, edles Gemüth,« sagte die Frau von der Hardt, »und obgleich er Offizier einer feindlichen Macht ist, so würde es mir doch sehr nahe gehen, wenn uns unsere Bemühungen um seine Genesung fehl schlügen. Vielleicht trauern ja jetzt schon seine Lieben daheim um den Verlornen,« setzte sie wehmüthig hinzu und gedachte des fernen Gatten, den im Laufe des Krieges ja nur zu leicht ein ähnliches Schicksal treffen konnte. Der Arzt, welcher den Ideengang bemerkte, suchte dem Gespräche eine andere Wendung zu geben, und obgleich ihm dies auch gelang, so behielt die Dame doch eine wehmüthige Stimmung und begab sich bald mit der Tochter in ihre Gemächer. In sinnender Stellung blieb der Doktor Forke zurück. Er war seit langer Zeit nicht allein Hausarzt, sondern auch Hausfreund der Familie, denn obgleich sich der Adel noch sehr schroff vom Bürgerstande sonderte, so war doch grade dieser Familie eine sehr humane Gesinnung gegen nicht Ebenbürtige eigen. Dieser Geist ging vorzüglich von der Frau des Hauses aus, und von ihr hatte er sich auf die ihr an Herzensgüte und Geistesbildung ähnliche Tochter vererbt. Der Oberst selbst theilte auch nicht die crasse Anmaßung seiner Standesgenossen, doch blieb ihm immer etwas Herablassendes, wenn er mit Bürgerlichen redete.

Lange Zeit mochte der Doktor, in Betrachtungen verloren, dagesessen haben, als ihn die Ankunft einer sonderbaren Figur daraus weckte. Es war die Gestalt eines Weibes, die sich seinen Blicken darstellte. Ein schmutzig gelber Strohhut, wie ihn wohl die Bauerfrauen zu tragen pflegten, beschattete mit seinem weit nach vorne reichenden Schirme die braunen Züge eines vollen Gesichts. Ein schwarzes Busentuch und ein Leibchen von einem Stoffe, dessen Farbe nicht mehr zu erkennen war, bekleidete den obern Theil des Körpers, während ein rother Rock von grobem Fries mit vielen Falten ihre Hüften umschloß. Augenscheinlich war dieser zu kurz; denn er ließ die, mit schmutzigen Strümpfen und hochhackigen Holzschuhen bekleideten Beine noch bis zur Hälfte sichtbar. Trotz der gebückten Stellung des Weibes blieb ihr doch eine ansehenliche Länge, wie man sie nicht häufig bei dem weiblichen Geschlechte findet. Verlegen sah sie den Doktor an und schien auf eine Anrede zu sinnen, als sie dieser, welcher ihre Aengstlichkeit bemerkte, aus der übeln Lage riß, indem er mit der ihm eigenen Zutrauen erweckenden Stimme sagte: »Habt Ihr ein Anliegen an mich, gute Frau, so redet nur frei heraus, wenn ich Euch helfen kann, so thue ich's gern.«

»Wohl so eigentlich kein Anliegen, gelehrter Herr,« antwortete eine heisere Stimme, »aber ich möchte man so meinswegen gerne wissen, ob der Herr wohl geneigt wäre, mir über etwas Auskunft zu geben.«

»Wenn es in meinen Kräften steht, sehr gern.«

»So möchte ich meinswegen wohl wissen, ob man wohl zu dem Offizier, der hier in dem Schlosse gefangen sitzen soll, Zutritt bekommen kann?«

»Es lebt hier zwar ein Offizier als Kriegsgefangener, doch ist er noch so krank, daß ich für jetzt keinem Fremden den Zutritt gestatten kann, weil jede Gemüthsbewegung ihm tödtlich werden könnte; außerdem liegt er auch fast beständig ohne Besinnung, so daß er Euch gar nicht verstehen würde.«

»So krank! Ohne Besinnung? – Ach, lieber Herr, lassen Sie mich zu ihm, er war sonst mein Wohlthäter! Ich muß ihn sehen.«

»Jetzt ist es unmöglich; denn er liegt in tiefem Schlafe, aus dem er vielleicht gesunder erwacht. Auch hängt es hauptsächlich von der Herrin des Schlosses ab, ob Ihr zu ihm dürft; ich bin nur sein Arzt, und kann als solcher, nur in sofern es seine Krankheit erlaubt, darüber bestimmen.«

»Meinswegen, Herr Doktor, könnten Sie denn wohl nicht ein gutes Wort bei der gnädigen Frau, von der Sie sagen, für mich reden, daß ich meinen – den Herrn Rittmeister, wollte ich sagen, sprechen könnte?«

Der Doktor war aufgestanden, und hatte die Fremde, deren ganzes Benehmen ihm so sonderbar, so verdächtig vorkam, genauer betrachtet. Jeder unserer Leser wird vielleicht schon gemerkt haben, daß das Weib kein anderer, als unser ehrlicher Döppner war. So sorgsam nun der treue Diener seinen starken Schnauzbart rasirt hatte, so blieben den prüfenden Blicken des Doktors doch die frisch hervorwachsenden, starken Borsten nicht verborgen. In Kriegszeiten ist man, zumal so nahe der feindlichen Gränze, ohnehin argwöhnischer, als sonst, deßhalb wurde der Doktor vorsichtig, und beschloß auf seiner Hut zu sein.

»Wenn es Euch so sehr darum zu thun ist, mit dem Offizier zu sprechen,« entgegnete er unbefangen, »so kommt nur mit ins Schloß, vielleicht erhaltet Ihr von der Herrin die Erlaubniß dazu, wenn er erwacht ist.«

Gern folgte der ehrliche Husar, in der Hoffnung, daß er in seiner Verkleidung nicht erkannt würde.

In einem Vorzimmer übergab der Doktor ihn dem Schloßverwalter, der grade dort anwesend war, und raunte diesem ins Ohr, er möchte doch das Weib auszuhorchen suchen und nicht wieder fort lassen. Darauf ging er zur Frau von der Hardt, um ihr den Vorfall zu berichten. Der Schloßverwalter war früher Korporal im Regimente des Obersten gewesen, und hatte jetzt, durch die Lähmung des einen Fußes untauglich zum Dienst, die Aufsicht über die übrige Dienerschaft des Schlosses. Er war ein schlauer Fuchs, und bald hatte er unsern Döppner, indem er das Gespräch geschickt auf den Reiterdienst zu lenken wußte, in ein solches Netz von Fragen, Antworten und Erzählungen zu verwirren gewußt, daß ihm kein Zweifel mehr blieb, unter dem Friesrocke stecke ein Reitersmann. Die Baronin ließ jetzt den Schloßverwalter rufen. Mit respektvollem Bückling trat er ein in das Zimmer der Damen.

»Nun, Gille,« redete ihn die Baronin an, »was habt Ihr erforscht von der Person, die Euch der Herr Doktor übergeben hat?«

»Ich will mich grade nicht für Einen ausgeben, der jedem Kleide ansieht, was dahinter steckt; aber so viel scheint mir doch klar zu sein, daß das Weib da draußen nicht immer ein Weib gewesen ist, und es soll mich Jeder einen ungetreuen Diener schelten, wenn der Kerl nicht ein Husar, und noch dazu von der Schwadron des kranken Rittmeisters ist.«

»Ihr habt zwar Eure höchste Betheurung auf Eure Behauptung gesetzt; aber doch sollte es mich wundern, wenn Ihr das Alles so haarklein erfahren hättet.«

»Ja, gnädige Frau, ein alter Dragoner wie ich, wittert schon von weitem Alles, was nach Reiterei riecht, und wer diesen Kerl zum Spion oder sonst was gemacht hat, wird es am jüngsten Tage verantworten müssen; denn er ist ein solcher Simpel, daß ich ihm mit ein bischen Kreuz- und Quer-Fragen alle seine Künste abgelockt habe. Uebrigens scheint mir aber auch eine ganz ehrliche Haut dahinter zu stecken, die wohl schwerlich zu einer großen Unternehmung ausgerückt ist.«

»So holt denn Euern Husaren herein, wir wollen sehen, ob wir ihn beichten lassen können,« sagte die Baronin mit heiterer Laune. Ihr kam die ganze Geschichte mehr possirlich als gefährlich vor. Sie war gewohnt, alle Angelegenheiten der weitläuftigen Herrschaft, während der Abwesenheit ihres Gemahls, mit Kraft und Uebersicht zu regieren, und sie betrieb dann alle Geschäfte mit solcher Regsamkeit und solchem Eifer, daß sie ganz darin lebte. Als jetzt der Schloßverwalter mit dem verkappten Reiter eintrat, ging sie auf letzteren zu, blieb dicht vor ihm stehen, und sah ihm ein Weilchen scharf unter den Strohhut, daß der arme Döppner verlegen zur Erde sah.

»Was hat Euch bewogen, Euch in einen Weiberrock zu stecken, Husar?« fragte sie plötzlich.

Verblüfft starrte ihr der ehrliche Döppner mit weitaufgerissenen Augen ins Gesicht, und dachte im ersten Augenblicke – gar nichts. Dann, als er sich wieder einigermaßen von seinem Erstaunen erholt hatte, glaubte er wenigstens, die gnädige Frau müsse einen Kobold in ihren Diensten haben, der ihr alles entdecke. Als sich die Dame lange genug an den Schrecken des Inquirenden geweidet hatte, fuhr sie fort: »Nun, Ihr seht, daß ich alles weiß, werdet Ihr Euch bequemen, zu bekennen, was Ihr im Schilde führtet?«

»Ach, gnädigste Frau Baronin,« sagte der Kerl mehr komisch als furchtsam, »was soll ich Euch das erst noch erzählen, Euer kleiner Finger sagt es Euch ja besser, als ich es im Stande bin.«

»Wollt Ihr nicht mit der Sprache heraus, guter Freund, so werdet Ihr bald Bekanntschaft machen mit dem dunkelsten Keller im Hause und dem spanischen Bock. Also frisch heraus, weßhalb steckt Ihr Euch in einen Weiberrock, und was wollt Ihr bei dem fremden Offizier?«

»Wenn ich's meinswegen rund heraussagen soll, gnädige Frau, so steckte ich mich in meinen Weiberrock, damit mich die Leute nicht kennen sollten, und was ich bei dem Offizier will? – Nun bei dem will ich auch weiter nichts, als was ein Diener bei seinem Herrn wollen kann.«

»Weßhalb sollten Ihn denn aber die Leute nicht erkennen?«

»Weil ein Soldat in meiner Uniform hier zu Lande wohl schwerlich weit kommen würde, und ich außerdem nicht dachte, daß man hier einen Diener zu seinem gefangenen Herrn lassen würde.«

»Hör' Er einmal, mein Freund, die Sache ist etwas unklar. Wie kam Er denn von Seinem Regimente weg, oder ist Er ein Ausreißer?« –

»Gottes Donner, gnädige Frau, lassen Sie mich meinswegen gleich in den spanischen Bock spannen; aber für einen Deserteur halten Sie mich nicht! Bei der letzten Attaque wurde ich von meiner Eskadron versprengt und ehe ich's mich versah, war ich im Rücken der ganzen feindlichen Armee. Es war nun eine schwere Aufgabe für unsereinen, sich wieder da hindurch zu schlagen; deßhalb vertauschte ich bei einem Bauerweibe, das mir begegnete, den Dolman gegen den Aufzug hier, und beschloß, meinen Herrn, wenn's möglich wäre, aus der Gefangenschaft zu helfen.«

»Woher wußte Er denn aber, daß der Rittmeister hier ist?«

»Das hatte ich von einem Kameraden gehört, der zugleich mit dem Rittmeister gefangen war, sich aber wieder vom Transport davon gemacht hatte.«

»Demnach giebt Er sich also für den Burschen des Rittmeisters aus?«

»Dafür gebe ich mich nicht blos aus, sondern ich bin's gewesen, so lange mein Herr Offizier ist.«

»Nun das wird sich schon finden. Wie kam Er denn aber auf die närrische Idee, Seinen Herrn befreien zu wollen?«

»Ich dachte so in meinem Sinn: wenn Einer so auf einem einzelnen Schlosse gefangen säße, so müßte man ihn doch wohl eher herausbringen können, als aus einer Festung.«

»Denkt Er denn etwa, daß Sein Herr hier in einem Gefängniß hinter Schloß und Riegel sitzt? Nein, guter Freund, geh' Er nur vorläufig hier mit Meister Gille in die Bedientenstube, und Ihr, Haushofmeister, gebt ihm einen Anzug von George, damit sich der kranke Offizier nicht erschrickt vor dem fabelhaften Aufzuge.«

Fräulein Emilie kicherte noch lange hinterher, als Meister Gille schon längst mit seinem Arrestanten fort war, über das unsichere Schwanken des vermummten Reiters auf den hohen Hacken der ungewohnten Holzschuhe, dann von ihrer Stickerei aufsehend, sagte sie schalkhaft: »Wissen Sie wohl, liebe Mutter, daß ich dem Burschen recht gut bin?«

»Ich weiß recht wohl, liebes Kind, daß es nicht schwer hält, Dein Wohlwollen für sich zu gewinnen. Uebel wäre es auch, wenn Dein junges Leben schon von so herben Erfahrungen berührt wäre, daß Du nicht gern jedem Menschen alles Gute zutrauen solltest.«

»Sie scheinen dem Husaren noch immer nicht recht zu trauen; aber ein böser Mensch kann er doch auf keinen Fall sein. Welche Anhänglichkeit und welche Treue beweist er nicht unserm armen, kranken Rittmeister. Denken Sie sich, Mütterchen,« setzte sie launig hinzu, »er zieht aus, wie ein ächter Ritter, ganz allein in Feindesland, um seinen Herrn aus Ketten und Banden zu befreien.«

»Allerdings ist das ein gewaltiges Unternehmen für einen Menschen wie dieser, dem Meister Gille, der doch auch eben nicht der Allerschlaueste ist, sogleich sein ganzes Geheimniß herausgelockt hat.«

»Meiner Meinung nach kommt es doch aber hier gar nicht darauf an, ob er fähig ist sein Unternehmen durchzuführen, sondern blos auf den guten Willen, und den kann man doch hier gar nicht verkennen. Daß er Unterthan einer uns jetzt feindlichen Macht ist, kann ihm doch gewiß nicht zum Verbrechen angerechnet werden; denn nach dem, was Sie mir selbst darüber gesagt haben, hat das mit unsern Privatverhältnissen gar nichts zu thun.«

»Es kommt mir auch gar nicht in den Sinn, ihn deßhalb schlechter zu beurtheilen, liebes Kind, nur mußt Du bedenken, daß Jemand in meinen Jahren weder für, noch gegen einen Fremden so rasch eingenommen wird, als die Jugend, und daß ferner ein Soldat so leicht nichts für Unrecht hält, was er den Bewohnern des feindlichen Landes thut, wenn er auch sonst alle möglichen guten Eigenschaften hat.«

»Nun vor dem Einzelnen brauchen wir doch nicht eben so besorgt zu sein, und das sind Sie auch nicht, liebe Mutter, dazu kenne ich Sie zu gut.«

»Nein, Kind, davon ist auch nicht die Rede, zumal da wir jetzt hoffentlich seine Absichten kennen. Wenn sich alles so verhält, als er angegeben hat, so denke ich, soll er auch hier bleiben und seinen Herrn fernerhin bedienen.«

»Es wird gewiß dem Offizier sehr angenehm sein, wenn er seine Bedienung von dem alten, gewohnten Diener erhält, der alle seine kleinen Eigenheiten und Bedürfnisse kennt.«

Während die Damen solcher Gestalt ihr Gespräch noch eine gute Weile fortführten, war der Doktor ab und zu in die Stube des Kranken gegangen, hatte ihn jedoch noch immer schlafend gefunden, und da er sein Erwachen abwarten wollte, so blieb er die Nacht über im Schlosse; denn der Abend war unterdessen hereingebrochen.

Als Falk am andern Morgen erwachte, war sein volles Bewußtsein zurückgekehrt. Der lange Schlaf hatte ihn wunderbar gestärkt. Erstaunt blickte er die fremden Umgebungen an und glaubte immer noch zu träumen, als der unterdessen von der Wärterin herbeigerufene Doktor zu ihm trat und sich nach seinem Befinden erkundigte.

»Wo bin ich?« fragte er dann. »Was ist mit mir vorgegangen?«.

»Sie sind in guten Händen, Herr Rittmeister,« antwortete der Doktor, »und auf dem besten Wege, von einem hitzigen Fieber zu genesen; nur muß ich Sie bitten, jede Gemüthsbewegung zu vermeiden.«

»Aber sagen Sie mir um Gotteswillen, bester Mann, in welcher Weltgegend bin ich denn eigentlich. Ich erinnere mich noch ganz dunkel, daß ich in der Schlacht von einem feindlichen Dragoner vom Pferde gehauen wurde.«

»Ganz recht, eben dieser Hieb brachte Sie dem Tode nahe. Der Kommandeur jenes Dragonerregiments ließ Sie hierher auf sein Landgut bringen, wo es endlich der größten Sorgfalt gelungen ist, Sie ins Leben zurückzurufen.«

»Also Kriegsgefangener bin ich?«

»Jawohl! Lassen Sie sich das aber nicht so sehr zu Herzen gehen, es ist ja das Schicksal so manches braven Mannes, und daß Sie sich vorher wacker gewehrt haben gegen einen ganzen Haufen Dragoner, dafür zeugt die Auszeichnung des Obersten, der Sie deßhalb, aus Achtung für Ihre Bravour, nicht wie die übrigen Gefangenen abliefern lassen, sondern Sie als seinen persönlichen Gefangenen hierher geschickt hat.«

Wilhelm war in tiefes Nachdenken versunken. Der Doktor gab ihm einen stärkenden Trank und fuhr dann fort: »Ich werde Ihnen jetzt Ihren Burschen herschicken, Herr Rittmeister, und dann der Frau von der Hardt Ihre Genesung verkünden. Sie wird Ihnen gewiß ihren Besuch abstatten.« Mit diesen Worten überließ er den Rittmeister Falk seinem ungestörten Nachdenken, damit er sich erst in seiner Lage finden möchte.

Unsern Döppner suchen wir jetzt in der Bedientenstube auf. Als der Haushofmeister mit ihm am vorigen Abend unter die Diener des Hauses trat, befand er sich wieder in seiner Sphäre, und ihm war so wohl wie dem Fisch im Wasser. Ein Kutscher und zwei Bedienten in Livree saßen hinter dem Tisch und ließen sich von einem Mädchen die Karten legen. Nanette war ein pfiffiges Ding, sie wußte den Burschen immer das Rechte aus den offenen Karten zu sagen, außerdem stand sie, als Kammermädchen des Fräuleins, bei der übrigen Dienerschaft in einigem Ansehn. Eben war sie im Begriff Joseph, dem Kutscher, seine künftige Liebesgeschichte haarklein zu erzählen, als sie von den Eintretenden unterbrochen wurde.

»Wo steckt denn der Georg schon wieder?« ließ Meister Gille sogleich seine Kommandostimme ertönen.

»Hier!« rief es hinter dem Ofen, und eine dritte Bedientengestalt erhob sich aus behaglicher Ruhe von zwei zusammengeschobenen Stühlen.

»Liegt der faule Schlingel schon wieder auf der Bärenhaut!« schalt der Haushofmeister. »Wartet, Ihr Schlafmützen, ich werde Euch hinfüro besser auf den Trapp bringen! Das reckt sich, das dehnt sich, meiner Seele, als wenn es Wunder was zu thun gehabt hätte; aber die baare, blanke Faulheit steckt Euch Burschen in den Knochen. Na, Geduld! ich werde sie Euch noch austreiben. Rasch, George, Du Faulpelz, lauf' und hole einen Anzug herbei für das Weib da; aber von Deinen, nicht etwa von der Kuhmagd!«

»Ja das möcht' ich mir meinswegen wohl selber verbitten, denn ich bin des Weiberwesens lange überdrüssig; s' ist doch grade als wenn man ein ehrlich Husarenpferd in eine alte Kuhhaut näht! Aber für diesmal wird es wohl ganz unnütz sein; denn so dumm ist Döppner in seinem Leben noch nicht gewesen, daß er seinen Dolman gegen einen Weiberrock weggeworfen hätte. Da lieg, du alter Sperlingsschächter!« sagte er dann, indem er den Strohhut auf die Erde warf. Neugierig richteten die Anwesenden ihre Augen auf das Schauspiel und sahen dann einander fragend an. Nur Meister Gille wußte sich die Sache zu erklären und meinte dann: »Na Junge, scheinst doch so dumm nicht zu sein, als Du erst aussahst, und glaub's man, Dein natürlicher Bierbaß klingt auch viel besser als die infame Weiberfistel; das klang ja grade, als wenn die Bauern das Pflugrad nicht geschmiert haben.«

»'s ist mir auch sauer genug geworden, das könnt Ihr glauben. Nun paßt aber auf, jetzt werde ich mich ein bischen schälen! Wetter, was hat die Weiberjacke unter den Armen gekniffen! Meiner Sixchen, es war als säße der leibhaftige Satan darin. Na liebes Kind, brauchst nicht roth zu werden, wenn sich ein Reitersmann ein bischen verpuppt,« sagte er dann zu Nettchen gewandt, die noch immer ihr Kartenspiel in der Hand hielt. Drauf nahm er unter dem Busentuche zuerst seine Feldmütze auf der einen, und eine mit Bindezeug umwickelte Schnapsflasche auf der andern Seite hervor, warf das Busentuch von sich, und fing nun an die Weiberjacke von den Schultern zu zerren, doch war das nicht so leicht und ohne Hilfe des Kutschers ihm wohl schwerlich gelungen. Jetzt ließ er auch den Friesrock fallen, schob die hoch aufgekrempten Hosen wieder über die Waden, und stand so in seiner knappen Uniform wieder vor den erstaunten Zuschauern.

»A – – h!« seufzte er dann tief auf, »das ist dem alten Menschen mal recht sauer geworden! Nu aber, Musje George, kannst Du mir immer ein Paar Stiefeln holen; denn die habe ich leider Gottes doch im Stiche lassen müssen.«

»Du, Nanette,« sagte der Haushofmeister, »kannst nur in der Küche einen Imbiß für den Burschen da bestellen, er wird wohl Appetit haben, denk' ich, und er sieht nicht aus wie einer, der viel Federlesens macht mit Komplimenten.«

»Ja da habt Ihr's gerathen, Meister, wo mich der Schuh drückt! Kannst auch einen kleinen Wupti mit bestellen, liebes Kind, komm aber ja selbst wieder; denn ich möchte mir gar zu gerne von Dir noch die Karte schlagen lassen.« Nanette wollte hinausgehen, das Begehren zu erfüllen, als er ihr noch nachrief: »Wart' mal, Jüngferchen! Du kannst mir noch einen ganz besondern Gefallen thun, wenn Du meinswegen hingehst und Dich erkundigst, ob mein Herr noch nicht aufgewacht ist; denn das geht doch allem andern vor.«

»Wer ist denn Euer Herr, Ihr drolliger Kauz?«

»Ja so, Schatz, das weißt Du noch nicht! Nun, das ist der Herr Rittmeister Falk, der hier krank liegt und jetzt schlafen soll.«

»Ah so?« – meinte die Dirne und es ging ihr ein Licht auf. Dann sprang sie zur Thür hinaus, und Döppner setzte sich stracks mit an den Tisch zu den Bedienten, denen es jetzt auch einigermaßen klar wurde, wie ein Soldat in feindlicher Uniform hierher kam. Nettchen kam bald wieder und berichtete, der Rittmeister schliefe noch immer. Döppner ließ sich sein Mahl trefflich schmecken, tischte dann den Andern seine mit vielen Abenteuern ausgeschmückte Fahrt in dem Weiberrocke, zur Ergötzlichkeit Aller, auf und trieb mit Nettchen auf Husaren-Manier seine Späße, als wären sie alte Bekannte. Nebenbei unterließ er jedoch nicht, sich fleißig nach seinem Herrn zu erkundigen, doch sollte er ihn nicht ehr sehen, als bis ihn am andern Morgen Doktor Forke zu ihm beschied.

Als Döppner jetzt zu seinem Herrn in's Zimmer trat, sah dieser noch gedankenvoll zur Decke hinauf, und war so vertieft, daß er das Eintreten des Dieners überhörte. Respektvoll stand dieser schweigend dem Bette gegenüber, und wartete eine gute Weile der Anrede seines Herrn, doch als diese trotz seines leisen Scharrens und Hustens noch immer nicht erfolgte, lief ihm sein volles Herz über und traurig sagte er: »Ach, gnädigster Herr Rittmeister, kennen Sie denn Ihren alten treuen Döppner nicht mehr?«

Wie aus schwerem Traum erwachend, sah Falk jetzt zu ihm hinüber und sagte verwundert: »Was? Du auch hier Döppner?. Haben sie Dich auch gefangen?«

»Ja leider Gottes, hatten sie mich auch gefangen, als mein Pferd unter mir todt geschossen wurde, und so eine Kanaille von Füsilier mich mit dem Gewehrkolben vor die Brust stieß, daß ich meinte, Ostern und Pfingsten fielen auf einen Tag; aber Döppner war nicht so dumm, der machte sich wieder davon.«

»Wie kommst Du aber hierher? das erkläre mir erst, Bursche.«

»Ja, Herr Rittmeister, das ist meinswegen eine verwickelte Geschichte, und ich will Ihnen das ganz genau erzählen; aber mit Erlaubniß, Herr Rittmeister, ich will doch mal erst zusehen, ob die Thür auch eingeklinkt ist; denn für Jedermann ist das doch nicht.«

»Nun, was werde ich hören? Du hast doch keine Schelmstreiche gemacht?«

»Nein, Herr Rittmeister, das nicht, aber hintern Zopf gespuckt habe ich meinswegen die Kerls doch recht ordentlich, die uns eskortirten.«

»Zur Sache also, wie hast Du das angefangen? Da setz' Dich! Nun erzähle.«

»Sehn Sie mal, Herr Rittmeister, als uns die Kerls schon meinswegen so ein Paar Märsche hineintransportirt hatten ins Land, da hielten sie in einem Dorfe vor der Schenke still. Die Hälfte ging hinein, um 'nmal zu nippen, wie sie sagten; aber ich will wetten, die Hundsfötter haben tüchtig gezecht; den sie blieben wohl eine halbe Stunde drinnen. Unterdessen trieb die andere Hälfte, die draußen bei uns geblieben war, uns dicht an das Gebäude, und stellten sich alle um uns herum. Als wir nun so dicht an die Wand gedrängt da standen, sah ich mit einem Male ein Kellerloch da unten hinein gehen. Da ging mir denn plötzlich ein ellenlanges Talglicht auf, und ganz leise sagte ich da zu dem Bagoa und dem Fanro: »Stellt Euch mal hier dicht vor mich zusammen, ich werde jetzt durch die Lappen gehen!« Die ließen sich das nicht zweimal sagen, und husch glutschte ich nun hinunter in den Keller, und kam grade auf ein großes Faß zu reiten. Da stieg ich denn ganz leise ab, und verkroch mich in eine dunkele Ecke unter einen Faßbock. Bald darauf hörte ich denn, wie die wieder herauskamen aus der Schenke und die Andern hineingingen. Als die sich auch vollgesoffen hatten –«

»Wart' einmal! Leg mir doch erst das Kopfkissen höher! – So, nun fahr nur fort.«

»Also die Andern kamen nun auch und da ging es wieder vorwärts mit dem Transport. In ihrem Dussel dachten die Füsiliere aber nicht daran, die Gefangenen zu zählen, und so wurde ich nicht vermißt. Bis spät am Abend blieb ich meinswegen ruhig unter der Tonne sitzen, und als da Alles im Hause still wurde, ging ich eben so wieder aus dem Keller, wie ich hineingekommen war. Dann schlich ich mich aus dem Dorfe und blieb den folgenden Tag in einem Holze liegen. Da kam denn ein Bauerweib durch und war so gut, mir ihr Zeug zu geben und im Hemde nach Hause zu gehen. Sie schrie zwar erst gewaltig, als ich ihr dafür blos meine Stiefel gab; aber endlich schien es ihr meinswegen doch einzuleuchten, als ich ihr sagte, daß ich das Zeug besser gebrauchen könnte. Darauf steuerte ich lustig drauf los, meinen Bart hatte ich aber auch erst ganz rein abgeputzt. Wo Sie waren, Herr Rittmeister, wußte ich; denn ich hatte es selbst gehört, als der Oberst befahl, Sie hierher zu bringen, und so bin ich denn gestern ganz wohlbehalten hier angelangt.«

»Das ist zwar alles recht gut, Du treue Seele, aber was bezwecktest Du denn eigentlich damit, daß Du mich aufsuchtest?«

»Ich dachte meinswegen, Herr Rittmeister, Sie säßen hier im Gefängniß, und da wollte ich Ihnen erst heraushelfen, damit wir Beide wieder frei wären.«

»Da hattest Du Dir viel auf die Hörner genommen, guter Freund, aber was denkst Du denn nun zu machen, wenn die Leute hier Deine Kellergeschichte erfahren?«

»Ja, Herr Rittmeister, die Leute haben hier zwar feine Nasen; denn die gnädige Frau roch gleich, daß unter dem Friesrock ein Husar steckte; aber ich habe ihnen eine andere Geschichte aufgebunden, die sie auch glaubten, und außerdem scheint das hier ein recht guter Schlag Leute zu sein, die einen Diener, der seines Herrn wegen davonläuft, wohl nicht verrathen würden.«

»Du hast guten Glauben, Bursche, und magst auch wohl Recht haben; denn das Benehmen des Doktors, und die Art, wie ich mich hier gebettet finde, läßt mich alles Gute hoffen. Lege hier nur die Decken in Ordnung – so, und nun wasche mir die Hände ein bischen ab; denn wenn ich vom Doktor recht gehört habe, so will die Herrin noch herkommen.«

Nicht gar lange darauf trat die Baronin von der Hardt, vom Doktor begleitet, ins Zimmer und sagte, indem sie zum Bette trat, mit sanfter Stimme:

»Wie ist Ihnen, bester Rittmeister? Wir waren wirklich recht besorgt um Sie«.

»Meinen innigsten Dank zuvor, gnädige Frau, für diese Sorge. Ich fühle mich um so mehr Ihnen verpflichtet, je weniger ich als Kriegsgefangener diese aufmerksame Pflege erwarten durfte.«

»Lassen Sie das gut sein, ich bin dabei den Wünschen meines Gemahls sowohl, der Sie als tapferen Krieger ehrt, als auch meinem eigenen Gefühle gefolgt, was mir verbietet, in dem Leidenden den Feind zu sehen.«

»Eben dies schöne Gefühl, gnädige Frau, was man so selten findet, wird mich ewig Ihnen verbinden und mich anspornen, Ihnen früher oder später zu vergelten, was Sie mir thaten.«

»Daran dachte ich nicht, mein Herr, sondern ich that nur, was die Pflicht mir gebot.«

»O jetzt fühle ich es weniger, daß ich Gefangener bin, da ich weiß, ich bin unter edlen Menschen.«

»Es wird mir Freude machen, Ihnen so wenig als möglich Ihre Gefangenschaft fühlen zu lassen, und gegen die Verpfändung Ihres Ehrenworts, nicht entwischen zu wollen, werden Sie alle Freiheiten genießen; doch vorerst ist es unser aller Wunsch, Sie wieder gesund zusehen, und daher werde ich Sie jetzt der Pflege unseres Herrn Forke hier überlassen, damit Ihnen ein zu anhaltendes Sprechen nicht schade.«

Die würdige Dame entfernte sich wieder, und gerührt sah ihr Wilhelm nach. Zusehends erholte er sich in den nächsten Tagen. Das Fieber war für immer gewichen, und nicht gar lange dauerte es, so konnte er schon wieder außer dem Bette sein.


Das Getümmel des Kriegs näherte sich indessen mit seinen Gräueln und Verwüstungen, mit seiner wechselvollen Gestalt, in der herrliche Großthaten mit schauerlichen Jammerscenen sich mischen, und große Ereignisse über noch wichtigern in Vergessenheit gerathen, immer mehr und mehr der Gränze und dem friedlichen Eschenthal.

Obgleich nun die Freiin von der Hardt bisher mit sicherer Hand die Besitzung in Ordnung erhalten hatte, so fühlte sie doch, daß in den Verwirrungen, welche die Nähe des Kriegsschauplatzes nothwendig auch über Eschenthal bringen mußte, ihr ein männlicher Beschützer nöthig war. Sie schrieb deßhalb an ihre Kousine und deren Sohn, den jungen Grafen von Beilstein, und bat letzteren, auf einige Zeit zu ihrem Schutze und zu ihrer Unterstützung auf Schloß Eschenthal zu kommen. Graf Albrecht war ein feuriger junger Mann, voll Muth und Entschlossenheit. Seine Gestalt war nicht hoch, doch kräftig und voller Leben. Fürchterlich war das Blitzen seines Auges, wenn er zürnte, und ein rothes Muttermal ward dann sichtbar auf der hohen Stirn, die unbedeckt war von den kurzen krausen Locken. Seine guten Eigenschaften waren der Frau von der Hardt genugsam bekannt, denn er war ein nicht ungewohnter Gast in ihrem Hause. – Von jeher war es ein Lieblingsprojekt der beiden Mütter gewesen, die Güter beider Familien in ihren Erben zu vereinigen, nur hatte Emiliens Jugend die Sache bis jetzt noch nicht ernstlicher zur Sprache kommen lassen. Graf Albrecht von Beilstein eilte auf das Verlangen der Baronin herbei und ward mit Herzlichkeit empfangen. Seitdem fühlten sich die Damen ruhiger und sicherer in dieser bewegten Zeit; denn nie verfehlt die Gegenwart eines starken, muthvollen Mannes diesen Eindruck auf ein weibliches Gemüth. Der Baronin bewies er eine hochachtungsvolle Ergebenheit, und zwischen dem Fräulein und ihm bestand noch eine gewisse Vertraulichkeit aus den Kinderjahren her. Dem Rittmeister Falk begegnete er mit derjenigen Achtung, welche wir dem Unglück und der Tapferkeit schuldig sind. So konnte es nicht fehlen, daß man auch ihm wieder mit Wohlwollen und Hochachtung entgegenkam.

Wilhelm war in der letzten Zeit fast gänzlich wieder genesen, nur bei rauhem Wetter hütete er noch das Zimmer. Eine gewisse Blässe gab seinem schönen Gesichte etwas Interessantes, und er war ein gern gesehener Gesellschafter der Damen. Mit zunehmender Gesundheit und Stärke erwachte in ihm auch seine frohe Laune wieder, und Stunden verflogen dem Fräulein Emilie, wenn sie seinem muntern Geplauder zuhörte, wie Minuten. Er hingegen fühlte sich entzückt, wenn das schöne Mädchen an seiner Seite in der balsamischen Frühlingsluft die langen Gänge der Parks hinunterschwebte. Es war als hätten alle Grazien ihren Zauber über sie ausgeschüttet, mit solcher Leichtigkeit und Anmuth war jede ihrer kleinsten Bewegungen verbunden. Ihr engelreines Gemüth spiegelte sich in den seelenvollen Zügen ihres Gesichtes, und Wilhelm fühlte sich wie von unendlich süßem Wehe durchzittert, wenn sie ihn mit ihren klaren Himmelsaugen voller Unschuld und Kindlichkeit ansah. Er hatte schon viel Mädchen gesehen, auch schöne, aber so wie Emilie war ihm noch nie eine erschienen; auch schien es ihm unmöglich, daß es noch ein solch Wesen geben könnte. Er war jetzt oft nachdenklicher in ihrer Gesellschaft als früher, und wenn sie ihn dann fragte, was ihn fehle, so schrak er wie aus tiefem Sinnen empor. Er war sich selbst ein Räthsel; ihm war so wohl, ihm war so wehe, daß er hätte vergehen mögen.

Die Fenster seines Zimmers gingen in den Garten hinaus. Stundenlang stand er oft da, wenn alles im Schlosse schon schlief, und sah wehmüthig hinaus in die helle klare Mondnacht. Ein sehnsüchtiger Seufzer stahl sich dann über seine Lippen und machte dem vollen Herzen Luft. Nie hatte er früher mit solchen Empfindungen in den klaren Mond gesehen und auf die segelnden Wolken, nie hatte ihn sonst der klagende Ton der Nachtigall so ergriffen. Döppner schüttelte den Kopf, wenn er seinen Herrn beobachtete, und errieth, was dieser sich selbst noch nicht gestand. Oft sagte er zu Nanetten, mit welcher er längst auf sehr vertrautem Fuße stand: »Meinswegen, Nettchen, wenn mein Herr nicht verliebt ist, so soll mich der schlechteste Kerl in der Schwadron einen Hundsfott schelten.«

Als wäre des Rittmeisters stilles Wesen ansteckend gewesen, so fühlte sich auch Emilie allmälig davon ergriffen. Sie wurde zurückhaltender gegen ihn, aber ihr ganzes Benehmen wurde zarter, und wenn sie mit ihm sprach, so war es, als ergösse sich ihre ganze Seele in die Rede. Gegen Vetter Albrecht war sie ganz das heitere unbefangene Wesen von sonst; sie tändelte mit ihm wie ein unschuldiges Kind. Sie saß nicht mehr wie sonst wohl mit dem Rittmeister in ihrem Lieblingsbosket, und vermied, wie es schien, alle Gelegenheit mit ihm allein zu sein. Wilhelm wurde ängstlich, er glaubte sie mit irgend etwas gekränkt zu haben, und doch hatte er dies um alles in der Welt nicht gewollt. Kurz die Liebe hatte in beider Herzen mächtige Wurzel geschlagen, und es bedurfte nur eines Anlasses, daß der glimmende Funke in lichte Flammen emporloderte. Wilhelm fühlte lebhaft, daß ohne Emilie ihm keine Freude mehr blühen werde auf dieser Erde, und doch stand sie ihm so unerreichbar fern. Sie, die Tochter eines Barons, aus reichem, altem Hause, er ein bürgerlicher Offizier und Kriegsgefangener einer feindlichen Macht. – Der Plan der beiden Familien, wegen der Verbindung der Erben, war ihm nicht unbekannt; und obgleich er Graf Albrecht achten mußte, so setzte sich doch eine gewisse Bitterkeit in seinem Herzen gegen denselben fest. Er konnte Emiliens Betragen nicht begreifen, fast scheu zog sie sich von ihm zurück, und schien dagegen ganz mit schwesterlicher Hingebung an ihrem Vetter zu hangen. Er hätte nur an sein eigenes Zurückziehen seit dem Emporkeimen dieser Leidenschaft denken sollen, um auch ihr Betragen erklärbar zu finden. Selbst der Frau von der Hardt fiel es auf, und bedenklich schüttelte diese, mit den Gefühlen und Regungen des Herzens besser vertraut, ihr mütterliches Haupt, doch schwieg sie, um nicht durch ein voreiliges Wort die Tochter zum Bewußtsein der verborgenen Liebe zu bringen.

Die Baronin arbeitete eines Tages eifrig mit ihrem Neffen in ihrem Kabinete, um die Schriften und Papiere der Familie zu ordnen. Wilhelm ging hinunter in den Park. Ihm war so beklommen, so dringlich zu Muthe, als drücke eine schwere Wolke sein Inneres zusammen. Er konnte Emiliens Betragen nicht begreifen. Es drängte ihn mit unwiderstehlicher Gewalt, dieser Spannung seines Gemüths ein Ende zu machen, und sich dem angebeteten Mädchen wieder zu nähern. Ahnungsvoll ging er einen schattigen Bogengang hinunter, welcher zu Emiliens Lieblingsplätzchen führte, welches heimlich versteckt lag, am Ufer eines Teiches, von den breiten Zacken einer alten Buche beschattet. Es war ihm fast so, als müßte er sie hier treffen, und wirklich saß sie jetzt da auf der Rasenbank, welche rings um den Stamm herum ging. Das Köpfchen hatte sie gesenkt, wie in tiefes Nachdenken verloren, und die Händchen zerpflückten fast willenlos eine eben erblühete Rose. Höher klopfte Wilhelm das Herz; er stand still, nur obgleich er sich danach gesehnt hatte, sie allein zu sehen, so hatte er doch im ersten Augenblick nicht den Muth, sich ihr zu nahen. Es war ihm, als müßte er umkehren, und doch trieb es ihn wieder unaufhaltsam zu ihr hin. Endlich faßte er sich ein Herz und trat vor sie hin, doch bemerkte sie ihn nicht, bis sich der Name »Emilie!« aus seiner Brust hervorrang. Fast erschrocken sah sie in die Höhe und hohe Röthe färbte ihre Wangen. Verwirrt stand sie auf und wollte fortgehen; doch Wilhelm trat ihr in den Weg: »Warum fliehen Sie mich, Fräulein? Womit habe ich Sie beleidigt, daß Sie mich nicht hören wollen?«

Verwundert sah sie ihn mit ihren klaren Taubenaugen an und antwortete dann: »Sie mich beleidigt, Herr Rittmeister? Wie kommen sie darauf?« –

»Ach, Emilie, ich mußte es ja glauben! Wenn mich mein volles Herz in Ihre Nähe trieb, so gingen Sie; wo ich war, dahin kamen Sie nicht, mußte ich Sie, für die ich in jedem Augenblicke zu sterben bereit bin, da nicht gekränkt glauben?«

»O bester Falk, Sie verkennen mich, und von Ihnen wollte ich ja am allerwenigsten verkannt sein!« sagte sie mit unschuldsvoller Aufrichtigkeit, und hell strahlte die Liebe aus ihrem verklärten Gesicht. Wilhelm's verhaltene Leidenschaft brach jetzt mit allgewaltiger Macht hervor, hohe Gluth färbte seine Wangen, Feuer blitzte aus seinen Augen, er ergriff ihre Hand und preßte dann, wie aus dem Innersten seines Herzens die Worte hervor: »Theuerstes Mädchen, ich liebe Dich, liebe Dich unaussprechlich! Ohne Dich kann ich nicht sein! Du bist die Sonne, welche mein Leben erwärmt, ohne Dich muß ich vergehen!« Mit sanfter Gewalt hatte er sie an seinen Busen gezogen; sie widerstrebte nicht. – Ihre Lippen schmolzen im langen Kuß zusammen, und Amor flatterte triumphirend hinter dem Gebüsch hervor, hinauf zu seiner cytherischen Mutter. –

Seit dieser Zeit vermieden sich die beiden Verliebten nicht mehr, aus sehr begreiflichen Gründen, doch hüteten sie sich wohl die Sache zu auffallend zu machen; denn Wilhelm hielt es nicht für klug, in seiner jetzigen Lage offen um Emilie zu werben, er wollte es bis zu einer schicklichern Zeit verschieben. Würde diese aber jemals herbei kommen? – Dieser Gedanke machte ihn oft trübsinnig, doch verlor er auch die Hoffnung nicht; denn was hofft nicht ein junger lebensmuthiger Mann alles, vorzüglich wenn er es so sehnlich wünscht? Zuvörderst lebte er ganz in dem Wonnegefühl seiner Liebe. Emilie ihrerseits verschloß das süße Geheimniß doch tief im jungfräulichen Herzen. Sie vermochte es kaum zu fassen, daß der Mann, den sie lange im Geheimen so heiß geliebt hatte, ihre Liebe mit solcher Leidenschaft erwiederte. Sie wußte es zwar, daß sich ihre und der Eltern Wünsche kreuzen würden, doch war sie, obgleich noch ein junges unschuldiges Wesen, Sophistin genug, um sich ganz klar und deutlich vorzudemonstriren, daß ihre kleine Person hier von rechtswegen eine weit bedeutendere Stimme habe, als Vater, Mutter, Tante und Kousin, kurz als alle übrigen Personen. Sie hoffte aber auch, daß diese sich nicht so gewaltig dagegen sträuben würden; denn sie hatte die feste Ueberzeugung, daß ihre Eltern nur ihr Bestes wollten, und was konnte ihr denn nun wohl Besseres und Glücklicheres passiren, als wenn sie – sie wagte es kaum auszudenken, was sie eigentlich wünschte. Still lächelte sie dann vor sich hin, ihr war so überselig, daß ihr hätte das volle Herz springen mögen. Sie hüpfte, sie tanzte im Hause umher, sie fiel zuweilen in ihrer Seligkeit der Mutter um den Hals, daß diese anfangs nicht wußte, was sie davon denken sollte; doch hätte sie blind sein müssen, wenn sie mit der Zeit nicht hätte merken sollen, wie es um ihre Tochter stände. Als sie daher einmal mit ihr allein war, sagte sie:

»Emilie, Du hast jetzt ein Geheimniß vor mir, sei aufrichtig, meine Tochter, und verheimliche Deiner Mutter nichts.«

Emilie erschrak und blickte dann verlegen zur Erde; sie wußte nicht, wie es zuging, daß ihr treu bewahrtes Geheimniß so plötzlich verrathen war. Doch war sie zu aufrichtig, um jetzt noch zu leugnen, und nicht lange dauerte es, so wußte die Baronin alles. »Ich kann Dir nicht zürnen, mein Kind, wegen Deiner Verirrung, denn einmal mußte es so kommen; daß aber Deine Liebe so ganz und gar für einen unpassenden Gegenstand entbrannte, das betrübt mich sehr. Von Dir erwarte ich aber, daß Du von Deiner Verirrung zurückkommen wirst, einmal um Deiner selbst willen; denn nie wird es der Baron von der Hardt zugeben, daß seine Tochter sich verbinde mit dem Rittmeister Falk. Du wirst Dir also selbst viel Trübsal ersparen, wenn Du jetzt eine aufkommende Leidenschaft erstickst, welche nie befriedigt werden kann. Dann hoffe ich aber auch, daß Du aus Liebe zu mir meinen Bitten Gehör geben wirst, denn das habe ich doch sicher nicht um Dich verdient, mein Kind, daß Du so ganz meinen liebsten Wünschen zuwider handelst. Nicht so, mein Kind! Du wirst den Rittmeister vergessen und Deinen Vetter Albrecht lieben lernen.« –

Emilie lag am Busen ihrer Mutter und weinte bittere Thränen. Zwei mächtige Gefühle stritten in ihrem Innern. Von Wilhelm konnte sie nicht lassen und ihre Mutter wollte sie auch nicht betrüben.

»Theuerste Mutter,« flehte sie, »lassen Sie mich zu mir selbst kommen, dringen Sie jetzt nicht weiter in mich! Ich kann jetzt keinen Entschluß fassen!«

»Gut denn, mein Kind, gehe in Dich, ich bin überzeugt, Du wirst meine Worte beherzigen.«

Die Mutter entfernte sich, um den Rittmeister Falk aufzusuchen. Sie fand ihn im Zimmer des Grafen Albrecht, und ihr war es schon recht, daß sie Beide zusammen traf.

»Meine Herrn,« sagte sie, »es ist mir lieb, daß ich Sie hier Beide allein treffe, denn ich habe etwas mit Ihnen zu reden, was Sie sowohl, lieber Neffe, als auch den Rittmeister Falk sehr nahe angeht. Herr Rittmeister, ich will nicht mit Ihnen rechten, daß Sie meine Tochter lieben; denn dafür können Sie nicht, daß Sie sich aber so weit vergessen haben, ein heimliches Verständniß mit ihr anzuknüpfen, das kann ich wenigstens unbesonnen nennen.«

Albrecht's Augen fingen an zu funkeln, hohe Röthe des Zorns übergoß sein Gesicht, das Muttermal wurde sichtbar vor seiner Stirn. Von seiner Hitze überwältigt, unterbrach er die Baronin. »Was muß ich hören, Herr?« platzte er hervor, »Sie unterfangen sich, Ihre Augen zu der Freiin von der Hardt zu erheben? Ich sehe wohl, die zarte Behandlung hier können Sie nicht vertragen! Freuen Sie sich indessen, daß Sie Ihre Gefangenschaft vor meinem Degen schützt, sonst sollten Sie es wahrlich büßen, daß Sie es gewagt haben, meine mir bestimmte Braut mit Ihren Liebeleien zu umgarnen, daß sie, von Ihren glatten Worten bethört, sich so weit vergessen konnte!«

Bei dem Vorwurf der Baronin hatte Wilhelm seine Augen niedergeschlagen, denn er fühlte, daß er einigermaßen gerecht war, als ihn jedoch Graf Albrecht mit so harten Worten angriff, kochte auch sein heißes Soldatenblut in ihm auf. Voll Selbstgefühl erhob sich seine Gestalt zu ihrer ganzen Höhe; doch schnell bemeisterte er seinen Zorn und kalt erwiederte er dann:

»Herr Graf, es steht Ihnen wirklich nicht übel, in diesem Tone mit mir zu reden und sich der mir zugestandenen Freiheit zu rühmen! Sie können es ja ohne Gefahr wagen, ich bin ja Gefangener!«

»Nicht so, Ihr Herren!« sagte die Baronin und fühlte, daß sie einen Mißgriff gethan habe, indem sie den Rittmeister in ihres Neffen Gegenwart zur Rede stellte, »nicht also! Diese Sprache erbittert nur, und das ist nicht gut. Sie sind sonst Beide achtbare Herrn. Ich hoffe, Herr Rittmeister, Sie werden nicht Zwietracht säen wollen in eine Familie, welche bei der Abwesenheit des Hauptes nur zu sehr der Einigkeit bedarf. Zügeln Sie also Ihre Leidenschaft, sie kann zu nichts Gutem führen.«

»Gnädige Frau,« antwortete Falk mit edlem Anstande, »ich habe Sie, so lange ich Sie kenne, als eine würdige Dame verehrt; mein höchster Wunsch wäre es gewesen, Sie einst Mutter zu nennen; doch wenn sie glauben, daß mich nur die Absicht geleitet habe, mich in eine Familie einzudringen, welche über mir steht, so thun Sie mir bei Gott Unrecht. Ich ließ mich von meiner Leidenschaft hinreißen und habe dadurch, wie ich sehe, vieles schlimm gemacht, ich werde aber auch, soviel bei mir steht, wieder gut zu machen suchen. Mein Herz wird bluten, wenn ich es losreißen soll von diesem angebeteten Mädchen, ich werde nie eine Andere lieben können, das fühle ich. Für Ihre Ruhe indessen wünsche ich, daß Emilie mich vergessen möge. Mein zerrissenes Herz findet vielleicht dereinst im Schlachtengetümmel seine ewige Ruhe. Bringen Sie Ihrer Tochter mein letztes Lebewohl, ich werde sie nicht wieder sehen, ich werde während meines Aufenthalts hier mein Zimmer selten mehr verlassen.« Er wandte sich nach der Thür und ging auf sein Zimmer. Hier überwältigte ihn aber sein Gefühl. Es war zu viel, so plötzlich diesem angebeteten Wesen zu entsagen, so plötzlich auf alle Freuden des Lebens zu verzichten; denn das fühlte er lebhaft, daß er nie mehr froh werden könne.

Sein Benehmen zwang der Baronin Achtung ab, auch der Graf fühlte das Edle darin, und schämte sich seiner Rede, die ihm der Zorn eingegeben hatte. Als Emilie erfuhr, daß Wilhelm ihrer entsagt hätte, versank sie in tiefes Nachdenken. Sie schien ruhig zu werden. Ihre Züge verloren das Aufgeregte und nahmen dagegen einen wehmüthig ernsten Charakter an. Es ging in kurzer Zeit eine unglaubliche Veränderung mit ihr vor, sie war nicht mehr das harmlose Kind, sie war jetzt gereifte Jungfrau. Mit einer Festigkeit, welche ihre Mutter in Erstaunen setzte, stand sie auf und erklärte, daß sie jetzt, da Falk ihrer entsagt habe, auch nie dahin zu bringen sein würde, irgend einem Andern ihre Hand zu geben.

Seitdem herrschte ein trauriges Leben im Schlosse. Falk kam nie mehr in die Gesellschaft. Nur einmal ging er täglich in den Park, um die frische Abendluft zu genießen. Graf Albrecht bemühte sich sichtbar um Emiliens Liebe, doch wurde er stets nur mit kalter Freundlichkeit von ihr empfangen. Die Baronin hoffte alles von der Zeit.

Döppner wurde ernstlich besorgt um seinen Herrn. Von Nettchen wußte er den ganzen Hergang der Dinge, und vermittelst dieser Zwischenpersonen fand auch immer noch eine Art Korrespondenz zwischen den beiden Liebenden Statt. Nanette erzählte ihrem Döppner, was Emilie that und redete, und dieser unterließ nicht, seinem Herrn getreulich alles wieder zu berichten, und auf eben diesem Wege erfuhr Emilie auch wieder das Treiben des Rittmeisters.

In Beiden hatte die Liebe zu mächtige Wurzel geschlagen, als daß sie so leicht hätte überwältigt werden können. Wilhelm hatte harte Kämpfe zu bestehen, welche ihn sichtbar angriffen. Seine eben erst hergestellte Gesundheit wurde jetzt geschwächt, seine Wangen bleichten sich wieder. Emilie belauschte ihn oft auf seinen einsamen abendlichen Spaziergängen, sie wurde durch seinen blassen Anblick fest überzeugt, daß ihm die Entsagung nicht leicht geworden, daß seine heiße Liebe zu ihr nicht erkaltet war, und in ihrem Herzen befestigte sich der Vorsatz immer mehr, keinem Andern ihre Hand zu geben; nebenbei gab sie auch die Hoffnung noch nicht ganz auf, einst mit dem Geliebten ihres Herzens verbunden zu werden.



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