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Der Rekrut.

Der .... ner Friede war geschlossen, doch war das Verhältniß der beiden Höfe so gespannt, daß man durch ein politisches Fernrohr ohne viele Mühe die schwarzen Wolken gewahren konnte, die sich am Horizonte aufthürmten. Die Zurüstungen wurden mit Eifer betrieben, und alle Anzeigen waren da, daß der Wiederausbruch des Krieges nicht so gar fern sein könne.

In dieser Zeit war es, wo in dem Gasthause »zum schwarzen Bocke,« eines norddeutschen Städtchens, ein wüstes Treiben herrschte, trotz der späten Stunde, welche die übrigen Bewohner schon in tiefe Ruhe gewiegt hatte. Oben an der großen, eichenen Wirthstafel saß ein ....scher Werbeoffizier und blies dicke Dampfwolken unter seinem starken Schnauzbart hervor. Beide Unterarme hatte er bequem auf den Tisch gelehnt, so daß er mit den Fäusten den braunen Meerschaumkopf hielt. Ein Krug Dickbier und ein tüchtiger Rum standen vor ihm. Mit beiden geliebten Flüssigkeiten benetzte er wechselsweise seine durstige Kehle so häufig, daß seine lange, hagere Gestalt allgemach anfing, sich gemüthlich zu wiegen; doch behielt er, vermöge der langen Praxis in solchen Genüssen, noch so die Besinnung, durch den halben Rausch hindurch mit seinen verschmitzten Augen seine Umgebung genau zu beobachten. Weiter unten an demselben Tische saß ein Haufe Spieler, unter denen ein unbefangener Beobachter die Helfershelfer des Werbers bald erkennen konnte. Vor allen hatte die Natur einem rothhaarigen Kerl den Stempel der Gaunerei unverkennbar aufgedrückt. Er spielte mit drei Leuten, welche man ihrem Aeußern nach, für wandernde Handwerksbursche halten mußte, und fortwährend mit ausgezeichnetem Glücke. Es war nicht zu verwundern; denn hinter den Unglücksvögeln saß ein Kerl, welcher anscheinend einen gleichgiltigen Zuschauer abgab, doch stets durch geheime und gutverstandene Winke dem Rothkopf die Karten der Gegner verrieth, welche in ihrem Fuselrausch, die Schurkerei nicht ahnend, beständig durch Toben und Fluchen ihr Unglück verwünschten, doch stets hofften, ihr verlornes Wandergeld wieder zu gewinnen. Schmunzelnd wandte sich der Offizier zu dem neben ihm sitzenden Korporal und sagte in tiefem Bierbaß:

»Was meint Er, Rumpf, macht der Judas seine Sache nicht excellent? Ich will nicht Jonas Strauchmann heißen, wenn uns die Bursche nicht heut noch ins Garn laufen!«

»Da mögen Sie wohl Recht haben, Herr Lieutenant, denn viel Gutes scheint mir so nicht an den Burschen zu sein. Es wird uns nicht viel Mühe machen, sie zu kapern. Für ein tüchtiges Handgeld verkauft solch Gesindel Leib und Seele zugleich, und wenn es auch nur in der Hoffnung wäre, bald wieder davon zu laufen.«

»Nun dem läßt sich wohl vorbeugen, wenns weiter nichts ist! Mach' Er sich nur an sie, der Eine hat sich schon verschossen.«

Wirklich stand jetzt einer auf von dem Spieltisch, und nachdem er noch einen tüchtigen Zug aus der Spiritusflasche gethan hatte, setzte er sich still auf die Ecke der Bank und ließ den Kopf hangen, wohl mehr überwältigt vom Rausche, als vom Gefühl seines Verlustes.

»Ihr habt stark verloren, Freund,« sagte der Korporal, indem er sich zu ihm setzte, »wollt Ihr Euer Glück nicht weiter versuchen, oft schlägt es am Ende um.«

»Der Teufel hole das Spiel,« lallte jener, »ich kann nicht weiter spielen, all' mein Geld ist zum Henker. Wovon soll ich nun die Zeche bezahlen, wovon leben, bis ich ein Unterkommen finde?«

»Wenn es Euch darum so sehr zu thun ist, so werdet doch Soldat! – Da trinkt einmal – ein schöneres Leben könnt Ihr Euch gar nicht denken. Wie es heißt, giebt es bald wieder Krieg, und im Feindeslande gehört alles dem Soldaten. Ein gutes Handgeld bekommt Ihr obenein, und solch ein hübscher Bursche, als Ihr seid, kann es noch zu etwas bringen. Nun, schlagt ein, besinnt Euch nicht lange!« – Noch überlegte der Fremde, als sich bei den Spielern ein gewaltiger Lärm erhob. Der Eine von den Verlierern hatte durch falsches Spiel dem Dinge eine bessere Wendung geben wollen, war aber sogleich von dem Rothkopf darauf ertappt und erhielt von diesem unversehens eine solche Maulschelle, daß er beinahe von der Bank gestürzt wäre. Bald raffte er sich jedoch empor und ging seinem Gegner zu Leibe. Von seinem Kameraden unterstützt, hätte er diesen vielleicht übel zugerichtet, wenn der nicht seinerseits auch Hilfe von dem andern Gauner erhalten hätte. Bald waren diese Sieger und theilten tüchtig aus.

Bis dahin hatte der Offizier ruhig zugesehen, doch jetzt trat er dazwischen.

»Halt, was giebt's da?« herrschte er dem Rothkopf zu, indem er ihn beim Kragen faßte.

»Der Kerl hat falsch gespielt,« war die trotzige Antwort, »und darum habe ich ihm eins versetzt; aber der Hundsfott will sich nicht zufrieden geben, daher will ich ihn der Obrigkeit überliefern, daß er Mores lernt, der Lumpenhund!«

»Wenn das ist, so wird er seiner Strafe nicht entgehen; aber jetzt haltet Friede. Ich werde dafür sorgen, daß er ins Zuchthaus kommt.«

Die Bursche wußten gar nicht, wie ihnen geschah. All' ihr Geld hatten sie verloren, Schläge hatten sie bekommen, daß ihnen der Buckel blau war, und nun sollten sie noch zu allem Ueberfluß ins Zuchthaus. Da kam der Korporal und flüsterte ihnen zu: »Werdet doch Soldaten, Ihr Simpels, dann thut Euch kein Mensch mehr etwas, und anstatt ins Zuchthaus zu kommen, erhaltet Ihr ein gutes Handgeld!«

Der Eine erklärte sich sogleich bereit, und da der Andere sah, daß der, welcher zuerst aufgehört hatte zu spielen, unterdeß auch schon eingewilligt hatte, bedachte er sich nicht mehr lange.

»Herr Lieutenant,« sagte darauf der Korporal, »die Bursche wollen sich anwerben lassen.«

»Das ist vernünftig,« ließ sich da Herr Jonas vernehmen. »Nun ich sehe doch, daß Euer Verstandskasten noch nicht ganz ausgedörrt ist. Wartet, Jungens, sollt gleich auf die Gesundheit unsers Königs trinken. He, Wirth! – Wo steckt denn der schläfrige Dickbauch schon wieder? Schafft Rum herbei, das ist ein schöner Trank, Rum muß der Soldat trinken, wenn er zum erstenmal seinen König leben läßt. – So, Rumpf, nun trinke Er den Leuten zu, daß ihnen die Zunge geläufig wird, den Schwur ordentlich nachzusprechen. – Recht so! – Nun kommt her, jetzt sollt Ihr schwören!« Pathetisch zog er seinen Degen und wollte die Ceremonie des Schwörens beginnen, als die Rekruten doch erst noch einiges wegen des Handgeldes in Richtigkeit zu bringen wünschten.

»Aha, pfeift Ihr so? Nun, ich sehe, Ihr seid vorsichtig, kann auch zuweilen nichts schaden. Da habt Ihr jeder zehn Thaler, nun thut aber auch weiter nicht spröde.«

Zufrieden steckten die Kerls das geringe Handgeld ein, und leisteten dann mit schwerer Zunge den geforderten vorläufigen Schwur.

»Jetzt nehmt Eure sieben Sachen und geht,« sagte der Lieutenant im Kommandoton, »der Unteroffizier wird Euch in Eure Quartiere bringen; zugleich habt Ihr dann noch den Vortheil, daß Ihr kein Schlafgeld für die Nacht zu zahlen braucht.« Taumelnd suchten sie ihre leichten Reisebündel hervor, und wankten mit dem Korporal zur Thüre hinaus.

Jetzt war es ziemlich ruhig in der Herberge, nur in einer Ecke saßen noch die beiden Gauner und theilten das gewonnene Geld. Der Lieutenant Jonas that noch einen tüchtigen Zug aus dem steinernen Kruge, klopfte dann seine Pfeife aus und schickte sich an, ebenfalls nach Hause zu gehen, als sich ein Umstand ereignete, welcher den auf alles aufmerksamen Werber bewog, noch zu verweilen.

Es trat nämlich ein junger Mann in die Thüre, von hohem, schlankem Wuchs und gar einnehmendem Aeußern. Dicke braune Locken quollen unter dem schwarzen, verwegen auf ein Ohr gesetzten Mützchen hervor. Feurig blitzten seine Augen unter den hochgewölbten Braunen. Die nicht zu stark gebogene, römische Nase gab ihm ein kühnes Ansehn, und die frische herbstliche Nachtluft hatte seine Wangen mit hohem Roth überzogen. Ein Ränzelchen, das er auf dem Rücken trug und der kurze Rock, der ihm gar nicht übel stand, gaben ihm das Ansehn eines reisenden Studenten. Kurz grüßte er die Anwesenden, warf Ränzel, Mütze und Knotenstock auf den Tisch, rief nach dem Wirth und fragte, als dieser erschien, ob er noch etwas zum Imbiß bekommen und Herberge für die Nacht finden könnte. Der Wirth bejahte und ging, das Geforderte herbeizuschaffen.

»Das ist ein verteufelter Weg durch den Wald,« wandte er sich dann an den Offizier, »hatte mich schier verirrt darin. Nur gut, daß ich hier noch Licht sah und nicht erst lange zu klopfen brauchte.«

»Ja wohl,« meinte der, indem er sich bemühte, eine freundliche Miene anzunehmen, »Ihr mögt gehörig müde sein und auch wohl durchgekältet; kommt, setzt Euch zu mir und nehmt einen tüchtigen Schluck aus dem Glase da, dann kommt wieder Feuer in die Glieder. – Nun, laßt Euch nur nicht lange nöthigen, wir Soldaten lieben nicht viel Komplimente. – So, das ist recht, aber Ihr nippt ja, wie eine Jungfer!«

»Brrr! – Das macht, ich bin den Rum nicht gewohnt,« erwiederte lachend der junge Mann, »er ist mir zu stark und ich trinke ihn nur zuweilen.«

»Nun, hier ist auch Altbier, das beste in der Stadt und weit und breit berühmt, das wird Euch besser munden.«

Auch dazu ließ sich der Fremde nicht lange nöthigen und that einen herzhaften Zug; dann setzte er sich nieder und meinte scherzend:

»Man sollte es doch Euerm bärtigen Gesichte gar nicht ansehn, daß Ihr es Euch so angelegen sein ließet, einen Unbekannten zu erfrischen.«

»Ja,« schmunzelte der Werber, »das ist überhaupt meine Mode so, und vorzüglich habe ich gern mit so hübschen jungen Leuten, wie Ihr seid, was zu schaffen. Da denke ich immer so in Gedanken daran, wie hübsch Euch die Uniform stehen müßte, wenn Ihr Soldat wäret.«

»Dazu wird auch vielleicht noch einmal Rath,« meinte der junge Mann, »es ist ja in jetziger Zeit ohnehin das Klügste, vorzüglich wenn man nicht weiß, was man sonst anfangen soll.«

»Das heiße ich doch noch vernünftig gesprochen; aber leider giebt es jetzt wenig junge Leute, die zu der Einsicht gekommen sind. Die meisten verkriechen sich lieber zu Hause hinter den Ofen, als daß sie sich im freien Soldatenleben ein bischen frische Luft um die Nase wehen lassen. Gott verdamm' mich, Junge! als ich meiner Zeit noch so ein frischer Kerl war, konnte ich die Zeit nicht erwarten, daß ich den blanken Rock anziehen und sagen durfte: ›Jetzt bin ich Soldat!‹ – He Wirth, bring Er noch Rum und Altbier vom besten! – Das ist eine verständige Rede, Freund, und Ihr sollt sehen, Ihr werdet Euch nicht täuschen, wenn Ihr Euch tüchtige Hoffnungen macht. Solch ein schlanker, hübscher Bursche ist nirgend besser aufgehoben, als bei uns; da wird man was, Freund, vorzüglich wenn man was gelernt hat, und ob Ihr das habt, braucht man nicht erst zu fragen, das sieht man Euch an der Nase an. Also topp! Schlagt ein, hier ist meine Hand, morgen sollt Ihr Soldat sein!« –

»Hoho, so rasch geht es doch nicht! Ich meinte nur, daß es vielleicht noch einmal so kommen könnte.« –

»Ach was, macht nur keine Ausflüchte! denn wenn Ihr denkt, dadurch ein besseres Handgeld zu erhalten, so will ich Euch im Voraus schon versprechen, daß Ihr damit zufrieden sein sollt; denn Ihr gefallt mir. Meiner Seele! Es wäre Jammer und Schade, wenn solch ein Kerlchen auf ewig ein Federfuchser bleiben sollte. Ein braver Reitersmann sollt Ihr werden, in das schönste Husarenregiment will ich Euch bringen, und wenn sich dann nicht alle Weiber und Mädchen in ganz Europa in Euch verlieben, so will ich nicht Lieutenant Jonas sein.«

So und auf ähnliche Weise suchte der Werber mit unerschöpflicher Suade den Fremden, den er so günstig gestimmt fand, zu überreden; doch sollte es ihm heute noch nicht gelingen, denn fest schien es sich der Fremde vorgenommen zu haben, erst von seinem Marsche auszuruhen, bevor er sich anwerben ließe.

»Morgen,« sagte er endlich, »Herr Lieutenant, kommen Sie nur wieder, da werde ich nicht so viel Umstände machen.«

»Wie heißt Ihr denn aber, damit man doch nach Euch fragen kann.«

»Wilhelm Falk.«

»Daß mir der Falke nur nicht ausfliegt über Nacht, sonst bringt Ihr Euch selbst um den schönen Dolman, den ich Euch zugedacht habe; denn wenn Ihr Euch anderwärts anwerben ließet, fragte man gewiß nicht, ob Ihr zu Fuß oder zu Pferde dienen wolltet.«

»Sie haben nichts zu befürchten, Herr Lieutenant; wenn ich davon gehen wollte, so brauchte es gar nicht in der Nacht zu geschehen, sondern ich könnte es bei hellem, lichtem Sonnenschein thun.«

»Nun ich will mich darauf verlassen,« meinte der Lieutenant, und ging mißmuthig, daß er nicht sogleich seinen Zweck erreicht hatte, von dannen.

Wilhelm Falk, der während der Verhandlungen mit gutem Appetit sein Abendbrod verzehrt hatte, fragte nach seiner Schlafstelle; als ihm diese vom Wirthe in einem Kämmerchen angewiesen war, warf er sich ermüdet auf sein Lager, und bald schloß ein süßer Schlummer seine Augenlieder. –

Sein Schlaf war ruhig und sanft bis gegen Morgen, wo phantastische Träume ihn umgaukelten. Bald sah er sich im wilden Getümmel der Schlacht, bald verfolgt von einem tückischen Dämon in nicht gar unbekannter Gestalt; doch deutlich wurde er sich dessen nicht bewußt, denn dunkel nur und in Nebelgestalt schwebte alles an ihm vorüber; dann fand er sich wieder unter den Händen eines rauhen Korporals in der Dressur. Plötzlich aber fiel es wie Schuppen von seinen Augen. Er sah sich auf einer lieblichen Flur, von farbigen Blumen umduftet. Das Thal lag wie ein Lichtpunkt in einem Kranze von Anhöhen, über welche uralte Haine ein magisches Dunkel verbreiteten. Mitten durch das Thal rieselte ein klarer Bach, auf dessen reinem Grunde bunte schillernde Goldfischchen zwischen den Kieseln sich sonnten. In der Spiegelfläche des Wassers sah er sein eigenes Bild. Die knappe Uniform eines Husarenoffiziers umschloß seine schlanken Glieder; über der Stirn hatte er eine mächtige Hiebwunde, halbverdeckt von der Fülle der Locken; seine Wangen waren gebräunt und seine Züge männlich. Als er noch so in den hellen Spiegel hinunterschaute, sah er plötzlich das Bild einer andern Gestalt darin auftauchen; rasch blickte er um sich und gewahrte, sich gegenüber auf der andern Seite des Baches, eine weibliche Figur von so ätherischer Schönheit, daß er sich versucht fühlte, sie für die Nymphe des Gewässers zu halten. In der erhobenen Rechten hielt sie ihm einen Myrthenkranz entgegen, doch halb nur blickte sie ihn an; denn keusch hatte sie die Augen gesenkt. Die unnennbare Lieblichkeit ihrer Züge und die göttergleiche Form ihrer Glieder zog ihn unwiderstehlich hinüber. Mit gewaltigem Satz wollte er den scheidenden Bach überspringen, doch, während er schon das jenseitige Ufer erreicht glaubte, tauchte blitzschnell ein schilfumkränztes Haupt aus der Fluth mit langem Bart und ehrwürdigem Gesicht, wie der Vater Neptunus, und schleuderte ihn mit mächtiger Hand an das diesseitige Ufer zurück, daß er fast zu Boden taumelte. Trauernd ließ die Gestalt die Myrthenkrone sinken und blickte wehmüthig herüber. Sinnend stand er da und grollte über den feindlichen Meergott. Schon wollte er sich abwenden von der ihm unerreichbaren Myrthenkrone, da hörte er ein leises Säuseln, der Spiegel des Baches kräuselte sich vor der Macht eines leichten Windes. Lorbeerumkränzte Genien schwebten herbei, vom sanften Zephyr getragen, umschlangen ihn mit langen Guirlanden und trugen ihn dann, wie im Feentanze hinüber an das ersehnte Ufer. Kein Hinderniß legte ihm der greise Meergott mehr in den Weg. Jetzt stand er vor der jungfräulichen Gestalt und streckte seine Hand aus nach der dargebotenen Myrthe, als ihm noch die tückische Faust des Dämons, welcher ihm früher schon erschienen war, den Kranz entreißen und ihn selbst zurückschleudern wollte; doch blitzschnell wurde der Dämon im Nacken erfaßt von einer jugendlichen Kriegergestalt, und beide waren wieder verschwunden. Da endlich setzte er den erlangten Kranz auf sein Haupt, und ein unendliches Wonnegefühl durchzitterte seine Nerven, als die Jungfrau willig ihre Hand in seine dargebotene Rechte legte. –

»Heda, wacht auf, Freund Siebenschläfer!« sagte die tiefe Baßstimme des Werbers neben seinem Bette. »Es ist lange Tag und wir Soldaten sind gern früh munter. Hu, was Ihr doch für Gesichter schneidet! grade wie mein Korporal, wenn ich ihm die Rumflasche zeige und sie dann wieder in die Tasche stecke.«

Wilhelm strich sich mit der flachen Hand übers Gesicht, sprang dann rasch aus dem Bette und in zwei Minuten stand er angekleidet vor dem Offizier und sagte:

»Sehen sie, Herr Lieutenant, der junge Falke ist nicht ausgeflogen und bereit, sich von Ihnen metamorphosiren zu lassen.«

»Allons denn! Meister Rumpf steht schon vor der Thüre, Euch das Geleite zu geben.«

Heiteren Muthes ging Wilhelm zum Wirthe, bezahlte die geringe Zeche, nahm Ränzel und Stock und folgte dann seinem Führer in die Kaserne. Dort fand er schon eine ziemliche Menge neuangeworbener Rekruten zusammen, meistens liederliche Kerls, wenige, die noch einiger Maßen ordentlich aussahen und keinen, den er seiner besondern Bekanntschaft werth achten konnte. Bald war er vorläufig eingekleidet, hatte den Fahneneid geleistet und wartete dann ungeduldig der Zeit, die ihn zu dem Regimente führen sollte, für welches er geworben war. Schacherjuden durchstrichen das Gebäude, um den Rekruten ihr jetzt unnützes Zeug abzuhandeln; in rohen Zechgelagen wurde dann der geringe Ertrag verjubelt. Wilhelm ekelte dies Treiben an und obgleich er sich mit der Weigerung, Theil daran zunehmen, oft Sticheleien und plumpe Witze zuzog, so verhielt er sich doch dabei ganz gleichmüthig, als ob ihn das gar nicht rühre, und bald ließ man ihn in Ruhe. Die Kaserne durfte Niemand verlassen, deßhalb fühlte er oft drückende Langeweile und froh war er, als der Korporal Rumpf eines Tages mit wichtiger Miene verkündete, es wäre so eben ein Kommando vom Regimente angekommen, um Morgen mit dem Rekrutentransporte dahin zurückzukehren. Es sollten sich also Alle marschfertig halten, morgen früh ginge es fort.

Wie jubelte unserm Falk das Herz, als er am andern Morgen den Trompeter, den das Kommando begleitete, sein lustiges Stückchen blasen hörte. Da wurde Alles rege in den Quartieren, jeder raffte seine schon zurechtgelegten Sachen zusammen; in geschäftiger Eile suchte Einer noch dies, der Andere jenes Stückchen, Einer lief gegen den Andern, bis sich der ganze Trupp endlich vor dem Gebäude in zwei Gliedern aufgestellt hatte, um dem Kommandoführer übergeben zu werden. Jeder Name wurde verlesen, und als alles richtig befunden war, hieß es: »Rechts um! Marsch!« und schweigend ging der Zug zum Städtchen hinaus. Vor dem Thore wurde den Rekruten erlaubt, nach ihrer Bequemlichkeit außer Reih' und Glied zu marschiren. Die Husaren vertheilten sich hinten und vorn, zogen ihre Tabackspfeifen hervor und sangen ein lustiges Reiterlied in die frische Morgenluft hinein. Sehnsüchtig sah Wilhelm hinüber zu den lustigen Reitern und freute sich der Stunde, wo er auch als braver Reitersmann sein muthiges Roß tummeln könnte. Nach mehrern Tagemärschen gelangte der Transport an den Ort seiner Bestimmung. Auf einem freien Platze in der Stadt wurden die Leute aufgestellt; und bald kamen Offiziere, Unteroffiziere und Gemeine herbei, die Neulinge in Augenschein zu nehmen. Da kam auch der Kommandeur des Regiments, die Offiziere schlossen sich ihm an, als er die Front hinabschritt und jeden Einzelnen musterte. Wenige waren da, deren Gestalt ihn befriedigte, doch als er an Wilhelm kam, blieb er stehen und beschaute mit Wohlgefallen den schlank gewachsenen jungen Mann.

»Wie heißt Du, mein Sohn?« fragte er dann.

»Wilhelm Falk,« war die einfache Antwort.

»So! – Halte Dich nur gut, Bursche, und Du wirst gewiß ein tüchtiger Husar.«

Die Rekruten wurden verlos't; Wilhelm kam zur ersten Schwadron. Er hatte das Glück, in seinem Rittmeister einen wohlwollenden, wackern Kriegsmann zu finden. Sein Aeußeres war grade nicht Zutrauen erregend, indem sein langer Dienst und viele Feldzüge seinem Gesichte etwas militairisch Strenges gegeben und die Züge scharf gezeichnet hatten. Ein mächtiger Schnauzbart zierte sein gebräuntes, von vielen Narben durchfurchtes Gesicht. Keiner in der ganzen Schwadron wagte zu mucken, wenn seine hochgewachsene Gestalt mit den funkelnden Augen vor der Front hielt. Dabei war er jedoch ein äußerst braver und biederherziger Mann, der wissentlich Niemandem Unrecht that, und das Verdienst, wo er es fand, anerkannte. Dieser Mann nun trat vor die Abtheilung Rekruten, bei welcher Wilhelm sich befand, munterte sie mit einigen Worten zum Gehorsam und zur Pünktlichkeit im Dienst auf, theilte sie dann in vier Haufen, wovon jeder einem Unteroffizier zur speziellen Beaufsichtigung und Ausbildung übergeben wurde, und befahl dann, daß morgen früh, nachdem sie heute Nachmittag noch eingekleidet und einquartiert wären, das Exerciren seinen Anfang nehmen sollte.


Die Zeit der militairischen Ausbildung schraubte Wilhelms Enthusiasmus für das Husarenleben bedeutend herunter. Er hatte von Thaten und Schlachten geträumt, und das Soldatenleben nur immer von der Seite eines romantischen Kriegerlebens betrachtet, deßhalb kam ihm sein jetziger Zustand gewaltig nüchtern und prosaisch vor. Die militairische Haltung machte er sich bald zu eigen, das Exercitium hatte er bald begriffen, aber mit seinen Kameraden, deren Fassungsvermögen dem seinigen bei weitem nachstand, ging die Sache nicht so rasch, und so mußte er denn auch täglich wieder mit durchüben, was er längst inne hatte. Vor allem wollte ihm die Behandlung, die er so gut wie jeder Andere von den Korporals zu erdulden hatte, und die Art, wie ihm das Exercitium von ihnen beigebracht wurde, gar nicht zu Kopfe, besonders zu Anfang nicht. Es war auch kein Wunder, denn er bekam gleich am ersten Tage einen gehörigen Begriff von dem, was ihm bevorstände.

Als nämlich die Rekruten frühmorgens ihr sehr frugales Frühstück verzehrt hatten, und die Stunde schlug, welche sie zum Dienst rief, liefen sie eiligen Schritts auf den Apellplatz. Bald darauf erschien auch der Korporal Klaus, unter dessen Botmäßigkeit Wilhelm mit noch eilf seiner Genossen stand, strich sich seinen Bart und trat dem Gliede mit gebieterischer Miene näher.

»Still gestanden! – Richt't Euch!« kommandirte er dann mit einer Stimme, die wie die Posaune des Weltgerichts klang, jedoch so rauh und barsch, daß sich der erbärmlichste Dorfsiedler gewiß die Ohren zugehalten hätte und davongelaufen wäre. »Schwantke, steck' Er den Kopf nicht so vor, wie ein Truthahn! Du, Steffens, ziehst ihn wieder zurück, wie ein angestoßener Igel! Gott verdamm' mich, Kerl, ich hau' Dich über Deinen Futterkasten, daß Dir die Seele im Leibe pfeifen soll! – Links um! He, Kaunitz, Du thust ja, Kerl, als wolltest Du eine aufgetriebene Schweinsblase zertreten! – Gut, Falk, hältst den Oberleib gut, mußt Deinen Fuß nur weniger schonen. – Rechts um! – Hu, brrr! Das geht ja wie in der Stampfmühle! – Zwölf Mann, zwölf Tritt! Kerl, steh' Er nicht als wenn er Mausefallen verkaufte, und der Handel geht nicht! – Rührt Euch! – Kaunitz, was hast Du zu thun, wenn ein Unteroffizier in Deine Stube tritt?«

»Ich nehme die –«

»Steh' Er gerade, wenn ich mit Ihm spreche,« fuhr der Korporal zwischen die Antwort des Rekruten. – »Nun?«

»Ich stehe auf, nehme die Pfeife aus dem Munde und knöpfe die Jacke zu.«

»Recht so! und wenn Du einen Schluck hast, so giebst Du ihm auch einen. Gut, s' wird schon gehen! – Nun, Dahlitz, wenn ich Dich schicke, wirst Du gehen?«

»Zu Befehl!«

»Wenn ich Dich nun hinschicke, sollst mir 'nen Schnaps holen?«

»So muß ichs thun.«

»Recht so, und's Geld auslegen. Gott straf mich, Kerl, Du hast Verstand! Da hast Du meine Flasche, gebrauch' Deinen Grips einmal! Aber Kümmel, hörst Du, Kümmel, und spute Dich!«

Auf diese Weise suchte der würdige Korporal seinen Untergebenen die militairische Subordination praktisch klar zu machen, doch war er immer noch gnädig in solchen Nutzanwendungen im Vergleich mit andern seiner Kollegen. Er erstreckte seine Forderungen wenigstens nicht über das Vermögen seiner Leute hinaus, und war in anderer Hinsicht ein Mann, der auf seine Untergebenen etwas hielt, weshalb er sich auch stets eines unbedingten Zutrauens zu erfreuen hatte.

Nach einer kleinen Pause, die der Korporal noch mit einigen Instruktionen ausgefüllt hatte, kam der Fortgeschickte wieder zurück, holte die Flasche unter seiner Jacke hervor und reichte sie stumm und steif seinem Unteroffizier dar. Ein wohlgefälliges Lächeln erheiterte dessen Züge, er that einen herzhaften Schluck, betrachtete nochmals den Inhalt der Flasche, wahrscheinlich um dessen Dauerzeit zu prüfen, steckte sie alsdann in die Säbeltasche, und wandte sich wieder seinen Rekruten zu.

»Links um! Eskadron – Marsch! Kerl, Du Schwantke, Er marschirt ja wie'n junger Bär! Knie steif, Spitzen gesteckt, Füße nach außen, Oberleib vor, Bauch zurück, Kopf in die Höhe, Ellbogen zurück, Hände nach außen, ein – Tritt – links – rechts – links – rechts – einundzwanzig – zweiund – zwanzig, Ru – he, Ru – he! Na, Er Kerl, Er marschirt ja wie der Storch im Salat! Nehm' Er sich zusammen! Und Er, Falk, wie Er den Kopf hält, grade wie die Gänse wenns donnert!«

Unerschöpflich schien der Korporal in solchen Redensarten und Kraftausdrücken, und glaubte gar nicht, daß er dadurch seinen Rekruten schlimmer begegnete, als wenn er ihnen die Fehler mit einfachen Worten verwiesen hätte. – Im Allgemeinen hatte er auch damit wohl Recht, doch Falk fühlte sich stets im Innersten verletzt, wenn er sich von einem solchen Manne dergleichen Sachen sagen lassen mußte, bis Gewohnheit es ihm auch endlich erträglich machte, und da er sich bald sehr vortheilhaft vor den Uebrigen auszeichnete, so kam es auch immer seltener, daß ihn ein so kränkender Verweis traf.



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