Stefan Zweig
Joseph Fouché
Stefan Zweig

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Sechstes Kapitel

Der Kampf gegen den Kaiser

1810

Ein großes Beispiel verdirbt oder erhöht immer ein ganzes Geschlecht. Tritt ein Mann wie Napoleon Bonaparte in die Zeit, so trifft wohl alle Menschen seiner Nähe die Wahl, entweder sich klein zu machen vor ihm und spurlos vor seiner Größe zu verschwinden oder die eigene Kraft an seinem Beispiel ins Maßlose zu spannen. Die Männer um Napoleon können nur seine Sklaven werden oder seine Rivalen: solche überragende Gegenwart duldet auf die Dauer kein mittleres Maß.

Fouché ist einer von jenen, die Napoleon aus dem Gleichgewicht gerissen. Er hat ihm die Seele vergiftet mit dem gefährlichen Beispiel der Ungenügsamkeit, mit dem dämonischen Zwang, sich ständig zu übersteigern: auch er will nun, wie sein Herr, die Grenzen seiner Macht unablässig dehnen und spannen, auch er ist verloren für das stillgeruhige Beharren, für gemächliche Zufriedenheit. Darum welch eine Enttäuschung waren die Tage, da Napoleon als Triumphator wieder aus Schönbrunn heimkehrt und die Zügel selbst in die Hand nimmt! Wie herrlich waren die Monate, da man nach freiem Gutdünken schalten konnte, Armeen auftrommeln, Proklamationen erlassen, über den Kopf der ängstlichen Kollegen kühne Maßnahmen treffen, Herr sein endlich einmal über ein Land, Spieler am großen Tisch des Weltschicksals! Und jetzt soll Joseph Fouché wieder nichts als Polizeiminister sein, Unzufriedene und Zeitungsschwätzer überwachen, aus Spionenberichten täglich sein langweiliges Bulletin zusammenflicken, sich um Läppereien kümmern, etwa mit welcher Frau Talleyrand ein Verhältnis und wer gestern den Sturz der Rente an der Börse verschuldet habe. Nein, das ist, seit er die Hand im Weltgeschehen, am Steuer der großen Politik gefühlt, nur noch Kleinkram und verächtliche Papierkrümelei für diesen unruhigen, geschehnislüsternen Geist. Wer einmal mit so hohem Einsatz gespielt, findet sich nie mehr mit derlei Bagatellen zurecht. Lieber noch einmal zeigen, daß auch neben Napoleon Raum ist zu Taten –, dieser Gedanke will ihn nicht mehr loslassen.

Aber was wäre noch zu leisten neben Einem, der alles geleistet hat, der Rußland niedergeworfen, Deutschland, Österreich, Spanien und Italien, dem der Kaiser der ältesten Dynastie Europas eine Erzherzogin zur Gemahlin gibt, der den Papst und die Jahrtausende alte Vorherrschaft Roms gestürzt und von Paris aus ein europäisches Weltreich gegründet hat? Nervös, fieberhaft, eifersüchtig lugt der Ehrgeiz Fouchés nach allen Seiten auf der Suche nach einer Aufgabe. Und tatsächlich: in dem Gebäude der Weltherrschaft fehlt nur die letzte oberste Zinne, der Friede mit England, dann erst wäre das Werk vollendet. Und diese letzte europäische Tat will nun Joseph Fouché allein vollbringen, ohne Napoleon und gegen Napoleon.

England ist – 1809 noch genau wie 1795 – der Urfeind, der gefährlichste Gegner Frankreichs. Vor den Toren von Akkon, vor den Schanzen von Lissabon, an allen Enden der Welt ist Napoleons Wille gegen die nervenkalte, überlegte, methodische Kraft der Angelsachsen gestoßen, und während er alles Land Europas eroberte, haben sie ihm die andere Hälfte der Welt, das Meer, entrungen. Er kann sie nicht fassen und sie nicht ihn, beide mühen sie sich seit fast zwanzig Jahren in immer wieder erneuter Anstrengung, einer den andern zu erledigen. Beide haben sie sich in diesem widersinnigen Kampf fürchterlich geschwächt, und beide sind sie schon, ohne es einzugestehen, ein wenig müde. Die Banken in Frankreich, Antwerpen und Hamburg fallieren, seit die Engländer den Handel ihnen abwürgen; auf der Themse wiederum stauen sich die Schiffe mit unverkauften Waren, immer tiefer sinkt die englische wie die französische Rente, und in beiden Ländern treiben die Kaufleute, die Bankherren, die Vernunftsmenschen zur Verständigung und leiten ganz zaghaft leise Verhandlungen ein. Aber Napoleon scheint es wichtiger, daß sein brüderlicher Schwachkopf Joseph die Königskrone von Spanien behält und seine Schwester Karoline Neapel; so bricht er die mühsam über Holland angeknüpften Friedensverhandlungen ab und hämmert mit der Eisenfaust auf seine Verbündeten, daß sie die englischen Schiffe aussperren, ihre Waren ins Meer schütten, und schon gehen nach Rußland drohende Briefe, sich gleichfalls der Kontinentalsperre zu unterwerfen. Wieder einmal erwürgt Leidenschaft die Vernunft, und der Krieg droht sich zu verewigen, wenn nicht in letzter Stunde die Friedenspartei Mut faßt und zur Tat schreitet. Bei diesen frühzeitig abgerissenen Verhandlungen mit England hat auch Fouché seine Hände im Spiel gehabt. Er hat dem Kaiser und dem König von Holland den Vermittler besorgt, einen französischen Finanzmann, dieser einen holländischen, dieser dann seinerseits einen englischen; über die bewährte goldene Brücke gingen – wie während jedes Krieges und zu allen Zeiten – geheime Versuche zur Verständigung von Regierung zu Regierung. Jetzt aber hat der Kaiser brüsk befohlen, die Verhandlungen einzustellen. Das paßt Fouché nicht. Warum nicht weiter verhandeln? Verhandeln, Markten, Versprechen und Narren ist ja seine liebste Leidenschaft. So faßt er einen verwegenen Plan. Er beschließt, auf eigene Faust weiter zu verhandeln, allerdings scheinbar im Auftrag des Kaisers, also sowohl die eigenen Agenten wie das englische Amt im besten Glauben zu lassen, der Kaiser bemühe sich durch sie um den Frieden, während in Wahrheit einzig der Herzog von Otranto die Drähte zieht. Das ist ein tolles Stück, ein frecher Mißbrauch des kaiserlichen Namens und seines eigenen Ministeramts, eine welthistorische Frechheit ohnegleichen. Aber solche Geheimnisse, solche zweideutige und labyrinthische Spiele, nicht einen, sondern drei oder vier gleichzeitig zu mystifizieren, sind ja des geborenen und geschworenen Intriganten Fouché ureigentliche Leidenschaft. Wie ein Schuljunge die Grimasse hinter der Schulter des Lehrers, liebt er die Extratouren hinter dem Rücken des Kaisers, und genau wie der verwegene Bub riskiert er gerne Prügel oder einen Verweis um der bloßen Freude willen an der Frechheit, an dem Schwindel. Hundertmal, man hat es gesehen, ergötzt er sich an solchen politischen Seitensprüngen – niemals aber hat er sich eine kühnere, eigenmächtigere und gefährlichere Tat erlaubt, als scheinbar im Namen des Kaisers und in Wirklichkeit gegen dessen Willen mit dem englischen Außenamt über den Frieden zwischen Frankreich und England zu verhandeln. Die Zettelei ist genial vorbereitet. Er holt zu diesem Behuf einen seiner dunklen Finanzmänner heran, den Bankier Ouvrard, der schon ein paarmal mit dem Kopf an die Gefängniswand gestreift ist. Napoleon verabscheut diesen üblen Gesellen wegen seines schlechten Rufes, doch das stört Fouché wenig, der mit ihm zusammen an der Börse arbeitet. Bei diesem Mann weiß er sich sicher, denn er hat ihm zu verschiedenen Malen aus der Patsche geholfen und hat ihn fest an der Kandare. Diesen Ouvrard nun schickt er zu dem holländischen Bankier de Labouchère, einem tonangebenden Mann, der sich guten Glaubens an seinen Schwiegervater, den Bankier Baring in London, wendet, der ihn wiederum mit dem englischen Kabinett in Beziehung bringt. Und nun ergibt sich ein tolles Kreiselspiel: Ouvrard glaubt selbstverständlich, Fouché handle im Auftrag des Kaisers, und gibt seine Mitteilung als offiziell an die holländische Regierung weiter. Diese Versicherung genügt wieder den Engländern, die Verhandlungen durchaus ernst zu nehmen. So meint England, mit Napoleon zu verhandeln, und verhandelt nur mit Fouché, der sich natürlich sorgfältig hütet, den Kaiser von dem geheimen Fortgang zu verständigen. Er will erst die Sache schön ausreifen lassen, die Schwierigkeiten ausgleichen, um dann plötzlich als der Deus ex machina vor den Kaiser und das französische Volk zu treten und stolz zu sagen: »Hier ist der Friede mit England! Was alle wollten und alle begehrten, was keinem eurer Diplomaten gelang, das habe ich, der Herzog von Otranto, als Fleißaufgabe allein geleistet.«

 

Aber schade! Ein kleiner dummer Zufall stört dieses herrlich aufregende Schachspiel. Napoleon ist mit seiner jungen Frau Maria Louise nach Holland zum Besuche seines Bruders Ludwig gefahren. Rauschender Empfang läßt ihn die Politik vergessen. Aber eines Tages, bei einem zufälligen Gespräch, erkundigt sich sein Bruder König Ludwig, selbstverständlich wie alle andern voraussetzend, jene geheimen Verhandlungen mit England gingen im Einverständnis des Kaisers, nach den Fortschritten der Verständigung. Napoleon stutzt auf. Blitzhaft erinnert er sich, diesem verhaßten Ouvrard gerade in Antwerpen begegnet zu sein. Was geht da vor? Was hat dieses Hin und Her zwischen England und Holland zu bedeuten? Aber er läßt seine Überraschung nicht merken: nur ganz lässig bittet er seinen Bruder, er möchte ihm doch den Briefwechsel des holländischen Bankiers gelegentlich zustellen. Das geschieht sofort, und auf dem Rückweg von Holland nach Paris hat Napoleon Gelegenheit, ihn zu lesen: tatsächlich eine Verhandlung, von der er keine Ahnung hatte. Mit maßloser Wut wittert er sofort die Wilddiebfährte des Herzogs von Otranto, der wieder einmal auf fremdem Grunde pirscht. Aber selbst listig geworden an diesem Listigen, versteckt er zunächst seinen Verdacht unter hinterhältiger Höflichkeit, um den Geschmeidigen nicht zu warnen und auswischen zu lassen. Nur dem Kommandanten seiner Gendarmerie, Savary, dem Herzog von Rovigo, vertraut er sich an und befiehlt ihm, rasch und unauffällig den Bankier Ouvrard zu verhaften und sich aller seiner Papiere zu bemächtigen.

Dann erst, am 2. Juni, drei Stunden nach diesem Befehl, beruft er seine Minister nach Saint-Cloud und fragt grob und ohne Umschweife den Herzog von Otranto, inwieweit er Kenntnis habe von irgendwelchen Reisen des Bankiers Ouvrard, und ob er ihn am Ende selbst nach Amsterdam geschickt. Fouché, überrascht, aber noch lange nicht die Falle ahnend, in die er geraten, handelt wie gewöhnlich, wenn man ihn am Ärmel faßte; genau wie seinerzeit unter der Revolution mit Chaumette und unter dem Direktorium mit Baboeuf sucht er freizukommen, indem er seinen Spießgesellen glatt abschüttelt. Ach, Ouvrard, das sei so ein zudringlicher Mensch, der sich gern in allerhand Dinge einmenge, und außerdem sei die ganze Sache doch herzlich belanglos, eine Spielerei, eine Kinderei. Aber Napoleon hat einen harten Griff, er läßt nicht so leicht locker. »Das sind keine unbedeutenden Anzettelungen«, pafft ihn Napoleon an. »Das ist eine unerhörte Pflichtvergessenheit, wenn man sich erlaubt, mit dem Feind hinter dem Rücken seines Landesherrn zu unterhandeln, auf Bedingungen, die er nicht kennt und vermutlich nie genehmigen wird. Eine Pflichtverletzung ist das, die auch die schwächste Regierung nicht dulden würde. Ouvrard muß auf der Stelle verhaftet werden.« Nun wird es Fouché ungemütlich. Das fehlte noch, Ouvrard zu verhaften! Der würde aus der Schule schwatzen! So bemüht er sich mit allerhand Ausflüchten, den Kaiser von dieser Maßregel abzubringen. Aber der Kaiser, der weiß, daß zu dieser Stunde sein eigener Polizist den Bankier bereits hinter Schloß und Riegel hat, hört dem Entlarvten nur noch höhnisch zu. Er kennt jetzt den eigentlichen Anstifter dieser verwegenen Zettelei, und die bei Ouvrard beschlagnahmten Papiere enthüllen sehr bald Fouchés ganzes Spiel.

Nun bricht der Blitz aus der lange gesammelten Wolke des Mißtrauens. Am nächsten Tage, einem Sonntage, ruft Napoleon nach der Messe (man ist, obwohl man ein paar Jahre vorher noch den Papst verhaftete, als Schwiegersohn der Apostolischen Majestät wieder fromm geworden) alle Minister und Hofwürdenträger zum Morgenempfang. Ein einziger fehlt: der Herzog von Otranto. Obwohl Minister, ist er nicht gebeten. Der Kaiser läßt seinen Rat rings um den Tisch Platz nehmen und beginnt unvermittelt mit der Frage: »Wie denken Sie über einen Minister, der seine Stellung mißbraucht und ohne Wissen seines Herrschers einen Verkehr mit einer fremden Macht anknüpft? Der auf Grundlagen, die er sich nur selbst ausgedacht hat, Verhandlungen führt und derart die Politik des ganzen Landes bloßstellt? Welche Strafe findet sich in unseren Gesetzbüchern für eine solche Pflichtverletzung?« Nach dieser strengen Frage sieht der Kaiser im Kreise herum, zweifellos erwartend, nun würden alle seine Ratgeber und Kreaturen eilig Verbannung oder sonst eine schmachvolle Maßnahme vorschlagen. Aber siehe, die Minister, obwohl sofort erratend, gegen wen der Pfeil gezielt ist, hüllen sich in peinliches Schweigen. Im Grunde geben sie alle Fouché recht, daß er sich energisch um den Frieden bemüht habe, und als echte rechte Diener freuen sie sich über den verwegenen Streich, den er dem Autokraten gespielt. Talleyrand (nicht mehr Minister, aber als Großwürdenträger zu dieser wichtigen Angelegenheit berufen) lächelt leise in sich hinein, er erinnert sich seiner eigenen Demütigung vor zwei Jahren, und ihn ergötzt die Verlegenheit, in der sich jetzt Napoleon und anderseits Fouché befinden, die er beide nicht liebt. Endlich bricht der Großkanzler Cambacères das Schweigen und äußert vermittelnd: »Es ist dies ohne Zweifel ein Fehltritt, der strenge Strafe verdiente, es sei denn, daß der Schuldige durch ein Übermaß von Diensteifer sich zu diesem Irrtum verleiten ließ.« »Übermaß des Diensteifers!« fährt Napoleon zornig auf– die Antwort paßt ihm nicht, denn er will keine Entschuldigung, sondern strenges Exempel, eine augenfällige Bestrafung jeder Selbständigkeit. Aufgeregt erzählt er den ganzen Hergang und fordert die Anwesenden auf, ihm einen Nachfolger vorzuschlagen.

Aber wiederum: keiner der Minister beeilt sich, in so leidiger Sache mitzureden – die Angst vor Fouché kommt bei ihnen allen gleich hinter der Angst vor Napoleon. Schließlich hilft sich Talleyrand wie immer bei schwierigen Gelegenheiten mit einem geschickten Witzwort. Er wendet sich zu seinem Nachbar und sagt halblaut: »Ohne Zweifel hat Herr Fouché einen Fehler begangen, aber wenn ich ihm einen Nachfolger geben sollte, und ich würde ihm einen Nachfolger geben, so wäre es niemand anders als Herr Fouché selbst.« Unzufrieden über seine Minister, die er selbst zu Automaten und mutlosen Mamlucken gemacht, hebt Napoleon die Sitzung auf und ruft den Kanzler in sein Kabinett. »Wirklich, es ist nicht der Mühe wert, diese Herren zu befragen. Sie sehen, welche nützlichen Vorschläge man von ihnen zu erwarten hat. Aber Sie glauben doch nicht, daß ich ernstlich daran dachte, sie zu befragen, bevor ich selbst mit mir im reinen war. Meine Wahl ist getroffen, der Herzog von Rovigo wird Polizeiminister.« Und ohne daß sich dieser äußern kann, ob er zu solcher unangenehmen Nachfolge Neigung habe oder nicht, begrüßt ihn noch am selben Abend der Kaiser mit dem brüsken Befehl: »Sie sind Polizeiminister. Leisten Sie den Eid und gehen Sie an Ihre Arbeit!«

 

Die Entlassung Fouchés wird sofort Tagesgespräch, und mit einem Ruck stellt sich die ganze Öffentlichkeit auf seine Seite. Nichts hat diesem doppelzüngigen Minister so viele Sympathieen erworben als gerade sein Widerstand gegen das schrankenlose und für das an Freiheit gewöhnte französische Geschlecht schon unerträgliche Zarentum eines durch die Revolution hochgekommenen Mannes. Und niemand will außerdem einsehen, daß es ein strafwürdiges Verbrechen gewesen, auch gegen den Willen des Kriegswütigen endlich Frieden mit England zu suchen. Alle Parteien, die Royalisten, die Republikaner und die Jakobiner, und ebenso die auswärtigen Gesandten beklagen einmütig in dem Sturz des letzten freimütigen Ministers Napoleons die sichtliche Niederlage des Friedensgedankens, und sogar im eigenen Palast, in seinem eigenen Schlafzimmer muß Napoleon, ebenso wie bei seiner ersten Gattin Josephine, nun auch bei der zweiten, Maria Louise, einen Anwalt für Joseph Fouché finden. Der einzige Mensch in ihrer Umgebung, auf den sie ihr Vater, der Kaiser von Österreich, als vertrauenswürdig hingewiesen habe, sei nun entlassen, äußert sie betroffen. Nichts drückt deutlicher die wahre Stimmung des damaligen Frankreich aus, als daß Mißgunst des Kaisers das Ansehen eines Mannes in der Öffentlichkeit erhöht; und der neue Polizeiminister Savary faßt den niederschmetternden Eindruck von Fouchés Entlassung in die charakteristischen Worte zusammen: »Ich glaube, die Nachricht vom Ausbruch einer Pest hätte nicht mehr Schrecken verbreiten können als die meiner Ernennung zum Polizeiminister.« Wahrhaftig, er ist mit dem Kaiser stark geworden in diesen zehn Jahren, Joseph Fouché.

Auf welchem Weg, man weiß es nicht, muß auch der Rücklauf dieser Auswirkung bis zu Napoleon gelangt sein. Denn kaum, nachdem er Fouché den Stoß aus dem Amt gegeben, zieht er noch eilig Handschuhe über die Faust. Nachträglich wird die Entlassung, genau wie die erste 1802, noch vergoldet und als Verwendung in anderer Stelle maskiert. Dem Herzog von Otranto wird für den Verlust des Polizeiministeriums der Ehrentitel eines Staatsrates verliehen, und er wird zum Botschafter der Monarchie in Rom ernannt. Und nichts charakterisiert die zwischen Furcht und Zorn, zwischen Vorwurf und Dank, zwischen Erbitterung und Versöhnlichkeit schwankende Stimmung des Kaisers besser als der nur zum persönlichen Gebrauch bestimmte Abschiedsbrief. »Herr Herzog von Otranto, ich weiß, welche Dienste Sie mir geleistet haben, und glaube an Ihre Anhänglichkeit an meine Person und an Ihren Eifer für meinen Dienst. Dennoch ist es mir unmöglich, Ihnen die Ministerstelle zu lassen, ich würde mir dadurch zuviel vergeben. Die Stelle eines Polizeiministers verlangt volles, unbeschränktes Zutrauen, und dieses Zutrauen kann nicht mehr bestehen, seit Sie in einer wichtigen Angelegenheit meine Ruhe und die des Staates aufs Spiel gesetzt haben, was in meinen Augen selbst nicht durch löbliche Beweggründe entschuldigt werden kann. Ihre sonderbare Ansicht von den Pflichten eines Polizeiministers verträgt sich nicht mit dem Wohl des Staates. Ohne an Ihrer Anhänglichkeit und Treue zu zweifeln, müßte ich Sie doch einer steten ermüdenden Aufsicht unterwerfen, die mir nicht zugemutet werden kann. Ihre Beaufsichtigung wäre notwendig wegen der vielen Dinge, die Sie auf eigene Hand tun, ohne zu wissen, ob sie meinem Willen, meinen Absichten entsprechen .... Ich kann nicht hoffen, daß Sie Ihre Handlungsweise ändern, da schon seit Jahren auffallende Bezeigungen meines Mißfallens keine Änderung bei Ihnen bewirkt haben. Gestützt auf die Reinheit Ihrer Absichten haben Sie nicht begreifen wollen, daß man viel Unheil anrichten kann mit der Absicht, Gutes zu tun. Mein Vertrauen auf Ihre Begabung und Ihre Treue ist unerschüttert. Ich hoffe bald Gelegenheit zu finden, jenes zu beweisen und diese für meine Dienste zu benützen.« Dieser Brief schließt wie ein geheimer Schlüssel die innerste Beziehung Napoleons zu Fouché auf, und man nehme sich die Mühe, dieses kleine Meisterwerk ein zweites Mal zu lesen, um zu spüren, wie Wille und Gegenwille, Anerkennung und Abneigung, Furcht und geheime Achtung sich in jedem Satze überschneiden. Der Autokrat will einen Sklaven und ist erbittert, einen selbständigen Menschen zu finden. Er will sich seiner entledigen und fürchtet doch, sich ihn zum Feinde zu machen. Er bedauert, ihn zu verlieren, und ist gleichzeitig glücklich, den Gefährlichen los zu sein.

 

Aber mit Napoleons Selbstbewußtsein ist in gleichen Riesenmaßen auch das seines Ministers gewachsen, und die allgemeine Sympathie steift Joseph Fouché noch straffer den Rücken. Nein, so einfach läßt sich der Herzog von Otranto nicht mehr wegschicken. Napoleon soll sehen, wie sein Polizeiministerium aussieht, wenn man Joseph Fouché die Tür von außen zeigt, und sein Nachfolger soll merken, daß man sich in ein Wespennest setzt und nicht auf einen Ministersessel, wenn man die Kühnheit wagt, ihn ersetzen zu wollen. Nicht für einen plumpfingrigen Schnauzbart wie Savary, einen solchen diplomatischen Neuling, hat er in zehn Jahren dieses prachtvoll abgestimmte Instrument geschaffen, nicht dafür, daß ein Stümper darauf tölpisch weiterwerkele und als eigene Leistung ausgebe, was sein Vorgänger in mühevollen arbeitsamen Tagen und Nächten ersonnen. Nein, so bequem wie die beiden sichs vorstellen, soll es mit seiner Verabschiedung nicht werden. Sie sollen beide erfahren, Napoleon und Savary, daß ein Joseph Fouché nicht wie die andern bloß den krummen Rücken, sondern auch die Zähne zeigt.

Fouché ist entschlossen, nicht mit gesenktem Haupt wegzugehen. Er will keinen faulen Frieden, keine gelassene Kapitulation. Offenen Widerstand zu leisten, so töricht ist er freilich nicht, das liegt nicht in seiner Art. Nur ein Späßchen will er sich machen, ein kleines, witziges, munteres Späßchen, an dem Paris sich ergötzen und Savary lernen soll, daß es famose Fußangeln im Revier des Herzogs von Otranto gibt. Immer wieder muß an den merkwürdigen, diabolischen Charakterzug Joseph Fouchés erinnert werden, daß gerade seine äußerste Erbitterung eine grimmige Spaßlust erzeugt, daß sein Mut, wenn er sich steigert, nicht mannhaft wird, sondern ein grotesk-gefährlicher Über-Mut. Nie schlägt er, wenn ihm jemand nahe kommt, mit der Faust zu, sondern immer und gerade in der größten Erbitterung mit der Narrenpeitsche, freilich so, daß sie den andern zum Narren macht. Alles, was in diesem verhaltenen, verschlossenen Menschen an leidenschaftlichen Instinkten steckt, schäumt und moussiert bei solchen Gelegenheiten schußhaft heraus, und diese Momente der scheinbaren Lustigkeit im Zorn sind gleichzeitig diejenigen, die das Untergründig-Hitzige, das Dämonisch-Diabolische seiner Natur am besten enthüllen.

 

Ein scharfes Späßchen also für seinen Nachfolger! Das kann nicht schwer zu erfinden sein, zumal wenn man es mit einem arglosen Tölpel zu tun hat. Der Herzog von Otranto zieht also die Galauniform und eine besonders höfliche Miene an, um seinen Nachfolger bei seinem Antrittsbesuche zu empfangen. Und tatsächlich, kaum erscheint Savary, Herzog von Rovigo, da überströmt er ihn stürmisch mit Liebenswürdigkeiten. Nicht nur, daß er ihn beglückwünscht zu der sehr ehrenden Wahl des Kaisers, er bedankt sich geradezu, daß er ihm dieses Amt abgenommen habe, das ihn ermüde und ihm allzulange schon auf den Schultern laste. Ach, er sei jetzt so glücklich, so zufrieden, ein wenig ausruhen zu dürfen von der ungeheuerlichen Arbeit. Denn eine ungeheuerliche Arbeit, ja, eine undankbare Arbeit, das sei dies Ministerium – der Herzog werde dies bald selber sehen, besonders da er sie nicht gewohnt sei. Immerhin, er würde ihm gern gefällig sein, indem er das ein wenig ungeordnete Ministerium – die Entlassung habe ihn ja ziemlich unvorbereitet getroffen – rasch in gute Ordnung bringe. Freilich, das erfordere ein paar Tage Zeit, aber wenn der Herzog von Rovigo einverstanden sei, so wolle er, Fouché, gern diese kleine Mühe noch auf sich nehmen, und unterdes könnte ja auch seine Frau, die Herzogin von Otranto, die Übersiedlung bequem durchführen. Der gute Savary, der Herzog von Rovigo, spürt nicht den Pfeffer im Honig. Er ist nur freudig erstaunt über so viel Liebenswürdigkeit bei einem Mann, den doch alle als boshaft und verschlagen schildern, ja, er bedankt sich sogar noch höflich bei dem Herzog von Otranto für die außerordentliche Gefälligkeit. Natürlich solle er noch bleiben, solange es ihm nur passe; er verbeugt sich und schüttelt dem braven, allzu verkannten Fouché gerührt die Hand.

Wie schade, daß man das Gesicht Joseph Fouchés nicht sehen und nicht zeichnen konnte in dem Augenblick, da sich die Tür hinter seinem geprellten Nachfolger schloß. Dummkopf, glaubst du wirklich, ich werde dir noch Ordnung machen und die letzten Geheimnisse, die ich in zehn Jahren mühsamer Arbeit zusammengestückelt, für deine plumpen Flossen in geordneten Mappen übersichtlich und handlich hinlegen? Dir die Maschine noch ölen und sauber machen, meine wundervoll ersonnene, die so prächtig lautlos, Zahn in Zahn, Rad in Rad, unsichtbar aus einem ganzen Reiche Nachrichten in sich saugt und verarbeitet? Dummkopf, du wirst noch Augen machen!

Sofort beginnt ein tolles Treiben. Ein vertrauter Freund ist bestellt, ihm zu helfen. Sorgfältig wird die Tür zum Kabinett verriegelt, und nun werden alle wichtigen und geheimen Papiere hastig aus den Dossiers gerissen. Alle, die ihm einst noch als Waffen dienen können, die anklägerischen und verräterischen, nimmt sich Joseph Fouché zu privater Verwendung mit, die andern werden rücksichtslos verbrannt. Wozu braucht Herr Savary zu wissen, wer in dem vornehmen Viertel des Faubourg Saint-Germain, wer in der Armee, bei Hof Spitzeldienste leistet? Es könnte ihm die Arbeit zu leicht machen. Also ins Feuer mit den Listen! Nur die Namen der ganz wertlosen Zubringer und Angeber, der Hausmeister und Huren, von denen er ohnehin nichts Wichtiges erfährt, die mag er behalten. Blitzschnell leeren sich die Kartone. Die kostbaren Verzeichnisse mit den Namen der auswärtigen Royalisten, der Geheimkorrespondenten, verschwinden, künstlich wird überall Unordnung erzeugt, die Registratur zerstört, Akten werden mit falschen Nummern versehen, die Chiffren umgestellt und gleichzeitig die wichtigsten Angestellten des zukünftigen Ministers als Spione in geheimen Dienst genommen, damit sie dem ehemaligen und wirklichen Herrn geheim weiterberichten. Schraube um Schraube lockert und bricht Fouché heraus aus der riesigen Maschinerie, damit das Zahnwerk nicht mehr ineinandergreife und der Umschwung in den Händen des ahnungslosen Erben vollkommen stockt. Wie die Russen ihre heilige Stadt Moskau vor Napoleon verbrennen, damit er dort kein behagliches Quartier finde, so zerstört und unterminiert Fouché sein eigenes geliebtes Lebenswerk. Vier Tage, vier Nächte raucht der Kamin, vier Tage und vier Nächte dauert diese Teufelsarbeit. Und ohne daß jemand im Umkreis das geringste ahnt, flattern die Geheimnisse des Reichs als unfaßbare Materie zum Rauchfang hinaus oder wandern in die Schränke nach Ferrières.

Dann noch eine besonders höfliche, besonders liebenswürdige Verbeugung vor dem ahnungslosen Nachfolger: Bitte, nehmen Sie Platz! Ein Händedruck und ein verschlagen entgegengenommener Dank. Eigentlich sollte sich der Herzog von Otranto jetzt mit Eilpost nach Rom zu seiner Gesandtschaft begeben. Aber er zieht es vor, zunächst noch nach Ferrières auf sein Schloß zu reisen. Und dort wartet er, innerlich bebend vor Ungeduld und Lust, auf den ersten Zornschrei seines geprellten Nachfolgers, sobald der das Späßchen bemerken wird, das Joseph Fouché ihm gespielt hat.

 

Nicht wahr, das Stückchen ist herrlich ersonnen, raffiniert gespielt und verwegen zu Ende geführt? Nur leider, ein kleiner Denkfehler ist Joseph Fouché bei dieser muntern Mystifikation untergelaufen. Er denkt nämlich, mit dem unerfahrenen, frischgebackenen Herzog, diesem Ministersäugling sein Späßchen zu haben. Aber er vergißt, daß dieser Platzhalter zum Minister bestellt ist von einem Herrn, der nicht mit sich spaßen läßt. Ohnehin beobachtet schon Napoleon mißtrauischen Blicks das Verhalten Fouchés. Ihm gefällt dieses langwierige Zögern bei der Übergabe nicht, dieses endlose Hinausziehen der Reise nach Rom. Außerdem hat die Untersuchung gegen Ouvrard, den Helfershelfer Fouchés, ein unerwartetes Resultat erbracht, nämlich daß Fouché schon vorher einem andern Zwischenträger Noten an das englische Kabinett mitgegeben hat. Und mit Napoleon zu spaßen, ist bisher noch niemand gut bekommen. Plötzlich, am 17. Juni, saust wie ein Peitschenhieb ein schneidendes Billett nach Ferrières hinüber: »Herr Herzog von Otranto, ich ersuche Sie, mir jenen Bericht zu übersenden, den Sie, um Lord Wellesley zu sondieren, einem Herrn Fagan übergaben, der Ihnen von diesem Lord eine Antwort brachte, die mir niemals bekannt geworden ist.« Dieser harte Fanfarenton könnte einen Toten aufwecken. Aber Fouché, ganz betrunken von Selbstgefühl und Übermut, beeilt sich nicht mit der Antwort. Inzwischen ist in den Tuilerien Öl ins Feuer geflossen. Savary hat die Plünderung des Polizeiministeriums entdeckt und bestürzt dem Kaiser gemeldet. Sofort saust ein zweites Billett, ein drittes hinüber, unverzüglich »das ganze Ministerportefeuille« auszuliefern. Der Kabinettssekretär überbringt den Befehl persönlich und hat Auftrag, sofort die widerrechtlich entnommenen Papiere dem Herzog von Otranto abzunehmen. Der Spaß ist zu Ende, der Kampf beginnt.

 

Der Spaß ist zu Ende, wahrhaftig: Fouché sollte das jetzt einsehen. Aber es ist, als ob ihn der Teufel ritte, sich ganz ernstlich mit Napoleon, mit dem stärksten Mann der Welt, zu messen. Denn er erklärt dem Abgesandten, glatt gegen die Wahrheit, er bedaure unendlich, aber er habe keine Briefe. Er habe alle verbrannt. Das glaubt natürlich Fouché kein Mensch, und am wenigsten Napoleon. Ein zweites Mal läßt er ihn mahnen, härter, dringlicher: man kennt seine Ungeduld. Aber jetzt wird Unbesonnenheit zum Trotz, Trotz zu Frechheit, Frechheit zu Herausforderung. Denn Fouché wiederholt, er habe kein Blatt mehr, und begründet diese angebliche Vernichtung der Privatdokumente des Kaisers in einer geradezu erpresserischen Art. Seine Majestät habe ihn, sagt er höhnisch, mit solchem Vertrauen geehrt, daß, wenn einer seiner Brüder seinen Unwillen hervorrief, er ihn beauftragt hätte, sie zur Pflicht zurückzuführen. Und da nun jeder der Brüder dann seinerseits seine Beschwerden mitteilte, habe er es für seine Pflicht gehalten, solche Briefe nicht aufzubewahren. Auch seien die Schwestern Seiner Majestät nicht immer vor Verleumdungen geschützt gewesen, und der Kaiser selbst habe ihn der Mitteilung aller jener Gerüchte gewürdigt und beauftragt, nachzuforschen, welche Unklugheiten dazu Ursachen gegeben hatten. Das ist deutlich und mehr als deutlich: Fouché deutet dem Kaiser an, daß er viel wisse und mit sich nicht umspringen lassen wolle wie mit einem Lakaien. Der Bote versteht die erpresserische Drohung und wird Mühe gehabt haben, eine so verwegene Antwort seinem Herrn in eine erträgliche Form zu übersetzen. Nun bricht der Kaiser los. Er tobt dermaßen, daß der Herzog von Massa ihn beruhigen muß und, um die ärgerliche Sache endlich beizulegen, sich erbietet, persönlich den Widerspenstigen zur Auslieferung der hinterzogenen Papiere zu mahnen. Eine zweite Mahnung ergeht durch den neuen Polizeiminister, den Herzog von Rovigo. Aber auf alles antwortet Fouché mit gleicher Höflichkeit und Entschlossenheit: leider, leider, leider, aber in allzu großer Diskretion habe er die Papiere verbrannt. Zum erstenmal bietet ein Mann in Frankreich dem Kaiser offen Trotz.

 

Das ist zuviel. So wie Napoleon durch zehn Jahre Fouché, so hat Fouché Napoleon unterschätzt, wenn er glaubt, ihn durch ein paar Indiskretionen einschüchtern zu können. Ihm Trotz bieten vor allen Ministern, ihm, dem der Zar Alexander, der Kaiser von Österreich, der König von Sachsen ihre Töchter angeboten haben, vor dem sämtliche deutschen und italienischen Könige wie Schuljungen zittern! Ihm, dem alle Heere Europas nicht widerstehen konnten, will diese fahle Mumie, dieser dürre Intrigant im noch nicht ausgetragenen Herzogsmantel Gehorsam verweigern? Nein, so läßt man mit sich nicht spaßen, wenn man Napoleon ist. Sofort beruft er den Chef der Privatpolizei, Dubois, ergeht sich vor ihm in den wütendsten Ausbrüchen gegen den »miserablen, niederträchtigen Fouché«. Mit harten hallenden Schritten geht er zornig auf und ab und schreit dann plötzlich los. »Aber er soll nicht hoffen, mit mir tun zu können, was er mit seinem Gott, mit dem Konvent und dem Direktorium getan, die er niederträchtig verriet und verkaufte. Ich habe bessere Augen als Barras, mit mir wird er nicht so leichtes Spiel haben, aber ich rate ihm, auf der Hut zu sein. Ich weiß, er hat Noten und Instruktionen von mir, ich bestehe darauf, daß er sie mir zurückgibt. Wenn er es verweigert, dann übergeben Sie ihn sofort zehn Gendarmen und lassen Sie ihn ins Gefängnis führen, und bei Gott, ich werde ihm zeigen, wie schnell man einen Prozeß führen kann.«

Nun wird die Sache brenzlich. Nun beginnt sie sogar einem Fouché in die Nase zu beizen. Als Dubois jetzt erscheint, muß Fouché sichs gefallen lassen, daß ihm, dem Herzog von Otranto, dem ehemaligen Polizeiminister, von seinem eigenen ehemaligen Untergebenen die Siegel an alle Briefschaften angelegt werden, eine Sache, die gefährlich werden könnte, wenn nicht natürlich längst der Vorsichtige die eigentlichen und wichtigen beiseite geschafft hätte. Aber immerhin, ihm beginnt aufzudämmern, daß er mit dem Kopf gegen die Wand gerannt ist. In fliegender Eile schreibt er jetzt Brief auf Brief, einen an den Kaiser, andere an die einzelnen Minister, um sich zu beklagen über das Mißtrauen, das man ihm, dem ehrlichsten, dem aufrichtigsten, dem charaktervollsten, dem treuestergebenen Minister entgegenbringe, und in einem dieser Briefe ergötzt man sich insbesondere an dem bezaubernden Satz: »II n'est pas dans mon caractère de changer« (tatsächlich, schwarz auf weiß, sind diese Worte von dem Charakterchamäleon Fouché eigenhändig hingeschrieben). Und genau wie fünfzehn Jahre vorher bei Robespierre hofft er durch eine rasche Versöhnung noch dem Unheil zuvorzukommen. Er nimmt einen Wagen, fährt nach Paris, um dem Kaiser persönlich seine Erklärungen oder wohl schon Entschuldigungen abzugeben.

Aber schon ist es zu spät. Er hat zu lange gespielt, zu lange gespaßt, jetzt gibt es keine Aussöhnung, keinen Ausgleich mehr; wer öffentlich Napoleon herausgefordert, muß öffentlich erniedrigt werden. Ein Brief wird an ihn gerichtet, so muskelhart und messerscharf, wie Napoleon kaum jemals an einen andern Minister geschrieben. Er ist sehr kurz, dieser Brief, dieser Fußtritt: »Herr Herzog von Otranto, Ihre Dienste können mir nicht weiterhin erwünscht sein. Sie haben innerhalb vierundzwanzig Stunden nach Ihrer Senatorie abzureisen.« Kein Wort mehr von der Ernennung zum Gesandten in Rom; nackte brutale Entlassung und dazu noch Verbannung. Gleichzeitig erhält der Polizeiminister den Befehl, über die sofortige Ausführung des Edikts zu wachen.

 

Die Spannung ist allzu groß gewesen, das Spiel zu verwegen, nun geschieht das Unerwartete: Fouché bricht völlig zusammen, wie ein Nachtwandler, der, ahnungslos über alle Dächer kletternd, von einem harten Anruf plötzlich erweckt, aus Schreck über die eigene tolle Lage in die Tiefe saust. Derselbe Mann, der zwei Schritte vor der Guillotine nüchtern und klardenkend geblieben, sackt unter dem Hieb Napoleons erbärmlich zusammen.

Dieser dritte Juni 1810 ist Joseph Fouchés Waterloo. Die Nerven reißen ihm durch, er stürzt zum Minister um einen Auslandspaß, erjagt, in jeder Station die Pferde wechselnd, ohne Aufenthalt bis nach Italien. Dort rennt er, wie eine rasende Ratte über brennenden Herd, kreuz und quer von Ort zu Ort. Bald ist er in Parma, bald in Florenz, bald in Pisa, bald in Livorno, statt, wie vorgeschrieben, sich in seine Senatorie zu begeben. Aber die Panik schüttelt ihn zu wild. Nur außer Reichweite Napoleons sein, nur außer der Griffspanne dieser furchtbaren Hand! Selbst Italien scheint ihm nicht sicher genug, es ist immerhin noch Europa und ganz Europa diesem schrecklichen Manne Untertan. So mietet er in Livorno ein Schiff, um nach Amerika, Land der Sicherheit, Land der Freiheit, hinüberzusetzen, aber er wird von Sturm, Seekrankheit und der Angst vor englischen Kreuzern zurückgetrieben, und nun saust der Wahnwitzige wieder im Wagen im Zickzack von Hafen zu Hafen, von Stadt zu Stadt, bettelt die Schwestern Napoleons, die Fürsten, die Freunde um Hilfe an, verschwindet, taucht wieder zum Ärger der Polizeibeamten auf, die seine Spur suchen und immer wieder verlieren, kurzum, er gebärdet sich vollkommen toll, völlig irrsinnig vor Angst und bietet zum erstenmal, er, der Nervenlose, ein geradezu klinisches Beispiel eines völligen Nervenzusammenbruchs. Nie hat Napoleon mit einer einzigen Geste, mit einem bloßen Faustschlag vollständiger einen Gegner zerschmettert als hier diesen kühnsten und kaltblütigsten seiner Diener.

Dieses Verstecken und Auftauchen, dieses fiebrige Hin und Her dauert Tage, dauert Wochen, ohne daß man genau erraten könnte (auch sein meisterhafter Biograph Madelin weiß es nicht und wahrscheinlich er selber nicht), was und wohin er in dieser Zeit wollte. Es scheint, nur im rollenden Wagen fühlt er sich sicher vor der eingebildeten Rache Napoleons, der zweifellos längst nicht mehr daran denkt, dem ungebärdigen Diener ernstlich an den Kragen zu gehen. Nur seinen Willen hat Napoleon behaupten wollen, seine Papiere zurückhaben, und diesen Willen setzt er durch. Denn während der Rasende, der hysterisch Gewordene, in Italien überall die Postpferde zu Tode hetzt, handelt seine Frau in Paris bedeutend vernünftiger. Sie kapituliert für ihn. Es kann kein Zweifel bestehen, daß die Herzogin von Otranto, um ihren Mann zu retten, damals die von ihm tückisch zurückgehaltenen Papiere auf diskrete Art Napoleon wieder eingehändigt hat, denn niemals ist mehr eines jener intimen Blätter, auf die Fouché erpresserisch hindeutete, in die Öffentlichkeit gelangt. Ebenso wie bei Barras, dem der Kaiser die Papiere abkaufte, und bei den andern lästigen Vertrauten seines Aufstiegs, ist der schriftliche Besitz Fouchés, soweit er auf Napoleon Bezug hatte, spurlos verschwunden. Entweder hat Napoleon selbst oder später Napoleon der Dritte allen Dokumenten, die der offiziellen Napoleon-Darstellung nicht genehm waren, völlig den Garaus gemacht.

Nun erhält Fouché endlich die gnädige Erlaubnis, sich zurück auf seine Senatorie nach Aix zu begeben. Das große Gewitter hat sich verzogen, der Blitz nur die Nerven gerüttelt, nicht das innere Mark getroffen. Am 25. September langt der Gehetzte auf seinem Gute an, »blaß und müde und durch die Zusammenhanglosigkeit seiner Gedanken und Reden eine vollkommene Verstörung verratend«. Aber es wird ihm reichlich Zeit gelassen werden, seine Nerven zu erholen, denn wer sich einmal aufgelehnt hat gegen Napoleon, der ist für lange Zeit aller öffentlichen Geschäfte enthoben. Der Ehrgeizige muß sein grimmiges Späßchen bezahlen: wieder wirft ihn die Welle in die Tiefe. Drei Jahre bleibt Joseph Fouché ohne Würde und Amt: sein drittes Exil hat begonnen.


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