Stefan Zweig
Joseph Fouché
Stefan Zweig

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel

Minister des Kaisers

1804 – 1811

1802 zieht sich Joseph Fouché oder nein – Seine Exzellenz der Herr Senator Joseph Fouché, auf den sanft nachdrücklichen Wunsch des Ersten Konsuls in das Privatleben zurück, aus dem er vor zehn Jahren emporgestiegen. Unglaubliches Jahrzehnt, menschenmörderisch und schicksalsvoll, weltverwandelnd und lebensgefährlich – aber Joseph Fouché hat solche Zeit gut zu nutzen gewußt. Nicht, wie 1794, flüchtet er in eine ungeheizte, erbärmliche Dachmansarde zurück, sondern er kauft sich ein schönes wohlausgestattetes Haus in der Rue Cerutti, das einst einem der ›niederträchtigen Aristokraten‹ oder ›infamen Reichen‹ gehört haben mochte. In Ferrières, der zukünftigen Residenz der Rothschild, richtet er sich den prächtigsten Sommersitz ein, und sein Fürstentum in der Provence, die Senatorie von Aix, schickt ihm fleißig Einnahmen. Auch sonst meistert er vorbildlich die edle Alchimistenkunst, aus allem Gold zu machen. Seine Schützlinge an der Börse beteiligen ihn an ihren Geschäften, er erweitert vorteilhaft seinen Grundbesitz – ein paar Jahre noch, und der Mann des ersten kommunistischen Manifestes wird der zweitreichste Bürger Frankreichs, der größte Grundbesitzer im Lande sein. Aus dem Tiger von Lyon ist ein guter Hamster geworden, ein kluger, sparsamer Kapitalist und Zinsenkünstler. Dieser phantastische Reichtum des politischen Emporkömmlings ändert aber nichts an seiner eingeborenen und dann in Klosterzucht beharrlich geübten Bedürfnislosigkeit. Mit fünfzehn Millionen lebt Joseph Fouché persönlich kaum anders, als da er mühsam die täglichen fünfzehn Sous in seiner Mansarde zusammenkratzte; er raucht nicht, er trinkt nicht, er spielt nicht, er gibt kein Geld für Frauen oder Eitelkeiten aus. Ganz wie ein biederer Landjunker geht er mit seinen Kindern – drei neue wurden den beiden an Entbehrungen zugrunde gegangenen nachgeboren – friedlich auf seinen Wiesen spazieren, gibt gelegentlich kleine Gesellschaften, hört zu, wenn Freunde seiner Frau Musik machen, liest Bücher und freut sich an klugen Gesprächen: ganz tief, ganz ungreifbar unten in diesem nüchternen, knöchernen Bürgermenschen versteckt sich seine dämonische Lust am Hasardspiel der Politik, an den Spannungen und Gefahren des Weltspiels. Seine Nachbarn sehen nichts von alledem, nur den biedern Gutsverwalter, den ausgezeichneten Familienvater, den zärtlichen Gatten. Und keiner, der ihn nicht vom Amte her kennt, ahnt die hinter heiterer Schweigsamkeit immer unruhiger zurückgestaute Leidenschaft, sich wieder vorzudrängen und einzumengen.

Denn, Medusenblick der Macht! Wer einmal in ihr Antlitz gesehen, kann nicht mehr den Blick von ihr wenden, bleibt bezaubert und gebannt. Wer einmal die Rauschlust des Herrschens und Gebietens geübt, vermag ihr nie mehr zu entsagen. Man durchblättere die Weltgeschichte nach Beispielen freiwilligen Entsagens: außer Sulla und Karl V. findet man unter Tausenden und Zehntausenden von Gestalten kaum ein Dutzend, die gesättigten Herzens und klaren Sinns der fast frevlerischen Lust entsagten, Schicksal für Millionen zu spielen. So wenig eben wie ein Spieler vom Spiel, der Trinker vom Trunk, der Wilddieb von der Jagd kann Joseph Fouché vom Politischen lassen. Die Ruhe quält ihn, und indes er heiter, mit gut geheuchelter Gleichgültigkeit den Cincinnatus am Pfluge mimt, brennen ihm schon die Finger und zucken ihm die Nerven, wieder politische Karten zu fassen. Obwohl aus dem Dienst entlassen, setzt er den Polizeidienst freiwillig fort, und um die Feder zu üben, um nicht ganz in Vergessenheit zu geraten, schickt er dem Ersten Konsul allwöchentlich geheime Informationen. Das amüsiert, das beschäftigt auf unverbindliche Art seinen Intrigantengeist, ohne ihn doch wahrhaft zu befriedigen, und sein scheinbares Abseitsstehen ist nichts als ein fieberhaftes Warten, endlich wieder die Zügel in die Hand zu reißen, Macht über Menschen zu spüren, Macht über das Weltschicksal, Macht!

Bonaparte bemerkt an vielen Anzeichen Fouchés vordrängende Ungeduld, aber er geruht sie zu übersehen. Solange er diesen unheimlich klugen, unheimlich arbeitsamen Mann von sich weghalten kann, wird er ihn im Dunkel lassen; seit man begonnen hat, die eigenwillige Kraft in diesem unterirdischen Menschen zu kennen, nimmt niemand Fouché in Dienst, der ihn nicht gerade unbedingt und zum Gefährlichsten braucht. Der Konsul erweist ihm allerlei Gunst, verwendet ihn zu allerhand Geschäften, dankt ihm für die guten Informationen, lädt ihn ab und zu in den Kronrat und läßt ihn vor allem verdienen und sich bereichern, damit er sich ruhig verhalte; eines aber weigert er sich hartnäckig, solange es nur angeht: ihn wieder einzusetzen und das Polizeiministerium neu aufzurichten. Solange Bonaparte stark ist, solange er keinen Fehler macht, benötigt er keinen so bedenklichen und überklugen Diener.

Zum Glück für Fouché macht aber Bonaparte Fehler. Vor allem den welthistorischen und unverzeihlichen: daß es ihm nicht mehr genügt, Bonaparte zu sein, daß er außer der Sicherheit in sich selbst, außer dem Triumph seiner Einmaligkeit den fahlen Glanz der Legitimität, den Prunk eines Titels begehrt. Der niemand zu fürchten brauchte dank seiner Kraft, seiner einzig gewaltigen Persönlichkeit, ängstigt sich vor den Schatten der Vergangenheit, vor dem ohnmächtigen Nimbus der vertriebenen Bourbonen. Und so läßt er sich von Talleyrand verleiten, unter Bruch des Völkerrechts, den Herzog von Enghien aus neutralem Gebiet durch Gendarmen holen und erschießen zu lassen – eine Tat, für die Fouché das berühmte Wort erfunden hat: »Es war mehr als ein Verbrechen, es war ein Fehler.« Diese Hinrichtung schafft um Bonaparte einen luftleeren Raum von Furcht und Entsetzen, von Unwillen und Haß. Und bald wird es ihm rätlich erscheinen, sich wieder unter die Deckung des tausendäugigen Argus, unter den Schutz der Polizei zu begeben.

Und dann, und dies vor allem: im Jahre 1804 benötigt der Konsul Bonaparte abermals einen geschickten und skrupellosen Helfer für seinen höchsten Aufstieg. Er braucht wieder einen Steigbügelhalter. Was vor zwei Jahren ihm noch als höchste Erfüllung des Ehrgeizes vorgeschwebt, das Konsulat auf Lebenszeit, dünkt dem von allen Schwingen des Erfolgs Emporgerissenen schon wieder nicht genug. Nicht bloß erster Bürger unter Bürgern will er mehr sein, sondern Herr und Herrscher über Untertanen, ihn gelüstet es, die heiße Stirn mit dem goldenen Reif einer Kaiserkrone zu kühlen. Wer aber Cäsar werden will, bedarf eines Antonius, und obwohl Fouché lange die Rolle des Brutus gespielt (früher sogar die des Catilina), zeigt er sich, ausgehungert durch zwei Jahre politischen Fastens, vollkommen willig, aus dem zum Sumpf gewordenen Senat diese Kaiserkrone herauszufischen. Als Speck für die Angel dienen Geld und gute Versprechungen, und so erlebt die Welt das seltsame Schauspiel, daß der ehemalige Präsident des Jakobinerklubs und nunmehrige Exzellenz in den Gängen des Senats verdächtige Händedrücke tauscht und so lange drängt und flüstert, bis endlich ein paar gefällige Byzantiner den Antrag stellen, man möchte ›eine Einrichtung schaffen, die für immer die Hoffnung der Verschwörer zerstöre, indem sie die Dauer der Regierung über das Leben des Führers hinaus garantiere‹. Schneidet man den Schwulst dieser Phrase auf, so findet man als Kern die Absicht, den lebenslänglichen Konsul Bonaparte in den Erbkaiser Napoleon zu verwandeln. Und aus Fouchés Feder (die ebensogut mit Öl schreibt wie mit Blut) stammt wahrscheinlich jene hündisch unterwürfige Petition des Senats, die Bonaparte auffordert, ›sein Werk zu vollenden, indem er es unsterblich gestalte‹. Wenige haben wackerer mitgeschaufelt an dem endgültigen Grab der Republik als Joseph Fouché de Nantes, Exdeputierter des Konvents, Expräsident des Jakobinerklubs der ›Mitrailleur de Lyon‹, der Bekämpfer der Tyrannen und vormals republikanischeste aller Republikaner.

Die Belohnung bleibt nicht aus. So wie einst der Bürger Fouché vom Bürger Konsul Bonaparte, so wird nun 1804 nach zwei Jahren goldenen Exils Seine Exzellenz der Herr Senator Fouché von Seiner Majestät dem Kaiser Napoleon abermals zum Minister ernannt. Zum fünften Mal leistet Joseph Fouché einen Treueid – der erste galt der damals noch königlichen Regierung, der zweite der Republik, der dritte dem Direktorium, der vierte dem Konsulat. Aber Fouché ist erst fünfundvierzig Jahre alt: wie viel Zeit bleibt da noch für neue Eide, neue Treue und Untreue! Und mit ausgeruhter Kraft stürzt er sich wieder in das altgeliebte Element von Wind und Welle, eidpflichtig dem neuen Kaiser und doch nur verschworen seiner eigenen unruhigen Lust.

Ein Jahrzehnt stehen nun auf der Bühne der Weltgeschichte – oder vielmehr auf der Hinterbühne – die beiden Gestalten einander gegenüber, Napoleon und Fouché, schicksalsmäßig zusammengekettet trotz eines beiderseitigen hellseherischen Widerstandes. Napoleon liebt Fouché nicht und Fouché nicht Napoleon – voll geheimer Abneigung bedienen sie sich einer des andern, einzig durch die Anziehung feindlicher Pole gebunden. Fouché weiß genau um die Dämonie, die großartige und gefährliche Napoleons; er weiß, daß die Welt in Jahrzehnten nicht wieder ein derart überlegenes Genie schaffen wird, so wertwürdig, ihm zu dienen. Napoleon wiederum weiß sich von keinem so blitzschnell verstanden wie von diesem nüchternen, hellen, klarreflektierenden Spiegel- und Spionenblick, von diesem arbeitsamen, zu allem, dem Besten wie dem Bösesten gleich verwendbaren politischen Talent, dem zum vollendeten Diener nur eins fehlt: die Unbedingtheit der Hingabe, die Treue.

Denn Fouché wird niemals und niemandes Diener und noch weniger Lakai. Nie opfert er seine geistige Selbständigkeit, seinen Eigenwillen einer fremden Sache vollkommen auf. Im Gegenteil: Je mehr nun die alten Republikaner, als neuer Adel verkleidet, dem Nimbus des Imperators verfallen, je mehr sie aus Ratgebern zu Schmeichlern und Speichelleckern herabsinken, um so mehr steift und strafft sich Fouchés Rücken. Freilich, mit offenem Widerspruch, mit blanker Gegenmeinung kann man dem rechthaberischen, immer mehr cäsarisch gewordenen Kaiser nicht mehr entgegentreten, denn längst ist im Palais der Tuilerien die offenherzige Kameradschaft, die freie Aussprache von Bürger zu Bürger abgeschafft; der Kaiser Napoleon, der sich von seinen alten Kriegskameraden und selbst (wie müssen sie gelächelt haben!) von seinen eigenen Brüdern nur noch mit ›Sire‹ ansprechen und von keinem sterblichen Wesen außer seiner Frau mehr duzen läßt, wünscht nicht mehr von seinen Ministern beraten zu werden. Nicht mehr wie früher, also im lockern Jabot mit freiem Kragen und ungezwungenem Schritt, tritt jetzt der Bürger Minister Fouché zum Bürger Konsul Bonaparte hinein, sondern, den goldgestickten Kragen steif und hoch um den Hals gestemmt, eingemummt in die pompöse Hofuniform, mit schwarzen Seidenstrümpfen und spiegelnden Schuhen, beklebt mit Orden, den Hut in der Hand, so begibt sich jetzt der Minister Joseph Fouché in eine Art Audienz zum Kaiser Napoleon: der ›Herr‹ Fouché muß vor dem einstigen Mitverschworenen und Kameraden sich zunächst respektvoll verneigen, ehe er ihn mit ›Eure Majestät‹ ansprechen darf. Mit einer Verbeugung muß er kommen, mit einer Verbeugung sich empfehlen, widerspruchslos die brüsk gegebenen Befehle entgegennehmen, statt intimere Besprechungen zu pflegen. Gegen die Meinung dieses stürmischsten aller Willensmenschen gibt es keinen Widerstand.

Zumindest keinen offenen. Fouché kennt Napoleon zu genau, um bei verschiedener Willensmeinung ihm die seine aufzwingen zu wollen. Er läßt sich befehlen, kommandieren wie alle die andern Schmeichler und servilen Minister der Kaiserzeit; nur mit dem einen kleinen Unterschied, daß er diesen Befehlen nicht immer gehorcht. Sind ihm Verhaftungen aufgetragen, die er selber nicht billigt, so läßt er vorher die Bedrohten leise warnen, oder wenn er sie strafen muß, so betont er überall, daß dies ausdrücklich auf Befehl des Kaisers, nicht auf seinen eigenen Wunsch hin geschehe. Gefälligkeiten und Liebenswürdigkeiten teilt er dagegen immer als eigene Gnaden aus. Je herrischer Napoleon sich offenbart – und in der Tat, es ist erstaunlich, wie sein von Anfang an herrschsüchtiges Temperament an der immer weiteren Macht stets hemmungsloser und autokratischer wird –, um so liebenswürdiger, um so konzilianter gebärdet sich Fouché. Und so, ohne ein Wort gegen den Kaiser, nur mit kleinen Winken, Lächeln und Schweigen bildet er allein eine sichtbare und doch niemals faßbare Opposition gegen das neue Gottesgnadentum. Ihm selbst Wahrheiten aufzudrängen, diese gefährliche Mühe nimmt er sich längst nicht mehr; man hat, er weiß es, bei Kaisern und Königen, selbst wenn sie früher Bonaparte hießen, dafür keine Verwendung. Nur unter der Hand schiebt er ihm boshafterweise manchmal Aufrichtigkeiten als Schmuggelware in seine täglichen Berichte ein. Statt zu sagen ›ich meine‹, ›ich denke‹ und sich wegen dieses seines selbständigen Meinens und Denkens rüffeln zu lassen, schreibt er in seine Rapporte ›man erzählt sich‹ oder ›ein Gesandter hätte gesagt‹; auf diese Art praktiziert er fast immer in die tägliche Trüffelpastete der pikanten Neuigkeiten auch ein paar Pfefferkörner über die kaiserliche Familie. Mit blasser Lippe muß Napoleon allen Schmutz, alle Schande seiner Schwestern als ›bösartige Gerüchte‹ verzeichnet lesen und dazu gut eingebeizte Bosheiten über sich selbst, scharfe, brennende Notizen, mit denen die geschickte Hand Fouchés das Bulletin absichtsvoll durchwürzt. Ohne selbst ein Wort auszusprechen, serviert der vertrackte Diener von Zeit zu Zeit seinem ungemütlichen Herrn unwillkommene Wahrheiten und sieht, höflich und unbeteiligt bei der Lektüre dabeistehend, wie der harte Herr an ihnen würgt. So übt Fouché kleine Rache an dem Leutnant Bonaparte, der, seit er selbst den Kaiserrock angezogen, seine einstigen Berater nur zitternd mit krummen Rücken vor sich zu sehen wünscht.

 

Man sieht: zwischen diesen beiden Männern steht keine freundliche Luft. Wie Fouché kein angenehmer Diener für Napoleon, so ist Napoleon kein angenehmer Herr für Fouché. Nicht ein einziges Mal läßt er sich lässig und treugläubig einen Polizeibericht auf den Tisch legen. Jede einzelne Zeile durchforscht er mit seinem Falkenblick auf die kleinste Unstimmigkeit, das geringste Versehen; dann donnert er los, schimpft seinen Minister zusammen wie einen Schuljungen, ganz der korsischen Hemmungslosigkeit seines Temperamentes hingegeben. Die Türsteher, Schlüssellochgucker, Ministerratskollegen berichten übereinstimmend, wie gerade die gegensätzliche Kaltblütigkeit im Widerstand Fouchés den Kaiser erbitterte. Aber auch ohne ihr Zeugnis (denn alle Memoiren jener Zeit soll man nur mit der Lupe lesen) wüßte man Bescheid, denn man hört die harte, scharfe Kommandostimme selbst in den Briefen lospoltern: ›Ich finde, daß die Polizei nicht mit dem nötigen Nachdruck die Bewachung der Presse durchführt‹, schulmeistert er den alten erfahrenen Meister, oder er rüffelt ihn zurecht: »Man möchte glauben, daß man im Polizeiministerium nicht lesen kann: dort wird für gar nichts gesorgt.« Oder: »Ich lege Ihnen nahe, sich im Rahmen Ihrer Tätigkeit zu halten und sich nicht in die auswärtigen Angelegenheiten zu mischen.« Napoleon putzt ihn, man weiß es aus hundert Berichten, auch vor Zeugen, vor den Adjutanten und dem Staatsrat schonungslos herunter, und wenn ihm der Zorn auf den Lippen schäumt, zögert er nicht, ihn sogar an Lyon, seine terroristische Zeit zu erinnern, ihn einen Königsmörder, einen Verräter zu nennen. Aber Fouché, der glaskalte Beobachter, der nach zehn Jahren die ganze Klaviatur dieser Zornausbrüche kennt, der weiß, daß sie manchmal dem heißen Manne unbeherrscht aus dem Blut blitzen, aber auch, daß Napoleon sie manchmal schauspielerhaft, mit hellem Bewußtsein einschaltet, er läßt sich weder von den echten noch von den theatralischen Gewittern einschüchtern wie etwa der österreichische Minister Cobenzl, der zitternd zusammenschreckte, als der Kaiser ihm ein kostbares Porzellangefäß vor die Füße warf; er läßt sich nicht irremachen, weder von dem vorgekurbelten Scheinzorn noch von der wirklichen Wut des Kaisers. Mit seinem farblosen, maskenhaften, kalkigen Gesicht bleibt er, ohne ein Zucken in den Augenwinkeln, ohne mit einem Nerv Erregung zu verraten, unter diesem prasselnden Wortguß gemächlich stehen – nur kräuselt vielleicht, wenn er das Zimmer verläßt, ein ironisches oder böses Lächeln seine dünnen Lippen. Er zittert nicht einmal, wenn ihn der Kaiser anschreit: »Sie sind ein Verräter, ich sollte Sie erschießen lassen«, sondern antwortet, ohne der Stimme einen andern Akzent zu geben, geschäftsmäßig: »Ich bin nicht dieser Meinung, Sire.« Hundertmal läßt er sich kündigen, Verbannung und Amtsentsetzung androhen und verläßt doch ruhig das Zimmer, vollkommen gewiß, daß der Kaiser ihn am nächsten Tage wieder rufen wird. Und immer behält er recht. Denn trotz seines Mißtrauens, seines Zorns und seines heimlichen Hasses kann Napoleon sich ein Jahrzehnt bis zur letzten Stunde Fouchés nie gänzlich entledigen.

Diese Macht Fouchés über Napoleon, ein Rätsel für alle Zeitgenossen, hat aber nichts Magisches und Hypnotisches. Sie ist eine erworbene, eine durch Fleiß und Geschicklichkeit und systematische Beobachtung errechnete, erarbeitete Macht. Fouché weiß viel, er weiß sogar zu viel. Er kennt nicht nur dank der Mitteilsamkeit des Kaisers, sondern auch gegen dessen Willen alle kaiserlichen Geheimnisse und hält wie das ganze Reich auch seinen Herrn durch restlose und fast magische Informiertheit in Schach. Durch des Kaisers eigene Frau, Josephine, kennt er die intimsten Details seines Ehebettes, durch Barras jeden Schritt auf der Wendeltreppe seines Aufstiegs; er kontrolliert vermöge der eigenen Verbindung mit den Geldmännern die ganzen privaten Vermögensverhältnisse des Kaisers, ihm entgeht keine der hundert schmutzigen Angelegenheiten der Bonapartischen Familie, der Spielaffären seiner Brüder, der Messalinenabenteuer Paulinens. Und auch die ehelichen Seitensprünge seines Herrn bleiben ihm nicht verborgen. Wenn Napoleon um elf Uhr nachts, in einen fremden Mantel gehüllt und beinahe vermummt, durch eine geheime Seitentür der Tuilerien zu einer Geliebten schleicht, weiß Fouché am nächsten Morgen, wohin der Wagen gefahren, wie lange der Kaiser in jenem Hause geblieben, wann er zurückgekehrt, ja er kann sogar einmal den Herrscher der Welt mit der Mitteilung beschämen, daß diese Auserwählte ihn, einen Napoleon, mit einem weniger gut ausgewählten Bühnenschwengel betrügt. Jedes wichtige Schreiben aus dem Kabinett des Kaisers wandert dank eines bestochenen Sekretärs in Abschrift zu Fouché, und manche unter den Lakaien höheren und niedern Grades beziehen monatlichen Zuschuß aus der Geheimkasse des Polizeiministers für verläßliche Hinterbringung aller Palastgespräche: bei Tag und Nacht, bei Tisch und im Bett wird Napoleon beobachtet von seinem übereifrigen Diener. Unmöglich, vor ihm ein Geheimnis zu verstecken: so ist der Kaiser gezwungen, sich ihm anzuvertrauen, ob er will oder nicht. Und dieses Wissen um alles und jedes schafft die einzige Macht Fouchés über Menschen, die Balzac so sehr bewunderte.

Mit der gleichen Sorgfalt aber, mit der Fouché alle Angelegenheiten, Pläne, Gedanken und Worte des Kaisers überwacht, bemüht er sich, ihm seine eigenen zu verschweigen. Fouché vertraut weder dem Kaiser noch sonst irgend jemand jemals seine wirklichen Absichten und Arbeiten an; er liefert von seinem riesigen Nachrichtenmaterial nur gerade das ab, was ihm beliebt. Alles andere bleibt in der Schreibtischlade des Polizeiministers verschlossen; in diese letzte Zitadelle läßt Fouché niemand hineinblicken, ja er setzt seine Leidenschaft, seine einzige, ganz an die eine herrliche Lust, unerratbar zu bleiben, undurchdringlich, undurchschaubar, ein Posten, den niemand in seine Rechnung stellen kann. Vergeblich darum, daß Napoleon ihm ein paar Spione in den Pelz setzt – Fouché hält sie zum Narren oder nützt sie sogar noch aus, um vollkommen falsche und blamable Berichte an den geprellten Auftraggeber durch sie zurückzuadressieren. Mit den Jahren wird dieses Spiel von Spionage und Gegenspionage zwischen den beiden immer listiger und gehässiger, ihre Einstellung geradezu offen unaufrichtig – nein, wahrhaftig, es steht keine klare durchsichtige Luft zwischen diesen beiden Männern, von denen der eine zuviel Herr sein will und der andere zuwenig Diener. Je stärker Napoleon, desto lästiger wird ihm Fouché. Je stärker Fouché, desto verhaßter ihm Napoleon.

 

Hinter diese private Gegnerschaft geistiger Andersartung stellt sich allmählich die ganze riesenhaft anwachsende Spannung der Zeit. Denn von Jahr zu Jahr zeichnet sich innerhalb Frankreichs immer deutlicher ein Wille und ein Gegenwille ab: das Land will endlich einmal Frieden, Napoleon aber immer und immer wieder Krieg. Der Bonaparte von Achtzehnhundert, Erbe und Ordner der Revolution, war mit seinem Land, mit seinem Volk, mit seinen Ministern noch völlig eins; der Napoleon von 1804, der Kaiser des neuen Jahrzehnts, denkt längst an sein Land, sein Volk nicht mehr, sondern einzig an Europa, an die Welt, an die Unsterblichkeit. Nachdem er die ihm anvertraute Aufgabe meisterlich gelöst, legt er sich aus dem Übermaß seiner Kraft neue, schwerere Aufgaben auf, und der das Chaos in Ordnung gewandelt, reißt gewaltsam die eigene Tat, die eigene Ordnung ins Chaos zurück. Nicht sei damit gesagt, daß sein Verstand, sein diamantklarer und diamantscharfer, sich verwirrt hätte, durchaus nicht: Napoleons bei aller Dämonie mathematisch genauer und präziser Intellekt bleibt großartig wach bis in die letzte Sekunde, da der Sterbende mit zitternder Hand sein Testament, dies Werk seiner Werke, niederschreibt. Aber dieser sein Verstand hat längst das irdische Maß verloren, und wie könnte es anders sein nach solcher Erfüllung des Unwahrscheinlichen! Wie sollte nach solchen unerhörten Gewinnen gegen alle Regel des Weltspiels die Seele, an so maßlosen Einsatz gewöhnt, die Lust nicht überkommen, das Unglaubliche noch zu überbieten durch Unglaublicheres! Napoleon ist so wenig geistig verwirrt, selbst in seinen tollsten Abenteuern, wie Alexander, Karl der Zwölfte oder Cortez. Er hat nur wie jene an unerhörten Siegen das reale Maß des Möglichen verloren, und gerade dies Rasen bei hellichtem Verstände, ein großartiges Naturschauspiel des Geistes, herrlich wie ein Mistralsturm bei klarem Himmel, bringt jene Taten hervor, die gleichzeitig Verbrechen eines einzigen Menschen an hunderttausenden sind und doch legendarische Bereicherung der Menschheit. Der Alexander-Zug von Griechenland bis nach Indien – noch heute märchenhaft, wenn man ihn mit dem Finger auf der Karte nachzeichnet –, die Cortez-Fahrt, der Marsch Karls des Zwölften von Stockholm bis Poltawa, die Karawane von sechshunderttausend Menschen, die Napoleon von Spanien bis Moskau schleift: diese Großtaten gleichzeitig des Muts und des Über-Muts sind in unserer neuzeitlichen Geschichte, was die Kämpfe des Prometheus und der Titanen gegen die Götter im griechischen Mythos: Hybris und Heldentum, jedenfalls aber das schon frevelhafte Maximum aller irdischen Erreichbarkeit. Und diesem äußersten Maß strebt Napoleon, kaum daß er die Kaiserkrone um die Schläfen fühlt, unaufhaltsam zu. Mit den Erfolgen wachsen seine Ziele, mit den Siegen seine Verwegenheit, mit den Triumphen über das Schicksal die Lust, es immer verwegener herauszufordern. Nichts natürlicher darum, als daß die andern Menschen rings um ihn, sofern sie nicht betäubt sind von den Fanfaren der Siegesbulletins und nicht geblendet von den Erfolgen, daß die gleichzeitig Klugen und Besonnenen wie Talleyrand und Fouché zu schauern beginnen. Sie denken an die Zeit, an die Gegenwart, an Frankreich, – Napoleon einzig an die Nachwelt, an die Legende, an die Geschichte.

Dieser Gegensatz zwischen Vernunft und Leidenschaft, zwischen den logischen und den dämonischen Charakteren, ewig sich wiederholend in der Geschichte, tritt in Frankreich bald nach der Jahrhundertwende hinter den Gestalten hervor. Der Krieg hat Napoleon groß gemacht, hat ihn aus dem Nichts empor auf einen Kaiserthron gehoben. Was natürlicher darum, als daß er immer wieder Krieg will und immer noch größere, gewaltigere Gegner. Schon rein zahlenmäßig steigern sich seine Einsätze ins Phantastische. Bei Marengo, 1800, hat er mit dreißigtausend Menschen gesiegt, fünf Jahre später stellt er schon dreihunderttausend Mann ins Feld, und abermals fünf Jahre später reißt er bereits eine Million Wehrhafter aus dem ausgebluteten, kriegsmüden Land. Dem letzten Troßknecht in seinem Heer, dem dümmsten Bauern könnte mans mit Fingerabzählen begreiflich machen, daß solche Guerromanie und Courromanie (Stendhal hat dieses Wort geprägt) schließlich zu einer Katastrophe führen müsse, und prophetisch sagt Fouché einmal während eines Gespräches zu Metternich, fünf Jahre vor Moskau: »Wenn er euch geschlagen haben wird, so bleibt nur Rußland übrig und China.« Nur einer begreift es nicht oder hält sich die Hand vor den Blick: Napoleon. Wer die Sekunde von Austerlitz erlebt und dann jene von Marengo und Eylau, immer in zwei Stunden zusammengepreßte Weltgeschichte, dem kann es nicht mehr Spannung oder Befriedigung bedeuten, auf Hofbällen uniformierte Schranzen zu empfangen, in der festlich geschmückten Oper zu sitzen, langweilige Deputierte reden zu hören –, nein, längst fühlt er seine Nerven nur noch beben, wenn er an der Spitze seiner Truppen in Eilmärschen ganze Länder überrennt, Armeen zerschmettert, mit lässiger Fingerbewegung Könige wie Schachfiguren von ihrem Platze rückt und andere an ihre Stelle setzt, wenn der Invalidendom zu einem rauschenden Wald von Fahnen wird und die neugegründete Schatzkammer sich mit dem kostbaren Raub ganz Europas füllt. Er denkt nur noch in Regimentern, in Armeekorps, in Armeen, er betrachtet längst Frankreich, das ganze Land, die ganze Welt nur noch als Einsatz, als ihm schrankenlos zugehöriges Eigentum (›La France c'est moi‹). Aber einige unter den Seinen beharren innerlich auf der Ansicht, daß Frankreich zuerst sich selber gehöre, daß seine Menschen, seine Bürger nicht dazu dienen sollen, die korsische Sippe zu Königen zu machen und ganz Europa zu einem bonapartischen Fideikommiß. Mit steigendem Unwillen sehen sie, wie Jahr für Jahr die Konskriptionslisten an die Tore der Städte gehämmert werden, die Achtzehnjährigen, die Neunzehnjährigen aus den Häusern gerissen, um an den Grenzen Portugals, in den Schneewüsten Polens und Rußlands sinnlos zugrunde zu gehen oder zumindest für einen Sinn, der nicht mehr zu erfassen ist. So entsteht zwischen ihm, der immer nur zu seinen Sternen aufblickt, und den Klarsichtigen, welche die Müdigkeit und Ungeduld des eigenen Landes sehen, ein immer erbitterterer Gegensatz. Und da sich sein herrisch gewordener, autokratischer Geist auch von den Nächsten nicht mehr beraten läßt, beginnen sie heimlich nachzusinnen, wie man dieses wahnwitzig rollende Rad anhalten und vor seinem unvermeidlichen Sturz in den Abgrund retten könne. Denn der Augenblick muß kommen, wo Vernunft und Leidenschaft sich endgültig entzweien und offen befehden, wo der Kampf ausbricht zwischen Napoleon und den Klügsten seiner Diener.

Talleyrand

François Gérard: Talleyrand

Dieser geheime Widerstand gegen Napoleons Kriegsleidenschaft und Unmaß führt endlich sogar die erbittertsten Gegner unter seinen Ratgebern zusammen: Fouché und Talleyrand. Diese beiden fähigsten Minister Napoleons, die psychologisch interessantesten Menschen seiner Epoche, lieben einander nicht – wahrscheinlich, weil sie in vielem einander zu ähnlich sind. Beide sind sie nüchterne, realistische Klardenker, Zyniker und rücksichtslose Jünger Machiavells. Beide sind sie durch die Schule der Kirche und die hitzige Hochschule der Revolution gegangen, beide haben sie die gleiche gewissenlose Kaltblütigkeit in Dingen des Geldes und der Ehre, beide dienen sie gleich untreu, mit der gleichen Skrupellosigkeit der Republik, dem Direktorium, dem Konsulat, dem Kaiserreich und dem König. Unablässig begegnen sich – als Revolutionäre, als Senatoren, als Minister, als Königsdiener verkleidet – diese beiden Charakterspieler des Wankelmuts auf der gleichen Bühne der Weltgeschichte; und eben weil sie gleicher geistiger Rasse sind und gleiche diplomatische Rolle ihnen zugeteilt wird, hassen sie einander mit der kühlen Kenntnis und dem guten Groll von Rivalen.

Sie gehören beide demselben amoralischen Typus an; aber stammt ihre Ähnlichkeit aus dem Charakter, so ihre Verschiedenheit aus der Herkunft. Talleyrand, als Herzog von Périgord, als Erzbischof von Autun ein blutgeborener alter Adelsfürst, trägt bereits die violette Toga als geistlicher Herr einer ganzen französischen Provinz, während der kleine schäbige Kaufmannssohn Joseph Fouché noch als verachteter kleiner Priesterprofessor seinem Dutzend Klosterschüler für ein paar Sous monatlich Mathematik und Latein einbüffelt. Jener ist schon Geschäftsträger der Französischen Republik in London und berühmter Wortführer der Generalstände, da dieser in den Klubs mit Schmeichelei und Betriebsamkeit erst sein Mandat herausfischt. Talleyrand kommt von oben herab in die Revolution, er steigt wie ein Herrscher aus seiner Karosse, mit ehrfürchtigem Jubel begrüßt, ein paar Stufen hinab zum dritten Stand, während Fouché sich mühsam zu ihm hinauf intrigiert. Aus dieser Verschiedenheit ihrer Herkunft erhält ihre gleiche Grundeigenschaft besondere Farbe. Talleyrand dient, der Mann der großen Allüren, mit der gleichgültigen kühlen Herablassung eines Grandseigneurs, Fouché mit der beflissenen und verschlagenen Emsigkeit eines streberischen Beamten. Worin sie einander ähnlich sind, sind sie auch gleichzeitig verschieden, und wenn sie beide das Geld lieben, so Talleyrand auf Edelmannsart, um es zu verschwenden, am Spieltisch und mit Frauen Gold üppig wegströmen zu lassen, Fouché, der Kaufmannssohn, um es kapitalistisch und zinsbar zu raffen und sparsam aufzutürmen. Talleyrand bedeutet Macht nur ein Mittel zum Genuß, sie schafft ihm beste und nobelste Gelegenheit, alle sinnlichen Dinge der Erde, als da sind Luxus, Frauen, Kunst und köstliche Tafel, sich hörig zu machen, indes Fouché auch als vielfacher Millionär spartanischer und klosterhafter Sparfuchs bleibt. Beide können sie nie völlig aus ihrer gesellschaftlichen Herkunft heraus: niemals, auch in den wildesten Tagen des Terrors nicht, wird der Herzog von Périgord, wird Talleyrand echter Volksmann und Republikaner, niemals, auch als neugebackener Herzog von Otranto, trotz aller goldblitzenden Uniform, Joseph Fouché wirklicher Aristokrat werden.

Der blendendere, der bezauberndere, vielleicht auch der bedeutendere von beiden ist Talleyrand. Aus musischer und uralter Kultur geformter, vom Esprit des achtzehnten Jahrhunderts geschmeidigter Geist, liebt er das diplomatische Spiel als eins von den vielen anderen Spannungsspielen des Daseins, aber er haßt die Arbeit. Ungern schreibt er eigenhändig einen Brief, am liebsten läßt sich der echte Wollüstling, der raffinierte Genießer, die ganze Kärrnerarbeit von einem andern tun und rafft nur mit seiner schmalen, beringten Hand dann lässig die Resultate zusammen; ihm genügt seine Intuition, die mit blitzhaftem Blick die verwickeltsten Situationen überschaut. Geborener und geschulter Psychologe, durchdringt er, wie Napoleon sagt, alle Gedanken und bestärkt, ohne zu raten, jeden in dem, was er zuinnerst will. Kühne Wendungen, rasche Konzeptionen, geschmeidige Drehungen in allen gefährlichen Augenblicken sind seine Leistung, verächtlich lehnt er es ab, sich mit Einzelheiten zu befassen, mit Schweiß und Fleiß zu arbeiten. Dieser Liebe zum Minimum, zur konzentriertesten Form geistiger Entscheidungen entspringt auch seine besondere Fähigkeit zum blendendsten Wortwitz, zum Aphorismus. Er schreibt keine langen Berichte, in einem einzigen scharfgeschliffenen Wort erledigt er eine Situation, einen Menschen. Fouché wiederum fehlt vollkommen diese Fähigkeit der rapiden Weltvision, er schleppt bienenhaft mit unzähligen winzigen Maschen, einem geschäftigen Hin und Her, tausend und tausend Beobachtungen zusammen, die dann addiert und kombiniert gewissenhafte und unwiderlegliche Resultate geben. Seine Methode ist die analytische, die Talleyrands die visionäre; sein Talent der Fleiß, Talleyrands die geistige Geschwindigkeit: kein Künstler könnte ein besseres Gegensatzpaar erfinden, als die Geschichte es in diesen beiden Gestalten, in dem trägen und genialen Improvisator Talleyrand und dem tausendäugigen wachen Rechner Fouché, neben Napoleon gestellt hat, neben das vollkommene Genie, das beider Begabung in sich bindet, Weitblick und Nahblick, Leidenschaft und Fleiß, Weltwissen und Weltvision.

Niemand aber haßt sich erbitterter als verschiedene Spezies der gleichen Rasse. Darum verabscheuen aus innerstem Instinkt, aus genauer bluthafter Kenntnis einander Talleyrand und Fouché. Vom ersten Tage ist dem Grandseigneur dieser emsige Kleinarbeiter, Berichtestoppler, Neuigkeitenzuträger, dieser kalte Späher Fouché zuwider, und Fouché seinerseits erbittert sich über die Leichtfertigkeit, die Verschwenderei, die verächtlich-noble und faulenzerisch-frauenhafte Lässigkeit Talleyrands. So reden sie einer über den andern nur vergiftete Dolchspitzen. Talleyrand lächelt: »Fouché verachtet die Menschen deshalb so sehr, weil er sich selbst zu genau kennt.« Fouché wieder spottet, als Talleyrand zum Vizekanzler ernannt wird: »Il ne lui manquait que ce vice-là.« Wo sie einander ein Ärgernis in den Weg legen können, tun sie es beflissen, wo sie sich schaden können, ergreifen sie willig die erste Gelegenheit. Daß diese beiden, der Flinke und der Fleißige, einander so ergänzen in ihren Eigenschaften, macht sie Napoleon als Minister wichtig, und daß sie einander so ingrimmig hassen, kommt ihm ausgezeichnet zupaß, denn infolge dieses Hasses überwacht einer den andern besser, als hundert emsige Späher es vermöchten. Jede Korruption, jede neue Schwelgerei und Nachlässigkeit Talleyrands meldet ihm eifrig Fouché, jede Schleicherei, jede neue Umtreiberei Fouchés serviert eiligst Talleyrand; so fühlt sich Napoleon von diesem sonderbaren Paar gleichzeitig bedient und bewacht. Als überlegener Psychologe nützt Napoleon bei seinen beiden Ministern die Rivalität aufs glücklichste, um sie einerseits anzutreiben und gleichzeitig im Zaume zu halten.

 

An dieser beharrlichen Feindschaft der beiden Rivalen Fouché und Talleyrand, ergötzt sich jahrelang ganz Paris. Wie eine Szene aus Molière betrachtet man die unermüdlichen Varianten dieser Komödie an den Stufen des Thrones und erheitert sich, wie immer wieder die beiden Diener des Herrschers gegenseitig einander sticheln, mit spitzen Witzworten verfolgen, indes ihr Meister, olympisch überlegen, diesem ihm zuträglichen Streit zublickt. Aber während er selbst und alle die andern das lustige Katz- und Hundespiel von ihnen erwarten, vertauschen plötzlich diese beiden raffinierten Schauspieler die Rolle und beginnen ein ernstes Zusammenspiel. Zum erstenmal wird ihr gemeinsamer Ärger gegen den Herrn stärker als ihre Rivalität. Man schreibt 1808, und Napoleon beginnt wieder einmal Krieg, den nutzlosesten, sinnlosesten seiner Kriege, den Feldzug gegen Spanien. 1805 hat er Österreich und Rußland besiegt, 1807 Preußen zerschmettert, die deutschen und italienischen Staaten sich hörig gemacht, und nicht der geringste Anlaß besteht zu einer Feindschaft mit Spanien. Aber der einfältige Bruder Joseph (in ein paar Jahren wird Napoleon selbst zugestehen, ›sich für Dummköpfe aufgeopfert zu haben‹) möchte auch eine Krone, und da gerade keine verfügbar scheint, beschließt man, sie der spanischen Dynastie unter Bruch des Völkerrechtes einfach wegzunehmen; wieder rasseln die Trommeln, wieder marschieren die Bataillone, wieder strömt das mühsam geraffte Geld aus den Kassen, und wieder berauscht sich Napoleon an der gefährlichen Lust der Siege. Dieser unbändige Kriegsfuror beginnt nun allmählich auch den Dickfelligsten zu toll zu werden; sowohl Fouché als Talleyrand mißbilligen den völlig vom Zaun gebrochenen Krieg, an dem Frankreich noch sieben Jahre sich ausbluten wird, und da der Kaiser weder auf den einen noch auf den andern hört, so rücken die beiden unmerklich zusammen. Ihre Briefe, ihre Ratschläge, das wissen sie, knüllt der Kaiser erbittert in die Ecke, längst vermögen die Staatsmänner nichts mehr gegen die Marschälle, Generale, Säbelherren und am wenigsten gegen die korsische Sippe, von der jeder eine ärmliche Vergangenheit rasch in den Hermelin hüllen will. So versuchen sie vor aller Öffentlichkeit zu protestieren und beschließen, da ihnen das Wort entzogen ist, eine politische Pantomime, einen echten und rechten Theatercoup: nämlich sich demonstrativ zu verbünden.

Wer die Szene so dramaturgisch ausgezeichnet gestellt hat, ob Talleyrand oder Fouché, ist nicht bekannt. Es begibt sich nun dies: Während Napoleon in Spanien kämpft, rauscht Paris ununterbrochen in Festen und Geselligkeit – man ist den alljährlichen Krieg schon gewöhnt wie Schnee im Winter und Gewitter im Sommer –, und auch in der Rue Saint-Florentin, im Hause des Großkanzlers, flimmern an einem Dezemberabend 1808 (indes Napoleon in irgendeinem schmutzigen Quartier von Valladolid Armeebefehle schreibt) tausend Kerzen und flüstert Musik. Schöne Frauen, die Talleyrand so sehr liebt, blendende Gesellschaft, hohe Staatsräte und die auswärtigen Gesandten sind versammelt. Man plaudert munter, tanzt und amüsiert sich. Plötzlich entsteht ein leises Raunen und Wispern in allen Winkeln, der Tanz bricht ab, die Gäste scharen sich staunend zusammen: ein Mann ist eingetreten, den man hier als letzten erwartet hätte, der hagere Cassius, Fouché, den, wie jedermann weiß, Talleyrand erbittert haßt und verachtet und der noch nie den Fuß in dieses Haus gesetzt hat. Aber siehe, in ausgesuchter Höflichkeit hinkt der Minister des Äußeren dem Polizeiminister entgegen, grüßt ihn zärtlich wie einen lieben Gast und Freund, faßt ihn liebevoll unter den Arm. Sichtbar und offenkundig ihn karessierend, führt er ihn durch den Saal, dann treten sie in ein Nebenzimmer, setzen sich auf eine Chaiselongue und unterhalten sich mit leiser Stimme, – maßlose Neugier unter allen Anwesenden verbreitend. Am nächsten Morgen weiß ganz Paris die große Sensation. Überall spricht man von nichts als von dieser plötzlichen und so augenfällig plakatierten Versöhnung, und jeder einzelne versteht ihren Sinn. Wenn Hund und Katze sich so stürmisch verbünden, kann es nur gegen den Koch sein: Freundschaft zwischen Fouché und Talleyrand, das bedeutet die offene Mißbilligung der Minister gegen ihren Herrn, gegen Napoleon. Sofort springen alle Spione auf die Beine, um zu erfahren, was dieses Komplott eigentlich beabsichtige. In allen Gesandtschaften sausen die Federn über Immediatberichte, Metternich meldet durch Eilpost nach Wien, (?)›diese Einigung entspräche den Wünschen einer übermäßig ermüdeten Nation‹(?); aber auch die Brüder, die Schwestern Napoleons schlagen Alarm und schicken ihrerseits mit Eilkurier die tolle Nachricht dem Kaiser zu.

 

Mit Eilkurier saust die Nachricht nach Spanien, aber noch rascher womöglich rast Napoleon, wie von einem Peitschenhieb getroffen, nach Paris zurück. Selbst seine Vertrauten ruft er nicht ins Zimmer, sobald er den Brief empfängt. Er beißt, er verbeißt die Lippen und trifft sofort Anordnungen zur Rückfahrt: diese Annäherung Talleyrands und Fouchés wirkt auf ihn schreckhafter als eine verlorene Schlacht. Geradezu tollwütig ist das Tempo seiner Rückkehr: am 17. reist er von Valladolid ab, am 18. ist er in Burgos, am 19. in Bayonne, nirgends wird Halt gemacht, überall werden hastig die müdgepeitschten Pferde gewechselt, am 22. fegt er wie ein Sturmwind hinein in die Tuilerien, und am 23. erwidert er schon das geistreiche Lustspiel Talleyrands mit einer gleich dramatischen Szene. Der ganze goldbetreßte Trupp der Höflinge, die Minister und Generale werden sorgfältig als Komparsen aufgestellt: öffentlich soll man sehen, wie der Kaiser auch die geringste Auflehnung gegen seinen Willen mit der Faust niederschlägt. Fouché hat er schon tags zuvor kommen lassen und ihm hinter verschlossener Tür den Kopf gewaschen, den jener, an derlei Duschen gewohnt, reglos hinhält, mit glatten geschickten Worten sich entschuldigend und rechtzeitig ausbiegend. Für diesen servilen Menschen genügt, so meint der Kaiser, ein flüchtiger Fußtritt; Talleyrand aber, gerade weil er als der Stärkere, als der Mächtigere gilt, soll öffentlich die Zeche bezahlen. Die Szene ist oft geschildert worden, und die Dramatik der Geschichte kennt wenig bessere. Zuerst äußert sich der Kaiser nur in allgemeinen Ausdrücken mißliebig über die Hinterhältigkeit einzelner während seiner Abwesenheit, dann aber, durch dessen kühle Gleichgültigkeit gereizt, wendet er sich brüsk Talleyrand zu, der unbeweglich in seiner nachlässigen Haltung, den Arm auf das Sims gestützt, am Marmorkamin lehnt. Und nun wird die vorher komödiantisch berechnete Lektion vor den Augen des ganzen Hofes plötzlich zur wirklichen Wut, der Kaiser schreit dem älteren erfahrenen Manne die gemeinsten Beschimpfungen entgegen; einen Dieb nennt er ihn, einen Eidbrüchigen, einen Abtrünnigen, einen Käuflichen, der seinen eigenen Vater verschachern würde für Geld, er wirft ihm die Schuld an der Ermordung des Herzogs von Enghien vor und die an dem spanischen Krieg. Keine Waschfrau kann hemmungsloser ihre Nachbarin im offenen Hausflur beschimpfen als Napoleon den Herzog von Périgord, den Veteranen der Revolution, den ersten Diplomaten Frankreichs.

Die Zuhörer erstarren. Jedem wird unbehaglich. Jeder spürt: der Kaiser macht in diesem Augenblick schlechte Figur. Nur Talleyrand, dessen Gleichgültigkeit gegen Angriffe so undurchdringlich büffelhäutig scheint, daß man erzählt, er sei einmal bei der Lektüre eines gegen ihn gerichteten Pamphlets eingeschlafen, er verzieht keine Miene, viel zu hochmütig, um derartige Beschimpfungen noch als Beleidigungen zu empfinden. Schweigend hinkt er, nachdem das Gewitter sich ausgetobt, über das glatte Parkett hinaus und schnellt dann im Vorsaal nur eins jener kleinen vergifteten Worte ab, die tödlicher verwunden als alle diese polternden Faustschläge: »Wie schade, daß ein so großer Mann so schlecht erzogen ist«, sagt er gleichmütig, während er sich von dem Diener den Mantel umlegen läßt.

Am selben Abend ist Talleyrand seiner Kammerherrenwürde entsetzt, und neugierig entfalten alle Mißgünstigen in den nächsten Tagen den ›Moniteur‹, um unter den Staatsnachrichten auch die Mitteilung von der Entlassung Fouchés zu lesen. Aber sie irren sich. Fouché bleibt. Wie immer hat er sich bei seinem Vorstoß hinter einen Stärkeren gestellt, der ihm als Blitzableiter dient. Collot, sein Mitmitrailleur von Lyon, man erinnert sich, wird auf die Fieberinsel deportiert, Fouché bleibt, Baboeuf, sein Spießgeselle im Kampf gegen das Direktorium, füsiliert, Fouché bleibt. Sein Protektor Barras muß aus dem Lande flüchten, Fouché bleibt. Und auch diesmal fällt nur der Vordermann, Talleyrand, und Fouché bleibt. Die Regierungen, die Staatsformen, die Meinungen, die Menschen wechseln, alles stürzt und schwindet in diesem rasenden Wirbelsturm der Jahrhundertwende, nur einer bleibt immer an der gleichen Stelle in allen Diensten und allen Gesinnungen: Joseph Fouché.

 

Fouché bleibt an der Macht, ja mehr noch: eben daß der klügste, geschmeidigste und unabhängigste von Napoleons Ratgebern die seidene Schnur geschickt bekam und durch einen bloßen Jasager ersetzt wird, gerade dies verstärkt eigentlich seinen Einfluß. Aber noch wichtiger – außer dem Nebenbuhler Talleyrand räumt für einige Zeit auch der lästige Herr den Platz. Denn man schreibt 1809, Napoleon führt wieder wie alljährlich einen neuen Krieg, diesmal gegen Österreich.

Die Abwesenheit Napoleons von Paris und von den Geschäften ist immer das liebste, was Fouché geschehen kann. Und je weiter, desto besser, je länger, desto lieber – in Österreich, Spanien, Polen: am liebsten wünschte er ihn wieder in Ägypten. Denn sein überstarkes Licht wirft alle ringsum in Schatten, seine überragende und schöpferische Gegenwart lähmt durch ihre herrische Überlegenheit jeden andern Willen. Wenn er aber hundert Meilen weit ist, Schlachten kommandiert, Feldzugspläne ausheckt, kann Fouché daheim hie und da doch selber ein wenig Herr und Schicksal spielen und braucht nicht nur Marionette dieser harten energischen Hand zu sein.

Dazu wird Fouchée endlich einmal Gelegenheit geboten, endlich, zum erstenmal! 1809 ist ein Schicksalsjahr für Napoleon. Nie war trotz offenbarster äußerer Erfolge seine militärische Lage ähnlich gefährdet. In dem niedergeworfenen Preußen, in dem schlecht gebändigten Deutschland liegen in einzelnen Garnisonen fast wehrlos zehntausende Franzosen als Wächter von Hunderttausenden, die bloß auf den Ruf zur Waffe warten. Ein zweiter Erfolg der Österreicher wie jener bei Aspern, und von der Elbe bis zur Rhone muß ein Aufstand ausbrechen, Empörung eines ganzen Volkes. Auch in Italien steht es nicht zum besten: die grobe Mißhandlung des Papstes hat ganz Italien scharf gemacht wie die Erniedrigung Preußens ganz Deutschland, dabei ist Frankreich selbst müde. Gelänge es nun, noch einen neuen Stoß zu führen gegen diese, über ganz Europa hin vom Ebro bis zur Weichsel verteilte kaiserliche Militärmacht, wer weiß, ob er nicht den stark erschütterten ehernen Koloß umlegte. Und diesen Stoß planen die Erzfeinde Napoleons, die Engländer. Sie beschließen, während die Truppen des Kaisers bei Aspern, bei Rom und Lissabon verteilt sind, geradeswegs ins Herz Frankreichs vorzudringen, erst die Hafenplätze Dünkirchens zu fassen, Antwerpen zu erobern und den Aufstand der Belgier zu erzwingen. Napoleon, so rechnen sie, ist fern mit den kriegstüchtigen Armeen, mit seinen Marschällen und Kanonen; wehrlos liegt vor ihnen das Land.

Aber Fouché ist zur Stelle, derselbe Fouché, der 1793 unter dem Konvent gelernt hat, wie man zehntausende Rekruten in ein paar Wochen herausholt. Seine Energie hat sich seitdem nicht vermindert, aber nur im Dunkel konnte sie wirken, in kleinen Schlichen und Umtreibereien sich erschöpfen. Und mit Leidenschaft wirft er sich auf die Aufgabe, jetzt einmal vor der Nation und der ganzen Welt zeigen zu können, daß Joseph Fouché nicht bloß ein Hampelmann Napoleons ist und im Notfall ebenso entschlossen und zielkräftig zu handeln vermag wie der Kaiser selbst. Endlich muß einmal – wunderbare Gelegenheit, geradezu vom Himmel gefallen! – klipp und klar bewiesen werden, daß nicht das ganze militärische und moralische Schicksal einzig und allein an diesen einen Mann gebunden ist. Mit herausfordernder Kühnheit unterstreicht er in seinen Proklamationen diese Unnotwendigkeit Napoleons. »Beweisen wir Europa, daß, wenn auch das Genie Napoleons Frankreich seinen Glanz gibt, seine Gegenwart doch nicht notwendig ist, um den Feind zurückzuschlagen«, schreibt er an die Bürgermeister und bestätigt diese kühnen selbstherrlichen Worte durch die Tat. Denn sofort, kaum daß er am 31. August von der Landung der Engländer auf der Insel Walcheren erfährt, verlangt er als Polizeiminister und als Innenminister (welches Amt er provisorisch bekleidet) die Einberufung der Nationalgardisten, die ruhig seit den Tagen der Revolution in ihren Dörfern als Schneider, Schlosser, Schuster und Bauern tätig sind. Die andern Minister entsetzen sich. Wie, ohne Erlaubnis des Kaisers, auf eigene Verantwortung eine so weitreichende Maßnahme veranlassen? Insbesondere der Kriegsminister, sehr empört, daß ihm da ein Zivilist, ein Unbefugter in sein geheiligtes Amt hineinredet, wehrt sich aus Leibeskräften: man müsse erst in Schönbrunn um Erlaubnis zur Mobilisierung bitten. Man müsse abwarten, was der Kaiser anordne, und nicht das Land in Unruhe bringen. Aber der Kaiser ist wie gewöhnlich vierzehn Posttage weit für Frage und Antwort, und Fouché fürchtet sich nicht, das Land in Unruhe zusetzen. Tut das Napoleon nicht auch? Im Innersten will er die Unruhe, will er den Aufruhr. Und so nimmt er entschlossen alles auf seine Kappe. Trommler und Befehle rufen im Namen des Kaisers in den bedrohten Provinzen jeden Mann zur sofortigen Verteidigung heran, im Namen des Kaisers, der von allen diesen Maßnahmen nichts weiß. Und zweite Kühnheit: Fouché ernennt zum Oberkommandanten dieser improvisierten Nordarmee Bernadotte, gerade den Mann von allen Generalen, den Napoleon, obgleich er der Schwager seines Bruders ist, wie keinen andern haßt, den er gemaßregelt und in die Verbannung geschickt hat. Aus dieser Verbannung holt ihn Fouché, dem Kaiser, den Ministern und allen seinen Feinden zum Trotz: ihm ist gleichgültig, ob der Kaiser seine Maßnahmen billigt. Wichtig ist nur, daß der Erfolg ihm recht gibt gegen alle.

Solche Verwegenheit in entscheidenden Sekunden gibt Fouché etwas von wirklicher Größe. Unruhig verzehrt sich dieser nervöse, arbeitswillige Geist nach großen Aufgaben, und immer werden ihm nur kleine gestellt, die er spielend erledigt. Nur natürlich, daß dann die überschüssige Kraft sich Auspuff und Freiheit in boshaften und meist sinnlosen Intrigen sucht. Aber im Augenblick, da man diesen Mann – genau wie zu Lyon und später nach dem Sturz Napoleons in Paris – vor eine wirklich welthistorische, vor eine seiner Kraft gemäße Aufgabe stellt, bewältigt er sie meisterhaft. Die Stadt Vlissingen, die Napoleon selbst als uneinnehmbar in seinen Briefen bezeichnet, fällt, ganz wie Fouché es besser vorausgesagt, den Engländern nach einigen Tagen in die Hände. Aber die von Fouché ohne Erlaubnis neugebildete Armee hat inzwischen Zeit gehabt, Antwerpen instand zu setzen, und so endet dieser Einbruch der Engländer mit einer vollständigen und sehr kostspieligen Niederlage. Zum erstenmal, seit Napoleon das Steuer hält, hat ein Minister im Lande gewagt, selbständig die Fahne zu entrollen, das Segel zu raffen, eigenen Kurs zu halten, und hat eben mit dieser Selbständigkeit Frankreich in einem Schicksalsaugenblick gerettet. Seit diesem Tage hat Fouché einen neuen Rang und ein neues Selbstbewußtsein.

Inzwischen sind in Schönbrunn die Anklagebriefe des Kanzlers und Kriegsministers, Beschwerden über Beschwerden angelangt, was für Kühnheiten dieser Zivilminister sich erlaube. Die Nationalgarde habe er einberufen, das Land in Kriegszustand versetzt! Alle hoffen sie, Napoleon werde diese Überhebung züchtigen und Fouché entlassen. Aber erstaunlicherweise, noch ehe er wissen kann, wie glänzend sich die Maßnahmen Fouchés bewährt haben, gibt der Kaiser seiner entschlossenen, rasch zupackenden Energie gegen alle andern recht. Der Kanzler bekommt eine grobe Nase: »Ich bin erbittert, daß Sie unter so außerordentlichen Umständen Ihre Vollmacht so wenig ausgenützt haben. Sie hätten sofort auf die erste Nachricht hin zwanzigtausend, vierzigtausend oder fünfzigtausend Nationalgarden ausheben sollen«, und wörtlich schreibt er an den Kriegsminister: »Ich sehe nur Herrn Fouché, der getan hat, was er konnte, und der das Unpassende gefühlt hat, in einer gefährlichen und entehrenden Untätigkeit zu verharren.« So sind die ängstlichen, vorsichtigen und unfähigen Kollegen nicht nur überspielt durch Fouché, sondern auch eingeschüchtert durch die Zustimmung Napoleons. Und trotz Talleyrands und des Kanzlers steht Fouché an der ersten Stelle Frankreichs. Er hat als einziger gezeigt, daß er nicht nur gehorchen kann, sondern auch befehlen.

Immer wieder wird man an Fouché sehen: er kann herrlich handeln in einem Augenblick der Gefahr. Stellt ihn vor die schwierigste Situation, er wird sie bewältigen mit seiner kühn zufassenden klaren Energie. Gebt ihm den verwickeltsten Knoten, er wird ihn entwirren. Aber so großartig er zuzupacken versteht – die schwesterliche Kunst versteht er leider ganz und gar nicht, die Kunst aller politischen Künste: rechtzeitig wieder loszulassen. Wo er die Hand hineingeschoben, kann er sie nicht wieder herausziehen. Und gerade, wenn er den Knoten entwirrt hat, treibt ihn eine teuflische Spiellust, ihn künstlich wieder aufs neue zu verwirren. So auch diesmal. Dank seiner Raschheit, seiner flink sammelnden und zustoßenden Kraft ist der heimtückische Flankenstoß abgeschlagen. Mit furchtbarem Verlust an Menschen und Material, mit noch größerem an Prestige haben die Engländer ihre Armee wieder auf die Schiffe gepackt und sind heimgefahren. Jetzt kann man beruhigt abblasen, die einberufenen Nationalgarden mit Dank und Ehrenlegionen nach Hause schicken. Aber der Ehrgeiz Fouchés hat nun einmal Blut geleckt. Es war zu herrlich, Kaiser zu spielen, drei Provinzen aufzutrommeln, Befehle zu geben, Aufrufe zu verfassen, Ansprachen zu halten, den schwachmütigen Kollegen die Faust unter die Nase zu stecken. Und jetzt soll diese herrliche Zeit schon zu Ende sein? Jetzt schon, da man die eigene Tatkraft lustvoll fühlte in täglicher, stündlicher Entfaltung? Nein, Fouché denkt nicht daran. Lieber weiter Krieg und Verteidigung spielen, auch wenn man den Feind sich erst erfinden muß. Nur weiter trommeln, das Land aufreißen, Unruhe schaffen, stürmische Bewegung. So befiehlt er auf eine angeblich bei Marseille beabsichtigte Landung der Engländer hin neuerliche Mobilisation. Die Nationalgarde in ganz Piemont, in der Provence und sogar Paris wird zum allgemeinen Erstaunen eingezogen, obwohl weit und breit in Land und Küste kein Feind zu sehen ist, einzig aus dem Grunde, weil Fouché vom Taumel, von der langentbehrten Lust des Organisierens und Mobilisierens ergriffen ist, weil der lang gedämmte, lang gehemmte Tatmensch in ihm sich dank der Abwesenheit des Weltgebieters einmal austoben kann. Aber gegen wen alle diese Armeen? fragt sich immer verwunderter das ganze Land. Die Engländer zeigen sich nicht. Nach und nach werden selbst die wohlwollenden unter seinen Kollegen mißtrauisch: was will dieser Undurchdringliche mit seinen wilden Mobilisationen? Sie verstehen nicht, daß sich bei Fouché nur eine geheime Spiellust an der eigenen Tätigkeitskraft berauscht. Und da sie weit und breit nicht die Spitze eines Bajonetts sehen, keinen Feind, gegen den sich diese ungeheuren Aufgebote täglich verstärken, beginnen sie Fouché unwillkürlich hochfliegende Pläne zu unterschieben; die einen: er bereite einen Aufstand vor, die andern: er wolle, wenn der Kaiser ein zweites Aspern erleide oder ein anderer Friedrich Staps mit seinem Attentat mehr Glück habe, sofort die alte Republik ausrufen; und nun jagt Brief auf Brief ins Hauptquartier nach Schönbrunn, Fouché sei toll oder ein Verschwörer geworden. Jetzt wird schließlich Napoleon trotz seines Wohlwollens stutzig. Er sieht, Fouché ist zu hoch ins Kraut geschossen, man muß ihn wieder ducken. Der Wind in den Briefen schlägt scharf um. Er rüffelt ihn zusammen, nennt ihn ›einen Don Quichotte, der sich mit Windmühlen herumschlägt‹, und schreibt im alten harten Ton: ›Alle Nachrichten, die ich empfange, berichten mir von Nationalgarden, die man in Piemont, in Languedoc, in der Provence, in der Dauphine aushebt. Was zum Teufel will man mit all diesen machen, wenn keine Notwendigkeit vorliegt, und das doch ohne meine Befehle nicht geschehen durfte!‹ So muß Fouché erbitterten Herzens vom Herrenspiel lassen, das Ministerium des Innern abgeben und – Besen, Besen, bists gewesen – wieder in die Ecke, wieder Polizeiminister spielen seines ruhmreich heimkehrenden, seines ihm zu früh heimgekehrten Herrn.

 

Immerhin, wenn er auch zuviel getan, Fouché hat als einziger inmitten der Verängstigung der anderen Minister in höchster Gefahr des Vaterlands etwas Rechtzeitiges und Richtiges getan. So kann Napoleon ihm nicht länger die Ehre verweigern, die er schon so vielen andern gewährt. Nun, da ein neuer Adel auf der blutüberdüngten Erde Frankreichs emporgezüchtet, da allen Generalen, Ministern und Handlangern der Name nobel gemacht wird, kommt auch Fouché, der alte Aristokratenfeind, an die Reihe, selbst Aristokrat zu werden.

Der Grafentitel war ihm in aller Stille schon früher zugeschneidert worden. Aber der alte Jakobiner soll noch höher steigen auf dieser luftigen Leiter der Namen. Am 15. August 1809 unterschreibt und siegelt im Palast Seiner Apostolischen Majestät, des Kaisers von Österreich, in dem Prachtgemache von Schönbrunn, der einstige kleine Leutnant aus Korsika dem einstigen Kommunisten und entlaufenen Priesterlehrer eine gutwillige Eselshaut, kraft welchen Pergaments Joseph Fouché sich von nun ab – Respekt! – Herzog von Otranto nennen darf. Er hat zwar nicht bei Otranto gefochten und diese süditalienische Landschaft nie mit Augen erblickt, aber gerade so ein fülliger, fremdtönender Adelsname eignet sich trefflich, um einen ehemaligen Erzrepublikaner zu maskieren, denn wenn er recht rauschend ausgesprochen wird, kann man vergessen, daß hinter diesem Herzog der Henker von Lyon, der alte Fouché des Einheitsbrotes und der Vermögenskonfiskationen steckt. Und damit er sich recht als Ritter fühle, wird ihm noch die Insignie seines Herzogtums verliehen: ein funkelnagelneues Wappenschild. Aber sonderbar: Hat Napoleon selbst diese gefährliche charakteristische Anspielung beabsichtigt, oder hat der amtsbestallte Heraldiker sich privatim ein psychologisches Späßchen geleistet? Jedenfalls, das Wappen des Herzogs von Otranto zeigt als Mittelstück eine goldene Säule – wohl passend für diesen leidenschaftlichen Liebhaber des Goldes. Und um diese goldene Säule windet sich eine Schlange – wahrscheinlich gleichfalls eine zarte Andeutung auf die diplomatische Biegsamkeit des neuen Herzogs. Er muß wahrhaftig kluge Heraldiker im Dienst gehabt haben, Napoleon, denn ein charakteristischeres Wappen hätte man nicht erfinden können für einen Joseph Fouché.


 << zurück weiter >>