Stefan Zweig
Joseph Fouché
Stefan Zweig

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Drittes Kapitel

Der Kampf mit Robespierre

1794

Am 3. April erfährt Joseph Fouché, daß ihn der Wohlfahrtsausschuß zur Verantwortung nach Paris beordert hat, am 5. besteigt er den Reisewagen. Sechzehn dumpfe Schläge begleiten seine Abfahrt, sechzehn Schläge der Guillotine, die zum letztenmal in seinem Auftrag ihre scharfe Pflicht verrichtet. Und noch zwei allerletzte Verurteilungen werden an diesem Tage in Eile vorgenommen, zwei sehr sonderbare, denn die beiden Nachzügler des großen Massakers, die ihre Köpfe (nach dem jovialen Ausdruck der Zeit) in den Korb spucken müssen, wer sind sie? Niemand anders als der Scharfrichter von Lyon und sein Gehilfe. Eben dieselben, die im Auftrag der Reaktion Chalier und seine Freunde, die dann im Auftrag der Revolution die Reaktionäre zu Hunderten gleichmütig guillotinierten, sie kommen jetzt selbst unter das Messer. Welches Verbrechen man ihnen zuschreibt, kann man aus den Gerichtsakten mit bestem Willen nicht klar ersehen; wahrscheinlich werden sie nur geopfert, um den Nachfolgern Fouchés und der Nachwelt nicht allzuviel über Lyon zu erzählen. Tote verstehen am besten zu schweigen.

Dann rollt der Wagen. Fouché hat allerhand nachzudenken auf der Fahrt nach Paris. Immerhin, so mag er sich trösten, noch ist nichts verloren; er hat ja manche einflußreichen Freunde im Konvent, vor allem den großen Gegenspieler Robespierres, Danton: vielleicht wird es doch gelingen, den Furchtbaren in Schach zu halten. Aber wie kann er ahnen, Fouché, daß in diesen Schicksalsstunden der Revolution die Ereignisse viel rascher rollen als die Räder einer Postkutsche von Lyon nach Paris? Daß bereits seit zwei Tagen sein Intimus Chaumette im Gefängnis sitzt, daß das riesige Löwenhaupt Dantons gestern von Robespierre unter die Guillotine gestoßen wurde, daß am gleichen Tage Condorcet, der geistige Führer der Rechten, hungernd in der Umgebung von Paris herumirrt und am nächsten Tage, um dem Gericht zu entgehen, sich vergiften wird? Sie alle hat ein einziger Mann gestürzt, und gerade dieser eine Mann, Robespierre, ist sein erbittertster politischer Gegner. Erst abends am 8. in Paris angelangt, erfährt er den ganzen Umfang der Gefahr, der er in den Rachen gerannt. Weiß Gott, er wird wenig geschlafen haben, der Prokonsul Joseph Fouché, in dieser seiner ersten Nacht in Paris.

Gleich am nächsten Morgen begibt sich Fouché in den Konvent, ungeduldig die Eröffnung der Sitzung erwartend. Aber sonderbar, der weite Saal will sich durchaus nicht füllen, die Hälfte, ja mehr als die Hälfte der Plätze bleibt noch immer leer. Gewiß: eine Anzahl der Deputierten mag auf Missionen sein oder anderweitig verhindert, aber doch, welche gähnende Leere dort auf der Rechten, wo einst die Führer saßen, die Girondisten, die herrlichen Redner der Revolution! Wo sind sie hin? Die zweiundzwanzig kühnsten, Vergniaud, Brissot, Pétion, haben auf dem Schafott geendet oder durch Selbstmord oder wurden auf ihrer Flucht von Wölfen zerrissen. Dreiundsechzig ihrer Freunde, die sie zu verteidigen wagten, hat die Majorität in den Bann getan – mit einem einzigen fürchterlichen Schlage hat Robespierre sich eines Hunderts seiner Gegner zur Rechten entledigt. Aber nicht minder energisch hat seine Faust in den eigenen Reihen auf dem »Berge« zugeschlagen: Danton, Desmoulins, Chabot, Hébert, Fabre d'Églantine, Chaumette und zwei Dutzend andere, sie alle, die gegen seinen Willen, gegen seine dogmatische Eitelkeit sich auflehnten, er hat sie bis hinunter in die Kalkgrube gestoßen.

Alle hat dieser unscheinbare Mann beseitigt, dieser kleine magere Mann mit dem gallig fahlen Gesicht, der niedern zurückfliehenden Stirn, den kleinen wasserfarbenen, kurzsichtigen Augen, der unscheinbar, lange von den Riesengestalten seiner Vorgänger verdeckt war. Aber die Sense der Zeit hat ihm den Weg freigemacht: Seit Mirabeau, Marat, Danton, Desmoulins, Vergniaud, Condorcet erledigt sind, also der Tribun, der Aufrührer, der Führer, der Schriftsteller, der Redner und der Denker der jungen Republik, ist er nun alles in einer Person, ihr Pontifex maximus, Diktator und Triumphator. Beunruhigt sieht Fouché auf seinen Gegner, um den sich mit zudringlichem Respekt jetzt alle servilen Deputierten drängen und der mit unerschütterlichem Gleichmut diese Huldigungen sich darbieten läßt; in seine »Tugend« gehüllt wie in einen Panzer, unnahbar, undurchdringlich, mustert mit seinem kurzsichtigen Blick der Unbestechliche die Arena im stolzen Bewußtsein, daß sich jetzt keiner mehr wider seinen Willen zu erheben wage.

Aber einer wagt es doch. Einer, der nichts mehr zu verlieren hat, Joseph Fouché, und verlangt das Wort zur Rechtfertigung seines Verhaltens in Lyon.

Dieses Verlangen nach Rechtfertigung vor dem Konvent ist eine Herausforderung des Wohlfahrtsausschusses, denn nicht der Konvent, sondern der Ausschuß hat von ihm Aufschluß gefordert. Er aber wendet sich als an die höhere, als an die eigentliche Instanz, an die Versammlung der Nation. Die Kühnheit dieses Anspruchs ist unverkennbar. Aber doch, der Präsident gibt ihm das Wort. Immerhin, Fouché ist nicht der erste beste, zu oft hat man seinen Namen genannt in diesem Saal, noch sind seine Verdienste, seine Berichte, seine Taten nicht vergessen. Fouché tritt auf die Tribüne und liest einen umständlichen Bericht. Die Versammlung hört zu, ohne ihn zu unterbrechen, ohne ein Zeichen des Beifalls oder des Mißfallens. Aber am Ende der Rede rührt sich keine Hand. Denn der Konvent ist ängstlich geworden. Ein Jahr Guillotine hat alle diese Männer seelisch entmannt. Die einst frei ihrer Überzeugung sich hingaben wie einer Leidenschaft, die laut, kühn und offen sich in den Streit der Worte und Gesinnungen warfen, sie alle lieben nicht mehr, sich zu bekennen. Seit wie Polyphem der Henker in ihre Reihen greift, bald links, bald rechts, seit die Guillotine wie ein blauer Schatten hinter jedem ihrer Worte lastet, schweigen sie lieber, statt zu reden. Jeder duckt sich hinter den andern, jeder schielt nach rechts und links, ehe er eine Bewegung wagt, wie ein drückender Nebel liegt die Angst grau auf ihren Gesichtern; und nichts erniedrigt den Menschen und besonders eine Masse von Menschen mehr als die Angst vor dem Unsichtbaren. So wagen sie auch diesmal nicht eine Meinung. Nur keine Einmengung in die Domäne des Ausschusses, des unsichtbaren Tribunals! Die Rechtfertigung Fouchés, sie wird nicht abgelehnt, sie wird nicht angenommen, sondern einfach dem Ausschuß zur Prüfung überschickt; das heißt, sie landet an demselben Ufer, das Fouché so sorgfältig vermeiden wollte. Seine erste Schlacht ist verloren.

Nun fährt auch ihm die Furcht in den Nacken. Er hat sich zu weit vorgewagt, ohne das Gelände zu kennen: nun besser einen raschen Rückzug. Lieber kapitulieren, als allein gegen den Mächtigsten kämpfen. So beugt Fouché reumütig das Knie, so beugt er das Haupt. Denn noch am selben Abend begibt er sich in die Wohnung Robespierres, um sich mit ihm auszusprechen oder ehrlicher gesagt: um Pardon von ihm zu erbitten. Bei dieser Besprechung ist niemand Zeuge gewesen. Nur ihr Ausgang ist bekannt, und man kann sie sich vorstellen aus der Analogie jenes Besuches, den Barras in seinen Memoiren grauenhaft deutlich beschrieben. Auch Fouché muß wohl, ehe er die Holztreppe in dem kleinen Bürgerhause in der Rue Saint-Honoré emporsteigt, wo Robespierre seine Tugend und Armut ins Schaufenster stellt, das Examen der Wirtsleute bestehen, die ihren Gott und Mieter wie eine heilige Beute bewachten. Auch ihn wird wohl Robespierre genau wie Barras, in dem kleinen engen, nur eitel mit den eigenen Bildern geschmückten Zimmer kaum zum Sitzen aufgefordert, sondern kalt aufrecht mit beabsichtigt verletzendem Hochmut wie einen erbärmlichen Verbrecher empfangen haben. Denn dieser Mann, der leidenschaftlich die Tugend liebt und ebenso leidenschaftlich und lasterhaft in seine eigene Tugend verliebt ist, kennt keine Nachsicht und Verzeihung für einen, der jemals anderer Meinung als er selbst gewesen. Unduldsam und fanatisch, ein Savonarola der Vernunft und der »Tugend«, weist er jedes Paktieren, ja sogar jedes Kapitulieren seiner Gegner zurück; selbst dort, wo Politik gebieterisch zu Verständigung drängte, hemmt ihn seine Haßhärte und sein dogmatischer Stolz. Was immer Fouché Robespierre damals gesagt hat und sein Richter ihm geantwortet – nur dies weiß man: es war kein guter Empfang, sondern ein niederschmetterndes, ein unbarmherziges Herunterkanzeln, eine unverhüllte kalte Drohung, ein Todesurteil in effigie. Und der, von Zorn bebend, die Treppe der Rue Saint-Honoré hinuntergeht, gedemütigt, zurückgewiesen, bedroht, Joseph Fouché, er weiß, daß es nun nur noch eine Rettung gibt für seinen Kopf: wenn der des andern, wenn der Robespierres eher als der seine in den Korb fällt. Krieg auf Tod und Leben ist erklärt. Der Zweikampf zwischen Robespierre und Fouché hat begonnen. Dieser Zweikampf Robespierres und Fouchés gehört zu den spannendsten, zu den psychologisch erregendsten Episoden der Revolutionsgeschichte. Beide klug, beide Politiker, haben sie doch beide, der Herausgeforderte wie der Herausfordernde, einen Irrtum gemeinsam: sie unterschätzen lange einer den anderen, weil sie sich von früher zu kennen glauben. Für Fouché ist Robespierre noch immer der abgeschundene, dürre Advokat, der in seiner Provinz in Arras mit ihm zusammen im Klub kleine Scherze gemacht, der damals süßliche Verslein in der Art des Grécourt fabrizierte und dann die Versammlung von 1789 durch seinen Redeschwall langweilte. Fouché hat nicht oder zu spät bemerkt, wie in zäher, beharrlicher Selbstarbeit und im Aufschwung der Aufgabe aus einem Demagogen Robespierre ein Staatsmann, aus einem geschmeidigen Intriganten ein präzis denkender Politiker, aus einem Rhetor ein Redner geworden ist. Fast immer steigert die Verantwortung den Menschen zur Größe: so ist Robespierre am Gefühl seiner Sendung gewachsen, denn er fühlt inmitten von gierigen Verdienern und lauten Schreiern die Rettung der Republik als die ihm allein vom Schicksal auferlegte Lebensaufgabe. Als heilige Mission für die Menschheit empfindet er die Notwendigkeit, gerade seine Konzeption der Republik, der Revolution, der Sittlichkeit und selbst der Göttlichkeit zu verwirklichen. Diese Starre Robespierres ist zugleich die Schönheit und die Schwäche seines Charakters. Denn berauscht von seiner eigenen Unbestechlichkeit, verzaubert in seine dogmatische Härte, betrachtet er jede andere Meinung als die seine nicht nur als andersartig, sondern als Verrat, und mit der frostigen Faust eines Ketzerrichters stößt er darum jeden Andersdenker als Ketzer auf den neuen Scheiterhaufen, die Guillotine. Zweifellos: eine große, eine reine Idee lebt in dem Robespierre von 1794. Aber besser gesagt, sie lebt nicht, sie ist erstarrt in ihm. Sie kann nicht völlig aus ihm heraus und er nicht völlig aus ihr (Schicksal aller dogmatischen Seelen), und dieser Mangel an mitteilsamer Wärme, an hinreißender Humanität nimmt seiner Tat die wahrhaft zeugende Kraft. Nur in der Starre ist seine Stärke, nur in der Härte seine Kraft: das Diktatorische ist für ihn Sinn und Form seines Lebens geworden. So kann er sein Ich nur der Revolution aufprägen, oder es muß zerbrechen.

Ein solcher Mann duldet keinen Widerspruch, keine andere Meinung in geistigen Dingen, kein Nebenihm und noch weniger ein Gegenihn. Er kann Menschen nur ertragen, sofern sie spiegelhaft seine eigenen Anschauungen zurückwerfen, solange sie ihm Seelensklaven sind wie Saint-Just und Couthon; jeden andern scheidet die grimmige Lauge seines galligen Temperaments unerbittlich aus. Wehe aber denen, die nicht nur von seiner Meinung abwichen (auch diese hat er verfolgt), sondern sogar seinen Willen gekreuzt, die seine Unfehlbarkeit nicht geachtet haben. Das nun hat Joseph Fouché getan. Er hat niemals seinen Rat eingeholt, nie sich vor dem einstigen Freunde gebeugt, er hat auf den Bänken seiner Feinde gesessen, ist kühn über die von Robespierre gesetzten Grenzen eines mittleren, vorsichtigen Sozialismus hinausgegangen, indem er den Kommunismus predigte und den Atheismus. Aber bisher hat sich Robespierre nicht ernstlich mit ihm beschäftigt; Fouché schien ihm zu gering. Für ihn ist dieser Deputierte nichts anderes als der kleine Priesterlehrer, den er noch in der Soutane gekannt und dann als Brautwerber seiner Schwester, ein kleiner schäbiger Ehrgeizling, der seinem Gott und seiner Braut und allen Überzeugungen untreu geworden ist. Er verachtet ihn mit dem ganzen Gruppenhaß der Starre gegen die Biegsamkeit, der Unbedingtheit gegen die Erfolgsschleicherei, mit dem Mißtrauen der religiösen Natur gegen die profane; aber dieser Haß hat sich bisher noch nicht gegen die Person Fouchés bemüht, nur gegen die Gattung, deren Spielart er ist. Hochmütig hat er ihn bisher selbst übersehen: wozu sich Mühe nehmen für einen solchen Intriganten, den man jederzeit unter dem Fuß zertreten kann? Nur weil er ihn so lange verachtet, hat Robespierre bisher Fouché nur beobachtet, aber nicht ernstlich bekämpft.

Jetzt erst bemerken beide, wie sehr einer den andern unterschätzt. Fouché erkennt die ungeheure Macht, die Robespierre in seiner Abwesenheit zugewachsen: alle Ämter sind ihm untertänig, die Armee, die Polizei, das Gericht, die Ausschüsse, der Konvent und die Jakobiner. Ihn zu bekämpfen, scheint aussichtslos. Aber Robespierre hat ihn zum Kampf gezwungen, und Fouché weiß, daß er verloren ist, wenn er nicht siegt. Immer kommt aus letzter Verzweiflung eine letzte Kraft, und so wirft er sich, zwei Schritte vom Abgrund, plötzlich dem Verfolger entgegen, wie ein Hirsch, bis zum äußersten gehetzt, aus einem letzten Dickicht den Jäger mit dem Mute der Verzweiflung anfällt. Die ersten Feindseligkeiten eröffnet Robespierre. Nur eine Lektion will er dem Vorlauten zunächst erteilen, eine Warnung, einen Fußtritt. Anlaß dazu bietet jene berühmte Rede am 6. Mai, die alle Geistigen der Republik aufruft, »die Existenz eines höchsten Wesens und die Unsterblichkeit als lenkende Macht des Weltalls anzuerkennen«. Nie hat Robespierre eine schönere, eine aufgeschwungenere Ansprache gehalten als diese, die er angeblich auf dem Landsitz Jean Jacques Rousseaus geschrieben: hier wird der Dogmatiker beinahe zum Dichter, der unklare Idealist zum Denker. Den Glauben vom Unglauben und andererseits vom Aberglauben zu trennen, eine Religion zu schaffen, die sich einerseits erhebt über das landläufige bilderanbetende Christentum und ebenso über den leeren Materialismus und Atheismus, also gleichfalls die Mitte zu bewahren, wie er es immer, in allen geistigen Fragen versucht, das bildet die Grundidee seiner Ansprache, die trotz ihrer schwülstigen Phraseologie von aufrichtigem Ethos, von leidenschaftlichem Willen zur Erhebung der Menschheit erfüllt ist. Aber selbst in dieser oberen Sphäre kann er sich, der Ideologe, nicht vom Politischen befreien, selbst in die zeitlosen Gedanken mengt seine gallige, mißlaunige Ranküne persönliche Angriffe. Gehässig erinnert er an die Toten, die er selbst auf die Guillotine gestoßen, und höhnt die Opfer seiner Politik, Danton und Chaumette, als verächtliche Beispiele der Unmoral und Gottlosigkeit. Und plötzlich, mit einem ins Herz treffenden Stoß, wirft er sich gegen den einzigen der Atheistenprediger, die seinen Zorn überlebt haben, gegen Joseph Fouché. »Sage uns doch, wer hat dir die Mission zugeteilt, dem Volke zu verkünden, es gebe keine Gottheit! Welche Vorteile siehst du darin, dem Menschen einzureden, eine blinde Gewalt bestimme sein Geschick, schlage ganz zufällig bald die Tugend und bald das Laster, und daß seine Seele nichts als dünner Atem wäre, der an der Pforte des Grabes erlischt! Unglückseliger Sophist, mit welchem Recht maßt du dir an, der Unschuld das Zepter der Vernunft zu entreißen, um es den Händen des Lasters zu überantworten? Der Natur einen Totenschleier überzuwerfen, das Unglück noch verzweifelter zu machen, das Verbrechen zu entlasten, die Tugend zu verdüstern und die Menschheit zu erniedern! ... Nur ein Verbrecher, verächtlich vor sich selbst und widerlich allen andern, kann glauben, die Natur vermöge uns nichts Schöneres zu schenken als das Nichts.«

Grenzenloser Beifall umbraust die großartige Rede Robespierres. Mit einemmal fühlt sich der Konvent der Niederungen des täglichen Streites enthoben, und einstimmig beschließt er das von Robespierre vorgeschlagene Fest zu Ehren des höchsten Wesens. Nur Joseph Fouché bleibt stumm und beißt die Lippen. Zu einem solchen Triumph des Gegners muß man schweigen. Er weiß, daß er sich offen mit diesem meisterlichen Rhetor nicht messen kann. Wortlos, blaß, nimmt er diese Schlappe in offener Versammlung hin, nur im Innern entschlossen, sich zu rächen und sie zu vergelten. Einige Tage, einige Wochen hört man nichts von ihm. Robespierre meint ihn erledigt: der Fußtritt hat wohl für den Frechen genügt. Aber wenn man nichts sieht und nichts hört von Fouché, so ist es, weil er unterirdisch arbeitet, zäh, planhaft, maulwurfhaft. Er macht Besuche in den Komitees, er sucht Bekanntschaften unter den Abgeordneten, er ist freundlich, verbindlich zu den einzelnen Menschen und sucht jeden zu gewinnen. Am meisten tut er sich um bei den Jakobinern, wo das geschickte, geschmeidige Wort viel gilt und seine Leistung zu Lyon ihm ein paar Steine ins Brett geschoben. Niemand weiß deutlich, was er will, was er plant, was er vorhat, dieser vielgeschäftige, promenierende, überall Fäden spinnende, unscheinbare Mann.

Und plötzlich wird alles klar, unerwartet für alle und am unerwartetsten für Robespierre: denn am 18. Prairial wird mit großer Stimmeneinheit Joseph Fouché zum Präsidenten des Jakobinerklubs erwählt.

Robespierre zuckt auf: eine solche Kühnheit hat niemand für möglich gehalten. Jetzt erst erkennt er, an einen wie verschlagenen und verwegenen Gegner er mit Fouché geraten ist. Seit zwei Jahren war ihm dies nicht mehr geschehen, daß ein Mann, den er öffentlich angriff, noch wagte, sich zu behaupten. Alle waren sie sofort verschwunden, kaum daß sein Blick ihnen entgegengefahren; ein Danton hatte sich auf sein Landgut geflüchtet, die Girondisten sich in die Provinz gerettet, die anderen blieben in ihren Häusern und ließen nichts von sich hören. Und dieser, dieser Freche, den er mit ausgestrecktem Finger in offener Nationalversammlung als unrein gebrandmarkt, der flüchtet in das Sanktuarium, ins Allerheiligste der Revolution, in den Jakobinerklub und erschleicht dort die höchste Würde, die einem Patrioten verliehen werden kann? Denn dies darf nicht vergessen werden und muß erinnert sein, welche ungeheure moralische Macht geradein dem letzten Jahr der Revolution dieser Klub in Händen hat. Die vollgültigste, reinste Goldprobe eines Patrioten, sie ist erst bestanden, sobald der Jakobinerklub ihn mit seiner Aufnahme ehrt; und wen er wieder ausstößt, wen er verwirft, der ist gekennzeichnet für das Beil. Generale, Volksführer, Politiker, alle treten sie gebeugten Hauptes vor diesen Richterstuhl als vor die höchste, fast priesterliche Instanz des Bürgersinnes. Gewissermaßen die Prätorianer der Revolution stellt dieser Klub dar, die Leibgarde und Leibwache für das heilige Haus. Und diese Prätorianer, diese strengsten, ehrlichsten, unbeugsamsten Republikaner haben einen Joseph Fouché zu ihrem Führer erwählt! Robespierres Wut ist maßlos. Denn am hellichten Tag ist dieser Schurke eingebrochen in sein Reich, in seine Domäne, gerade an diejenige Stelle, wo er selbst seine Feinde anklagt, wo er seine eigene Kraft stählt im Kreis der Geprüften. Und nun soll er, wenn er eine Rede halten will, Joseph Fouché um Erlaubnis bitten müssen, er, Maximilian Robespierre, sich der Laune oder Mißlaune eines Joseph Fouché unterwerfen?

Sofort spannt er alle Kraft. Diese Niederlage muß blutig vergolten werden. Herunter mit ihm, sofort herunter, nicht nur vom Präsidentenstuhl, sondern auch hinaus aus der Gesellschaft der Patrioten! Sofort hetzt er Fouché einige Bürger aus Lyon auf den Hals, die gegen ihn Klage führen, und als der Überraschte, immer hilflos im offenen Redekampf, sich ungeschickt verteidigt, greift er selber ein und mahnt die Jakobiner, »sich nicht von Betrügern täuschen zu lassen«. Beinahe gelingt es ihm schon, bei diesem ersten Stoß Fouché zu werfen. Aber noch hat Fouché die Präsidentschaft in Händen und damit das Mittel, vorzeitig die Debatte abzuschließen. Höchst unrühmlich bricht er die Diskussion ab und flüchtet ins Dunkel zurück, um einen neuen Angriff vorzubereiten.

Doch nun weiß Robespierre Bescheid. Er hat die Kampfweise Fouchés erkannt; er weiß, dieser Mann stellt sich nicht zum Zweikampf, sondern flüchtet immer wieder zurück, um aus dem Schatten heimlich seine Rückenstöße vorzubereiten. Einen solchen zähen Intriganten genügt es nicht, bloß zurückzupeitschen und zu schlagen, ihn muß man verfolgen bis in den äußersten Schlupfwinkel und mit dem Fuße zertreten. Man muß ihm den letzten Atem aus dem Halse pressen, ihn unschädlich machen, endgültig und für immer.

Darum stürmt Robespierre noch einmal gegen ihn an. Er erneuert seine öffentliche Anklage bei den Jakobinern gegen ihn und fordert, Fouché solle in der nächsten Sitzung erscheinen und sich rechtfertigen. Natürlich hütet sich Fouché. Er kennt seine Stärke und kennt seine Schwäche, er will nicht Robespierre öffentlich den Triumph gönnen, ihn vor dreitausend Menschen Aug in Auge zu erniedrigen. Lieber ins Dunkel zurück, lieber sich besiegen lassen und Zeit gewinnen, kostbare Zeit! Deshalb schreibt er den Jakobinern höflich ab, leider müsse er ablehnen, sich öffentlich zu entschuldigen; ehe die beiden Ausschüsse über sein Verhalten entschieden hätten, möchten die Jakobiner das Gericht über ihn noch vertagen.

Auf diesen Brief springt Robespierre wie auf eine Beute. Jetzt gilt es, ihn zu fassen, jetzt endgültig Joseph Fouché zu zerschmettern. Die Rede, die er damals am 23. Messidor (11. Juni) gegen Joseph Fouché hält, ist der erbittertste Angriff, der gefährlichste und galligste, den Robespierre je gegen einen Gegner geschleudert.

Aus den ersten Worten schon spürt man, daß Robespierre seinen Feind nicht nur treffen, sondern tödlich treffen, daß er ihn nicht nur erniedrigen, sondern ihn erledigen will. Er setzt an mit geheuchelter Ruhe. Die erste Erklärung klingt noch lau, daß das »Individuum« Fouché ihn gar nicht interessiere: »Ich war früher vielleicht mit ihm in gewissen Bindungen, weil ich ihn für einen Patrioten hielt, und wenn ich ihn hier anklage, so ist es weniger seiner Verbrechen wegen, sondern weil er sich verbirgt, um noch andere zu begehen, und weil ich ihn als den Chef der Verschwörung betrachte, die wir zu vernichten haben. Ich prüfe den Brief, der soeben vorgelesen wurde, und sage, daß er von einem Mann geschrieben ist, der, angeklagt, sich weigert, sich vor seinen Mitbürgern zu rechtfertigen. Damit ist der Beginn eines Systems von Tyrannei gegeben, denn wer sich weigert, vor einer Volksgemeinschaft, deren Mitglied er ist, sich zu rechtfertigen, greift die Autorität dieser Volksgemeinschaft an. Es ist erstaunlich, daß eben derselbe, der früher um die Billigung der Gesellschaft buhlte, sie mißachtet, sobald er angeklagt ist, und daß er gewissermaßen die Hilfe des Konvents gegen die Jakobiner anzurufen scheint.« Und nun bricht sein Haß plötzlich persönlich hervor, selbst die körperliche Häßlichkeit Fouchés nimmt er zum willkommenen Anlaß, ihn zu erniedrigen. »Fürchtet er etwa«, höhnt er, »die Augen und die Ohren des Volkes, fürchtet er, daß sein tristes Aussehen nur zu offenbar sein Verbrechen enthülle? Daß sechstausend auf ihn gerichtete Blicke seine ganze Seele in seinen Augen entdecken, obwohl die Natur sie so heimtückisch verborgen gestaltet hat? Fürchtet er, daß seine Sprache die Verwirrung, den Widerspruch eines Schuldigen enthülle? Jeder vernünftige Mensch muß erkennen, daß die Furcht der einzige Grund seines Verhaltens ist, und jedermann, der die Blicke seiner Mitbürger fürchtet, ist schuldig. Ich rufe hier Fouché vor Gericht. Er möge sich verantworten und sagen, ob er oder wir würdiger die Rechte einer Volksvertretung gewahrt, und wer von uns mutiger alle Parteiungen niedergeschmettert hat.« Er nennt ihn dann noch einen »niedrigen und verächtlichen Betrüger«, dessen Verhalten das Bekenntnis seines Verbrechens sei, und spricht mit perfiden Andeutungen »von Männern, deren Hände voll sind von Beute und Verbrechen«, und schließt mit den drohenden Worten: »Fouché hat sich selbst genug charakterisiert, ich habe diese Bemerkungen nur gemacht, damit die Verschwörer ein für allemal wissen, daß sie der Wachsamkeit des Volkes nicht entkommen werden.«

Obwohl diese Worte deutlich ein Todesurteil ankündigen, gehorcht die Versammlung Robespierre. Und ohne Zögern stößt sie ihren ehemaligen Präsidenten als unwürdig aus dem Jakobinerklub aus.

Nun ist Joseph Fouché gezeichnet für die Guillotine wie ein Baum für das Beil. Ausschließung aus dem Klub der Jakobiner bedeutet Brandmal, Anklage Robespierres, und gar eine so erbitterte, meist soviel wie sichere Verurteilung. Fouché trägt jetzt am hellichten Tage sein Totenhemd. Jeder erwartet von jetzt ab stündlich seine Verhaftung und am meisten er selbst. Längst schläft er nicht mehr daheim im eigenen Bett, aus Furcht, wie Danton, wie Desmoulins nachts durch die Gendarmen aus dem Haus geholt zu werden. Er kriecht unter bei einigen tapferen Freunden, denn Mut ist vonnöten, einen so offenkundig Geächteten zu beherbergen, Mut sogar, öffentlich mit ihm zu sprechen. Hinter jeden seiner Schritte heftet sich die von Robespierre geleitete Polizei des Sicherheitsausschusses und meldet seinen Umgang, seine Besuche. Unsichtbar ist er umstellt, in jeder Bewegung gebunden und schon ans Messer geliefert. Tatsächlich, von allen siebenhundert Deputierten ist Fouché damals der Gefährdetste, und man sieht keine Möglichkeit des Entkommens für ihn. Er hat noch einmal versucht, sich irgendwo anzuklammern: bei den Jakobinern, aber die grimmige Faust Robespierres hat ihn losgerissen, nun sitzt sein Kopf nur auf Borg auf seinen Schultern. Denn was kann er vom Konvent erwarten, von dieser feigen, verschüchterten Hammelherde, die geduldig ihr Ja blökt, sobald der Ausschuß einen der ihren fordert für die Guillotine? Sie haben alle ihre einstigen Führer ohne Widerstand ans Revolutionstribunal abgegeben, Danton, Desmoulins, Vergniaud, nur um nicht durch Widerstand die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken – warum nicht Fouche? Stumm, ängstlich, betroffen sitzen sie, die einst so Mutigen und Leidenschaftlichen, auf ihren Bänken. Das gräßliche, nervenzerrüttende, seelenzermalmende Gift der Angst lähmt ihren Willen.

Aber dies ist allzeit ein Geheimnis des Giftes, daß es Heilkraft in sich schließt, wenn man es künstlich destilliert und seine verborgenen Kräfte zusammenpreßt. So kann auch hier– paradoxerweise – gerade die Furcht vor Robespierre zur Rettung vor Robespierre werden. Man verzeiht es einem Menschen nicht, wenn er einen wochenlang, monatelang unablässig zur Furcht zwingt, wenn er durch Ungewißheit die Seele zerstört und den Willen lähmt: nie kann die Menschheit oder ein Teil von ihr, eine einzelne Gruppe, die Diktatur eines einzigen Menschen lange ertragen, ohne ihn zu hassen. Und dieser Haß der Gebändigten gärt unterirdisch in allen Kreisen. Fünfzig, sechzig der Deputierten, die wie Fouché nicht mehr wagen, zu Hause zu schlafen, beißen die Lippen zusammen, wenn Robespierre an ihnen vorüberschreitet, viele ballen die Fäuste hinter dem Rücken, während sie seine Reden bejubeln. Je härter und länger der Unbestechliche herrscht, um so mehr wächst der Unwillen gegen seinen übermächtigen Willen. Nach und nach hat er sie alle getroffen und beleidigt, den rechten Flügel, weil er die Girondisten auf das Schafott führte, den linken, weil er die Köpfe der Extremisten in den Sack warf, den Wohlfahrtsausschuß, weil er ihm seinen Willen aufzwang, die Geldverdiener, weil er sie in ihren Geschäften bedrohte, die Ehrgeizigen, weil er ihnen den Weg versperrte, die Neidischen, weil er herrscht, und die Verträglichen, weil er sich ihnen nicht verbindet. Gelänge es, diesen hundertköpfigen Haß, diese viele verstreute Feigheit in einen Willen zu fassen, in eine Spitze, deren Stoß Robespierre ins Herz fährt, dann wären sie alle gerettet, Fouché, Barras, Tallien, Carnot, alle seine heimlichen Feinde. Aber um dies zu ermöglichen, müßte man zuerst vielen dieser schwachen Charaktere die Überzeugung beibringen, sie seien von Robespierre bedroht; man müßte die Sphäre der Furcht und des Mißtrauens noch verbreitern, die Spannung, die jener übt, selber noch künstlich erhöhen. Man müßte die bleierne Schwüle, diesen Druck der Unbestimmtheit in Robespierres düsteren Reden noch mehr auf den Nerven der einzelnen lasten machen, die Furcht noch furchtbarer, die Angst noch angsthafter steigern: dann vielleicht wäre die Masse mutig genug, um diesen einzelnen anzufallen.

Hier setzt die eigentliche Tätigkeit Fouchés ein. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend schleicht er vom einen zum andern Abgeordneten, munkelt von den geheimnisvollen neuen Konskriptionslisten, die Robespierre vorbereite. Und jedem einzelnen flüstert er zu: »Du bist auf der Liste« oder »Du kommst zum nächsten Schub«. Und wirklich, so verbreitet sich allmählich unterirdisch eine panische Angst, denn einem solchen Cato, einer derart restlosen Unbestechlichkeit gegenüber haben die wenigsten Deputierten ein vollkommen reines Gewissen. Der eine hat vielleicht in der Geldgebarung etwas zu fahrlässig gehandelt, der zweite einmal Robespierre widersprochen, der dritte sich zuviel mit Frauen abgegeben (alles Verbrechen in den Augen dieses republikanischen Puritaners), der vierte hat vielleicht einmal mit Danton oder einem anderen der hundertfünfzig Verurteilten Freundschaft gepflogen, der fünfte einen Verurteilten bei sich aufgenommen, der sechste einen Brief eines Emigranten empfangen. Kurzum, jeder zittert, jeder hält einen Angriff gegen sich für möglich, keiner fühlt sich rein genug, um dem überstrengen Anspruch, den Robespierre an die Bürgertugend stellt, völlig gerecht zu werden. Und immer wieder schießt, wie die Spule am Webstuhl, Fouché vom einen zum andern, immer neue Fäden ziehend, immer neue Maschen knüpfend, immer mehr einfangend in dieses Spinnennetz von Mißtrauen und Verdacht. Aber es ist ein gefährliches Spiel, das er treibt, denn nur ein Spinnennetz flicht er, und eine einzige brüske Bewegung Robespierres, ein Wort des Verrats, kann sein Gewebe zerreißen.

Diese geheimnisvolle, verzweifelte, gefährliche und hintergründige Rolle Fouchés in der Verschwörung gegen Robespierre ist in den meisten Darstellungen nicht genug betont worden, und in den oberflächlichen wird er oft gar nicht genannt. Geschichte wird fast immer bloß nach dem Augenschein geschrieben, und so schildern die Darsteller jener aufregenden letzten Tage gewöhnlich nur die dramatisch pathetische Gebärde Talliens, der auf der Tribüne den Dolch schwingt, mit dem er sich durchbohren will, die brüske Energie Barras', der die Truppen zusammenruft, die Anklagerede Bourdons; sie schildern kurzum die Schauspieler, die Akteure des großen Dramas, das sich dann am 9. Thermidor entrollt, und übersehen Fouché. Tatsächlich hat er in jenen Tagen auf der Bühne des Konvents nicht mitgespielt. Seine Leistung war eine des Hintergrunds, die schwierigere des Regisseurs, des Spielleiters in diesem verwegen gefährlichen Spiel. Er hat die Szenen bestimmt, die Schauspieler eingespielt, er hat unsichtbar im Dunkel geprobt und die Stichworte gegeben – im Dunkel, das ja immer seine wahre Sphäre bildet. Aber wenn die späteren Geschichtsschreiber seine Rolle übersahen – einer hat seine tätige Gegenwart schon damals wissend gefühlt, Robespierre, und am hellichten Tage Fouché mit dem richtigen Namen genannt: »Chef de la Conspiration«, das Haupt der Verschwörung.

Denn daß sich im geheimen etwas gegen ihn vorbereitet, spürt dieser mißtrauische, argwöhnische Geist. Er spürt es an dem plötzlich aufbrechenden Widerstand in den Ausschüssen und noch deutlicher vielleicht an der übertriebenen Höflichkeit und Unterwürfigkeit mancher Abgeordneten, die er seine Feinde weiß. Irgendeinen Schlag aus dem Dunkel fühlt Robespierre geplant; er kennt auch die Hand, die ihn führen soll, den »Chef de la Conspiration«, und ist auf seiner Hut. Vorsichtig tasten seine Fühler aus: eine eigene Polizei, private Spione melden Robespierre Schritt für Schritt jeden Gang, jede Begegnung, jedes Gespräch Talliens, Fouchés und der andern Verschwörer; anonyme Briefe warnen ihn oder reizen ihn auf, rasch die Diktatur an sich zu reißen und die Feinde niederzuschlagen, ehe sie sich sammeln. Und um sie nun seinerseits zu verwirren und zu täuschen, nimmt er plötzlich die Maske der Gleichgültigkeit gegen die politische Macht um. Er erscheint nicht mehr im Konvent, nicht mehr im Ausschuß. Von seinem großen Neufundländer begleitet, sieht man ihn allein, ein Buch in der Hand, mit verschlossenem Munde auf den Straßen oder in den nahen Wäldern herumstreifen, scheinbar nur mit seinen geliebten Philosophen beschäftigt und gleichgültig gegen die Macht. Aber wenn er abends zurückkommt in sein Zimmer, so bosselt er stundenlang an seiner großen Rede. Endlos arbeitet er daran, und das Manuskript zeigt zahllose Änderungen und Ergänzungen, denn diese große, entscheidende Rede, mit der er alle seine Feinde auf einmal zerschmettern will, soll unvermutet hervorgeholt und schneidend sein wie ein Beil, voll rhetorischen Schwungs, blinkend von Geist und geschliffen von Haß. Mit dieser Waffe will er plötzlich losschlagen auf die Überraschten, ehe sie sich sammeln und verständigen können. Nicht genug kann er sich tun, ihre Schneide zu schärfen und tödlich zu vergiften, und über dieser unheimlichen Arbeit vergehen lange, kostbare Tage.

Aber es ist keine Zeit mehr zu verlieren, denn immer dringlicher berichten die Spione von geheimen Konventikeln. Am 5. Thermidor fällt Robespierre ein Brief Fouchés in die Hände, an dessen Schwester gerichtet, in dem es geheimnisvoll heißt: »Ich habe nichts von den Verleumdungen Maximilian Robespierres zu befürchten . . . in kurzer Zeit wirst Du von dem Ausgang dieser Angelegenheit hören, die, wie ich hoffe, zum Vorteil der Republik ausfallen wird.« – In kurzer Zeit also: Robespierre ist gewarnt. Er läßt seinen Freund Saint-Just zu sich kommen und schließt sich mit ihm ein in seiner engen Mansarde der Rue Saint-Honoré. Dort wird Tag und Methode des Angriffs bestimmt. Am 8. Thermidor soll Robespierre den Konvent mit seiner Rede überraschen und lähmen. Und am 9. dann Saint-Just die Köpfe seiner Feinde fordern, die Köpfe der Widerspenstigen im Ausschuß und vor allem jenen Joseph Fouchés.

Die Spannung ist kaum mehr zu ertragen, auch die Verschworenen fühlen den Blitz im Gewölk. Aber noch immer zögern sie, den gewaltigsten Mann Frankreichs anzugreifen, ihn, den Mächtigen, der alle Mächte in seinen Händen hat, die Stadtverwaltung und die Armee, die Jakobiner und das Volk und den Ruhm und die Gewalt eines untadeligen Namens. Noch immer scheinen sie sich nicht sicher, noch nicht zahlreich, noch nicht entschlossen, noch nicht verwegen genug, um diesen Riesen der Revolution in offener Schlacht anzugehen, und schon schwenken manche vorsichtig ein, reden von Rückzug und Versöhnung. Die Verschwörung, mühsam zusammengekleistert, droht zu zerfallen.

In diesem Augenblick wirft das Schicksal, genialer als alle Dichter, ein entscheidendes Gewicht in die schwankende Schale. Gerade Fouché ist ausersehen, die Mine zur Zündung zu bringen. Denn in diesen Tagen erlebt der von allen Hunden verzweifelt Gehetzte, vom Blitz des Beils stündlich Bedrohte zu seinem politischen Mißgeschick noch ein letztes, äußerstes Unglück in seinem eigenen Leben. Hart, kalt, intrigant und unmitteilsam in der Öffentlichkeit und Politik, ist dieser sonderbare Mann daheim der rührendste Gatte, der zärtlichste Familienvater. Leidenschaftlich liebt er seine erschreckend häßliche Frau und vor allem jenes kleine Mädchen, das sie ihm in den Tagen des Prokonsulats geboren hat und das er mit eigener Hand auf dem Marktplatz in Nevers »Nièvre« getauft hat. Dieses kleine, zarte, blasse Kind, sein Liebling, wird plötzlich schwer krank in jenen Thermidortagen, und zu den Sorgen um sein eigenes Leben wächst nun fürchterlich die neue um das seiner Tochter. Grausamste Prüfung: er weiß das schwache, brustkranke, geliebte Wesen sterbend bei seiner Frau und darf, von Robespierre gejagt, nicht nachts am Bett seines todkranken Kindes sitzen, sondern muß sich in fremden Wohnungen und Dachkammern verstecken. Er muß, statt für sie zu sorgen und ihrem entfliehenden Atem zu lauschen, mit brennenden Sohlen von einem Deputierten zum andern laufen, lügen, betteln, beschwören, sein eigenes Leben verteidigen. Die Sinne verstört, das Herz zerrissen, so irrt der Unglückliche in den glühenden Julitagen (den heißesten seit Jahren und Jahren) unermüdlich hin und her in den politischen Kulissen und kann nicht dabei sein, wie sein geliebtes Kind leidet und stirbt.

Am 5. oder 6. Thermidor ist diese Prüfung zu Ende. Fouché begleitet einen kleinen Sarg hinaus auf den Kirchhof: das Kind ist gestorben. An solchen Prüfungen wird man hart. Den Tod seines Kindes vor dem Antlitz, fürchtet er nicht mehr den eigenen Tod. Eine neue Kühnheit, die der Verzweiflung, stählt seinen Willen. Und wie jetzt die Verschworenen immer noch zögern und immer noch den Kampf hinausschieben wollen, da spricht er endlich, Fouché, er, der nichts mehr zu verlieren hat auf Erden als sein Leben, das entscheidende Wort: »Morgen muß zugeschlagen werden.« Und dieses Wort ist gesagt am 7. Thermidor. Der Morgen des 8. Thermidor bricht an – welthistorischer Tag. Frühmorgens lastet schon wolkenlose Juliglut über der ahnungslosen Stadt. Und nur im Konvent herrscht frühzeitig eine seltsame Erregung: in den Ecken stehen die Abgeordneten beisammen und flüstern; nie hat man so viele Fremde und Neugierige auf den Gängen und auf den Tribünen gesehen. Geheimnis und Spannung geistert körperlos im Raum, denn auf unerklärliche Weise hat sich das Gerücht verbreitet, heute werde Robespierre Abrechnung halten mit seinen Feinden. Vielleicht hat jemand Saint-Just belauscht und beobachtet, wie er abends aus dem verschlossenen Zimmer zurückkehrte, und man kennt im Konvent zu gut die Wirkung dieser geheimen Beratungen. Oder hat anderseits Robespierre Nachricht von den Kriegsplänen seiner Gegner? Alle Verschworenen, alle, die sich bedroht wissen, mustern ängstlich die Gesichter ihrer Kollegen: hat einer von ihnen, und welcher, das gefährliche Geheimnis verplaudert? Wird Robespierre ihnen zuvorkommen, oder werden sie ihn erdrücken können, ehe er das Wort nimmt? Und wird die unsichere, feige Masse der Mehrheit – »le marais«–sie preisgeben oder beschützen? Jeder schwankt und schauert. Und wie die Schwüle des bleigrauen Himmels über der Stadt, lastet seelische Unruhe drohend über der Versammlung.

Und tatsächlich, – kaum ist die Sitzung eröffnet, da meldet sich Robespierre zum Wort. Feierlich wie zu jenem Fest des höchsten Wesens hat er sich angetan, er trägt das schon historisch gewordene himmelblaue Kleid mit den weißen Seidenstrümpfen, und langsam auch, mit beabsichtigter Feierlichkeit, schreitet er nun die Tribüne hinauf. Nur hält er diesmal nicht wie damals eine Fackel in den Händen, sondern rund, wie die Liktoren den Griff ihres Beils, eine umfangreiche Papierrolle: seine Rede. In diesen verschlossenen Blättern seinen Namen zu wissen, bedeutet Verderben für jeden einzelnen, darum endet plötzlich wie abgerissen das Schwätzen und Surren auf den Bänken. Aus dem Garten, von den Tribünen hasten die Deputierten heran und nehmen Platz auf ihren Sitzen. Jeder mustert ängstlich den Ausdruck dieses allzu bekannten schmalen Gesichts. Aber eisig in sich selbst verschlossen, undurchdringlich für jede Neugier, entrollt Robespierre jetzt langsam seine Rede auf der Tribüne. Ehe er mit seinen kurzsichtigen Augen zu lesen beginnt, hebt er, um die Spannung zu steigern, den Blick und läßt ihn von rechts nach links, von links nach rechts, von der Tiefe zur Höhe, von der Höhe zur Tiefe, langsam, kalt und drohend die gleichsam narkotisierte Versammlung umkreisen. Da sitzen sie, seine wenigen Freunde, die vielen Ungewissen und der feige Klüngel der Verschworenen, der auf sein Verderben lauert. Blick in Blick sieht er sie an. Nur einen sieht er nicht. Ein einziger von seinen Feinden fehlt in dieser entscheidenden Stunde: Joseph Fouché.

Aber sonderbar: nur der eine Name dieses Abwesenden, nur der Name Joseph Fouché wird in der Debatte genannt. Und gerade an seinem Namen entzündet sich der letzte, der entscheidende Kampf.

Robespierre spricht lange, weitschweifig und ermüdend; nach seiner alten Gewohnheit läßt er das Beil immer wieder über Ungenannten kreisen, er spricht von Verschwörungen und Konspirationen, von Unwürdigen und Verbrechern, von Verrätern und Machenschaften, aber er nennt keinen Namen. Ihm genügt es, die Versammlung zu hypnotisieren: den tödlichen Schlag soll dann morgen Saint-Just gegen die gelähmten Opfer führen. Drei Stunden lang läßt er seine vage und vielfach phrasenhafte Rede sich ins Leere verlängern, und als er schließlich endet, ist die Versammlung mehr entnervt als erschreckt.

Zunächst rührt sich keine Hand. Unsicherheit liegt über allen. Keiner kann sagen, ob dieses Schweigen eine Niederlage bekräftigt oder einen Sieg: erst die Debatte wird es entscheiden.

Endlich fordert einer seiner Satelliten, der Konvent möge den Druck der Rede beschließen und sie somit billigen. Niemand spricht dagegen. Feige, sklavisch und gewissermaßen erlöst, daß heute nicht mehr von ihr gefordert wurde, nicht neue Köpfe, neue Verhaftungen, neue Selbstbeschränkungen, stimmt die Mehrheit zu. Da, im letzten Augenblick, wirft sich einer der Verschworenen vor – der Name gehört in die Weltgeschichte: Bourdon de l'Oise – und spricht gegen die Drucklegung. Und diese eine Stimme befreit alle andern. Die Feigheit schart sich allmählich zusammen und rottet sich zu einem verzweifelten Mut; einer nach dem andern beschuldigt Robespierre, daß er seine Erklärungen und Drohungen zu undeutlich formuliere, er solle endlich deutlich aussprechen, wen er eigentlich beschuldige. Innerhalb einer Viertelstunde hat sich die Szene geändert: Robespierre, der Angreifer, ist in die Verteidigung gedrängt, er schwächt seine Rede ab, statt sie zu verstärken, er erklärt, er habe niemand angeklagt und niemand beschuldigt.

In diesem Augenblick gellt plötzlich eine Stimme, die eines kleinen unbedeutenden Abgeordneten, der ihm entgegenruft: »Et Fouché?«–»Und Fouché?« Der Name ist genannt, der Name dessen, den er schon einmal als Anführer der Verschwörung, als Verräter der Revolution gebrandmarkt. Nun könnte, nun müßte Robespierre zustoßen. Aber seltsam, unerklärlich seltsam, Robespierre weicht aus: »Ich will mich jetzt nicht mit ihm beschäftigen, ich höre nur auf die Stimme meiner Pflicht.«

Diese ausweichende Antwort Robespierres gehört zu den Geheimnissen, die er mit sich ins Grab genommen. Warum schont er, da er schon fühlt, daß es um Tod und Leben geht, seinen bittersten Feind? Warum schmettert er ihn nicht nieder, warum greift er den Abwesenden, den einzig Abwesenden von allen, nicht an? Warum entlastet er damit nicht alle übrigen, die sich geängstigt fühlen und Fouché zweifellos preisgeben würden, um sich selbst zu retten? Am selben Abend – so behauptet Saint-Just – habe Fouché noch einmal versucht, sich Robespierre zu nähern. Ist es eine Finte, oder ist es wahr? Es wollen verschiedene Zeugen ihn in diesen Tagen auf einer Bank mit Charlotte Robespierre, seiner einstigen Braut, sitzen gesehen haben: hat er wirklich das alternde Mädchen noch einmal zu bereden gesucht, Fürsprecherin bei ihrem Bruder für ihn zu sein? Wollte wirklich der Verzweifelte, um seinen eigenen Kopf zu retten, die Verschworenen verraten? Oder wollte er, um Robespierre sicher zu machen und die Verschwörung zu decken, ihm Reue und Ergebenheit heucheln? Hat dieser Zwiespältigste aller, wie tausendmal auch diesmal mit doppelten Karten gespielt? Und war der unbestechliche und gleichfalls bedrohte Robespierre, nur um sich aufrecht zu halten, bereit, den gehaßtesten Feind in jener Stunde zu schonen? War dies Ausweichen vor einer Anklage Fouchés Zeichen einer geheimen Vereinbarung oder nur Ausflucht?

Man weiß es nicht. Um Robespierres Gestalt schwebt heute nach so vielen Jahren noch immer ein Schatten von Geheimnis, niemals wird die Geschichte diesen Undurchdringlichen vollkommen erraten. Nie wird man seine letzten Gedanken wissen: ob er wahrhaft die Diktatur für sich wollte oder die Republik für alle, ob er die Revolution retten wollte oder sie beerben wie Napoleon. Niemand hat seine geheimsten Gedanken gekannt, die Gedanken seiner letzten Nacht vom 8. zum 9. Thermidor.

Denn es ist seine letzte Nacht, in ihr fällt die Entscheidung. Im Mondlicht der erstickend schwülen Julinacht geistert blank die Guillotine. Wird ihre kalte Schneide morgen dem Trifolium Tallien, Barras und Fouché in den Nackenwirbel fahren oder Robespierre? Keiner der sechshundert Abgeordneten geht schlafen in dieser Nacht, beide Parteien rüsten zum Endkampf. Robespierre ist aus dem Konvent zu den Jakobinern gestürzt; vor flackernden Wachskerzen, bebend vor Erregung, liest er ihnen seine von den Abgeordneten zurückgewiesene Rede vor. Irrwitziger Beifall umjubelt ihn noch einmal, zum letztenmal, er aber, voll bitteren Vorgefühls, läßt sich nicht täuschen, weil diese Dreitausend sich schreiend um ihn scharen, und nennt die Rede sein Testament. Unterdessen kämpft sein Siegelbewahrer, Saint-Just, im Ausschuß bis zum Morgengrauen wie ein Verzweifelter gegen Collot, Carnot und die anderen Verschworenen, und gleichzeitig flicht sich in den Gängen des Konvents das Netz, das Robespierre morgen umstricken soll. Zweimal, dreimal, wie im Webstuhl die Spule, gehen die Fäden von der Rechten zur Linken, von der Bergpartei zu der alten Reaktion, bis sie endlich im Frühlicht gesponnen sind zum festen, unzerreißbaren Pakt. Hier taucht plötzlich Fouché wieder auf, denn die Nacht ist sein Element, die Intrige seine wahrhafte Sphäre. Sein bleifarbenes, von der Angst noch weißer gekalktes Gesicht geistert gespenstisch in den halberleuchteten Räumen. Er flüstert, schmeichelt, verspricht, er ängstigt, erschreckt und bedroht einen nach dem andern, und er rastet nicht, ehe der Pakt geschlossen ist. Um zwei Uhr morgens sind schließlich alle Gegner einig, den gemeinsamen zu erledigen, Robespierre. Nun erst kann sich Fouché endlich zur Ruhe legen.

Auch in der Sitzung des 9. Thermidor fehlt Joseph Fouché. Aber er darf ruhen und fehlen, denn sein Werk ist getan, das Netz geknotet und endlich die Mehrheit entschlossen, den allzu Starken und allzu Gefährlichen nicht mehr lebend entkommen zu lassen. Kaum beginnt Saint-Just, der Schwertträger Robespierres, die vorbereitete tödliche Rede gegen die Verschworenen, so fährt schon Tallien dazwischen, denn sie haben gestern vereinbart, keinen der Redegewaltigen, weder Saint-Just noch Robespierre, zu Wort kommen zu lassen. Die beiden müssen erwürgt werden, ehe sie sprechen, ehe sie anklagen können, und so stürzt jetzt, geschickt geleitet von dem willfährigen Präsidenten, ein Redner nach dem andern auf die Tribüne, und wenn Robespierre sich verteidigen will, schreit, brüllt, trommelt man seine Stimme nieder – die niedergehaltene Feigheit von sechshundert unsichern Seelen, der Haß und Neid von Wochen und Monaten wirft sich jetzt gegen den Mann, vor dem sie alle einzeln gezittert. Um sechs Uhr abends ist alles entschieden, Robespierre geächtet und ins Gefängnis abgeführt; vergebens, daß seine Freunde, daß die wahrhaft Revolutionären, die in ihm die harte und leidenschaftliche Seele der Republik bewundern, ihn befreien und in das Rathaus retten: nachts stürmen die Truppen des Konvents diese Hochburg der Revolution, und um zwei Uhr morgens, vierundzwanzig Stunden, nachdem Fouché und die Seinen den Pakt zu seiner Vernichtung besiegelt, liegt Maximilian Robespierre, der Feind Fouches und gestern noch der mächtigste Mann Frankreichs, blutüberströmt mit zerschmetterter Kinnlade quer über zwei Sesseln im Vorraum des Konvents. Das große Wild ist gejagt, Fouché gerettet. Am nächsten Nachmittag rattert der Karren zum Richtplatz. – Der Terror ist zu Ende, aber auch der feurige Geist der Revolution erloschen, die heldische Ära vorbei. Nun kommt die Stunde der Erben, der Glücksritter und Gewinner, der Beutemacher und Doppelseelen, der Generale und Geldmänner, die Stunde der neuen Gilde. Nun kommt, so meinte man, auch die Stunde Joseph Fouchés.

Während der Karren Maximilian Robespierre und die Seinen durch die Rue Saint-Honoré, den tragischen Weg Ludwigs des Sechzehnten, Dantons und Desmoulins und der unzähligen andern Opfer langsam zur Guillotine rollt, drängt jauchzend begeisterte Neugierde zu. Hinrichtung ist noch einmal zum Volksfest geworden, Fahnen und Wimpel wehen von Dächern, Jubelrufe stürzen aus allen Fenstern, eine Welle der Freude braust über Paris. Als das Haupt Robespierres in den Korb fällt, erdonnert der riesige Platz von einem einzigen ekstatischen Jubelschrei. Die Verschworenen staunen: warum jubelt das Volk so leidenschaftlich über die Hinrichtung dieses Mannes, den Paris, den Frankreich noch gestern wie einen Gott verehrte? Und sie staunen noch mehr, Tallien und Barras, wie jetzt beim Eingang zum Konvent eine stürmische Volksmenge sie mit bewunderndem Zuruf empfängt als Tyrannentöter, als die Bekämpfer des Terrors. Sie staunen. Denn indem sie diesen überlegenen Mann kaltmachten, haben sie doch nichts gewollt, als sich eines unbequemen Tugendbolds zu entledigen, der ihnen zu genau auf die Finger paßte – aber die Guillotine rosten zu lassen, den Terror zu enden, daran hat keiner von ihnen gedacht. Nun sie aber sehen, wie unbeliebt die Massenhinrichtungen geworden sind und wie beliebt sie sich machen können, wenn sie ihrer privaten Rache Motive der Menschlichkeit nachträglich unterstellten, beschließen sie rasch, das Mißverständnis auszunützen. Alle Gewalttaten der Revolution hat einzig Robespierre auf dem Gewissen, werden sie von nun ab behaupten (denn aus der Kalkgrube kann man nicht antworten), sie aber seien immer Apostel der Milde gewesen und gegen alle Härten und Übertreibungen.

Nicht die Hinrichtung Robespierres, sondern erst diese feige und lügenhafte Einstellung seiner Nachfolger gibt dem 9. Thermidor seinen welthistorischen Sinn. Denn bis zu diesem Tage hatte die Revolution alles Recht für sich gefordert, jede Verantwortung ruhig auf sich genommen – von diesem Tage an gesteht sie ängstlich zu, auch Unrecht begangen zu haben, und ihre Führer beginnen, sie zu verleugnen. Jeder geistige Glaube aber, jede Weltanschauung ist, sobald sie ihr unbedingtes Recht, ihre Unfehlbarkeit leugnet, schon in ihrer innersten Kraft gebrochen. Und indem die traurigen Sieger Tallien und Barras die Leichen ihrer großen Vorgänger Danton und Robespierre als Kadaver von Mördern beschimpfen und sich ängstlich auf die Bänke der Rechten setzen, zu den Gemäßigten, zu den geheimen Feinden der Republik, verraten sie nicht nur die Geschichte und den Geist der Revolution, sondern sich selbst.

Jeder erwartet Fouché an ihrer Seite zu sehen, ihn, den Hauptverschwörer, den grimmigsten Feind Robespierres. Er, als der am meisten Bedrohte, er, der »Chef de la Conspiration«, hätte doch wohl Anrecht auf ein besonders saftiges Stück aus der Beute. Aber merkwürdig – Fouché setzt sich nicht mit den andern auf die Bänke der Rechten, sondern auf seinen alten Platz auf dem »Berge« zu den Radikalen und hüllt sich in Schweigen. Zum erstenmal (man erstaunt) geht er nicht mit der Majorität.

Warum handelt Fouché so eigenwillig? haben damals und später manche gefragt. Die Antwort ist einfach: Weil er klüger und weitsichtiger denkt als die andern, weil sein überlegener Politikerverstand profunder den Sachverhalt überschaut als die Schwachköpfe Tallien und Barras, denen nur die Gefahr eine kurzatmige Energie gegeben. Er, der ehemalige Physikprofessor, kennt das Gesetz der Bewegungskräfte, demzufolge eine Welle nicht starr in der Luft stehen bleiben kann. Sie muß, er weiß es, vorwärts- oder zurückfluten. Hebt nun also der Rücklauf an, beginnt jetzt eine Reaktion, so wird sie ebensowenig im Stoße innehalten wie vordem die Revolution; sie wird genau wie jene bis zum Äußersten laufen, bis in ihr Extrem, bis zur Gewalt. Dann aber muß dieses hastig geknüpfte Bündnis unbedingt zerreißen, und wenn die Reaktion siegt, dann sind alle Vorkämpfer der Revolution verloren. Denn mit neuen Ideen wechseln auch gefährlich die Maßstäbe für die Taten von gestern. Was gestern als republikanische Pflicht und Tugend galt – zum Beispiel sechzehnhundert Menschen niederzukartätschen und die Kirchen zu plündern –, wird dann notwendigerweise als Verbrechen gelten, die Ankläger von gestern werden die Angeklagten von morgen sein. Fouché, der allerhand auf dem Gewissen hat, will den ungeheuren Irrtum der andern Thermidoristen (so nennen sich nun die Beseitiger Robespierres) nicht teilen, die sich ängstlich an das Rad der Reaktion klammern – er weiß, es hilft nichts: wenn die Reaktion einmal ins Rollen kommt, so reißt sie alle mit. Nur aus Klugheit und Voraussicht bleibt Fouché der Linken, bleibt er den Radikalen treu, denn er fühlt, bald wird es gerade den Kühnsten an Hals und Kragen gehn.

Und Fouché behält recht. Um sich beliebt zu machen, um eine nie vorhanden gewesene Humanität zu bekräftigen, opfern die Thermidoristen die energischsten der Prokonsuln, sie lassen Carrier hinrichten, der sechstausend Menschen in der Loire ertränkte, Joseph Lebon, den Tribun von Arras, und Fouquier-Tinville. Sie berufen, um der Rechten gefällig zu sein, die dreiundsiebzig ausgestoßenen Mitglieder der Gironde zurück und merken zu spät, daß sie durch diese Verstärkung der Reaktion nun selbst von ihr abhängig geworden sind. Sie müssen jetzt gehorsam ihre eigenen Mithelfer gegen Robespierre anklagen, Billaud-Varenne und Collot d'Herbois, den Kollegen Fouchés in Lyon. Immer näher rückt die Reaktion Fouché an den Hals. Diesmal rettet er sich noch, indem er feige alle Mitschuld an Lyon leugnet (obwohl er gemeinsam mit Collot jedes Blatt unterzeichnet hatte) und ebenso lügnerisch behauptet, nur wegen seiner übergroßen Milde von dem Tyrannen Robespierre verfolgt worden zu sein. Damit täuscht der Gerissene tatsächlich für eine Weile den Konvent. Er darf unbehelligt auf seinem Platze bleiben, während Collot auf die »Trockene Guillotine« kommt, das heißt auf die Fieberinseln Westindiens geschickt wird, wo er schon nach wenigen Monaten zugrunde geht. Aber Fouché ist zu klug, um sich nach dieser ersten Abwehr schon sicher zu fühlen; er kennt die Unerbittlichkeit politischer Leidenschaften, er weiß, eine Reaktion frißt sich ebensowenig wie eine Revolution an Menschen satt, solange man ihr nicht die Zähne ausbricht; sie wird nicht eher innehalten in ihrer Rachgier, als der letzte der Jakobiner vor Gericht gefordert und die Republik zerstört ist. Und so sieht er nur eine Rettung für die Revolution, an die er unlöslich durch seine Blutschuld gebunden ist: daß man sie erneuert. Und er sieht nur eine Rettung für sich: wenn die Regierung stürzt. Wiederum der Bedrohteste aller, genau wie vor sechs Monaten, eröffnet er, allein gegen die Übermacht, den Verzweiflungskampf um sein Leben.

Immer, wenn es um die Macht geht und um sein Leben, entfaltet Fouché erstaunliche Kräfte. Er sieht, auf rechtmäßigem Wege kann man nicht mehr den Konvent an der Verfolgung der einstigen Terroristen hindern, so bleibt kein anderes Mittel als das so oft während der Revolution bewährte: der Terror. Schon einmal, bei der Verurteilung der Girondisten, bei der Verurteilung des Königs hat man die feigen und vorsichtigen Abgeordneten (darunter den damals noch konservativen Joseph Fouché) eingeschüchtert, indem man die Straße gegen das Parlament mobilisierte, indem man aus den Vorstädten die Arbeiterbataillone mit ihrer proletarischen Kraft, mit ihrem unwiderstehlichen Elan heranholte und die rote Fahne der Revolte auf dem Rathaus hißte. Warum nicht nochmals diese alte Garde der Revolution, die Bastillestürmer und die Männer des zehnten August gegen den feiggewordenen Konvent werfen und mit ihren Fäusten die Übermacht zerschlagen? Nur die krasse Angst vor der Revolte, vor proletarischer Erbitterung, könnte die Thermidoristen einschüchtern –so beschließt Fouché, das Volk von Paris, die breiten Massen aufzuwiegeln und gegen seine Feinde, seine Ankläger zu werfen.

Freilich, in die Vorstädte zu gehen, dort feurige revolutionäre Reden zu halten oder wie Marat unter Lebensgefahr aufreizende Broschüren ins Volk zu schleudern, dazu ist Fouché zu vorsichtig. Er liebt nicht, sich bloßzustellen, er biegt gern der Verantwortlichkeit aus: seine Meisterkunst ist nicht die der lauten hinreißenden Rede, sondern die des Einflüsterns, das Sich-hinter-einen-andern-Stellen. Und auch diesmal findet er einen geeigneten Mann, der, kühn und entschlossen vortretend, ihn mit seinem Schatten deckt.

In Paris irrt damals geächtet und unterdrückt ein ehrlicher, leidenschaftlicher Republikaner herum, François Baboeuf, der sich Gracchus Baboeuf nennt. Ein strömendes Herz, ein mittelmäßiger Verstand. Proletarier aus der Tiefe, ehemaliger Feldmesser und Buchdrucker, hat er nur wenige, primitive Ideen, die aber nährt er mit männlicher Leidenschaft und hitzt sie an der Glut wahrhaft republikanischer und sozialistischer Überzeugung. Vorsichtig haben die Bürgerrepublikaner und sogar Robespierre die sozialistischen und manchmal bolschewistischen Ideen Marats vom Ausgleich des Vermögens zur Seite gelegt; sie haben vorgezogen, sehr, sehr viel von Freiheit zu reden, viel auch von der Brüderlichkeit, aber wenig von der Gleichheit, sofern sie dem Geld und dem Besitz gilt. Baboeuf nimmt die Gedanken Marats auf, die halbzertretenen, facht sie an mit seinem Atem und trägt sie wie eine Fackel durch die Proletarierviertel von Paris. Und diese Flamme kann plötzlich hochschlagen, in ein paar Stunden ganz Paris, das ganze Land verzehren, denn langsam begreift das Volk den Verrat, den die Thermidoristen, um ihres eigenen Vorteils willen, an ihrer, an der proletarischen Revolution begehen. Hinter diesen Gracchus Baboeuf nun stellt sich Fouché. Er zeigt sich nicht öffentlich mit ihm Arm in Arm, aber heimlich flüstert er ihm zu, das Volk zu erregen. Er beredet ihn, aufreizende Broschüren zu schreiben, und korrigiert selbst die Druckbogen. Denn nur, so denkt er, wenn die Arbeiter aufmarschieren, wenn wieder die Vororte mit ihren Piken und Trommeln ausrücken, wird sich dieser feige Konvent besinnen. Nur durch Terror, durch Angst und Einschüchterung kann die Republik gerettet werden, nur durch einen energischen Ruck von links diese gefährliche Neigung zur Rechten ausgeglichen werden. Und zu diesem verwegenen, wahrhaft lebensgefährlichen Vorstoß dient ihm dieser anständige, lautere, gutgläubige, aufrechte Mensch wunderbar als Vordermann: hinter seinem breiten Proletarierrücken kann man sich gut verstecken. Baboeuf wiederum, der sich stolz Gracchus und Tribun des Volkes nennt, fühlt sich hochgeehrt, daß der berühmte Deputierte Fouché ihn berät. Ja, das ist noch ein letzter ehrlicher Republikaner, meint er, einer, der auf den Bänken des Berges sitzen geblieben ist, der nicht Gemeinschaft gemacht hat mit der Jeunesse dorée und den Armeelieferanten. Willig läßt er sich beraten und stürmt nun, von dieser geschickten Hand im Rücken gestoßen, vor, gegen Tallien, die Thermidoristen und die Regierung.

Aber nur ihn, den Gutmütigen und geradlinig Denkenden, vermag Fouché zu täuschen. Die Regierung erkennt bald die Hand, die das Gewehr gegen sie lädt, und in offener Sitzung schuldigt Tallien Fouché an, der Hintermann Baboeufs zu sein. Wie immer verleugnet prompt Fouché seinen Bundesgenossen (genau so wie Chaumette bei den Jakobinern, genau so wie Collot bei Lyon) – nein, er kenne Baboeuf nur flüchtig, er verurteile seine Übertreibungen, kurzum er rückt mit größter Geschwindigkeit ab. Und wieder trifft der Gegenstoß seinen Vordermann: bald wird Baboeuf verhaftet, bald in einem Kasernenhof erschossen sein (immer zahlt der andere mit seinem Blut für die Worte und die Politik Fouchés).

Dieser kühne Gegenstoß Fouchés ist mißlungen, er hat nichts erreicht, als wieder auf sich aufmerksam zu machen, und das war nicht gut. Denn man erinnert sich jetzt von neuem an Lyon und an die blutgetränkten Felder von Brotteaux. Immer wieder und nun doppelt energisch hetzt die Reaktion Ankläger aus den Provinzen heran, in denen er geschaltet. Kaum hat er die Anwürfe von Lyon mit Mühe abgewehrt, so meldet sich schon Nevers und Clamecy. Immer lauter, immer lärmender wird Joseph Fouché des Terrorismus vor der Barre des Konvents angeklagt. Er verteidigt sich listig, energisch und nicht ohne Glück; sogar Tallien, sein Gegner, bemüht sich jetzt, ihn zu schützen, denn selbst ihm wirds unheimlich vor der Übermacht der Reaktion, und er beginnt an seinen eigenen Kopf zu denken. Aber schon ist es zu spät: am 22. Thermidor 1795, ein Jahr und zwölf Tage nach Robespierres Fall, wird nach langer Debatte die Anklage gegen Joseph Fouché wegen seiner Terrorakte erhoben. Und am 23. Thermidor beschließt man seine Verhaftung. Wie nach Robespierre der Schatten Dantons, greift nun nach Fouché der Schatten Robespierres.

 

Aber man schreibt – und dies hat der kluge Politiker richtig errechnet – den Thermidor des vierten Jahres der Republik und nicht mehr des dritten. 1793 bedeutete Anklage den Verhaftungsbefehl, Verhaftung den Tod: abends eingebracht in die Conciergerie, wurde man tags darauf vernommen und saß nachmittags schon im Karren. Aber 1794 hält nicht mehr der stählerne Griff des »Unbestechlichen« die Zügel des Gerichts; die Gesetze sind locker geworden, man kann zwischen ihnen durchschlüpfen, wenn man geschmeidig ist. Und Fouché wäre nicht Fouché, wenn er, der so oft schon gefährlich Umstrickte, durch derlei nachgiebige Netze nicht durchkäme. Er erreicht es durch Schliche und Hintertreppen, daß man ihn nicht sofort verhaftet, daß man ihm Zeit läßt zu einer Erwiderung, zu einer Antwort, zu einer Rechtfertigung: und Zeit ist damals alles. Nur sich ins Dunkel stellen, und man wird vergessen, nur leise sein, während die anderen schreien, und man wird übersehen! Nach dem berühmten Rezept Sièyes', der während der ganzen Terrorjahre im Konvent gesessen, ohne den Mund aufzumachen, und später befragt, was er die ganze Zeit getan habe, lächelnd die geniale Antwort gibt: »J'ai vécu«, »Ich habe gelebt«, so stellt sich jetzt Fouché wie manche Tiere scheintot, damit man sie nicht töte. Nur jetzt noch, die kurze Frist des Übergangs, sein Leben retten, und man ist gerettet. Denn der geübte Witterer des Winds spürt, die ganze Herrlichkeit und Kraft dieses Konvents dauert nur noch ein paar Wochen, ein paar Monate.

So rettet Joseph Fouché sein Leben, und das ist viel in jener Zeit. Freilich nur das nackte Leben rettet er, nicht seinen Namen, seine Stellung, denn man wählt ihn nicht mehr in die neue Versammlung. Vergeblich die ungeheure Anstrengung, verschwendet ein Unmaß von Leidenschaft und List, von Verwegenheit und Verrat: nur das nackte Leben rettet er sich zurück. Er ist nicht mehr Joseph Fouché de Nantes, Deputierter des Volkes, nicht mehr Lehrer des Oratoriums, er ist nichts als ein vergessener, verachteter Mensch ohne Rang, ohne Vermögen, ohne Bedeutung, ein erbärmlicher Schatten, den nur das Dunkel schützt.

Und drei Jahre lang spricht in Frankreich kein Mensch mehr seinen Namen aus.


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