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Neuntes Kapitel

Als zwei Tage später gegen sieben Uhr Octave zu den Campardons zum Essen kam, traf er Rosa allein in einen Schlafrock von cremefarbiger Seide gekleidet, der mit weißen Spitzen eingesäumt war.

Erwarten Sie jemanden? frug er.

Nicht doch, erwiderte sie, ein wenig verlegen. Wir setzen uns zu Tische, sobald Achilles zurückkehrt.

Der Architekt war in letzter Zeit unordentlich, war niemals da zur Stunde der Mahlzeit, langte sehr gerötet an, mit verstörter Miene, die Geschäfte verfluchend. Dann machte er sich jeden Abend aus dem Staub, erschöpfte sich in Vorwänden, indem er von Zusammenkünften in den Cafés sprach, oder Versammlungen erfand, die in entfernten Lokalen stattfänden.

Octave leistete in solchen Fällen Rosa öfters Gesellschaft bis elf Uhr, denn er begriff, daß der Gatte ihn als Pensionär behielt, um seine Frau zu beschäftigen. Sie beklagte sich nur in milden Ausdrücken und brachte ihre Befürchtungen vor:

Mein Gott! sie ließ Achilles volle Freiheit, nur sei sie so unruhig, wenn er nach Mitternacht nach Hause komme! Finden Sie ihn nicht traurig seit einiger Zeit? frug sie mit einer zärtlich ängstlichen Stimme.

Der junge Mann hatte es nicht bemerkt.

Ich finde ihn vielleicht von Geschäften in Anspruch genommen... Die Arbeiten in der Rochus-Kirche machen ihm viel Sorge.

Doch sie schüttelte den Kopf, ohne weiter dabei zu beharren. Dann zeigte sie sich sehr gütig gegen Octave, fragte ihn wie gewöhnlich, wie er seinen Tag zugebracht habe, im wohlwollenden Tone einer Mutter oder Schwester. Seit den nahezu neun Monaten, daß er bei ihnen aß, behandelte sie ihn wie ein Kind des Hauses. Endlich erschien der Architekt.

Guten Abend, mein Kätzchen, guten Abend, mein Schatz, sagte er, sie mit der Zärtlichkeit des guten Ehemannes küssend. Wieder hat mich ein Dummkopf eine Stunde auf der Straße zurückgehalten.

Octave hielt sich beiseite, er hörte sie einige Worte mit leiser Stimme wechseln.

Wird sie kommen?

Nein, wozu? und überhaupt rege dich nicht auf.

Du hast mir geschworen, daß sie kommen werde.

Gut! ja, sie wird kommen. Bist du zufrieden? Ich habe es nur um deinetwillen getan.

Man setzte sich zu Tische. Während der ganzen Zeit des Essens war von der englischen Sprache die Rede, welche die kleine Angela seit vierzehn Tagen lernte. Campardon hatte plötzlich die Notwendigkeit des Englischen für ein Fräulein herausgefunden, und da Lisa gerade von einer Schauspielerin kam, die aus London zurückkehrte, wurde jede Mahlzeit mit der Besprechung der Namen der Speisen, die sie auftrug, ausgefüllt. An diesem Abend mußte nach langen Versuchen bezüglich der Aussprache des Wortes »Rumsteak«, der Braten wieder weggetragen werden, weil er von Victoire am Feuer vergessen worden und infolgedessen hart wie eine Schuhsohle war.

Man war gerade beim Nachtisch, als ein Glockenschlag Frau Campardon erzittern ließ.

Es ist eine Kusine der gnädigen Frau, sagte Lisa zurückkehrend mit dem verletzten Tone eines Dienstboten, den man vergessen hat, vollends ins Vertrauen der Familie zu ziehen.

In der Tat kam Gasparine mit einem schwarzen, recht einfachen Wollkleid, ihrem mageren Gesichte und dem dürftigen Aussehen eines Ladenmädchens. Rosa, behaglich eingehüllt in ihren cremeseidenen Schlafrock, üppig und frisch, erhob sich so bewegt, daß ihr die Tränen in die Augen traten.

Ach! meine Liebe, murmelte sie, du bist recht lieb ... Wir wollen alles vergessen, nicht wahr?

Sie nahm sie in ihre Arme und gab ihr zwei lange Küsse. Octave wollte sich höflich zurückziehen. Aber man zürnte ihm darob: er könne bleiben, er gehöre ja zur Familie. Es machte ihm viel Spaß, diese Szene zu betrachten. Anfangs verlegen, wandte Campardon die Augen von den beiden Damen ab, nach Atem ringend und eine Zigarre suchend; unterdessen wechselte Lisa, die mit lautem Geräusch den Tisch abräumte, vielsagende Blicke mit der erstaunten Angela.

Das ist deine Kusine, sagte endlich der Architekt zu seiner Tochter. Du hast uns von ihr sprechen hören ... Umarme sie doch.

Sie umarmte sie mit ihrer mürrischen Miene, beunruhigt von dem forschenden Blicke, mit dem Gasparine ihren Körperbau prüfte, nachdem sie bezüglich ihres Alters und ihrer Erziehung einige Fragen gestellt hatte. Als man in den Salon ging, zog sie vor, Lisa zu folgen, die heftig die Türe hinter sich schloß und unbekümmert darum, daß man sie hören könne, sagte:

Das macht sich wirklich drollig hier!

Im Salon begann Campardon, noch immer fieberhaft erregt, sich zu verteidigen.

Auf Ehrenwort! der gute Gedanke ist nicht von mir ... Rosa wollte versöhnen. Jeden Morgen seit acht Tagen wiederholte sie mir: »Hole sie doch ...« So habe ich sie denn endlich geholt.

Da er das Bedürfnis fühlte, Octave zu überzeugen, führte er ihn zum Fenster.

Wie? Weiber bleiben immer Weiber. Mir war es lästig, weil ich verdrießliche Geschichten fürchte. Die eine rechts, die andre links, da war ein Zusammenstoß möglich ... Aber ich mußte nachgeben. Rosa versichert, daß wir alle zufriedener sein würden. Schließlich werden wir es versuchen. Es hängt jetzt von ihnen beiden ab, meine Lebensweise einzurichten.

Inzwischen setzten sich Rosa und Gasparine Seite an Seite aufs Sofa. Sie sprachen von der Vergangenheit, von den in Plassans beim guten Vater Domergue verlebten Tagen. Rosa hatte damals eine blasse Farbe, die zarten, schmächtigen Glieder eines unter dem Wachstume leidenden jungen Mädchens, während Gasparine schon mit fünfzehn Jahren entwickelt, groß und begehrenswert war mit ihren großen Augen. Sie betrachteten einander heute und erkannten sich nicht. Die eine so frisch und üppig in ihrer« erzwungenen Keuschheit, die andere verwelkt infolge ihres Lebens voll nervöser Leidenschaftlichkeit.

Gasparine litt einen Augenblick an ihrem gelben Teint und allzu eng zugeschnittenen Kleide der in Seide gekleideten Rosa gegenüber, die unter ihren Spitzen die wollüstige Zartheit ihres weißen Halses entblößte. Allein sie unterdrückte diese Regung der Eifersucht und nahm sofort wieder die Haltung einer armen Verwandten an, die sich vor den Toiletten und der Anmut ihrer Kusine beugt.

Und deine Gesundheit? fragte sie halblaut. Achilles erzählte mir ... Geht es noch nicht besser?

Nein, nein, antwortete Rosa trübe. Du siehst, ich esse, ich sehe gut aus ... Es gibt sich nicht und wird sich niemals wieder geben.

Sie weinte, worauf Gasparine ihrerseits sie in ihre Arme nahm, an ihre flache, leidenschaftliche Brust drückte, während Campardon herbeieilte, sie zu trösten.

Warum weinst du? fragte sie mit wahrer Mütterlichkeit. Die Hauptsache ist, daß du nicht mehr leidest ... Was ist's denn weiter, wenn du immerfort Leute um dich hast, die dich lieben?

Rosa beruhigte sich, sie lächelte bereits in ihren Tränen. Sodann umfaßte der Architekt, hingerissen von der Zärtlichkeit, beide in einer einzigen Umarmung und küßte sie stammelnd.

Jawohl, wir werden uns sehr heben, wir werden dich sehr lieben, mein armes Schätzchen ... Du sollst sehen, wie sich das machen wird, jetzt, da wir vereinigt sind.

Dann wandte er sich zu Octave und sagte:

Ach, mein Lieber, man mag sagen, was man will: es geht doch nichts über eine Familie!

Der Schluß des Abends war köstlich. Campardon, der gewöhnlich nach Tische einschlief, wenn er zu Hause blieb, fand seine Künstlerlaune wieder, die Possen und burschikosen Lieder der »Künstlerschule«. Als gegen elf Uhr Gasparine sich zurückzog, wollte Rosa sie begleiten trotz der Schwierigkeit, die sie empfand, an diesem Tage zu gehen, und rief über die Rampe geneigt, in der tiefen Stille der Treppe:

Komm' recht oft wieder!

Den nächsten Tag bemühte sich Octave, neugierig geworden, im Laden zum »Paradies der Damen« die Kusine zum Sprechen zu bewegen, als er mit ihr eben eine Ladung frisch angelangter Wäsche übernahm. Sie antwortete jedoch in kurzem Tone; er fühlte das Feindselige heraus, sie war offenbar böse darüber, ihn tags zuvor zum Zeugen gehabt zu haben. Übrigens liebte sie ihn nicht, in ihrem unvermeidlichen Verkehr legte sie eine Art von Groll an den Tag. Seit langer Zeit durchschaute sie sein Spiel mit der Herrin und verfolgte seine beharrlichen Bewerbungen mit finstern Blicken und einem verächtlichen Zucken der Lippen, was ihn manchmal verwirrte. Wenn dieses große, teuflische Mädchen ihre dürren Hände zwischen sie ausstreckte, empfand er das bestimmte und unangenehme Gefühl, daß er Frau Hédouin niemals besitzen werde.

Indes hatte sich Octave ja sechs Monate Zeit gegeben. Vier waren kaum verflossen, und schon erfaßte ihn die Ungeduld. Jeden Morgen fragte er sich, ob er die Dinge nicht beschleunigen solle, wenn er die geringen Fortschritte sah, die er in der Gunst dieser immer gleich sanften und kühlen Frau machte. Sie bezeugte ihm schließlich eine wahre Achtung, gewonnen durch seine weittragenden Gedanken, durch seine Träume von großen modernen Räumen, von wo aus man Waren im Werte von Millionen auf die Straßen von Paris ausladen könne. Wenn ihr Mann nicht zu Hause war und sie des Morgens den Briefwechsel neben dem jungen Manne öffnete, hielt sie ihn oft zurück, beriet sich mit ihm und teilte stets seine Ansicht; und eine Art kaufmännischer Vertraulichkeit setzte sich zwischen ihnen fest. Bei den Fakturenbündeln begegneten sich ihre Hände; bei dem Prüfen von Ziffern streifte ihr Atem gegenseitig ihre Haut; vor der Kasse gab es nach günstigen Einnahmen Augenblicke der Selbstvergessenheit. Doch er mißbrauchte diese Augenblicke; seine Taktik war schließlich die: sie in ihrer Eigenschaft als tüchtige Kaufmännin zu fassen und in einer schwachen Stunde inmitten der großen Aufregung über irgendeinen unerwarteten Verkauf zu überwinden. Er suchte denn auch nach einem überraschenden Schlag, der sie ihm überliefern werde. Im übrigen gewann sie, sobald er nicht mehr über Geschäfte mit ihr sprach, sofort ihre ruhige Autorität wieder, erteilte ihm höfliche Befehle, wie sie solche den Ladenjungen erteilt, und leitete das Geschäft mit der Kälte einer schönen Frau, eine kleine Herrenkrawatte auf ihrem antiken Statuenhalse tragend und mit dem Ernste eines stets schwarzen Leibchens sich umgürtend.

Um diese Zeit wurde Herr Hédouin krank und ging in das Bad von Vichy zur Kur. Octave freute sich unverhohlen darüber. Frau Hédouin könne lange genug aus Marmor sein, sie werde schon mürbe werden während ihres Strohwittums. Er wartete jedoch vergeblich auf ein Erbeben, eine Regung des Verlanges. Niemals zeigte sie sich so tätig, niemals war ihr Kopf so frei, das Auge so klar. Mit Tagesanbruch aufstehend, übernahm sie selbst die Waren im unterirdischen Magazin, die Feder hinter dem Ohr mit der beschäftigten Miene eines Angestellten. Man sah sie überall, oben und unten, in der Seidenabteilung und in der für Wäsche, die Auspackung und den Verkauf überwachend. Sie ging ruhig herum, ohne ein Staubkörnchen wegzufegen unter diesen eingepferchten Warenballen, die das enge Magazin zu sprengen drohten. Wenn er mit ihr in irgendeinem engen Gange zusammentraf zwischen einer Wand von Wollwaren und einem ganzen Berge von Servietten, stellte er sich ungeschickt, um sie eine Sekunde lang an seiner Brust zu haben; doch sie huschte so geschäftig vorüber, daß er kaum das Anstreifen ihrer Kleider fühlte. Er war übrigens sehr belästigt von den Augen Fräulein Gasparines, deren Blicke er immer in solchen Augenblicken auf sie beide gerichtet sah.

Im übrigen verzweifelte der junge Mann nicht. Manchmal verließ er den Laden, weil er sich am Ziele wähnte, und teilte schon seine Lebensweise für den nächsten Tag ein, da er bereits der Liebhaber der Prinzipalin sein werde.

Er hatte Marie behalten, um sich in Geduld zu fassen; aber, obgleich sie leicht zugänglich war und ihm nichts kostete, konnte sie vielleicht lästig werden mit der Treue eines geprügelten Hundes. Demnach behielt er sie wohl noch für Abende der Langeweile, doch dachte er bereits an die Art, wie er mit ihr brechen werde. Sie in schlechter Weise fahren lassen, erschien ihm ungeschickt. Eines Sonntagsmorgen, als er seiner Nachbarin in ihrem Bette einen Besuch machte, während der Nachbar einen Gang in der Stadt besorgte, kam ihm endlich der Gedanke, Marie ihrem Julius wiederzugeben, sie einander in die Arme zu legen, so verliebt, daß er mit beruhigtem Gewissen sich zurückziehen könne. Das war am Ende noch eine gute Handlung, deren beruhigende Seite ihm seine Gewissensbisse nahm. Trotzdem wartete er; er wollte nicht ohne Frau sein.

Bei den Campardons trat eine andere Verwicklung ein, die Octave beschäftigte. Er fühlte den Augenblick kommen, wo er seine Mahlzeiten anderwärts werde einnehmen müssen. Seit drei Wochen hatte sich Gasparine mit einer immer weiter ausgedehnten Autorität im Hause eingerichtet. Sie war anfangs jeden Abend gekommen; dann sah man sie während des Frühstücks, und trotz ihrer Arbeiten im Laden begann sie alles auf sich zu nehmen, die Erziehung Angelas und die Vorkehrungen für die Wirtschaft. Rosa wiederholte häufig in Campardons Gegenwart:

Wenn Gasparine gänzlich bei uns wohnen könnte!

Aber jedesmal rief der Architekt, wütend und vor Scham verwirrt:

Nein, nein, das kann nicht sein! ... Übrigens, wo sollen wir sie auch unterbringen?

Um sie zu überzeugen, erklärte er, daß man der Kusine sein Kabinett als Zimmer anweisen, während er seinen Tisch und seine Pläne im Salon unterbringen müsse. Gewiß würde das ihn nicht genieren; er würde sich vielleicht sogar eines Tages zu dieser Umsiedlung entschließen können, denn er bedurfte nicht des Salons, und es war in der Tat auch zu enge dort, um arbeiten zu können. Allein Gasparine konnte in ihrer Wohnung bleiben. Wozu sich in solche Ungelegenheiten stürzen?

Wenn man sich wohl befindet, wiederholte er zu Octave, tut man unrecht, sieh besser befinden zu wollen.

Um diese Zeit war er genötigt, nach Evreux zu gehen, um dort zwei Tage zuzubringen. Die Arbeiten des erzbischöflichen Palastes beunruhigten ihn. Er hatte einem Wunsche des Erzbischofs nachgegeben, ohne daß er dort offenen Kredit gehabt hätte, und die Errichtung der Herde in den neuen Küchen und die Heizvorrichtung drohte eine sehr hohe Ziffer zu erreichen, die ihm schwierig fallen dürfte, über die Kosten des Unterhalts hinaus zu beschaffen. Anderseits würde die Kanzel, für die man 3000 Franken bewilligte, mindestens auf 10 000 zu stehen kommen. Er wünschte sich mit dem Erzbischof auseinanderzusetzen, um gewisse Vorsichtsmaßregeln zu treffen.

Rosa erwartete ihn erst für Sonntag abend. Er kam indessen, wie aus den Wolken gefallen, gerade zum Frühstück an, und sein plötzliches Eintreffen verursachte einige Bestürzung. Gasparine befand sich gerade bei Tische zwischen Octave und Angela. Man stellte sich, als sei man vollständig ruhig, während ein geheimnisvoller Zug sich deutlich kundgab. Lisa hatte soeben auf einen verzweifelten Wink ihrer Gebieterin die Salontüre geschlossen, während die Kusine herumliegende Papierstreifen mit dem Fuße hinter die Möbel schob. Als er sagte, er gehe sich auskleiden, hielten ihn alle zurück.

Warten Sie doch; nehmen Sie eine Tasse Kaffee; denn Sie haben doch in Evreux gefrühstückt.

Als er endlich die Verlegenheit Rosas bemerkte, fiel ihm diese um den Hals.

Du mußt mir nicht gram sein, mein Freund ... Ich erwartete dich erst für den Abend, und da hättest du gewiß alles in Ordnung getroffen.

Zitternd öffnete sie die Türen, führte ihn in den Salon und in das Kabinett. – Ein Bett aus Mahagoni, das denselben Morgen von einem Möbelhändler gebracht war, nahm den Raum ein, wo sonst der Zeichentisch gestanden hatte, der nun in das anstoßende Zimmer geschafft worden, in dessen Mitte er stand. Nichts war noch geordnet; Zeichnungen lagen umher neben Kleidungsstücken von Gasparine. Die heilige Jungfrau mit dem blutenden Herzen lag gegen die Mauer gelehnt und war mit einem neuen Waschbecken gestützt.

Es sollte eine Überraschung werden, murmelte Frau Campardon beklommenen Herzens, ihr Gesicht an der Weste ihres Mannes verbergend.

Er blickte ganz gerührt um sich, sagte nichts und wich den Blicken Octaves, den die Szene zu interessieren schien, sorgfältig aus. Gasparine fragte dann ganz trocken:

Ist Ihnen das unangenehm, Vetter? Rosa hat mich bestürmt. Wenn Sie aber glauben, daß ich unbequem sei, kann ich noch weggehen.

Ach, Kusine! rief der Architekt endlich; was Rosa tut, ist wohlgetan.

Da letztere, an seine Brust gelehnt, in heftiges Schluchzen ausbrach, fügte er hinzu:

Ei, Mädel, du bist wirklich so dumm zu weinen! ... Ich bin ja mit dir ganz zufrieden, du willst deine Kusine bei dir haben: gut, so nimm sie zu dir. Ich kann mich in alles schicken. So höre denn auf zu weinen! Ich will dich umarmen, wie ich dich lieb habe, recht fest! So, recht fest!

Er aß sie schier auf mit seinen Liebkosungen. Rosa, die wegen eines Wortes in Tränen zerfließen konnte, aber inmitten der Tränen bald wieder lachte, tröstete sich. Sie küßte ihn ihrerseits auf den Bart und sagte ganz leise:

Du bist hart gewesen. Küsse auch sie.

Campardon küßte Gasparine. Dann wurde Angela herbeigerufen, die mit offenem Munde und leuchtenden Augen vom Speisesaal hereingeschaut hatte. Auch sie mußte Gasparine umarmen. Octave, der gefunden hatte, daß man in diesem Hause gar zu zärtlich wurde, hatte sich entfernt. Er hatte mit Verwunderung die ehrfurchtsvolle Haltung, die freundliche Zuvorkommenheit Lisas gegen Gasparine wahrgenommen. Diese Gassendirne mit den blauen Augenlidern war sicherlich ein recht verständiges Geschöpf!

Der Architekt, der sich auf die Hemdärmel ausgezogen hatte, war von einer ausgelassenen Lustigkeit; er pfiff, sang und brachte so den ganzen Nachmittag mit der Einrichtung des Zimmers für die Kusine zu. Sie war ihm dabei behilflich, half ihm Möbelstücke umstellen, packte die Wäsche aus und schüttelte den Staub von den Kleidern.

Rosa war sitzen geblieben aus Furcht, sich zu ermüden, erteilte ihnen aber guten Rat, wies das Toilettentischchen hierher, das Bett dahin, daß es jeder bequem habe. Octave sah ein, daß er ihrem Ausdehnungstriebe im Wege stehe; er merkte, daß er in einer so einigen Haushaltung überflüssig sei, und teilte ihnen mit, daß er abends außer dem Hause speisen werde. Er faßte übrigens den Entschluß, am folgenden Tage Frau Campardon für ihre gute Aufnahme zu danken und unter irgendeinem Vorwande die Verköstigung zu kündigen.

Gegen fünf Uhr kam ihm, da er bedauerte, nicht erfahren zu können, wo er mit Trublot zusammentreffen könne, der Gedanke, bei den Pichons sich zum Essen anzusagen, um den Abend nicht allein zubringen zu müssen. Bei seinem Eintritte stieß er jedoch daselbst auf einen sehr jammervollen Familienauftritt. Die Vuillaumes waren da, höchst aufgebracht und zitternd vor Erregung.

Das ist eine Niederträchtigkeit, mein Herr! sagte die Mutter, die Arme gegen ihren Schwiegersohn ausgestreckt, der wie niedergedonnert auf einem Stuhle saß. Sie hatten mir Ihr Ehrenwort gegeben.

Und du, fügte der Vater hinzu, zur Tochter gewandt, die zitternd bis zum Büfett vor ihm zurückfuhr, und du hast ihn nicht zu verteidigen; du bist ebenso strafbar wie er ... Wollt ihr denn Hungers sterben?

Frau Vuillaume hatte ihren Schal wieder umgehängt, ihren Hut wieder aufgesetzt und eröffnete ihnen in einem feierlichen Tone:

Seid Gott befohlen! Wir werden euch in eurer Unordnung nicht mehr durch unsere Gegenwart bestärken. Von dem Augenblicke an, wo ihr unseren Wünschen keine Rechnung tragen wollt, haben wir nichts bei euch zu tun ... Lebt wohl!

Da ihr Schwiegersohn, der Macht der Gewohnheit folgend, aufstand, um sie zu begleiten, sagte sie:

Nicht nötig! Wir werden den Omnibus ohne Sie finden ... Geh voran, Mann. Lassen wir sie ihr Mittagsmahl essen, und möge es ihnen wohl bekommen, denn sie werden nicht immer eines haben.

Octave trat ganz verdutzt beiseite, um sie hinausgehen zu lassen. Als sie weggegangen waren, betrachtete er Julius, der ganz niedergeschlagen auf einem Sessel saß, und Marie, die ganz blaß vor dem Speiseschranke stand. Beide schwiegen.

Was geht mit Ihnen vor? fragte er.

Anstatt ihm zu antworten, zankte die junge Frau ihren Gatten in wehmütigem Tone aus.

Ich habe es dir im vorhinein gesagt. Du hättest noch warten müssen, bis du ihnen die Sache von ungefähr beigebracht hättest. Es hatte durchaus keine Eile damit; man merkt es ja noch nicht.

Was geht denn vor? sagte Octave wieder.

Ohne sich umzuwenden, sagte sie ihm nun in ihrer Erregtheit rund heraus:

Ich bin schwanger.

Die Leute werden mir endlich langweilig! rief Julius ganz empört, indem er vom Sessel aufstand. Ich habe es für meine Pflicht gehalten, sie von dieser Unannehmlichkeit sogleich zu verständigen ... Bilden sie sich gar ein, daß ich meine Freude daran habe? Ich bin davon mehr überrascht als sie selbst. Und beim Teufel! es ist gar nicht meine Schuld! Nicht wahr, Marie? wir wissen kaum, wie das hat kommen können.

Freilich! versicherte die junge Frau.

Octave zählte die Monate. Sie war im fünften Monate schwanger, und vom Dezember bis Mai gerechnet stimmte es genau. Er war darüber ganz erregt. Dann wieder begann er, daran zu zweifeln. Seine Rührung hielt indes an, und er empfand ein lebhaftes Bedürfnis, etwas Gutes für die Pichons zu tun. Julius brummte fort: man werde das Kind immerhin annehmen; besser hätte es indes getan, zu bleiben, wo es war.

Marie hingegen, die sonst so sanfte Marie, war griesgrämig und gab zuletzt ihrer Mutter recht, die den Ungehorsam niemals verzeihen konnte. Das Ehepaar geriet wieder in Streit; man warf einander das Kind vor, schob einander die Schuld zu, bis endlich Octave in fröhlichem Tone vermittelnd dazwischen trat.

Wenn es da ist, helfen Ihnen diese Streitigkeiten nichts... Wie wär's denn, wenn wir heute nicht zu Hause speisten? da wird man ja ganz verstimmt. Ich führe Sie in ein Restaurant. Wollen Sie?

Die junge Frau errötete. Im Restaurant speisen, war für sie eine Freude. Sie erwähnte indes ihr Töchterchen, das sie immer daran hindere, sich ein Vergnügen zu gönnen. Man einigte sich dahin, daß Lilitte diesmal bei der Partie sei. Es folgte ein fröhlicher Abend. Octave hatte sie in das Speisehaus zum »Rinderbraten« geführt, in ein besonderes Zimmer, um, wie er sagte, ungezwungener sein zu können. Er ließ ihnen dort Speisen in Hülle und Fülle vorsetzen mit unüberlegter Verschwendung, ohne an die Rechnung zu denken, nur glücklich, daß er sie essen sah.

Ja, beim Nachtisch ließ er, als man Lilitte zwischen die beiden Kissen auf dem Sofa der Länge nach hingelegt hatte, Champagner bringen; so vergaßen sie sich alle drei, mit den Ellbogen auf den Tisch gestützt, mit tränenfeuchten Augen; allen dreien war das Herz voll, und sie verschmachteten schier in der drückenden Hitze des Kabinetts.

Endlich um elf Uhr sprachen sie davon, daß sie nach Hause gehen müßten, aber sie waren ganz rot; die frische Luft in der Straße hatte sie betäubt. Da die Kleine, vom Schlafe niedergedrückt, nicht gehen wollte, bestand Octave darauf, um alles bis ans Ende gutzumachen, einen Wagen zu mieten trotz der Nähe der Choiseul-Straße.

Während oben im vierten Stock Julius damit beschäftigt war, Lilitte hineinzutragen, drückte Octave einen Abschiedskuß auf die Stirne der jungen Frau wie ein Vater, der seine Tochter einem Schwiegersohne überläßt. Als er dann sah, daß sie verliebt taten, einander mit trunkenen Blicken betrachteten, brachte er sie zu Bette und wünschte ihnen durch die Türe eine gute Nacht und schöne Träume.

Meiner Treu! dachte er, als er sich allein in sein Bett drückte. Das hat mir fünfzig Franken gekostet, aber ich war es ihnen wohl schuldig... Am Ende habe ich nur einen Wunsch, den, daß ihr Mann sein Weibchen glücklich mache.

Gerührt über sein eigenes gutes Herz beschloß er, am Abend des folgenden Tages den großen Anschlag zu versuchen.

Jeden Montag nach dem Essen half Octave der Frau Hédouin die Bestellungen für die Woche nachsehen. Zu diesem Geschäfte zogen sie sich in das hintere Kabinett zurück, ein enges Stübchen, wo bloß eine Kasse, ein Schreibtisch, zwei Stühle und ein Sofa standen.

Diesen Montag jedoch sollte Frau Hédouin mit den Duverdy in die Komische Oper gehen. Daher rief sie den jungen Mann schon um drei Uhr. Trotz des hellen Sonnenscheins mußten sie das Gas anzünden, weil das Kabinett nur ein fahles Licht von einem innern Hofe her erhielt. Als er den Riegel vorschob und sie ihn verwundert ansah, murmelte er:

Damit uns niemand störe.

Sie nickte zustimmend, und dann gingen sie an die Arbeit. Die Sommermodeartikel hatten einen vorzüglichen Absatz, das Haus gewann einen immer weiteren Geschäftskreis. In dieser Woche stellte sich der Verkauf kleiner Wollwaren so gut an, daß ihr ein Seufzer entschlüpfte:

Ach, wenn wir Raum hätten!

Nun, sagte er, um einmal den Angriff zu beginnen, das hängt von Ihnen ab... Ich habe seit einiger Zeit einen Gedanken, von dem ich jetzt mit Ihnen sprechen will.

Es war die kühne Unternehmung, die er plante. Er setzte alles weitläufig auseinander; es handelte sich um den Ankauf des angrenzenden Hauses in der Neuen Augustinstraße, wo man einem Sonnenschirmhändler sowie einem Spielzeugfabrikanten kündigen würde, um die Warenlager zu vergrößern; man könne sodann einen ungeheueren Kundenkreis gewinnen.

Hierbei ereiferte er sich, zeigte sich voller Verachtung gegen die veraltete Art des Handels in entlegenen, feuchten, rußigen Läden ohne Schaufenster, zauberte mit einer Gebärde einen neuen Handel hervor, bei dem er alle weiblichen Luxusartikel in Kristallpalästen anhäufen möchte, wo man am hellen Tage Millionenschätze ausbreiten und des Abends in fürstlichem Glanze erstrahlen lassen werde.

Sie werden den Handel im Rochusviertel lahm legen, sagte er weiter; Sie werden die Kleinkunden an sich locken. So macht Ihnen das Haus Vabre mit seinen Seidenwaren heute Schaden. Entfalten Sie Ihre Schaufenster nach der Straße, schaffen Sie einen eigenen Kundenkreis, und ehe fünf Jahre um sind, haben Sie Vabre in den Bankerott getrieben... Endlich taucht die Frage immer wieder auf, daß die Straße zum 10. Dezember, die von der Neuen Oper bis zur Börse sich erstrecken soll, ausgebaut werde. Mein Freund Campardon erzählt mir oft von diesem Plane; das würde dann den Geschäftsverkehr dieses Viertels um das Zehnfache erhöhen.

Frau Hédouin hörte, den Ellbogen auf ein offenes Buch gestützt, ihren schönen sinnenden Kopf auf die Hand geneigt, ihm aufmerksam zu. Sie war im Geschäft »zum Paradies der Damen« geboren, das von ihrem Vater und ihrem Oheim gegründet war; sie hatte eine Vorliebe für das Haus; sie sah im Geiste, wie es sich entwickelte, wie es die anderen Häuser ringsumher verschlang und ein königliches Äußere entfaltete.

Dieser Traum leuchtete ihrem lebhaften Verstande ein, stimmte mit ihrem zielbewußten Streben, mit dem bei Frauen so häufigen feinen Sinn für das künftige Paris.

Onkel Deleuze, erwiderte sie, wird es nimmer tun wollen, und überdies ist mein Mann zu leidend.

Als er sie schwanken sah, schlug Octave den Ton der Verführung an und sprach mit einer Schauspielerstimme sanft und wohllautend. Gleichzeitig suchte er sie mit seinen Blicken in Feuer zu bringen, indem er sie mit seinen altgoldfarbenen Augen ansah, welche die Frauen für unwiderstehlich halten.

Vergebens jedoch brannte die Gasflamme hinter ihrem Nacken; sie blieb kalt, ohne daß sich auch nur ihre Haut erwärmt hätte, und war nur in ein Sinnen versunken unter dem Taumel des unversieglichen Wortschwalls des jungen Menschen.

Er war dahin gelangt, die Angelegenheit vom Gesichtspunkte der Ziffern zu prüfen und einen Kostenvoranschlag zu entwerfen in einem so leidenschaftlichen Tone, wie ein romantischer Page seine lang unterdrückte Liebe offenbaren würde. Als sie plötzlich aus ihrer Träumerei erwachte, lag sie in seinen Armen.

Mein Gott! Darum war es Ihnen also zu tun! sagte sie in einem schwermütigen Tone, indem sie sich seinen Armen entwand wie einem zudringlichen Kinde.

Jawohl, ich liebe Sie! rief er aus. Weisen Sie mich nicht zurück! Mit Ihnen könnte ich Großes vollbringen...

Doch er ging bis ans Ende; er setzte seine Rede fort, die aber in einen Mißton ausklang. Sie unterbrach ihn indessen nicht. Sie hatte wieder angefangen, stehend im Register zu blättern. Als er schwieg, sagte sie:

Ich kenne alles, man hat es mir schon gesagt... Aber ich hielt Sie für klüger als die anderen, Herr Octave. Wahrlich, Sie machen mir Kummer, denn ich hatte auf Sie gerechnet... Ich finde schließlich, daß es allen jungen Leuten an Überlegung fehlt... In einem Hause wie dem unseren haben wir die größte Ordnung nötig, und Sie wollen Dinge anfangen, die uns den ganzen Tag nur stören könnten. Ich bin hier keine Frau, ich bin zu sehr beschäftigt... Ich begreife kaum, wie Sie, der Sie so gesunde Sinne haben, es nicht sofort begriffen, daß ich es nicht tun werde; erstens, weil es eine Dummheit ist, dann weil es überflüssig ist, und endlich, weil ich glücklicherweise durchaus keine Lust dazu habe.

Er würde lieber gesehen haben, wenn sie vor Entrüstung in Zorn geraten wäre, mit ihrer Gesinnung großgetan hätte. Ihr ruhiger Ton, ihre kaltblütige Berechnung, die sie ihm als praktische, betreffs ihrer selbst ganz beruhigte Frau zu erkennen gab, brachten ihn in Verwirrung. Er sah ein, daß er lächerlich wurde.

Erbarmen Sie sich meiner, stammelte er abermals. Sehen Sie doch, wie ich leide!

Nein, Sie leiden nicht. Für alle Fälle werden Sie genesen... Hören Sie! man pocht, Sie täten besser, die Türe zu öffnen.

Er mußte den Riegel zurückschieben. Es war Fräulein Gasparine, die sich erkundigen wollte, ob man Hemden mit Doppelbrust erwarte.

Sie war überrascht, daß der Riegel vorgeschoben war, aber sie kannte Frau Hédouin zu gut, und wie sie diese mit ihrer frostigen Miene vor Octave stehen sah, der voller Aufregung war, kam ihr ein spöttisches Lächeln auf die Lippen, während sie den letzteren betrachtete. Er geriet darüber außer sich; er beschuldigte sie, daß ihm der Anschlag mißlungen sei.

Gnädige Frau, erklärte er in barschem Tone, als das Ladenfräulein weggegangen war, ich verlasse heute abend das Haus.

Das war für Frau Hédouin eine Überraschung.

Warum denn? fragte sie ihn und sah ihn an. Ich schicke Sie doch nicht weg ... Das ändert an der Sache nichts, ich habe keine Furcht.

Diese Worte brachten ihn vollends aus dem Häuschen. Er entfernte sich sogleich, er wollte keine Minute länger Qualen erdulden.

Gut, Herr Octave, erwiderte sie mit ihrer gewöhnlichen Gemütsruhe. Ich werde mit Ihnen sogleich abrechnen ... Es tut nichts, wiewohl das Haus Sie vermissen wird; denn Sie waren ein guter Angestellter.

Als er schon auf der Straße war, sah er ein, daß er sich dumm benommen hatte. Es war vier Uhr, die heitere Maisonne vergoldete einen ganzen Winkel des Gaillon-Platzes. Wütend über sich selbst, ging er die Rochus-Straße hinunter aufs Geratewohl und erwog die Art, wie er hätte vorgehen müssen. Warum hat er erstens diese Gasparine nicht in die Hüfte gekneipt? Das hat sie doch gewiß nur wollen. Ihm konnten aber die Weiber bei einer solchen Magerkeit nicht gefallen wie dem Campardon. Auch wäre er vielleicht bei ihr schlecht angekommen; denn sie schien ihm eines von jenen Frauenzimmern, die von einer schroffen Tugendhaftigkeit sind solchen Männern gegenüber, die sich ihnen nur am Sonntag widmen, besonders dann, wenn sie einen Mann für die ganze Woche haben, der vom Montag bis zum Samstag alltäglich bereit ist, ihnen seine Liebe zu beweisen. Was für ein dummer Einfall war es zweitens, um jeden Preis der Liebhaber seiner Herrin werden zu wollen! Er hätte doch seine Rechnung finden können und nicht so weit in seinen Forderungen gehen sollen, alles haben zu wollen, seinen Erwerb und sein Bett!

Nach heftigen inneren Kämpfen wandte er sich einen Augenblick um; er wollte zurückkehren zum »Paradies der Damen«, sein Unrecht eingestehen; doch die Erinnerung an Frau Hédouin, die ihm gegenüber einen so kalten Stolz bewahrte, rief eine krankhafte Eitelkeit wach, und er ging weiter die Straße hinab nach der Rochus-Kirche.

Um so schlimmer! dachte er. Es war um seine Stelle geschehen. Er wollte sehen, ob nicht Campardon wegen seiner Calvarien-Ausbesserung in der Kirche sei, um mit ihn ins Café auf ein Glas Madeira zu gehen. Das werde ihm Zerstreuung verschaffen. Er trat durch die Vorhalle ein, auf die eine Türe der Sakristei sich öffnete; es war ein finsterer, schmutziger Gang wie in einem zweideutigen Hause.

Sie suchen vielleicht Herrn Campardon? fragte dicht hinter ihm eine Stimme, als er die Runde um das Schiff machte.

Es war der Abbé Mauduit, der ihn erkannt hatte.

Da der Baumeister abwesend war, wollte er durchaus, daß der junge Mann die Calvarienarbeiten besichtige, für die er selbst eine ganz besondere Vorliebe hatte. Er führte ihn zunächst hinter das Chor, zeigte ihm die Kapelle der heiligen Jungfrau mit Wänden aus weißem Marmor, wo sich ein Altar befand, überragt von einer Gruppe, die den Heiland in der Krippe darstellte: ein Jesuskindlein zwischen einem heiligen Joseph und einer heiligen Jungfrau, alles im Rokokostile ausgeführt. Dann führte er ihn in die noch weiter rückwärts gelegene Kapelle der »Ewigen Anbetung«, in der sieben Goldlampen hingen, goldene Armleuchter und ein ganz aus Gold gegossener Altar sich befanden, die in dem fahlen Schatten der goldfarbenen Fensterseheiben funkelten.

Rechts und links von dieser Kapelle war der Hintergrund der Chorwölbung durch je eine Wand aus ungehobelten Brettern verrammelt und mitten durch diese schauervolle Stille erklangen über den dunklen Schatten, die knieten und Gebete stammelten, die Streiche der Steinschlägel, die Stimmen der Maurer, ein heftiges Getöse wie in einer Zimmermannswerkstätte.

Treten Sie nur ein, sagte der Abbé Mauduit, indem er seine Sutane aufschürzte. Ich werde es Ihnen erklären.

Auf der andern Seite der Bretterwände lag ein Schutthaufen abgeschürften Mörtels, eine Ecke der Kirche, die von außen dem Zugange der freien Luft geöffnet war, weiß von verwittertem Kalk, feucht von ausgeschüttetem Wasser.

Zur Linken sah man noch die zehnte Passionsstation: Jesus ans Kreuz genagelt, zur Rechten die zwölfte: die heiligen Frauen und Jesus. Die elfte, mittlere Gruppe, Jesus am Kreuze darstellend, war abgenommen und an eine Wand gestellt worden; an dieser arbeiteten die Handwerker.

Sehen Sie, fuhr der Priester fort. Ich wollte die Calvarienhauptgruppe durch ein in der Kuppel gesammeltes Oberlicht beleuchten. Sie sehen wohl ein, welche Wirkung man dadurch hervorbringt.

Jawohl, sagte Octave, den diese Wanderung zwischen den Baumaterialien aus seiner Grübelei herausriß.

Der Abbé Mauduit gab sich, einmal in Eifer mit erhöhter Stimme, das Ansehen eines Maschinenmeisters, der die Aufstellung irgendeiner großartigen Theater-Dekoration anordnet.

Natürlich muß die strengste Einfachheit in diesem Raume herrschen. Nichts als Steinwände, kein bemaltes Winkelchen, kein Goldfäserchen. Wir müssen uns eben in einer Krypta befinden; es muß einen unterirdischen, trostlosen Ort darstellen...

Die Hauptwirkung aber bleibt »Christus am Kreuze«, die heilige Jungfrau und Magdalena zu seinen Füßen. Ich lasse sie auf den Gipfel eines Felsen aufrichten, lasse die weißen Figuren von einem grauen Grunde sich abheben, das Kuppellicht beleuchtet sie dann wie mit einem unsichtbaren Strahle, mit einem kalten Lichte, das ihnen den Anschein gibt, als bewegten sie sich nach vorwärts, und ihnen gleichsam ein übernatürliches Leben einflößt... Sie sollen es gleich sehen!

Er wandte sich hierauf um und rief einem Arbeiter zu:

Stellen Sie doch die »Jungfrau« weg! Sie werden ihr zuletzt noch ein Bein abbrechen.

Der Arbeiter rief einen Kameraden herbei. Sie faßten nun die Jungfrau zu zweien an den Lenden, trugen sie auf die Seite wie ein großes blasses Mädchen, das bei einem nervösen Anfalle ganz starr geworden.

Gebt acht! rief der Priester wiederholt, der ihnen durch den Schutt gefolgt war; das Kleid ist schon geborsten. Bleibt stehen!

Er legte mit Hand an, faßte Maria beim Rücken und wurde bei dieser Umarmung ganz voll Gips.

Dann fuhr er fort, während er auf Octave zutrat:

Denken Sie sich die beiden Fenster im Schiffe vor Ihnen dort geöffnet und stellen Sie sich in die Kapelle der Jungfrau hinein. Oberhalb des Altars bemerken Sie durch die Kapelle der »Ewigen Anbetung«, ganz im Hintergrunde, den Calvarienhügel ... Begreifen Sie jetzt, welchen Eindruck das machen muß? Diese drei großen leichenblassen Figuren, dieses Schreckensdrama allein in dieser Tabernakelvertiefung jenseits der geheimnisvollen Dunkelheit jener goldenen Scheiben, Lampen und Armleuchter ... wie? Ich glaube, es wird unwiderstehlich sein.

Er wurde beredt und lachte wohlgemut, stolz über seinen Gedanken.

Die größten Zweifler werden erschüttert sein, sagte Octave, um ihm Freude zu machen.

Nicht wahr? Ich bin begierig, das alles an Ort und Stelle zu sehen, damit ich den Eindruck beurteilen kann.

Als er in das Kirchenschiff zurückkam, vergaß er sich und behielt seine laute Stimme und seine unternehmende Haltung; dem Campardon zollte er das höchste Lob. Er werde, sagte er, im Mittelalter einen höchst religiösen Sinn betätigt haben. Er Heß dann Octave durch die Hintertüre hinaus und hielt ihn im Pfarrhofe noch eine kleine Weile zurück. Von dort aus sah er die Chorkuppel, die sonst durch die anstoßenden Baulichkeiten den Blicken entzogen ward.

Hier wohnte er im zweiten Stock eines hohen Hauses mit verfallener Vorderseite, das ganz von der Geistlichkeit zu St. Rochus bewohnt war; ein ehrwürdiger Priesterduft, ein leises Beichtstuhlgeflüster drang aus der Vorhalle, aus der das Bildnis der heiligen Jungfrau hervorragte, und die mit hohen, durch schwere Vorhänge verdunkelten Fenstern versehen war.

Ich will heute abend Herrn Campardon besuchen, sagte endlich der Abbé Mauduit. Ersuchen Sie ihn, mich zu erwarten... Ich möchte wegen einer vorzunehmenden Verbesserung ausführlich mit ihm sprechen.

Hierauf grüßte er in seiner weltmännischen Weise. Octave fühlte sich beruhigt. St. Rochus mit seinen frischen Wölbungen hatte seine Nervenspannung etwas gemildert. Er betrachtete mit einigem Befremden diesen Eingang in eine Kirche durch ein Privathaus, diese Hausmeisterwohnung, wo man des Nachts anläuten muß, um zum lieben Herrgott zu gelangen, diesen ganzen Klosterflügel, der sich gleichsam in das schwarze Gewühl des Stadtviertels verirrt hatte.

Auf der Straße hob er nochmals die Augen empor: das Haus dehnte weithin seine zierlose Vorderseite mit vergitterten, unverhängten Fenstern aus; aber an den Fenstern des vierten Stockwerkes sah man an Eisenstangen befestigte Blumenkörbe; unten in die dicken Mauern waren enge Kaufläden eingelassen, welche die Geistlichkeit sich zunutze machte: Schuhflicker, Uhrmacher, Stickerinnen, sogar eine Weinstube als Zusammenkunftsort der Totengräber an Tagen von Leichenbestattungen.

Octave, durch seinen Mißerfolg zum Verzicht auf die weltlichen Dinge gestimmt, beneidete die alten Mägde der Geistlichen um das ruhige Dasein, das sie führen mochten in jenen Stübchen, an deren Fenstern das Eisenkraut und die Riechbohne sich emporwanden.

Als er abends um halb sieben Uhr bei den Campardons eintrat, ohne zu läuten, stieß er geradeswegs auf den Baumeister und auf Gasparine, die im Vorzimmer sich küßten. Letztere, eben aus dem Laden gekommen, hatte sich nicht einmal die Zeit genommen, die Türe zu schließen. Sie blieben ganz betroffen stehen.

Meine Frau macht sich ein wenig das Haar zurecht, stammelte Campardon, um etwas zu sagen. Melden Sie sich indes bei ihr.

Octave, ebenso betroffen wie die andern, beeilte sich, an das Zimmer Rosas zu pochen, wo er sonst ohne Umstände eintreten durfte. Jetzt konnte er entschieden nicht weiter da speisen, nachdem er sie hinter der Türe ertappt hatte.

Herein, rief Rosa, sind Sie es, Octave? Ach, tut nichts.

Sie hatte indessen ihren Pudermantel nicht wieder angezogen und saß da mit entblößten Schultern und Armen, zart und weiß wie Mich. Sie kräuselte aufmerksam vor dem Spiegel ihr goldblondes Haar in kleine Löckchen. So brachte sie alltäglich mehrere Stunden hindurch mit einer übermäßigen Sorgfalt für ihre Toilette zu, unausgesetzt damit beschäftigt, die Hautwärzchen zu untersuchen, sich herauszuputzen, und sich dann auf einen Liegestuhl hinzustrecken, üppig und schön, wie ein geschlechtsloses Götzenbild.

Sie putzen sich für den Abend recht heraus, sagte Octave mit einem Lächeln.

Mein Gott! Ich habe ja sonst nichts zu tun! Das zerstreut mich... Sie wissen, daß ich mich nie mit der Hauswirtschaft abgegeben habe; und jetzt, da Gasparine bei uns ist... Die Löckchen kleiden mich gut, wie? Das tröstet mich ein wenig über mein Unglück, wenn ich mich schön gekleidet und hübsch sehe.

Da das Essen noch nicht fertig war, erzählte er ihr seinen Austritt aus dem Hause »Zum Paradies der Damen«. Er erdichtete eine Mär von einer Anstellung, auf die er schon längst gewartet habe, und legte sich so einen Vorwand zurecht, um die Notwendigkeit, seine Mahlzeiten anderswo zu nehmen, erklären zu können. Sie wunderte sich zwar, daß er ein Haus, das ihm eine Zukunft sicherte, so leichthin verlassen könne; aber sie gab sich ganz ihrem Spiegel hin und hörte ihm kaum zu.

Sehen Sie doch diesen roten Fleck hinter dem Ohre, ist das eine Blatter?

Er mußte ihr den Hals untersuchen, den sie ihm mit der Ruhe eines Weibes hinhielt, das sich gegen alle Versuchungen gefeit fühlt.

Es ist nichts, sagte er, Sie werden sich zu stark abgerieben haben.

Nachdem er ihr beim Anziehen des blauseidenen, silbergestickten Schlafrockes behilflich gewesen, gingen sie in den Speisesaal hinüber. Schon während man die Suppe aß, wurde von dem Austritte Octaves bei den Hédouins geplaudert. Campardon fuhr verwundert auf, während Gasparine ihr feines Lächeln sehen ließ. Sie fühlten sich übrigens recht behaglich miteinander. Der junge Mann wurde zuletzt ganz gerührt von der zarten Aufmerksamkeit, womit sie Rosa überhäuften. Campardon schenkte ihr zum Trinken ein, Gasparine suchte für sie die schönsten Bissen der aufgetragenen Speisen aus. Man erkundigte sich, ob ihr das Brot munde, sonst werde man es bei einem andern Bäcker bestellen. Ob ihr nicht ein Kissen gefällig sei, um sich den Rücken zu stützen.

Rosa wieder, ganz Dankbarkeit, bat flehentlichst, sie möchten sich doch ihretwegen nicht so stören. Sie ließ sich's recht schmecken und thronte zwischen den beiden mit dem samtzarten Halse einer schönen Blondine, eingehüllt in ihren Schlafrock, den keine Königin verschmäht hätte, zur Rechten ihren Gatten, kurzatmig und abmagernd, zur Linken die dürre, schwarze Kusine, die zusammengeschrumpften Schultern in einem Kleide von dunkler Farbe, das Fleisch durch die Glut der Leidenschaft wie von den Knochen geschmolzen.

Während des Nachtisches schalt Gasparine Lisa tüchtig aus, weil sie der gnädigen Frau wegen eines Stücks Käse, das sie verlegt hatte, eine unehrerbietige Antwort gegeben. Das Stubenmädchen wurde sehr untertänig.

Gasparine hatte sogleich die Hauswirtschaft in die Hand genommen und die Mägde gezähmt; selbst Victoire bei ihren Schüsseln zitterte vor ihr. Die erkenntliche Rosa sah sie mit einem tränenfeuchten Blick an; seit ihre Kusine bei ihr war, wurde sie geachtet, und sie träumte bereits davon, auch sie zu bewegen, daß sie ihre Stellung im Geschäft »Zum Paradies der Damen« aufgebe und die Erziehung Angelas übernehme.

Hier gibt es genug zu schaffen, sagte sie mit einschmeichelnder Stimme... Angela, bitte doch deine Kusine, sage ihr, wie sehr dich das freuen würde.

Das Mädchen bat ihre Kusine, während Lisa mit dem Kopfe Beifall nickte. Campardon und Gasparine blieben jedoch ernst: nein, nein, sagte sie, wir müssen warten, man muß den Boden unter den Füßen fühlen, wenn man die Hände loslassen will.

Man verbrachte köstliche Abende im Salon. Der Baumeister ging nicht mehr aus. An diesem Abende mußte er im Zimmer Gasparines einige Kupferstiche aufhängen, die der Glaser eben geschickt hatte. Darunter waren: Mignon, zum Himmel flehend; eine Ansicht des Wasserfalls von Vaucluse und noch andere. Er war vergnügt mit seinem langen, gelben Barte und den roten Backen, weil er gut gespeist hatte, glücklich und in allen seinen Gelüsten befriedigt.

Er rief seine Kusine, daß sie ihm leuchte; man hörte ihn Nägel einschlagen und auf Stühle steigen. Als Octave mit Rosa wieder allein war, nahm er seine Geschichte wieder auf, erklärte ihr, daß er am Ende des Monats genötigt sei, seine Verpflegung anderswo zu nehmen. Sie schien überrascht, aber sie hatte den Kopf mit anderen Dingen voll, sie kam bald wieder auf ihren Mann und die Kusine zu sprechen, die sie hatte lachen hören.

Wie sie sich da mit dem Aufhängen der Bilder unterhalten! Meinetwegen! Achilles hat sich sehr verändert, seit vierzehn Tagen hat er mich noch nicht verlassen. Kaffeehaus, geschäftliche Besprechungen, sonstige Zusammenkünfte: nichts bringt ihn mehr aus dem Hause; Sie erinnern sich doch, wie besorgt ich war, wenn er nach Mitternacht nach Hause zu kommen pflegte! Das ist für mich heute eine große Beruhigung! Ich habe ihn wenigstens bei mir und gebe acht auf ihn.

Gewiß, gewiß, murmelte Octave.

Sie sprach auch von den Ersparnissen, die diese neue Einrichtung mit sich bringen werde. Das ganze Hauswesen sei dadurch in besserem Gange; mau lache vom Morgen bis zum Abend; ohne zu rechnen, daß sie selbst sich nicht mehr langweile, da sie immer Gesellschaft habe.

Übrigens, fuhr sie fort, wenn ich nur Achilles heiter sehe, bin ich schon befriedigt.

Dann kam sie wieder auf die Angelegenheiten des jungen Mannes und sagte:

Also Sie verlassen uns wirklich? Bleiben Sie, da wir doch alle glücklich werden sollen.

Aber er begann aufs neue mit seinen Erklärungen. Sie begriff und schlug die Augen nieder: in der Tat durfte dieser Junge ihnen bei ihren Vertraulichkeiten lästig werden, und sie selbst empfand seine Entfernung wie eine Erleichterung, da sie seiner nicht mehr bedurfte, um die Abende totzuschlagen. Er mußte versprechen, daß er öfter kommen werde.

Fertig die zum Himmel seufzende Mignon! rief die freudige Stimme Campardons. Warten Sie, Kusine, ich helfe Ihnen herabsteigen.

Man hörte, wie er sie in seine Arme nahm und sie irgendwo hinstellte. Es entstand eine Stille, dann ein leises Kichern. Aber der Architekt kehrte bereits in den Salon zurück und bot seine gerötete Wange seiner Frau zum Kuß.

Fertig, mein Schatz ... Umarme deinen bärbeißigen Mann, der tüchtig gearbeitet hat.

Gasparine kam mit einer Stickerei und setzte sich in die Nähe der Lampe. Campardon schickte sich an, im Scherze ein papiernes Kreuz der Ehrenlegion, das er auf einer Etikette gefunden hatte, auszuschneiden, und errötete sehr, als Rosa ihm dieses Papierkreuz mit einer Nadel anheften wollte: man machte ein Geheimnis daraus, daß jemand versprochen hatte, ihm das Kreuz der Ehrenlegion zu verschaffen. Auf der anderen Seite der Lampe erhob Angela, die eine Lektion aus der heiligen Schrift lernte, manchmal den Kopf, ließ die Blicke umherschweifen mit der rätselhaften Miene einer wohlerzogenen Tochter, die angewiesen ist, nichts zu sagen, und deren wahre Gedanken man niemals kennt. Es war ein traulicher Abend, ein gemütlicher Winkel.

Der Architekt jedoch bekam plötzlich eine Regung von Schamgefühl. Er bemerkte soeben, daß die Kleine über ihre heilige Schrift hinweg die »Gazette de France« las, die auf dem Tische lag.

Angela, sagte er ernst, was machst du da? ... Ich habe diesen Morgen den Artikel mit rotem Stift eingeklammert. Du weißt wohl, daß du nicht lesen sollst, was eingeklammert ist.

Papa, ich las das daneben Befindliche, antwortete das junge Mädchen.

Er nahm ihr die Nummer weg und beklagte sieh leise zu Octave über die Sittenverderbnis der Presse. Heute war wieder ein abscheuliches Verbrechen darin zu lesen. Wenn die Familien die »Gazette de France« nicht mehr halten konnten, auf welche Zeitung solle man dann eigentlich abonnieren? Er erhob die Augen gen Himmel, als Lisa den Abbé Mauduit anmeldete.

Halt! es ist wahr, sagte Octave, er bat mich, Sie von seinem Besuch zu unterrichten.

Der Abbé trat lächelnd ein. Da der Architekt vergessen hatte, sein Papierkreuz wegzunehmen, stammelte er vor Verlegenheit bei diesem Lächeln. Gerade der Abbé war die Person, deren Namen man verbarg, und die sich mit der Geschichte beschäftigte.

So sind diese Weiber, murmelte Campardon, närrisch genug!

Nein, nein, behalten Sie das Kreuz, erwiderte der Geistliche höchst liebenswürdig. Es ist dort gut aufgehoben, wo es ist, und wir werden es durch ein solideres ersetzen.

Sofort erkundigte er sich bei Rosa nach ihrem Befinden und billigte sehr, daß Gasparine sich bei einer Person ihrer Familie niedergelassen habe. Die alleinstehenden Fräulein laufen so viel Gefahr in Paris! Er sprach im salbungsvollen Tone des guten Priesters, der die volle Wahrheit kennt. Sodann ließ er sich aus über die Arbeiten und schlug eine geschickt ersonnene Änderung vor. Man hätte fast sagen mögen, daß er hauptsächlich zu dem Zwecke gekommen sei, die glückliche Vereinigung der Familie zu segnen und auf diese Weise eine heikle Lage zu retten, von der man im Stadtviertel sprechen konnte. Der Architekt der Calvaria mußte auch weiterhin die Achtung der rechtschaffenen Leute genießen.

Octave sagte beim Eintritt des Abbé Mauduit den Campardons guten Abend. Als er durch das Vorzimmer ging, vernahm er die Stimme Angelas, die sich gleichfalls davonmachte, in dem ganz finsteren Speisesaale:

Sie schalt wegen der Butter? sagte sie.

Gewiß, antwortete eine andere Stimme, jene Lisas. Sie ist sehr bösartig. Sie haben wohl gesehen, wie sie bei Tische mit mir umging... Aber ich kümmere mich auch viel darum! Man muß die Miene des Gehorsams gegenüber einem Wesen dieser Gattung zur Schau tragen, und kann doch über die ganze Geschichte lachen.

Angela mußte sich dann Lisa an den Hals geworfen haben, denn ihre Stimme erstickte am Nacken des Dienstmädchens.

Ja, ja ... Und ich habe dich allein lieb.

Octave war hinaufgegangen, aber das Bedürfnis nach frischer Luft trieb ihn wieder hinunter. Es war höchstens zehn Uhr, er wollte daher bis zum Königspalast gehen^ Jetzt war er wieder einmal Junggeselle: Keine der Frauen, weder Valerie, noch Frau Hedouin, wollte seiner Bewerbung Gehör schenken; die Marie hatte er sich zu sehr beeilt, ihrem Julius ganz zurückzugeben. Sie wäre seine einzige Eroberung gewesen, ohne daß sie ihm auch nur einen Kampf gekostet hätte.

Er hätte darüber lachen mögen, aber er empfand eine gewisse Traurigkeit; er erinnerte sich mit Wehmut seiner Erfolge in Marseille und erblickte eine böse Vorbedeutung, eine Erschütterung seines Glückes in der Niederlage, die seine verführerischen Anschläge erlitten. Er erstarrte vor Kälte, wenn er keine Frauenröcke mehr um sich hatte. Sogar Frau Campardon ließ ihn, ohne Tränen zu vergießen, ziehen! Für die erlittene Schmach mußte er fürchterliche Genugtuung sich verschaffen. Sollte Paris wirklich widerstehen?

Als er den Fuß auf die Straße setzte, rief ihn eine Frauenstimme; er erkannte Berta an der Schwelle ihres Seidenlagers, dessen Läden eben von einem Diener geschlossen wurden.

Ist es wahr, Herr Mouret? Sie haben das Haus »Zum Paradies der Damen« verlassen?

Er wunderte sich, daß man in der Umgebung bereits davon wisse. Die junge Frau hatte ihren Mann herbeigerufen, um sofort mit Herrn Mouret zu sprechen, weswegen er tags darauf in seine Wohnung hinaufzugehen gedachte. August, mürrisch wie immer und ohne jede Einleitung, machte ihm den Vorschlag, in sein Geschäft einzutreten. Octave, ganz unvorbereitet, schwankte zuerst; als er an die geringe Bedeutung des Hauses dachte, war er nahe daran, den Vorschlag abzulehnen. Er bemerkte jedoch das hübsche Gesicht Hertas, die, wie um ihm einen guten Empfang zu bereiten, ihm entgegenlächelte mit dem heiteren Blicke, dem er schon zweimal begegnet war am Tage seiner Ankunft und am Hochzeitstage.

Meinetwegen! Ich werde eintreten, sagte er entschlossen.


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