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Zweites Buch.

Ingvelde und Gest.

I.

Ist denn die Welt nur eine Todtenflur,
Ein weites Grab voll Blut und Moder nur?
Doch prangt sie herrlich in der Sonne Gold,
Und Berg und Wald und Wiesen grünen hold;
Und rings umher schließt sie der Edelstein
Des Meers mit Hellem Demantspiegel ein!
Wer ist's, der sie vom Kindesschlummer weckt,
Der Freud' und Frieden weg vom Erdball schreckt,
Und keinem Glück vergönnet kurze Rast?
Es ist der Mensch, der ungestüme Gast,
Das ungezähmte Herz in seiner Brust,
Der wilde Trieb, die schrankenlose Lust!

*

Bestattet ruhte Klaufe tief im Grund,
Viel sang zu seinem Ruhm der Skalden Mund;
Und aufgerichtet ward ein Runenstein
Zum Angedenken über sein Gebein.
Auch seine besten Waffen, Axt und Schwert,
Ein edles Roß, das ihm vor andern werth.
Sein Ruder und die Eisenstange gab
Man mit dem Recken in sein frühes Grab,
Daß, wenn er käme in der Todten Land,
Ihm sein Gewaffen und sein Pferd zur Hand,
Er nichts vermisse, was im Leben er
Geführt in Jagd und Schlacht und auf dem Meer,
Und heiter sitz' in der Walhalla Saal,
Und trink' aus goldnem Horn bei Odins Mahl! –
So schlief er dort, indeß, frisch angefacht,
Der Haß auf's Neu' in Thorsteins Haus' erwacht.

Den alten Thorstein nagt' ein tiefer Schmerz,
Und mächt'ger Zorn glüht' in des Greisen Herz;
Nicht kam die Stund' am Tage noch bei Nacht,
Wo er des Enkels nicht mit Leid gedacht;
Wo nicht ein Schwert durch seine Seele fuhr,
Und er nicht Sühnung seinem Geiste schwur.
Und so wie ihn, so den Helmspalter Gries
Und Glasern nie der heiße Wunsch verließ,
Zu sehn, dem grimmen Klaufe zum Entgelt,
Die Leiche Litolfs, blutig und entstellt.

Einst ging Held Thorstein, dem's zu eng im Haus,
Mit Glasern an das Meergestad hinaus;
Sie gingen schweigend durch die Winterflur,
Und ernst wie sie und stumm schien die Natur.
Und wie sie kamen an den weißen Strand,
Da plötzlich still der tapfre Glaser stand
Und starrte vor sich wie im wirren Traum
Mit seinen Blicken in den öden Raum,
Und seine Wangen wurden kalt und weiß.
»Was ist dir, Sohn?« fragt forschend ihn der Greis
Und faßt ihn an der Hand und blickt ihn an. –
Und Glaser drauf mit Schauder so begann:
»»Mir war, wie ich empor die Augen schlug
»»Und sinnend schaut' der Wolken schnellen Flug,
»»Als schaut' ich Klaufe durch die Lüfte hin
»»Hoch über uns, auf grauem Pferde ziehn,
»»Und hinter ihm ein Schlitten, der im Flug
»»Uns, dich und mich rasch durch die Wolken trug!«« –
Darauf der Greis: »Ich seh', ich irrte mich;
»Von festerem Stahl geschmiedet hielt ich dich!
»Indeß dir frisch noch blüht die Jugendzeit
»Hat lang' mein Haupt das Alter weiß beschneit;
»Doch trag' ich'« aufrecht, ungebeugt und stark,
»Und nie durchdrang die Furcht mein Heldenmark!
»Ich sah, wie du, hoch in den Wolken hin
»Auf Klaufe's Schlitten uns die Luft durchziehn,
»Voran ihn selbst auf grauem Pferde gehn;
»Das Alles hab' ich so wie du gesehn –
»Doch ward darum nicht meine Wange bleich,
»Und deines Vaters Farbe blieb sich gleich.
»Ist dir's so fremd? Sahst du nie auf dem Meer
»Noch Todte schiffen – durch die Luft einher
»Sie reiten? Nie erbeben ihrem Tritt
»Der Erde Kern, wenn sie ihr Fuß beschritt?
»Liegt auch ihr Leib in tiefer Grabeshaft,
»Es schweift ihr Geist auf irrer Wanderschaft;
»Stößt auf den Deckel von der Todtentruh'
»Und streift von sich die Binden müder Ruh!
»So Klaufe auch! Blutrache heischt sein Geist,
»Die Pflicht ist unser, mir und dir zumeist!« –
Und Glaser: »»Ja. so ist's, wie du gesagt;
»»'S ist Klaufe, der des Zögerns Grund erfragt.
»»Wohlan! nicht zweimal soll der Tag vergehn,
»»Und Litolf soll er todt im Staube sehn!«« –

Indeß die manche lange Nacht durchwacht,
Nur Klaufe's Mord zu rächen stets bedacht,
War mit Ingvelden jetzt an Gladgaards Herd
Die lang verschollne Lust zurückgekehrt.
So war es stets. War Leid in Gladgaards Haus,
Steckten die Thorstein Freudenzeichen aus;
Und wenn von dort der heitre Muth entfloh,
Wurden die Herzen erst in Gladgaard froh!
Ingveld' allein blieb sinnend wie zuvor,
Und glich dem Mond im lichten Wolkenflor,
Dem Meer, deß äußrer Spiegel unbewegt,
Wie oft im Grund die Wogen auch erregt;
Nicht wurde was ihr Inn'res dachte kund,
Denn selten sprach ein Wort der ernste Mund.
Nur aus den Augen strahlt' ein hell'rer Glanz,
Wie eine Quell im dunklen Waldeskranz! –
Da eines Tags zu fragen Gest begann:
»Was ist dir, Tochter Litolfs, sag' mir an,
»Hast du doch sonst der Seele tiefsten Laut
»Der festen Truhe meiner Brust vertraut;
»Und was du dachtest in des Herzens Rath,
»Mir ward ein Antheil, eh' es ward zur That!« –
Da faßt' Ingvelde schweigend seine Hand,
Und wie sie lang den Blick auf ihn gewandt,
Ward trüb und trüber ihres Auges Glanz,
Wie endlich sich der blaue Himmel ganz
In Nebel hüllt, und aus den Wolken dicht
Der lang verhaltne Regen niederbricht!
Dann ließ sie los die Hand, die sie gefaßt,
Und ging in's Haus in ungewohnter Hast.
Vor seiner Thüre auf der Bank von Stein
Saß Litolf in der Dämm'rung Stund' allein;
Da trat Ingvelde bittend vor ihn hin
Und sprach: »Gefällt's, o Vater! deinem Sinn,
»Laß uns in dein entfernt' Gehöfte gehn;
»Die Stuten möcht' ich und die Heerden sehn!
»Auch wenn es dir genehm ist, blieb' ich gern
»Für kurze Frist mit dir von Gladgaard fern.
»Sieh', mein Gemüth ist unruhvoll, und Streit
»Füllt meine Brust, noch ist mir Friede weit;
»Mir ist zu nah' die Stelle, blutbethaut,
»Wo Klaufen du erschlugst, vor der mir graut!
»So oft ich hingeblickt, hab' ich gesehn
»Ihn mit der Wund' am weißen Halse stehn!« –
Und Litolf drauf: »»Mein Kind, wie thät' ich nicht
»»Was du verlangst!«' – Und drauf die Tochter spricht:
»Doch Eines noch: laß Gest zurück, daß leer
»Und schirmlos bis zu unsrer Wiederkehr
»Das Haus nicht bleibe vor der Thorstein Macht;
»Bleibt Gest zurück, so ist es wohl bewacht!«

Und als der Morgen graute, rollt' von dort
Der Wagen Litolfs mit Ingvelden fort.

II.

Obgleich das Leben gährte trüb und wild,
Vom Kampf in der Natur ein treues Bild,
Der freie Trieb sich ungestört erging,
Und das Gesetz nicht Kette war, nur Ring,
Stand in dem klaren Sinn der Menschen doch
Vor allen andern eine Tugend hoch:
Die feste Treu', die unerschüttert bleibt,
Der Klippe gleich, an die die Meerfluth treibt!

*

Nach Gladgaard auszuziehn zu neuem Streit
Macht Glaser mit den Seinen sich bereit;
Schon steht in Thorsteins Hof die rüst'ge Schaar,
Und noch hat Gest nicht Kunde der Gefahr;
Doch soll nicht Mind'res sühnen Klaufens Tod
Als Litolfs Blut. Ingvelde aber, droht
Held Glaser, werde weit von Nordlands Strand
Verkauft als Sklavin in ein fremdes Land. –
Und zu den Streitern, eh' sie ziehn vom Ort,
Spricht Thorstein jetzt: »Ihr Männer, hört mein Wort!
»Ihr geht zum Ernst und nicht zur Kurzweil aus,
»Nicht wie die Geister thun in Odins Haus!
»Die rücken, wenn das Tageslicht erwacht,
»Mit scharfgeschliffnen Waffen früh zur Schlacht,
»Und wer im Kampf erschlagen niedersinkt,
»Der steht am Abend wieder auf und trinkt
»Bier, das im Goldkrug die Walküre schenkt,
»Und keiner seiner Wunden mehr gedenkt.
»Ihr aber athmet, lebt, habt Fleisch und Blut,
»Seyd Schemen nicht – drum, wenn ihr haut, haut gut,
»Daß der, den einmal eure Streitaxt traf,
»Nicht wieder aufsteh' aus dem tiefen Schlaf!« –
Und Alle fanden recht was Thorstein sprach.
Drauf zogen sie hinaus, und ihnen nach
Blickt lang' der Greis und fühlt sein Herz erglühn,
Daß sie so muthig gingen und so kühn! –

*

Und fern zu Gladgaard einsam weilte Gest
Und macht der Thore Balkenriegel fest;
Ein grau Gewölke hing am Himmel schwer,
Und kalter Wind blies scharf aus Norden her.
Da flammt er mächt'ge Föhrenscheite an,
Und als die Gluth zu lodern frisch begann,
Schob er die Bank hinzu und blickt hinein
Gedankenvoll in den bewegten Schein;
Und manch ein Bild, Gestalten allerlei
Gingen im Geist an seinem Blick vorbei.
Da hört er Lärm, der immer näher dringt,
Verworrne Stimmen, Waffenklirr'n – Er springt
Empor vom Sitz; schon krachet auf das Thor,
Und Glaser und die Seinen dringen vor;
Und bald, umringt vom Schwarm, steht Gest bedroht
Von zwanzig Schwertern mit gewissem Tod!
»Sprich, wo ist Litolf – wo Ingvelde – wo?
»Wenn nicht, brennt schnell das Haus in heller Loh',
»Und nichts soll bald von ihnen übrig seyn
»Als von der Gluth gebleicht ihr weiß Gebein!« –

*

So schrei'n die Männer wild, doch furchtlos steht
Inmitten Gest, und ruhig spricht er: »Geht
»Und sucht sie auf; vielleicht daß euch's gelingt
»Und ihr dorthin, wo sie verborgen, dringt!« –
Und durch das Haus und in dem Frauenbuur
Suchen die Männer rings; doch keine Spur
Sich von Ingvelden noch von Litolf zeigt.
Gest aber steht entschlossen da und schweigt;
Da spricht zu ihm Held Glaser zornentbrannt,
Das lange Schwert gezückt in seiner Hand:
»Gest, hör' ein Wort! Du bist Held Litolfs Knecht,
»Ihm nicht verwandt von Blut noch von Geschlecht;
»Drum sprich die Wahrheit und du trägst zum Lohn
»Ein reiches Eigen, Gut und Land davon;
»Dann theilen wir uns Litolfs Habe, dein
»Gemessnes Theil soll gleich dem meinen seyn,
»Und sitzen sollst du von derselben Stund',
»Ein freier Mann wie wir, auf deinem Grund!
»Doch wenn du starr und feindgesinnt dich zeigst
»Und uns wo sie verborgen sind verschweigst,
»Sollst du mir langsam unter grauser Qual
»Hinsterben, einmal nicht, nein hundertmal;
»Und sollst zu taubem Ohr in deiner Noth
»Vergebens fiehn um einen schnellen Tod!«
Und unerschrocken Gest: »»So säume nicht
»»Und thue wie dein Mund zu thun verspricht!
»»Daß ihr mich zwingt, ihr Recken, leicht mag's seyn,
»»Denn ihr seyd zwanzig und ich bin allein;
»»Doch allesammt seyd ihr nicht stark genug,
»»Um meine Treu' zu wandeln in Betrug.
»»Meint ihr, ich sey so jämmerlich gesinnt,
»»Daß mich der Geiz nach Geld und Gut gewinnt?
»»Ein Kind fand einen Platz ich hier am Herd,
»»Und Litolf hielt wie einen Sohn mich werth;
»»Drum hoffet nicht, und ob auch Glied für Glied
»»Ein scharfes Schwert von meinem Leibe schieb,
»»Es thue je mein fest verschlossner Mund
»»Die Antwort euch auf eure Frage kund!«« –
»Wohlan, wir wollen sehn, ob wohl noch lang
»In diesem Ton erklinge dein Gesang,« –
Spricht Glaser – und die Männer binden Gest
An einen Gaul mit starken Riemen fest,
Und schleifen ihn am Boden mit sich fort,
Als unerreichten Zieles sie von dort
Im raschen Lauf der Pferde heimwärts ziehn.

Auf rauhem Boden schleppt sein Körper hin,
Daß Haut und Fleisch zerrissen niederhängt
An Steinen und Gesträuch, und roth besprengt
Sich, wo sie ritten, wie ein purpurn Band
Die blut'ge Fährte hin am Boden wand. –
In tiefen Athemzügen, schwer und bang,
Mit letzter Kraft, die mit dem Tode rang,
Keucht Gest empor; sein Antlitz kalt und bleich,
Die Augen starr und einer Leiche gleich!
Da frägt ihn Glaser: »Willst du reden, Gest,
»Wie, oder steht auch jetzt dein Muth noch fest?
»Dir bleiben nicht der Augenblicke viel,
»Und nah' gesteckt ist dir des Lebens Ziel;
»Denn nicht lös't diese Riemen meine Hand,
»Bis du gelöset deiner Zunge Band!« –
Und Gest darauf mit schwacher Stimme spricht:
»»Was frägst du mich, ich bat um Mitleid nicht!««
Da knirschte Glaser, und im raschen Flug
Der Rosse immer weiter ritt der Zug,
Bis er genaht dem Ort der Ueberfahrt,
Wo Olaf einst der Fähre Amt gewahrt.

Das Fergenhaus, das lange hier am Strand
Des tiefen Stroms öd' und verlassen stand
Und das die Fluth allmählig unterwühlt,
Zerfallen war's und fast hinweggespült.
Ein Haufe morscher Trümmer nur erhob
Vom Erddamm sich wo's stand eh' es zerstob.
Dort saß im Dunkel ein unheimlich Paar;
Ein Mann, wie Olaf einst im Leben war,
Und neben ihm, gebeugten Haupts, ein Weib!
Die hatten wenig Sorg' um ihren Leib
Und nicht des Schneesturms, der indeß erwacht;
Sie saßen regungslos und hatten Acht
Wohl eher auf der nah'nden Pferde Tritt
Und auf den Trupp, der heut vorüber ritt;
Denn wie der Haufe naht im raschen Lauf,
Stehn jene Zween von ihrem Hügel auf,
Und immer höher in der Wolken Grau
Hebt sich, so scheint es, ihrer Glieder Bau.
Es bäumen wild die Ross und schnauben laut,
Und ob der Reiter spornt, die Geißel haut,
Nichts treibt sie weiter! Wie das Laub am Baum
Beben sie angstvoll, weiß bedeckt mit Schaum;
Und wie das Paar jetzt aus die Arme streckt,
Da jählings, wie von Bremsen aufgeschreckt,
Flieh'n sie zerstreut, rechts hin und links; nicht wehrt
Zaum und Gebiß! G'rad aber rennt das Pferd,
Dran Gest gebunden hängt, dem Strome zu;
Und wie's zum mächt'gen Sprung anhebt – im Nu,
Als hätt' ein Blitz getroffen es im Lauf,
Stürzt's leblos hin und nicht mehr steht es auf! –
Am Ort wo Norf einst stieg in Olafs Boot,
Dort lag jetzt Gest, ohnmächtig – doch nicht todt.

III.

Wer, wenn des Morgens er vom Lager springt,
Weiß was der Tag ihm bis zum Abend bringt;
Ob, wenn er ausgeht, ihm auf seinem Pfad
Das Glück begegnet, ob ihm Unglück naht?
Denn oft jagt wer nach Ruhm und findet Schmach,
Der, gierig, läuft dem Schein des Goldes nach,
Der sucht die Braut, lieblich und jugendroth.
Streckt aus die Arm' und ihn umhalst der Tod!
So jeder, was er zu erhaschen strebt,
Wenn er's zu haben meint – ist es entschwebt!
Und wieder: wer sich ganz verlassen meint
Vom Glück, und dem kein Hoffnungsstrahl erscheint,
Schnell treibt in frischem Grün, ihm dünkt's ein Traum,
Kron' und Gezweig am dürren Lebensbaum.

*

In Todesschlummer hielten starr und bang
Den treuen Gest der Ohnmacht Schauer lang;
Doch wie ihn kühlt die frische Morgenluft,
Ringt aus der Brust sich wie aus tiefer Gruft
Von Zeit zu Zeit ein Schmerzenslaut empor;
Sonst liegt er regungslos so wie zuvor.
Es ist der Geist in fernen Räumen aus,
Und leer gelassen steht des Körpers Haus! –
Da, raschen Laufes, kömmt ein Roßgespann
Daher gejagt am User jenseits an.
Die hin und her Gests Vater oft gewandt,
Die Fähre, nun von einer andern Hand
Gesteuert, nimmt schnell Ross' und Wagen auf
Und setzt das Fuhrwerk über und Die drauf.
's ist Litolf und Ingvelde, die gekehrt
Von dem Gehöfte heim zu Gladgaards Heerd.
Als sie gestiegen diesseits an das Land
Und das Gefährte wieder angespannt,
Litolf die Zügel faßt und auf den Tritt
Des Wagens eben jetzt Ingvelde schritt –
Da wieder stöhnet, mächt'ger als zuvor
Und lauter, Gest aus kranker Brust hervor.
»Was stöhnt und wimmert auf dem Boden hier?«
Ruft Litolf aus – »ein Sterbender, dünkt mir!«
Und bindet seiner Pferde Zügel fest
Zunächst am Baum. »Beim Odin, es ist Gest!«
Laut schreit Ingveld empor, als sie's gehört,
Und hin stürzt sie zu Gest, bleich und verstört.
Der liegt in seinem Blut unkenntlich fast.
»Schöpf' Wasser aus dem Fluß!« ruft sie in Hast
Und hält sein Haupt empor in ihrem Arm,
Auf den Gests Blut hinströmet roth und warm;
Und ihre Hand auf seine Brust gelegt
Sucht sie sein Herz und fühlt ob es noch schlägt.
»Noch lebt er!« ruft sie freudig. Litolf jetzt
Bringt Wasser in der Lederhaub' und netzt
Dem Wunden Schlaf' und Antlitz und gemach
Kehrt ihm das Leben und der Geist wird wach.
Er schägt die Augen auf und heftet fest
Sie auf Ingvelden unverwandt. »O Gest!«
Ruft sie – da glänzt Antwort in seinem Blick,
Denn noch kam ihm die Sprache nicht zurück. –
Mit Mühe heben Litolf und Ingveld'
Ihn auf den Wagen, der auf ebnem Feld
Gen Gladgaard kehrt. Mit kund'gem Sinn verband
Die Wunde dort Ingveldens weiße Hand,
Träuft Balsam drauf und Balsam auf sein Herz,
Und sänftigt bald und stillt jedweden Schmerz;
Und nimmer fühlte Gest als er gefund
So frischen Herzensschlag als seit er wund.

Wohl war's ein selig Strömen her und hin
Von Aug' zu Aug', von Herz zu Herz, von Sinn
Zu Sinn! Ein Leuchten wunderbar
Strahlt' aus Ingveldens Blicken, tief und klar;
Von duft'gem Rosenschimmer schien umwallt
Der edlen Glieder hehre Wohlgestalt,
Und um den Nornenmund, sonst streng und wild,
Schwebt jetzt ein süßes Kindeslächeln mild.
Bald sind Gests Wunden heil, und wieder schafft
Wie sonst im Haus er, ungeschwächter Kraft;
Und eines Abends an des Herdes Schein
Sitzen Litolf, Ingveld' und Er zu drei'n;
Da spricht Held Litolf: »Hört was ich bedacht,
»Ingveld' und Gest, und nehmt mein Wort in Acht;
»Ich weiß, bald geh' ich meinen letzten Gang;
»Schon hör' ich der Walküren Becherklang,
»Und will es Odin, in Walhallas Saal
»Sitz' ich am goldnen Tische bald beim Mahl,
»Und mit den Thorsteins in der Geister Haus
»Fecht' täglich ich die alten Fehden aus.
»Sie mögen kommen allesammt! Wohlan,
»Der ries'ge Klaufe auch – er soll mir nahn!
»Daß ich nun scheiden möge sorgenfrei,
»Ob früh ob spät das Ziel gesteckt mir sey,
»Will ich zuvor vermählt dich, Tochter, sehn;
»Dann, kommt die Stunde, kann ich ruhig gehn!
»Gest, nimm sie hin! Du hast dich treu bewährt
»Und mir vergolten, daß ich dich genährt
»Und dich erzog wie meinen eignen Sohn;
»Vor keinem Thorstein: bist du je geflohn,
»Du bist ein Held, still und von zähem Muth,
»Und nicht gekargt hast du mit deinem Blut.
»Dich schreckt der Schmerz so wenig als das Grab;
»Die eigne Zunge bissest du dir ab
»Und spieest sie dem Feind stolz in's Gesicht,
»Eh' einen Laut sie des Verrathes spricht.
»Ich kenne Keinen, werth, mein Kind zu frei'n
»Wie dich! Nun denn – du sollst mein Eidam seyn!
»Und frei von heute bist du, und mit ihr
»Gehört mein Gut und meine Habe dir!« –
So sprach der Greis und ging, und ließ allein
Gest und Ingvelden bei des Herbes Schein.

Ein glühend Roth die Wange Gests belebt;
»Ingvelde!« ruft er, und die Stimme bebt –
»Hast du's gehört? Bei Mimers Quelle, Mimers Quell ist der Brunnen, worin Weisheit und Verstand verborgen sind. sprich,
»Hast du's gehört, hast du's gehört wie ich?
»Dich hat er mir vermählt, dich gab er mir
»Zu eigen, dich – und all sein Gut in dir!
»Und willst du's auch – mein Weib, sprich, willst du's seyn?
»Bist du mit eignem, frohen Willen mein?
»Ich war dein Diener und dir unterthan
»Und blind vollzog ich, was dein Rath ersann;
»Und jetzt dein Gatte! Und du bist mein Weib,
»Und mein ist deine Seele und dein Leib,
»Und deines stillen Herzens tiefstes Seyn,
»Und deine innersten Gedanken mein!
»Ist deines Vaters Wort kein harter Zwang
»Sprich, bist du mein durch gleicher Wünsche Drang?« –
Da schlingt Ingvelde ihren Arm um Gest
Und preßt den Mann an ihren Busen fest,
Und der sonst Küsse floh, ihr Mund, er drückt
Sich auf den seinen brünstig und entzückt,
Doch bleibt er lautlos und antwortet nicht.
Und Gest entstammt und freudetrunken spricht:
»Liebst du mich? sage! warum schweigt dein Mund?
»Ist Litolfs Wahl dir recht, so thu' mir's kund!« –
Und fester noch drückt an die junge Brust
Ingvelde Gest, und blickt ihn an mit Lust
Und streicht mit ihrer sanften weißen Hand
Ihm über's Antlitz, braun vom Sonnenbrand. –
»»Wo denkst du hin?«« – spricht sie mit frohem Muth –
»»Wie kannst du glauben, Gest, ich sey dir gut!
»»Wie hätt' ich solchem Recken mich vermählt,
»»Mir Einen mit gespaltner Lipp' erwählt?«« –
Und wie sie schalkhaft lächelnd also spricht,
Küßt sie mit neuer Inbrunst sein Gesicht. –
Und Gest: »Nagt nicht dem wilden Eber gleich,
»Mein Zahn?« – Ingveld: »»Du bist an Tugend reich!
»»Laß deine Zweifel, Gest, und bleib' in Ruh,
»»Den Spalt der Lippe schließt die Treue zu!
»»Ich blick' nur in dein redlich Angesicht,
»»Und sehe die gespaltne Lippe nicht!
»»Nur wenn du je ein Andrer wärst wie heut,
»»Ein Anderer an Muth und Würdigkeit,
»»Dann, Gest, käm' dir die Spalte bald zurück,
»»Und die jetzt schwand, entdeckte schnell mein Blick!««
Und Gest, erst noch ein armer niedrer Knecht
Und ohne Erb', aus hörigem Geschlecht,
Erst noch im Blute liegend, todeswund,
Jetzt ist er stark und wie ein Baum gesund;
Und in des ganzen Nordlands weiten Gau'n
Ist jetzt beglückt wie Er kein Mann zu schau'n.

IV.

Was ist das Leben? ein bewegtes Meer:
Die Lieb' ein Eiland, wo die Stürm' umher
Die Flügel schütteln; innen aber blühn
Die Blumenkronen, lacht der Büsche Grün!
Was ist das Leben? ein verkohlter Stern:
Und Liebe, Glanz aus einem Himmel fern,
Der in die öde Brandstatt weit hinein
Wirft seines Lichtes wunderbaren Schein!
Was ist das Leben? ein Verzweiflungssang,
Ein einz'ger lauter, tiefer Schmerzensklang:
Und Lieb' ein jauchzend hohes Lied der Lust,
Ein Wonneruf entzückter Menschenbrust!
Doch liebst du, Herz, bleib mit der Lieb' allein,
Der holde Hort ist nur so lange dein,
Als du ihn fremdem Aug' entzogen hegst
Und Band und Schloß an deine Glückstruh' legst!
Such' auf das fernste, einsamste Revier,
Wo dich nur schaut die Wolke über dir!
Im tiefsten Urwald, wo kein Fußtritt schallt,
Such' deines Glückes süßen Aufenthalt!
Dort, wie der Vogel tief im Laubgesproß,
In dunklen Klüften bau' dein fest Verschloß,
Und einen Felsblock wälz hin an sein Thor
Und einen Drachen leg dem Eingang vor,
Der ferne halte deiner stillen Rast –
Und wär's dein Bruder – jeden Menschengast!
Zieh einen Gluthzaun um dein heimlich Glück
Und scheuche jeden Kommenden zurück.
Nur ihr allein! Der dritte, der sich naht,
Er bringt das Unglück euch und den Verrath! –
Bald bauten sich ein süßes Liebesnest
In Gladgaards Hofe Litolfs Kind und Gest,
Und um das junge neuvermählte Paar
Versammelt war gar bald der Freunde Schaar;
Der Methkrug wieder so wie vormals ging
In Füll' umher in der Bekannten Ring,
Und selten jetzt erschien ein Tag und schwand,
Der nicht zu Gladgaard frohe Gäste fand;
Und wie im Lenz der Baum in frischem Grün,
So schien Held Litolf wieder aufzublühn,
Denn weggescheuchet war, der ihn gedrückt,
Der alte Gram, er fühlt' sich neu beglückt.
Er hatt' erreicht, was ihm zumeist gebrach:
Gerächt an Thorstein war die alte Schmach.
So bräunt' die Flamme froh auf Gladgaards Herd,
An den der frühern Tage Lust gekehrt.
Ingvelde aber strahlte stolz und schön,
Wie voller Sonnenglanz auf Bergeshöhn!
Einst war die Stirne dunkler Wetter Sitz,
Des Auges Strahl aus schwerer Wolk' ein Blitz;
Jetzt glänzt' es feucht, und auf der Stirne lag
Ein süßes Lächeln, hold wie Maientag!
Und wenn der alte Litolf vor ihr saß
Und sah sie an: Entzücken ohne Maß
War dann dem greisen Antlitz aufgedrückt,
Und immer wieder rief er aus beglückt:
»Beim rothe Bart des Thors! wie mächtig gleich
»Und wie sie an gestohlnem Gute reich,
»Ich setz' zur Wette meinen alten Leib,
»Nie sahn die Thorsteins je ein solches Weib!«
Aus Gests verklärten Augen aber brach
Ein sel'ger Glanz, wenn so der Alte sprach,
Und um Ingvelde schlang er seinen Arm;
Sie aber liegt an seinem Busen warm
Und druckt die Rosen ihrer Lippen fest
Auf den gespaltnen Mund dem treuen Gest.
Nichts stört' ihr Glück, und wenn ein Tag entglitt,
Den schönem bracht' der neue Morgen mit.
Nur wenn Ingvelde nach der Stelle sieht,
Wo Klaufe fiel durch Litolfs Art, umzieht
Ernst ihr Gesicht; doch fest und unbewegt
Spricht sie zu Gest: »Siehst du, was dort sich regt?
»'s ist Klaufe, der dort auf der Heide steht;
»Ich seh' ihn oft, wenn er im Mondlicht geht;
»Ich wollt', er blieb' in seinem Grabe fern;
»Ich fürcht' ihn nicht, doch seh' ich ihn nicht gern!« –
Und also war's. Wenn an des Himmels Plan
Der bleiche Vollmond hinzog seine Bahn,
Dann von dem Orte, wo er fiel, hinaus
Wandelte Klaufe Nachts gen Thorsteins Haus,
Und pochte unter seiner Väter Dach
Mit mächt'ger Faust die müden Schläfer wach,
Und zeigte mit der bleichen Todtenhand
An seinem Hals das blutig rothe Band.

V.

Nichts währt den Tag hindurch! Jetzt Sonnenglanz,
Dann düstre Nacht. – Brautkranz und Todtenkranz!
Dort steht die Wiege, hier der Sarg; hier schallt
Der Jubel, während dort ein Klaglied hallt!
Ein alter Spruch: Auf Freude Leid! – Sey, Gast
Der Erde, stets auf beide gleich gefaßt!

*

So ging's in Gladgaards Haus, wo Tag und Nacht
Der Becher rund ging, man am Mahle lacht;
Indeß, wie wenn der Strom das Eis zersprengt
Und frei hinwogt, von keinem Land beengt,
Ingveld' und Gest ein mächt'ger Glück umschlang.
Die frohe Zeit, sie dauerte nicht lang! –
Nicht tönt mehr Becherklang! Gehöft und Flur
War voll Gewaffneter, und manche Spur
Von rothem Blut zog sich den Weg entlang,
Und mancher warme Quell aus Wunden sprang.
Matt an den Mauern angelehnet saß
Umher und an den Bäumen auf dem Gras
Manch starker Nordmann, bleich das Angesicht
Und dunkler Nebel hüllt sein Augenlicht!
Hier legte Einer Salb' und Kräuter auf
Und hemmte so des warmen Blutes Lauf,
Weil ungestillt es dort in Wellen schoß
Und manches Leben mit dem Strom entfloß!

Und in der Halle drinn stand eine Schaar
Von Männern dicht um eine Bretterbahr,
Auf der die Leiche Litolfs lag gestreckt,
Zum Gurt mit einem Bärenfell bedeckt;
Und in der nackten Brust aufklaffte weit,
Unfern dem Herzen, eine Wunde breit!
Am Fuß der Bahre trauernd aber saß
Ingvelde bleich, doch war ihr Aug' nicht naß;
Nein, düster leuchtend blickt' es starr und fest
Auf Litolf hin, und neben ihr stand Gest. –
»Ist Thorstein todt, gewiß und wirklich, todt?«
Rief endlich sie empor, und dunkles Roth
Trat in das bleiche Marmorangesicht,
Wie Nachts die Flamm' aus tiefem Dunkel bricht. –
»»Gleich dürrem Holz zerkrachte seine Stirn,
»»Und noch an meiner Streitaxt hängt sein Hirn.«« –
Als zu Ingvelden Gest die Worte spricht,
Da wird ihr düstres Auge wieder licht.
Gemeldet hatte Gest ein wahres Wort,
Die gleiche Trauer klagte hier wie dort.
Es war der Tag genaht, wo im Gefecht
Endlich erlosch dieß feindliche Geschlecht;
Und jene alten Kämpen, die die Zeit
Des Lebens hingebracht in grausem Streit,
Wie sie gelebt im Grimm und wilder Wuth,
So lagen sie jetzt beide todt im Blut.
Noch einmal war der Thorstein ganze Macht
Zum Kampf gerückt, durch Klaufe's Geist entfacht;
Es war kein Ringen mehr um Ruhm und Sieg,
Ein Schlachten war's und ein Vertilgungskrieg.
Wohl wußte Litolf, was es heute galt,
Und freut sich deß im Herzen. Ob auch alt,
War ihm der Muth geschwächt nicht in der Brust
Und nicht verleidet noch die Waffenlust.
Wer heut ihn sah, den Vordersten im Feld,
Nicht glauben würd' er, daß ein Greis der Held.
Doch hoch vor allen Andern an Gewalt
Ragt Gest empor und mächtiger Gestalt.
Rasch schritt er vor, die Streitaxt in der Hand,
Auf Glaser zu, den er nicht müßig fand.
Und Glaser rief: »Beim Thor! Wie bist du doch
»Von zäher Art! Lebst du denn wirklich noch?
»Ich meinte, von dem Ritt den du gemacht,
»Sey jedes Bein dir längst im Leib zerkracht!
»Du aber scheinst wie ein zerstückter Aal,
»Der selbst im Topf emporschnellt noch einmal!«
Und Gest darauf: »»Du siehst, noch bin ich hier,
»»Und nicht, ich mein', zur Kurzweil komm' ich dir.
»»Laß sehn, wem Uller Sieg gibt. Wende dich,
»»Laß jene sich bekämpfen und nimm mich.
»»Ich weiß, mein Haupt ist's, das, wie du geprahlt,
»»Für Klaufe's Blut die Zeche dir bezahlt.
»»Ich aber mein', nicht gern sey Klauf' allein,
»»Dich send' ich ihm, er wird mir dankbar seyn!««
Das Wort hört Glaser, der vor Zorn erbebt,
Und hoch empor die schwere Keule hebt;
Doch jener wendet sich zur Seit' und weicht,
Daß durch die Luft umsonst die Waffe streicht,
Und scharfen Blickes, wie ein schneller Aar,
Nimmt Gest geschickt jetzt seinen Vortheil wahr,
Und mit gewalt'gem Hiebe, unverweilt,
Gleich wie der Schlächter, der den Stier zertheilt,
Tief durch die Schulter in die Brust hinein
Haut er die Axt durch Muskeln und Gebein,
Und dem Erschlagnen ruft er höhnend zu:
»Freund Glaser, grüße Klauf' und schlaf' in Ruh'!«

Und wie hier Gest sich Glasern ausersah,
Sucht jeder seinen Mann, und fern und nah
War laut Geschrei, Getümmel, floß das Blut.
Thorstein und Litolf aber sprachen Muth
Den ihren zu. Da blickt sich Thorstein um,
Und wie sein Auge schweift im Feld herum,
Sieht er, wie von des Gegners Hand besiegt
Der tapfre Glaser dort im Kampf erliegt;
Sieht, wie Gests Streitaxt auf ihn nieder blitzt
Und Glasers Blut in rothem Bogen spritzt.
Wie ein gereizter Löwe brüllt er laut,
Wie er den Sohn zum Tod getroffen schaut.
Das lange Schwert geschwungen, eilt der Held
Mit raschem Schritt zornschnaubend durch das Feld.
Da tritt ihn Litolf an und spricht mit Hohn:
»Was, Thorstein, eilst du so vor mir davon?
»Umsonst, du kommst zu spät! Glasern zu sehn
»Lebendig noch, mußtest du schneller gehn;
»Du Räuber, der was er erblickte stahl,
»Gold, Jungfrau'n, Gäule, ja den Krug beim Mahl.
»Schon meintest du, du seyst der Herr im Land
»Und Niemand halte einem Thorstein Stand;
»Ich aber sage dir, gekommen ist
»Mit dieser Sonne deine Zahlungsfrist!
»Sieh, alter Wolf, sieh, deine grimme Brut,
»Dort liegt sie todt! Wir lachen deiner Wuth!« –
»»Du kommst mir recht!«« kreischt als er ihn erblickt
Thorstein, deß Stimme Zorneskrampf erstickt.
Ob ihre Jugend hingeschwunden war,
Nicht säumt zu kämpfen jetzt das greise Paar;
Und stark genug noch schien es und die Kraft
In ihren alten Armen nicht erschlafft.
Des Thorsteins Schwert in lichten Funken stob
Und leicht wie Rohr Litolf die Streitaxt hob.
Schon droht sein Hieb; doch wie den Arm er schwang,
Stößt in den Leib die Klinge breit und lang
Ihm Thorstein; doch bevor noch Litolf fällt,
Auch schon Gests Hieb des Thorsteins Schädel spält;
Und beide taumeln hin von Nacht bedeckt.
Da ruhen nun selbander hingestreckt,
Die bittrer Haß ihr Lebenlang getrennt
Und die sich zu ermorden wild entbrennt,
Gleich wie in sanften Schlummer hingeschmiegt
Ein Bruder friedlich bei dem andern liegt.
Als so die beiden Greise dort zugleich
Mit Glasern gingen in der Todten Reich,
War zwar der Krieg für jetzt in Gladgaards Haus
So wie in Thorsteins öden Mauern aus;
Doch kehrte nicht die Ruh' und noch nicht schlief
Held Klaufe's Geist, ob auch im Grabe tief.
Es trug Ingvelden nie nach jenem Ort
Des Mords der Fuß, daß sie nicht Klaufe dort,
Wo sich gen Gladgaard hin das Fahrgleis wand,
Gleich einer Säul' am Wege stehend fand;
Und lag des Nachts sie auf dem Lager fest
Und ruhig eingeschlummert neben Gest,
Fuhr sie erschreckt schnell aus dem Schlaf empor
Und rief: »Gest, Gest! Wer klopft an unser Thor?«
Und wenn sie aufblickt', sah im Mondenschein
Das Antlitz Klaufe's bleich zu ihr herein;
Zu ihr allein! Denn niemals – sonderbar! –
Nahm Gest zugleich das blut'ge Schemen wahr! –
Da eines Tages sprach zu ihrem Mann
Ingvelde so: »Geliebter! hör' mich an,
»Nicht länger trag' ich's, daß mich Klaufe's Geist,
»Wohin ich blicke, ruhelos umkreist;
»Ich fürcht' ihn nicht, doch mag ich ihn nicht sehn;
»Schon sagt' ich dir's! Laß uns von hinnen gehn!
»Du weißt es, Gest, gesegnet ist mein Leib;
»Wenn ich nun hier bis zu der Stunde bleib',
»Ich hier des Kinds genese, wo so nah
»Der grimme Klaufe, – Sorg' erfüllt mich da,
»Er thu' ein Leid an meinem jungen Kind,
»Er mach' es krank an Gliedern ober blind;
»Denn wohl zu kennen ist es, was ihn treibt,
»Daß er wie Andre nicht im Grabe bleibt.
»Auf Rache sinnt er und läßt Odins Haus,
»Und geht, ein Schemen, in die Nacht hinaus,
»Und wird nicht eher still im Grabe ruhn,
»Bis ihm gelang ein Unheil mir zu thun! –
»Drum höre meinen Rath: Laß fort uns ziehn
»Von hier für immer; nach der Küste hin,
»Wo sich am Meere dehnt der weite Strand
»Und schöner Wald und gutes Ackerland.
»Die reichen Heerden treiben wir von hier,
»Und alle andre Habe nimm mit dir;
»So bauen wir, von Klaufe's Grabe weit,
»Ein neues Haus uns auf in kurzer Zeit;
»Und fern von hier kann ich dann ruhig gehn,
»Und brauche nicht sein bleich Gesicht zu sehn!« –
»»So sey es wie du sagst!«« – sprach Gest – »»die Welt
»»Ist groß, und blau allwärts das Wolkenzelt.
»»Auch ich bin hier nicht williger als du,
»»Und, satt der Kämpfe, sehn' ich mich nach Ruh,
»»Und statt dem Schwertklang, der in's Ohr mir dringt,
»»Daß deine Stimm' ein Kind in Schlummer singt!«« –

Nicht lange mehr, da zogen sie von dort
In eine ferne, fremde Gegend fort.


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