Edward Young
Nachtgedanken
Edward Young

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Fünfte Nacht.

Der Rückfall.

Dem Grafen von Litchfield.

                Lorenzo! Wiederklage ist gerecht:
Verliebtheit in den Ruf ist Geiz nach Luft,
Und sicher eitel, wer um Lob nur schreibt;
Nie war des Ruhmes werth, wer mehr nicht suchte!
    Auch deine andre Klage ist gerecht.
Gewiß erröthete die Muse oft
Bei ihrer Söhne Schmach-Verworfenheit,
Die ihren Schutz der schnöden Sinnenlust verkauften,
Das Niedrige erhöh'nd, Gemeines feiernd,
Verleihend grobem Stoff die feine Form;
Als schüfe hohe Macht des Melodienzaubers
Ein sittenloses Lied in duftend Ambra
Und Staub in süßen Rosenbalsam um.
Dem Heiden gleich vergöttert Witz das Thier,
Und wühlt im Sumpf nach thierischem Vergnügen. 138
    Der wohlbekannten Sache Grund ist klar.
Vergnügen legt uns Fesseln an und Stolz:
Sie beide theilen sich den Menschen, und
Entzwei'n ihn auch; nach eignem Pfade zieht
Ihn jedes, und Gebot bekämpft Gebot.
Den Adlerhorst baut bei den Sternen Stolz,
Die Freude sitzt im Lerchennest am Boden.
Die Lust, die er mit Thieren theilen soll,
Verschmäht der Stolz, die Freude faßt sie auf:
Der Mensch ersehnt den Stolz, doch auch die Freude,
Und beide auf einmal: wie schwer erreichbar!
Doch was vermag nicht Witz, wenn Lüsternheit ihn geißelt?
    Witz wagt sich kühn an's schwere Unternehmen.
Weil Sinnenlust nie der Vernunft behagt,
Erkünstelt er in der geschäft'gen Werkstatt
Gewandter Klügelei ein neu Gebild,
Von ihm Vernunft genannt, das in den Schmutz
Sich senkt und ihn mit Beifall an sich schließt.
Er lößt den Grazien den keuschen Gürtel,
Und nur ein plumper Gott darf ihm den Becher füllen;
Und Blendwerk, Zauberwort' und Schlummerdüfte
Streut er mit vollen Händen um sich her,
Benebelnd, täuschend und berauschend in 139
Den Schlaf zu lullen, und bethörten Geist
In wonniger Entkräftung aufzulösen.
Was die Vernunft gekränkt, kränkt sie nicht mehr,
Versöhnt ist Stolz mit der Beleidigung.
Von der Natur zu Feinden vorbestimmt,
Im ew'gen Krieg um Menschenherrschaft kämpfend,
Sind Lust und Stolz durch schlaue Kunst des Witzes
Verknüpft in schnellem Friedensbund, und Hand
In Hand führt das verbundne Paar
Die faunenhafte Üppigkeit heran,
Die sich zur zarten, süßen Freude lügt.
Die Kunst, verruchte Kunst! wischt der Natur
Erröthens heil'ge Schuld weg von der Wange,
Und überzieht die Schaam mit ehr'nem Firniß.
Verfallend lacht der Mensch, auf Sünde stolz,
Und Schande streckt die Hände aus nach Lob.
    Was Menschengeist zum Heil der Seele schrieb,
Von diesen Sinnenmoralisten wird's beseitigt.
Die halbe Welt der Bildung ist erfüllt
Mit reicher Spende der Beredsamkeit,
Die Blumen um beflecktes Laster windet.
Entsatant Geniusmacht je solche Blätter?
Vermag dies Gräul Gesang zu heiligen?
Doch solch unsühnbar Lied verleit' uns nicht,
Die Muse zu verdammen, wenn bewußt 140
Der eignen Würde, sie, nicht feig dem Zeitgeist fröhnend,
Die Welt – den Punkt nur im Naturgefild –
Auch nur als Punkt für ihre Achtung schätzt,
Von dem sie sich zum Kreis des Allraums schwingen,
Und alles, was da ist, besuchen soll,
Den Quell des Seyns, des Geistes höchster Aufflug!
Und trotz der Unermeßlichkeit des Umfangs
Doch nur das sittlich Gute groß erkennt.
Sirenen sängen nur? nicht Engel auch?
Der Dichtung ziemt ein würd'ger Stolz, zumal
Wenn sie zur Prosa spricht, der jüngern Schwester,
Ob jünger zwar, vielleicht an Weisheit gleich.
    Suchst du, Lorenzo, Unterhaltung hier?
Mein Lied entflammt nicht sünd'ge Leidenschaft,
Der Schwachheit schmeichelt's nicht, die Würde schmähend;
Der Dichtung hold Gefild, an Blüten reich,
Und Regenbogen-Farben ist ihm fremd;
Dem Sinnenreiz erzählt es keine Mährchen:
Doch giebt dir's ernsten Rath, erhabne Bilder,
Und Wahrheit, die durch diese Sphärenkreise,
Die Todtenstille rings und dichte Schatten,
Die Ewigkeit verdoppelt schwer dem Menschen sendet;
Gedanken, die zur letzten Stunde dir 141
Einst wieder nah'n, dir ungerufen nah'n,
Und leben, wenn des Lebens Licht verlischt.
Und du, o Mitternacht! mahlst dunkler noch
Mit deinem schwarzen Pinsel, immer schwärzer
In Schwermuth eingetaucht, das Ganze aus.
    Und doch entführt mein Lied, ihr lachenslust'gen Freunde,
Lorenzo, du und deine Lächelbrüder!
(Wenn das euch Wichtigste euch mächtigst anzieht)
Auch euer Ohr, und fesselt euch an sich.
Und flieht ihr mich, so wißt, den Weisen lockt
Die Wahrheit, der mein Lied ertönt; die Wahrheit
Empfindet er, von meinem Lied' besungen,
Und stimmt mir fühlend bei; der Weisen Beifall
Ist reicher Lohn, und mehr, als Lob gewährt.
Vor allem lohnt dein Beifall mich, o Litchfield!
Verkenn' mich nicht; o denke nicht, daß ich
Uneingeführt den Weg zu dir erzwinge;
Narzissa, dir nicht unbekannt, nicht unverbunden
Durch Tugend und durch Blut, o edler Jüngling!
Senkt sich von blüh'nden Amaranthen-Lauben,
Wo Harmonie die ganze Sprache ist,
Zu dir, auch ungerufen, sanft hernieder,
Den Eintritt für die Muse zu erbitten: 142
Die Muse, welche dich mit Lob' nicht quält;
Dein Lob läßt sie, zu höherm Ziel begeistert.
    O seel'ger Geist! – Entweder selbst der Allerhöchste,
Der große, vor der Welt gewes'ne Vater!
In dessen Brust der Schöpfung Embrio ruhte,
Noch ungebor'n, und alle reiche Fülle
Des Schöpfungswechsels, obwol künftig noch,
Doch gegenwärtig schon, noch eh' sie war,
Sich aufgerollt; er, dessen Odemhauch
In Nichts sie augenblicklich wehen kann: –
Oder des Allerhöchsten Abgesandter,
Der, unserm Frieden hold, vom Eiteln, Niedern,
Zum Ernsten, Edeln den Gedanken lenkt!
Du leitest, meinem Aug' verborgen, mich
Nach süßen Strömen der Begeisterung,
Nach reinerm Strom und gotterfüllterm,
Als der castal'sche Quell, der einst berühmte;
Denn noch ist nicht mein heil'ger Durst gestillt,
Durchwallte gleich, von dir gestärkt, erleuchtet
Von jenen Sternen, meine Seele lang'
Das liebliche Gefild' des Glaubens und der Lehre.
    Ja! Sternenlicht begünstigt Geistespfad.
Die Nacht ist Tag dem Geist und hellste Stunde!
Bei Tag verliert die Seele, übermannt 143
Von Lebensbahn, betäubet vom Getös,
Vom Schimmer schwindelnd, und umher geworfen
Durch das Gedräng', die Straße der Vernunft.
Bei Tage ist die Seele leidend nur;
Gegeben, was sie denkt, und ungewiß,
Und wieder unterbrochen, eh' es reift.
Bei Nacht erhebt der Geist, in Freiheit von den Dingen,
Und unerregt von Leidenschaft, von Zwang
Und Eindruck nicht bedrängt, den Flug der Wahl;
Was er erzeugt, ist Werk des eignen Schwunges,
Und Eine Welt allein begrenzt ihn nicht.
Wie an dem Ruheplatz der Segler ankert,
So senkt er sich zur Erd' vom Äther wieder.
    Der Indier mag, und frohe Thoren mögen,
Den Indiern gleich, in Federschmuck verliebt,
Anbetend sich verbeugen vor der Sonne;
Die Finsterniß ist göttlicher für mich.
Nach innen treibt sie den Gedanken, nöthigt
Die Seele, bei dem eignen Selbst zu weilen,
Das höchste Ziel, das uns beschieden ist!
Dort finden wir die Bühne und den Richter;
Die Finsterniß läßt über Lebensalbernheiten
Den Vorhang fallen, ist die güt'ge Hand,
Mit der von Eitelkeit uns Himmel scheidet; 144
Ist der Vernunft Gebiet und das der Tugend;
Und dieser Schatten Schirm wird zum Asil
Des Menschen vor dem angesteckten Haufen.
Nacht ist der Edlen Freundin, Schützerin,
Flößt Tugend uns ins Herz, und rettet sie.
    Denn Tugend bleibt hienieden schwach wie schön;
Ihr zartes Wesen leidet im Gedränge,
Und es befleckt sie stets der Welt Berührung.
Ansteckend ist die Welt; nur Wen'ge bringen
Dem Abend rein des Morgens Sitten heim.
Von dem was wir gedacht, verlosch etwas;
Was wir beschlossen, ist zum Theile wankend;
Und was wir abgelegt, fand sich zurück.
Ein Gruß genügt, die neue Sünde einzuschwärzen,
Ein alt Gebrechen zu befestigen.
Nicht seltsam das; denn Licht, Bewegung, Menge,
Getös, es wirft uns alles außer uns.
Nach außen hingewandt, die Heimath meidend,
Fliegt der Gedanke in Zerstreuung auf,
Und giebt, von seiner Stelle untreu weichend,
Die unbewachte Brust dem Feinde preis.
    Des Beispiels Eindruck auch besiegt, nur selten
Zurückgedrängt, den Sinn mit Doppelmacht.
Am Ehrgeiz zündet sich der Ehrgeiz weiter;
Gewinnsucht eilt, wie Pest, von Brust zu Brust; 145
Und Üppigkeit und Stolz und Falschheit hauchen
Die gift'gen Dämpfe aus; Unmenschlichkeit
Empfangen wir vom Menschen, von dem Menschen,
Der lächeln kann. Ein einz'ger flücht'ger Blick,
Vom Ohngefähr geboren, füllte oft
Mit schneller Fieberglut von Neid und Grimm
Und lüsterner Begier ein pochend Herz.
Wir sehn, wir hören mit Gefahr; nur fern'
Dem großen Haufen wohnt die Sicherheit.
Des Unrechts Schule ist die Welt, und wie
Umschwärmt von weitgekommner Schüler Menge!
Nachahmung oder Tadel heißt die Wahl;
Mitschuld'ge oder Feinde fordert sie:
Das schändet uns, und dies verletzt den Frieden:
Und darum liebt, seit die Natur geboren,
Die Weisheit innig holde Einsamkeit,
Und hängt mit Inbrunst an den theuern Schatten.
    So heil'ge Schatten, holde Einsamkeit,
Was sind sie? Die gefühlte Gottesnähe!
Nur wenig Fehlern schmeicheln wir allein.
Des Lasters Lockung sinkt, sein Goldglanz flieht,
Er wird, wie alles Andre, schwarz bei Nacht.
Bei Nacht glaubt halb an Gott der Atheist.
    Nacht ist der holden Tugend ew'ge Freundin.
Vertraut beleuchtete der Mond von jeher 146
Der Weisheit Pfad, und spendete dem Aug'
Der Denkerin den reinigenden Strahl.
Erblicke dort Athens erlauchten Sohn,
Der von des Himmels Höh'n Philosophie,
Die holde, zu der Menschen Sitz gelockt,
Nicht ihren Stolz, doch ihr Gemüth zu adeln;
Sieh' ihn zur Lauschenden mit Wärme flehn,
Indeß ob seinem Haupt, des Geistes Streben
Zu stören scheu, die Sterne leise gleiten,
Und auf den künft'gen Gast bewundernd schau'n;
So lange Nacht am Himmel lebt, verweilt
Er fest im Geist, von außen unbeweglich,
Und giebt nicht Gegenstand, nicht Stellung auf,
Bis (wilder Trunkenbold! in Rosenglut
Sich hebend aus dem Meer') die Sonne seinen
Erhabnern geist'gen Strahl vor sich verdrängt,
Und ihn dem Weltgetöse übergiebt.
Heil, köstliche Momente, euch! entwandt
Dem finstern Untergang gewürgter Zeit!
O segenreiche Mitternacht! dir Heil!
Die Welt verbannt! gestillt die Leidenschaft!
Die ruhige Gemeinschaft mit dem Himmel offen!
Hier sitzt die Seele mit sich selbst zu Rath,
Erwägt, was sie gethan, beschließt, zu thun;
Des Lebens Tosen schaut, doch fühlt sie nicht, 147
Und redet zu dem Sturm vernünft'ge Worte;
Giebt Antwort allen, allen Lebenslügen,
Drückt alle Lebensreize stark zu Boden.
    Erhab'ne Lust! o hohe Geistesfreiheit!
Ich bin von Finsterniß nicht eingekerkert;
Nein (sprech' ich nicht zu kühn) ich bin von ihr
Umlaubt. O selig Dunkel! Trauben ähnlich
Ersprossen rings umher die willige Gedanken,
Im Schatten blüh'nd, am Licht des Tags verwelkend,
Und sterbend von der Sonne heißem Strahl.
Gedanke borgt an anderm Ort sein Licht:
Bei jener Urglut, Urquell der Beseelung!
Von wannen niedersinkt Urania,
Mein Himmelsgast! die mich, den Irdischen,
Mit nächtlichem Besuche ehrt; und jetzt,
Des Ernstes eingedenk, der Menschenwohl befördert,
Vom lieblichen Gekos mit holder Nacht
Die wandernde Gedanken ruft – dahin,
Wo anders schlägt mein Herz – zum Grab Narzissa's!
    Senkt mich vielleicht nur Schwäche der Natur,
Die neu den Geist im alten Schmerze läßt?
Hat styg'scher Dunst sich meinem Blut' gemischt? 148
Kriecht kalter träger Sumpf durch meine Adern?
Wär's allen Menschen so? – So ist es allen.
Was sind wir doch? wie ungleich! jetzt entschweben,
Jetzt sinken wir. Dieselben stets zu seyn,
Ist über uns're Heldenkraft hienieden.
Sehr theure Miethe zahlt für schlechte Wohnung,
Die Seele, theuern Zins für ihren Lehm.
Ein hintergang'ner Vormund, fügt Vernunft
Nur Schaam der Schwäche zu des Leidens Gift.
Im Kampf mit seinem herben Loos vermag
Der Geister edelster in dieser Luft,
Verdumpft, und nebelschwer und sturmbeladen,
Nur schwach zu flattern, noch des Flugs nicht kundig;
Und wagt er ihn, so folgt der schnelle Sturz.
Es ist uns höchste Kraft, gefallen neu zu steigen.
Besiegt, das Feld zu halten, höchster Ruhm.
    Mehr als den Menschen sucht im Menschen nicht.
Versprechend stolz und unternehmend fruchtbar,
Sehn wir den Lorber welken an Erfahrung.
Ich, der ich jüngst mich aus des Grabes Schatten,
Wo mich der Schmerz gefangen hielt, empor
Geschwungen, weit die Pforten ew'gen Tages öffnend,
Und in das Reich der Glorie rief den Menschen,
Den Schmerz abwarf, die Sterblichkeit, im reinen Äther, 149
Und mit dem Haupt bis zu den Sternen reichte –
Ich fühle nun des Geistes Kraft entweichen;
Es läßt die Ohnmacht mich vom Zenith niederstürzen;
Ich sink' gleich ihm, den Dichtung mit den Schwingen
Aus Wachs beflügelt, und versink' im Schmerz; –
Doch fühl' ich mich im Schmerze nicht verloren.
Wie elend ist der Mensch, der nie getrauert!
Ich senke mich um edle Perlen in
Des Kummers Strom: nicht so Gedankenlose,
Die nichts als trauern, ganz die Qual empfangen,
Und den Gewinn verschmähn; (unschätzbaren
Gewinn!) die es dem Himmel überlassen,
Unseliger sie noch, doch weiser nicht zu machen.
    Ist Weisheit uns're Wissenschaft (und was,
Als sie, veredelt uns? erlernten Engel?)
So zog, o Schmerz! dein Unterricht mehr Schüler,
Als Genius und stolze Hochgelahrtheit.
Eßlustige Gelehrsamkeit, oft überladen,
Verdaut ihr buntes Mahl nicht zu Verstand.
Mit Bücherraub gefüllt, doch arm an Geist,
Vergißt sie, stets nach fremdem Wissen streifend,
Des angebornen Gutes, der Vernunft.
Den geilen Boden überfruchtet sie
Mit dem chaotischen Gemeng' von Mitteln; 150
Gedüngt, doch nicht gebaut, wird er zum reichen Bettler,
Des Unkrauts wilde Fülle schwelgt an ihm,
Und vor dem ordnungslosen Schatz der Magd
Steht Herrin Weisheit voll der tiefen Trauer.
    Und was spricht Genius? »Weis' sey die Einfalt.«
Denn Genius, allzuhohen Schwungs für Wahrheit,
Kann, daß sie unwahr sey, auch oft beweisen,
Und brüstet sich mit innigem Vergnügen,
Wo kühlere Begeistrung schamroth wird.
Die Freiheit heischt er von Verstandsgesetzen,
Sieht in Vernunft die Pred'gerin der Gleichheit,
Verschmäht das Glück, das mit ihm theilt der Haufen.
Daß Weisheit möglich ihm, hält er für Recht,
Für volles Recht auf Ruhm, und giebt den Rest
Der Freude. Doch, wo Crassus nur erst schlummert
Da ist Ardelio hin. Die Weisheit bebt
Vor Thoren minder, als vor witz'gen Köpfen.
    Doch Weisheit lächelt in des armen Menschen Thränen.
Wenn Schmerz die Brust zerreißt, wie Pflugschaar Erde,
Und harte Herzen seinen milden Regen fühlen, 151
Dann sä't sie froh den Himmelssaamen aus,
Und ihre goldne Erndte prangt im Boden.
Ist's so, Narzissa, grüß' ich meinen Rückfall!
Von meinem Jammer will ich Steuer heben,
Und köstlich Entgelt sammeln von dem Schmerz.
Des Geistes reiches Feld, ich bau' es an,
Und sammle jeden mächtigen Gedanken,
Des Menschen Seelenkrankheit zu verdrängen;
Gedanken, himmelwärts wohl zu verpflanzen,
Obgleich gezeugt im dürft'gen Erdenland;
Nicht gänzlich welkend da, wo Engel singen,
Verfeint, erhöht, vernichtet nicht, im Himmel.
Vernunft, die Sonne, die sie zeugt, ist gleich
An beiden Stätten, strahlt sie schon dort heller.
So flicht bedachte Wahl und zierliche Verknüpfung
Die Blumenkette um Narzissa's Grab,
Und – möglich – aus den Blumen, die nicht welken.
    Sprich! welche Gegenstände wählt das Lied?
»Die Wichtigkeit der Forschung an dem Grabe; –
Warum der Mensch sie flieht? – das Ungeheure
Des Mordes an sich selbst; – das mannigfaltige
Geschlecht der Schmerzen und des Alters Mängel;
Des Todes furchtbar Wesen;« – sie singt mein Lied. 152
    Zuerst zum Blick auf unser wichtig Ende.
Es räth der Freund, den Schmerz schnell zu entlassen:
Unzeit'ge Huld! zu bald heilt unser Herz.
Ist gütiger der Freund, als der die Wunde
Uns schlug und unserm Herzen Jammer sandte,
Die Ruh' nach seinem Willen ihm zu rauben,
Bis ihm die edlern Gäste nah'n, zurück
Und ächt und endlos seel'ge Ruhe bringend?
Das Leiden ist ein Freund: wie Tagesglanz
Dem Aug' die Schaar der Himmelslichter raubt,
So löscht das Wohlergehn unzählige Gedanken,
Das Licht der Gottheit in dem Menschen aus.
    O selig der, der müd' der Glanzesszenen,
(So gerne unser Innerstes entzweiend)
Aus freier Wahl den Lieblingspfad beschreitet
Zu Todes dunkeln, stillen, schattigen Zipressen,
Dem Schwärmerstrahl der Eitelkeit verschlossen,
Und liest, was seine Monumente sprechen,
Und wägt des Todes Staub, in seine Grüfte
Herniedersteigt und bei den Gräbern weilt!
Lorenzo, lies mit mir Narzissa's Stein;
(Narzissa war dir lieb) o laß' uns lesen
Die Lehre ihres Steins; er predigt besser,
Als viele Lehrer; spricht zum warmen Herzen 153
Weit inniger, als viele Redner. Wie tief
Ergreift die Jahrzahl schon! So rührend auch
Gewähltes Wort zum Herzen geht, doch mahlt
Es uns nur schwach, was hier Empfindung giebt.
O warum bauen wir auf Lebenslänge?
Versuchung lockt, wie Furcht entschlummert ist,
Und vorgeahnet Weh ist unser bester Hüter.
    Aus Ihrem Grab', dem schlichten Heiligthum,
Sieh! wie im Götterglanz die Wahrheit schwebt,
Und meiner Seele naht, und der Verblendung
Verdunkeltes Gefolg in Flucht verscheucht;
Zerstreut den Nebel schwüler Leidenschaft,
Der sich aus Niederm, Irdischem, Gemeinem
Erhebt; wie sie mir zeigt den ächten Werth der Dinge,
Den nie ein Mensch gesehn, dem Leiden fremd;
Und mir der Tugend jungen Reiz entschleiert,
Und tausendfache Lüge der Versuchung.
Die Wahrheit zeigt die Menschen mir als Herbstlaub,
Und alles, was sie mit dem Herzblut zahlen,
Als Sommerstaub im Spiel des Wirbelwinds:
Von ihrem Strahl erhellt, schärf' ich den Blick,
Gewinne neue Kraft, seh' Unsichtbares,
Empfinde Fernes, bin der Zukunft gegenwärtig;
Mir wird es klar, daß nichts so fremd dem Menschen, 154
Als Lust, die er besitzt, und nichts so eigenthümlich,
Als Lust, die jenseits Grabes ihm gehört.
    Vor ihrem Blick erbleicht der Thorheit Farbe;
Der blassen Erdenweisheit Reiz vergeht;
Wenn die im Hoffnungspompe tiefer Plane
Der Zukunft Schicksal baut – dann sind's nur Blätter,
Sybillenblätter, wesenloses Glück,
Im ersten Hauch der Luft entflieh'nd, zerstiebt.
Nicht so die Weisheit, die am Himmel hängt.
Willst du erkennen, mein Lorenzo, wie
So weit sie von der irdischen verschieden?
Genau so weit, als von sich selbst der Mond,
Nachdem er abnimmt oder wachsend steigt.
Mit jedem Tag wird leerer Erdenweisheit,
Und täglich strahlt die Nebenbuhl'rinn heller;
Mit jeder Stunde wird die Zeit für Thorheit enger,
Bald lief für uns die Frist der Weisheit um,
(Du weißt, daß sie das Grab nicht mehr beräth)
Und dann erklärt die Flammenschrift zum ew'gen Thoren,
Wen ächte Weisheit nicht gen Himmel führt.
    Wenn Erdenplan Sybillenblättern gleicht,
So sind des Edeln Tage gleich den Büchern
Der Sybille; (die Geschichte kennst du, 155
Im Alterthum bewandert) wie die Zahl
Der Tage abnimmt, steigen sie an Werth,
Und über allen Werth ist seine letzte Stunde.
Wer Throne hat, der biete für sie Throne;
Doch Welten sind zu arm, sie zu erkaufen,
Und alles was da lebt, ruft: »Stürb' ich so!«
»So lebt ihm gleich!« – Hier stammelt was da lebt.
Den großen Arzt an jedem Tage fragen,
Verkehren mit dem Grab: nur das heilt uns.
    Welch Grab beräth am besten uns? – des Freundes;
Und doch! wie schnell entziehen wir uns ihm!
So kalt dem liebsten, wie sein Marmorstein.
Warum wird uns der Freund geraubt? Daß sanft
Der Liebe Band an's Herz des Menschen knüpfe
Des Tods Gedanken, selten dort verwahrt,
Von schläfriger, mißleiteter Vernunft.
Doch nicht Vernunft und Liebe nicht vermögen,
Und beider Bündniß nicht vermag zu sprengen
Die Zauberfesseln dieser Welt. Ha sieh!
Vorhanden ist erbarmungslos die Stunde!
Der unerbittlichen vergaßest du!
Sie zu vergessen ist des Lebens Hauptbestreben,
Doch ihrer denken seine Hauptbestimmung. 156
    Ist Tod, der immer dräuende, nie fern,
Der allerwichtigste, allein gewisse,
(Wann es auch sey!) ein unverseh'ner Gast?
Vom lauten Ruf des blinden Unverstands
Geladen, doch ein unverseh'ner stets?
Trotz jener Botenschaar, die er geschickt,
Sein mächtig Kommen warnend anzukünden!
Wo liegt der Quell, der wunderbare Quell,
Der dies geheimnißvolle Übel zeugt,
Auf welches staunend alle Himmel schauen?
    Ist's, weil so dicht das Leben sät die Lust,
Daß uns kein Raum für eine Sorge bleibt?
Ist's, weil so eng' die Sorg' um's Leben lagert,
Daß durch den Schwarm des Todes Bild nicht dringt?
Ist's, weil so leisen Tritts die Zeit heranschleicht,
Daß Leichtsinn nicht aus goldnem Traum erwacht?
Heut' gleicht dem Gestern so, daß es uns täuscht;
Die zweite Schwester giebt sich uns als erste.
Das Leben gleitet, wie ein Bach, dahin,
Sein stetes Strömen scheint uns Stillestand.
Im gleichen Bache badete noch keiner zweimal;
Zum selben Leben wachte keiner zweimal auf;
Doch nennen wir denselben stets den Bach,
Das Leben gilt uns für dasselbe immer; 157
Und dennoch strömt's stets reißender dahin;
Uns unbemerkt, unwiederbringlich, floß
So viel des Lebens schon in Ozeans Schoos.
Und soll des Baches Bild uns weiter führen,
Das Leben uns ein Schiff seyn auf der Fluth?
Das Fahrzeug nimmt uns ein, wir schweben sanft
Den Strom der unbemerkten Zeit hinab:
Ergötzt, gewahren wir der Wellen Gleiten
Erst wann der unverseh'ne Stoß uns stört;
Wir fahren auf, erwacht, und spähen aus;
Was sehen wir? Ach unsern morschen Kahn
An dem Gestad' der Unterwelt gestrandet!
    Entweicht darum der Tod dem Sinn' des Menschen?
Ist's weil Begierde blendet den Verstand
(Der Seele mächtige Gebieterin!)
Wie einst die schöne Delila den Starken? Ist es
Weil bangende Vernunft vom Blicke nach
Dem bodenlosen Abgrund rückwärts zieht?
Ja! furchtbar ist er! und des Menschen kundig,
Stellt weis' an seinen Rand Natur den Schrecken.
Furchtbarer Freund uns dieser güt'ge Schrecken,
Ein feurig Schwerdt zum Schutz des Lebensbaums!
Von ihm befreit, vertrauerte der Edle
Des Lebens süß'ste Stunden, Lust nur duldend, 158
Und nach versprochnen Himmeln heiß entbrannt;
Und seines Stolzes leiseste Verwundung,
Ein leicht Gewölk der übermächt'gen Laune,
Den Bösen würden sie in Wuth entflammen,
Daß er in kühnem Schwung' die Schranken bräche,
Und, in den Schoos der Finsterniß sich stürzend,
Den Erdenplan der ew'gen Vorsicht störte.
    Welch Ächzen das, Lorenzo? – Furien, auf!
Erstickt in minder gräßlichem Geheul
Britannia's Schmach! Da nahm auf Sturmesschwingen
Ein finstrer Geist, in schwarzem Groll' erglüh'nd,
Mit grauser Todeslust von Höll' vergiftet,
Die düstre Flucht. Dein Freund war's, Altamont,
Der Tapfre, Unerschrockene – so hieß,
So galt er stets – und floh denn doch vom Kampfplatz.
Des Lebens Furcht ist feiger, als des Todes.
Britannia! Durch Selbstmord schmachberufen!
In deinen Sitten Eiland, weit geschieden
Vom Weltenkreis der übrigen Vernünft'gen,
Tauch' dein besudelt Haupt in deines Ufers Wellen,
Der Schande gräßlich Mal wasch' von der Stirn',
Und sey nicht ferner eines Welttheils Gräul! 159
    Dir selbst sey Gräul, indeß den Grund ich zeige
Des Selbstanfalls; indeß ich die Geburt
Des Ungeheuers zeige und ihm Hohn
Des Abscheus fordre von der weiten Welt.
Klag' nicht dein Klima an, schilt nicht die ferne Sonne,
Die Sonn' ist schuldlos und dein Klima frei;
Nie schuf die gütige Natur ein sündlich Klima.
Der Grund, den mein Lied zeigt, gält' auch in Eden,
Denn deine Thorheit ist's, nicht dein Geschick.
    Des Menschen Seele, (beug' dich innig, Mensch,
Kennst deine Seele du!) die Himmelstochter,
Die hochgeborne, freie, sollte Freiheit
Bewahren unverkauft und unverpfändet
An dieser Erde kleinliche Bestechung.
Die edle Wallerin in dieser Fremde,
Sie sollte, würdevollen Wand'rern gleich,
Der Heimath hold und sehnlich sie begehrend,
Der Erde nicht vertrau'nd, der Erde Zauberbecher
Nur leicht berühren, kalt und keusch, und an
Unsterblichkeit erlaben Göttersinn;
Da mag sie in den reichsten Zügen trinken,
Und Da bereite sie ihr größtes Fest. 160
    Doch solches Göttermahl verschmähen Manche,
Zu bettelhafter Lüsternheit sich senkend;
Für Gäste, die vom hohen Himmel kamen,
Erheischen sie der Erde milde Gaben;
In Sklavenfesseln geben sie dahin
Für Sold der Gegenwart ihr reiches Erbe,
Und, ihm verknüpft, die angeborne Freiheit,
Dem Fürsten, der beherrscht die niedre Welt.
Und zögert er mit seinem Lohn, und sättigt
Sein schmutz'ger Korb nicht ihren Hunger mehr,
Und ekelt ihrem stumpfen Gaum vor'm vollen Korbe,
So wollen sie, von Höllenwuth erfaßt,
Im Augenblick, des Himmels Ketten sprengend,
Sich durch die Schranken brechen, sind sie gleich
Von göttlichem Gesetz, von menschlichem befestigt;
Bewacht den Ausgang gleich der Doppelschrecken,
Wie düstere Natur ihn schafft und Sünde;
Dehnt sich gleich rings ein bodenlos Verderben,
Das sie gewiß empfängt, gewiß zermalmt.
    Das, Britten, ist der Grund, euch unbekannt,
Vielleicht, was schlimmer, überseh'n von euch,
Vom Richter überseh'n, so selbst Verbrecher.
Ich geb' euch zu, die That ist Raserey;
Doch ist's des Herzens Raserey. Und diese?
Sie ist die höchste Zinne uns'rer Schuld. 161
Ein sinnlich Leben an des Leichtsinns Hand,
Mit ungeheuern Früchten geht's, mit Selbstmord schwanger;
Er krönt die Reih' der schwarzen Höllenbrut.
Wer tollkühn bricht des Himmels höchst Gesetz,
Und heilige Natur verzweifelnd mordet
Im Schoos der eigenen, der stirbt, weil er
Des Todes nie gedacht. Dem Menschen ist
Es Pflicht und Ruhm und Vortheil, stets zugleich
Sein End' zu meiden und zu überdenken.
Wenn wir am Sterbebett des Siechen sitzen,
(Der Weisheit Sitz, verlieh ihn Wahl, nicht Schicksal)
Wenn wir an Freundes Antlitz ängstlich hängen,
Den kalten Thau der bleichen Wange trocknen,
Das Haupt im Todeskampf am Herzen stützend,
Und, zählend jeden Augenblick, in jedem
Den Ruf der Ewigkeit erbebend ahnen;
Wenn uns des Lebens mattes Licht noch eben
Den letzten Strahl, als wollt' es uns noch sehen,
Entgegenhebt und dann zusammen sinkt,
Und in den Tod hinunter zittert, uns
Den eignen Tod aufs feierlichste kündend:
Wie deuten wir so trauervolle Szenen?
Daß sie im Zorn dem Menschen zugesandt? 162
Nein, das Erbarmen sendet sie, sein Herz
Dem Wachse gleich zu schmelzen, dann das Bild
Des Tod's ihm unverlöschbar einzuprägen,
Daß es, für Andre blutend, für ihn zittre.
Wir zittern blutend, lächelnd zu vergessen;
Die Thorheit kehrt zurück, noch eh' die Wange trocken;
Und diese schnelle Wiederkehr tilgt alles.
So löscht die Fluth die Schrift im weichen Sande,
Und glättet das bezeichnete Gestad.
    Lorenzo! wogst du jemals einen Seufzer?
Studirtest du Philosophie der Thränen?
(Noch lehrt man sie in unsern Schulen nicht.)
Stiegst du hinab in tiefen Menschenbusen,
Und schautest ihren Quell? Wo nicht, so steig'
Hinab mit mir, und spüre bis zum Ursprung
Dem Lauf der herbgesalz'nen Bäche nach.
    Der Trauer Zähre kommt uns aus verschiedner Quelle:
Wie aus getrennten Zellen des Gemüths
Ergießen sie sich mannigfach. Ein Herz
Von zarter Art ergiebt sich sanftem Zuge,
Auf einmal drängt der Thränen Strom sich vor,
Und folget gern dem Auge, das ihn leitet.
Das Werk mühsamer Kunst, bedürfen andre 163
Mehr Zeit. Dann giebt es heimlich harte Herzen,
Die, schwer zu schmelzen, nur getroffen von
Der öffentlichen Achtsamkeit, im Strom erbrausen,
Wie einst der Fels, den Mosis Stab geöffnet.
So Manche weinen, um am Ruhm des Sel'gen,
So hochverdient und ihnen höchlich theuer,
Ihr Theil sich zu erweinen; Lob vergeudend,
Das ihnen mit zu gute kommen soll,
Und nicht erröthend feiern sie ihr Ich.
Dann wieder Andre hängen Trauer aus,
Auf daß man seh', auch sie versteh'n zu lieben;
Die Thräne lößt nicht Schmerz, sie prangt mit ihm.
Noch And're weinen vollgerecht dem Todten,
Sie fühlen sich im Rückstand aller Liebe.
Noch Manche weinen schlau, sie wissen wohl,
Daß Thränen hie und da des Auges Sieg befördern;
Gewandt bestricken holde Frauen aus Ephes'
Gefangne Herzen mit dem Trauerflor!
Wie durch Kristall gesehn, glühn ihre Rosen,
Indeß von ihrer Wange Perlen träufeln;
Es sah Egyptens üpp'ge Königin
Nicht stolzer auf die ihrigen, als sie,
In Liebe aufgelößt, Kleinode trank.
Auch weinen Manche nur dem Tode, nicht
Dem Todten, und begehn, gleich Kaiser Karl, 164
Das eigne Leichenfest. Vor güt'ger Meinung
Erscheinen endlich Manche traurig weinend,
Weil zücht'ge Schleier ihre Freude bergen.
Es weinen Manche ernst, und doch vergeblich:
So tief in Leichtsinn als in Schmerz befangen.
Denn Leidenschaft, die blinde Leidenschaft,
Vergießt im Unvermögen Thränen, selbst
Der Thränen werth, weil schlummert die Vernunft,
Und wacht sie, blöd und unbetroffen zusieht,
Und nicht begreift, was will das Ungewitter,
Nicht merkt, es sprech' mit ihr, und nur mit ihr.
Die Unvernünft'gen sind der Trauer fremd,
Dem herrlichen Geschenk! dem Menschenvorrecht!
Der Schmerzen Krampf gebärt endlose Lust:
Doch Jene sind der göttlichen beraubt;
Gewaltsam weinen sie, wie Sommersturm,
Und auch so kurz! Bald ist der herbe Kummer
Bezähmt, und aus dem stachellosen Mährchen
Wird Zeitvertreib; so weit bringt kaum der Klang
Der dumpfen Sterbeglock' die Schreckenspost,
Als sie es selber thun; doch mehr als sie
Empfinden sie auch kaum; für ihren Jammer
Belohnt sie kein Gewinn an Weisheitsbildung.
    Die Hälfte wohl des irdischen Geschlechts
Vergeudet die vom Tod' erpreßte Thränen, 165
Des Lebens Eitelkeit befruchtend zu benetzen,
Daß immer üppiger die Thorheit blühe.
Wenn, des gewohnten Stabs beraubt, die Seele
Sich matt zu Boden senkt, im Staube trauernd,
So lernt sie nicht die ächte Stütze kennen,
Die zu erkennen sie zum Staube ist erniedrigt.
Nein! sehnsuchtsvoll nach Glück, doch ohne Himmelshülfe,
Schleppt sie sich nach dem nächsten schlichten Strauch,
Entsank sie gleich der hohen Zeder Armen;
Sie schließt dann neu sich an mit Buhlermeineid,
Vermählt dem Fremdling sich, und blüht, wie vor,
In aller Fülle leeren Lebenstandes:
Bei'm Tanz zeigt sie der Mode Wittwenputz,
Und setzt des Todten Ring auf's Würfelspiel.
    Aurelia weinte so, bis ihr Erkohrner nahte
Mit seinem Mittel, Lächeln herzustellen,
Und Trauerflor in Brautschmuck umzuwandeln.
Lorenzo weinte so dem frühen Tod
Der lieblichen Clarissa, die den Engel,
Den Knaben ihm geschenkt, mit dem er zärtlich tändelt;
Die ihn zu geben starb, gebornen Waisen!
Ganz anders ist mein Schmerz um dich, Narzissa!
Dein heilig Grab soll mir zum Altar werden, 166
Wo ich der Weisheit Opfer bringen will.
Was warst du lebend? – »Jung, und froh und glücklich!«
O welchen Inhalt giebt dies Drei-Wort mir!
Bei jedem will im Einzeln ich verweilen,
Daß nicht ein herb'rer Schmerz die Brust erfasse;
(Der Himmel weis, wie sie mit herberm kämpft!)
Bei jedem will im Einzeln ich verweilen,
Und ganz erschöpfen deinen Tod. Denn eine Seele,
In welcher niemals die Betrachtung weilt,
Verfällt, dem Hause gleich, das unbewohnt.
    Von deiner Jugend erst! Was sagt sie grauen Locken?
Narzissa, ich bin Lehrling nun bei dir.
So früh und schimmernd, so vergänglich und
So rein, als Morgenthau, erglänzte Sie,
Verduftete, und stieg zum Himmel auf.
Die Zeit warf ihren Schnee auf dieses Haupt,
Doch steht es aufrecht noch, und nur des Grabs
Der Andern denkt's! Ich sprech' es tief beschämt:
Das strenge Alter will betagtes Laster,
Das abgetragne mit der Tugend Liebreiz schmücken;
Mit rauhem Ernste tadelt es die Jugend,
Und übertrifft sie, die es erst getadelt,
Im Fehler, der dann aller Fehler Vater, 167
In Todvergessenheit! Als wäre, gleich
Den Gegenständen, die dem Aug' zu nah',
Auch uns zu nah' der Tod, gesehn zu werden;
Als werd' des Lebens Lehn durch Zeit ein Recht,
Und die Verjährung schütze uns vorm Grab';
Als mache todtfrei uns die lange Frist!
Wie! todtfrei? Nein! Wer so gestimmt, ist todt,
Begraben ist sein Herz, die Welt sein Grab.
    Sag' mir ein Gott! mein Schutzgeist sage mir's,
Was flößt uns solche Thorheit ein? woher
Der Zauber, der das Blendwerk eines Menschenalters
Stellt zwischen uns und Tod, schon an der Pforte?
Er pocht, wir hören ihn, und dennoch wollen
Wir ihn nicht hören. Welcher Panzer schützt
Das ungerührte Herz? Welch Wunder kehrt
Von uns den geist'gen Pfeil, aus tausend Köchern täglich
Gesandt, und täglich doch von uns vermieden?
Wir stehn im Treffen; Schaar um Schaar fällt rings
Um uns, und wir empfangen häufig Wunden;
Aus Wunden bluten wir, doch stets unsterblich.
Die fremde Stirn' sehn wir von Zeit gefurcht,
Und den verschanzten Tod den Angriff rüsten:
Wie Wen'ge sehn in solchem Spiegel sich! 168
Wie Wen'ge, die sich sehn, entnehmen ihm
Den starken Schluß aus ihre eigne Stellung.
Dort ist der Tod gewiß, hier zweifelhaft;
Und jener muß, und bald das Leben lassen,
Das wir noch hundert Jahre fristen können.
Grau ist das Haupt, doch Wünsch' und Plane grünen!
Verletzten Uhren gleich, wo Glock' und Zeiger streiten,
Schlägt Thorheit Sechs, auf Zwölf weist die Natur.
    Unsinn'ge Alterswuth! Mehr, immer mehr!
So ruft sie: Mehr des Lebens, mehr des Golds,
Des Plunders mehr von aller Art! Wozu
Nach mehr so toll, wenn die Empfindung fehlt?
Nur aus dem Bund der Dinge und Begierden
Erhebt sich Lust; will Thorheit denn im Schweis
Des Angesichts den Bogen immer flicken, –
Den Tand mein' ich, der uns von außen rührt, –
Indeß Natur die Saiten immer nachläßt?
Vom Geist heischt Lust; an innerm Reichthum wachset!
Wähnt ihr der Seele, wenn des Lebens Klappern ruhen,
Kein edler Erbe jenseits zugedacht?
Erwerbt euch den unsterblichen Geschmack;
Hier lernt schon lieben, was allein euch bleibt: 169
Nur Himmelsfreude oder keine mehr
Auf immerdar! Des Alters Ehre ist
Der Wunsch zu sterben: dieser Wunsch verknüpft
Ihm mit dem Lob Verheißung; Beifall giebt
Er der Vergangenheit, verspricht der Zukunft Wonne.
Wie schwach erscheinen wir den Enkeln doch,
In hoher Stufenjahre Aberwitz!
Bei grauer Locken Würde Jugendfehler!
Empörend das! es macht die Thorheit dreifach thörig,
Und uns're letzte Kinderzeit zum Spott der ersten.
Nur Frieden kann und Achtung Alter hoffen:
Den ersten mag die Weisheit nur verleih'n,
Die andre nur der Glaub' an uns're Weisheit.
Die Thorheit schließt den Weg nach beiden zu,
Und unserm Alter bleibt dann nur Vernichtung.
    Und welche Thorheit überwöge diese?
Wie unser Schatten wächst auch unser Wünschen,
Je tiefer uns der Sonne Lauf sich senkt!
Doch sollte diesseits Grab's kein Wunsch dann zögern:
Verlassen müßte unser Herz die Welt,
Eh' unsern Leib zur Erde ruft die Glocke.
Im Sturm habt ihr gelebt; o sterbt im Hafen!
Getös soll Alter flieh'n, in Stille bergen
Des Geistes Schwächen, und den Willen bänd'gen;
In schweigenden Gedanken wandle es 170
Am feierlichen Ufer weiten Meeres,
Auf dessen Wogen es bald schiffen wird;
Und gute Thaten bringe es an Bord,
Des Windhauchs harrend, der es rasch entführt
Nach unbekannter Welt. – O Augenblick,
Der furchtbar ist, erfaßt er Unbereite!
    Wir sollten Alle selbst uns prophezei'n;
Voraussehn unser künftiges Geschick;
Das künftige Geschick voraus empfinden:
Vor dieser Kunst verlör' der Tod sein Bittres.
Ihn denken nur nimmt uns die Furcht vor ihm:
Abhold zu seyn dem köstlichen Gedanken
Verfinstert mehr als Mitternacht die Seele,
Die nun umhüllt am Rand des Abgrunds schläft;
Der erste Windstoß stürzt die rettungslose.
    Warum ich dir so warm des Tods Gedanken
Durch Hammerschlag der Wiederholung pred'ge?
Du fragst's, Lorenzo? – Der Gedanke ist der Hebel,
Der große Hebel, der uns aus dem Staub'
Aufrichtet und zu Menschen uns erhöht!
In seiner Kraft gebraucht, kürzt er den Felsen,
Der steil und gräßlich in die Hölle schaut,
Und glättet seinen Hang zum milden Pfad,
Zum Pfade, der uns nach dem Grabe führt. 171
Wie sehnlich sollt' ihn unser Wunsch umfassen!
Vermag ein Herz aus Fleisch den Scherz mit Grausen?
Mit Äußerstem das Wagespiel? Fühllos
Zu gähnen, wenn Unendliches ihm dräut?
Giebt's eine Hand, die, auch dem schwärz'sten Brandmal
Des Tadels in der Überkühnheit trotzend,
An einen Augenblick ihr Alles setzt,
(Daß ich die nur dir zu bekannte Sprache rede!)
Und für die Ewigkeit den Würfel schleudert?
    Hilf mir, Narzissa! hilf mir gleichen Schritt
Mit Schicksal gehn, und eh' sein Stahl den Faden
Des Lebens mir zerschneidet, hier das Tau,
Das stärkre Tau des geist'gen Tods zerreißen,
Das an die Welt mich fesselt. O erwecke
Die schlummernde Vernunft, daß sie auf Spähe
Des Feinds den forschenden Gedanken schicke;
Daß sie entgegen zieh', den Flug beachte
Von seinen tausend Boten an den Menschen,
Der sie, wie Jehu einst, zurückweist alle.
Und wär' ich auch vor jedem Zufall sicher,
Doch hat Natur mein Urtheil schon gefertigt,
Nur ruht es uneröffnet noch. Vielleicht
Lauscht hinter'm nächsten Augenblick der Tod. 172
    Muß ich denn vorwärts schau'n den Tod zu sehn?
Zurück kehr' ich den Blick, und find' ihn auch.
Es überlebt der Mensch sich jährlich selbst;
Dem Bache gleich, ist er in stetem Laufe.
Der Tod verschlinget seinen Tagesraub:
Sein meine Jugend ist, mein männlich Alter;
Mein Gestern sein; der kühne Räuber nimmt
Die Stunde weg, die gegenwärtig ist,
Und des Momentes Grab schließt der Moment.
Indeß der Mensch erwächst, nimmt Leben ab,
Und nach dem Grab rollt uns die Wiege schon.
Geburt ist nur der Anbeginn des Sterbens,
Wie angeglimmter Docht sich schon verzehrt.
    Warum denn fürchten, daß einmal geschehe,
Was sich in jedem Augenblick begiebt?
Bedarf's der Furcht, so zittert vor dem Tod,
Der Kraft erwürgt und Glut; was dann noch übrig,
Ruft besser nach dem Tod, als es erbebt
Vor seinem Ruf'. Genossen meines Fehlers,
Und meines Altersinkens Mitgenossen!
Des Todes ungedenk, bis euers Nachbars Glocke
(Unfreundlicher Besuch!) an euern Stumpfsinn
Erschütternd pocht, und doch mit ihrem Donnern
Kaum euer Ohr erweckt! o macht den Tod
Zu euerer Gedanken Gegenstand 173
An jeder Stätte und zu jeder Stunde;
Laßt euch nicht länger, o lebend'ge Monumente!
Vom brüderlichen Monument erzählen,
Daß auch ihr sterben müßt. Der Tod, den ihr
Befahrt, (o große Meisterin Natur!)
Ihr sollt ihn noch vorher mit Liebe suchen,
Bevor er euch in seine Arme nimmt.
    Doch ihr nennt euch gelehrt, sitzt tief in Büchern,
An Weisheit arm, unwissend prahlerisch!
Wollt ihr gelehrter als Gelehrte seyn?
So lernt, wieviel des Wissens überflüßig,
Und welche Kenntniß euch den Geist entnervt.
Was uns zu wissen, uns zu essen nöthig,
Liegt unumzäunt auf freier Lebensflur,
Und Jeder ist dem kräft'gen Mahl willkommen.
Ihr schmäht, was vor euch liegt im Buche der
Natur und der Erfahrung, geist'ge Wahrheit!
Die unentbehrl'che, ew'ge Frucht! die Frucht,
Von der genährt der Mensch zum Himmel steigt.
Ihr grabt in Wissenschaft nach großem Namen,
Um schnöd' den eignen Hochmuth anzuschmeicheln,
Und nehmt an Tugend ab, am Ruhme wachsend.
Dem Strahl des Mondes gleich, bringt euer Wissen
Zwar Licht, doch Wärme nicht; es läßt euch ohne Inbrunst, 174
Im Herzen Frost, indeß Erkenntniß leuchtet.
Erwachet, o ihr lüsternen Erforscher,
Nach allem aus, um's Nöth'ge unbekümmert!
Wollt ihr des Todes Wesen kennen, hört!
Des Lebens Klassen, der Gesundheit Grade,
Des Reichthums Farben und des Alters Stufen:
Sie alle rüttelt er in unparthei'scher Urne,
Und läßt das Ohngefähr die Loose ziehn;
Und trifft er Wahl, so ist's die Wahl des Spottes,
Ein bitt'rer Hohn des kühnen Unverstands,
Der Thorenhoffnung in der Menschenbrust.
Unzähl'ge Schaaren gehn nicht nur von uns,
Sie überraschen uns auch durch ihr Scheiden;
Mit hohem Schmerz verknüpft sich höher Staunen.
    Nach der Tirannen Weise fällt der Tod
Am liebsten was durch seinen Untergang
Den Stolz der Macht, den Wink der Willkühr kündet.
Es ist ihm höchste Lust, daß Elend lebe,
Wenn Glück vergeht; der Schwache hüllt den Helden
In's Sterbekleid; und Eltern unter Thränen
Das Grabmal der geliebten Kinder bau'n:
Das deine ich, Narzissa! – Doch so nah
Dein Ziel gesteckt auch war, was ist es dir?
Die Tugend, nicht der Sonne Jahresrollen,
Reift Seelenwerth; und lang ist jedes Leben, 175
Das treu dem hohen Lebenszweck entspricht.
Die Zeit, die Frucht nicht trägt, sey namenlos!
Der weise Mensch nur ist's, der Jahre zählt.
In grauer Jugend sterbt, Methusalems!
Wie lügt die Jahrzahl eurer Schmeichelgrüfte!
    Bis hieher lernt' ich von Narzissa's Jugend.
Hat auch ihr Frohsinn Unterricht für mich?
Er strahlt der Weisheit Lehre, wie einst der Juden
Berühmt Orakel aus den Edelsteinen,
Beleuchtet neu, schließt deutlicher noch auf
Des Todes Wesen, dir so fremd, Lorenzo!
Ich höre dich mit trotz'gen Worten sagen:
»Dem Tode gebt was sein, Elend und Alter,
Und nach dem Grabe schaff' er seinen Schutt.
Doch ehr' er gütiger Natur Gesetz,
Und wisse, daß, nicht minder als zum Sterben
Zum Leben auch der Mensch geboren ist.«
Das Elend giebst du ihm, das Alter hin;
Die Jugend nimmt er und den Frohsinn auch,
Denn Rauben ist Ergötzung der Tirannen.
Und wenn ich dir beweise, daß »wer sich
Der Furcht des Tods am fernsten wähnt, so oft
Am nächsten steht dem Streiche seines Schicksals?«
    Dem Ausgezeichneten dräut stets das Ende.
Des Blitzes Leuchten deutet auf sein kurzes Leben. 176
Als sollt' aus Aschenglut die Flamme schweben,
So strahlt' Narzissa's Auge frohe Geister,
Verjüngend Jugend, Leben leben lehrend.
Und wie die Widerspiele der Natur
Befangen sind im Kriege ohne End',
So nahm der Tod für solche Kränkung, für
Den Hochverrath am tiefen heil'gen Starren
Des Reichs, das er beherrscht, wo Freude schläft
Und rüst'ge Ehrsucht, seine Rache schnell.
Dem Lebensfeind' wird ein erhöhtes Leben
Verhaßter noch; und hat er dies besiegt,
So dehnt sich seine Macht noch kräft'ger aus.
Und warum kräft'ger noch? So will's der Himmel,
Auf daß im ernsten Angesicht des Endes
Die Seele stets der eignen Huth sich weihe.
Dem Tode ruft die düstre Vollmacht zu,
Durch der Zerstörung Schlag die Lebenden zu schrecken.
Darum ergötzt ihn List und Überraschung
Und grauser Scherz mit Menschen-Sicherheit.
Nicht nur der Sieg, Triumph ist sein Begehren;
Je leiser euch die Furcht vor ihm berührt,
Nur um so stolzer triumphirt sein Sieg; –
Du siehst, daß nicht zu kühn mein kühner Satz.
    Und welche Künste wählt er, einzuschläfern
Des Menschen Furcht? Mit ächt Tiber'scher List 177
Hüllt er die Plane seines Wirkens ein
In finstre Nacht der tiefesten Verstellung.
Wie Fürsten ungenannt an fremden Höfen weilen,
Weil sie Geheimniß auf der Reise leitet,
So borgt der Tod vom Leben Bild und Namen,
Und läßt sich nieder mitten unter uns.
Und alle Larven nimmt er willig an,
Die seinen finstern Planen frommen können:
Beherrscht er gleich ein Reich, um vieles größer,
Als das, was Roma's Adler überschwebt',
Doch macht er oft, wie Nero einst, den Fiedler,
Den Fuhrmann auch, und lenkt im Frauenschmuck
Den Phaeton, ganz unverdächtig, bis
Er plötzlich sein erseh'nes Opfer schlingt.
    Am liebsten wählt er die Gestalten aus,
Die seinem dürren Selbst am mind'sten gleichen:
Daher ein feister Wanst ihm Lieblingstracht
Und glatte Larve wird. Wie gerne birgt
Er hinter Rosen sich, läßt sich vom Lächeln
Verstecken, taugt sich los' in Wangengrübchen,
Die Liebesstrudel unbewahrter Herzen,
Sie in den Abgrund der Verzweiflung zieh'nd.
So lauscht' er lang' verborgen, o Narzissa,
Au deinem Lager, selbst entdeckt noch lächelnd;
So ruhig ist die Unschuld bei dem Tod! 178
    O höchst beglückt, die er am mind'sten täuscht!
Ein Auge nach dem Tod, das and're innig
Dem Himmel zugewandt, das ziemt dem Menschen,
Dem sterblichen und dem unsterblichen.
Lang' lauscht' ich seinen Tücken als gekränkter
Und eifersücht'ger Späher; da ersah,
(Da träumt' ich, daß ich sah?) wie der Tyrann
Sich rüstete, die Schrecken von sich legte,
Und seines Lächelns Züge an sich nahm.
Erzähl', o Muse, (dir gedenkt es noch)
Ruf' sie zurück, die Szene des Erstaunens,
Ja, führ' sie vor Lorenzo's Augen auf:
Und war's ein Traum, so deutet ihn sein Witz.
    Im Kreis' von Fröhlichen befand ich mich;
Den Eintritt heischte Tod; Natur sties von
Der Pforte ihn. Doch glückte ihm sein Plan,
Weil ein berühmter Arzt ihn eingeschwärzt;
Den weisen Mann wußt' er dann zu entfernen,
Denn unbekannt zu seyn, war Todes Absicht.
Er gab an einen alten lebenskräft'gen Wuch'rer
Sein mager Antlitz und die dürren Beine,
Zum Dank für gute Mästung seines Raubs,
Des saft'gen Prassers: nahm von diesem nun
Die Thorenmiene an, die zierliche
Gestaltung, und den wohlgeputzten Kopf,
Und barg sein schlecht Gewand in zarten Linnen; 179
Den krummen Bogen log er zum Spazierstock,
Und Mira's Aug' nahm seine Pfeile auf.
So ausgerüstet geht die schauderhafte Larve
Auf Abentheuer aus. Du fragst: wohin?
Wo ist er nicht? Doch seine Lieblingsplätze
Bezeichnet dir ein Wort: gewiß, wie Nacht
Dem Tage folgt, tritt rings der ganzen Welt
Der Tod der Freude auf der Ferse nach,
Wenn Freude wandelt, wo Vernunft entflieht.
Schließt Üppigkeit die Pforte der Vernunft,
Tritt Fröhlichkeit an des Verstandes Stelle,
Dann führt bei'm lauten Schmaus, bei'm Larventanz,
Der Tod den Reihen und den Würfel des Verderbens,
Und krönet stets der Mitternacht Pokal.
Toll zechend mit den tobenden Genossen,
Verlacht er innerlich die seiner lachen,
Als sey er weit entfernt; und, sprüht die Lust,
Und floh die Furcht, und ruft der Geist im Jubel,
Auffordernd, allen Freuden unter'm Mond,
Und schließt dem Tod' die Thür, und heißt ihn tafeln
Mit Ahnen in dem Grab – dann fällt die Larve
Vom grinzenden Gesicht und glüh'nden Aug';
Verzweifelnd starren sie zurück, und sterben.
    Kaum stürtzt er schreckenvoller, unversehner,
Vom Funken aufgeweckt, aus schwarzer Schwefelhülle, 180
Weit umher brüllend, flammend und verschlingend.
Ist dieses nicht Verrath, der triumphirt,
Und mehr als schlichter Sieg des schlichten Feindes?
    Wie nun, Lorenzo? wiegst du noch die Seele
In weiche Sicherheit, weil unbekannt,
Was für ein Augenblick Zerstörung bringt?
Im ungewissen Tod liegt dir Gefahr.
Und ist Tod ungewiß? So sey du fest,
Gleich einem Wächter fest, ganz Aug', ganz Ohr,
Ganz Harren auf das Kommen deines Feinds.
Empor, in Waffen auf! lehn' nicht am Speer',
Daß Schlummer auch den Augenblick nicht stehle,
Und das Verhängniß dich im Nicken fasse.
O wach', sey stark! so adle jeden Tag
Mit rühmlichem Verdienst' des würd'gen Sterbens,
Ist gleich nur einmal Sterben dir beschieden.
Laß nicht von Lebens tief verborgnem Ziel
Dir (wie der Mehrheit Loos es ist) auch bergen
Die köstliche Verwendung dieses Lebens!
    Nicht plötzlich, früh' nur, kam Narzissa's End':
Der Tod erschien nur bald, nicht überfallend;
Ihr Geist gieng ihm auf seinem Weg entgegen,
Ihr Frohsinn war gedenk, es gelte Sterben,
Lies gleich das Glück, (der dritte Punkt, den wir betrachten)
Als mitverschworner Theil, vor ihren Augen 181
Die bunten Federn spielen, alle Flittern,
Sie blendend von dem Ziele zu verlocken.
Des Todes schreckenvolle Ankunft ist
Das ächte Augenmerk, das Menschen ziemt,
Und der Gedanke blind, der es verfehlt.
Das Glück verschwor mit Jugend sich und Frohsinn,
Ihr mit dem Drillingskranz der Seligkeit
(Hat Erde Seligkeit) die Stirn' zu schmücken:
Doch brach der Tod durch solches Strahlenschild!
Solch Strahlenschild lockt des Tyrannen Speer,
Als sollte es des Menschen Schwung erniedern,
Mit Demuth mächtig ihm den Busen rühren.
O so verkündet Jammer uns das Glück!
Dem Irrstern gleich, wie dräut es hocherglänzend!
Wie oft bewährt sich uns des Todes Ehrgeiz,
Das Köstlichste zum Opfer auszuwählen,
Und in des Lebens vollen Stolz den Pfeil zu senken.
Wenn, überströmt mit Überfluß, bepurpurt
Von frischem Ehrenschmuck, mit jeder Wonne
Umblüht, das Kind des Glücks, durch seiner Mutter Laune
Aus niedrer Hütte vorgesucht, empor
Zum Gipfel der erglänzenden Beschauung,
Zum Wunderbild, zum herrlichen Mittelpunkt
Der Augen von Millionen war erhoben:
Wie oft ersah' ich's dann auf einmal stürzen! 182
Am Morgen unser Neid, des Abends Klage!
Als sey des Glückes Huld das sichre Zeichen,
Der Blumenkranz, das Opfer anzudeuten,
Und nach erseh'nem Raub zu lenken Todespfeile.
    Im grausen Bündniß scheint das hohe Glück
Mit Tod zu stehn. Du fragst mich nach dem Grunde?
Auf daß dem Krieg des Todes mit dem Menschen
Mit tief'rer Angst erlaucht're Beute werde,
Die Furcht im Zaum' den kühnen Menschen halte.
Und dennoch glüht Lorenzo immer noch
Nach dem, was Zinne dieses Lebens heißt?
Er will sein luftig Nest hoch oben an
Den schwanken Zweig des höchsten Gipfels hängen,
Von jedem Hauch' gewiegt, vom Sturz' bedräut?
Und wäre auch der Tod nicht näher dort,
Doch lebt erst Ruhe auf, wo Ehrsucht endet.
Was macht uns arm? Versagtes Lebensglück?
Lorenzo! nein – verschmähtes Lebensglück!
Es tritt zu schlicht einher für unser Lächeln,
Und nennt in Demuth sich Zufriedenheit;
Doch unsre Brust glüht nach Entzücken nur,
Und die Zufriedenheit ist unser Hohn.
Der Ehrgeiz kehrt sich ab, schließt ihr die Pforte,
Und minnt an ihrer statt die Müh', die Windsbraut,
So nah' verwandt dem glühenden Entzücken.
Unkundig, was uns Menschenloos vergönnt, 183
Zerstören wir bescheidne Lebensfreude,
Indem wir sie erhöhn; und jene Schaar
Von Schwärmerei'n, die wir Entzücken nennen,
Verwundet unsern süßen Frieden nur,
Dies volle Theil des Menschenglücks hienieden.
    Und weil mir deine Ruhe lieb, ehrgeiz'ger Jüngling!
Nach Glück' erglüh'nd, wie ungedenk des Todes:
So blicke nun vom frischen Todesbild,
Das ich, dich heilsam zu erschrecken, mahlte,
Blick' auf das Gegenbild des heitern Glückes,
Um deiner Hoffnung Eitelkeit zu dämpfen.
Sieh! in den Lüften wiegt sich froh Fortuna,
Schließt gauckelnd ihr Kleinodienkästchen auf,
Und legt sie aus, die leichte Flitterwaare,
Und heißt die flücht'gen Winde erdenwärts
Zum Haufen, der mit offnem Munde harrt,
Die Gaben ihres Launenspiels zu wehen.
Der Haufen stürzt heran in räub'rischer Begierde:
Es setzt den Fuß auf seinen Freund der Freund,
Den Vater tritt der Sohn, das Volk den König,
Den Gott der Priester und der Jüngling seine Huldin,
(Ihm theurer noch als Götzenbild dem Bonzen!)
Die goldnen Regentropfen einzuhaschen.
    Gold schimmert hoch, wo Tugend nicht mehr leuchtet; 184
So glüh'n die Sterne, wenn die Sonne sank.
Welch' edle Schaar von Eingeweihten stürmt
Emporgescheucht aus Haft und Freudenhaus,
In lautem Jubel ihrem Götzen zu!
Das Aug' in Glut auf seine Hände heftend,
Eröffnen sie die gier'gen Lippen lechzend,
Und fangen ungeprüft des Wurfes Gaben,
Und ächzen nur nach Mehr mit Unsinnslust:
Vor Fülle rund, doch matt vor Lüsternheit,
Den kleinsten Raub sich zu erraffen schlau,
Und kühn, des größesten sich anzumaßen.
Und weht, (o Wonneglück!) die Hofluft freundlich,
So brechen sie, berauscht von süßen Düften
Des Rangs, der Macht, in's heilige Gebiet
Des Rechtes und der Frömmigkeit als Räuber,
Und schmiegen bis zum Tod als Sklaven sich dem Vortheil.
    Doch willst du sie als Menschen gelten lassen,
So blicke, je nachdem ich ihre Weise
Bezeichne, auch auf ihr verschieden Schicksal.
Mit falschem Augenmaas und hast'ger Eile
Rennt Jener nach dem heiß ersehnten Ziel,
Und schlägt, besitzentbrannt, es weit von sich.
Hier Diesem glückt's, doch strauchelt er, und es
Entfällt der Hand bereits ergriffner Preis.
Dem Dritten raubt ihn plötzlich Wirbelwind, 185
Und führt ihn ahnungslosem Busen zu.
An Andre hängt er sich so innig fest,
Daß man nur vom Zerrissenen ihn reißt,
Und tödtlich wird die schmerzliche Verletzung.
Noch And're, ihrer Säcke tolle Liebessklaven,
Erächzen unter Gold und schrei'n um Brod.
Und einige (unsel'ge Nebenbuhler!)
Sie greifen in Gesellschaft zu, und stückeln
Den reichen Überfluß in Armuth aus.
Laut krächzt der Rabe der Gerechtigkeit,
Und lächelt; und Fortuna lächelt auch;
Doch lächelt sie am meisten derer, die
(Unbändiger Begier gerechte Opfer!)
Auf ihre eigne Bitte untergehn,
Und überwältigt von der Last der Gaben,
Die sie verschwend'risch ihnen zugetheilt,
Erblassen. Ja! das Glück ist hoch berufen,
Um der Erschlagnen Menge, die es fällt.
Wie klein die Zahl, die seine Gunst erträgt!
Und so lößt sich Verschiedenheit des Schicksals
Zuletzt im gleichen Fluch, der Alle deckt;
Und naht der Tod, so lesen Alle nur
Des Reichthums Summe rückwärts als Verlust,
Und richtig mißt ihr Mammon ihren Schmerz.
    Des Todes Nah'n (lehrt Wahrheit mein Gesang)
Beschleunigt sich, wenn lächelnd Glück ihn lockt. 186
Doch hungert dich noch heiß nach strahlend Gold?
Doch sehnst du geizig dich nach Untergang?
Es liebt der Tod ein glänzend Ziel des Pfeiles,
Den hohen Treffer; der, indem er fällt,
Den Schrecken weckt, und mit dem Sturz des Einen
Noch Tausende im tiefsten Mark erschüttert.
So, wenn die himmelhohe Rieseneiche,
Die in den Lüften ihren Wipfel regt,
Und stolz die Schatten um sich her verspendet,
Der Sonne Trotzerin, der Herde Schutz,
Vom kräftig wiederholten Hieb der Axt
Bezwungen, laut den letzten Seufzer stöhnt,
Und dann aus ihrer Höhe Zinnen stürzend,
Im schweren Untergang zu Boden donnert:
Erbebt im Mitgefühl der Wald dem Stoß,
Und Berg und Strom und fernes Thal erhallen.
    Mein Köcher füllte sich, wollt' ich des Todes
Nach hohem Ziel gesandte Pfeile sammeln.
Ein Köcher, der, hieng' er in Mitt' der Lüfte,
Oder im Thierkreis nächst dem Himmelsschützen,
(Wär möglich das) der ganzen Menschheit Aug'
Als ew'ger Zielpunkt der Beschauung faßte!
Ein Stern des Schreckens, doch des Heiles auch,
Die Frohen auf den Lebenswogen leitend,
Daß sie nicht stranden an gewohnter Klippe, 187
Im Wachsen der Gefahr nicht sich'rer werden,
Und in Behagniß eingehüllt des Tods vergessen.
    Lysander freute eines Looses sich,
Das nicht gewöhnlich sonst dem Menschen fällt;
Auch war er vor Gefahr gewarnt, doch für
Die Furcht zu froh. Aspasien, der Schönen,
Gelobte er sein Herz; sie war ihm hold.
Was Jugend und Gestalt, was Glück und Ehre,
Gewähren kann an Seligkeit, besaßen beide.
Wer sie gekannt, der hat sie auch beneidet;
Wer sie beneidet, hat sie doch geliebt.
Erschwebt ein höher Glück die Phantasie?
Es war der Hochzeittag bestimmt. Das Schloß
Der Jungfrau hob sich hoch am schallenden Gestade;
Der Thürme Glanz zerfloß im Wellenspiegel,
Und brach sich an dem Strand. So brechen sich
Die glänzenden Phantome, Menschenfreuden.
Verräth'risch lacht der junge Tag: Lysander
Verläßt die Braut, am Abend sie entzückt
Ans Herz zu schließen. Doch der Sturm verbeut's.
Die Nachricht kommt; sie schaut die unerzählte
Im Aug' der Dienerin, fühlt die geschaute,
(Ihr Herz gehörte dem Gefühl) und theilt,
Nicht von der See in Wuth, vom Schmerz erstickt,
Lysanders Grab. Jetzt rauschen um des Brautpaars
Kostbares Denkmal schuld'ge Wellen schuldlos, 188
Und wenn der rauhe Seemann schiffend es
Ersieht, so weiht er ihm der Thräne Zoll.
Der Thräne? – Reichen Thränen hin? – Nicht mir!
Wie eitel Menschenstreben! Menschenkünste!
Dem fernen Pfade des Gedankens folgt' ich,
Den Schmerz zu fliehn, er führt mich ihm zurück.
Sie starben doch vereint! beglückt im Untergange,
Und ungeschieden durch des Todes Bann!
Daß nie sich finde, was in Lieb' sich eint,
Und fand sich's, daß es nie sich wieder trenne!
Nur das gewährt dem Menschenherzen Ruh'.
Narzissa! innig Leid entblutet meinem Herzen,
Gedenk' ich dein; und dennoch warst du nur
Mir nah'; Du warst nicht Ich. Mich selber überleben? –
O daran heilt sich jeder andre Schmerz.
Narzissa lebt; Philander ist vergessen.
O köstliche Gemeinschaft! Zarte Bande!
So enge eingewebt des Hetzens Fibern!
Zersprengt, zersprengen sie die Fibern auch,
Und leiten weg den Geist der Menschenfreude,
Und machen aus dem Leben eine Qual.
Ist das dann Leben noch? Wenn solche Freunde scheiden,
So stirbt der überlebt. – Mein Herz! nichts mehr.


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