Edward Young
Nachtgedanken
Edward Young

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Zweite Nacht.

Zeit, Tod, Freundschaft.

Dem Grafen von Wilmington.

            »Der Hahn rief und er weinte« – tief durchschaut
Vom Aug', das mich, so wie das Weltall sieht;
Von jener Macht, die solchen mitternächt'gen Wächter
Mit hellem Klang' als Vorbild der Posaune
(Aus langem Schlaf' dereinst die Todten weckend)
Bestellt, den Geist aus seines Schlummers Arm
Zu himmlischen Gedanken aufzufordern. –
Soll weinen ich? Wo bliebe dann die Kraft?
Die Kraft dahin, wo bliebe dann der Mensch?
Ich weiß, um welchen Preis das Licht ihm wird;
Geburt wirbt an; das Leben ist ein Krieg;
Krieg ohne End' mit Schmerz; nur, wer ihn besser
Erträgt, verdient ihn weniger. – Zu andern Dingen! 28
Lorenzo! Laß' mich deiner denken, laß'
Mich deinen Geist auf, was dir fromme, leiten;
Daß es dir fromme, wo's dem Höchsten gilt.
Gedanken sind es, die als ächte Frucht
Vom Staub' des theueren Philanders sprossen.
So nützt er dir im Tode noch. – An was
Gedenken wir? An Wunderwerth der Zeit,
An Tod und Freundschaft und Philanders letzte Stunden.
    O daß mein Wort gewönne dein Gehör!
O daß es auch zu deinem Herzen dränge!
Zur Wonne würde mir die gute That;
Die bleiche Iris mahlte sie auf mein
Verfinstertes Gewölk, und rief aus Schmerz
Die Glorie auf. – Du trauerst um Philander?
Ich weiß, du sagst's: doch spricht's dein Leben auch?
Um Todte trauert man nach ihren Wünschen lebend.
Wo ist die Sparsamkeit, der Geiz mit Zeit,
(O edler Geiz!) vom Tod uns eingeflößt,
Wie Räuberlärm das Gold uns werther macht?
O Zeit! viel köstlicher als Gold; doch schwerer
Als Blei den Thoren, weis' geglaubten Thoren.
Bleibt ein Moment dem Menschen unberechnet?
Und lößt der Jahre Flucht die Schuld an Weisheit?
Nur ihr gebührt, was wir an Tagen noch besitzen. 29
O eile, eil', er lauscht, er harret an der Pforte,
Der listge Tod! Wen seine Riesenfaust
Ergreift, den rettet kein Vertrag aus Ketten.
Der Ewigkeit erbarmungslose Fessel
Verfehmt der Rache dich, die vollen Rückstand fordert.
    Wie schauervoll stand ich am Absturz jüngst!
Verzweifelnd rief der letzten Zuflucht Leben!
Daß mein die Zeit, o Mead! ich dank' es dir;
So gerne lohnt' ich dir mit Ewigkeit;
Doch meinem Wunsch entspricht nur matt mein Geist;
Mein sieches, sterblich Lied kannst du nicht heilen;
Den Willen nimm – er stirbt nicht wie mein Lied.
    Was fordert, o Lorenzo, deine Krankheit?
Nicht Äskulaps! – des Seelenarztes Hilfe.
Dir scheint es Thorheit, frühe weis' zu seyn.
Die Jugend ist nicht reich an Zeit; wohl arm;
Gieb sie, dem Golde gleich, bescheiden aus;
Nach seinem Werth nur spend' den Augenblick,
Und was er werth, das frag' die Sterbebetten;
Sie sagen dir's. Die Zeit gieb, gleich dem Leben,
Nur widerstrebend hin; nur hoch erfüllt
Von heil'ger Hoffnung einer edlern Zukunft,
Die, höherm Zweck geweiht, stets näher kommt,
Dem großen Ziel' der Menschen und der Engel,
Der Tugend, welche Gottheit selber weiht. 30
    Ist das uns Pflicht und Weisheit, Ruhm, Gewinn?
(Sie knüpft der güt'ge Himmel unzertrennlich)
Und dennoch scherzen wir, gleich Zweigbewohnern,
Wenn Frühlingssonne freundlich sie begeistert?
Des Menschen große Sehnsucht, Unterhaltung,
Regiert; das Leben wird zur Tändelei,
Und ist es denn auch Tändelei, zu sterben?
    Du sprichst, ich predige, Lorenzo!
Es sey, wenn ich nur wach dich pred'gen kann.
Wer sucht die Lust im Flammenschoos des Treffens?
Ist's nicht Verrath am Geiste, der unsterblich,
Da seine Feinde droh'n in Waffenrüstung,
Und Ewigkeit der Preis des Sieges ist?
Erfreut die Puppe, wo der Arzt verzweifelt?
Wann Lebensgeist verfliegt, des Daseyns Zauber
Vor unserm Aug' erbleichend sich versenkt,
(Wie Land und Stadt mit ihren Schimmerspitzen
Dem armen Schiffer, den die Windsbraut plötzlich
Nach hoher See zum Untergang entführt;)
Ergötzt dann Spiel? Nein dann sind Throne Spiel,
Und Erd' und Himmel auf der Wage – Staub.
    Erkauft sich Zeit? – Nur ihr Verlust ist theuer.
Wie schützt Lorenzo seine hochgepries'ne Freuden?
Laut spricht er von den Lücken in der Zeit, 31
Laut macht er geltend jene Kleinigkeiten,
Die Strohhalm gleich im Lebensstrome schwimmen.
Sind Lücke nicht und Kleinigkeit dein Werk?
Nicht Lücke schafft, nicht Kleinigkeit Natur.
Die Tugend, wenigstens ihr Plan, sey dein,
So hebt sich deine Klage schnell; es bleibt
Nicht Kleinigkeit der That, der Zeit nicht Lücke.
So wächst, erfüllt, verewigt sich uns Alles;
So wird uns alles – sel'ge Kunst – zu Gold.
Das ist das heil'ge Recht der guten Herzen,
Zu heben Königszoll von ärmsten Stunden;
Endloser Schatz! dem alle Augenblicke zahlen.
Und steht auch Vorsatz nur in deiner Macht,
Dein fester Vorsatz wiegt so schwer als That.
Wer's Beste thut, was ihm vergönnt die Lage,
Thut recht und edel; können Engel mehr?
Die That zwar muß den äußern Schranken weichen:
Doch den Gedanken beugt auch keine Welt;
Ihn hüte wohl! Gedanken hört der Himmel.
    Allwichtig sei die Zeit, sprach stets der Weise;
Doch wann wird der geboren, der die Stunde
Nach Würden wägt? »Ich hab' den Tag verloren« –
Ein Kaiser war auch kronenlos der Fürst,
Der so erhaben rief; der Kaiser Roms? 32
O nenne besser ihn den Herrn der Menschheit!
Er sprach, als sey er des Geschlechts Vertreter.
O spräche jeder so! Vernunft spricht so aus jedem.
Warum entfliehen wir dem milden Flüstern
Des Gott's in uns, zur Thorheit hin, zur Tollheit,
Vom Glück', das unser ist, erlößt zu werden?
Zeit ist das Höchste! – Zeit ist Ewigkeit;
Sie faßt, was Ewigkeit gewähren kann;
Umfaßt, was selig Engelslächeln weckt.
Wer Zeit erwürgt, der tödtet im Entkeimen
Ein göttlich, nur unangebetet Wesen.
    Wie ungerecht gegen Natur und sich
Ist der gedankenlose, undankbare,
Der unbeständ'ge Mensch. Den Kindern gleich,
Die spielend Unsinn plaudern, tadeln wir
Natur, daß sie die kurze Spanne gab;
Doch lästig wird die kurze Spanne noch;
Gequält muß Phantasie die Mittel suchen,
Die zaudernden Momente fortzugeißeln,
Und (süß' Befrei'n!) uns aus uns selbst zu wirbeln.
Die Kunst, die hirnberaubte Kunst! sie, unsre
In Wuth entbrannte Führerin (Natur
Rief uns zurück, wär' ihre Stimme frei)
Blind tobt sie mit uns nach des Todes Abgrund,
Des Tods, der unser höchstes Schreckbild ist, 33
Und so mit neuen Schrecken noch sich waffnet.
O furchtbar ungereimtes Räthsel! Muße
Zur Arbeit wird, enträdernd unsern Wagen.
Wie mühsam schleppen wir des Lebens Bürde!
Die sel'ge Muße sie wird Fluch und treibt
Uns auf die Irrfahrt; wie einst Kain,
Rings um die Erde wandern wir verscheucht,
Dir, o Tirann Gedanke! zu entflieh'n!
Wie Atlas einst die Welt, so tragen wir
Die Stunde seufzend, um Erbarmen flehend
Bei'm nächsten Augenblick; die nächste Lust
Versetzt der Väter Gut: was kümmerts uns?
Der Kerker selbst ist uns nicht furchtbar mehr,
Erlößt er nur von der verhaßten Zeit.
Doch, beut der Tod uns freundlich seinen Beistand,
So heißt er grausam; Jahre schrumpfen zu Momenten,
Zu Jahren Menschenalter. Und es dreht
Das Fernrohr sich; dem irren Aug' des Menschen
(Durch seine Thorheit irr) entzieht die Zeit,
Ihm nahend, ihre Schwingen, rückwärts sie faltend.
Und schleicht in matter Greisenform heran.
Vorüber ist sie; doch! o blickt ihr nach!
Den Sturmwind überfliegt ihr Riesenfittich!
Und Menschenwitz, im Widerspruch nur stark,
Schreit reuevoll entsetzt dem Fluge nach. 34
    Laß deinem Feind den Irrthum und sein Leiden;
Naturgerecht such' Quell und Heilung auf.
Nicht karg ist Himmelshuld; doch endlos unser Aufwand;
Natur nicht Knauserin, der Mensch Verschwender.
Wir zehren an der Zeit, statt sie zu nützen,
Und statt zu leben, athmen wir. Die Zeit
Verschwenden ist nur seyn, sie nützen heißt erst leben,
Und bloßes Seyn wird für den Menschen Qual,
Der leben soll, und drückt ihn felsenschwer.
Denn zum Gebrauch, zum Schwelgen nicht, verliehen,
Erhielt die Zeit des schnellen Flugs Gesetz,
Und, nie des Menschen harrend, gleiche Bahn
Mit Sturm und Fluth und wandernden Gestirnen;
Zur Wonne vorbestimmt, zum Schmerz, nach dem
Der Mensch sie nützt, verzehrt, auf daß er fühle,
Wo er gefehlt, entschlüpft's auch seinem Blick,
Es fühlend, Heilung suche bei der Arbeit;
Nicht, unbedacht, um Ruh' am Müßiggange scheit're.
Des Lebens Sorgen gab der Himmel stärkend;
Such' die vermißten auf, sonst bist du elend.
Die Sorgen sind Geschäft, und unbeschäftigt
Wird unser Geist der Folter Raub, der Ruhefolter,
Denn Ruhe ist der Seele Pein, die That
Ihr Lust; die höchste Lust ist ihr die That. 35
    Hier lößt sich also unser Räthsel auf:
Die Zeit ist dann nur Qual, wann Thor der Mensch.
Wir ringen sinnlos mit dem großen Plan,
Den die Natur befolgt, der Gottheit trotzend;
Und dennoch steht der Schluß, daß ihrem Willen trotzen
Dem eignen Willen widerstreben heißt.
Daher der Zwist mit unserm eignen Selbst,
Der unnatürliche; daher der Kampf
Des Geists mit sich, der Krieg in uns'rer Brust.
Die Zeit verstoßend, wünschen wir sie wieder;
Am Leben hangen wir, an Jahren nicht;
Bald lang erscheint es uns, bald kurz; den Tod
Ersehnen und vermeiden wir; und Leib und Seele.
Sie streiten sich, wie ein uneinig Paar,
Vereint, im Zwist, und doch sich ungern trennend.
    O dieser finstern Tage eiteln Wahns!
Vorhanden, unschmackhaft! verschwunden, schrecklich!
Verschwunden? Nie! Vergangen, stets um uns!
Es geht der Geist von jedem Tag, der schied,
Mit Engelslächeln um, mit Furiengrinzen;
Der Tod erfreut uns nicht, und nicht das Leben;
Wenn Zeit, die uns entfloh, und Zeit, die wir
Besitzen, qualvoll wird, was bleibt der Freude? 36
Das, was uns Gott als Freudenquell verlieh:
Benutzte Zeit. Wer seine Stunden weihet
Durch kräftig Streben nach dem edlen Zweck,
Der nimmt dem Leben wie dem Tod den Stachel;
Natur führt ihn, ihr Weg ist Friedenspfad.
    Des Irrthums Quell und Heilung sahen wir.
Erkenne nun das Wesen und den Ursprung,
Die Wichtigkeit, den raschen Flug der Zeit;
Und was du dann gewinnst, wann du ihn noch beflügelst.
    Der Sinnenmensch erklärt die Zeit für nichts,
Weil unbetastet sie, und ungesehen.
Und doch gehört nur sie dem Menschen wirklich;
Sein übrig Eigenthum giebt ihm der Zufall.
Die Zeit ist göttlicher Beschaffenheit;
Von ihrer Allmacht hast du nie vernommen?
Für, wider uns vermag sie, – thut sie Wunder!
Denn sie verschmäht es, müßig zuzuschauen.
Nein! hiezu stieg der Fremdling aus dem Himmel,
Mit hoher Sendung nicht zum Menschen nieder.
Lorenzo, nein! Zur lang bestimmten Stunde,
(Von Ewigkeit zur Reife aufgeblüht)
Zur unvergeß'nen Stunde wundervollen Werdens,
Als Gott der Herr, zum Schöpferwerk entschloßen,
Und in der Brust Natur im Keime tragend, 37
In seiner Allmacht sich erhob, und rief,
Der Schöpfung rief, (da wurde Zeit geboren!)
Durch tausend Welten strömend göttliches Vermögen:
Da lößte hiezu nicht vom großen Himmelstag',
Vom Wunderkreis der alten Ewigkeit
Die Zeit sich ab, und senkte niederwärts
Des Himmels sich; des Himmels, der sie nun bewacht
In ihrem neuen Sitz, und ihre Bahn
Am Uhrwerk göttlicher Erfindungskraft,
An Wechselkreisen seiner Sphären mißt.
Die Stunden, Tage, Monden, Jahre, ihre Kinder,
Umflattern zahllos sie auf ihrem Flug':
Nein! bilden (Federn, ungleich sich an Größe)
Die riesenhaften Flügel selbst, die sie
Schnell wie der Blitz nach ihrem Ziele tragen,
Nach ihrer alten Ruh', zum Schooße wieder
Der Ewigkeit, die ihre Mutter ist;
Daß sie in wandelloser Kraft verharre.
Dieweil die Welten, die jetzt ihre Kreise zählen,
Entangelt vor dem rufenden Verhängniß,
In zeitlos Dunkel und des Chaos Abgrund stürzen,
Aus welchem ihre Bahn einst aufwärts drang.
    Was treibst du die so flüchtige noch an?
Beflügelst deinen kurzen, kurzen Tag,
Der nur zu schnell an dir vorüber schwindet, 38
Mit Leichtsinn noch? Erkennst du dein Beginnen,
Dein Schicksal? Vor der Zeit entflieht der Mensch,
Die Zeit flieht vor dem Menschen; nur zu bald
Lößt sich die Doppelflucht in trübe Scheidung.
Wo sind wir dann? Wo sind, Lorenzo, dann
Dein Tand, dein Glanz? Ich seh' es, wie sie schimmern
Aus reichem Faltenwurf des Leichenkleids,
Und unter'm stolzen Marmor deiner Gruft.
Hat Tod auch Tand? So stecke Leben denn
Sich Federn auf, und glänz' in seinem Regenbogen!
    Ihr Zierlichen! Ihr Lilien unsers Landes!
Ihr Männerlilien! die nicht weben, spinnen,
(Wie eure Schwesterlilien könnten) wenn
Auch weise nicht, wie Salomo, doch prächt'ger
Für's Aug'; Ihr Zärtlinge, die, selber unerträglich,
Doch nichts ertragen; von dem Winter Rosen,
Und von der Sonn' im Löwen wärm're Glut,
Vom Weste selbst noch mildern Hauch erheischen;
Die sich aus andern Welten Wohlgerüche,
Gewürz, Gesang, ja! durch des Auslands Gabe
Gewänder zollen lassen und Begriffe!
Lorenzos uns'rer Zeit! Die den Moment,
Der unterhaltungslos, für Unglück achten,
Das schwer den schwachen Menschen niederdrückt; 39
Die laut nach Tande schrei'n für Sinnenspiel,
Und Klappern heischen, bunten Kindertrödel;
Der Thorheit Wechsel, Freudenvorspann rufen,
Um ihren Kranken durch die bange Oede
Des kurzen Wintertags dahin zu schleppen –
Sprecht, Weise, sprecht! Ihr Witz-Orakel sprecht,
Ihr Träumer, reich an muntern Lebensträumen:
Wie denkt ihr zu bestehn die ew'ge Nacht,
Die ganz verarmt an euerm Spielwerk ist?
    Verrätherisch Gewissen! scheinbar schlummert's
Auf Rosen und auf Myrthen bei Sirenenliedern;
Dem Wächter, der zu nicken scheint, entgeht
Der schlaffe Zügel heiß entzündeter Begier;
Er giebt uns unbemerkt und ungewarnt
Der wilden Thorheit preis. Doch sieh! wie im
Geheimen Winkel der gewandte Späher
Die Fehler alle merkt, und mit Entsetzen
Sein schrecklich Tagebuch erfüllt. Nicht nur
Die grobe That beschäftigt seinen Griffel;
Das luftige Gefolg der Phantasie
Belauscht der Feind, von Wachsamkeit beseelt!
Der düstre Späher hört das Murmeln unsers Lagers,
Erforscht der Thaten Keim in uns'rer Brust,
Der Sünde Embrionen stiehlt er uns. 40
Dem gier'gen Wuchrer gleich, der vor den Prasser-Erben
Sein Schuldenbuch verbirgt, so waltet er
Mit Nachsicht, die in hoher Strenge endet,
Auch über uns Vergeudern edler Zeit;
Merkt, unbemerkt, verlorenen Moment;
Auf Blättern, dauernder als Erz, beschreibt
Er unser Thun; einst liest der Tod den Inhalt
Den bleichen Thätern einzeln vor und leise,
Doch laut ruft das Gericht ihn aus; ruft ihn
Vor mehrern Welten aus, als dieser hier,
Und ächzend wiederhallt die Ewigkeit.
Lorenzo! deine Brust hegt solchen Schläfer!
So schlummert er, rächt so verschmähten Rath.
Und solche Ruhe wartet dein! Vermeinst
Du noch, zu frühe könntest weis' du werden?
    Doch warum breitet sich mein Lied so reich
Aus über Zeit? Die gütige Natur
Eröffnet über diesen wicht'gen Stoff
Ja selbst den Unterricht für ihre Kinder.
Wir sterben jede Nacht; und jeder Morgen
Gebährt uns neu; ein jeder Tag ein Leben!
Und tödten sollten wir denn jeden Tag?
Wenn Tändeln tödtet, mordet Laster sicher.
O welche Schaaren von Erschlag'nen schrei'n 41
Um Rache über uns! Der Zeit Verderb
Ist Selbstmord, der noch mehr als Blut vergießt.
Die Zeit entflieht, Tod drängt, die Sterbeglocken rufen,
Der Himmel winkt, die Hölle dräut, es ringt
Das All im hochbewegten Kampf', mehr als
Die Schöpfung kreißt! – Und wie kann mehr noch kreißen?
Und giebt's ein Wesen in der Schöpfung, das
Bei solchem Alltumult, bei solcher Flügeleile
Und Glut der Kraft, in träger Ruhe gähnt? –
Der Mensch, und nur der Mensch ist's, der da schlummert;
Er, dessen Schicksal, unvermeidlich, ganz,
Deß letztes und unendliches Geschick
Am Haare hängend, und im Lufthauch schwebend,
Momentenlang nur zitternd überm Abgrund,
In ihm versinkt! Und dieser Mensch, um den
Das andre Alles laut im Aufruhr gährt,
Der Mittelpunkt des Sturms, der ihn umgiebt,
Er schläft, als säng' der Sturm sein Wiegenlied.
Die Jahre wirfst du weg? Vergeude Reiche,
Kein Vorwurf treffe dich. Ergreif' Momente,
Der Himmel schwebt auf ihren Schwingen mit.
Vielleicht ersehnst du einst den Augenblick, 42
Den eine Welt dann nicht erkaufen kann.
Gebeut dem Tag' zu stehn; gebeut ihm, seinen Wagen
Zurückzuleiten, die Vergangenheit
Verlang' von ihm, die Stunde, die er gab,
Er gebe sie zum zweitenmale dir.
Lorenzo, mehr als Wunder gilt es uns.
Lorenzo – o daß Gestern Morgen wäre!
    Das ist die Sprache des erwachten Menschen;
So glüht er dem, was dir zur Bürde wird.
Und ist sein Sehnen leer, Lorenzo? Nein;
Dies mehr als Wunder schenkt der Himmel.
Denn Heute wird des Gestern Wiederkehr;
Es kommt zurück, mit Vollmacht ausgestattet,
Verlöschend, sühnend, uns zu heben und zu schmücken,
Und herzustellen auf des Friedens Fels.
O lass' es nicht das alte Schicksal finden,
Und, seinen Brüdern gleich, an Thorheit sterben.
In Rauch verginge es, verflöge dampfend,
Daß es uns selbst noch schmählicher beflecke?
Der Fülle Reichthum sollt' uns ärmer machen,
Unseliger des Himmels milde Huld?
    Wo find ich Ihn? O Engel, sagt mir, wo?
Ihr kennet ihn; euch ist er nah; o zeigt
Mir ihn! Soll mir's sein strahlend Antlitz offenbaren, 43
Der Blumenpfad, der seinem Schritt entsproß?
Mit goldnen Schwingen deckt ihr schützend ihn;
Jetzt rauschen Beifall sie dem seel'gen Sohn'
Der Fürsicht zu; dem Herrn des eignen Schicksals!
Dem edlen Freigelassenen des Morgen!
Deß Werk gethan, deß Sieg ruht auf Vergangnem;
Sein Gestern lächelt mild die Bahn zurück;
Und sendet ihm nicht flieh'nd den Partherpfeil:
Dies tägliche doch niedre Loos des Menschen!
Verwunden uns vergang'ne Stunden doch,
Wo nicht durch Schuld, doch schon in ihrer Flucht,
Wenn Thorheit mit dem Grab die Aussicht schließt,
Und jegliches Gefühl der Zukunft starrt;
Erlischt die Himmelsglut für Ewiges;
Für Wesenheit die süße Liebe stirbt;
Und aller Umgang mit dem Himmel ruht;
Wenn uns're Freiheit Fesseln trägt, und unser Sehnen
Die Schwingen mißt, und was sich heben sollte,
Im finstern Sinnenkerker eingefangen,
Zur Erde schnöd' gebeugt, im Staube kriecht;
Dahin ist jedes große, edle Ziel,
Und thierisch, was am Menschen göttlich war;
Wenn uns der Schutt der Welt bis zu dem Herzen
Begräbt, der Welt, des Abgrunds für die Seelen, 44
Für Seelen, die unsterblich sind, erhaben
Und engelgleich, begabt mit Flammenschwingen,
Die Himmel fern im Fluge zu erreichen,
Und selig dort auf Thronen sich zu freuen,
Die nicht um der Besitzer Wechsel trauern,
Sind wir gleich irdisch, himmlisch die, so fielen.
So hohe Ehrfurcht, Mensch! gebührt dem Menschen!
    Wer selbst sich ehrt, der achtet nicht der Welt.
Denn was, mein froher Freund, ist sie, die Wappenträg'rin
Die nur den Tod uns zeigt in ew'ger Nacht?
In Nacht, die uns im Mittagstrahl umdunkelt,
Und bei dem Fest den Geist in's Sterbkleid hüllt.
Des Lebens Bühnlein ist ein kleiner Hügel,
Nur zollhoch über'm Grab, der Menschen Heimath,
Wo schon die Menge weilt; wir schau'n umher;
Der Gräber Inschrift lesen wir, und seufzen;
Und seufzend sinken wir, und sind, was wir beweinten.
Beklagen, selbst beklagt, ist Menschenloos.
    Ist fern der Tod? O nein! er war dir nah;
Und gab ein sicher Pfand der letzten Wunde.
So freundlich lächelten die Stunden kaum;
Wo sind sie nun? Wie Geister bleich vor dem Gedanken! 45
Ertränkt, ertränket all' in jener tiefen Tiefe,
Die nichts herauf nach ihrer Fläche bringt!
Und sterbend gaben sie dir kargen Ruhm.
Die übrigen entfalten schon die Schwinge;
Wie schwebt dahin ihr Flug! Schon glüht die Lunte!
Noch ein Moment, die Welt fliegt auf für dich,
Die Sonn' ist Nacht, und Staub der Sternenhimmel.
    Wie weise ist's, mit den vergang'nen Stunden reden,
Sie fragen, was dem Himmel sie erzählt,
Und was Willkommner's sie berichten konnten.
Erfahrung nennt der Mensch, was so gefragt,
Die Stunden ihm erwiedern; beste Freundin
Der Weisheit, ist sie wirklich Freundin ihr;
Doch ist sie's nicht, dann ihre ärgste Feindin.
Versöhne sie! Mild ruft Erfahrung dir:
»Auf Erden nichts, was nicht als Nichts sich wägt;
Der Wonne höchstes Maas bewährt sie eitel,
Und der Erfolg erzieht uns zur Verzweiflung.«
So ist's nicht nur, es darf nicht anders seyn.
Wer das verkennt, bleibt Kind in Silberlocken.
So löse denn die Hand des brünstigen Verlangens
Von dieser Erde, licht' den Ankertau,
Und schiffe nach dem seel'gern Lande hin. 46
Liegst du zu fest vor Anker, um zu lichten?
Erreicht dein Geist das Seyn der Zukunft nicht?
Leicht wie der Sommerstaub, durch Wanderhauch
Des Lebens von der Erde aufgeweht,
Erflattern wir auf ungewisser Schwinge
Des Augenblicks den schnellen Niederfall;
Der dumpfe Stoff nimmt uns nun wieder auf,
Und unser Staub vermehrt betret'nen Staub;
Wir schlummern, bis die Erde selbst vergeht;
Und dann entklimmen wir (Ameisen gleich,
Die ihre kleine Welt in Trümmern deckt)
An des Entsetzens Hand dem Schutt der Erde
Nach unserm letzten Ziel der Pein, der Lust,
Wie eigne Menschenwahl (des Himmels Gegenwage!)
Wie Menschenwille, der Tirann, vielleicht die Stunde,
(Allmächtig ist die Zeit!) es hier entschied.
Wie mächtig sollte uns die Warnung fassen!
Und wäre sie viel milder auch, als die,
Die von dem Herzen reißt das Herz im Bluten
Au heil'ger Leiche. Soll die Sonnenuhr
Auf unserm Pfad weissagend uns nicht schrecken,
Wie die beschrieb'ne Wand den stolzen König
Bei'm Fest der Nacht, von Wein und Übermuth 47
Erglüh'nd, mit Leichenblässe überzog?
Gleich ihr spricht auch die Sonnenuhr, und zeigt
Auf dich, Lorenzo! gern bei'm Fest' noch weilend:
»O Mensch! Dein Reich ist nah' dem Scheiden,
Und weil es währt, noch nicht'ger als mein Schatten.«
Das ist ihr stilles Wort, und keiner Magen
Bedarfst du, dir zu deuten, was es meint.
In deinen Mauern ist das Schicksal eingezogen,
Wie bei dem Meder dort. Gleich Belsazar
Entsetzt, erfragst du: wo? woher? Der Mensch
Trägt in sich selbst des Todes sichern Keim;
Die Lebenskraft nährt ihn, den Mörder! auf;
An ihrem Mahl gedeiht der Undankbare,
Und dann verschlingt er seine Pflegerin.
    Doch hier, Lorenzo, liegt die Täuschung eben;
Dem Sonneschatten, welcher Leben mißt,
Ihm gleicht das Leben selbst; von Punkt zu Punkt
Verfliegt's, indem es zu verweilen scheint;
Der list'ge Flüchtling ist verstohlen rasch,
Zu fein sein Schritt für unsers Auges Kraft;
Doch bald ist Menschenstunde um, wir sind verschwunden.
Die Warnung zeigt Gefahr; die Uhr die Zeit;
Doch wie die Uhr nicht frommt, sank erst die Sonne, 48
So frommt die Warnung nur, wenn die Vernunft,
Noch über Sonnenherrlichkeit, uns leuchtet.
Vernunft sey Richterinn in allem uns;
Vor ihrem Auge wandert rasch genug
Der Schatten, der uns unbeweglich dünkt;
Doch so gewaltig zieht uns Irrthum an,
So gerne flüstert unserm Wunsch das Herz,
Daß unbemerkt der Weise sich verspätet;
Ein Wilmington ereilt die Sonne nicht,
Und Jeder irrt in seiner Tageszeit;
Das Alter auch. Es säet jede Stunde
Der Hoffnung Samen frisch in Greisenfurchen!
Des Lebens Abhang sinkt so sanft, daß wir,
Die Augen schließend, Eb'ne vor uns wähnen.
Der schöne Wintertag gilt uns für Lenz,
Und unsre Lust verwandelt sich in Gift.
Und weil der Mensch das Alter, welches er
Nicht fühlen kann, so oft berechnen muß,
So glaubt er sich nicht älter trotz der Jahre;
Und so bleibt bis zum spätsten Lebensabend
Uns sicher eine fehlgeschlagne Hoffnung
Im Rückhalt, um das Ganze zu bekrönen:
Die Hoffnung noch auf eine einz'ge Stunde!
    Von solchen Dingen, o Philander, (reich
An Tugend, wie der Mund des Predigers, 49
Und alles nennenswerthen Wissens mächtig)
Besprachen wir uns oft, bis Sommersonne
Versank, und an dem Bach der sanfte West
Die aufgeregte Brust mit Labung kühlte!
Wie oft erwärmten und verkürzten wir
Den Winterabend durch der Freundschaft Streit,
Der Wahrheit Funken aus dem Dunkel rufend,
Wenn so gesucht, am besten noch gefunden,
Und spröder widersteh'nd dem Einsamen!
Die Lippen sinds, so die Idee entfalten;
Rein läuft der Faden ab; wo, nicht, so wird
Er weggethan, zum höchsten aufbehalten,
Um Unsinn anzureihen für ein Lied;
Für so ein modisch unnütz Versewerk,
Das Phantasie befleckt, der Leidenschaft
Unheilig Feuer schürt, nach Venus Tempel
Der Göttin Betervolk zusammenklingelt.
    Weißt du, Lorenzo, was im Freunde liegt?
Wie Bienen aus den würz'gen Blüten schlürfen
Des Nektars reiche Fülle, also saugt
Der Mensch aus Freundschaft Weisheit und Vergnügen;
Zum Zwillingspaar von der Natur verknüpft;
Geschieden sterbend. Wenn kein Freund dir wurde,
In dessen Brust du dein Gemüth ergießest, 50
Dann stockt dein Sinn: verschlossene Gedanken
Bedürfen Luft, sonst modern sie, gleich Gütern
Die in dem Vorrathshaus die Sonne missen.
War reich genug der Mensch mit dem Gedanken,
So blieb die süße Rede uns versagt;
Die Rede, des Gedankens Laufbahn nun!
Auch des Gedankens Prüfungsmaas, die Rede!
Aus seiner Grube kann als Gold er kommen,
Als Schlacke auch; ward er durch's Wort geprägt,
Erkennen wir den ächten Werth; den ächt
Bewährten spare künftigem Gebrauch'.
Du kauf'st mit ihm dir Vortheil, Ruhm vielleicht.
Der ausgesprochne Geist wird uns noch eigner;
Wir lernen lehrend, und behalten gebend
Des Geistes Kind; das stumme wird vergessen.
Die Rede facht des Geistes Feuer an;
Sie glättet seine Rüstung, schärft die Waffen,
Als Schmuck erglänzend, zum Gebrauche scharf.
O welche Schaaren von Ideen stecken,
Der Scheide der Gelehrsamkeit vertraut,
Bis an das Heft in würdevollen Bänden,
Vom Rost erfaßt! sie trügen scharfe Schneide,
Sie blitzten hellen Strahls, gebahr sie Rede,
Und wurde dann der Kinder Segenserbtheil
Die Hälfte nur der mütterlichen Suada! 51
Dem Wechselstoß der Wellen gleich im Kampf'
Bricht der Gedanken Tausch gelehrten Schaum,
Und läutert hell den trägen Sumpf des Grüblers.
    Sucht der Gedanke stolze Zuflucht in
Beschauung? Ach! sie ist so arm als stolz,
Gebricht des regen Lebens Stütze ihr.
Der ungebildete Gedanke treibt
Sich wild umher im Felde der Beschauung;
Des Umgangs Schule zähmt ihn durch den Zügel
Des nöth'gen Zwangs; der Sporn der Eifersucht
Verleiht die milde Lieblichkeit der Kraft,
Die Nebenbuhler stets in Schranken haltend.
Der Umgang bildet uns für Einsamkeit,
Wie für die stille Ruh' Bewegung reift;
Ist er ihr Vormund nicht, raßt die Beschauung,
Den Thoren der Natur besiegt der Thor der Weisheit.
    Das reiche Peru weicht dem Schatz der Weisheit,
Und süßer ist sie als der süße Honig;
Doch immer bleibt sie nur zum Glück ein Mittel.
Erreicht sie's nicht, so ist sie thörichter
Als selbst die Thorheit; ist in Schwermuth toll,
Die Schellenmütze doch der Thorheit missend.
Die Freundschaft, die zur Weisheit leitet, giebt
So reichlich uns das köstliche Vermögen, 52
Das uns die Weisheit erst zur Weisheit macht.
Natur versagt, der Menschenfreundschaft hold,
Und dämpft die Freude, die kein And'rer theilt.
Lust ist ein eingebrachtes Gut, ein Tausch,
Sie scheut das Monopol, und heischt ein Paar.
O reiche Frucht! vom Himmel angepflanzt!
Vom Einzeln nie gepflückt. Nothwendige Genossen
Sind Freunde uns, dem Menschen in Gesellschaft
Den innigen Geschmack am eignen Selbst zu geben;
Fällt senkrecht des Vergnügens Sonnenstrahl
Auf uns, dann bleibt der Lust Gefühl nur dürftig:
Der Wonne Innigkeit heischt Wiederstrahlung;
Erwiedertem Vergnügen glüht die Brust.
    O senkte je sich Himmelsseligkeit
Zur Erde, so erschien' der Göttlichen
Ein Heiligthum, und nur dies einzige,
Den fernen Himmel hold ihr zu ersetzen: –
Des Freundes Brust, wo Herz am Herzen wallt
In sanftem Wechsel, Herz am Herzen ruht
In holder Himmelsrast. Doch wahre dich
Vor ihrem Truggebild; auch an der Flamme
Der Leidenschaft zerschmelzen unsre Herzen,
Doch gleich dem Eis, das bald nur härter friert.
Die ächte Liebe wurzelt in Vernunft,
Der Gegnerinn der Leidenschaft, und Tugend 53
Allein entflammt uns für ein ganzes Leben:
Ich lästre sie – entflammt für Ewigkeit.
Der holden Früchte, welche Freundschaft trägt,
Die holdeste ist Tugend, sanft entbrannt
An Freundes-Zwillingsgluth, wetteifernd rasch
Auf ihrer Bahn. O süße Feindlichkeit!
O holder Kampf! Sie führen Freundschaft nach
Dem Scheitelpunkt, für ewig sie erhärtend.
    So schöpft der Weise aus der Freundschaft denn,
Aus ihr, die meines Liedes frühern Stoff,
Die alte Zeit und Tod, groß überlebt!
Aus Freundschaft, dieser Himmelsblume, schöpft
Er reinstes Erdenglück, und höh're Weisheit,
Die lächelnd Freude mit der Krone schmückt.
    Doch wer ist's, dem Elysiums Blume blüht?
Nur wer daheim sie pflegt, entdeckt sie außen.
Vergieb Lorenzo, dem erzwung'nen Wort' der Liebe,
Die, edel warm, zu tadeln sich nicht scheut.
So reichlich auch an Großen Thorheit haftet,
Doch hängt am festesten ihr toller Wahn,
Daß heil'ge Freundschaft sey ihr leichter Raub,
Gefangen an der Angel goldner Lockung,
Von eines hochgebornen Lächelns Blendwerk.
Das Lächeln wirft der Große und die Schöne
Nach And'rer Herzen aus, erpicht auf's eigne; 54
Erpicht auch wir, wenn solche Netze fliegen.
O ihr, Fortuna's Schaffner! Reichthumsmächte!
Wie kränkt ihr euer Gold durch Felonie,
Wenn ihr für euch der Liebe Ausdruck nehmt:
Tauscht Gold je Freundschaft ein? Schamloses Hoffen!
So wenig als der Mensch den Engel zeugt:
Nur Liebe, Lieb' allein ist Preis der Liebe.
Sey minder stolz, Lorenzo, hoffe nicht
Den Freund, wenn nicht in dir der Freund ihn fand.
Das allbegehrte Gut will keiner zahlen,
Und darum wird ein Freund zum Erdenwunder.
    Doch wie, wenn ich (so Zartem kühn mich nahend!)
Die theure Freundschaft dir verletzlich zeige,
Durch leichte Unbild schon dem Tode nah'?
Verschlossenheit ist Wunde, Mißtrau'n Tod;
Erwäge alles mit dem Freund': doch weil
Auf jedem Zweige dir nicht Freunde wachsen,
Nicht jeder Freund gesund im Marke ist,
Erwäge deinen Freund erst mit dir selbst;
Steh' still und forsche, prüfe; rasch nicht wählend,
Mit Argwohn nicht auf den gewählten blickend:
Entschlossen im Entschluß: erkennend eh'
Du Freund dich nennst, dann trauend bis zum Tode. 55
Das ehrt den Freund, doch ehrt es dich noch mehr.
Welch köstlich Wagestück um höchsten Preis!
Des Freunds Erwerb wiegt jedes Wagniß auf:
Denn »Freundlos ist der Herr der Welt noch arm,
Gewinn ist's, um den Freund die Welt zu geben.«
    So sang Er! (Engel lauschen jetzt dem Engel!
Der Engel Seligkeit quillt halb aus Freundschaft.)
So sang Philander, als sein Freund im reichen Ichor
Im edeln Blut' des Bachus sich bewegte,
Des Purpurgottes, reich erfreuten Geist's,
Mit heit'rer Stirn' und immer frohem Aug'.
Er trank dem Freunde langes Leben zu
Und Tugend; seinem Freund! der, stets ihn mehr
Erwärmend, die Begeistrung höher trieb.
Die Freundschaft ist des Lebens Wein; doch neue Freundschaft
(Das war die seine nicht) nicht stark noch lauter.
O lichte Farbe, Herz erwärmend Feuer,
O himmelwärts erhöh'nder Geist des Freundes,
Den mir so nahe zwanzig Sommer reiften!
Der Falschheit Hefen sanken längst darnieder,
Und jede Tugend der Geselligkeit
Klar wie Kristall, erhob im Innern sich,
Und sich erhebend lächelte sie hold!
Hier Necktar fließt! er perlt vor unserm Auge! 56
Reich dem Geschmack, und aus dem Herzen rein.
O hochgewürzte Seligkeit für Götter!
Auf Erden, wie so selten! wie verloren
Auf Erden! – Ach! Philander ist nicht mehr!
    Däucht dir vom Gegenstand mein Lied berauscht?
Bin ich zu warm? – Ich kann zu warm nicht seyn.
Sehr liebt' ich ihn, jetzt lieb' ich ihn noch mehr.
Den Vögeln gleich, die halb verborgen, nur
In matterm Glanz erscheinen, bis die Schwinge
Sie hebt, und nun ihr glänzend ausgespannt Gefieder
In Gold und Grün und Himmelblau erstrahlt:
So strahlen Wonnen, wenn sie uns entflieh'n!
So floh Philander auch: er floh nach oben,
Wenn je ein Geist nach oben sich erhob.
O ließ' er doch (der Adlergeist!) o ließ'
Im Flug' er eine Feder niedersinken!
Mit ihr hätt' ich ein Werk zu Stand' gebracht,
Das Freunde süß entzückt', das klug der Feind
Ertrüg', der Nebenbuhler kaum verdammt,
Selbst Zoilus auf kurze Frist geschont.
Doch was ich nun vermag, das liegt mir ob:
Entweihung wär's, die Herrlichkeit zu löschen,
Die sich am Himmel selbst entzündet hat,
Und sein verklärtes End' in Schatten einzuhüllen. 57
Wie sollt' ein Gegenstand, so rührend für
Das Herz, und so erhaben, und so wichtig
Dem Menschen, nicht vom Lied gefeiert seyn!
Doch schläft er unerweckt vom Genius
Des Heiden wie des Christen, zu des Geistes Schmach.
Des Menschen höchster Sieg und tiefster Sturz,
Das Todbett des Gerechten! ist noch nicht
Von eines Menschen Hand gemahlt; so werth
Der Himmelshand: die Engel sollten's mahlen,
Die Engel, immer um dies Bett, und dort
Auf einem Posten des Verdienst's, der Freude.
    Darf ich es wagen? Ja! Philander winkt,
Es lockt der Ruhm und süße Neigung ruft.
Doch fühl' ich Bangen, wie die Seele fühlt
In dichter Nacht des wolkennahen Haines,
Im feyerlichen Schatten mächt'ger Trümmer;
Wie sie es fühlt, schaut sie bei bleichem Licht
Der Lampen auf den hochgebornen Staub
Im Grabgewölb, dem unscheinbaren Hof
Der armen Fürsten, die kein Schmeichler labt;
Wie sie es fühlt, naht sie um Mitternacht
Der heil'gen Flamme auf Altären lodernd.
Voranzuschreiten, ist hier Gottesdienst:
Ich zögre noch – ich trete bebend ein 58
In meines Ruhmes Tempel. Ist das hier
Sein Sterbebett? – Es ist sein Heiligthum.
Sieh! wie er sich als Engel aufwärts schwingt!
    Die Kammer, wo der fromme Mensch dem End'
Begegnet, scheidet von gemeiner Straße
Des tugendhaften Lebens sich durch Vorrecht,
Und liegt bereits in dem Gebiet des Himmels.
Unheil'ge flieht! und bleibt ihr, naht mit Ehrfurcht,
Empfangt den Segen, und verehrt die Schickung,
Die euer Leiden führt' in dies Bethesda:
Geneset ihr nicht hier, o dann verzweifelt!
Denn hier verweilt Beweis, den nichts entkräftet:
Das Sterbebett enträthselt uns das Herz.
Hier sinkt der müden Heuchelei die Larve,
Der Meisterin der Lebenspantomime!
Hier schmelzen Schein und Wirklichkeit in Eins;
Den Menschen seht ihr, und sein Gottvertrau'n,
Wenn seine Tugend lauter sich bewährt,
So lauter wie Philanders Tugend war.
Der Himmel wartet nicht das Ziel erst ab,
Schon diesseits Todes kennt er seine Freunde,
Und zeichnet sie den Menschen deutlich aus.
O still beredte Lehre hoher Kraft!
Dem Laster Scham, der Tugend Frieden spendend. 59
    Welch Possenspiel ein stolzer Held auch gebe,
Die Tugend nur ist herrlich groß im Tod',
So größer nur, je grimmiger der Wüthrich!
Er faßte dich, Philander, streng in's Auge!
»Kein warnend Zeichen! Schonungslos Geschick!
Ein rascher Sturz von Mittagslust des Lebens!
Von allem, was wir lieben! sind! die blut'ge Scheidung!
Ein ruhlos Schmerzensbett! ein Fall zur Tiefe,
Die Räthsel bleibt! die Angst der schwachen Menschheit!
Des stärkern Geist's Erbeben vor der Nacht,
Die er nicht kennt! die Sonne ausgelöscht!
Ein eben aufgeschloß'nes Grab! Und ach!
Das letzte, letzte – was? (spricht's Sprache aus,
Erreicht es der Gedank'?) des Freund's Verstummen!«
Wo sind die Schrecken, das Entsetzen, wo?
Die solche düstre Schaar von Leiden (einzeln
Erschütternd schon) vom Menschen strenge fordert?
Für einen Menschen hielt ich ihn bis jetzt.
    Doch durch die Trümmer der Natur, durch die
Besiegte Todesangst strahlt Wonneschimmer!
(Wie Sterne, kämpfend durch die Mitternacht!)
Und Ruhe, höher, als des Menschen Ruhe ist! 60
Wo ist der schwache Sohn der Sterblichkeit?
Der arme in den Staub verwies'ne Wurm?
Wohl sterbend siehst du ihn, doch sterblich nicht!
Sein Thun ist ein Vermächtniß für's Geschlecht,
Das Mammons reiches Erbe übersteigt.
Die Tröster tröstend, groß im Untergehn,
Giebt er den edlen Geist, ihm nicht entrissen,
Mit widerstrebenloser Hoheit hin,
Und schließt beherzt mit seinem Schicksal ab.
    Wie brannten uns're Herzen bei dem Anblick!
Woher der muth'ge Schwung ob Menschenschranken?
Des Daseins letzte Stunde stärkt sein Gott!
Und seinen Gott verherrlicht sie, die Stunde!
Der Himmel würdigt uns, des Menschen Ehre
Als seine Ehre anzusehn. Wir schau'n,
Wir weinen! Schmerz und Freude mischt die Thräne!
Erstaunen drängt und Andacht lodert auf!
Du betest, Christ! Ungläubiger, du glaubst!
    Wie der erhabne Thurm, des Berges luft'ger Gipfel,
Der Sonne Strahl auf ihrem Scheitel fesseln,
Wenn aufwärts Nebel, Schatten niederwärts
Das weite Thal in Dunst und Dunkel hüllen:
So hebt, vom Zweifel unumwölkt, und frei 61
Von der Verzweiflung schwarzer Finsterniß,
Philander hehr sein Haupt zur düstern Stunde,
Die zu der niedern Menge der Gemeinheit,
Ein grenzenlos Entsetzen furchtbar schickt.
Nur süße Ruhe, himmlisch Hoffen, mild Entzücken,
Sie leuchten göttlich der erhöhten Seele;
Zerstörung kleiden sie in goldnen Schimmer,
Und krönen für ein himmlisch Leben ihn
Mit heil'gem Glanz, dem Irdischen versagt.


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