Edward Young
Nachtgedanken
Edward Young

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Dritte Nacht.

Narzissa.


Ignoscenda quidem, scirent si
ignoscere manes.

                                        Virg.

 

Der Herzogin von Portland.

        Vom Reich' der Träume, wo der Geist betäubt
Im Labyrint der Phantasie geirrt,
Erwach' ich wieder zu dem Himmelslicht im Menschen,
Vernunft; und pünktlich, wie sich Liebende
An die gelobten Augenblicke halten,
Folgt zur bestimmten Stunde auch mein Herz
Der Ladung seines Jammers treulich nach.
    Dahin für Tugend ist, für kräft'gen Schwung,
Dahin für jede edle Seelenregung,
Wer sein Alleinseyn Einsamkeit mißnennt!
O selige Gesellschaft! hohe, edle!
Vernunft, und Schutzgeist, und die Gottheit!
Am nächsten uns, wenn alles Andre fern;
Und bald ist außer ihnen fern uns alles.
Wie furchtbar dann, sie ganz allein zu finden, 66
Fremd ihnen! unbekannt! und ungenehm!
Jetzt suche sie, vermähl' dich ihnen, schließe
Sie an die Brust; die Sehnsucht zu erfüllen,
Gewährt die Schöpfung dir nichts Höheres.
Und wünschen wir ein Viertes noch, so ist's
Ein Freund. – Doch Freunde! Ach! wie sterblich sie!
So ist denn dies Verlangen nur gefährlich.
    Behaltet euern Phöbus, Sonnenbarden!
Die ihr, am Urquell heitern Glücks berauscht,
Die Wildniß des Behagens durchgetaumelt,
Wo Sinnlichkeit die Kette der Vernunft
Zerriß, und wild umher in Irre treibt,
Und falsche Ruhe singt, bis Leichentuch
Sie eingehüllt. Verschieden ist mein Loos,
Verschieden mein Gesang; verschieden auch
Die Gottheit, welcher mein Gesang sich weiht.
Des Tages Schwester mit dem milden Blick,
Ihr huld'ge ich, (Endymions Nebenbuhler!)
Und flehe ihren Beistand an; erfleht
Zum erstenmale jetzt, die Muse zu beschützen.
O du, die jüngst der Cynthia Gestalt,
Der eigenen bescheiden nicht gedenk,
Erborgt; o du, die selber uns begeistert
Zur Stund' der Mitternacht! o sprich,
Warum nicht Cynthia des Lieds Beschütz'rin? 67
Wie du ihr Bild, so nimmt sie an dein Wesen,
Und göttlicher nur macht sie solcher Tausch.
    Bedenklich setzten witz'ge Köpfe sich
Dem Umschwung in der Dichterwelt entgegen?
Erhebe, o Gefolg der Pieriden!
In stillen Stunden zu der Luna Bahn
Den inn'gen Ruf nach überirdischer Hilfe;
Denn ihrem Recht steht das des Bruders nach.
Sie führt bei Nacht den labyrintschen Reigen
Der Sphärenharmonien, und hört
Ihr herrlich Lied; ein Lied für Himmlische,
Dem sterblichen Gehöre nicht beschieden.
O send' es uns, du Silberköniginn
Des Himmels! Welcher Name ist dir werther?
Ist's Cynthia? Cyllene? Phoebe! – Oder
Hörst du erfreuter dich die holde Portland
Des Himmels nennen? Lockt der sanfte Zauber,
Den alten Zauber Circe's überwiegend,
Zur Erde dich? O komm, doch bringe von
Dem Göttermahl die Seele des Gesangs
Mit dir, und flüstre mir den Himmelsraub,
Und spende ihn durch freundlich günst'ge Träume
(Dein sind die Träume ja) dem Busen dessen,
Der dich zuerst verehrt, doch nicht zum letzten,
Verbleibst du gütig, wie dein irdisch Bild. 68
    Und gütig bist du, bist es solchem Gegenstande,
Ihm, dir so gleich, ganz eine zweite Luna,
So mild wie du, bescheiden, sanft in Schwermuth
Versenkt, so weiblich und so schön! ihm, der
Mir bleich erschien, und meiner Seele sagte,
Es sey nun Nacht; für ihr geliebtes Hoffen
Sey's ew'ge Nacht, mit gift'germ Hauch gewaffnet,
Als der mich aus Philanders Grab ergriff.
Noch eh' sich dieses schließt, folgt Ihm Narzissa!
Die Leiden schaaren sich, vereinzeln selten;
Zusammen gehn sie gern, sich auf den Füßen folgend.
Ihr Tod beschränkt Sein traurig Recht, und ruft
Den Schmerz, der meinem Aug' für ihn entströmt;
Die Zähre nimmt er weg, die treulos Ihm entgeht,
Und andre theilt er, ehe sie noch fallen.
So oft naht mir der Tod, daß er den Jammer
Nicht nur erregt, nein! ihn mit Jammer mischt;
Um Menschenseufzer kämpfen nebenbuhl'risch
Die Streiche, die er führt, indem er Gram
Zum Wahnsinn macht. Was war, o mein Philander!
Dein Tod? Ein Doppeltod für mich; ein Zeichen,
Ein Schmerz! und eine Drohung, und ein Schlag!
Dem schwarzen Raben gleich ob meiner Ruhe,
Ein Bothe schlimmer Ahnung wie ein Räuber!
Narzissa rief er lang vor ihrer Stunde; 69
Rief ihren zarten Geist vom Keim der Wonne,
Von Erstlingsblüten, von der Freude Knospen;
Den wenigen, die unser schwarz Verhängniß
In rauher Lebensluft noch nicht versehrt.
    O süße Sängerin! so schön als süß!
So jugendlich als schön! so sanft als jung!
So fröhlich als sie sanft! so schuldlos als sie fröhlich!
So glücklich (giebt's hienieden Glück) als gut!
Denn freundlich baute Glück ihr hohen Sitz.
Doch gleich dem Luftbewohner, edel an
Gesang und lieblichem Gefieder, sank,
Vom Pfeil des Todes, (hohes Ziel begehrend)
Sie von des Waldes Gipfel, stumm ihn laßend!
Es starb sein Reiz mit ihrem Wunderlied.
Noch tönt es mir in dem entzückten Ohr.
Noch schmilzt es da, und dringt mit Wonnepein
(O wär' Vergessen möglich!) durch mein Herz!
    Gesang und Huld und Jugend, Liebe, Tugend, Freude!
Die freundliche Gruppirung herrlicher Ideen,
Der Blüten aus dem Paradies, dem unverlornen,
Wir einen sie zur Glut, und knieend bieten
Wir sie dem Himmel dar, als Fülle dessen
Was von dem Himmel uns zu ahnen möglich:
Und alles dies, es war Ihr Eigenthum; 70
Und Sie war mein; und ich war – war! – so selig –
O froher Name für den tiefsten Jammer!
Wie Körper schwerer sind, wenn Leben floh,
So wiegt ein Gut, das du verlor'st, an Schmerzen schwerer,
Als, da es dir gewonnen war, an Lust.
Dem Blütenbaume gleich, vom Lenzsturm überwältigt,
Lag lieblich auch im Tod' die holde Leiche;
Wenn lieblich auch im Tod', noch lieblicher,
Viel lieblicher noch dort! Dem Mitgefühl
Entströmt der Liebe inn'ge Thränenfluth.
Und hätte Ernst nicht für den Seufzer Nachsicht?
Verschmäht sey Stolz, der sich der Zähre schämt!
Die Zähre nur beschämt, die uns beherrscht. –
Wer einen Engel mißt, der wein' mit mir!
    Ach! wie in ihrem Aug' der Strahl erbleichte,
Zur Dämmerung vor unsern Blicken dunkelnd,
Und auf der Wange, wo der Lenz geblüht,
Sich blasse Vorbedeutung niederließ,
Mit Angst bedrängend Alle, die sie sahen,
(Und wer, der einmal sie gesehn, vermochte
Den Blick von ihrem Antliz abzuwenden?)
In Eile, Vatereile, flog ich da, 71
Entführte sie dem kalten Land des Nordens,
Doch ihrer Wiege, angehaucht vom Eis
Des Boreas; trug sie der Sonne näher:
Die Sonne (als sey sie des Neides fähig)
Entzog den Strahl, gewohnten Beistand weigernd,
Und sah sie sinken, kalt, als sänken Lilien,
Die schönsten Lilien, nicht so schön als sie!
    O Königslilien! Farbenreiche Schaar!
Die ihr die Flur bewohnt im duft'gen Leben,
Im Doppelthau die holden Reize badet,
Und Sonne trinkt, die eure Wangen färbt,
Daß sie die Jungfrau'n all' (nur meine nicht)
Reich überblüh'n; ihr wuchset froher auf,
In stillem Sehnsuchtstolz auf ihre Hand,
Die oft euch, Kelche voll des süßen Weihrauchs,
Gepflückt, den ihr der reinen Seele zolltet.
Ihr holden Flüchtigen! Geschlecht, das mit
Dem Menschen lebt! dem Menschen lächelt ihr;
Warum nicht über ihn? Vergänglichkeit
Theilt ihr mit ihm, doch nicht die stete Qual.
    So ist der Mensch: nichts bringt ihm Lust, was nicht
Der Leidenschaften Glut in ihm erregt;
Und Glut der Leidenschaft, nach Ird'schem lüstern,
Muß doch zuletzt mit Angst die Stelle wechseln; 72
Und o wie hart folgt Angst auf das Entzücken!
Entzücken! Kühner Mensch! versuchst du Gott,
Die sterblichem Geschmack versagte Frucht
Dir pflückend hier, in Himmelsrechte greifend?
Entzücken soll dir jede Stunde bringen,
Lorenzo? Laß des Freundes Schaden dich belehren:
Auf Erde stütz' dich nicht, sie bohrt durch's Herz;
Im besten Fall' als ein zerbrochen Rohr,
Oft als ein Speer, an dessen scharfer Spitze
Der Friede blutet, und die Hoffnung stirbt.
    Laß' von Ihr ab, Gedanke! hoffnungsloser!
Doch grollend faßt sich der verscheuchte wieder,
Und weckt die Qualen auf in meiner Brust.
Geraubt vor deinem Lenz'! in jener Stunde,
Die dich als Braut begrüßt! in der das Glück
Dich hold mit dem Geliebten angelächelt!
Und deiner Freuden Knospen, frisch geöffnet,
In Blütenpracht geprangt! der blinde Mensch
Dein Schicksal pries zu Seligkeit vollendet!
Und auf dem fremden Land, wo Fremde weinten!
Dir Fremde, und, was wunderbarer noch,
Dem zärteren Gefühl auch Fremde, weinten.
Ihr Aug' vergoß erbarmungslose Thränen!
O Thränen seltner Art! aus Marmorherzen träufelnd! 73
Verhärtetes Gefühl, das, als Gefühl,
Wie hart sie sey'n, wie milderer Natur
Zum Trotz, in ihrer Meinung fest gestählt,
Nur lauter noch bezeugt. Natur zerfloß
In Schmerz, doch Wuth des Aberglaubens glühte!
Der Todten weinte sie, – er gab kein Grab.
    Zur Wuth entflammten ihre Seufzer nur;
Die Seufzer, welche fremd dem Willen! Ihm,
Den Tiger aufgesäugt, der höhnt den Sturm!
Denn, o verruchter, gottvergess'ner Eifer!
Weil sündig Fleisch der Rührung wich, versteinte
Der Geist, im Schoos des blinden Glaubens
Erzogen, der geweihte Geist die Brust,
Und weigerte die milde Gabe Staubs,
Den Staub zu decken! Unversagt dem Thier'!
Was konnt' ich thun? wo Hilfe, Zuflucht finden?
Im frommen Gottesraub' stahl ich ein Grab;
In frevelhafter Frömmigkeit bekränkte
Ich dieses Grab: zu rasch in meiner Pflicht,
Verzagt in meinem Schmerz! Mehr Ihrem Mörder,
Als Ihrem Freunde gleich, schlich ich mit leis
Gehaltnem Tritt, und tiefverhüllt in Dunkel
Der Mitternacht haucht' ich den letzten Seufzer
Nur flüsternd aus; ich flüsterte, was laut
Der Wiederhall durch jene Länder tragen sollte! 74
Und Ihren Namen, dessen Denkmal sich
Zum Himmel schwingen sollt', ich schrieb ihn nicht.
Verwegne Furcht! Durft' ich die Feinde scheuen,
Erfüllend, was Natur am laut'sten heischt?
Vergieb dem Zwange, sel'ger Geist! Von Schmerz,
Von Zorn' im Wechselkampfe floß ich über,
Und in die Andacht mischte sich der Fluch;
Dem Menschen gram, fleht' ich zu seinem Gotte:
Dem Wildenland mißgönnt' ich aufgebracht
Den heil'gen Staub, verfluchten Boden stampfend;
Doch ihnen allen gab in Menschlichkeit
Mein Wunsch (das was sie Ihr versagt) ein Grab.
    Erglüht mein Groll zur Schuld? doch welche Schuld
Wiegt die Entweihung denn der Todten auf?
Wie heilig sind die Todten! heilig ist
Der Staub der aufrecht göttlichen Gestalt,
Die aus des Himmels Hand hervorgegangen!
Der Staub des herrlichen Gewands aus Erde,
Vom Himmel angenommen, angelegt
Mit Huld von dem, der unermeß'ne Räume
Mit glänzendem Azur behing und mit
Dem goldnen Strahl die Sonne eingekleidet.
Wenn jede Glut der Leidenschaft entschlief,
Und jedes mildere Gefühl uns rührt, 75
Wenn ohne Widerstand der Groll sich lösen dürfte,
(Der stärkste Zaum für Rachgier und für Haß!)
Dann grollen mit dem Staub! der Unschuld Staub!
Des Engels Staub! So weit geht Satan nicht!
Als er um das Gebein des Patriarchen kämpfte,
Da war's des Stolzes Streit, der Bosheit nicht;
Der Streit der Priesterhoffart, nicht der Priestergalle.
    Geringeres als das empört an dem Geschlecht,
Das arm ist, strömt nicht reiche Wechselliebe:
Das unerschaffen, liebt' es nicht sein Gott,
Und liebt' es nicht sein Gott, im Augenblick verloren,
Verschlungen vom Geschick, versunken wäre
In Nacht, die keine Grenzen kennt.
Der Mensch mit hartem Herzen gegen Mensch!
Er ist das Schrecklichste des Schrecklichen,
Und des Erstaunlichen Erstaunlichstes!
Und doch ist seine Freundlichkeit oft nur
Gelind're Kränkung; Hochmuth schleudert uns
Begünst'gung zu, die er gewährt, und Schmach
Wird seine Menschenliebe: was vermag
Die Rache mehr? O hört es nicht, ihr Sterne!
Und du, o bleicher Mond! werd' bleicher noch,
Wenn du's vernimmst, daß für den Menschen Mensch
Der Übel sicherstes und schwerstes ist. 76
Der Windstoß meldet nahes Ungewitter,
Und eh' sie fallen, dräut der Thürme Schwanken,
Volkane brüllen, eh' sie Flammen sprüh'n,
Eh' sie den Todesrachen öffnet, bebt
Die Erde, und der Feuersbrunst Verheerung
Verräth der Dampf: doch das Verderben, das
Vom Menschen kommt, ist am verborgensten,
Wenn es sich naht, und schickt erst mit dem Streiche
Die Schreckenspost. – Träumt meine Phantasie?
O wär' es Traum! Des Himmels hoher Herr
Verschont die Wesen, die er schuf, nur nicht
Sich selber, mit dem Gräul, ein Menschenherz
In seiner ganzen Blöße anzuschauen.
    Mein Lied entbrennt? O laß' das Lied entbrennen!
Wer glühet nicht, der, was er spricht, empfindet,
Im zärtsten Nerven es, im Freund' empfindet?
Den Menschen Schmach! Philander hatte Feinde,
Und fühlte so, was ich dir eben sang;
Ich fühlte es in ihm; doch beide fühlen
Wir's nun nicht mehr. Vergangne Leiden schwanden
An dir, Narzissa, frische Herzenswunde!
An andern Sorgen blut' ich nun, an andern Schmerzen;
An Schmerzen, zahllos wie der Leiden Schaar,
Die schwärmend um dein selten Schicksal hing, 77
Dem Heuschreckschwarme gleich im Land des Nils,
Und tödlicher den Tod, das Grab noch dunkler machte.
Gedenkst du meiner rührenden Geschichte,
So fühl' in jedem Zug' den Schlangenstachel!
Die Schlang' in jedem, und das All ein Hydra-Jammer!
Genügte hier die Riesenkraft Alzid's? –
Ist's Tugend nicht, zu unterliegen hier?
Ein Thränenstrom benetzt die Greisenwange,
Und jeder Schmerz hat seine eigne Thräne,
Und jeder, so im Einzelnen betrauert,
Erheischt, von dem Gesammtschmerz noch erhöht,
Der Trauer immer mehr. Ein Schmerz, wie der
Läßt keinen Eigenthümer zu! Selbst Freunde
Beweinen nicht allein ein solch Begängniß:
Es hüllt das menschliche Geschlecht in Trauer;
So weit den Unglücksruf die Schwinge trägt,
Erpreßt es Seufzer, und der frohsten Jugend
Ergötzlichste Gedanken leitet es
Die rechte Bahn, hindurch das Thal des Todes.
    Das Todesthal! Das still' cimmerisch Thal,
Wo über unvollendeten Geschicken
Die Finsterniß mit Rabenflügeln brütend,
Des Tages harrt, des Schreckentages! der 78
Den Wechsel untersagt für alle Zukunft.
Die unterird'sche Welt! das Trümmerland!
Der ächte Weg, Lorenzo, für den Stolz
Des Menschengeist's! Laß' meinen wandeln dort,
Balsam'sche Wahrheit suchen, heilende
Gesinnung, ach! so nöthig hier und so willkommen.
Dem fröhlichen Lorenzo und dir selbst
Zu lieb, o meine Seele! prüf' die Früchte,
Die uns der Tod der Freunde bringt; enthüll'
Des Lebens Eitelkeit; wäg' Tod mit Leben;
Dem Tod' gewähr' sein Lob; die Furcht besiege;
Erstreb' der edlen Seelen höchsten Preis:
Des Grabesschreckens männliche Verachtung!
    Die Erndte sammle auf Narzissa's Grab!
Die Fabel lies aus Ajax Blut' entsprossen
Die Trauerblume von dem Schmerz gezeichnet.
So sproß aus meiner Todeswunde Weisheit.
Doch vorerst zeige uns des Freundestodes Früchte.
Sie bringen doppelt Doppelbeistand uns;
Verdrängend Leichtsinn, Furcht, und Stolz, und Schuld.
    Der Freunde Tod beschattet uns mit Wolken,
Zu dämpfen heiß entbrannte Glut; zu mildern
Den Lebensglanz, der oft den Weisen blendet.
Der Freunde Tod bahnt uns den rauhen Pfad 79
Zum eignen Grab; er bricht durch jene Schranken
Der abscheuvollen Angst, womit Natur
Den schon gesperrten Weg uns schwer verlegt;
Und macht uns so vor jedem Sturm den Hafen
So lieb als sicher. Jeder Freund, den uns
Das Schicksal raubt, ist einer Feder gleich,
Die aus der Schwinge unsrer Eitelkeit
Gerissen, uns aus luft'ger Höhe zieht,
Daß, bebend vor des eignen Falles Ahnung,
Wir auf dem schlaffen Flügel matter Ehrsucht
Kaum noch der Erde Fläche überstreifen,
Bis wir sie spalten, um die Handvoll Staub
Auf der Verwesung Stätte auszustreu'n,
Befreiend von der Last die Welt. Ja! Engel sind
Erbleichte Freunde uns, und Liebesbothen;
Für uns nur schmachten, uns nur sterben sie:
Und sollen sie vergeblich schmachten, sterben?
Undankbar kränkten wir die treue Schatten,
Die auf Verwandlung unsers Sinnes harren?
Verschmähten ihre stille sanfte Meldung,
Den Wink jenseits des Grab's, ihr fromm Gebet?
Gefühllos träten wir, der Heerde gleich,
Die auf den heil'gen Gräbern gras't, mit Füßen
Der Sterbestunde letzte tiefe Wehen, 80
Enterbten ihre Angst um uns, zerstörten
Den Segen ihres Tods auf unser Haupt?
    Lorenzo! nein; ergieb dich dem Gedanken
Des Todes; gieb ihm heilsame Gewalt!
Laß' ihn mit väterlicher Züchtigung
In deiner lebensfrohen Seele herrschen.
Sein Reich führt dich ruhmvoll erobernd weit
Und stillt in der empörten Brust den Kampf.
Beginne, sel'ge Zeit! brecht an, o goldne Tage!
Des Todes Bild begeistre göttlich uns!
Und warum dächtest du denn seiner nicht?
Ist Leben nur des Sinnens Gegenstand?
Und jeder Stunde Wunsch? der Freude Lied?
O daß es Wahrheit ist, ob der ich staune!
So seltsam zeigt sich nicht die Zärtlichkeit
Des treuen Jagdfreunds, den sein Herr mißhandelt.
Ich schweige von der großen Schaar der Leiden,
Die unser Leben als ihr Eigenthum,
Als zugewies'ne Beute an sich reissen;
Doch eh' der Mensch die schwere Reise halb
Zurückgelegt, ließ seine Üppigkeit
Ihm keinen Rückhalt, keine frische Freude,
Kein unbetastetes Vergnügen mehr;
Mit kalter Speise nährt ihn Wiederholung.
Er käut in unschmackhafter Gegenwart 81
Vergang'nes nur; und kaut's mit Überdruß;
Und kann es mühsam nur hinunterschlingen.
Verschwenderischen Ahnherrn gleich, enterbten
Die frühern Jahre ihm die spät're Stunden,
Die, bei den armen Überresten darbend,
Auf dem gewes'nen Erbgut Ähren lesen.
    Hier immer leben! – Schrecklicher Gedanke!
So schrecklich, daß der Wunsch ihn selber läugnet;
Beschämt es läugnet, was er thöricht wünscht.
Ein ewig lichtlos Seyn in Mutterleib!
Wozu ein unaufhörlich Leben hier? –
Den müden Schritt in alte Bahn zu setzen?
Im ew'gen Kreis zu gehn? Hinanzuklimmen
Des Lebens schweres abgenutztes Rad,
Das uns des Neuen nichts zu Tage bringt?
Die ausgefahrne Spur stets zu befahren?
Das arme Heut des Gestern spotten heißen?
Vom Einerlei zum Überdruß gesättigt,
Zu gähnen in der Freude Angesicht?
Dem Elend für Veränderung zu danken,
So trüb sie sey? Zu sehen, was wir sah'n?
Uns taub zu hören an des alten Mährchens
Stets wiederkehrendem Gewäsch? Was wir
Geschmeckt, zu schmecken, minder schmackhaft
So oft es kommt? Die neue Traubenlese 82
Den Gaumen durchzukeltern? Hinzupressen
Ein schaler Jahr durch überladene Gefäße
Und schlaffern Nervenbau? Hinfällig Werkzeug,
Der Erde Riesenvorrath zu zermalmen!
Wie schlecht zermalmt, wie schlechter noch verdaut!
Nur Bürde, Leben nicht! Vernunftbegabter,
Doch schmutziger Kanal des Übermaßes!
Der tollen Üppigkeit stets strömender
Erguß! bei jedem Schluck' erzitternd, daß
Der Tod aus unsrer Hand den Becher reiße.
    Das ist der Feinen allerfeinstes Sehnen!
So wünschten sie's: des zierlichen Verlangens!
Was laden sie nicht auch den Stall, der brüllt, die Wildniß?
Doch – solch ein Beispiel thut den Prassern weh.
Wozu bezwingt sie nicht der Tugend Mangel,
Das ist, der Mangel des Verstands? (Obwohl
Sie sprüh'nden Geist den Vater ihrer Launen nennen!)
Er zwingt sie eitle Welt zu lieben und zu hassen.
Das Leben, die Harpie voll Schminke, die
Sie jeden Tag und jeden Augenblick
Als Thoren höhnt, zu schelten und zu frei'n;
Dem Schlechten aus der Furcht vor Schlimmerem
Zu schmeicheln; sich zu hängen an die Klippe,
(Für sie an Gütern arm und scharf an Schmerzen, 83
Und stündlich schwarz von nahen Ungewittern,
Berüchtigt durch der Menschenhoffnung Trümmer)
Und dort dem offnen Abgrund' zu erbeben.
Sieh' ihre Siege hier und ihre Freudenqualen!
    Zeit ist es, hohe Zeit, die grause Szene
Zu ändern. Welche Kunst erlöst von solchem Gräul,
So fest umklammert? Eine einz'ge nur;
Doch diese einzige steht Allen frei;
Die Tugend – sie, die wunderthät'ge Göttin!
Beblumt den Fels, zähmt die Harpie in Schminke;
Und, was noch mehr dich überrascht, Lorenzo!
Verleiht dem stechen Einerlei des Lebens,
Dem welken Überdruß des Wechsels Würze,
Den Zirkel der Natur zur Linie wandelnd.
Lorenzo, glaubst du dies? Gieb mir Gehör,
Geduldig gieb Gehör und glaub' erröthend.
    Erschlaffend schwer drückt Wiederholung nieder,
Und immerdar muß sie bedrängen den
Der nur im Blicke, Duft, Geschmack sich freut.
Das Kuckukslied der Jahreszeiten tönt
Dieselbe geistesarme Melodie,
Wenn unser kind'scher Sinn an dem nur hängt,
Was sie für ihn aus Erdenschoos gewinnen;
Doch edler Sinn, an Früchten sich ergötzend,
Die nicht der Sonne Glut zur Reife bringt, 84
Verleiht den Tagen Mannigfaltigkeit,
Wie sie im Strahl' am Hals der Taube spielt.
Für Seelen, welche Taubenunschuld schmückt,
Für lichte Seelen, licht im Glanz der Tugend,
Währt Nichts zu lang, kehrt Altes nicht zurück
In dem, was ihres Lebens Sehnen sucht.
Ihr herrlich Streben, himmelwärts beschwingt
Von Hoffnung, sieht ein jeder junger Tag
Stets höher steigen; und dem reifern Werth
Bringt gütig jede Morgendämmerung
In frischer Gabe Kraft und Glanz und Ruhm;
Indeß Natur, die stete Kreisbahn rollend,
Die unter solchem Himmelsstreben liegt,
Der Wall'rin Seele holde Aussicht holder
Mit jeder Stund' enthüllt, geht Tugend auf
Dem graden Pfad zu ew'gem Glück hinüber;
Die Tugend: warm dem Christen eingehaucht!
Zum Glück: dem weisen Christen fest verbürgt!
    Und sollte Tugend uns (sprichst du) zur Untreu locken?
Darf uns der Ruf zum Glück den Glauben nehmen?
Vernimm was ewig wahr, von Wenigen
Bezweifelt, doch geglaubt von Wenigern:
»An diesem Leben sündigt der Verächter
Des kommenden.« Was ist das Leben hier? 85
Wie Wen'ge kennen ihren Günstling recht!
Im Dunkeln zärtlich und liebkosend blind
Entwürd'gen wir, so heiß am Leben hängend,
Zu todt es küssend, das geliebte Leben.
Und was der Ewigkeit allein gebührt,
Das zollen wir der Zeit, und wähnen träumend,
Es sey der Reise Bahn der Hafen selbst.
Des Lebens Werth ist: Mittel seyn, nicht Ziel;
Als Ziel erbarmenswerth! als Mittel herrlich!
Als unser Alles nichts; und wen'ger noch,
Der Schmerzen Sitz: als Nichts betrachtet, Viel.
Der launenhaften Schönen gleich ergiebt
Es sich am liebsten karger Huldigung;
Gewährt für leichte Achtung höchsten Werth;
Dann wird es Sitz der Wonne, reich an Frieden,
An Aussicht reicher noch, erhaben, hehr!
Zu nennen nur mit lautem Jubelruf'!
Zu denken nur mit freudigem Entzücken!
Der mächt'ge Pfeiler ew'ger Seligkeit!
    Wo nun der öde Fels? wo die geschminkte Furie?
Lorenzo, wo des Lebens ew'ger Kreislauf?
Hab' ich mein dreifach Wort nun ausgelößt?
Die Welt ist eitel; doch dem Eiteln nur.
Mit was vergleichen wir die bunte Szene, 86
Die, räthselhaft, an Werthe steigt und fällt;
Und wächst und schwindet? (Mir in allem hold
Steht hier die Nacht mir bei.) Vergleiche sie
Dem Monde, der an sich nur dunkel, dürftig,
Den reichen Schimmer borgt bei höh'rer Sphäre.
Stellt schwere Schuld sich zwischen Erd' und Himmel,
Dann trauert lang', in Schatten eingehüllt,
Die Erde über tiefe Nacht der Freuden;
Der Freuden, deren hellster Glanz nur bleich
Erscheint, wenn du sie mit dem Quell vergleichst
Der Strahlenherrlichkeit, der sie entströmen.
    Und diese Herrlichkeit ist uns nicht ferne.
Lorenzo! o ein guter Mensch, ein Engel –
Welch' dünne Scheidewand nur zwischen beiden!
Und was trennt sie? Vielleicht ein Augenblick,
Ein Jahr vielleicht; und wär' es ein Jahrhundert,
Doch ists nur ein Moment, gilt Ewigkeit.
So sey denn, was die einst gewesen, die
Nun Götter sind; sey, was Philander war,
Und strebe himmelwärts. Bebt die Natur,
Die schüchterne, am dunkeln Pfad' zurück?
Nenn's sanften Übergang, und fasse Muth.
Das ist er oft, warum nicht auch für dich?
Das Beste hofft ein frommer, weiser Muth;
Und was er hofft mag er sich selbst erwerben. 87
Dem Leben schmeichelt man, den Tod verläugnend;
Vergleich' die Feinde, krön' den Gütigsten.
»Der sonderbare Streit!« Ja! sonderbar!
So wenig legt das Leben in die Schale.
    In's Joch des Staubes beugt den Geist das Leben;
Der Tod giebt ihm zum Sphärenschwung die Flügel.
Durch Spalten, die wir Sinne nennen, blinzt
Zum Licht das Leben; doch der Tod zerreißt
Die Wolkenhüll' um uns, und Tag wird alles;
Entkörpert ist die Kraft ganz Aug', ganz Ohr.
Natur fühlt nicht des Tods erträumte Wehen;
Doch Weisheit muß des Lebens Qualen fühlen.
Wirft nicht des Lebens Tirannei den Geist,
Des Himmels mächt'gen Sohn, vom Thron' in Fesseln,
Den Tod befreit, veredelt und vergöttlicht?
Der Tod begräbt den Leib, den Geist das Leben.
    »Ist schuldlos denn der Tod? Wie zeichnet er
Den Pfad mit Schreckens-Untergang des Herrlichen!
Genie und Kunst, Vermögen, hohe Macht,
Erleuchten diese Welt harmonisch mannigfaltig;
Sie löscht der Tod, und läßt uns in dem Dunkel.«
Die Klage ist nicht ungerecht, Lorenzo: 88
Den Weisen wie den Großen, mächtige
Monarchen, Könige, Eroberer,
Erniedrigt Tod; doch grausamer den Menschen
Das Leben. Denn in ihm siegt morsche Hülle,
Im Tode siegt der ew'ge Gottesgeist!
Des Todes Schrecken giebt das schwache Leben,
Des Lebens ächte Lust giebt hold der Tod.
Mit keiner Wonne mag das Leben prahlen,
Die nicht in höherm Maas der Tod uns schenkt.
Als Schuldner hängt das Leben an dem Grab,
Dem finstern Gitter vor dem ew'gen Tag!
    Erröthe Freund, der Zärtlichkeit fürs Leben,
Das Himmelsgeist als schnöden Bothen sendet,
Den Sinnen einzuthun und Tafeln zu beschicken,
Wo jeder Gast der Wildniß, jeder Wurm
Den Rang mit Recht uns streitig machen darf.
Des leckern Mahls! Die Seele, hehr unsterblich,
Versenkt in allem Hochgenuß' des Thiers!
Erröthe, Freund, des Schreckens vor dem Tode,
Der dich zur Ruhe führt in Himmelslauben,
Wo Nektar perlt, die Schalen Engel füllen
Und höh're Wesen noch als Engel sind,
Der Seligkeit Entstehen, Blüh'n und Fülle
Verew'gend mitgenießen, heben, krönen.
Bedarf es mehr? O Tod, dein ist die Palme! 89
    Willkommen Tod! denn deine Schreckensbothen!
Ich grüße Alter, dich, und dich, o Krankheit;
So lange bist du schon mein Schmerzensgast,
Am zarten Lebensband der Nerven zerrend;
Greifst du noch schärfer, so ertönt die Glocke,
Die meiner Freunde Paar zur Leiche ruft,
Dann fließt vielleicht der schwachen Menschheit Zähre,
Indeß Vernunft und Glaub', das Beß're wissend,
Den Todten glücklich preisen und sein Grab
Mit Siegeskränzen schmücken. Tod ist Sieg;
In Ketten schlägt er wilde Lebensqualen:
Und Lust und Ehrgeitz, Zorn und Habsucht zieh'n
An seinem Wagen, jubelnd seiner Macht.
Daß nagend Ungemach und herbe Sorge
Unsterblich nicht, das ist, o Tod! dein Werk.
Auflösungstag! – Gieb ihm den ächten Namen,
Vergeltungstag der reichen, reifen Ernte.
Was mehr, wenn auch die allzuscharfe Sichel
Mit unserm Blut' die goldne Garbe netzt?
Noch Köstlichers als Gileads Balsam heilt.
Im leisen Wimmern der Geburt, wie in des Todes
Entsetzlich hohlem Röcheln zollt Natur,
Die mild besteuerte, für hohen Werth
Nur leicht: denn beide geben ihr ein Leben! 90
Doch so hoch steht das letzte über'm ersten,
Daß Erdenleben im Vergleiche stirbt,
Und jenseits Grabes erst das Leben lebt.
    Und der Gedank' an dich, o Tod! verliehe
Mir keine Lust? Du großer Herr des Rathes
Begeisterst ja die Brust des Erdensiedlers
Zu reinem Sinn' und hoher Edelthat.
Erlöser Tod! der erst den Menschen rettet!
Vergelter Tod! der dem Erlößten lohnt!
Es spricht der Tod mein Daseyn los vom Fluche!
O reicher Tod! der Sorge mir, und Mühe,
Und Tugend, Hoffnung wahr und wirksam macht;
Denn ohne ihn verblieben sie nur Traum.
Der Tod, das Ziel der Pein, der Freude nicht;
Es bleibt der Freude Quell und Gegenstand
Stets unversehrt; in meinem Geiste jener,
Und dieser in des Geistes großem Vater.
Und kämpften auch um meinen Staub die Stürme:
Von Stürmen, Wellen und der Nacht des Abgrunds
Verlang' ich den gefang'nen Staub zurück,
(Zerstäubt einst selbst der herrlichen Natur
Erhabenstes harmonisches Gebäude!)
Und dann beginnt mein volles Leben erst.
Des Lebens edle Krone ist der Tod;
Wär' Tod versagt, vergeblich wär' das arme Leben; 91
Wär' Tod versagt, das Leben wär' nicht Leben;
Wär' Tod versagt, selbst Thoren wünschten Tod.
Der Tod verletzt, zur Heilung uns zu führen;
Wir fallen, wir erheben uns, wir herrschen!
Aus Fesseln schweben wir, den Himmel fassend,
Wo unserm Blick das blüh'nde Eden welkt.
Mehr giebt der Tod, als wir an Eden missen:
Zum Friedensfürsten wird der Schrecken König.
Wann sterbe ich der Eitelkeit, dem Schmerz, dem Tode?
Wann sterbe ich? – Wann lebe ich auf ewig?


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