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Dreizehntes Kapitel.

In London gab Yardley seinen Handkoffer in Verwahrung und ging nach einem Gebäude in der Nähe von Leicester Square, wo sich mehrere Theater-Agenturen eingenistet haben. Er betrat das Büro von »W. L. Drake, Konzert- und Vortrags-Agenten« und wurde von einer Schreibmaschinendame empfangen, die ihn fragte, was er wünsche.

»Ich möchte Herrn William Drake sprechen«, sagte Yardley, worauf das junge Mädchen sich seine Karte ausbat und erklärte, sie wolle nachsehen, ob der Chef zu sprechen sei.

Frank Yardley lächelte zuversichtlich, und wirklich kehrte das junge Mädchen sofort zurück – in Begleitung des berühmten Agenten in eigener Person: einem rosigen, lebhaften Männchen mit rötlichem Haar und breitem strahlendem Lächeln.

»Wahrhaftiger Gott, Frank Yardley!«

»Hallo, Willy!« erwiderte Frank und schüttelte ihm herzhaft die Hand.

»Komm herein! Das ist ja famos! Frühstück? Ich bin eingeladen, kann aber leicht absagen. Na, wie geht's denn? Siehst ja aus, als wolltest du heiraten!«

»Will ich auch«, lachte Frank. »Aber heute morgen noch nicht. Und sag' nicht meinetwegen ab, wenn du es nicht gern tust. Willy, ich komme in Geschäften.«

Sie befanden sich jetzt im Privatbüro des Agenten, und Drake sah sich eifrig nach Zigarren um.

»In Geschäften!« Er brüllte vor Lachen. »Das ist großartig! Willst du mich etwa zwingen, dich aus alter Freundschaft auf die Liste meiner Primadonnen zu setzen? Ich habe mehr als genug, kann ich dir sagen!«

Ihre Freundschaft war wirklich alt; denn sie stammte aus der Vorschulzeit.

»Etwas Aehnliches plane ich allerdings«, sagte Frank.

Er zündete sich eine der angebotenen Zigarren an und wartete dann, während Drake sich mit einer von seinen Damen in Verbindung setzte und ihr auftrug, eine andere Person anzurufen und zu sagen, daß Herr Drake leider verhindert sei, heute zum Frühstück zu kommen. Dann schnurrte er auf seinem Drehsessel herum und wandte sich Frank wieder zu.

»Also, nun los damit!« sagte er.

»Nun, die Sache ist die: Hast du auch mit Ausländerinnen zu tun, Willy?«

»Herrgott, und ob!«

»Zum Beispiel mit einer sehr reizenden Französin, die sehr hübsch singt, aber noch nie öffentlich aufgetreten ist?«

Drake grinste verschmitzt. »Interessierst du dich persönlich für die Dame?« fragte er.

»Ich habe sie nie gesehen, hoffe aber bald Gelegenheit zu haben. Habe nur von einem Polizisten gehört, daß sie eine hübsche Stimme hat und sich aufs Singen versteht. Was ich von dir haben möchte, Willy, ist ein netter, mit Maschine geschriebener Brief an mich. Ich werde ihn selbst diktieren, wenn eins von deinen Mädels so gut sein will, zu stenographieren.«

»Ist das ein Scherz? Natürlich tue ich dir gern einen Gefallen, alter Kerl!«

»Laß mich erst den Brief diktieren«, sagte Frank. »Nachher werde ich dir alles erklären.«

So wurde Fräulein Morris hereingerufen, und Frank diktierte rasch und fließend, während Drake verwundert zuhörte:

 

»Mein lieber Yardley! Leider muß ich verreisen und kann deshalb nicht weiter mit Dir über Madame Legaud sprechen. Ich habe sie nicht selbst singen hören, aber ich weiß ja, daß ich mich auf Dein Urteil verlassen kann – ebenso wie auf das Urteil von Madame Dupont. Habe soeben Madame Legauds Adresse ermittelt: Antierres. Ein Städtchen im Rhonetal.

Ich glaube, daß ihr Gatte irgendeine Anstellung im dortigen Gefängnis hat. Es kann natürlich sein, daß ihre Stimme den Beschreibungen meiner Leute nicht entspricht. Sollte sie aber den Anforderungen der W. L. Drake-Konzertreisen entsprechen und geneigt sein, sich für – sagen wir, zwölf Konzerte zu verpflichten, so würde ich ihr das übliche Anfänger-Honorar von je zwanzig Pfund Sterling zahlen, wobei sie für die Unterhaltskosten selbst aufkommen müßte.

Vor allen Dingen muß ich aber darauf bestehen, daß Du sie selbst öffentlich singen hörst, bevor Du mit ihr abschließt, da ich Dir gegenüber wohl kaum zu erwähnen brauche, daß eine gute Haltung und Erscheinung erforderlich sind.

Ich wiederhole, daß ich volles Vertrauen zu Deinem, sowie zu Madame Duponts Urteil habe, und bleibe stets

Dein herzlich ergebener
W. L. Drake.

P. S. Scheck für Deine Ausgaben und Dein Gehalt für die laufende Woche lege ich bei.«

 

Yardley lehnte sich zurück und reckte sich. »Danke, das ist alles«, sagte er zu dem befremdeten Fräulein Morris.

»Ach ja – bitte schreiben Sie dies auf Geschäftspapier Ihrer Firma ab, und füllen Sie die Vertragsformulare in der üblichen Weise aus. Herr Drake wird sie unterschreiben.«

Der Agent wartete, bis das junge Mädchen das Zimmer verlassen hatte. Dann fragte er trocken: »Bist du auch ganz sicher, daß dies alles ist, Frank? Wie ist's mit dem Scheck für deine Auslagen und dein Gehalt? Und findest du nicht, daß zwanzig Pfund Sterling für das Konzert einer unbekannten Frau, die noch nie öffentlich gesungen hat, ein etwas reichliches Honorar ist?«

Frank lachte. »Das ist alles in Ordnung«, sagte er. »Ich brauche sie ja nicht anzunehmen, weißt du. Aber wenn sie nun gut ist, was dann?«

»Ich habe volles Vertrauen zu deinem Urteil!« murmelte Drake. »Aber nun sage mal, was für ein Witz ist dies eigentlich? Du könntest mich doch ins Vertrauen ziehen.«

»Der Witz besteht darin«, sagte Frank, »daß ein hoher Angestellter von Scotland Yard mich ersucht hat, ihm beim Aufspüren von Peter Seminows Mörder behilflich zu sein.«

»Herr des Himmels!« rief Drake, atemlos vor Spannung, aus. »Hat dich ersucht –«

»Bitte, keine Zweifel, Willy! Ich beschäftige mich seit sechs Jahren mit dem Studium der Kriminalistik –«

»Das merkt man!« spottete sein Freund.

»Und überdies, wenn ich es nicht vor meinem Gewissen und Herzen verantworten kann, die französische Dame mit der hübschen Stimme zu enttäuschen, werde ich dafür sorgen, daß dir daraus keine Kosten entstehen. Wenn mein Plan gelingt, wird das Seminowsche Vermögen schon für die Sache aufkommen. Aber es kann doch auch sein, daß sie wirklich eine gute Stimme hat, Willy. Vielleicht entpuppt sie sich als wahrer Schatz für dich!«

»Du bist verwünscht geheimnisvoll«, sagte Drake. »Wer ist diese Madame Dupont? Da du eine so hohe Meinung von ihr hast –«

»O, sie ist eine höchst ehrenwerte Witwe«, erwiderte Frank. »Hat einen Laden in der Nähe der Werften von Le Havre – ach, Willy, ich kann dir nichts mehr darüber sagen und würde dir riesig dankbar sein, wenn du all dies ganz vergessen wolltest, bis wir uns Wiedersehen. Jener Brief, den Fräulein Morris augenblicklich tippt, wird möglicherweise ein wertvolles Leben retten. Mehr kann ich dir nicht verraten.«

»Das genügt mir«, erklärte sein Freund heiter. »Aber wenn du wiederkommst, wirst du meine Neugier doch befriedigen – wie?«

»Darauf kannst du dich verlassen.«

»Nur noch eine Frage: Diese Madame Legaud steht doch nicht etwa im Verdacht in Bezug auf den Fall Seminow?«

»Gott bewahre! Keine Spur!«

Drake rieb sich die Hände. »Der Vertrag gilt, wenn sie überhaupt singen kann!« rief er aus.

»Willy, ich glaube, du witterst eine Reklame!«

»Ja, das tue ich! Und eine ganz famose – falls die Sache glückt.«

In diesem Augenblick erschien Fräulein Morris mit dem Vertrag und dem Brief, worauf W. L. Drake sie mit seiner großen, plumpen Unterschrift versah.

»Nun noch einen von unserm prunkvollen Briefumschlägen!« rief er lachend aus. »Wohin sollen wir den adressieren? Denn es soll doch so aussehen, als ob der Brief mit der Post angekommen wäre, was?«

»Adressiere einfach an den Union-Klub und schreibe darauf ›durch Boten‹ – das wird genügen«, sagte Frank. »Uebrigens, dieses Fräulein Morris wird doch –«

»O, die ist verschwiegen wie das Grab, wie sich's gehört. Und was nun? Frühstück, Frank?«

»Feiner Gedanke! Bin dir übrigens riesig dankbar, Willy.«

 

Es war ein herrlich sonniger Morgen, als Frank Yardley vergnügt an den Kais von Le Havre entlang schlenderte, während er den scharfen Geruch von Fischerbooten, nassen Segeln, Rauch und Teer mit Behagen einsog.

Innerlich war er erregt wie ein Kriegsroß beim Trompetenruf, obwohl er sich mit seinem spiegelblanken Zylinder, dem langen Rock und seidigen Bart wie ein echter Dandy ausnahm. Dazu sprach er auch Französisch wie ein echter Franzose.

Madame Duponts Laden war bald gefunden, und sie erkannte ihn trotz seiner Verkleidung sofort als den interessanten Herrn aus Larke Minnis wieder, der irgendwie mit der englischen Polizei in Verbindung zu stehen schien.

Als er ihr seinen erstaunlichen Vorschlag unterbreitete, schlug sie die Hände über dem Kopf zusammen und schrie vor Lachen:

»Mais monsieur, oh là là! – nun?«

Daß sie ihn als weiblicher Impresario nach Antierres begleiten sollte, kam ihr unsagbar komisch vor.

»Aber ich – ich kann ja nicht eine Note von der anderen unterscheiden, und Monsieur wird mir doch ansehen, daß ich aus unterm Stande bin. Madame Legaud wird das auch bemerken. Sie wird wissen, daß ich eine Betrügerin bin. Selbst in meinem besten schwarzen Kleid und Hut wird man es mir ansehen. Und überdies, Monsieur« – die blanken runden Augen senkten sich kokett – »was würden meine Nachbarn dazu sagen, wenn ich mit einem hübschen englischen Herrn fortreiste? In meinem Alter noch dazu! Ah, Monsieur, non, das würde nicht passend sein!«

Doch schon war Madame Dupont halb, wenn nicht gar ganz, gewonnen. Ihre blanken, besorgt zwinkernden Augen verrieten, daß sie innerlich gleich ihm auf das Abenteuer brannte.

»Freilich – auf den Laden könnte meine Tochter aufpassen. Das tut sie öfters«, setzte sie nachdenklich hinzu.

»Dann ist die einzige Schwierigkeit ja bereits überwunden«, sagte Frank. »Und was Ihr bestes schwarzes Kleid und den Hut anbetrifft, so werden Sie sich doch erinnern, daß ich Sie bereits gesehen habe. Madame ist immer bezaubernd!«

»O, Monsieur, vielen, vielen Dank für die hübsche Schmeichelei! Ich bin schon über fünfzig Jahre alt – nur ganz wenig darüber. Wie? Vielleicht alt genug, um auf mich selbst aufzupassen! Den Nachbarn werde ich nichts sagen – oder vielleicht nur, daß ich meine kranke Schwester besuchen muß. Ja, das wird besser sein, denn Klatschereien sind langweilig. Nun denn, Monsieur – was soll ich eigentlich tun und sagen, wenn Sie die Dame überredet haben, uns vorzusingen?«

»Gar nichts«, bemerkte Frank, »wirklich gar nichts. Sie müssen aussehen wie eine Sphinx. Auf diese Weise gerät man in den Ruf großer Weisheit. Aber das werde ich Ihnen alles unterwegs auseinandersetzen. Können wir schon heute abend abreisen?«

Madame Dupont hielt es für möglich, aber Monsieur sollte sie nicht abholen – hier, wo alle Nachbarn sie mit ihm fortgehen sehen würden. Sie wollte ihn auf dem Bahnhof treffen. Sofort suchten sie einen passenden Zug aus und trennten sich dann. Frank kehrte jedoch wieder um und fragte:

»Madame, als jener Mann Ihnen das Messer abkaufte, erkundigte er sich doch auch nach einem Theater-Kostümgeschäft. Welche Adresse haben Sie ihm da angegeben?«

»Cavau, Monsieur – nicht weit von hier, in der Albionstraße. Aber Inspektor Haney war bereits bei Cavau, und die Leute erinnerten sich nicht, daß ein Käufer bei ihnen war, der so aussah, wie der Inspektor ihn beschrieb.«

Frank Yardley sah sehr enttäuscht aus. Auf dieses »fehlende Glied« der Beweiskette hatte er stark gerechnet. Immerhin begab er sich doch nach der Albionstraße, und es stellte sich heraus, daß Cavaus Laden nichts weiter als ein gewöhnliches Masken-Verleihgeschäft war. Frank trat ein und fand ein altes Ehepaar vor, während hinten im Laden ein junges Mädchen mit der Ausbesserung eines bunten Harlekinkostüms beschäftigt war.

»Guten Morgen!« sagte Frank und erklärte, daß er Kostüme für eine Aufführung suche, bei der Menschen als Tiere verkleidet auftreten sollten. Ob Herr Cavau irgend etwas Geeignetes auf Lager habe – z. B. ein Kostüm für einen großen, behaarten Affen?

Auf diese Frage folgte Totenstille. Das Mädchen saß mit der Nähnadel in der erhobenen Hand, der alte Mann mit weit offenem Munde da, und die alte Frau starrte ihn mit großen Augen an. Yardley hatte die Empfindung, als ob sie Blicke miteinander tauschen wollten, aber es nicht wagten.

Schließlich sagte der alte Mann: »Ich bin fast taub, Monsieur wird entschuldigen, wenn ich nicht richtig verstanden habe. Nein, wir haben keine Menagerie. Monsieur wird entschuldigen –«

Bei diesen Worten warf das junge Mädchen seine Arbeit beiseite, stürzte auf die Tür zu und hielt sie offen.

Aber Yardley schenkte dieser Aufmerksamkeit keine Beachtung. Er lehnte sich an den Ladentisch und blickte die alte Frau lächelnd an.

»Sie sind doch nicht ebenfalls taub, Madame?«

Sie nickte energisch. »Sehr taub – Monsieur – sowohl mein Mann wie ich. Kaum ein Wort hören wir. Ein rechtes Unglück, Monsieur!«

»Aber Mademoiselle – leidet auch sie an Taubheit?«

Diesmal nickten alle drei. Die ganze Familie sei taub. Ueberdies sei dies keine Menagerie, das werde Monsieur selbst sehen können.

»Ja«, sagte er, »ich sehe! Ein Irrtum. Bitte tausendmal um Verzeihung, M'sieu' Madame.«

Drei laute »bon jour« ertönten, und sobald er draußen war, hörte Frank, daß die Tür hinter ihm abgeschlossen wurde. Etwa, weil man in den französischen Provinzstädten wegen der Frühstückszeit von zwölf bis zwei zu schließen pflegt?

Aber das glaubte Frank nicht, und er befand sich in gehobener Stimmung. Jetzt galt es keine Zeit zu verlieren. Er mußte an Haney telegraphieren und außerdem einen Brief hinterlassen. So ersuchte er den Inspektor denn telegraphisch, sofort herüberzukommen oder einen verläßlichen Beamten zu schicken, um Cavaus Laden scharf bewachen zu lassen.

»Fehlendes Glied beim Kostümverleiher«, telegraphierte er, »aber sorgsam behütet. Hinterlasse Brief für Sie beim Portier Hotel des Anglais.«

Der Brief war ausführlicher. Seine Frage habe bei Cavau irgendwelche Befürchtungen erregt. Ihm schossen allerlei Vermutungen durch den Kopf, die er gewissenhaft aufzählte. Von einer hoffe er sehr, daß sie nicht zutreffe. Dies sei die Möglichkeit, daß die Familie Cavau lediglich Angst vor etwaigen polizeilichen Nachforschungen habe oder irgend etwas verhehlen wollte, was nichts mit Seminows Ermordung zu tun habe.

Vielleicht würde Frank die Ankunft des Polizei-Inspektors abgewartet haben, um den Fall Cavau gründlich mit ihm durchzusprechen, hätte er nicht morgens in einer Zeitung gelesen, daß die Untersuchungen in Antierres sich einem befriedigenden Ende zu nähern schienen. Der Zeuge gegen den Gefängnisdirektor hatte sich wohlweislich aus dem Staube gemacht, und es war deshalb anzunehmen, daß dieser wieder in sein Amt eingesetzt werden würde.

Frank Yardley mußte sich also beeilen, wenn er den stellvertretenden Direktor und seine ehrgeizige Gattin noch in Antierres vorfinden wollte.

Ihrem Versprechen gemäß fand Madame Dupont sich zur verabredeten Zeit auf dem Bahnhof ein – sittsam kokett, wie es sich für ihre Jahre geziemte, mit einer dunkelroten Rose am Hut und einem Tupfenschleier, der ihre sorgsame Frisur vor Unordnung schützen sollte. Außer ihrer Handtasche brachte sie einen appetitlichen Korb mit, der eine kalte Mahlzeit enthielt. »Weil es so kostspielig sein würde, im Speisewagen zu essen«, sagte sie.

Es war auch kostspielig, erster Klasse zu reisen, aber das war Franks Angelegenheit, und er sorgte überdies dafür, daß sie in ihrem Abteil allein blieben. Er hatte ja nur wenig Zeit, Madame Dupont sorgfältig in ihre Rolle einzuweihen! So probten und aßen sie dann abwechselnd, bis sie sich schließlich zum Schlafen niederlegten.

*

Gegen zwölf Uhr mittags rumpelte der Zug der Nebenbahn gemächlich in den Bahnhof von Antierres ein. Dann mußte noch eine Droschkenfahrt von einigen Kilometern durch Täler mit Ausblicken auf Wälder, Wiesengründe und die Windungen des Flusses zurückgelegt werden.

Mit einem Male wurde die Luft kühl und feucht, Frau Dupont blickte ängstlich durchs Fenster und sagte:

»Ach, wie düster es hier ist! Sicher ist das da oben das Gefängnis.«

Und sie hatte recht. Ein garstiger Block aus Steinmauern und Gebäuden kam in Sicht, und am Fuße des Hügels kauerte ein frostiges, graues Dörfchen. Nun sah man auch die von Haney erwähnte, jetzt aber wiederhergestellte Brücke, und gleich darauf fuhr die Droschke rasselnd am Hotel du Cheval Noir vor.

»Wie unheimlich es hier ist!« bemerkte Madame Dupont schaudernd. »Als ob es gar keinen lieben Gott gäbe. Ich möchte wieder nach Hause!«

Diese Empfindung hatte auch Frank. Es kam ihm vor, als walte ein böser Geist in diesem finsteren Tale. Ob Haney das gleiche Gefühl gehabt hatte? Gesagt hatte er nichts davon.

Die Unterkunft in Cheval Noir erwies sich als sehr unbehaglich, und Frank beschloß, sich sofort nach dem Gefängnis zu begeben, um der Gattin des Gouverneurs seine Beglaubigungsschreiben vorzulegen. Als er sich nach dem kürzesten Weg zum Gefängnis erkundigte, murmelte die Wirtin achselzuckend: »Schon wieder einer! So viele Engländer haben wir hier früher nicht zu sehen bekommen.«

»Aber die Frau ist eine Französin«, raunte der Wirt ihr ins Ohr, bevor er auf die Straße hinaustrat, um den Gästen Bescheid zu sagen.

So trat Frank denn seine Wanderung an und war froh, als er den steilen Weg hinter sich hatte und nach einem kurzen Gespräch mit einem Beamten eingelassen wurde. Dann mußte er noch eine ganze Weile warten, während seine Karte Madame Legaud überbracht wurde. Doch endlich wurde seine Geduld belohnt.


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