Julius Wolff
Till Eulenspiegel redivivus
Julius Wolff

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X.

Marie.

                Nun soll ich sie euch wohl beschreiben?
Nein, Freunde, nein! das laß ich bleiben,
Ich will's nicht, kann's nicht, trau' mich nicht;
Ich müßte sonst in dem Gedicht
Noch ein Gedicht zustande bringen,
Und darin müßte alles klingen,
Was in ein Menschenherz sich drängt,
Wenn's liebt und ihm bis an die Sterne
Der Himmel voller Geigen hängt,
Wenn es sein Glück in Näh' und Ferne
Mit Glockenläuten und Posaunen
Verbreiten möchte, mit Kartaunen
Die Kunde schießen auf den Mond
Im Fall da oben einer wohnt,
Der's noch nicht weiß, der arme Mann;
Ein Herz, das liebt, denkt nicht daran,
Es könne hier in seinem Eden
Ein Vogel noch und eine Blume,
Ein Blatt von etwas anderm reden,
Als von der Liebsten höchstem Ruhme.
Was soll ich euch und mich denn quälen,
Von meinem Glücke zu erzählen,
Wer's kennt aus seinen jungen Jahren,
Weiß, was man da für Kränze flicht,
Und wer's nicht an sich selbst erfahren,
Verstünde meine Sprache nicht.
Malt euch die blühendste Gestalt
Und – denkt doch! – achtzehn Jahre alt!
Wem das etwa noch nicht genügt,
Wer etwas wünscht hinzugefügt,
Der setze an des meinen Platz
Sich in Gedanken seinen Schatz,
Das heißt, so wie der Engel war,
Als er sich einst in ihn verliebte;
Man sagt mir, daß von Jahr zu Jahr
Die Tugenden man feiner siebte,
Es sollen – sagt man – Stürme tosen
Rauh in des Maien Blütentraum,
Dann bliebe von der Zeit der Rosen
Wehmütige Erinnrung kaum.
Ich glaub' es nicht, das mit dem Siebe,
Mir soll kein Sturmwind Knospen brechen,
Ich will vom Frühling nur der Liebe
Und seinem blausten Himmel sprechen.
Da denke jeder sich die Seine
Auf ihres Glanzes höchsten Höh'n,
So lieblich, minnig, ganz so schön,
Ach! noch viel schöner war die Meine.
 

Wir fuhren nun in guter Ruh
Dem waldigen Gebirge zu.
Es ward der Weg uns nimmer lang,
Die heitre Unterhaltung sprang
Von diesem bald auf das Kapitel,
Und dann ist's auch ein herrlich Mittel,
Um irre in der Zeit zu gehn,
Wenn statt aufs Zifferblatt zu sehn,
Man in zwei liebe Augen blickt,
Aus denen Amor Pfeile schickt,
Wenn man zwei schöne Nachbarinnen
Und noch ein Gegenüber hat,
An denen man sich schwerlich binnen
Des längsten Tages sähe satt.
Nach staubig schattenloser Schwüle
Nahm uns in seine duft'ge Kühle
Schon auf der tiefe, grüne Wald,
Ein schmaler Seitenweg kam bald,
Und endlich waren wir zur Stelle,
Wo im Gebüsch die frische Quelle,
Den Wein zu kühlen, hell und klar,
Wo Moos und weicher Rasen war.
»Dies ist der Platz, sprach unser Wirt,
Der dem Zigeunerlager frommt,
Hierher kein Wandrer sich verirrt;
Wenn nicht etwa der Förster kommt,
So bleiben wir hier ungestört,
Und keine Menschenseele hört
Ein Wort, das hier dem Mund entflieht.«
»Und keine Menschenseele sieht,
Ergänzte Till, was hier gegessen
Und was nach menschlichem Ermessen
Und nach dem Vorrat wird getrunken.«
Damit war er ins Moos gesunken,
Das sich um Wurzeln hoch geböscht.
Die Ladung wurde nun gelöscht.
Das Tischchendeckedich schien jetzt
Sich aus der Erde zu erheben,
Im Umsehn war es reich besetzt
Und dann dem Angriff preisgegeben.
Wir lagerten in bunter Reihe
Um unsern Tisch par terre herum
Und gingen mit antiker Weihe
Ans heiterste Symposium.
Es war auch über Moos und Gras
Ein schneeweiß Tischtuch ausgebreitet,
Die Herrin reicht' ein volles Glas
Dem Till, doch war ihr Wort begleitet
Von einem Anflug leisen Spottes:
»Den Priester machen Sie des Gottes,
Der wie zu der Hellenen Zeit
Den grünumkränzten Altar weiht.«
Till deutete nach seinem Sinn
Dies Wort und goß mit roter Spur
Den Wein quer übers Tischtuch hin.
Ein halb erstickter Schrei entfuhr
Den Frauen wie aus einem Munde:
»Was tun Sie?! rief Frau Kunigunde,
So hatt' ich's wahrlich nicht gemeint,
Den Weihespruch, ein klassisch Wort,
Wie uns die Götter hier vereint,
Erwartet' ich an diesem Ort.«
»Ich tat, sprach Till, wie mir befohlen,
Und sprengte nach Hellenensitte
Das Opferblut auf Altars Mitte,
Soll ich nun auch das Feuer holen?«

»Ums Himmels will'n! Sie sind imstande,
Uns hier in lichterlohem Brande
Die ganze Mahlzeit zu verzehren,
Wohl gar den Wald noch zu verheeren.«
»Oh seien Sie auf Ihrer Hut!
Rief ich, er ist ein Silbenstecher,
Der alles wörtlich nimmt und tut,
Kein Zeichendeuter, Kopfzerbrecher,
Der gern an Rätseln klaubt und grübelt;
In seinem leichten Sinn verübelt
Er das Verwegenste sich nicht,
Meint's immer gut, macht's selten recht,
Läßt's gehn, wie's geht, ging's noch so schlecht,
Und lacht den Folgen ins Gesicht!« –

Till hatte keinen Gott gerufen,
Als er sein Priesteramt versah,
Doch alle, alle waren nah,
Mit ihrer Gaben Fülle schufen
Sie in dem trauten Waldesnest
Uns segnend ein Eleusisch Fest.
Von Herz zu Herzen ging in Treuen
Ein Glück, das keine Zeugen braucht,
Das Recht der Jugend, sich zu freuen,
Von Waldeszauber angehaucht,
Trat Blumen streuend aus dem Hain,
Lud zum Genusse lächelnd ein,
Verscheuchte allen Ernst und gab
Uns in die Hand den Thyrsusstab.
Und wie der seine Kreise zog,
Und Mutwill wie auf Falters Flügel
Hinüber und herüber flog,
Gelenkt von junger Genien Zügel –
Es war ein Bild auf Gold gemalt,
Ein Traum, von Tagesglanz bestrahlt,
Der mir, wie schnell er auch verklungen,
Mit allem, was er mir gesungen,
Was er geschenkt mir und entdeckt,
Noch heut ein jauchzend Echo weckt.

Du, der und die dies Büchlein liest,
Wo du im Augenblick auch bist,
Hast du, fern von betretnen Wegen,
Im tiefen Walde je gelegen
Mit lieben Freunden, schönen Frauen,
Wo durch das grüne Blätterdach
Ihr saht den Himmel freundlich blauen
Und in dem blumigen Gemach
Ein frohes Mahl euch ließet munden?
Erinnre dich an solche Stunden!
Und unter dieser Zweige Schwanken
Komm, setz' dich zu mir in Gedanken.
Du frägst nicht nach dem andern Morgen,
Nur eine ist's von allen Sorgen,
Die zu dem Frohsinn sich gesellt,
Das ist, wie man sein volles Glas
Recht sicher auf den Rasen stellt,
Daß es nicht fällt und edles Naß,
Das man doch lieber selbst genießt,
Des Grases Wurzeln übergießt.
Ist das geglückt, hat's keine Not,
Und höher steigt der Wange Rot,
Von Lebensfreude angeglüht,
Die bald aus allen Augen sprüht.
Nicht werden Grenzen scharf gezogen,
Das Wort wird ängstlich nicht gewogen,
Und schlägt mal eines übern Strang,
Macht's wett ein lust'ger Gläserklang;
Wird mal ein Händedruck zu warm,
Versteigt sich auch einmal ein Arm
Um eine Schulter glatt und rund,
Kommt sich zu nahe Mund und Mund,
Verschiebt sich gar ein kurzes Kleid –
Du lieber Gott! was ist's für Leid?
Man sieht – nicht hin, meint ihr? nun grade! –
Des gutgelaunten Amors Gnade.
Wie steht dem dunklen Haar so gut
Der Efeu und die wilde Rose!
Wie trutzig auf dem runden Hut
Hebt sich die Farne aus dem Moose!
So schwingt empor sich aus der Brust,
Entfesselt von des Alltags Regel,
Ein voller, frischer Hauch der Lust
Und schwellt der Freiheit Purpursegel.
Man findet bald des Weges Spur,
Der zu des andern Seele führt,
Und fühlt vom Pulsschlag der Natur
In Herzensgrunde sich berührt.
Was in dem Walde lebt und webt,
Zum Menschen sucht's hinauf zu klimmen,
Der Schöpfung Geist, der uns umschwebt,
Er spricht zu uns mit tausend Stimmen.

Es quirlt der Bach und summt und singt,
Im Wirbeln und im Rauschen klingt
Waldmärchensang und Kinderlieder;
Er sprudelt was von Nixengruß
Und schwatzt dann von den Zeiten wieder,
Da Kinder wir den nackten Fuß
In seinem Silbertau gebadet.
Er blinkt so hell, liebäugelnd ladet
Er wieder ein, daß man sich letzt
An seiner wonniglichen Kühle
Wie damals, wo wir eingesetzt
Die kleine lust'ge Wassermühle,
Die mit dem Messer wir geschnitzt,
Und wo die wilde Knabenrotte
Im Seekrieg der papiernen Flotte
Sich Steine schleudernd naß gespritzt.
Wo sind die blanken Tropfen hin,
Die damals uns're Mühle trieben?
Wo sind die Stunden auch geblieben
Voll Kinderspiel und Kindersinn?
Die sind verrauscht, verweht, versunken,
Im bodenlosen Meer ertrunken,
Und andre Blumen blühen hier,
Und andre Freuden suchen wir.
Manch Sommer kam, manch Winter schied,
Heut singt der Bach ein andres Lied.
Es suchen sich vier Augen nun
Im Wasser dort, und alles Tun
Der zwei, die hier am Ufer stehn,
Ist nur des andern Bild zu sehn.
Rings tiefe Waldeseinsamkeit,
Die fröhlichen Genossen weit,
Kein Lüftchen weht, kein Blättchen rauscht,
Es rührt sich nichts, kein Vogel lauscht,
Still wölbt sich das vielgrüne Dach,
Es singt und murmelt nur der Bach
Mit seiner Perlen Glockenfall:
»Schaut her, schaut her in mein Kristall,
Was ich euch zeige, eu'r Gesicht,
Ihr schaut ins Herz euch, seht ihr's nicht?
Da sitzt die Liebe tief und warm,
Greift zu! greift zu! schlingt Arm um Arm!«

Allein der gute Rat verhallte,
Tiefatmend nur ihr Busen wallte,
Ach! war sie schön! – ich hörte schlagen
Mein Herz und konnte doch nichts sagen.
Doch hört der Bach nicht auf zu rieseln,
Er schäumt um Wurzelwerk und Dorn
Und klappert mit den glatten Kieseln
Vor Ungeduld in hellem Zorn:
»Was zögerst du noch, Siebenschläfer?
Wach auf! soll um den blöden Schäfer
Das liebe Mädchen etwa frein?
Kann Ort und Stunde schöner sein?
Sie liebt dich, liebt dich, – 's ist kein Scherz!
Frag' sie doch nur, faß' dir ein Herz!
Fang' an! sie wartet ja nur drauf!
Und tu doch nur die Augen auf,
Sieh, wie mein Spiegel sie dir zeigt,
Wie sich ihr glühend Antlitz neigt
So jugendschön, so wunderhold,
Ein Herz so rein und treu wie Gold;
Jetzt oder nie knüpfst du das Band,
So nimm doch ihre weiche Hand
Und sprich drei Worte, sprich nur eins,
Ja meinetwegen sprich auch keins,
Doch schling' die Arme um sie rund
Und küß' sie auf den roten Mund!
Und sagt sie nein! und sträubt sie sich,
Was dann? – nun dann ersäufst du dich;
Ich bin, verfolgst du meinen Zug,
Da weiter unten tief genug.« –
Der Kobold! wie er mit Gewalt
Mir drohte und mich trieb und schalt,
Was mocht' er mit der Wellen Kräuseln
Erst ihr für Schmeichelworte säuseln!
Es lockte wie Gitarrenklimpern
Beim Ständchen vor der Liebsten Schwell'.
Nun blick' ich ihr ins Auge schnell,
Da zittert's unter ihren Wimpern
Und strahlt wie frischer Morgentau
Im schönsten Kelch der Blumenau.
Mir wuchs das Herz, die Rinde schmolz,
Und wie ein König wurd' ich stolz;
Ein Blick, – ein Zueinanderstreben, –
Ein Nehmen war es und ein Geben,
Ein Glanz wie Frühlingssonnenschein,
Ein Kuß – – Marie! – Marie war mein!
Nun flüstre, Wald, ihr Quellen, springt,
Ihr Vöglein alle, singt doch, singt!
Ihr Blumen und ihr Gräser nickt
Und tausend, tausend Düfte schickt;
Nun rauscht und braust, ihr Eichenwipfel,
Vom Sturm gefaßt, vom Blitz umloht,
Nun leuchtet auf im Morgenrot,
Ihr felsgekrönten Bergesgipfel;
Nun donnre, wildes Element,
Erschüttere des Erdballs Kern,
Du aber, heilig Firmament,
Laß golden schimmern unsern Stern! –

Wir gingen Hand in Hand zurück,
Und jeder trug das grüne Dämmern
Trug schwer genug an seinem Glück.
Wir hörten nicht des Spechtes Hämmern,
Nicht, wie die wilde Taube girrt,
Und hätten uns im Wald verirrt,
Wenn nicht, von Blatt zu Blatt getragen,
Von fern ein wohlbekannter Klang
Uns leitend hätt' ans Ohr geschlagen;
Tills unnachahmlich Lachen drang
Zu uns in aller Töne Stufen
So laut, als hätt' es uns gerufen.
Bald sahen, durch das Laub geschützt,
Den Freund wir auf bemooster Klippe,
Das Kinn auf eine Hand gestützt,
Es kräuselte sich seine Lippe
Im Spott, der schwer sich überzeugt;
Er saß ein wenig vorgebeugt
Und lauschte mit gespanntem Sinn
Nach Florentinens Rede hin,
Die vor ihm auf dem Rasen saß
Und Blumen in ein Sträußchen band,
Was sie im Eifer ganz vergaß,
Denn lässig ruhte ihre Hand.
Betrachten mußt' ich mir verborgen
Dies heitre Bild; da saß der Schelm
Ganz so, wie an dem Maienmorgen
Vor mir er saß damals im Elm,
Als feurig er wie ein Beschwörer
Des Lebens Übermut mir pries,
Jetzt aber, schien's, war er der Hörer,
Der sich den Text hier lesen ließ;
Bald hört' er aufmerksam in Ruh
Dem schönen Munde freundlich zu
Mit einem Ausdruck im Gesicht
So gönnerhaft und überlegen,
Als glaubt' er einem Kinde nicht,
Was es auch plaudre allerwegen,
Und balde in des Vortrags Lauf
Lacht' er kopfschüttelnd, schmetternd auf.
So sah'n wir sie die Rollen tauschen,
Und wir, von unserm Glück bewegt,
Zu jedem Scherze aufgelegt,
Versagten es uns nicht, zu lauschen.
»Ihr Männer, rief sie, macht euch älter,
Und seid ihr's nicht, so tut ihr kälter,
Spielt gegen uns den Diplomaten,
Den Philosophen und Charakter,
Doch sind die Hebel eurer Taten
Meist Ehrgeiz, Eitelkeit und nackter,
Verwöhnter Egoismus nur,
Und eines oder aller Spur
Ist jedem Schritte aufgeprägt
Zum Schlechten hin wie auch zum Guten;
Daß euch ein Herz im Busen schlägt,
Das läßt sich wahrlich nur vermuten,
Nur anatomisch noch beweisen.
Wie anders ist's im Frauenleben!
Des Herzens heiße Wellen kreisen
Um alle unser Tun und Streben,
Sie schaukeln unsere Gedanken,
Auf ihrer Flut und Ebbe schwanken
Wir selber zitternd auf und ab,
Sie werden endlich unser Grab,
Und wo wir fehlen, wo wir irren,
Da waren es des Herzens Wirren,
Die sinnbetörend uns durchwühlten,
Den festen Boden unterspülten.
Doch mit des Jünglings Simsonslocken
Verliert ihr eure schönste Kraft,
Die hoffnungsvollen Keime stocken,
Die Blütenpracht der Leidenschaft
Erstirbt im Frost, der alles lähmt,
Weil ihr euch eures Herzens schämt.
Ihr werdet alt bei jungen Jahren
Ihr werdet reich, vielleicht auch klug,
Doch euch durchs Leben zu bewahren
Des Herzens Jugend und den Flug
Der sturmbeschwingten Phantasie,
Die innre heil'ge Poesie,
Die wie Musik der Seele tönt,
Den König grüßt, den Bettler krönt,
Die aus dem Staub empor euch hebt,
Im Elend selbst mit Trost umschwebt,
Den Sinn euch schärft, den Mut euch stählt,
Daß jede Kraft euch doppelt zählt,
Versteht ihr nicht und – was noch schlimmer,
Verschmäht ihr, streift den Duft und Schimmer
Der goldnen Morgenröte ab
Von der Gefühle Immergrün,
Wollt reifen vor der Zeit, nicht blühn
Und brecht dem Ideal den Stab.
Könnt ihr euch noch von Herzen freuen,
Euch noch begeistern, noch bereuen?
Ist euch ein Restchen noch geblieben
Von Jugendglück? könnt ihr noch lieben?«
»Ja!!« rief's in zweier Munde Chor
Laut jubelnd hinterm Strauch hervor;
Die Zweige bog ich schnell zurück,
Da sah'n sie Lieb' und Jugendglück,
Wie Rebe sich um Rebe schlingt,
Wie Ton zu Ton im Liede klingt.
Sie wußten nicht, ob, was sie schauen,
Sei Wahrheit oder Luftgebild,
Ob sie den Augen dürften trauen,
Dann aber wie gescheuchtes Wild,
So sprangen jetzt die beiden auf,
Und Florentine warf im Lauf
Mir ihre Blumen ins Gesicht,
Flog in die Arme dann Marien;
»Nun mach' dir selber ein Gedicht
Zum Glückwunsch!« – fast hätt' ich geschrien,
So drückte Till mit diesem Gruß
Die Hand mir, die im Überfluß
Des Mitgefühls er schüttelnd packte,
Daß schmerzend jeder Finger knackte.
Groß war die Freude, herzlich innig
Der beiden und wie zart und sinnig
Ihr Glückwunsch! doch nun sollt' ich beichten
Wie wir so blitzschnell beiderseitig
Die spröden Herzen uns erweichten,
Ob mir Marie ihr's gar nicht streitig
Gemacht, wie ich ihm beigekommen,
Ob ich's mit einem Sturm genommen,
Ob systematisch ausgehungert,
Wie lang ich schon davor gelungert,
Eh' ich den Handstreich durfte wagen;
Das alles sollte ich ihm sagen.
Da sprach Marie: »Es war schon sein,
Schlug manches Jahr nur ihm allein,
Er hat's wohl selber nicht gewußt,
Und nie in eines Menschen Brust
Läßt sich ein Herz vom andern rauben,
Das ihm nicht selbst entgegen schlägt
Mit seinem Hoffen, seinem Glauben
Und sehnend tausendmal sich frägt,
Ob's liebeträumend ruhen darf
Da, wo sein Glück den Anker warf.«
Und vor sich selber ganz erschrocken,
Daß sie in ihrer Seele Mut
Sich dies Geständnis ließ entlocken,
Barg sie des Angesichtes Glut
An meiner Brust, und ich umschlang
Die Heißgeliebte, und es rang
Mein Wunsch sich zu des Himmels Bläue:
Ihr Engelscharen, schirmt die Treue! –

So hatten über alles Hoffen
Wir vier uns hier allein getroffen,
Doch keine Spur von unsern Wirten,
Die wohl gleich uns im Walde irrten.
Wir hatten sie beim Erdbeerpflücken
Im Wald verloren, und im Bücken
Gibt man nicht auf den Nächsten acht,
Auch waren wir – ich will's gestehen –
Nicht sonderlich darauf bedacht,
Den Freunden ängstlich nachzugehen;
Wie es beim Suchen gibt der Brauch,
Es lockt bald hier, bald dort ein Strauch,
Und eh' man sich's versieht im Wandern,
Ist man schon weit getrennt vom andern.
So ließ es sich denn auch nicht ändern,
Daß bei dem langsam Weiterschlendern
Marie und ich allein uns fanden
Und keines sich dagegen stemmte,
Bis wir an jenem Bache standen,
Der unsre Schritte plötzlich hemmte.
Und was am Bache dort geschah, –
Neugierig Volk! das wißt ihr ja,
Habt nur mit Liebenden Geduld,
Der Bach, der ist an allem schuld.
Wir stiegen nun den Berg hinan,
Die kund'ge Florentine führte
Und wandelte mit Till voran,
Der gleich zum Streiten wieder schürte.
Wir folgten nicht zu dicht den beiden
Und blieben manchmal rastend stehn,
Doch jene waren so bescheiden,
Kein einzig Mal sich umzusehn.

Und als wir auf des Berges Brau
Hervor aus dichtem Laube traten,
Da lag in weiter, offner Schau
Vor uns das Land mit seinen Saaten,
Mit Dörfern, Mühlen, Fluß und Wegen,
Ein blühend, herzerfreuend Bild,
Still lächelte des Friedens Segen
Herauf vom ruhenden Gefild.
Zu Ende neigte sich der Tag,
Heim wandelte die müde Herde,
Und im Finale klang der Schlag
Der Lerche niederwärts zur Erde,
Und prangend in der Szenen Wandlung
Ging vor uns an des Abends Tor
In feierlich erhabner Handlung
Ein großes Schauspiel schweigend vor.
Im Westen war wie Schwanenflaum
Ein leicht Gewölke hingegossen
Und schien an seinem äußern Saum
Von einem Flammenring umschlossen,
Daraus erstieg die Strahlengarbe
Der Sonne, die sich selbst verhüllte.
Vom Purpur bis zur Rosenfarbe
Das Abendrot den Himmel füllte
Und badete in seinem Glanz
Die stille Flur, des Flusses Bogen,
Der Berge waldesgrünen Kranz,
Des Kornes sanft geschwungne Wogen,
Bis im Zenit zu mattem Dämmer
Verblich die weit entrollte Fahne,
Wo tausend blasse Wolkenlämmer
Noch weideten am Himmelsplane.
Doch wo der Sonnengott die Zügel
Am Horizont noch fahrend lenkte
Und sich vom Kamm der fernen Hügel
Sein Feuerwagen abwärts senkte,
Da wechselte die Pracht der Bilder:
Jetzt brach wie schmelzend Erz die Glut
Hindurch, jetzt war das Leuchten milder,
Dann wieder dunkelrot wie Blut
Und mußte balde doch verrinnen;
Als endlich auch der letzte Funken
Erlosch und von den blauen Zinnen
Die Sonne scheidend war gesunken,
Ein roter Fächer ruhig stand,
Der wie ein Hauch in Dunst verschwand.

Nun war es still in Feld und Wald,
Nur unser Herz war noch bewegt,
Doch ruhiger und sanfter bald,
Wie eines Freundes Hand sich legt
Auf unsre Schulter, uns zu trösten,
Eh' scheidend sich die Hände lösten,
Umflochten uns die Blütenranken
Glückprophezeiender Gedanken
Und hielten frohe Wünsche wach.
Der schöne Sonnenuntergang,
Der sich vor uns entfaltet, klang
In unsrer Seele zitternd nach
Wie ein verhallender Akkord.
Wir hatten wonnig uns geträumt
An eines Schiffes schwanken Bord,
Von blinkend klarer Flut umschäumt
Auf unbegrenztem Meerespfade
Und sahen spiegelnde Gestade
In all den rosigen Gebilden
Der Wolken, die im Blauen schwebten,
Und nach den freundlichen Gefilden
Voll duft'gen Märchenzaubers strebten
Die Segel unsrer Sehnsucht hin;
Wir deuteten nach unserm Sinn
Der wechselnden Gedanken Spiel,
Leicht schuf sich wundergläubig Dichten
Ein Paradies als lockend Ziel
Aus Farbenschein und Wolkenschichten.
Und wie die Bilder wallend zogen,
Stieg leuchtend aus den Ätherwogen
Ein Eiland auf mit goldner Küste,
Wo bis zu unsres Lebens Rüste
Wir wohl ein traulich Hüttchen fanden,
Uns still und einsam zu verschließen,
Da wollten wir zufrieden landen
Und unsrer Liebe Glück genießen.

O warme, linde Sommernacht,
Erheb' in deinen stillen, dunkeln,
Geheimnisvollen Sternenraum
Auch meiner Jugend schönsten Traum,
Und laß ihn wie ein Sternbild funkeln!
Doch wenn der junge Tag erwacht,
Dann fort, ihr Träume! klares Licht,
Laß mich den Weg, in Fels gehauen,
Wie ihn die treue Kraft sich bricht,
Von Nebeln frei und Wolken schauen!
Hier halt' ich wonnevoll umschlungen
Sie, die ich selig mir errungen,
Hier Aug' in Auge, Brust an Brust
Ruht mir des Lebens Glanz und Lust.
Nimm, Schicksal, alles von mir hin,
Mein Hab und Gut und frohen Sinn,
Laß noch so arm, ganz arm mich werden,
Ja, nimm auch meiner Augen Licht
Und jede Freude mir auf Erden, –
Nur meine Liebe nimm mir nicht! –


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