Julius Wolff
Till Eulenspiegel redivivus
Julius Wolff

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VII.

Wo?

                      Im Anfang unsrer Reise schon
Hielt Till mir folgenden Sermon:
»Merk dir aus meinen Wanderjahren,
Was oft erprobt ich und erfahren.
Wenn du einmal zu Fuß, zu Roß,
Ob einsam, ob mit Dienertroß
Mit viel Geld oder wenig reist
Und wo du bist, oft selbst nicht weißt,
Wie weit von Haus, wo ungefähr
Dies Städtchen liegt, wie nah dem Meer,
An welchem Fluß und Berg, kurzum,
Wo augenblicks du so herum
Im Vaterland dich just befindest
Und nach der Himmelsgegend windest, –
Geb' ich dir eine gülden Lehr',
Untrüglich schier, die halt' in Ehr.
Im Wirtshaus in des Schenken Stube,
Da wo – gleich Herr! – des Schenken Bube
Den Blanken und den Trüben schenkt,
Und wo die Zeitung liegt, da hängt,
Wenn's ist ein reputierlich Haus,
Rechts oder links, sonst gradeaus,
Am Ofen, an der Fensterwand
Die Karte von sotanem Land.
Aufs Alter kommt's dabei nicht an,
Die projektierte Eisenbahn
Rückt dich und alle dein Gepäck
Nicht eine Spanne weit vom Fleck.
Beiläufig mußt du wissen auch,
Es ist so ein gelehrter Brauch,
Die Karten machen's wie die Frauen,
Niemand ihr Alter zu vertrauen;
Was alles darauf stehen mag,
Der Maßstab, Zeichner und Verlag,
Das findet man schon allemal,
Doch niemals eine Jahreszahl,
Stillschweigend heißt es immerdar:
Gedruckt zu Glogau dieses Jahr.
Ist nun in langer Jahre Brauch
Die Karte schon vergilbt vom Rauch,
Du kannst doch sehen, wo du bist,
Wenn du nur richtig suchst und liest.
Nun aber gib dir keine Mühe
Und mit dem Zeigefinger ziehe
Nicht nord- und südwärts ab und auf,
Verfolge nicht der Flüsse Lauf,
Denn nimmer so in Ost und West
Entdeckst du das verwünschte Nest.
 

So ziemlich in des Zimmers Mitte
Stell' dich, doch mindestens vier Schritte
Tritt von der Wand zurück und schau'
Die Karte an, daß grau in grau
Dir Ebne, Berg und Fluß verschwimmt;
Da zeigt sich deutlich und bestimmt,
Fast groschengroß ein schwarzer Tüpfel,
Wie eines hohen Berges Gipfel.
Nun dicht heran! wie dir die Schuppen
Jetzt von den Augen fall'n! entpuppen
Wird sich der Berg, der schwarze Punkt,
Der wie ein Chimborazzo prunkt,
Als jener Ort, woselbst du stehst,
Nach dem du auf der Karte spähst.
Wo du auch einkehrst fern und nah,
Hängt an der Wand die Karte da,
So findest sicher du die Stelle,
Die von des Kartenplanes Helle
Sich schwarz und dunkel unterscheidet,
Auf der manch' Finger schon geweidet;
Man sucht und zeigt, tupft aufs Papier:
Hier sind wir jetzt! heißt's fröhlich, hier!
Am Ort, des Name schwarz umrandet,
Da bist du glücklich nun gelandet,
Da stehst du jetzt im Wirtshauszimmer,
War's noch so weit, es täuscht dich nimmer.« –

Wo waren wir? mit einer Hast,
Die überstürzter Flucht glich fast,
So waren wir nach jener Nacht,
Nach jenes Festes Lust und Pracht
Schnell abgereist. Till sprach: »Sollst wissen,
Warum der Eil' ich so beflissen;
Die Flüsse, die in dieser Nacht
So liebenswürdig, reizend waren,
Bereiten mit geheimer Macht
Uns heute drohende Gefahren,
Als wollten sie sich dafür rächen,
Daß wir in ihren zarten Schwächen
Mit Leib und Leben sie erblickt.
Drum heißt es eilig und geschickt
Jetzt aus dem ganzen weiten Kreise
Des großen Netzes zu entrinnen;
Nun frag' nicht weiter nach der Reise,
Gib lieber Ruhe deinen Sinnen.«
Sprach's und entschlief; fort ging's vom Rhein
Mit Extrapost ins Land hinein.

Wie bald auch ich anfing zu nicken,
Stand licht vor meinen innern Blicken
Die Lorelei, die mich umschlang
Und lächelte und sprach und sang,
Und wieder fühlte ich zur Stund
Beseligend auf meinem Mund
Des Kusses schwelgerische Wonnen.
Doch in den Traum, der mich umsponnen,
Drängt' noch ein ander Bild sich ein:
Ein holdes Antlitz engelrein
Sah mich tiefinnig traurig dann
Mit feuchten Augen bittend an;
Aus ihren lieben, treuen Zügen
Konnt' ich herzklopfend zur Genügen
Ein seelenvolles Leid ermessen,
Sie hauchte: hast du mich vergessen?
Dann winkte still sie mit der Hand
Und wandte sich und alles schwand. –

Wie fuhren bis zur dunklen Nacht
Und endlich wurde halt gemacht,
Man ging zur Ruhe und ich schlief
Nicht wissend wo? – doch fest und tief.
Bei Zeit erwachte ich und fand,
Daß Till schon in den Kleidern steckte;
»Sieh, lacht' er, was aus Niederland
In unserm Zimmer ich entdeckte:
Aus weißem Ton, jungfräulich rein,
Die Pfeife hier in jenem Schrein,
Und kann ich auch, wie du, nicht rauchen,
Weiß ich das Ding doch zu gebrauchen.«
Er wirbelte sich Schaum und blies
Dann Seifenblasen, groß' und kleine,
Und jubelte hellauf, wenn eine
Zerplatzend an die Decke stieß.
»Sieh doch, rief er, wie schön sie steigen!
Jetzt aber sollst du mir mal zeigen,
Ob du gut raten kannst so früh,
Denk' also nach und gib dir Müh'.

Was ist das für ein närrisch Ding?
Geschlossen ist's, rund wie ein Ring,
Der Anfang klein, ein Nichts das End',
So lang' es währt, ist dran verschwend't
Ein gleißend buntes Farbenspiel,
Es treibt und gaukelt ohne Ziel
An einem unsichtbaren Band,
Das hat kein Mensch doch in der Hand,
Doch jeder liebt's und hält es fest,
Ist's ihm entschwunden, bleibt kein Rest,
Ein Seufzer nur, ein Hauch der Luft,
Und 's ist vergangen und verpufft;
Stolz segelt's hin durch Zeit und Raum,
Ist doch nur eitel Schaum und Traum. – –
Weißt du das nicht? – da siehst du's schweben,
Halt' fest! – weg ist's, – das ist das Leben,
Halb Wunder und halb Kindertand,
Ein Rätsel doch vor allen Leuten,
Und Narren wie Weisen macht's zuschand,
Dir sein Geheimnis auszudeuten.
Sieh, wie sich spreizt und bläht das Glück –
Es flog davon, kehrt nicht zurück.
Da prunkt die Ehre, strahlt der Ruhm, –
Was ist's? ein glänzend Märtyrtum.
Da steigt der Hoffnung Traumgesicht, –
Zerronnen ist's, Sternschnuppenlicht.
Da lächelt Liebe, lockt und winkt, –
Pa! – Trugbild du! warst auch geschminkt!
Fort, Glückestreu und Frauenhuld!
Was jetzt da platzt, war die Geduld.
Und was bleibt nun zurück im Rohr?
Das allerbeste, – der Humor;
Der ist die letzte, höchste Gunst,
Der bläst sich nicht in blauen Dunst,
Der führt die Wirtschaft und hält Haus,
Bis einst des Kosmos' Pfeife aus,
Und wenn dann nun früh oder spat
Die heikle Katastrophe naht,
Die scheck'ge Seifenblase Welt
In tausend Trümmer mal zerschellt,
Fährt auch zum Teufel der Humor,
Knallt wie ein Pfropfen wild empor,
Saust prasselnd durch die Sternenweiten
Und lacht sich in die Ewigkeiten.«

Da brach die Pfeife er in Stücken,
Daß solcherlei Gedankenmücken
Nicht andre Narren noch umflirten,
Wenn blaue Ringe daraus schwirrten.
Wie ich nun aus dem Fenster schau',
Da war der Himmel trostlos grau
Im Regenmantel, und es goß,
Daß es vom Markt in Bächen floß,
Als wär's zur ganz besondern Buße
Für diese Stadt; nun hatt' ich Muße,
Mein Mittel hier zu exerzieren,
Um endlich mich zu orientieren.
Da hing die Karte an der Wand,
Da war der Punkt! – »O Till!« die Hand
Mußt' ich ihm warm und herzlich drücken,
»Hab' Dank! das muß sich trefflich glücken!
Doch sag', wie hast du das erraten?«

»Nun leicht genug roch ich den Braten;
Weißt du nicht mehr, im Weißen Roß,
Als du zu voll das Glas dir schenktest,
Der Scharlachberger überfloß
Und du den Römer trutzig schwenktest
Aufs Wohl des liebsten, besten Mädchens
Und dir der Name dieses Städtchens
Halb unbewußt dabei entfuhr?
Das war für mich schon frische Spur;
Den Finger tauchtest du in Wein,
Den du verschüttet, dann und schriebst
Den Namen derer, die du liebst.
Da blickt' ich dir ins Herz hinein
Und schwieg, mehr braucht' ich nicht zu wissen.
Doch als nach jener wilden Nacht
Ich der Betäubung dich entrissen,
In welcher Lurlei's Zaubermacht
Den Fluch dir auf die Seele lud
Der nimmersatten Liebesglut,
Beschloß ich, dich hierher zu führen
Und dir beim Werben und beim Küren
Treu beizustehn mit Rat und Tat,
Nicht abzulassen früh und spat,
Dich an ein reines Herz zu ketten,
Denn so allein bist du zu retten.
Bist du zufrieden mit der Reise,
Die Glück und Heilung dir verspricht?
Wo ist sie denn?« – »Das weiß ich nicht,
Ich weiß nur, daß in diesem Kreise
Sie zum Besuch auf einem Gute
Weitläufiger Verwandten weilt,
Und daß mein Herz mit frohem Mute
Ihr stürmisch in die Arme eilt,
Von Namen hab' ich keine Ahnung
Und kenne keinen Menschen hier.«

»Schön! desto besser! nun laß mir
Das Weitre, spare jede Mahnung,
Ich wittere mit feiner Nase
Das Gut, den Oheim und die Base
Schon aus und will dir's balde sagen,
Jetzt aber komm, mir knurrt der Magen.«
Wir setzten in des Wirtes Zimmer
Zum Frühstück uns, da war's wie immer
Des Morgens, wenn die Gäste fehlen,
Langweilig zum Minutenstehlen.
Schwermütig nur die Wanduhr tickte,
Die nicht mal recht ging, wie ich wähnte,
Der Wirt, nicht ausgeschlafen, blickte
Durchs Fenster auf den Markt und gähnte,
Nahm eine Prise, gähnte wieder,
Und immer floß der Regen nieder.
Vom Haus weit in die Straße hing
Zum Zeichen, daß man hier gut zeche,
An einem langen Arm und Ring
Das Wirtshausschild von Eisenbleche.
Kaum ließ das Gold sich und die Farben,
Die Wind und Wetter längst verdarben,
An all den Schnörkeln noch erkennen,
Die einst so bunt damit geziert,
Daß jedem, der vorbei spaziert,
Es mußte in die Augen brennen.
Doch in der Mitte von dem Schild
War eines Blümchens prächtig Bild
Schön blau und grün gemalt zu schauen,
Darunter aber stand »Zum blauen
Vergißmeinnicht« recht groß geschrieben,
Daß, wer hier einst zu Nacht geblieben,
Wer hier getrunken und gespeist
Und satt und fröhlich weiter reist,
Beim Wiederkommen nicht vergißt,
Wo hier ein gutes Wirtshaus ist.

»Wie gern ist doch der Mensch geneigt
Zu prophezeien und zu deuten!
Wo sich ein matter Schimmer zeigt
Von Hoffnung, sieht er schon von weitem
Den Sonnenaufgang seines Glückes,
Und eh' er mal die Nuß geknackt,
Denkt er entzückt im ersten Akt
Ans lust'ge Ende schon des Stückes.
So geht es mir; ich spüre kaum
Den kleinsten Wink von Schicksals Hand
Und knüpfe mir im stillen Traum
Schon fest des Lebens schönstes Band.
Es wächst in der Geliebten Nähe
Mir ein Vertrauen ohnegleichen,
Und abergläubisch forsch' und spähe
Ich rings umher nach einem Zeichen,
Das mir vom Himmel oder Erde
Ein sichtbar Pfand der Zukunft werde.
Ja lache nur, wenn ich das Bild
Der Blume dort im Wirtshausschild,
Wenn für ein glückverheißend Omen
Ich das Vergißmeinnicht muß halten.«

»Ich lache nicht; aus den Atomen
Muß sich der Sonnenball gestalten,
Und zwischen Erd' und Himmelszelt
Noch wunderbare Kräfte schweben,
Die aus der unsichtbaren Welt
Eingreifen in das Menschenleben.
Passiert's doch, daß wir nicht versöhn,
Was wir mit eignen Augen sehn,
Den wenigsten nur fällt es ein,
Der Schöpfung feinste Schrift zu lesen,
Es halten schon der Dinge Schein
Die meisten für der Dinge Wesen.«
»Ja, fiel ich ein, wer hell und scharf
Ein metaphysisch Auge, darf
Wohl hoffen, Dunkles auch zu lichten
Und das Verborgene zu sichten.«

»Meinst, daß ich einen Freipaß habe?
O nein! es ist die seltne Gabe
Nur der Beobachtung; der Geist,
Der rastlos auf Planetenbahnen
Den ungeheuren Raum durchkreist,
Der leuchtet auch im dunklen Ahnen
Der Menschenbrust, der Tieresseele,
Was auch dem Blindgebornen fehle,
Er fühlt etwas von jener Kraft,
Die jedes Tages Wunder schafft,
Die schlafend im Vulkan verstummt,
Im Genius wie im Wahnsinn spricht
Und aus der kleinen Fliege summt
Im Gasthof zum Vergißmeinnicht.«

»Und dennoch dank' ich's jener Hand,
Die dem zudringlichen Verstand
Ans Tor, das ihm verschlossen blieb,
Das Wort: Verbotner Eingang! schrieb.«

»Natürlich! man bleibt draußen stehn,
Kriegt vom Geheimnis nichts zu sehn.
Und ach! das liebe Himmelslicht
Wirft überall dieselben Schatten,
Der Funke Witz im Angesicht
Muß mit der Einfalt sich begatten,
Die leider uns im Blute steckt
Und Torheit über Torheit heckt.
Ja, tadellos ist das Gehirn
Hell scheint Vernunft wie ein Gestirn
Und trifft, so oft sie ruhig zielte,
Wenn uns das Herz mit dem Empfindeln
Nur nicht so dumme Streiche spielte,
Daß man schon in den goldnen Windeln
Und bis ans Grab zum Überfluß
Auch lieben oder hassen muß
Und dabei sich, so alt man wird,
Im Lieben wie im Hassen irrt.«

»Du blickst verächtlich drauf zurück,
Was du, weil du es nicht mehr kennst,
Der Liebe unermeßlich Glück,
Empfindelei und Irrtum nennst.
Ich weiß wohl, daß nicht alles Gold,
Was glänzt, und daß bei Licht besehn
In zweifelhafter Mächte Sold
Oft unsre besten Taten stehn.
Die Blüte möcht' ich ungern missen,
Will an der reifen Frucht mich laben,
Was sie gedüngt, mag ich nicht wissen,
Nicht nach der schmutz'gen Wurzel graben,
Ja wenn sich nur das Schöne zeigte,
Wenn ich das Gute nur erreichte,
Das Schlechte ließ' ich gerne ruhn.«

»Glaubselig Kind! was heißt das nun?
Ist denn nicht alles gut, was ist?
Und wird's nicht durch der Menschen List,
Durch ihre Bosheit selbst entehrt
Und durch das Denken erst verkehrt?
Der eine will am Duft der Blüte
Mit wählerischem Sinn sich laben,
Der andre will die Kraft und Güte
Der dauerhaften Früchte haben,
Der eine kann es kaum erwarten,
Bis er die erste Rose schaut,
Derweil der andre sich im Garten
Die mehlige Kartoffel baut.
Der Forscher aber bückt sich gern
Auch nach der allerkleinsten Pflanze,
Denn in dem unscheinbaren Kern
Steckt ja der Keim fürs große Ganze.
Das kannst du doch nicht übersehn;
Steig' auf den Turm, steig' auf den Berg,
Und siehst du unten Menschen gehn,
So scheint dir jeder wie ein Zwerg,
Und du erkennst nicht sein Gesicht
Und merkst nicht, was er tut und spricht,
Doch nimm die Lupe, spieß' ihn dir
Wie einen Käfer auf die Nadel,
Und dich ergötzt das Wundertier
Trotz alle seinem Fehl und Tadel.
Die Spezies, die läuft auf zwei Beinen
So ziemlich überall herum,
Doch wird dir's balde deutlich scheinen,
Wie jedes Individuum
Dir eine Welt für sich verkündet,
Die freilich manchmal schlecht genug,
Doch immer wert, daß man ergründet
Den Riß und jeder Linie Zug.
Nur laß um alles dich bewahren
Vor eines stillen Gifts Gefahren,
Das wie der Schwamm im Haus am Platz,
Wenn du das Leben willst studieren;
Es ist wie schlechter Fingersatz
Nur aus dem Grunde zu kurieren.
Das ist Sentimentalität,
Die wie die Zwiebel Tränen lockt,
Durch Phrasennebel sich verrät,
Dir jedes Bild verschiebt, verstockt,
So daß verwaschen und verschwommen
Die festesten Konturen scheinen,
Und statt zum klaren Blick zu kommen,
Packt dich ein Flennen und ein Greinen.
Dann tut ein guter Freund dir not,
Wie ich, mit seinen schärfsten Pfeilen,
Der gleich mit kalter Douche droht,
Um von dem Schwindel dich zu heilen.
Doch trau' nicht jedem plumpen Spötter,
Der frech sich einen Feind der Götter
Nennt und dir deine Ideale
Mit seinem Hausknechtswitz besudelt.
So'n Kerl ist nur die schäb'ge Schale
Für einen faulen Kern und hudelt
So Freund wie Feind nur hinterm Rücken,
Vorn aber kann er tief sich bücken.
Den frohen Mann zum Freunde nimm,
Nicht einen, dem in Gram und Grimm
Der Boden untern Füßen brennt,
Wo andre tanzen, der im Leben
Mit keinem Menschen »Du« sich nennt,
Dem man sich scheut die Hand zu geben.
Nimm einen, der dir seinen Rat
Nicht aufdrängt, aber Wort und Tat
Am Zügel hat in Ernst und Scherzen,
Der zwar die Weisheit nicht in Pacht,
Jedoch, wenn's gilt, aus seinem Herzen
Auch keine Mördergrube macht;
Mit einem Wort, mit einem Strich:
Such' einen Kerl dir, so wie ich.
Sieh', mit gutmütig leichtem Sinn
Werf' ich das Wort ins Leben hin,
Den einen trifft's, den andern fehlt's.
Und nichts verschweigt es, nichts verhehlt's,
Ein kühner Schlag, ein muntrer Schwank,
Dem weiß die Welt noch immer Dank.
Durch dick und dünn, in Schritt und Lauf
Hiss' deines Glückes Flagge auf,
Auf groben Klotz ein grober Keil,
Brauch' Mutterwitz ein gutes Teil,
Tu' deine Pflicht, steh' deinen Mann,
Frag' dein Gewissen, frag' die Ehre,
Und allen Kräften, kommt's drauf an,
Ruf' lustig zu: an die Gewehre!
Den Irrtum wirst du doch nicht los,
Das ist das allgemeine Los,
Daß nie der Irrtum dir entschlüpft,
Der bleibt dir treu und hinkt und hüpft
Als Schatten nach im grauen Kleide
Und tut so leicht dir nichts zuleide.
Laß diesem Weltkind das Vergnügen,
Dir Tag für Tag was vorzulügen,
Nur dann und wann auf sein Gebaren
Gib acht, er kann recht boshaft scherzen
Und kommt – du hast es ja erfahren –
Leicht gar zu nahe deinem Herzen.
Nun aber, Fuchs, genug vom Fliegen,
Wo haben wir uns hin verstiegen!
Ich möchte gerne trotz dem Regen
Im Freien mich etwas bewegen,
Die dumpfe Schwüle ist zum sticken;
Komm nur, der sanfte, laue Guß
Wird uns erfrischen und erquicken,
Und mir war's immer ein Genuß,
Zu sehn, wie's draußen webt und braut,
Wie wonnig, wenn man auf die Haut
Ist eingeweicht und durchgenäßt
Und dampfend auf dem eignen Leibe
Die Kleider wieder trocknen läßt.
Durch Wolken bricht die Sonnenscheibe,
Es trifft ihr Strahl ein Fleckchen Grün,
Millionen Tropfen funkeln drauf,
Die Kräuter duften, Blumen blühn,
Und jubelnd steigt die Lerche auf.«

So lockend klang des Voglers Pfeife,
Wir machten schnell uns auf die Streife,
Durch enge, krumme Gassen suchten
Wir uns das altersgraue Tor,
Und an den trüben Fenstern lugten
Neugierige Gesichter vor.
Bald standen wir auf einem Hügel
Und schauten in ein freundlich Tal,
Und wirklich schob des Windes Flügel
Die Wolken von der Sonne Strahl,
Und seine Perlenbrücke schlug
Ein Regenbogen hoch und weit,
Der einen Blick der ew'gen Zeit
Ins kleine, arme Leben trug.
Er fesselte des Wandrers Fuß
Und prangte über allen Hütten,
Den Menschen seinen Friedensgruß
Ins kummervolle Herz zu schütten.
Wem's von der Stirne tief gebückt
Heiß in die Ackerfurche tropft,
Wer unterm Strohdach gramgebückt,
Verstummend auf den Leisten klopft,
Und die im Arm ihr krankes Kind
Verweint und überwacht verblaßt,
Und wer in Neid und Hader blind
Den glücklicheren Nachbar haßt,
Wer sich mit Angst und Sorgen trägt,
Wer schlummerlos in Schulden bangt,
Und jeden Abend seufzend fragt,
Ob's auch wohl noch zu morgen langt, –
Der Regenbogen überspannte
Mit seinem milden Farbenschein
Sie allesamt und jedem sandte
Er Hoffnung in die Brust hinein.
Wer's sah, wie über alle Giebel
Er hoch sich in die Wolken schwang,
Dem kam ein tröstend frommer Klang,
Das alte heil'ge Wort der Bibel.
Sei still! so lang die Erde steht,
Auch wechselnd Herbst und Frühling geht
Und Sonnenschein und Schnee und Regen
Und Tag und Nacht und Saat und Segen.

Wir setzten uns auf einen Stein,
Der schon vom warmen Sonnenschein
Getrocknet war, und ein Papier
Zog Till hervor: »Ich habe hier
Das neu'ste Kreisblatt mitgenommen,
Das wollen wir einmal studieren,
Was hier die Leute inserieren,
Und ob wir auf die Spur nicht kommen,
Die jetzt mit Energie und List
Von hieraus zu verfolgen ist.
Heiratsgesuch – Gesunde Amme –
Missionsverein – Gemeindetrift –
Ganz trocknes Holz (vom Fichtenstamme?) –
Gesundheitskaffee – Rattengift –
Halt! hier! Ein Medaillon verloren
Ist auf dem Wege von den Toren
Der Stadt bis hin zum Gute Raben,
In Diamanten drauf erhaben
M. B. verschlungne Lettern treten,
Ehrlicher Finder wird gebeten –
Na und so weiter. Da der Name
Der Unterschrift nicht B. anhebt,
Ist's also eine fremde Dame,
Die jetzt auf jenem Gute lebt,
Und da M. B. dein Engel heißt,
Ist hundert gegen eins zu wetten:
Sie ist's, und da wird hingereist.
Wie sich doch Pech und Glück verketten!
Ach Gott! und in der Kapsel steckt
Wohl gar von dir ein blondes Löckchen,
Wie wird das arme Kind erschreckt
Und traurig sein! ein Blumenglöckchen,
Vom Frost geknickt, ihr Köpfchen hängt,
Und Träne sich auf Träne drängt.«

»Komm! laß uns suchen, laß uns spüren,
Und denke doch! wenn wir es fänden,
Wär's abzugeben ihren Händen,
Ein Mittel, um uns einzuführen.«

»Aha! und dann der Finderlohn,
Den man zu nehmen sich nicht weigert, –
Wie doch bei einem Musensohn
Die Liebe die Erfindung steigert!
Nein! suchen wäre Zeit verlieren,
Ich werde schon noch spionieren,
Geschickten Vorwand auszusinnen,
Und will nach Raben dich begleiten,
Um dir die Wege zu bereiten,
Die Unterhaltung fortzuspinnen,
Besonders aber, um die Alten
Vorsichtig euch vom Hals zu halten.«

Wir brachen ohne Zögern auf
Und gingen längs des Baches Lauf
Nun ins Vergißmeinnicht zurück
Und wollten um ein Fuhrwerk dingen,
Doch lächelte uns nicht das Glück,
Für heute wollt' es nicht gelingen,
Wir sahen nur den leeren Stall,
Kein Pferd, und mußten in dem Fall
Uns nolens volens hier bequemen,
Bis morgen Aufenthalt zu nehmen.
Bald Mittag war's und glühend heiß,
Und war ich für mein Teil, nach Raben
In meines Angesichtes Schweiß
Auch gern bereit, zu Fuß zu traben,
So war es Till, der dies verneinte
Und komisch ernsten Blickes meinte,
Es sei nicht schicklich, nicht erlaubt,
Daß wir wie Handwerksburschen kämen
Zu Fuß, schweißtriefend und bestaubt
Ein Nachtquartier in Anspruch nähmen.
Ihm sei auch diese Schicksalswendung
In meinem Sinn willkommne Zeitung,
Die diplomatisch feine Sendung
Erfordere doch Vorbereitung.
Also, mein sehnend Herz, nun schlage
Zu laut nicht, und am andern Tage
Vergelte aller Liebe Huld
Dir hundertfältig die Geduld! –
Da in den Garten kam gehinkt
Ein Spielmann, den sich Till gewinkt;
Er rief ihm übern niedern Zaun:
»Du kommst zur guten Stunde, traun!
Hierher! trink mit, laß frei dich nieder
Und sing' uns deine schönsten Lieder.«
Der Spielmann kam, trank tief und lang,
Nahm seine Geige, spielt' und sang:

              Der Wald war grün und der Himmel war blau,
Und es blinkte der Tau im Moose;
Ich hatt' einen Falken, der war mir treu,
Und ein Roß, wie ein Hirsch so wild und scheu,
Und ein Lieb, so schön wie die Rose,
Wie die Rose im Morgentau.

O Jugendlust und o Reitertanz
In des Maien wonnigen Tagen!
Wenn der Rappe über die Heide braust,
Dem Falken zu folgen, der von der Faust
Sich schwingt zum fröhlichen Jagen,
Zum Jagen im Sonnenglanz.

Wie rot, Brunhild, deine Wangen sind,
Und wie die Augen dir funkeln,
Wenn du im Sattel des Renners dich wiegst,
Zu mir dich lächelnd herüberbiegst
Und dir die Locken, die dunkeln,
Die dunkeln dir flattern im Wind. –

Längst ist er vorüber, der selige Traum,
Wo wir einander geschworen;
Ich höre nicht mehr des Falken Ruf,
Der Rappe scharrt nicht mehr mit klingendem Huf,
Mein Lieb ist für mich verloren,
Verloren im weiten Raum.

Erst sandt' ich nach ihr den Falken aus,
Der Falke hat sich verflogen,
Dann bin ich ihr selber nachgesetzt,
Bis ich den Rappen zu Tode gehetzt,
Sie war mit dem andern gezogen,
Gezogen aufs Meer hinaus.

O Falke, kämest doch du nur zurück!
Du hast ja mein Brot gegessen,
Nun fliege hinüber auch über die See
Und bring' ihr die Botschaft von meinem Weh,
Und daß ich nicht könnte vergessen,
Vergessen sie und mein Glück.

          Du schöne, du liebe, du wonnige Maid,
Nun bist du daher gekommen
Und hast mir alle mein Herzeleid
Mit einem Worte genommen.
Den ganzen Frühling bringst du ja mit,
Sein Knospen und Schwellen und Drängen,
Es sprießen Blätter auf jedem Schritt,
Und es schallt von frohen Gesängen

Und Blumen trägst du mir in das Haus,
Mir freundlich das Leben zu schmücken,
Ich kann mir einen duftigen Strauß
Bei dir, du Liebliche, pflücken.
Die Veilchen hast in den Augen du
Und die junge Rose im Munde,
Du lächelst mir Vergißmeinnicht zu
Und Gedenkemein jede Stunde..

Mein Springauf bist du und Edelweiß,
Herzfreude und Anemone,
Mein Tausendschön und Ehrenpreis,
Märzbecher und Kaiserkrone.
Sie nicken so traulich und flüstern und blühn,
Sind alle auf einmal entsprungen,
Und meiner Liebe Immergrün
Hab' ich um alle geschlungen.

Du schöne, du liebe, du wonnige Maid,
Nun gib mir süßselige Kunde,
Jelängerjelieber tu' mir Bescheid
Mit deinem rotblühenden Munde.
Die langen, seidenen Wimpern schlag'
Nur auf und schüttle die Locken,
Ich liebe dich, Mädchen! 's ist Frühlingstag,
Er läutet mit Maienglocken.

          Du Schwarzer mit deinem kurzkrausen Gelock,
Nun sage, – wie wunderbar!
Woher auf dem stattlichen Sonntagsrock
Dies ellenlang, aschblonde Haar?

Lieb Schwester, ich war bei dem Fuchsen im Stall,
Der wedelte, wie ich ihn tränkt',
Da hat aus dem Schwänzel auf jeden Fall
Das Haar an den Rock sich gehängt.

Dem Fuchsen sein Schwänzel hat feines Gespinnst,
Nur aschblond ist es grad nit,
Lieb Brüderlein, ob du dich doch nicht besinnst,
Wo brachtest das Haar du dir mit?

Jetzt weiß ich's: ich war im Nachmittagsgebet,
Und neben mir just beim Gesang
Saß Lindenschmidt's Käthchen, der flattert und weht
Das Haar in Strähnen so lang.

Das Käthchen war nicht in der Kirche, du Strick!
Das saß in der Laube mit mir,
Es bind't auch die Zöpfe sich hoch im Genick,
Damit es kein Härchen verlier'.

So frage denn du und der Teufel mich aus,
Bin doch nicht bei dir in der Beicht'?
Und wuchs das Haar nicht in unserem Haus,
So wuchs es wo anders vielleicht.

Du Wilder, du Lieber, komm, neig' mal dein Ohr:
Hu! steigt ihm das Blut zu Gebirg!
Ein andermal lüge mir wieder was vor
Von Fuchsen und Nachmittagskirch.

          Wie alt ich bin, – ich sag' es euch nicht
Es steht mir auch im Angesicht
Der Taufschein nicht geschrieben;
Zum Weisen bin ich noch zu jung,
Zum Toren hab' ich lang genung
Mich durch die Welt getrieben.

Ich küßte manchen roten Mund,
Ich saß an manches Tisches Rund
Und manchem Roß im Bügel;
Doch hab' ich auch grob Holz gehackt
Und manche harte Nuß geknackt,
Geweint auf manchem Hügel.

Doch läßt sie nimmer noch mich los,
Hält immer noch mich auf dem Schoß,
Die blondgelockte Jugend;
Ob ich in Falten zieh die Stirn,
Kommst doch mir nicht in Herz und Hirn,
Gebenedeite Tugend!

Muß immer noch den schönen Frau'n
In die Verräteraugen schau'n,
Ihr mögt mich drum beneiden,
Mach' gar zu gern die Lippen naß,
Kann immer noch kein volles Glas
Und auch kein leeres leiden.

Bei Blumenduft und Vogelsang
Wird mir nicht Zeit und Weile lang
Im tiefen Waldesschweigen;
Zum Singen und zum Wandern drängt
Mein Sehnen, und der Himmel hängt
Mir immer noch voll Geigen.

Ich sag' es euch nicht, wie alt ich bin
Und wie jung, wie jung noch Herz und Sinn,
So soll's auch bleiben künftig,
Die fröhliche Kraft, der wagende Mut
Und ach! das liebe, sündige Blut
Wird auch wohl nie vernünftig.

Liebfrauenmilch, Liebfrauenmund,
Kommt her! ich bin der Dritte im Bund,
Den sollt ihr nicht verschmähen;
Und trink' ich die eine bis auf den Grund,
Und küss' ich den andern noch so wund,
Kein Hahn hat danach zu krähen.

              All meine Not, um die ich mich bange,
Dreht sich um Mädchen und Wein,
All mein Sinnen ist, wie ich gelange
Pünktlich zum Stelldichein.
Wo mir am Hause winket ein Kranz,
Wo eine Geige fiedelt zum Tanz,
Holla! da zwickt's mich am Bein.

Aber um lumpiges Geld die Sorgen
Haben mich niemals gequält,
Habe auch Stehlen und Betteln und Borgen
Nimmer zum Handwerk erwählt;
Niemals zerriß mir am Beutel die Naht,
Zu den paar Pfennigen wird ja noch Rat,
Habe sie niemals gezählt.

Heute geprasst und morgen gefastet
Hat mich noch niemals gereut,
Überall hab' ich und nirgends gerastet,
Wie es mich grade erfreut;
Gulden, du letzter, der mir noch frommt,
Soll mich nur wundern, wo's morgen herkommt,
Morgen ist aber nicht heut.

Hab' ich doch silbern und goldene Lieder,
Klingen zu Fiedel und Baß,
Schwarzauge komm, du im schwellenden Mieder,
Wirst ja vom Spinnen nur blaß;
Höre doch, Liebchen, den lockenden Ton,
Wie wir nun kommen, so stimmen sie schon,
Her mit dem Besten vom Faß!


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