Julius Wolff
Till Eulenspiegel redivivus
Julius Wolff

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I.

In Elm.

                    Es war im Buchenhain des Elm,
Aus der Geschichte Dämmrung tauchte
Mit Eisenpanzer, Speer und Helm
Empor hier Otto der Erlauchte.
In seines Stammes Glanze stieg
Aus heidnisch dunkler Zeiten Nacht
In hartem Kampf, mit Ruhm und Sieg
Die Morgenröte deutscher Macht.
Die tapfern Sachsenkaiser tagten
In Frieden und in Kriegeslärme
Auf diesem Grunde und verjagten
Von hier der Ungarn wilde Schwärme.
Hier dicht gesät im Kreise lagen
Einst Klöster, Burgen und Vogtei,
Des Deutschen Ordens Comthurei;
Hier war es, wo der Ritter Hagen
Ablaß für künft'ge Sünden kaufte
Und so geschützt durch seinen Zettel
Nun plündernd den erschlichnen Bettel
Den schnöden Ablaßkrämer raufte.
Zur Warnung in der Zeiten Flug
Vor alt und neuem Pfaffentrug
Schaut heute noch der Tetzelstein
Vom Osterberg ins Land hinein.
Da war es, wo ich fröhlich lag
Im sonnig taubeglänzten Hag,
Das Herz ganz voll von Frühlingslust
Und recht mit Freuden mir bewußt,
Daß auf der weiten Welt umher
Kein Menschenkind zufriedner wär.
Statt düstrer Bilder der Geschichte
Aus alter Pergamente Staub,
Entstiegen heitre Traumgesichte
Mir aus des Waldes jungem Laub.
O Maiengrün im Buchendom,
Wie farbenreich des Lichtes Strom
Von allen Zweigen schimmernd fließt
Und vor sich in mein Auge gießt,
Das dürstend trinkt mit langem Zug,
Als ob an frisch gefüllten Krug
Ansetzt, verschmachtet halb, ein Mund
Und trinkt ihn leer bis auf den Grund!
Wie alles funkelt, blitzt und klingt,
Mir durch die Sinne wogt und springt!
Und was sich in die Seele drängt
Und sie mit Lebenswonne tränkt,
Das treibt wie Knospen in der Nacht
Und quillt und schwillt mit Frühlingsmacht
In still beglückter Einsamkeit
Zu Lieb' und Lust und Seligkeit.
So frei macht nichts im Erdenrund,
Die Brust so weit, das Herz gesund,
So trunken macht kein Saft der Traube
Wie Maiengrün vom Buchenlaube.
 

Wie ich so lieg' im Waldesschoß
Lang hingestreckt auf weiches Moos
Und atme kühle Waldesluft
Und würzig frischen Kräuterduft,
Da durch die Wipfel zieht im Kreise
Ein einsam Klingen fern und leise.
Vom Kirchlein kam's im Dorfe dort,
Das feierlich zum Gotteswort,
Zur Frühmett alle frommen Seelen
Mit sanftem Läuten tät befehlen.
Das liebe Dorf! ich kannt' es wohl,
Und würdig war's, von Pol zu Pol
Berühmt zu werden und bekannt,
Kneitlingen ist das Nest genannt.
Die Sonne auf den Fenstern blinkte,
Und blauer Rauch stieg allgemach,
Ein tiefer Sonntagsfrieden winkte
Von jedem grünbemoosten Dach.
Bin selber ja ein armer Sünder,
Doch was im Dorf der wackre Pfründer
Der lieben Herde dort gepredigt,
Wie er der Sünden sie entledigt,
Danach hatt' ich kein solch Verlangen,
Als was die muntren Vöglein sangen;
Die hatten weidlich mich erbaut,
Und wie das Dörfchen ich geschaut
Mit seinen Hütten, seinen Scheunen
Und seinen blühenden Gartenzäunen,
Da zogen mir durch meinen Sinn
Ganz andere Gedanken hin.
Mir war, als flög' ein ganzes Heer
Von tollen Schwänken drüber her,
Die schon vor manchen hundert Jahren
Durch die verblüffte Welt gefahren,
Als ob am hellen, lichten Tag
Ein Bann mich hier gefeit, ich lag
Mit offnem Aug' und sah doch nicht,
Als wie ein lachendes Gesicht
Mir wunderlich entgegengrinste
Und närrisch mit den Augen blinzte,
Das aus dem Haselstrauche blickte
Und traulich immer nickt' und nickte.

Wer war's? – Wer konnt' es anders sein,
Als jener Lust'ge, Liebe, Schlimme
Dort aus dem Dorf im Sonnenschein!
Mir sagt' es eine innre Stimme,
Und jeder Vogel rief mir's zu:
Er ist's! er ist's! nun hüt' dich du!
Da kannte ich die schmucke Larve,
Das Auge, das klugblickend scharfe,
Das ganze Antlitz Zug um Zug
Und ihn, der's auf den Schultern trug,
Im Spott so dreist, im Witz so schnell,
Ein übermütiger Gesell,
Durchtrieben, kühn und unverdrossen
Bereit zu tausend Narrenspossen.
Ob ich ihm rief, ob winkte auch,
Er trat hervor aus dichtem Strauch,
Weiß selber nicht, wie es geschah;
Mit einem Male saß er da
Mir gegenüber auf dem Steine,
Schlug übernander flink die Beine,
Stützt dann das Kinn auf seine Hand
Und blickt mich an nun unverwandt.
»Pardon! spricht er zu mir, ich wette,
Du hältst es mit der Etikette,
In eurem großen Säkulum
Bei meinem Kauz! ist nichts so dumm,
Wie dieser alte Firlefanz,
Der ew'ge Marionettentanz –«
»Halt' ein! rief ich, was will das meinen?
Da drüben weiß ich auch schon einen,
Der eifernd jetzt die Kanzel fegt,
Bin nicht zur Beichte aufgelegt.«
Da lacht' er, daß es gellend schallte,
Daß aus dem Wald es widerhallte,
Aus allen Wipfeln brach hervor
Ein jauchzend heller Lacherchor.
»So recht! so recht! so spricht ein Mann!
Wir werden Freunde, hör' mich an!
Ich wollte um Entschuld'gung bitten,
Daß gegen eure zarten Sitten
Ich kühnlich mich dir zugesellt,
Dir nicht bekannt noch vorgestellt,
Ich bin –« »Das brauchst du nicht zu sagen,
Ich kenne dich, und das Behagen,
Das ich in deiner Näh' empfinde,
Wie ich an dir Gesellschaft finde,
Das täuscht mich nicht; als ob fürwahr
Wir eines Geistes Zwillingspaar,
Als ob Milchbrüder wir gewesen,
An einer Nahrung Kraft genesen,
So spricht mich an dein ganzes Wesen,
Ich kann dir's aus den Augen lesen,
Es rieselt mir durch alle Glieder,
Es zwickt und zwackt mich hin und wider,
Mich kitzelt was in Fleisch und Blut,
Ein ganz besondrer Übermut
Brennt mir die Zunge, juckt mir's Fell,
Die Strömung kommt von dir, Gesell,
Aus deiner heitern Atmosphäre
Weht mich was an wie Wundermäre,
Wie Weisheit und wie Narretei,
Wie Aberwitz, Philosophei,
Wie Ironie und Schelmenstreich,
Wie Sympathie, wie gleich und gleich;
Hätt' ich zu trinken nur bei mir,
Bei meinem Durst! ich tränk' mit dir,
Ich stieße treulich mit dir an,
Hier meine Hand! schlag' ein, Kumpan!«
Mein Gegenüber schwieg und sann
Und schaute mich durchbohrend an..
»Du redest wunderbar vernünftig,
Wie einer, der sein Herz erkannt,
Doch in der Kunst, in der ich zünftig,
Darin bist du noch Dilettant.
Zwar du versuchtest dich mit Glück,
Allein ein echtes Meisterstück
Das brachtest du noch nicht zuwege,
Noch fandest du nicht das Gelege
Der goldnen Eier, wohlbehütet,
Auf dem der klügste Vogel brütet;
Nur Witz und Geistesgegenwart
Macht dich zum Herrn, sonst bist genarrt.
Ein Handwerk will erkoren sein,
Die Kunst muß angeboren sein.
Ich will nur eins dich ernsthaft fragen:
Kannst du die Wahrheit wohl vertragen?
Kannst du vertragen, daß das Wort,
Das schneidig scharfe, trifft den Ort,
Wo dein geheimstes Trachten ist,
Die Stelle, wo du sterblich bist?
Woll' mir die Frage nicht verübeln,
Sieh, alles Denken, alles Grübeln
Macht dir das Herz nicht frei und heiter,
Mit Wünschen kommst du auch nicht weiter,
Greif' zu mit Händen, kühnen, raschen,
Den flüchtigen Genuß zu haschen,
Klug spüre auf des Lebens Würze,
In seinen buntsten Wirrwarr stürze,
Treib' wie ein Kreisel dich herum,
Wirf, was nicht feststeht, um und um,
Dem stell' ein Bein, dem dreh' 'ne Nase,
Und jenem in die Ohren blase
Handgreiflich eine feiste Lüge,
Er glaubt sie doch; kurzum betrüge
All die Betrüger grob und fein
Und alle Lumpen groß und klein.
Schlag' um dich mit des Witzes Hieb
Und schüttle deines Spottes Sieb,
Daß dir so recht aus voller Brust
Losbricht die wonnevolle Lust,
Voll Übermuts, unbändig kecken,
Die Welt zu narren und zu necken.
Für sie ist's Wohltat und Bedürfnis,
Und du fragst nichts nach dem Zerwürfnis,
Wenn sie dich schilt, wenn sie dir grollt,
Daß du an ihr dich ausgetollt;
Du lachst nur, lachst aus Herzensgrund
Und lachst dich frei, reich und gesund!«

Das war ein Evangelium!
Collegium privatissimum!
So sprach noch keiner, daß ich wüßte,
Wie dieser Pred'ger in der Wüste.
Doch nun entrückt der Gegenwart
Er ziellos in das Blaue starrt,
So pfiffig lächelnd und verschmitzt,
Als dächt' er Lehr' und Beispiel itzt.
Dann aber drang ihm durch die Kehle
Ein Kichern wie aus tiefster Seele,
Und endlich wieder er begann:
»Nun, Freund, du schweigst ja still? sag' an,
Bangt dir etwa vor der Methode,
Mißfällt dir die bequeme Mode
Der lustig leichten Schellenkappe?
Hör', Freund! daß ich dich nicht ertappe
Auf jenem dummen Vorurteile,
An das die diamantne Feile
Gesunder Sinn tagtäglich setzt,
Tagtäglich daran schleift und wetzt,
Als ob die Weisheit nur auf Krücken
Und über ganz besondre Brücken
Kopfschüttelnd müßt' zum Kirchhof schleichen
Und alles ihr errötend weichen;
Als ob die Freuden dieser Welt
Zum Abscheu nur sei'n hingestellt,
Und der Genuß der lieben Sinne,
Ein Lied, ein Trunk, die holde Minne,
Der Augen Lust, des Herzens Glück
Und jeder frohe Augenblick
Von unserm ew'gen Seelenheil
Ausstriche ein beträchtlich Teil;
Als ob's wahrhaftig ungefähr
Die nackte, blasse Sünde wär,
Das Leben lustig anzuzapfen,
Statt in den ausgetretnen Tapfen
Der Langenweile hinzutrotten
In Spinneweb, ein Fraß für Motten,
Statt sich durch Staub und Schlamm zu wühlen,
Sich endlich flügge mal zu fühlen,
Das Eisen unterm Huf zu schärfen,
Im vollen Laufe dem Humor
Die Zügel auf den Hals zu werfen,
Ob Weg und Steg er auch verlor,
Und einen Purzelbaum zu schlagen
Ohn' um Erlaubnis erst zu fragen,
Und wär' es auch auf die Gefahr,
Daß dabei, eh' man's wird gewahr,
Mal aus der Löwenhaut hervor
Guckt ein gutmütig Eselsohr.
Des Vogels Lied, des Baches Rauschen,
Dem Weh'n des Windes mußt du lauschen.
Und was die Menschen tun und treiben,
Wie sie sich drängen, stoßen, reiben,
Wie sie sich schmeicheln und belügen,
Sich ärgern, zanken und betrügen
Und sich vor ihren Götzen bücken,
Oh! 's ist ein Schauspiel zum Entzücken.
Vor Freuden hüpft dir's Herz im Leibe,
Zum allerbesten Zeitvertreibe
Wählst du dir klüglich das Vergnügen,
Auf planlos freien Wanderzügen
Dir Welt und Menschen zu betrachten.
Um endlich beide zu verachten.«
»Was?! rief ich, so in Bausch und Bogen
Hat denn die Welt dich so betrogen?
Was machte dich zum Menschenfeind?«
»Versteh' mich! so ist's nicht gemeint;
Was recht und gut ist, laß ich gelten,
Das Dumme aber muß ich schelten,
Und trüg's den zierlichsten der Zöpfe.
Wenn ich mal Luft hier oben schöpfe,
Gelangweilt von dem ew'gen Steh'n,
Und wieder mal die Welt zu sehn
Das liebe deutsche Land durchstreife,
Ein Geistervagabund, so schweife
Wie ehedem ich kreuz und quer
In der Gestalt bald, bald in der,
Bald sichtbar und bald unsichtbar;
Schnell rollt die Welt, doch wunderbar
Noch immer wußt' ich was zu finden,
Der Mühe wert, drum anzubinden.
Zwar mit den alten bösen Streichen,
Mit denen einstmals ohnegleichen,
Wie Thomas Murner euch erzählt,
Die Welt in Staunen ich versetzt,
So Meister wie Gesell'n gequält
Und Narren hab' auf Narr'n gehetzt,
Kann ich in meiner Eigenschaft
Als Posthumus nichts mehr verrichten,
Die Lust ist da, doch fehlt die Kraft,
Jedwede Dummheit zu vernichten.
Denn ich bin nicht wie die Gespenster,
Die mitternächtig spuken gehn,
Ich hab' in meinem Grab ein Fenster,
Da kann ich mir die Welt besehn.
Als seliger Philister steh
Und pensionierter Philosoph
Im tiefsten Seelen-Negligé
Ich oft und blick' in Haus und Hof;
Und seh' ich dann, wie toll und kraus
Die Welt, die niemals kommt zur Reife,
Geht die unsterblich lange Pfeife
Mir manches Mal vor Lachen aus.
Zuweilen nur ist mir's gestattet,
Mich wieder menschlich zu bewegen,
Von höhern Kräften überschattet,
Der blöden Welt den Staub zu fegen,
Ihr meinen Spiegel vorzuhalten,
Daß sie sich selbst darin erkennt
Und in der Wahrheit ihr, der kalten,
Ein Funke Witz ironisch brennt.
Schon manches Mal ich auferstand
In anderm Leib, mit anderm Namen
Und streute mit der Zukunft Samen
Den Keim des Spottes in den Sand;
Das Volk spitzt wohl einmal die Ohren,
Erkannt in Schriften und auf Gassen
Glaubt' ich mich oft, doch ist von Toren
Der Geist des Spottes schwer zu fassen.
Drum gab ich's auf, den Vielgequälten
Vernunft und mores beizubringen,
Und nur vor einzelnen Erwählten
Laß ich noch meine Schellen klingen.
Wenn du versprichst, mich nicht zu fragen,
Wie ich, ein Dämon, durfte wagen,
Mich hier leibhaftig dir zu zeigen,
Und wenn du mir gelobst zu schweigen,
Will ich dir einen Vorschlag machen:
Schnür' in ein Bündel deine Sachen
Und mach' mit mir auf meine Weise
Inkognito die Ferienreise;
Es ist schon eine Reih' von Jahren,
Daß ich nicht mehr wie sonst gefahren,
Wir werden uns gewiß bequemen,
Hast dich auch meiner nicht zu schämen,
Poet und Narr, Narr und Poet
Wie ein Fuß mit dem andern geht.«

Ein wenig hat mich doch geschaudert,
Ein wenig hab' ich doch gezaudert,
Allein ein Blick in dies Gesicht,
Das in dem hellen Morgenlicht
So kreuzfidel behaglich blickte,
So lustig lockend, schelmisch nickte,
Wie durch kristallenen Pokal
Voll klaren Weins ein Sonnenstrahl
Im kühlen Tranke goldig blinkt
Und Augen, Hand und Lippen winkt
In dies Gesicht ein einz'ger Blick,
Und alles war in Rück und Schick.

»Nun gut denn! unter diesen Buchen
Gelob' ich dir, es zu versuchen,
Mit einem Narrn mich zu begeben
Auf Wanderschaft, genug, zu leben
Mit einem Narrn und auch zu schweigen.
So lang dich darfst hier oben zeigen,
So lange schweige ich geduldig,
Doch nachher bin der Welt ich schuldig
Ein Lied auf jegliche Gefahr,
Ob es erlogen oder wahr,
Was dreist behauptet jedermann,
Daß man vom Narrn auch lernen kann.«

»Bravo! ich seh', daß dir nicht bangt,
Und was nun das Nachher belangt,
So steht dir's frei, in vollen Zügen
Der Welt das Tollste vorzulügen,
Was so zwei Köpfe aufgesteckt
Wie ich und du, die's ausgeheckt.
Verewige es schwarz auf weiß,
Und Lust beflügle deinen Fleiß;
Dann komm zu mir und lies mir's vor,
Ich hab' ein scharfes Lauscherohr
Und hör' es durch den Leichenstein,
Brauchst also nicht so sehr zu schrei'n;
Und wenn der Stein dann klingt und kracht,
So denke: Eulenspiegel lacht.
Und nun, mein Freund, zieh nur voraus,
Ich wittre dich zurzeit schon aus,
In wenig Wochen dann von Mölln
Komm' ich zum Stelldichein nach Köln,
Hier meine Hand! ein Wort – ein Mann!
Wir treffen sicher uns, und dann
Geht's los kopfunter und kopfüber,
Zum Abschied nimm – den Nasenstüber!«
Da war er hin! leer war der Stein,
Und ich war wie zuvor allein;
Ich hört' ihn durch die Büsche streifen,
Nach meiner Nase mußt' ich greifen,
Von weitem tönte noch mal schrill
Sein Lachen, dann war alles still.
Wo kam er hin, der lustge Schelm?
Fort war er, fort! – Das war im Elm.


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