Alfred Wolfenstein
Der Lebendige
Alfred Wolfenstein

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Die Ohnmacht

I

Ueber finstere stumpfe Flächen der Erde, die der Horizont mit immer lichteren Himmelsgewölben nie abschloß, daß jeder Schritt in neue Unendlichkeit fiel, eilte sie zeitlos hin – bis plötzlich in der Wüste ein Bauwerk stand. Eine Mauer zog sich um einen Turm, aber der Turm war eine riesenhafte Uhr und ihr baumstarker Zeiger rannte, um den Kreis zu vollenden, wie ein Sekundenzeiger rasend herum. Das Ziel war die blutrot flammende Stunde V und schon zuckten wie Schwerter von Geistern vorauseilend gläserne Schimmer, körperlose Zeiger, unaufhörlich auf jene Morgenstunde ein. Da erwachte mit einem Mal eine entsetzliche Erinnerung in ihr und schreiend warf sie sich auf den Zeiger, der empor stieg, umklammerte ihn, wollte ihn festhalten, starrte ihn mit aufgerissenem Munde an, aber er rückte eisern mit ihr weiter, wie an einer Schaukel sauste sie im Kreise hinab – plötzlich durchblitzte sie die purpurrote Stunde, sie fiel –

Zuckend blickte sie um sich und richtete sich auf. Das Sofa zirpte leise, über nebelhaften Umrissen des Tisches hing das Blinken von Bildern der unsichtbaren Wände in der Luft. Wetterleuchten füllte das Fenster milchig. Durch grelle Türritzen schrien die Stimmen von Frauen. Noch immer waren sie da.

Dika streckte sich auf dem Rücken aus. Sie legte die vom Gesicht warme Hand in die andere, eiskalte. Sie fühlte die schneidende Klarheit, die nun mit ihr erwacht war. Ihre Ohren brausten von der Zeit, die unaufhaltsam im Bogen durch das Dunkel schlug, daß ein glühendes Meer aus den Hälsen der Minuten spritzte. Erst jetzt begriff sie, morgen mußte er sterben.

28 Sie lag und fühlte alle Ringe der machtlosen Einsamkeit um sich, ihren Körper, der sie nutzlos umgab, die Wände des feindlichen Hauses, die Dächer der fremden Häuser, – bis zu den Gefängnismauern quer am Ende der Stadt doch dahinter ist nicht mehr die Einsamkeit, hinter der Mauer beginnt dort der nächste Stern. Und jetzt erst in deiner letzten Nacht sehe ich deine Gefahr und weiß nicht, wie ich dich retten soll –

Sie warf sich zurück. Im Donner des Gewitters kam das Gefängnis herangerollt und öffnete seine Mauern und die Wand ihres Zimmers – –

– Eine Klingel tönte. Nach einer Weile trat aus dem hereinstechenden Licht des Korridors ein kleiner gebückter Mann und verschwand im Dunkel der wieder geschlossenen Tür. Dika streckte freudig die Hand nach ihm aus:

Machen Sie Licht – Ich bat Sie hierher – um zu erfahren – – wie es Ihnen geht – Ihr Dienst ist schwerer als damals bei uns? – Bewachen Sie selbst die Gefangenen, wohnen Sie dort?

Das Fräulein sprach mich ja schon, sagte der Alte.

Aber jetzt ist in Ihrem Gefängnis ein zum Tode Verurteilter. – Kennen Sie ihn?

Der seinen Vater umgebracht hat, – der Diener sah sie erstaunt an, Sie kannten ihn ja auch.

Dika ergriff schnell seinen Arm: Aber Sie wissen nicht, warum er es tat – Bildhauer wäre mein Freund, ein Reicher gab seinem Vater Geld für ihn, der Vater aber kaufte eine Kneipe, verbrauchte das Geld und zwang seinen Sohn an den Schanktisch. Es ist wichtig, warum er es getan hat.

Der Diener antwortete nicht, sein Kopf hing schief auf seine Fäuste zwischen den Knien herab.

29 – Wollen Sie etwas für mich tun? etwas Großes, Selbständiges? – Ich kann mir freilich noch nicht klar machen, welche Stellung Sie dort haben – Aber ich denke – – Wollen Sie mich heute Nacht mit ihm sprechen lassen?

Er schielte zu ihr herauf, erschrocken lächelnd. Dann wurde er wieder ernst und sah zu Boden. Dika ging mit glühendem Gesicht im Zimmer umher. Ein langes Gelächter aus dem Nebenraum schlug schrill wie ein Xylophon über die Wand neben ihr hin.

Er ist allein, sagte sie, obwohl sie fühlte, es war umsonst, – hinter ihr erstarrte der Alte zu einer neuen Mauer wie alle Anderen – Er hat nichts mehr von mir gehört – ich war betäubt, – nicht von seinem Schicksal, denn daß er morgen stirbt, ist mir erst heute bewußt geworden – aber seine Tat überwältigte mich ganz, denn seine Tat ist groß und rein, wie ich nie eine tun könnte.

Der Diener wandte plötzlich den Kopf und erhob sich schnell, die Lampe mitreißend, die in Scherben fiel. Dika stürzte zur Tür: – Mutter –

Unsere Gäste gehn –

Dika hielt die Klinke zu und wartete. Ein Heer von hohen, sich überhöhenden Stimmen quirlte vor der Tür. Dann drehte sie sich um – sah den Diener in der grauenvoll eilenden Zeit mit aller Kraft durchdringend an, mit seiner stummen verlegenen Hand in der ihren – Es ist noch nicht zu spät, flüsterte sie.

Aber der Diener war weit entrückt – Stufen führten bis zu einem fernen Throne hoch, auf dem er saß, und seine Hand, mit ungeheurer Macht erfüllt, stieß sie hinweg. 30

II

Sie warf sich weinend auf das Sofa. Während ihre Schultern noch zuckten, ihm nachzueilen, hörte sie es draußen mit einer Flut schlagender Türen still werden. Sie preßte die Knöchel an die Ohren, und tierhaft groß dehnten die Pupillen das Dunkel.

Sie sprang auf und stand irgendwo im Zimmer wieder still, sie setzte sich ans Fenster über ruhenden blitzenden Gärten. Zwischen Traum, verzweifeltem betäubendem Traum – und einer mächtigen Tat schwankten die armen Gedanken hin und her. Ihr Kopf war jetzt grell und einsam und fruchtlos wie ein Stern ohne Menschen.

Dort an den breiten Fetzen der Blitze, die auch er vielleicht sah, trafen sich unfühlbar ihre Augen. Und sein Gesicht, von dem einst die Kneipe zu zerspringen schien, daß die Spieler an klirrenden Tischen schwankten und der Vater mit trunkenen Glasscherbenaugen von ihm fortstolperte wie im Rauch einer Explosion, – dies Gesicht konnte jetzt seine Mauern nicht erschüttern. Vielleicht auch verhüllte und vergrub er sich schon selbst, er hatte sich nicht gewehrt und vom Gericht schweigend fortgesehn – So ließ er sich von der Menge an jenem Abend vorbeischleppen, als er in die Kneipe des Vaters gegangen war und dem Vater den Kopf zerschmetterte.

– Sie hörte plötzlich ihren Namen rufen, sie ging hinaus und sah die Mutter in dem mächtigen Zimmer vor dem Bilde des Vaters stehen, ihre Schultern ragten wie die Zinnen eines Turms.

Endlich – Und sie begann hin und her zu gehn – Sage mir, wie lange soll ich es noch ertragen, daß du ständig 31 allein bleibst und mitten im Gespräch aus unserer Gesellschaft hinausgehst – Was bedeutet das?

Ich will nicht schweigen, dachte Dika, an den Tisch gelehnt und sagte: Du als meine Mutter, die mich länger kennt als ich mich selbst, müßtest doch wissen – Die Mutter blieb vor ihr stehn und glättete wartend die verschobene Decke. Wir sind zwei Frauen, fuhr Dika fort, leise als dächte sie es nur. Still schwebte sie durchs Fenster hinaus dem Sterne zu und wandte sich im Fluge um –: fern das Zimmer, fremd das seit Kindheit vertraute Klavier, winzig verschwand nun die einstmals riesige Lilienvase.

Im Fluge sprach sie: Schlagen nicht Männer Brücken zu einander und überallhin? Aber Frauen – sie stehen bei einander wie Pfähle, hilflos, unvollendet – Ihr Geist verbindet sie nicht zu einem Weg, ihre Natur nicht zu einem Wald. Woher kamen wohl deinen Freundinnen vorhin die Gedanken, die sie kreischend auf den Tisch warfen, ahnungslos, als seien es nicht einmal Teller, ohne einander zu hören! Und wenn sie echter sind und mit bloßen Gefühlen sich begnügen, so schmelzen sie wieder allzu dicht, charakterlos ineinander – Mit seltsamer Unruhe fühle ich meine Hand von ihnen genau so gefaßt wie ich die ihre fasse – betäubend verwandt – Und weiß nicht mehr, wer ich selbst bin, von Millionen tatlosen Doppelgängern aufgehoben – bin bei ihnen wie im Leeren –

Mit heftigem Schritt blieb die Mutter stehn. Sie drehte den Knopf an der Wand, grelles Licht brach in das Zimmer, Dika bedeckte die Augen.

Ich weiß, was dies alles bedeutet, und du schämst dich wohl schon – Dika nahm die Hand vom Gesicht. – Wenn 32 du Frauen mit so gehässigem Blick betrachtest, deine Mutter jedenfalls sollte dir heilig sein.

Mutter, sagte Dika, ich wünschte es – alles wird ja mit jedem Tage fremder – Aber ich muß wahr sein, das ist das einzige, was ich habe. Vor dir stehe ich erst recht so verwirrt, – doppelt, wie vor meinem Spiegelbild – Und du willst, ich soll dir immer noch ähnlicher werden. Wolltest du doch lieber meine Freundin sein, statt mein Vorbild, wärest du doch gut und gäbst mir Freiheit – ja eine Entfernung, daß ich überhaupt beginnen kann, dich zu lieben. Denn daß du mich geboren hast, weiß doch nur mein Körper – Aus wie großer Ferne begegnen mir oft Menschen und können mir die nächsten werden. Du aber willst gar nicht Liebe, du willst Verwandtschaft, etwas Selbstverständliches, das doch gar nicht zu verstehn ist, Gleichheit, – und das ist ein Gefängnis, das mir keine einzige wahre Äußerung und Bewegung mehr läßt. O wie viele denken verzweifelt wie ich darüber nach, warum ihr nicht unsere Freunde sein wollt, – o warum mit Hilfe der ganzen Menschheit euer Zwang uns immer festhält, im Dunkeln hält, als seien wir noch nicht geboren!

Ein Schweigen erhob sich, das endlos anzudauern schien. Der Raum verschleierte sich, die Möbel schwanden, giftig funkelten noch die Ecken. Die Bilder an der Tapete wandten sich kahl um, alter Staub kroch mit den blakenden Gardinen herein. Bis abgebrochene Rufe wieder kamen und eine Hand ihre Schulter schüttelte: – Nicht wahnsinnig – nur böse – Ich bereue –: auf deine Bitten habe ich dich immer zu Haus gelassen –

Sie drückte Dika heftig atmend an sich, hielt sie mit steifen Armen wieder fort und blickte ihr verzweifelt 33 angestrengt und abwesend ins Gesicht. – Gerade Gesellschaft von Frauen hätte dich – Aber es muß noch gut zu machen sein. Du gehst in ein Institut. Ja – Wir reisen diese Woche.

Ihr Blick wurde fest, sie fuhr mit der Hand über Dikas Haar und ging hinaus.

III

Warum stand sie noch in dem entseelten Raum – Die harten Möbel traten wieder vor – Ruten in der Hand wartete es rings, wie Mitschüler, deren Feindschaft nie sichtbar war, bis plötzlich nach dem Beispiel eines Lehrers sich Alle gegen Einen wenden. Wohin gehen – In ihr Zimmer? – Sie ging. Das Bett lag offen, sein Weißes schielte sie von den finsteren Sachen rings gefolgt an –

– Nichts mehr berühren –

Aber ist sie denn wahr gewesen? – Hat sie nicht dort schwebend gestanden, als trüge sie eine Botschaft in sich, einen Plan, – mit klarer, wie von einem Licht getroffener Stirn? Gleich einem Manne hatte sie sich stehen gefühlt, vor dem ahnungslosen ruhigen Erstaunen der Mutter. Aber Flächen nur, Schatten waren ihre Worte und Gedanken, nichts bauten sie auf und nichts in der Welt stießen sie um, nichts vermochten sie zu töten, sie hatten keine Hände. Ein Mann – stellt seine Tat in den Raum! und zerschmetterte er auch Raum!

Nun neigte sich die Wahrheit mit kindlicher Stirn, mit weichem Kinn über die Ohnmacht des Weibes.

Dort an der Hofwand ging im Widerschein zweier Fenster ein ragender Schatten hin und her – Aber auch du wirst nicht triumphieren. Denn dieses eine gehört ihr noch, 34 dieser schwache Körper des Weibes ist ihre Kraft, unterzugehn. Er schlägt ihr nichts ab, Schande, Rache, Verzweiflung und Tod ja in allem nur ein guter Diener zum Tode, um ohne zu denken, ohne zu warten, ohne hohe Vermummung, nun ganz arm und bloß hinabzustürzen mit der geringen Pflanzenschwere ihrer Gestalt – Ja, nicht mehr denken, mit ihrem Körper in das Nichts sinken.

IV

Sie schlich zur Tür hinaus. Plötzlich flammte die Treppe auf, ein bärtiges Gesicht erschien, das sie gerunzelt ansah – Sie rannte hinab. In einer schon fernen Straße blieb sie stehn. Wenige Leute kamen, Laternen und Blitze. Die Straßen, am Tage so leicht zu lenken, liefen fast unkenntlich hin, wie aus dem Gedächtnis verschwindend. Wohin mußte sie gehn?

Mußte sie gehn? Aus dem Winkel könnte es hervorstürzen und sie mit sich schleppen – gleich einem spitzen Messer kam es betäubend auf sie zu – Sie drehte sich um: ein Flüstern war irgendwo – Auf der Bank unter Sträuchern saß ein Mann, ein Mädchen auf den Knien. Sie ging mit trockenen Lippen darauf zu und setzte sich. Wenn er diese wegjagen und zu ihr kommen würde – gleichgiltig, wie er wäre – gemein wie jener, der morgen im Gefängnishof zuhauen wird – das wäre gut. Wahrend ein Zittern von dem Paare durch das Holz zu ihr kroch, hörte sie Tritte sich nähern. Sie stand wieder auf und folgte ihnen, den Blick auf dem Pflaster, wo der Staub kreiste. Jemand wandte sich im Vorbeigehn um, es war wie Berührung ihres Haares – Neue Männer schritten heran, wichen von ihrer Richtung langsam ihr zu, zogen 35 auch sie magnetisch an, und sie glitten doch schwankend bei einander vorbei.

In ratloser Unruhe sah sie die Straßen immer leerer werden, sie mußte sich beeilen, sich bemühn – Durch die schwere Luft, die vom Donner wehend auseinanderschlug und mit sinkenden Wolken gleich wieder dick wie das Pflaster hing, eilte sie auf eine flammende Ecke zu. Aber es war ein Gasfeuer, das zur Arbeit leuchtete, Männer hieben im Kreis auf eine Hacke, die tief in den Asphalt drang. Ein Automobil stand mit auffordernden Augen daneben, sie stieg hinein. Von den vorbeipfeifenden Häusern und Bäumen wurde die stillstehende Luft nicht kühl. Die Polster schmolzen in schaukelnder Fahrt, breite Schultern vor ihr sahen unbeweglich zu.

Dann hielt es, aber die Straße fuhr von Licht gepeitscht sogleich mit ihr davon. Die grelle Reihe der Kugeln, ein langer weißer Speer, glitt zwischen den Häusergiebeln wie zwischen riesenhaften Knien in die klaffenden Blitze hinein. Dika eilte durch die Menge, die sich auch hier bald verlor, Und auch ihr war es, als schwinde sie fort, kaum wußte sie, daß sie manchmal stehen blieb und daß aus Scheiben und Spiegeln ein vielfältig wechselndes Gesicht zu ihr sprach – Sie sah auf ihren stummen Mund und wartete, was im Spiegelglas geschehen würde – Sie glühte aufgelöst, doch ihre Arme preßten sich fest und steif an ihre Seite.

Dann wieder allein an einer Ecke – ein Mädchen starrte sie aus roten Augen an, Riefen krochen um den Mund – Plötzlich ging Dika in einer Straße, die vornehm hallte, an Gittern entlang, dunkel wie im Wald. Sie ging auf das weiche Stampfen eines Pferdes zu, wuchtig saß der Kutscher auf dem Bock –

36 Sie sank in das Innere des Wagens, ein Nebel stieg darin auf, ihr Herz klopfte mit dem Stampfen des Pferdes, doch sie brauchte nicht mehr lange zu warten – : – Der Boden wiegte sich ächzend, die Tür verfinsterte sich, und ein Klumpen in riesigem Mantel mit wildem Geruch schob sich unerbittlich über ihre Glieder – Nur ihr Haar blieb frei und strahlte in innigen aufgelösten Strahlen aus dem Untergang hin zu einem fernen Gesicht –

Aber sie hörte eine laute ungeduldige Frage vor der zuklappenden Tür und hörte sich selbst sprechen – es war ein Wort – woher kam es ihr? – Ein verwunderter Blick verschwand mit einem Nicken, und sie ratterte die Häuser entlang, die steif und unverändert von langsamer Fahrt in ihre Zelle hereinsahen. Im Winkel lehnte Dika – ihre Fäuste tanzten über ihren Mund, über ihre Schläfen, sie lachte – – sie war nicht allein: das Wort war bei ihr, aus unsichtbaren Tiefen von ihr selbst gesprochen: zum Gefängnis! Zu dem einzigen, – der noch lebt! – vergaß ich es – dachte nur, daß er sterben muß? sah nur das Grab schon, das ihn gleich dem häßlichen Alten decken soll – sah nicht sein Leben, das ihn noch immer glühend formt! O, er ist noch da wie ich, meine Gestalt kann zu der seinen, die uns rettet und für immer bewahrt – Aus seinem Schoß Leben – Heimat – und steigende Ewigkeit –

V

Sie lief durch den Regen, der endlich losbrach und ihr harte Tropfen wie Steine ins Gesicht schlug, vor die lange rote Mauer – – Auf unhörbares Läuten öffnete sich das Tor – –:

An dem alten Diener vorbei trat sie schon durch seine 37 Wachtstube in die Gänge – Neben seinem erschrockenen Stammeln, bald gehalten von ihm, bald unwillkürlich geführt, eilte sie mit scharrendem Hut durch die engen Wände, durch das Schweigen der eisernen Treppen und Höfe, wo auf Fensterstangen funkelnd das Gewitter tanzte.

Bis eine Tür aufging:

Sie sah hinter kleinem Licht einen Schatten – und von der anderen Seite griff eine Hand nach ihrer –

Aber dann – – hatte sie schon gesprochen? – hatte noch sprechen müssen? Ja, diese Stille war langen Worten, ihren Worten, schwer gefolgt. Kein Laut, kein Donner durchdrang die nackten Wände. Hier sollte Schweigen sein, verwerfendes tödliches Schweigen. Keine Stimme beendete dies Schweigen – auch die Stimme nicht, die nun aus der Ferne sprach:

Dika, in wenigen Stunden sterbe ich.

Ihre Knie bewegten sich schon – ihre Hand, zwischen einer zuschnappenden Tür noch geküßt, glitt nach – Sie war schon auf den Treppen – Es sprang auf und hallend zu.

Sie stand im Regen, weißer See rauschte in die Blitze. Die nebligen Laternen entlang schlich sie auf die leblose Brücke.

Nirgends hin, es wartet nichts, nur dies Dunkel ist noch ihr Haus, nur die Stunde, bis die Schlüssel hinter den Mauern klirren werden – Noch atmet er mit ihr, und sie kann machen, daß sein Leben, so schnell er auch stirbt, noch länger dauern wird als ihres, – daß ihr kleiner Kreis, ganz einfach und zufrieden, noch wie ein unendliches Leben lang von seinem mächtigen Dasein erfaßt wird – Abweisung überall, bei dem Freunde ist sie Seligkeit und schenkt 38 ihr sein Schicksal – Er tritt hervor, ein Riesenpfeiler tritt mit Lächeln aus dem Strom, er nimmt sie schweigend rauschend und sendet ihre arme jubelnde Verehrung seinem Tode voraus.

 


 


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