Ottilie Wildermuth
Die alte Freundin
Ottilie Wildermuth

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Des Herrn Pfarrers Kuh

1.

Moidei

Tief im Gebirge in einer armen Gegend lebten vor Jahren der alte Herr Pfarrer und seine Magdalene und seine weiße Kuh. Darüber dürft ihr nicht lachen, die drei gehörten einmal zusammen, und Magdalene, von den Leuten im Dorfe schlechtweg Moidei genannt, sagte manchmal in der Einfalt ihres Herzens: »Was sollte ich nur mit meinem Herrn Pfarrer anfangen, wenn wir die Kuh nicht hätten!«

Der gute alte Pfarrherr war arm wie seine Gemeinde, welche meistens aus Holzhauern, Hirten oder auch aus Fischern bestand, die aus dem Walde oder von dem See drunten ein kärgliches Brot gewannen. Selbst armer Leute Kind, war er sich reich und glücklich vorgekommen, als er vor Jahren sein getreues Mütterlein, eine einsame Witwe, in sein eigen Pfarrhaus hatte einführen dürfen, wenn das auch nicht viel größer und schöner war als die Bauernhütten ringsum. Und wie glücklich war erst die Mutter gewesen, als sie ihren Augustin, den Sohn ihres Herzens, den sie mit Mühe und Entbehrungen aufgezogen, nun als ehrwürdigen Pfarrherrn sah, aus seinem Munde die Predigt hören, aus seinen Händen Segen und Sakrament empfangen durfte! Sie versorgte und pflegte auch ihren Herrn Sohn so treulich und so gut, als das nur in einem armen Dörflein sein konnte; sie selbst that jeden Dienst im Hause und in dem kleinen Gärtchen, und als ihre abnehmende Kraft es nicht mehr möglich machte, hatte der liebe Gott und der mildherzige Sinn des guten Pfarrers schon gesorgt, daß eine junge Hilfe für sie heranwuchs.

Moidei war ein armes, verwaistes, verlorenes Kind, als der Pfarrer und seine Mutter sie bei sich aufgenommen hatten. Ihr Vater war ein Fremder gewesen; kein Mensch hatte gewußt, wie er eigentlich nur in das Dörflein gekommen sei, wo er kaum Bier genug für seinen Durst bekommen konnte, ein roher Mensch, der sein Weib geplagt hatte und um das Kind sich nichts kümmerte.

Als das arme Weib endlich hatte sterben dürfen und der Pfarrer kam, um sie zur letzten Ruhe zu geleiten, da saß das kleine Mädchen betrübt und verstört bei der Leiche und weinte am Ende, weil die Nachbarsweiber weinten, es wußte nicht recht warum. »Du armer Tropf,« sagte eines der Weiber, »wie wäre dir's doch so gut gegangen, wenn deine Mutter dich mitgenommen hätte!« – »Wenn ich nur selber nicht sieben hätte,« sagte eine andere, »ich nähme dich noch mit heim, aber ich habe für die nicht zu essen.« – »Und ich habe keine Liegerstatt für sie,« meinte eine dritte, »wir drücken uns schon selbacht in der einzigen Schlafkammer rum.« – »Und mir wär's wegen dem wüsten Mann,« sagte die vierte, »der könnte einem Spektakel ins Haus machen, wenn man das Kind hätte!«

Die Nachbarinnen waren nach der Beerdigung alle wieder nach Haus gegangen; der Pfarrherr aber, der nahm das Kindlein bei der Hand, als er den Kirchhof verließ, und brachte es seiner Mutter.

Die Mutter erschrak zuerst ein wenig, denn sie war schon bei Jahren und meinte, sie könne nicht mehr ein so junges Kind erziehen, und dazu noch von so einem schlechten Vater. Der Vater aber zog fort, man hörte nichts mehr von ihm, und die kleine Moidei blieb und war glücklich und vergnügt in dem friedlichen Hause, wo sie kein Schelten und kein Fluchen hörte; sie sang wie ein Vöglein und blühte auf wie ein Röslein.

Die alte Frau, wie des Pfarrers Mutter ohne weiteren Namen im Dorf genannt wurde, war jedoch gar nicht gesonnen, die Moidei aufwachsen zu lassen wie die Vöglein und wie die Rosen, die nichts thun als singen und blühen; sie selbst war dazu auch nicht aufgezogen worden. Es war ganz verwunderlich, wie flink und rührig das kleine Pfarrmägdlein hin und her sprang, wie es Bohnen pflückte und Kartoffeln wusch, dem Pfarrherrn seine Schuhe putzte, die Ziege melken lernte und so nach und nach der Mutter alle die Dienste abnahm, welche dieser zu schwer wurden. Sie hatte die alte Frau gern, aber der Herr Pfarrer war ihr doch nächst dem lieben Gott das Höchste in der Welt; sie konnte es nicht vergessen, wie sein Antlitz ihr erschienen war eines Engels Angesicht, als sie so hilflos und verlassen an der Kirchhofspforte gestanden; jedes Wort, das er zu ihr sprach, machte sie glücklich, und sie fühlte sich stolz und froh, wenn sie ihm einen kleinen Dienst thun konnte. Und weil solche Liebe und Verehrung ihr Herz bewegte, so ist ihr nichts schwer geworden, selbst wenn die alte Frau auch hie und da etwas wunderlich war und nicht immer Geduld hatte mit ihrer Jugend.

2.

Moidei als Köchin

Man konnte es ein rechtes Glück nennen, daß Moidei von der alten Frau so gut eingelernt worden. Denn als diese, alt und hochbetagt, heimging und recht schmerzlich aufblickte zu ihrem Augustin, dessen Haare sich auch schon weiß färbten, da war sie ein frisches, kräftiges Mädchen, geschickt und bereit zu jeglicher Arbeit, und während die Thränen über ihre Wangen liefen, sagte sie immer in tröstendem Ton zu der Sterbenden: »Sterben Sie nur ruhig, ganz ruhig, liebe Frau! ich laß dem Herrn Pfarrer nichts geschehen.«

Und sie hat ihm auch nichts geschehen lassen, die Moidei: sie hat ihren Herrn Pfarrer gepflegt wie einen Vater und für ihn gesorgt wie eine Mutter und Tag und Nacht darauf gedacht, wie sie ihm gute Tage machen könne. Im Schloß, das eine halbe Stunde weit vom Dörfchen stand – ein altes, verfallenes Schloß –, da lebte noch eine Köchin, so alt und so verfallen wie das Schloß selber. Zu kochen hatte sie nicht mehr viel, denn die Herrschaft, der das Schloß gehörte, lebte weit weg in der Stadt; aber sie wußte noch gar viele gute und rare Speislein, die sie bereitet hatte, als die gnädige Frau selig noch lebte und Gäste im Schloß einkehrten, und Moidei wollte von ihr lernen, damit sie auch ihren Herrn Pfarrer mit recht guten Gerichten überraschen und erquicken könne, wenn er von seinen mühseligen Wanderungen in die Hütten heimkam, die weit herum am Berge und am See zerstreut lagen.

Ja, Apollonia, die Schloßköchin, die hatte wohl allerlei köstliche Rezepte in einem alten, etwas zerrissenen Kochbuch, an dessen vielen Fettflecken man wohl sah, daß es fleißig gebraucht worden war; aber – auszuführen waren sie nicht wohl für eine Pfarrmagd in den Bergen, wo es oft monatelang kein Fleisch gab, nichts als eine geringe Gattung Fische und die jungen Hahnen und alten Hühner, die Moidei selbst in ihrem Höflein aufzog.

»Gesulzter Rehschlegel, das ist eine feine Speise, Jungfer Moidei,« sagte die Schloßköchin, »so zart, so saftig und auch gut am Abend zu genießen!«

»Ja, Jungfer Apollonia, wo nehmen wir aber das Reh her und wo den Wein zur Sulz und die Citronen und was alles in Ihrem Kochbuch steht?«

»Schweinsschale mit Kruste ist auch nicht schlecht, wenn's recht mürbe gebraten wird.«

»So? aber das Schwein? Soll ich vielleicht eins stehlen?«

»Nun, Jungfer Moidei,« sagte etwas beleidigt die alte Aplone, wie sie der Kürze halber benannt wurde, »ich bin Schloßköchin gewesen, und was nicht da war, danach hat man den Reitknecht in die Stadt geschickt. Wenn Sie kein Fleisch haben, so kochen Sie in Gottes Namen Fastenspeisen, hab' auch gute Rezepte dazu. Milch und Eier, das können Sie doch haben?«

»Freilich,« sagte Moidei etwas kleinlaut, »das ist das Rechte für uns; aber sehen Sie, wir haben nichts als die Geiß, und die gibt zuzeiten nicht genug Milch nur zum Trinken, zudem ist sie jetzt krank; und gekocht hat die Ziegenmilch keinen guten Geschmack; wenn wir nur eine Kuh hätten!«

»Ja, dann kann ich freilich nicht helfen, Jungfer Moidei,« sagte die alte Köchin geringschätzig und machte ihr Kochbuch zu.

»Wenn wir nur eine Kuh hätten!« das war der große Wunsch, der Moidei Tag und Nacht umtrieb. Ich weiß nicht, ob schon viel junge Mädchenherzen vom Wunsch nach einer Kuh bewegt worden sind! Moidei aber meinte, wenn nur die Kuh da wäre, dann wollte sie erst ihren Herrn recht versorgen, daß er's so gut haben sollte wie ein Erzbischof.

Der Herr Pfarrer wandte gar nicht so viel Gedanken aufs Essen und Trinken und achtete kaum darauf, wenn Moidei so nach einer Kuh seufzte; so oft er aber seine Tasse zurückschob und meinte: »Die Ziegenmilch hat einen wunderlichen Geschmack,« so oft stieg der jungen Moidei die Sehnsucht auf: »Wenn mir doch eine Kuh hätten!«

3.

Eine Kuh.

Apollonia hatte doch noch die Freude erlebt, daß sie wieder in der Schloßküche kochen durfte, freilich nur Krankenspeisen. Als der alte Herr Baron sein Ende nahe fühlte, ward er müde des Aufenthalts in fremden Ländern und großen Städten und zog sich auf die Burg seiner Vater zurück, um da in Ruhe zu sterben. Ein treuer Kammerdiener und die alte Apollonia pflegten ihn sorgsam, und die Besuche des Pfarrherrn vom Dörflein drunten waren sein Trost bis zur letzten Stunde. Zu seinem Begräbnis, wo er mit ritterlicher Pracht in die alte Vätergruft beigesetzt wurde, kehrte sein Enkel, der jetzige Besitzer, auf wenige Tage in sein Ahnenschloß zurück, und in seinem Auftrag übergab nach seiner Abreise der Verwalter dem Herrn Pfarrer ein ansehnliches Geldgeschenk als Zeichen seines Dankes für die Liebe, die er seinem Vater noch erwiesen hatte. Zwanzig Goldstücke! so viel Geld hatte der gute Pfarrherr all sein Leben lang noch nicht in der Hand gehabt, und mit wahrer Verlegenheit zeigte er es der getreuen Moidei, die damals schon in allen häuslichen Dingen seine Ratgeberin war; fast ängstlich sah er, wie das Mädchen so erfreut mit glitzerigen Augen auf das blinkende Gold schaute. »Was soll ich thun mit all dem Gelde? Ich brauche nichts als vielleicht einen neuen Rock. Soll ich es unter die Armen verteilen?«

»Das lassen Sie bleiben, Herr Pfarrer,« sagte Moidei, die, wie alle getreuen Räte, sich zuzeiten auch etwas herausnahm. »Wenn Sie anfangen würden, auszuteilen, so käme das ganze Dorf und wollte ein Armer sein, und Sie könnten's keinem recht thun und würden alle unzufrieden machen. Der Herr Baron hat ja schon zweitausend Gulden unter die Armen verteilen lassen, da können sie lange genug dran haben. Ich weiß, Herr Pfarrer, was wir mit dem Gelde thun – wir kaufen eine Kuh.«

»Eine Kuh?« fragte höchst verwundert der Pfarrer, dessen Wünsche sich niemals zu solchem Haustier verstiegen hatten. »Was sollen wir mit einer Kuh machen, Moidei?«

»Das werden Sie sehen, wenn wir eine haben!« rief Moidei, schon glücklich im Besitz des Tieres; »das ist's gerade, was mir immer für Sie gefehlt hat, und die alte Frau selig wäre auch froh genug gewesen, wenn sie eine gehabt hätte. Lassen Sie mich nur machen, Herr Pfarrer!«

»In Gottes Namen,« sagte der Pfarrer, »so nimm das Geld; es ist in alle Wege besser, als wenn wir unsere Herzen an das Gold hängen würden.«

Dazu war nun freilich keine Gefahr bei unserem Pfarrherrn, der so recht als ein Gast durch die Erde ging und sich nur daheim fühlte in seinem heiligen Amt, im Leben aber nicht.

Stolz und glücklich, das Geldpäckchen wohl versiegelt und verwahrt in der Tasche, zog Moidei mit dem Müller, dem einzigen wohlhabenden Mann des Dorfes, zum Viehmarkt in den nächsten größeren Flecken, wenigstens fünf Stunden weit. Sie fanden ein gar schönes Tier, schneeweiß, vorn mit einer schwarzen Blässe. »Eine schöne Kuh,« sagte der Müller, »jung, gut und gesund, soweit ich's verstehe; aber muß es gerade die sein?« – »An die habe ich eben jetzt meinen Glauben, und mein Herr Pfarrer muß auch etwas Apartiges haben; eine Pfarrkuh darf nicht so aussehen wie aller gemeinen Leute Kühe.«

Der Müller lächelte über Moideis Stolz; aber er und der Viehhändler bekamen Respekt, als sie in glänzendem baren Golde den Preis ausbezahlte und sich heimwärts wandte.

Schon das Heimführen der Kuh griff sie so geschickt an, daß die Bauern dem frischen, kräftigen Mädchen wohlgefällig nachschauten und unter sich sagten: »Die gäbe eine rechte Bäuerin, die hat ein Talent fürs Vieh!«

Wenn der Herr Pfarrer nicht gleich so entzückt wie Moidei über die neue Hausgenossin sein konnte, so merkte er doch bald, daß es in Wahrheit ein guter Gedanke von ihr gewesen sei, das Tier ins Haus zu bringen.

Die Ziege, welche Moidei immer mit einer gewissen Verachtung angesehen hatte und die auch in der letzten Zeit sehr wenig Milch mehr gegeben, wurde einer armen Frau vom Dorf überlassen, die noch recht froh daran war: »'s ist doch etwas Lebendig's.« Der Stall aber ward säuberlich hergerichtet für die weiße Kuh, die sich's alsbald wohl belieben ließ auf dem Weideplatz hinter dem Pfarrhaus, der noch zur Pfarre gehörte und der reichlich Weide im Sommer und Heu für den Winter gab für das Tier.

»Keine bessere Kuh hat die Welt noch nicht gesehen,« versicherte Moidei, und wirklich, der Herr Pfarrer erhielt so treffliche frische Milch zu seinem Morgenkaffee und Abendthee, Moidei konnte jetzt all die Milchspeislein so gut bereiten, die sie von Apollonia gelernt; sie konnte solch köstliche süße Butter gewinnen zu den Kartoffeln für ihren Herrn, daß er selbst mehr und mehr das gute Haustier schätzen lernte und sie manchmal, wenn er über den Weideplatz ging, wohlwollend an der Seite streichelte.

Verkaufen durfte Moidei keine Milch, auch zuzeiten, wo die Kuh sehr ergiebig war; die sollte armen Kindern im Dorfe zu gute kommen, welche denn auch die Pfarrkuh schätzen lernten und ihr einmal, zur Zeit der Heuernte, einen gar schönen Kranz von Grün und Blumen um den Hals hingen, was zu dem weißen Teint der schönen Kuh außerordentlich gut stand.

Die Kuh kannte auch Moidei, ihre treue Versorgerin, recht gut; sie kam folgsam wie ein Hündchen herbei, wenn Moidei rief, um sie zu melken, und hielt geduldig still dazu; die helle Glocke um den Hals trug sie nur zur Zierat, sie hatte sich nie vom Weideplatz verlaufen, und auf die Weide zu anderem Vieh ließ Moidei ihren Pflegling nicht gern; die Pfarrkuh mußte etwas Apartiges haben.

Aber ach, alles auf der Welt ist vergänglich, auch die schönsten weißen Pfarrkühe müssen alt werden und sterben, und Moideis schöne Kuh, an der sie sich acht Jahre lang erfreut, die wurde gar noch krank, ehe das Alter sie untüchtig machte.

Einmal in der Nacht hörte Moidei ihr klägliches Gebrüll und sah am Morgen, daß das Tier nicht mehr fraß; sie fand, daß die wenige Milch, die sie melken konnte, dick und gelblich. war – daß das Tier krank sei. »Und wenn die Kuh krank ist, so ist sie halt krank,« war die Entscheidung des Tierarztes, den sie stundenweit herholte.

Moidei schüttete ihr die Tränke ein, die der Vieharzt verordnete, sie that, was sie konnte; wenn das Bettliegen einer kranken Kuh helfen könnte, so hätte sie ihr gewiß ihr eigenes Bett überlassen – es half alles nichts, die Kuh mußte sterben. Darüber war nun Moidei ganz trostlos. »Was sollen wir thun, Herr Pfarrer, was sollen wir anfangen ohne eine Kuh?« fragte sie.

»Ja, Moidei, was wir angefangen haben, bevor wir eine hatten. Thut mir aber leid um das brave Tier.«

»Ja, mir thut's auch leid,« sagte Moidei schluchzend, »und wo nehmen wir Milch her zu Ihrem Thee und Kaffee, und wo Butter zu Ihren Kartoffeln! und die guten Müslein und den Milchpudding und den Reisbrei, den ich Ihnen kochte! Wie sind Sie doch so gut beraten gewesen, Herr Pfarrer, seit wir eine Kuh hatten!«

»Ja, da läßt sich nichts machen,« sagte der sanftmütige Pfarrherr lächelnd, »so viel Geld wie damals bekommen wir nicht wieder.«

»Ach freilich,« seufzte Moidei, »und es ist gar kein Baron zum Sterben mehr da! Und wenn der junge stürbe, der wäre so keck und thäte es im Ausland!«

»Versündige dich nicht, Moidei!« sagte ernsthaft der Pfarrherr; »du wirst nicht wollen, daß ein Mensch sterbe, um mir eine Kuh zu kaufen?« »Ach nein,« meinte Moidei beschämt, »ich dachte nur – die Leute sterben ja auch manchmal ohnedies. – Aber etwas weiß ich, Herr Pfarrer,« fing sie mit neuem Mute an; »wenn sie im Dorf eine Steuer zusammenlegen, so reicht's bald zu einer Kuh, und Sie nehmen ja nie etwas von den Leuten, das dürfen sie wohl thun; an andern Orten haben sie ihrem Pfarrherrn viel größere Geschenke gemacht.«

»Geh, Moidei!« sagte der Pfarrer, »die Leute sind fast alle ärmer als ich; verhüte Gott, daß ich von ihrer Armut nehmen sollte, um mir's wohl sein zu lassen! Wir bekommen ja Fische aus dem See, und meine Mutter hat mir gute Wassersuppen gekocht; Thee kann man auch ohne Milch trinken, Eier haben wir, da wird's schon gehen.«

4.

Ohne Kuh.

Ja, es ging freilich, als das getreue Tier verendet und verscharrt war, aber wie? seufzte die gute Moidei. Milch war im Dorf schwer zu bekommen, da die Leute kaum für sich genug hatten; Fische waren auch zuzeiten rar; für die Überreste der schönen Kuh hatten sie zwar etwas bekommen, so daß Moidei eine Zeitlang Fleisch für ihren Herrn vom Flecken kommen lassen konnte, aber zu lange hielt das nicht vor. Die Kochkünstlerin Apollonia war ihrem alten Herrn im Tode gefolgt, und wenn sie auch Moidei ihr Kochbuch vererbt hatte – Rezepte zu Wasserspeisen fanden sich nicht darin.

Moidei bildete sich ein, ihr Herr Pfarrer fange schon an abzumagern, seit er fast keine Milch mehr bekam, und besann sich Tag und Nacht, wie sie doch wieder eine Kuh bekommen könnte.

Die Preise waren indes gestiegen, für weniger als hundertundzwanzig Gulden war jetzt keine Kuh zu bekommen; wo sollte sie diese hernehmen? Am Sonntag hatte der Herr Pfarrer über einen Text aus dem Alten Testament gesprochen. »Sollte dem Herrn etwas unmöglich sein?« hatte sie daraus vernommen und bewegte es in ihrem Herzen. Ja, sollte es denn unmöglich sein, eine Kuh für den Herrn Pfarrer zu bekommen? Oder war das dem lieben Gott nicht der Mühe wert? Moidei konnte nicht zum Schlusse gelangen.

Es war im Sommer und warm, sogar in den Bergen. Der alte Herr hatte einen Rundgang angetreten, um seine Armen und Kranken in den Hütten ringsum zu besuchen. Moidei war allein, sie machte sein Zimmer rein und seufzte für sich: »Wie gut thäte jetzt dem Herrn, wenn er heimkommt, ein Glas frische Milch!« Da sah sie zwei Damen auf das Pfarrhaus zukommen. Es war selten, doch nicht unerhört, daß Reisende bis hierher kamen, um sich die schöne Gegend und den See, der still und tief am Fuß der Waldberge lag, anzusehen. Die Damen hatten ihren Wagen im Flecken gelassen und wanderten zu Fuß hierher, doch mochten sie sehr müde sein, da der Weg viel weiter war, als sie geglaubt; ein eigentliches Wirtshaus befand sich nicht im Ort, so baten sie um Erlaubnis, im Pfarrhause auszuruhen. Moidei brachte ihnen flink und bereitwillig, was sie hatte: frisches Quellwasser, selbstgebackenes Brot und schöne, reife Brombeeren. »Wein oder Bier haben wir nicht,« sagte sie entschuldigend, »auch keine Milch mehr, seit unsere Kuh tot ist.« Die Damen nahmen gern vorlieb und hatten ihre Freude an dem stattlichen, frischen Mädchen in der kleidsamen Landestracht, die sie hier in den Bergen noch beibehalten haben.

»Sie können also mit Vieh umgehen, wenn Sie schon eine Kuh gehabt haben?« fragte die Ältere. – »Das will ich meinen,« antwortete Moidei mit Selbstgefühl, »ich wollte, ich hätte einen Stall voll zu versorgen – oder auch nur eine einzige!« fügte sie mit einem neuen Seufzer hinzu.

Die Damen schauten einander an. »Das gäbe eine nette Viehmagd auf unser Gut,« sagte die ältere leise zu der jüngeren.

»Ach ja, Mama, und sie nähme sich so hübsch aus in der Tracht! sie würde unseren Kühen so gut stehen; es wäre wie ein Bild.«

Indes kam der Herr Pfarrer von seinem Gang zurück; er begrüßte die Damen in seiner ruhig freundlichen Weise und gab auf ihre Bitte Moidei die Erlaubnis, sie zurückzubegleiten auf den nächsten Pfad, der zum Flecken führte, da sie nun ausgeruht hatten.

»Sind Sie immer hier gewesen, mein liebes Kind?« fragte die ältere Dame Moidei; »haben Sie nie auch andere, größere Orte gesehen?« »O ja, ich bin auf dem Viehmarkt gewesen, als ich unsere verstorbene Kuh kaufte,« sagte Moidei, etwas verwundert, daß man sie noch Kind nenne.

»Ach, so meinen wir nicht,« sagte die jüngere, »schöne, große Städte, ein prächtiges Gut mit einem schönen Schloß und einem Schweizerhaus und stattlichen Kühen nebst zierlichem Melkgeschirr...?«

»Brauch' keines,« entgegnete Moidei trocken.

»Da der Herr Pfarrer kein Vieh mehr hält, werden Sie hier nicht mehr nötig sein, mein Kind,« fing die ältere Dame wieder an.

»Dem Herrn Pfarrer bin ich noch nötiger als unserer Kuh,« sagte Moidei mit Selbstgefühl.

Die Dame dachte im stillen, es wäre nicht recht, dem alten Herrn seine Dienerin zu entführen. Die junge Eugenie aber, die nicht so bedenklich war, rief: »Aber Sie würden einen hohen Lohn bekommen, wenn Sie bei uns in Dienst träten!«

»Einen hohen Lohn?« fragte Moidei aufmerksam. »Wieviel?«

»Hundert Gulden,« sagte Gräfin Brackeburg, die ältere Dame, und dachte im stillen: »Die Anhänglichkeit an den Herrn muß nicht so groß sein, sonst wäre sie nicht gleich so begierig nach hohem Lohn.«

»Hundert Gulden!« sprach Moidei nachdenklich; »dann müßte ich fünfzehn Monate dienen, um hundertundfünfundzwanzig Gulden zu bekommen?« »Nun, wenn Sie einmal bei uns sind, so glaube ich, es würde Ihnen so gut gefallen, daß Sie gern länger bleiben.«

»Aber ich dürfte auch auf fünfzehn Monate kommen?«

»Nun ja,« sagte die Dame etwas verwundert, »in einem Monat heiratet unsere Viehmagd; wenn ich gleich eine gute bekomme, so würde ich auf jede Bedingung eingehen.«

Moidei schwieg still, sie hatte innerlich gar viel zu bedenken und zu überlegen. Jetzt waren sie an dem Ausgang der Schlucht, und die Damen fanden ihren Wagen, der da auf sie wartete.

»Nun, haben Sie sich besonnen, mein liebes Kind? Wollen Sie bei mir in Dienst eintreten?« fragte Gräfin Brackeburg.

»Ja, ich will kommen,« sagte Moidei entschlossen; »schreiben Sie mir Ihren Namen auf und den Weg, den ich zu Ihnen reisen muß, dann komme ich am ersten September.«

»Gut,« sagte die Dame, etwas verwundert über den raschen Entschluß; sie schrieb Moidei genau die Reisestationen auf, übergab ihr das nötige Geld zur Reise und ließ sich noch einmal in die Hand von ihr versprechen, daß sie gewiß kommen werde.

»Nötig ist das nicht,« sagte Moidei, »was ich einmal versprochen, das halte ich ohne Handschlag.«

Gar still ging Moidei heimwärts; sie schaute die Leute nicht an, die sie unterwegs begrüßten, damit sie nicht sehen sollten, daß sie Thränen im Auge hatte.

»Herr Pfarrer,« sagte sie, als sie an diesem Abend seinen Thee brachte, leider ohne Milch! »Herr Pfarrer, thäten Sie nicht erlauben, daß ich Susanne, das Mädchen unserer Nachbarin drüben, ein bißchen unterweise im Kochen und im Putzen, nur für den Fall, daß ich einmal krank oder nicht da wäre, damit Sie doch bedient wären ...«

»Ei, Moidei,« sagte lächelnd der Pfarrer, »du siehst nicht aus, als ob du krank werden wolltest, und verreisen wirst du auch nicht; habe aber nichts dagegen, wenn du das junge Mädchen anlernst, es wird ihr in allewege zu gute kommen.«

Und Moidei unterrichtete von diesem Tag an die junge Susanne so sorgfältig in allem, was zum Dienst ihres Herrn gehörte, daß man hätte meinen können, sie wolle eine Mägdebildungsanstalt errichten.

5.

Moidei auf Reisen.

Es war der erste September, schon etwas kühl in den Bergen, aber doch ein sonniger, goldener Herbsttag. Nichts regte sich im Dorf, auch der Herr Pfarrer schlief noch; er konnte oft erst spät einschlafen, aber gegen Morgen wurde sein Schlaf recht fest. Moidei öffnete leise die Hausthür; sie trug ihren besten Anzug, in der Hand einen starken Regenschirm und ein großes Bündel, darin sie ihre Kleider und ein Paar Sonntagsschuhe sorgfältig eingepackt hatte. Moidei war ein frisches, starkes Mädchen und weinte nicht leicht; als sie aber die kleine Thür an dem Zaun zumachte, der das Rasenplätzchen vor dem Pfarrhaus umschloß, und noch einmal zurückblickte, da setzte sie sich nieder und weinte bitterlich. Sie konnte sich's nicht vorstellen, daß ihr lieber, verehrter Herr Pfarrer ein ganzes Jahr lang und länger ohne ihre Hilfe und Pflege bleiben sollte.

»Aber es muß sein,« dachte Moidei wieder, indem sie aufstand und rüstig vorwärts schritt; »mein alter Herr würde gewiß zehn Jahre früher sterben, wenn er nicht seine gehörige Nahrung hat; da muß ich eben die fünfzehn Monate dran rücken.« Und Moidei ging weiter, durch den Flecken der nächsten Eisenbahnstation zu und hat kein einziges Mal mehr zurückgeschaut. Nur gebetet hat sie noch in der nächsten Kapelle, als sie fand, daß die Zeit noch reichte. »Mein Herr Pfarrer ist so fromm und so brav, daß er's gewiß nicht nötig hat, daß man für ihn betet,« dachte sie, »aber ich thu's doch.«

Der Herr Pfarrer war sehr verwundert, als beim Frühstück Susanne kam und ihm den Kaffee brachte, bei dem er immer noch heimlich die gute Milch vermißte. »Ist Moidei krank?« fragte er.

»Moidei hat mir gestern gesagt, sie müsse verreisen,« berichtete die junge Susanne; »wenn der Herr Pfarrer erlauben, so soll ich in ihrer Kammer schlafen.«

»Moidei verreist?« fragte der Herr Pfarrer noch viel erstaunter. »Wo sollte Moidei hinreisen? Sie kennt keinen Menschen in der weiten Welt draußen.«

»Da hat sie ein Brieflein hingelegt für den Herrn Pfarrer,« sagte Susanne. Moideis Brief lautete:

»Lieber Herr Pfarrer!

Abschied nehmen von Ihnen kann ich nicht, es würde mir mein Herz so schwer, indem ich lieber auch nicht sagen will, wohin ich gehe. Aber ich bitte Sie inständig, daß Sie mir glauben wollen, ich gehe auf rechten und guten Wegen und hoffe mit Gottes Hilfe darauf zu bleiben, bis ich wiederkommen kann zu Ihnen. Geflickt habe ich alles, und Susanne kann Ihnen kochen und Ihre Stube richten, indem ich hoffe, mit des lieben Gottes Hilfe wiederzukommen und alsdann alles gut werden soll.

Ihre getreue Dienerin Magdalena.«

Der Herr Pfarrer stützte seinen Kopf in die Hand, er wußte nicht und konnte sich's nicht ausdenken, wohin denn Moidei gegangen sei. Auch Nachbarn und Leute im Ort, die er fragte, wußte keinen Bescheid. Es fiel ihnen ein, daß die vornehmen Damen, die im Sommer dagewesen, lange mit Moidei geredet hatten; vielleicht hatte sie sich verleiten lassen, draußen in einer Stadt einen besseren Dienst zu suchen; man zahlte jetzt gar hohen Lohn! Und schließlich stammte Moidei doch von fremdem Volk ab, da hatte sich am Ende das leichtsinnige Blut in ihr geregt! »Ich kann's nicht glauben, daß Moidei, die meine selige Mutter noch herangezogen hat, mich verlassen soll um Geld und Gutes willen oder um mehr Vergnügen zu haben. Aber nachschicken und nachfragen kann ich nicht, ich weiß ja nicht, wohin sie gegangen.« Der Herr Pfarrer hatte nicht viel mehr Erfahrung von der Welt draußen als Moidei.

Die kleine Susanne that ihr Bestes, um dem Herrn alles recht zu machen: ihre Mutter half auch nach, wenn sie etwas übrige Zeit hatte, aber es kam ihnen doch oft vor, als habe er Heimweh nach seiner getreuen Dienerin; er rief so oft »Moidei«, wenn er etwas brauchte, und sagte dann nur leise: »Ja so.« – »Und wert ist sie's gar nicht, daß der Herr noch an sie denkt,« sagten die Leute im Ort, »die undankbare Kreatur, die ihn verlassen hat.«

Der Herr Pfarrer sagte das nie; er hörte nie auf, für sie zu beten jeden Morgen und jeden Abend. »Ob sie nun mein Gebet stärken soll auf guten Wegen, oder zurückbringen von schlimmen,« dachte er, »es ist gut in allewege.«

6.

Modei im Dienst

Auf dem Gute der Gräfin Brackeburg, da war es noch wärmer und sonniger als im Gebirge zu Anfang September. Von der blumenbesetzten Terrasse des schönen Schlosses gingen breite Treppen hinunter auf den samtgrünen Rasen, auf welchem da und dort liebliche Blumengruppen blühten; zur Seite, etwas vom Gebüsch verdeckt, stand ein niedliches Schweizerhaus, das zur Wohnung für die Dienstboten diente, dahinter war ein großer, schöner Wiesengrund, auf dem prächtige Kühe weideten, dazwischen muntere Kälber und auch ein paar Böcklein und Ziegen. Die Gräfin und ihre Tochter saßen mit einer leichten Arbeit auf der Terrasse, der Gemahl daneben.

»Nun, Emmy,« sagte er zu seiner Frau, »wie wird's mit deiner Moidei? Unsere Viehmagd ist schon diesen Morgen fortgegangen; du hast von dem Mädchen kein Wort mehr gehört; bist du denn gewiß, daß sie kommt?«

»Das Mädchen hat mir ausgesehen, als ob sie Wort halten würde,« sagte die Gräfin; »ich glaube gewiß, daß sie kommt.«

»Ich auch, Mama,« rief Eugenie, »und gib acht, Papa, welch ein nettes, stattliches Mädchen sie ist! Richtig, habe ich's nicht gesagt, da ist sie!«

Und wirklich, den Fahrweg herunter, der von der Station herführte, schritt Moidei in ihrer sauberen Tracht, rein und nett gekleidet, mit ihrem Regenschirm in der Hand und ihrem Bündel am Arm. Sie schaute sich um mit großen Augen auf dem schönen Platz, doch hielt sie nicht inne und schien sich auch nicht besonders zu verwundern; ganz geradeaus schritt sie auf die Dame vom Hause los, die sie schon von unten aus bemerkt hatte.

»Da bin ich, Frau Gräfin,« sagte sie; »ich will Ihnen getreulich dienen fünfzehn Monate lang, wenn Sie mir den versprochenen Lohn geben.«

»Daran soll es nicht fehlen,« sagte die Dame, etwas ärgerlich über die Lohngier des Mädchens; »ich denke, Moidei, es gefällt dir so gut bei uns, daß du gern auch länger bleibst.«

»Komm, Moidei,« entgegnete die Komtesse, »ich zeige dir, wo du wohnen wirst und wo die Kühe sind, die du zu versorgen hast,« und sie führte sie hinüber zu dem Schweizerhaus. Da gingen nun erst der Moidei die Augen auf und das Herz, so viel schöne, prächtige Kühe! und sie hatte solch Herzeleid um eine einzige gehabt, und ihr Herr Pfarrer mußte darob so viel entbehren!

Aber Moidei war nicht neidisch und nicht unverständig; ihr Herr Pfarrer hatte sie gelehrt, daß der Unterschied von Rang und Reichtum in der Welt mit zum Gange der Dinge gehört, daß er durch Frieden und Zufriedenheit jetzt schon ausgeglichen werden kann und daß eine Zeit kommen werde und ein Glück, das sich nicht messe nach dem Maße irdischen Besitzes; sie gönnte jedem von Herzen, was Gott ihm beschieden.

Daß die neue Magd gut gewählt sei, das mußte jedermann zugeben, selbst der sehr mißtrauische Graf Brackeburg und der brummige alte Verwalter. »Die kann's mit dem Vieh,« gaben auch die andern Dienstboten zu, die die Fremde zuerst gar nicht mit günstigen Augen betrachtet hatten. So nett und sauber hielt sie sich selbst, ihr Vieh und all ihr Geräte; so gut verstand sie, mit den Tieren umzugehen, so köstlich die Butter zu bereiten, daß man bald ihres Lobes voll war. Nur in die Lustigkeit der andern Dienstboten, wenn sie abends in der Gesindestube beisammen saßen, da stimmte sie nicht viel ein. Sie kam sich hier stets nur als ein Gast vor und mußte wieder und wieder denken, wie es doch ihrem Herrn Pfarrer fehlen werde um ihre Dienste und wie ärmlich sein Leben sei.

Als ein Vierteljahr vorüber war, gab ihr die Gräfin den ersten Lohn, fünfundzwanzig Gulden in schöner, blanker Münze, und dachte, das geldgierige Mädchen werde sich freuen. Moidei sah es auch an mit glänzenden Augen, schob es aber zurück und bat: »Wollen Sie es mir nicht aufheben, Frau Gräfin? Ich will alles erst, wenn meine Zeit abgelaufen ist: es ist so sicherer.«

»Aber willst du nicht etwas Geld in die Hand, Moidei? Du hast doch kleine Ausgaben.«

»Ich brauche kein Geld, meine Kleider und meine Schuhe sind noch gut, sonst habe ich nichts nötig.«

Etwas Verwundert bewahrte ihr die Gräfin das Geld auf: »Nein, so geldgierig habe ich, noch keine junge Person gesehen.«

Es wurde unter den Dienstboten bekannt, wie geizig Moidei sei und wie gewinnsüchtig. Die Köchin, die sich sonst ein gut Teil vornehmer vorkam als die Viehmagd, war jetzt so gnädig, sich ihr freundschaftlich zu nähern. »Das lobe ich an Ihnen,« sagte sie eines Morgens, als sie selbst die frische Tafelbutter in der Melkerei drüben holte, »das lobe ich an Ihnen, daß Sie so sparsam sind; man muß beizeiten sorgen, daß man etwas für alte Tage hat. Aber warum legen Sie Ihr Geld nicht gleich an, daß es Ihnen Zins trägt?«

»Ich brauche eine bestimmte Summe zu einem bestimmten Zweck,« sagte Moidei kurz, »und werde so lange dienen, bis ich sie habe.«

»Ei so,« sagte die Köchin noch freundlicher, »da können wir einander helfen. In einem Hause, wo so viel verbraucht wird, da ist's keine Sünde, wenn man einen kleinen Profit für sich macht. Sie halten das Vieh so gut, daß Sie viel mehr und bessere Butter zustande bringen, als man vorher hatte. Die Gräfin auf dem Gut drüben, die gäbe, was man wollte, für solche Butter. Nun könnten Sie ganz leicht jede Woche zehn Gulden zurücklegen, wenn Sie von der Butter ein paar Pfund verkauften; die Herrschaft hätte immer noch genug, und zum Kochen thut's geringere; ich würde dann den Verkauf besorgen; auch mit der Milch gäbe es so kleine Vorteile ... den Gewinn würden wir teilen. Sie würden so viel früher die Summe haben, die Sie brauchen ... verstehen Sie mich?«

Moidei, die seither schweigend zugehört hatte, richtete sich hoch auf und sagte: »Das verhüte der allwissende Gott, daß bei dem Geld, das ich sammle, ein ungerechter Heller sei! Das muß ehrlicher Erwerb sein.« »Nun,« sagte die Köchin etwas erschrocken, »ich hab's ja nur so im Spaß gesagt, nur um zu probieren. Sie werden jetzt wohl gleich hingehen und es der Dame erzählen?« fragte sie giftig.

»Das werde ich nicht,« entgegnete Moidei ruhig; »aber denkt Ihr selber, daß ein unrechter Pfennig den recht verdienten Gulden auffrißt und daß unrecht Gut Unsegen mitbringt.«

Weder die Köchin noch sonst jemand hat bei Moidei wieder gewagt, sie zum Unrecht zu verführen; auch hielt sie nicht viel Gemeinschaft mit der andern Dienerschaft, nur der Käthe, die vor ihr schon Gehilfin im Stalldienst gewesen war, gab sie stets sorgfältige Anweisung, wie das Vieh zu behandeln sei. Die Gräfin hatte ihr zu Weihnachten ein Paar neue starke Schuhe und ein gutes Kleid geschenkt, so brauchte sie nichts von ihrem Lohn zu verwenden. – Sie hatte viel Freude, als sie im Frühling ihre stattlichen Kühe wieder auf die Weide treiben konnte; sie kannte jede mit Namen, sie freute sich auch des schönen, freien Landes, des reichlichen Haushalts; aber sie zählte in der Stille die Tage, bis die fünfzehn Monate vorüber seien.

Ein Jahr war vorüber und die Gräfin Brackeburg zählte ihr hundert blanke Gulden hin.

»Nicht wahr, Moidei, es ist bei uns nicht so schlimm?« sagte sie freundlich; »du wirst gewiß gern bei uns bleiben.«

»Frau Gräfin sind sehr gut gegen mich gewesen,« sagte Moidei, »aber ich bleibe nur noch drei Monate.«

»Warum nur so kurz?« fragte die Dame, die nie geglaubt hatte, daß es ihr Ernst sei.

»Ich brauche hundertfünfundzwanzig Gulden.«

»Aber ich bitte dich, wozu denn?«

»Ich muß meinem Herrn Pfarrer eine Kuh kaufen.« Und endlich, auf die freundlichen Fragen der Dame, erzählte ihr Moidei von der Kuh ihres Herrn Pfarrers und wie nötig es für ihren Herrn sei, daß sie wieder eine erwerbe, und wie dazu kein anderer Weg gewesen sei. »Ja, Moidei,« sagte die Dame, gerührt von der Treue des Mädchens, »wenn ich dir auch nun früher, als du glaubst, zu dem Gelde helfen könnte, wer sollte dann deinen Dienst versehen? Ich kann dich nicht entbehren.«

»Ich habe Käthe unterwiesen,« versicherte Moidei; »aber Almosen will ich nicht, Frau Gräfin; es ist für meinen Herrn, das soll ehrlich verdient sein.«

»Nun, versuch's einmal und laß Käthe in den nächsten Tagen deine Arbeit thun, so wollen wir sehen, wie es geht.«

Und richtig, Moidei ließ Käthe die Hauptarbeit thun und versah den untergeordneten Dienst der Käthe; die setzte eine Ehre und einen Stolz darein, die Arbeit der Moidei zu verstehen, und man fand bald, daß mit einem geringeren Mädchen zur Hilfe das Vieh gut versorgt sein würde, wenn auch nicht so gut wie bei Moidei.

Gräfin Brackeburg ließ sie nochmals zu sich kommen. »Moidei, möchtest du denn nicht wenigstens über Weihnachten bei uns bleiben? Du weißt, wie es da ein so fröhliches Fest gibt, und an schönen Geschenken soll's auch nicht fehlen.«

»Ich will bleiben, so lange ich muß,« antwortete Moidei mit Thränen in den Augen.

»Nun, Moidei, wenn's denn doch soll sein,« sagte mit feuchtem Auge die Dame, »sieh, da sind hundertundzwanzig Gulden als. dein Jahreslohn, fünfundzwanzig aber für das Anlernen von Käthe und für das Weihnachtsgeschenk; das ist kein Almosen, es ist ehrlich verdient; so kommst du doch vor Winter zu deinem alten Herrn zurück.« »Und vor dem Viehmarkt!« sagte Moidei mit glänzenden Augen. »Gott segne Sie, Frau Gräfin!« Und frühe am Morgen wanderte Moidei so rüstig, wie sie gekommen, aber mit viel leichterem Herzen dem Wege zu, der sie heimwärts führte. Sie hatte nichts vernommen in all der Zeit von ihrem alten Herrn; er sollte ja nicht wissen, daß sie um seinetwillen so lange in der Fremde diente; aber das würde ihr doch der liebe Gott zuliebe thun, daß sie ihn noch am Leben treffe!

7.

Der Herr Pfarrer daheim.

Der Herr Pfarrer daheim war indessen so ziemlich gesund geblieben, wenn es ihm gleich oft vorkam wie seiner getreuen Moidei, als ob ihm nicht mehr so recht wohl sei, seit ihm die gute Milchnahrung fehle. Susanne besorgte, so gut sie konnte, den Dienst, und der Herr Pfarrer war gar genügsam und anspruchslos. Aber das bekümmerte ihn, daß Susannes Mutter krank und schwach war und des Mädchens bedurft hätte, und woher er sonst eine Dienerin nehmen sollte, das wußte der gute Herr Pfarrer nicht.

Er hatte gar nichts von Moidei erfahren alle die Zeit her und konnte sich gar nicht vorstellen, wo sie geblieben sei; daß sie so undankbar und so unfreundlich sein könne, ihm gar nie Kunde von sich zu geben, das wollte er nicht glauben.

Aber in keiner Nacht versäumte er, ihrer zu gedenken in seinem Gebet und Gott zu bitten, daß er sie behüten möge und geleiten auf gutem Wege.

Es war ein kühler Herbstabend, und der Herr Pfarrer war recht müde von einer Wanderung ins Dorf und in die zerstreuten Fischerhütten am See zurückgekehrt. Susanne zündete die Lampe an; sie bemerkte nicht, daß jemand draußen stand vor dem Haus und hereinschaute durch das niedrige Fenster in das alte, trauliche Gemach; hatte auch nicht bemerkt, daß etwas leise in ihrer Küche draußen herumstöberte. Sie hatte den Theekessel angezündet, sie legte das Brot bereit und brachte dem Herrn Pfarrer seinen Thee, nachdem das Wasser gekocht; Milch war freilich nicht dabei. Da klopfte es ans Fenster und rief eine Stimme draußen: »Warte, Susanne, ich bringe Milch!« Und siehe, da ging die Thür auf und herein kam Moidei, die alte Moidei, unverändert, wie sie vor einem Jahre fortgegangen war, in der Hand ein Töpfchen mit frischer, schäumender Milch.«

»Da bin ich, Herr Pfarrer, und da bringe ich Milch, habe soeben unser Kühlein gemolken.« Und um ihr Wort zu bestätigen, ertönte draußen vor der Hausthür ein kräftiges Muh, Muh.

Dem Herrn Pfarrer war's wie ein Traum. »Ja, wie ist denn das, Moidei? Wo bist du gewesen, wo kommst du her? und woher bringst du die Kuh?«

»Ich erzähle alles, Herr Pfarrer; aber zuerst trinken Sie Ihren Thee, solange er noch warm ist, und ich bringe mein Kühlein in den Stall. Eine so schöne weiße habe ich nicht mehr bekommen können, aber es ist eine von der guten Schweizer Rasse, die am meisten Milch gibt.«

Moidei kam wieder herein und mußte sich zu ihrem Herrn Pfarrer an den Tisch setzen, was sie sonst nie gethan hatte, und erzählen, was sie alles gethan und erlebt hatte in dem Jahr, wo sie fort gewesen war. Die kleine Susanne stand mit großen Augen und offenem Mund daneben und hörte zu.

»Aber, Moidei, meine getreue Moidei, das kann ich nicht annehmen, was du mit saurem Dienste dir erworben,« sagte bedenklich der Herr Pfarrer.

»Das können Sie halten, wie Sie wollen, Herr Pfarrer,« sagte Moidei. »Die Kuh steht einmal draußen; Sie werden sie doch nicht am Strick nehmen und wieder verkaufen wollen, und ich thu's nicht, ist auch gar kein Viehmarkt in der nächsten Zeit. Und wenn ich das Kühlein melke und bringe Ihnen die Milch, so thun Sie mir's auch nicht zuleide, daß Sie sie stehen lassen. Ich habe noch allerlei gelernt da draußen bei dem vielen Vieh, und wenn wir später schöne Kälber verkaufen, so können wir wohl so viel zusammensparen, daß es eine neue Kuh leidet, wenn die alte nicht mehr gut ist. Gott Lob und Dank, lieber Herr Pfarrer, daß ich wieder da bin und Sie pflegen darf und für Sie sorgen!«

Der Pfarrer sträubte sich nicht mehr und reichte mit nassen Augen ihr die Hand, welche Moidei ehrfurchtsvoll küßte.

Moidei war nun glückselig mit der neuen Kuh, die noch viel vortrefflicher war, als die erste gewesen. Sie bildete sich ein, man sehe schon nach wenigen Tagen, wie es dem Herrn so gar wohl bekomme, seit er die gute Milch wieder habe, und es that ihr kein einziges Mal ahnd nach dem schönen Hofe und den reichlichen Mahlzeiten im Schlosse.

Einmal kamen auch noch Gräfin Brackeburg und Komtesse Eugenie in die Berge und besuchten ihre seltsame Dienerin. Sie konnten ihr nicht mehr übelnehmen, daß sie nicht länger bei ihnen geblieben, seit sie sahen, wie glücklich die treue Dienerin war mit ihrem Herrn Pfarrer und mit seiner Kuh.


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