Ernst von Wildenbruch
Der Meister von Tanagra
Ernst von Wildenbruch

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Es war am Vormittag des nächsten Tages, als vor dem Hause des Mnemarchos das Volk zusammenlief.

»Was giebt's?« fragten die Vorübergehenden. 72

»Sie ist in dies Haus gegangen,« war die Antwort.

»Sie? Wer?«

»Nun wer? Phryne.«

Das genügte, und wie die Fliegen am Stocke blieben die schönheitsdurstigen Athener an der Thür hängen, um den Augenblick zu erlauern, wo sie aus derselben wieder heraustreten würde; denn ein Tag, da man Phryne, den schönen Liebling der Stadt gesehen, war kein verlorener, und wenn man deshalb von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang auf dem Straßenpflaster hätte herumstehen müssen.

Im Gartenhofe stand Hellanodike und lauschte auf den dumpfbrausenden Lärm draußen; und jetzt fuhr sie auf, denn in den Garten trat ein Weib, wie sie nie eines gesehen. Von der schlanken Sohle bis zum lachenden Auge hinauf war Alles sprühendes Leben, Duft und Schönheit, und wenn sie nicht geahnt hätte, wer die Fremde wäre, so hätte sie es aus Mnemarch's Munde erfahren, der seinen Gast begleitete und sie mit faden Schmeicheleien überschüttete,

»Göttliche Phryne,« rief er, »du begnadigst mein Haus. Man wird sagen, daß die Sonne sich mit dem Morgenstern in meinem Hause ein Stelldichein gegeben habe;« und er schaute blinzelnd zu Hellanodike hinüber, die beklommen im Hintergrunde des Hofes stehen geblieben war.

Ohne weiter auf ihn zu achten, ging Phryne geradenwegs auf Hellanodike zu.

»Hellanodike,« sagte sie, »die Tochter des Myronides aus Tanagra?« und sie bot ihr grüßend die Hand.

Leise legte die andere die ihrige hinein.

»Ich sehe,« sagte sie, »daß du mich kennst.« Sie erhob die Augen, und die beiden Frauen sahen sich einen Augenblick schweigend an. Es war ein bedeutungsvoller Blick. Schöne Frauen können nicht gleichgültig nebeneinander hergehen; sie werden Freundinnen ober 73 Feindinnen werden, und der Instinkt des Herzens, jene Naturmacht, die der Frau stärker innewohnt als dem Manne, weil sie von der unbewußten Natur noch weniger losgelöst ist als dieser, verleiht ihrem Herzen ein rascheres Verständniß für die Schwingungen des Nebenherzens als dies dem Manne gegeben ist.

Stolz und überlegen, fast um eine halbe Kopfeslänge größer und in entwickelterer vollerer Schönheit stand Phryne neben der zarten jungfräulichen Gestalt, und dennoch, während sie auf das bescheiden geneigte Haupt niederblickte, empfand sie, daß im verborgensten Grund dieser schüchternen Seele ein Etwas war, das ihr, der siegreichen Phryne, ein »zurück von mir« zurief; jene Kraft, die aus Schwäche geboren, einer Welt Widerstand leistet, Jungfräulichkeit. Dieses empfinden, und zugleich unbewußt beschließen, diesen Widerstand zu brechen, war in der Seele des sieggewohnten Weibes ein einziger Moment.

»Ich komme, dich einzuladen,« sagte sie; »Praxiteles giebt den Abgesandten von Knidos ein Fest, und Myrtolaos, deinem und unserm Freunde, würde die Mahlzeit nicht munden, wenn du uns dabei fehltest.«

Hellanodike erröthete von der Stirn bis in den Nacken.

In dem Tone dieser Worte, die ihre Liebe zu Myrtolaos so leichthin wie etwas alltäglich selbstverständliches behandelten, lag etwas, das sie abstieß und empörte. Das keusche Geheimniß ihres Innern war kein Geheimniß mehr; fremde Augen hatten darin gelesen und sich daraus die Schlüsse gezogen, die ihnen die richtigen schienen.

»Frauen an der Tafel mit Männern?« fragte sie mit erzwungenem Lächeln. Im Hause ihres Vaters wäre ihr das unmöglich erschienen.

»O ich weiß,« erwiderte Phryne, »daß es den griechischen Frauen wie eine Verletzung ewiger Gesetze erscheint, wenn sie 74 das Frauengemach verlassen und sich unter Männer begeben sollen. – Welche Thorheit; sind wir nicht aus den Händen einer und derselben Natur hervorgegangen, und heißt Verschiedenheit der Geschlechter Feindschaft zwischen ihnen? Nimmermehr; sondern Ergänzung heißt das Gesetz, das über Mann und Weib regiert. Ja, ich liebe die Männer, denn ich sonne mich gerne in den Strahlen, die aus dem Auge des geistesgewaltigen Mannes leuchten, ich zittre gern vor der ungestümen Kraft und ich lache der Frauen, die mich tadeln, weil ich so denke wie ich spreche und thue wie ich denke; und ich liebe das Weib, denn in seiner Schönheit verehre ich das sichtbar gewordene Gesetz der großen Harmonie, die den zügellosen Mann bändigt und den trägen zur That erweckt. Und so wie ich den Mann verachte, der solcher Macht sich entzieht, so zürne ich den griechischen Frauen, die sich in thörichter Scheu vor den Männern verstecken, statt daß sie die Weisung verstehen lernen, die die Götter mit leuchtender Schrift auf ihre prangenden Glieder geschrieben, statt daß sie heraustreten unter die Männer und die Wilden zu Gesitteten, und diese Menschenwelt zu einem Elysium machen, in dem die Leidenschaften nur noch erwärmen, nicht aber mehr verzehren, die Kräfte wetteifernd ringen, nicht aber mehr in tödtlicher Fehde sich zerstören. Komm doch,« ihre Stimme war sanft einschmeichelnd, und sie schlang den Arm um den immer noch glühenden Nacken des Mädchens, »warum willst du dich fürchten? Furcht ist solch ein häßlicher Wurm in der süß duftenden Rose der Lebensfreude. Komm, geh' mit mir, fühle den Reiz, den es gewährt, wenn die Augen edler Männer an deiner Schönheit aufleuchten und du zwischen ihnen stehst, wie ein Gestirn, dessen Dasein schon genügendes Verdienst ist – oder glaubst du,« und ihr Ton ward ernster, »daß andere als edle Männer im Hause des großen Praxiteles verkehren dürfen? oder 75 sollte er es dir noch nicht gesagt haben, daß du es wagen darfst, vor das Auge aller Preisrichter der Schönheit zu treten und zu sagen: richtet?«

Sie hatte die Hand unter Hellanodikes Kinn gelegt und hob ihr Antlitz empor, indem sie ihr schalkhaft lächelnd in die Augen sah.

Unwillkürlich lächelte Hellanodike wieder, als sich die sprühenden dunklen Augen in die ihrigen tauchten; und Phryne hatte gewonnen.

Sie klatschte vergnügt in die Hände.

»Mnemarchos,« wandte sie sich an diesen, der mit gespitzten Ohren der Verhandlung gefolgt war, »sammle allen Witz und Geist, über den du gebietest, damit du heute würdig seiest in der Gesellschaft der zwei schönsten Frauen von Athen zu speisen.« Mnemarch verneigte sich mit süßlichem Lächeln.

»Und nun kein Säumen,« fuhr Phryne zu Hellanodike fort; »ich nehme dich stehenden Fußes von hier zu uns hinüber und werde selbst die Zofe spielen, die dich geziemend kleidet.«

»Du selbst wolltest?« fragte Hellanodike.

»O, du sollst sehen, daß ich bei den Bildhauern gelernt habe.«

Während Mnemarch sich entfernte, begaben sich die Frauen in Hellanodike's Gemach und suchten die Kleider und Schmuckstücke hervor, die Phryne für das heutige Fest passend schienen. Sie nahm die Sache ernst und es währte geraume Zeit, bis daß sie ihr Werk zu ihrer Zufriedenheit vollbracht hatte. Endlich war es beendet, und kein Künstler hätte vermocht, die schöne junge Gestalt reicher und angemessener zur Geltung zu bringen, als Phryne's Hände.

»Nun fehlt uns noch ein Schmuck,« sagte sie, indem sie sich vor sie hinstellte und das lichtblaue Obergewand, das Hellanodike's schlanke Figur umfloß, in die letzten 76 Falten rückte; »wie ist es, brachte er dir nicht die Spange, die ich ihm für dich mitgab?«

»Sie war zu weit für meinen Arm,« erwiderte Hellanodike erröthend; »dort liegt sie.« In Phryne's Augen zuckte ein böser Blick.

»Ei wie, zu weit,« sagte sie, »ihr habt nicht zugesehen, sie läßt sich enger machen.«

Die Spange, aus feinstem Golde gearbeitet, ließ sich in der That zusammendrücken, sodaß die Schlußplatten, statt aneinander zu stoßen, einander überragten. In dieser Weise schlang Phryne den Schmuck um Hellanodike's linken Oberarm, kalt fühlte diese das Metall auf ihrer Haut, und ein Schauer überlief sie.

Phryne hielt den schönen Arm einen Augenblick in der Schwebe.

»Du Reizende« sagte sie, indem sie ihn sinken ließ und einen plötzlichen Kuß auf die runde weiße Schulter drückte, die voll und weich aus der Gewandung hervorblickte.

Die Pforten öffneten sich, und den Arm um ihre Schulter geschlungen, trat Phryne mit Hellanodike auf die Straße hinaus.

Unwillkürlich schrak diese zurück, als sie das tobende Jubelgeschrei vernahm, das ihnen in diesem Augenblick entgegenschlug.

»Nur Muth,« flüsterte ihr Phryne lächelnd zu; »die guten Athener sind nun einmal ein wenig laut, wenn sie sich freuen.«

Mit königlichem Anstande schritt sie durch die umdrängende Volksmasse hin.

Ein dunkelgebräunter Bursche, halb Knabe, halb Jüngling, machte sich durch seinen Eifer besonders bemerkbar. Er ging vor den Frauen wie ein Herold einher, indem er sich von Zeit zu Zeit mit leuchtenden Augen umsah und lachend seine weißen Zähne zeigte. 77

»Heil der göttlichen Hetäre, Heil der schönen Phryne.« schrie er mit einem Male mit fanatischem Jubel, und sofort pflanzte sich der Ruf durch die Masse fort: »Heil der göttlichen Hetäre.« Hellanodike zuckte zusammen.

»Die Kecken,« flüsterte sie, »hörst du, was sie sagen?«

Phryne lachte und schlang den Arm fester um ihre Schultern.

»Wer mag die Andere sein, die mit ihr geht?« sagte ein älterer Mann so laut zu seinem Begleiter, daß Hellanodike jedes Wort vernahm; »sie ist kaum minder schön als Phryne.«

»Ich weiß nicht,« versetzte der Angeredete; »jedenfalls eine neue Hetäre, die den Olymp des Praxiteles bevölkern soll.«

»Glückseliger Olympier,« sagte der Erste; und beide lachten. Hellanodikes Antlitz war wie mit Blut übergossen; der Boden, über den sie schritt, erschien ihr wie glühendes Metall, und sie wagte die Augen nicht mehr zu erheben.

Wie eine Erlösung erschien es ihr, als sie endlich das Haus des Praxiteles erreicht hatten.

Die Abholung des Kunstwerkes durch die Gesandten von Knidos war ein Ereigniß, denn sie offenbarte von neuem die geistige Ueberlegenheit Athens über das übrige Griechenland; in den Vormittagsstunden hatte daher vor dem versammelten Rathe der Stadt ein feierlicher Act stattgefunden, in welchem die Gesandten begrüßt wurden; das Fest bei dem Künstler und die eigentliche Uebergabe des Werkes sollte den Schluß machen, und die ersten Bürger der Stadt waren als Theilnehmer des Festes geladen.

Jetzt kamen von der Akropolis Sklaven herbeigestürzt, die die Nachricht brachten, daß der feierliche Zug unterwegs sei; im Hause des Praxiteles ertönte der laut hallende Schlag eines messingenen Beckens, das im Vorderraume hing; die Sklaven sammelten sich, festlich geschmückt, an der Pforte des Hauses, und dann kamen, begleitet von den drei 78 Archonten, den Oberhäuptern der Stadt und von anderen ansehnlichen Bürgern, die Knidischen Gesandten an.

Auf der Schwelle des Hauses trat ihnen der Hausherr entgegen und begrüßte sie mit stolzer Höflichkeit.

Ein Duft von frischen Blumen wogte durch das ganze Haus, im Vorraume, der die Eintretenden empfing, waren die erlesensten Bildwerke des Meisters ausgestellt, und wohin das Auge sich wenden mochte, begegnete es Anordnungen eines so überlegenen Geschmackes, daß die Gäste sich in eine höhere geistige Welt versetzt fühlten.

Praxiteles schritt voran, und sie betraten den von Säulen umgebenen oben offenen Mittelraum des Gebäudes. Zwischen den Säulen, dem Eingang gegenüber, so daß er den Hintergrund verdeckte, war ein Vorhang von schwerem dunklem Stoffe angebracht und vor demselben waren Sessel aufgestellt, auf denen die Eintretenden sich niederließen. Der Hausherr verschwand hinter dem Vorhange, und gleich darauf ertönte eine sanfte Musik von Flöten und Saiteninstrumenten; der Vorhang rauschte langsam und geräuschlos an den Säulen nieder, und wie gebannt saßen die Gäste bei dem unaussprechlich schönen Anblick, der sich ihnen bot:

Inmitten des Raumes, schneeweiß sich abhebend von dem dunklen Hintergrunde, den dichte, grüne, zwischen den Säulen aufgerankte Blumen und Laubgewinde bildeten, stand die Aphrodite des Praxiteles.

Eine lautlose Pause tiefsten Schweigens trat ein, dann aber sprang Alles von den Sitzen auf, und ein wirres Durcheinander entzückter Ausrufe verkündete den Eindruck, den das wunderbare Kunstwerk hervorgerufen hatte.

Die Archonten vergaßen ihre staatliche Ehrwürdigkeit; die Gesandten ihre amtliche Zurückhaltung, Alles drängte sich an Praxiteles und jeder wollte der Erste sein, der ihn 79 umarmte und an das Herz drückte. Einzelne gingen in ihrer Begeisterungswuth so weit, daß sie das leuchtende Marmorbild umarmten und mit Küssen bedeckten, so daß der Meister ihnen lachend Einhalt thun mußte.

So war Alles schon in begeistertster Stimmung, als jetzt die Sklaven erschienen und, indem sie die Gäste mit Rosenkränzen schmückten, das Zeichen gaben, daß die Mahlzeit bereitet war.

Man trat in den Speisesaal, und ein neuer Ausruf des Staunens und der Ueberraschung rauschte durch die Versammlung.

An der den Eintretenden gegenüberliegenden Hinterwand des Saales waren Stufen, und auf der obersten derselben stand ein Weib, das in den schönen nackten Armen einen zweihenkligen Krug emporhielt, während ihr zu Füßen ein Jüngling und ein Mädchen auf den Stufen saßen, die jedes einen Becher zu ihr emporhoben.

Die lachenden Augen des Weibes, die tief erröthenden Wangen des Mädchens und des Jünglings, und das leise Zittern, das den Leib des Mädchens bewegte, verriethen, daß dieses Dreigestirn von Schönheit und Lieblichkeit nicht aus Marmor, sondern Fleisch und Blut war.

»Aphrodite! Aphrodite!« so erscholl es unter den Gästen, denn man hatte in dem schönen Weibe das Urbild des eben gesehenen Marmorwerkes erkannt. »Aphrodite, welche dem Ganymed und der Hebe den Becher füllt,« erklärte einer der Archonten.

»Nicht Hebe, sondern Iris,« sagte ein Anderer; »darauf deutet das lichtblaue Gewand, in dem Ihr sie erblickt.«

Phryne-Aphrodite neigte den Krug, füllte die erhobenen Becher, und die zwei ersten Archonten traten heran, um die Pokale in Empfang zu nehmen.

Nachdem die Becher die Runde durch die Versammelten 80 gemacht hatten und jeder einen Zug daraus getrunken, sprang Phryne lachend von ihrem Piedestal herab und trat zu Praxiteles heran, während Myrtolaos und Hellanodike sich gleichfalls erhoben.

»Bist du zufrieden? und habe ich in deiner Schule gelernt?« fragte sie den Bildhauer mit leuchtenden Augen.

»Ihr Männer von Knidos,« sagte dieser, indem er den Arm um ihre Hüfte legte, »wenn Ihr in Eure Heimath zurückkehrt, werdet Ihr sagen können, daß Ihr Phryne gesehen habt, der Aphrodite ihren Leib, Pallas ihren Geist –«

»Und Praxiteles seinen Meißel lieh,« unterbrach ihn das Weib mit zärtlichem Stolze.

Im Sturm hatte Phryne Sinne und Herzen der Anwesenden erobert, und einstimmig ward beschlossen, ihr das Amt des Symposiarchen, d. h. des Festordners zu übertragen. Diese Stellung gab ihr die Befugniß, alles dasjenige anzuordnen, was zur Unterhaltung der Gäste und Erhöhung der Festfreude dienen konnte; der Geist des Festes ruhte in ihren Händen.

Mit glänzendem Geschick entledigte sie sich ihrer Aufgabe, und staunend sah und hörte ihr Hellanodike zu, welche schüchtern und schweigsam in der ungewohnten Männergesellschaft saß. Niemand schenkte ihr besondere Aufmerksamkeit, denn Alles hing an Phryne. Myrtolaos hatte fern von ihr am anderen Ende der Tafel seinen Platz, und nur Einer war in der ganzen Versammlung, dessen Augen an Phryne vorübergingen, um an Hellanodike hangen zu bleiben. Es war Mnemarch. Er sprach wenig, und seine stummen Blicke nahmen, je mehr er von dem feurigen Weine genoß, einen immer heißeren verzehrenden Ausdruck an. Nie war ihm das Mädchen so schön und begehrenswerth erschienen wie heute. 81

Nachdem man bereits einige Stunden getafelt, und die Stimmung der Anwesenden ihren Höhepunkt erreicht hatte, winkte die schöne Festordnerin einen der aufwartenden Sklaven zu sich heran und flüsterte ihm einige Worte zu. Gleich darauf öffneten sich die Pforten des Saales, und mit rauschendem Lärm, mit Flöten und rasselnden Tambourinen kam ein Schwarm von Mädchen und Jünglingen hereingestürmt. Alle Gespräche verstummten, und Alles wandte seine Aufmerksamkeit den neuen Ankömmlingen zu, die sich zum Tanz ordneten.

Anfänglich war der Reigen gemessen und die Bewegungen der Tanzenden zurückhaltend; mit zunehmender Wärme aber wurden die Verschlingungen kühner, die Jünglinge griffen fester zu und ließen ihre Tänzerinnen höher im Schwunge emporfliegen; einzelnen der Mädchen lösten sich die Haare, anderen rissen die Tänzer die Bänder auf, welche das Haar auf ihrem Haupt zusammenhielten, und so raste der wilde Schwarm wie eine Schaar von Mänaden jauchzend und tobend durcheinander.

Die Augen der Gäste glühten, Phryne stand aufgerichtet am Ende der Tafel und blickte mit ruhigem Lächeln auf das wilde Schauspiel.

»Haltet ein,« rief sie plötzlich mit heller Stimme in den Haufen hinein, und unverzüglich leistete man ihrem Gebote Folge. »Euer Tanz wird zu wild,« sagte sie, »und es fehlt ihm das Beste. Ist keine unter Euch, die uns durch einen Einzeltanz erfreuen könnte?«

Eins der Mädchen trat vor.

»Schöne Phryne,« sagte sie, indem sie das lange Haar aus dem erglühenden Gesichte strich, »bei anderen Festen bin ich es, die den Anderen vortanzt; hier aber darf ich mich dessen nicht unterfangen.«

»Weshalb nicht hier?« 82

»Weil Phryne anwesend ist, vor der meine Kunst zu schanden werden müßte, denn Jedermann in Athen weiß, daß niemand zu tanzen versteht wie sie.«

Die Gäste sprangen von ihren Sitzen auf.

»Zeige uns deine Kunst, Phryne,« hieß es, »Phryne soll tanzen.«

Sie schien einen Augenblick zu überlegen, dann trat sie mitten in den Saal; die Mädchen, sowie die Jünglinge wichen zurück, um ihr Platz zu machen. Sie winkte dem Einen der Flötenspieler zu, und zum Rhythmus, den er blies, begann sie einen der Musik entsprechenden, langsamen, feierlichen Tanz. Das lange Gewand, das bis auf ihre Füße ging, hinderte sie an schnelleren Bewegungen, und ihr Tanz bestand wesentlich nur in einem abgemessenen Schreiten, einem Neigen des Körpers, einem Aufraffen und Wiederfallenlassen des Gewandes. Trotzdem waren ihre Bewegungen von solcher Anmuth, daß sich ein Beifallsgeschrei unter den Anwesenden erhob.

»Ihr seid zu nachsichtig,« sagte Phryne lachend, »wenn Ihr Euch mit solch schläfrigem Tanze begnügt.«

»So zeige uns einen munteren,« rief Praxiteles, vom Wein erhitzt.

Die Augen des Weibes blinkten in einem seltsamen Feuer auf.

»Wartet einen Augenblick,« rief sie und verschwand aus dem Saale.

Ein gespanntes Schweigen trat ein, flüsternd unterhielten sich die Gäste und alle Augen waren erwartungsvoll auf die Pforte gerichtet, durch welche Phryne gegangen war. Plötzlich schlugen die Vorhänge zurück, und ein Schrei des entzückten Staunens brach aus allen Kehlen.

Das Obergewand hatte sie abgeworfen, das Unterkleid von feinstem weißen Linnen, das sich eng um die 83 üppigen Formen des Oberleibes schloß, war bis zu den nackten leuchtenden Knieen aufgeschürzt, und auch der Sandalen hatte sie sich entledigt.

Elastisch wie ein Panther war sie mit einem Sprunge unter den Mädchen, riß dem Einen derselben das Tambourin aus der Hand und indem sie sich selbst begleitete, begann sie einen wilden bachantischen Tanz.

Jede Linie des reizenden Leibes war Wollust der Bewegung, und wie sie die Augen der Männer mit verzehrender Gluth auf sich gerichtet fühlte, überkam sie die Wonne vergangener wilder Tage; sie war wieder Phryne die Hetäre, und ihre Augen, die bald in wilder Gluth aufloderten, bald in süßem Schmachten erloschen, bekundeten den üppigen Rausch, in dem sie mit Leib und Seele aufgegangen war. Ihrer selbst vergessen, umrauscht vom Beifallsgejauchze der Männer, der Weiber und Aller, welche zuschauten, immer wilder ging der schwärmende Tanz, immer enger schloß sich das zarte Gewand an den fliegenden Busen und ließ die Geheimnisse des schönen Leibes mehr und mehr errathen; plötzlich brach sie den Tanz ab, und während Alles in Ekstase war und sich nicht zu fassen vermochte, stand sie, die Versammlung lächelnd überblickend, scheinbar die einzige, die ganz ruhig und ihrer selbst mächtig war.

Sie machte eine Bewegung, als ob sie schauerte, und hob den einen der unbeschuhten Füße von den Marmorfliesen des Bodens.

»Dieser Boden ist kalt,« sagte sie, »mich fröstelt; bei wem finde ich Schutz?«

»Bei mir!« und »bei mir« scholl es lachend von allen Seiten zur Antwort, und dieser und jener reckte die Arme verlangend nach der schönen Schutzbedürftigen.

Sie achtete nicht darauf. 84

»Bei dem Schönsten!« rief sie mit einem hellen, klingenden Schrei, und jählings, bevor die verblüfften Gäste sich dessen versahen, sprang sie auf den Polster, auf welchem Myrtolaos ruhte, und schmiegte sich eng an den schönen überraschten Jüngling.

Hellanodike flog halb von ihrem Sitze empor.

Phryne hatte es bemerkt; mit wildem, tollen Lachen schlang sie die Arme um Myrtolaos, während ihre Augen mit herausforderndem Hohne zu dem Mädchen hinüberzuckten.

Sie ergriff den Becher, der vor ihr stand.

»Füllt die Becher, ihr Sclaven,« rief sie, »und gebt auch jenen Mädchen und Knaben dort Wein, daß Niemand hier sei, der mit kalter Nüchternheit auf die Trunkenheit der Seligen blicke!«

Die Sclaven gehorchten; Phryne hob den Pokal empor.

»Hört, was die Festordnerin gebietet, sterben soll die Nüchternheit, sterben die Kälte und die Ehrsamkeit.«

»Sterben sollen sie, sterben,« scholl es im wilden Chor.

»Und leben soll der heilige Wahnsinn, die göttliche Raserei.«

»Leben sollen sie,« erklang es als Antwort.

Ein wildes sinnentaumelndes Bachanal begann, und während die Männer die Dirnen an sich heran und auf ihren Schooß rissen, beugte Phryne die Lippen dicht zu Myrtolaos' Ohr.

»Hör' mich an, du schöner thörichter Knabe,« flüsterte sie mit heißer Stimme, »dem ich wohl will, obgleich du so wenig nach mir fragst, ich sehe dir an, daß du leidest und ich weiß, was dir fehlt: du möchtest ein Künstler sein, wie Praxiteles und kannst es nicht werden, weil du dein heißes Herz an eine kalte Geliebte geknüpft hast.«

Myrtolaos sah sie betroffen an und verstummte. 85

»Siehst du, daß ich in deinen Gedanken lese,« fuhr Phryne leise triumphirend fort – »wohlan, ich will dir helfen, ich will dich zu einem Künstler und deine Böotierin zu einer Athenerin machen.«

»Wie meinst du das?« fragte er staunend.

»Du wirst es sehen,« versetzte sie hastig; »laß mich gewähren und störe mich nicht; bedenke, daß Alles zu deinem Wohle geschieht.«

Bevor er noch den Sinn ihrer Worte zu fassen vermocht, erhob sie sich auf dem Polster, darauf sie lag.

»Gebt Frieden!« rief sie in den tosenden Schwarm und ein augenblickliches Schweigen trat ein.

»Ihr Männer,« sagte sie mit heller Stimme, »Ihr kennt das Urbild, nach welchem Praxiteles seine Knidische Göttin schuf – ist Einer unter Euch, der Phryne tadelt, daß sie dem Meister dazu ihren Leib geliehen?«

»Wer das thäte« sagte einer der Gesandten von Knidos mit lallender Zunge, »den sollte man zu den Paphlagoniern schicken und Eicheln essen lassen

»Sei nicht zu streng,« wandte sich Phryne lächelnd an den Gesandten, »denn dein Wort möchte ein Weib treffen, und dann wäre es nicht zart.«

»Eine Frau?« sagte Praxiteles.

»Hört denn,« und Phrynes Stimme wurde schärfer, »es ist Eine unter uns, die im Innersten ihres Herzens Phryne's Thun verdammt; die Freundin eines Künstlers, wie Phryne die Freundin eines solchen ist, die ihrem Freunde verweigert, was Phryne dem ihren gewährt.«

»Wen meinst du?« scholl es jetzt von allen Seiten.

»Dort – Hellanodike, die Tochter des Myronides aus Tanagra.«

Aller Augen wandten sich auf Hellanodike, die zitternd an allen Gliedern, wie in Feuer gebadet saß. 86

»Seht sie an,« fuhr Phryne fort, »saht Ihr je eine Gestalt, die Pallas mehr nach ihrem Ebenbilde erschuf? Ist es recht, was sie thut, daß sie ihrem Freunde verweigert, sich als Pallas zu zeigen?«

Myrtolaos fuhr auf –

»Was thust du?« sagte er halblaut zu Phryne.

Sie legte die Hand auf seine Schulter und drückte ihn lächelnd nieder.

»Dort sitzt der Gebieter im Reiche des Schönen,« sagte sie, indem sie auf Praxiteles zeigte. »Wohlan denn, sprich, ob die Kunst ein Recht hat an diesem Weibe, und ob sie der Kunst ihr Recht noch länger verweigern darf?«

Praxiteles erhob sich lachend von seinem Sitze.

»Dazu bedarf es keines Meisters der Kunst,« sagte er, »um zu erkennen, daß dieses schöne Kind –«

»Pallas, sie soll sich als Pallas zeigen,« unterbrach ihn ein wüstes Geschrei aus zwanzig Kehlen. Die Gäste hatten Phrynes Meinung erkannt und ergriffen den Gedanken mit Begierde.

»Du hörst,« wandte sich Phryne an Hellanodike, »du mußt dich ihrem Gebote fügen; dort steht der Paris, zeige dich ihm so, wie Pallas vor dem Sohne des Priamus stand.«

Das geängstigte Mädchen drückte beide Arme auf die Brust. –

»Nimmermehr,« keuchte sie hervor, »nimmer, nimmermehr!« –

»Du mußt,« schrie Phryne mit scharfer schneidender Stimme. Sie war zu Hellanodike geeilt und mit einem Griffe hatte sie die Agraffe, die das Kleid auf der Schulter hielt, gefaßt und gelöst. Mit der Kraft der Verzweiflung sprang Hellanodike auf, stieß die Angreiferin zurück und wollte aus dem Saale entfliehen. 87

»Helft mir,« schrie Phryne den Tänzerinnen zu, und wie ein Schwarm von Dämonen fielen sie über Hellanodike her, der sie den Weg zum Ausgang versperrten.

Es bildete sich ein dichter wirrer Knäuel um sie, und die schönen entsetzten Augen irrten in stummer Noth im Kreise ihrer Peinigerinnen umher, während sie krampfhaft das Gewand auf der Schulter festzuhalten versuchte.

»Haltet den Böotier fest« ertönte jetzt plötzlich Mnemarchs Stimme, welcher bemerkt hatte, wie Myrtolaos von seinem Polster aufsprang.

Zwei Sklaven warfen sich über ihn, faßten ihn an den Armen und Schultern und drückten ihn mit Aufbietung aller Kraft auf den Sitz nieder.

»Laßt mich,« schäumte Myrtolaos, aber sie ließen ihn nicht, sondern hielten ihn wie mit eisernen Fäusten fest.

Dies war die Losung zum Aeußersten und Letzten.

Die Dirnen verwandelten sich in rasende Mänaden; sie faßten Hellanodike an Händen und Armen, und ein Triumphgeschrei ertönte, als das blaue Gewand zerrissen von ihren Schultern herniederflatterte. Schneeweiß leuchtete es inmitten des dunklen Gewirrs von schwarzen Locken und glühenden Gesichtern auf, und mit der Anstrengung der letzten Todesangst preßte sie die Arme auf den entblößten Busen, um das sinkende Kleid zu halten.

Jetzt stürzte Mnemarch, dessen Gesicht den Ausdruck eines Raubthieres angenommen hatte, mitten in den Schwarm und auf Hellanodike zu; mit einer Hand faßte er die schönen nackten Arme, um ihren Widerstand zu brechen, mit der anderen griff er in den Busen ihres Gewandes, um es mit einem letzten frechen Griffe vollends herunterzureißen. –

»Myrtolaos!« gellte ein zitternder verzweifelter Schrei.

Da erscholl am andren Ende des Saales ein wild 88 aufheulender Schmerzensschrei, über den Tisch hinweg kam es mit einem gewaltigen Sprunge mitten in den tobenden Haufen hinein, die Dirnen taumelten rechts und links zur Seite und rücklings fühlte sich Hellanodike von einem riesenstarken Arme umfaßt. Im nächsten Augenblicke fiel es krachend auf Mnemarchs Scheitel nieder, sein Haupt knickte auf die Brust, seine Hände sanken herab, und von einem Faustschlage getroffen, der mit der Gewalt eines Schmiedehammers geführt zu sein schien, stürzte er ächzend zur Erde.

Eine heisere rauhe Stimme flüsterte zu Hellanodike's Ohren, sie verstand nicht, was sie sagte, denn die wüthende Erregung brach die Worte in Stücke, bevor sie die Lippen verlassen, aber den Ton der Stimme erkannte sie, und mitten in Angst und tödtlicher Verzweiflung durchschauerte sie ein Gefühl namenloser Wonne.

Sie schlang die Arme um seinen Nacken, drängte sich an ihn, so dicht, daß sie das stürmende Klopfen seines Herzens an ihrer Brust empfand, und blickte in Myrtolaos' wilde, schöne, geliebte Augen empor.

Mit der Linken hielt er sie an sich gedrückt, während er mit der Rechten einen der schweren Mischkrüge ergriffen hatte, die leer am Boden standen, und indem er ihn wie eine Waffe drohend am Henkel emporschwang und mit zuckenden Lippen und flammenden Augen die Versammelten maß, glich er einem jungen Theseus, der mit den Centauren kämpfte.

Am anderen Ende des Saales krümmte sich, nach Luft ringend, der eine der Sklaven, welche Myrtolaos gehalten hatten, und der durch einen Fußstoß des Jünglings bis an die Wand geflogen war. –

Einen Augenblick war Alles in lautloser Betroffenheit zurückgewichen, auch Phryne stand, von ihrer Geistesgegenwart auf Augenblicke verlassen, schweigend unter den 89 Uebrigen. Ihre finster gefalteten Brauen, die krampfhaft geballten Hände verriethen indessen den Sturm des Grimmes, der ihr Inneres durchtobte. Da bemerkte sie, wie es sich hinter dem Rücken des Jünglings am Boden regte; Mnemarch war zu sich gekommen. Sein erstes Lebenszeichen war ein Blick voll tödtlichen unersättlichen Hasses auf Myrtolaos. Phryne's scharfem Auge entging dieser Blick nicht, und zugleich bemerkte sie, wie die Hand Mnemarch's krampfhaft unter seinem Gewand zu nesteln begann. Sie wußte, was er suchte, und ein furchtbarer Gedanke durchzuckte ihr rachedürstendes Herz. Es kam darauf an, Mnemarch Zeit zu verschaffen und Myrtolaos zu verhindern, daß er nach dem Gegner umblickte. Plötzlich trat sie auf den Jüngling zu.

»Was unterfängst du dich im Hause des Praxiteles?« rief sie, und der Zorn gab ihrer Stimme einen kreischenden Ton – »was thust du, Böotier?«

»Ich schütze sie vor dir,« gab er zur Antwort, und seine Hand griff den Henkel des Mischkruges fester.

In diesem Augenblick geschah etwas, das allen Anwesenden Athem und Besinnung raubte.

Mit rasender Hast stürzte sich Praxiteles auf Myrtolaos zu und mit ungeheurer Kraft riß er ihn, indem er ihn mit beiden Armen umschlang, zwei Schritte zur Seite.

»Schurke!« rief er, seine Stimme klang mächtig wie der Donner, und im nächsten Augenblick hatte er den, dem dieser Zuruf galt, Mnemarch, am Halse gepackt und hielt ihn zappelnd wie eine Eidechse schwebend in der Luft.

Ein langes, zweischneidiges Messer blinkte in Mnemarch's Hand und jetzt, von Praxiteles' eiserner Faust gewürgt, ließ er die Mordwaffe kraftlos zu Boden fallen.

Der Bildhauer ließ die Hand von seiner Kehle, und Mnemarch brach keuchend zusammen. 90

Praxiteles stand über ihm – eine tiefe düstre Falte, wie mit dem Meißel gerissen, legte sich zwischen seine Augen – und es sah aus, als ob er den Fuß erheben und Mnemarch in Staub treten würde. Der Letztere kauerte am Boden und hob den Blick nicht empor. –

Ein tödtlich schweigendes Entsetzen herrschte im Saale; es war, wie wenn ein Löwe in die Versammlung eingebrochen sei und zu brüllen begonnen hätte. –

Hellanodike bebte, wie vom Fieber geschüttelt, in Myrtolaos' Arm. –

»Komm,« hörte sie jetzt des Geliebten hastig flüsternde Stimme, »komm.«

Willenlos schmiegte sie sich an ihn, der für sie handelte und dachte. Aller Augen und Ohren waren auf Praxiteles und Mnemarch gerichtet; niemand beachtete die Zwei, die lautlos hinter den Uebrigen verschwanden. –

Nun trat Praxiteles zurück, und der Bann löste sich, der die Umstehenden in athemlosem Kreise zusammengehalten hatte.

Eilend, in erschrecktem Durcheinander drängten die Tänzer und Tänzerinnen zum Ausgange, und das Licht der Fackeln, welche Sklaven jetzt in den dunkelnden Saal trugen, fiel aus blasse, verstörte Gesichter.

Mnemarch raffte sich auf und wollte sich, gesenkten Hauptes, davonmachen.

»Nimm dein Messer mit,« rief ihm Praxiteles nach, und bei dem furchtbaren Tone dieser Worte kehrte Mnemarch, gehorsam wie ein Hund, zurück, nahm das Messer vom Boden auf und schlich hinaus. –

Phryne war mitten in dem Tumult lautlos verschwunden.

»Kommt, laßt uns hinausgehen,« sagte der Bildhauer 91 zu seinen Gästen; »es thut mir leid, daß unser Fest solche Störung erlitten hat.«

Sie verließen den Saal; aber es wollte kein Gespräch mehr aufkommen, und wie in stummer Verabredung nahmen sämmtliche Gäste gleichzeitig und plötzlich Abschied. – Im Hause des Praxiteles ward es still. –

Er sah sich um – er schien etwas zu suchen. –

»Habt Ihr Myrtolaos gesehen?« fragte er die Sklaven.

Keiner hatte den Jüngling bemerkt; er winkte die Sklaven hinweg. –

Mit der Fackel in der Hand ging er durch sein Haus, seine Schritte widerhallten mit ödem Klange. Er trat in die Kammer, die er Myrtolaos zum Wohnen eingeräumt hatte, sie war leer; er ging in seine Werkstatt. Aus dem halben Lichte, das die Fackel verbreitete, trat in dämmernden Umrissen die Gestalt des Hermes hervor. –

Im eisernen Haken, der aus der Wand ragte, befestigte er die Fackel, dann stand er in dunklen Gedanken vor dem Bildwerk. In seiner Erinnerung erschienen die beiden schönen unschuldigen Kinder, wie sie am Hermesfeste zu Tanagra vor ihm gestanden hatten, und er dachte an das Schauspiel von heute. – Das Licht der Flamme spielte über das schöne Gesicht des Bildwerks; die starren Züge wurden lebendig, und es sah aus, als neigte der Hermes in stummer Trauer das Haupt gegen ihn. – Der Abschiedsgruß des Hermes von Tanagra. – Dumpf sank Praxiteles auf seinen Sessel, eine Empfindung, die er noch nie gekannt, zog dunkel und schwer durch seine Seele – er blickte umher und fühlte, daß er einsam war. –

Finsterniß lag über die Gassen Athens gebreitet, als Myrtolaos mit Hellanodike das Haus des Praxiteles verließ.

Ohne zu zögern, ohne rechts noch links zu blicken, überschritten sie die Schwelle. Stumm und hastig schritten 92 sie ihren Weg; sie fragte nicht, wohin der Weg sie führte, sie wußte nur, daß es hinweg ging von dem Orte des Schreckens und daß sie bei ihm war, von seinem Arm noch immer umschlungen.

»Es ist kalt, und du schauerst,« sagte er leise zu ihr, denn er fühlte, wie ihr Leib, den nur das leichte Festgewand vor der kühlen Nachtluft schützte, in seinen Armen bebte.

»Nein,« sagte sie, »mich friert nicht,« und sie ging mit verdoppelter Schnelligkeit neben ihm her.

Einige hundert Schritt mochten sie so gegangen sein und eben waren sie um eine Ecke des Weges gebogen, als sie hörten, wie Jemand hinter ihnen hergelaufen kam, athemlos keuchenden Laufs.

Hellanodike zuckte zusammen.

»Nur fort,« sagte Myrtolaos und riß sie weiter.

»Nicht diesen Weg!« tönte es heiser an ihr Ohr. –

»Chlenusa,« sagten beide wie mit einem Munde – im nächsten Augenblicke war Chlenusa an ihrer Seite, Der lange dunkle Mantel, der sie vom Hals bis an die Füße umhüllte, flatterte hinter ihr her.

»Warum nicht diesen Weg?« fragte Myrtolaos; »ist dies nicht die Straße zum nördlichen Thore?«

»Sie sind hinter Euch her,« sagte sie stöhnend vor Athemlosigkeit, »Ihr rennt in ihre Hände.«

»Wer verfolgt uns?« fragte Myrtolaos.

»Timoessa mit den Knechten – hier herein.« Bei diesen Worten faßte sie Myrtolaos' Hand und riß ihn mit der Energie der Verzweiflung in eine Seitengasse, die eng und finster ihnen entgegengähnte.

»Weiter, nur weiter,« schrie sie, als sie bemerkte, daß Myrtolaos stehen bleiben wollte – und der Ton ihrer halberstickten Stimme deutete auf eine so schreckliche 93 Gefahr, daß der Jüngling ihr blindlings folgte. Die Gasse endigte in einen Sack, sie konnten nicht weiter.

»Bleibt hier und gebt keinen Laut« sagte Chlenusa; »und du nimm dies,« wandte sie sich zu Hellanodike, indem sie den Mantel von ihren Schultern riß und ihn dem zitternden Mädchen umhing, »die Nacht wird kalt und Ihr müßt noch weit in dieser Nacht.«

»Aber du?« fragte Hellanodike.

»Ich brauche keinen Mantel mehr,« – in ihrer Stimme war ein dumpfer Jammer – »und leb' wohl, leb' wohl, leb' wohl,« und indem sie Hellanodike's Antlitz in der Dunkelheit mit den Lippen suchte, küßte sie sie bei jedem Worte auf Augen, Mund und Wangen. Dann verließ sie die Beiden und eilte aus der Gasse hinaus auf die Hauptstraße zurück. In dem Augenblicke kam ein dumpfes Getrappel von Schritten um die Ecke der Straße, Lichtschein drang in die Gasse hinein und Timoessa, von zwei mit Fackeln versehenen Sklaven begleitet, erschien vor der Mündung der Gasse.

Die qualmende Gluth der Fackeln beleuchtete das Megärengesicht der Alten und die verthierten Gesichter der Knechte mit blutigem Roth. Der Eine von diesen trug einen Pack Stricke um den Arm geschlungen, in des Anderen Hand funkelte ein nacktes Schwert. An der Gasse machten sie halt, und bis in die Gasse hinein tönte das Geschnauf ihrer schwer nach Athem ringenden Brust.

»Sie sind vom Wege ab,« sagte einer der Knechte, »und ich hatte sie auf dem Wege vor uns gesehen.«

»Dann haben sie uns bemerkt und sich hier irgendwo versteckt,« entschied Timoessa, »laßt uns suchen.«

Hellanodike sank an Myrtolaos' Brust, und auch ihm schlich der eisige Frost durch Mark und Gebein.

Plötzlich fuhr der, welcher das Schwert trug, auf. 94

»Seht da,« rief er, – und von der andern Seite der Straße her trat Chlenusa in den Kreis des Fackellichtes.

Wie ein Geier stürzte sich Timoessa auf das Mädchen zu.

»Wo sind sie? du weißt es!« schrie sie, und ihre Hände krallten sich um den Hals des Mädchens.

Chlenusa sank in die Kniee.

»Wirst du sprechen,« sagte der Knecht, der mit dem Schwerte zum Stoß ausholend auf sie zutrat; jeder Nerv des sehnigen Armes zitterte in satanischer Mordlust. –

»Laßt mich leben,« erwiderte Chlenusa, »ich will Alles gestehen. Ihr sucht falsch – sie sind dort hinunter« – und sie zeigte in der entgegengesetzten Richtung – »um die Akropolis herum wollen sie zum Hause des Praxiteles zurück – ich habe sie gewarnt.«

»Du hast sie gewarnt?« schrie Timoessa; »lauft ihnen nach,« wandte sie sich an die Sklaven, »fangt sie, greift sie, wenn sie Praxiteles' Haus erreichen, sind sie für uns verloren!«

»Und diese hier?« fragte der Sklave, das Schwert über Chlenusa erhebend.

»Gieb deinen Strick her,« sagte Timoessa; sie riß dem Anderen eines der Seile vom Arme, die er trug, und mit Hülfe des Sklaven warf sie Chlenusa auf den Boden.

»Mit dieser rechnen wir nachher ab,« sagte sie, während sie dem Mädchen auf den Rücken kniete und ihr die Hände rücklings zusammenband.

»Hinweg, hinter ihnen drein, und wenn Ihr sie habt, schafft sie beide hierher!«

Die Sklaven wandten sich und wie zwei blutdürstige Panther stürmten sie durch die gegenüberliegende Gasse davon.

Timoessa blieb auf Chlenusa knieend zurück; die gepreßte Brust des gemarterten Mädchens ächzte, halberstickt. 95

»Habe Erbarmen« seufzte sie, »bist du nicht meine Mutter?«

»Ich deine Mutter?« und Timoessa's Zähne schlugen knirschend an einander – »an der Straße habe ich dich gefunden und aufgelesen, du –«

Sie konnte nicht vollenden, denn eine schwere Hand griff plötzlich aus der Dunkelheit heraus und legte sich wie ein eiserner Riegel vor ihren zuckenden Mund. –

Sie wollte aufschreien, aber nur ein gurgelnder Laut ward vernehmbar; sie wollte aufspringen, aber von der dunklen gewaltigen Faust im Nacken gefaßt, taumelte sie um sich selbst und schlug krachend auf das Pflaster nieder.

Im nämlichen Augenblick war ein Fetzen aus ihrem Kleide gerissen und ihr als Knebel in den Mund gestopft, in der nächsten Sekunde war der Strick von Chlenusa's Händen gelöst und während bisher Alles in lautlosem furchtbarem Schweigen vor sich gegangen war, vernahm Timoessa jetzt eine nur zu bekannte wuthbebende Stimme:

»Kennst du mich, Kupplerin? Räuberin? Verdammte? Nimm das, und das und bringe das an Mnemarch,« und gleichzeitig prasselte der Strick, von Myrtolaos' Hand geschwungen, in grimmigen, zischenden Streichen ihr auf Gesicht und Hände und Schultern nieder. Sein Grimm schäumte wie ein reißender Strom aus seinem Herzen, und er peitschte auf sie los, bis daß sie dumpf heulend sich am Boden wälzte und der Strick sowie das Pflaster umher von ihrem Blute besprengt war. –

Endlich warf er das Straf-Instrument auf Timoessa und beugte sich zu Chlenusa.

»Kannst du stehen?« fragte er. Sie raffte sich, von seinem Arme unterstützt, mühsam vom Boden auf.

»Komm,« sagte er, »du gehst mit uns,« und er hob die schlanke Gestalt in seinen Armen empor. – 96

Hellanodike faßte Chlenusa's herabhängende Hand, und ein leises Lächeln umspielte die Lippen des armen Geschöpfes. Wenige Schritte, und das Stadtthor war erreicht, und sie traten in die Freiheit hinaus. – Schwer athmeten sie auf – sie waren gerettet. –

Rings um sie her lag die feierlich schweigende Nacht, und über ihnen blinkten die ewigen Sterne; im Norden, in der Richtung etwa wo Tanagra lag, stand ein leuchtendes Gestirn, schimmernd in sanftem zitterndem Lichte.

»Wohin nun?« fragte Hellanodike leise, als Myrtolaos stehen blieb und Chlenusa sanft aus seinen Armen ließ.

»Zu deinem Vater,« antwortete er.

Da fiel sie ihm um den Hals und ihre stummen Thränen mischten sich mit den seinigen.


Es war einige Tage später.

Still und heiß lag die Mittagssonne über dem Berge von Tanagra, die Häuser der Stadt flimmerten im grellen Lichte und blickten in die schweigende Landschaft zu ihren Füßen wie ebenso viele neugierige Augen herab.

Und jetzt sahen sie, wie an dem Saume des Olivenwaldes dort unten, der wie eine grüne schattige Insel inmitten der gluthgedörrten Felder und Berge lag, eine Gestalt erschien, eine schöne schlanke Mädchengestalt, wie sie den breiten, schattenden Hut tiefer in das Gesicht zog, damit ihr die Sonnenstrahlen nicht verwehrten, hinüberzuschauen zu den bekannten geliebten Mauern und Thoren; und die Häuser von Tanagra hatten sie erkannt, und wenn sie gekonnt hätten, so hätten sie sich angestoßen und zugeflüstert:

»Sie ist wieder da, sie, die wir in unsren steinernen Armen hielten und die uns so treulos entwich, unser Liebling Hellanodike.«

Noch andre Augen aber hatten Hellanodike betrachtet. 97 während sie so, vom Lichte, das Sonnenstrahlen und Baumesschatten um sie herwoben, umspielt am Saume des Gehölzes stand, und diese Augen hatten mit tiefer Zärtlichkeit und Trauer auf ihr geruht. Hinter ihr, am Rande eines Baches, der sich durch das Gehölz drängte, saß Myrtolaos, und sah sie an und ward nicht satt sie anzusehen, denn er wußte, daß es heute zum letzten Male geschah. Wenn es dunkel sein würde, wollte er sie nach Tanagra und zum Hause des Myronides führen, denn vor dem Tageslichte scheuten sie sich. Wie hatte er einst zu diesem Hause zurückzukommen gedacht, und wie kam er nun in Wirklichkeit zurück – ein bitterlicher Schmerz drängte sich in seinem Herzen empor, und in düstren Gedanken senkte er das Haupt.

Ein leichter Schritt rauschte hinter ihm, Hellanodike berührte seine Schulter.

»Chlenusa ist noch nicht zurück,« sagte sie, »sie wollte uns Brombeeren pflücken. Ich bin müde von unsrem heutigen Weg.«

»Ruhe dich,« erwiderte er; »ich werde wachen.«

An der grasigen Böschung des Baches lagerte sich Hellanodike; er schob Blätter und Moos unter ihr Haupt, damit es weicher läge, und setzte sich an ihre Seite. Wie ein Kind, das im Einschlafen nach seinem liebsten Spielzeug greift, faßte sie seine Hand, sah ihn mit den schlaftrunkenen Augen noch einmal freundlich an, und war entschlummert. –

Er saß neben ihr und blickte auf sie herab. Der Anblick der Vaterstadt hatte die Züge des holden Gesichtes in aller unschuldigen Lieblichkeit früherer Tage wiederhergestellt und die Erinnerungen der letzten schrecklichen Tage lagen wie ein ferner Schatten darüber hingebreitet.

Da fiel sein Auge auf das Wasser, das zu seinen Füßen plätscherte, und siehe da, unter der klaren Fluth leuchtete ein Geschiebe des schönsten goldbraunen Thons hervor. 98

»Wie sich damit bilden und formen lassen müßte,« dachte er bei sich, und er zürnte, als er sich bei diesem Gedanken ertappte, denn der Kampf war nun zu Ende, er wußte, daß er zum Künstler nicht geboren war.

Dennoch zog ihn die alte Gewohnheit; vorsichtig löste er die kleine Hand, die noch in der seinigen lag, von sich los und brach, halb in Gedanken, von dem Thone im Bette des Baches. Er fühlte die weiche durchfeuchtete Masse in seiner Hand, er sah auf Hellanodike herab, die sanftathmend in tiefem Schlummer vor ihm hingegossen lag, so daß es aussah, als wollte sie ihm Muße gewähren, jede Linie ihrer Gestalt, jeden Zug ihres Gesichtes zu bleibender Erinnerung in sich aufzunehmen. Da regte sich, aller Vernunft zum Trotz, die alte Lust mit unwiderstehlicher Kraft in seiner Seele, und er beschloß, mit dem letzten Werke seiner Hände sich ein Erinnerungsmal des geliebten Mädchens zu schaffen. Kein Bildwerk sollte es werden, wie sie aus Praxiteles' Händen hervorgingen und wie er sie in qualvollem Kampfe vergebens zu gestalten versucht hatte, nichts weiter als ein Abbild Hellanodike's; aber ähnlich, so ähnlich als er nur irgend vermochte, wollte er es machen, in jeder Falte des Gewandes, mit dem breitrandigen Hute, den sie so gerne trug, und mit jenem Lächeln, das jetzt so geheimnißvoll über das süße Gesicht hinhuschte, als wenn ein glückseliger Traum ihr von ungeahnter Freude und Zufriedenheit erzählt hätte.

In der Haltung, wie er sie zuletzt am Saume des Olivenwaldes nach Tanagra hinüberblickend belauscht hatte, so beschloß er sie darzustellen, und ohne Säumen ging er an das Werk.

Als er zu arbeiten anfing, überkam ihn eine innere Glückseligkeit, wie er sie nie gekannt; alles Leid vergangener Stunden, alle Sorgen zukünftiger waren vergessen; 99 ein leichter Wind zog duftend durch den Wald, und es war ihm, als tauchten die kleinen Waldgötter und Liebesgötter hinter den Bäumen empor und träten hinter ihn und blickten leise flüsternd über seine Schulter auf sein Werk. Und als nun wirklich der formlose Thon sich zu einem schlanken Figürchen gestaltete, als jeder Druck und Strich seiner Hände ein neues wärmeres Leben in den zierlichen Körper und die Gewandung hineinzauberte, die den Körper umgab, und als endlich, in kleinstem Maßstabe und dennoch deutlich erkennbar, Hellanodike's Antlitz selbst heraustrat, da mußte er an sich halten, um nicht in lauten Jubel auszubrechen; er murmelte nur ganz leise ihren Namen vor sich hin und schaute sie an, und sah, daß sie noch immer schlummerte und noch immer lächelte, und es überkam ihn eine schier unwiderstehliche Lust, sie mit seinem Kusse zu wecken – aber er that es nicht, denn sie mußte noch schlafen, bis daß die Figur ganz fertig war. Und so arbeitete er weiter und weiter, jeder Falte des zarten Gewandes gab er ihren Platz, jedes Gekräusel der dunklen braunen Locken deutete er mit der feinen Spitze eines Astes, den er zu dem Behufe zurechtgeschnitten hatte, an und so bemerkte er nicht, daß hinter ihm jemand durch den Wald dahergeschlendert kam. Es war Chlenusa, welche Brombeeren gesucht hatte und mit ihrer Ausbeute zurückkehrte. Als sie dicht herangekommen war, bemerkte er sie und legte den Finger an den Mund, daß sie Hellanodike's Schlummer nicht störte; dann zeigte er ihr das Figürchen, das nun fertig geworden war. Sie nahm es mit gleichgültigem Blick in die Hand; kaum aber hatte sie es angesehen, so verwandelte sich ihr Gesicht, die dunklen Augen blitzten auf, und »Hellanodike! Hellanodike!« rief sie, indem sie in toller Freude um die Schläferin herumtanzte. Myrtolaos wollte es ihr verweisen, schon aber war Hellanodike 100 erwacht und blickte erstaunt um sich. Chlenusa stürzte auf sie zu und neben ihr in den Rasen.

»Kennst du diese? kennst du sie?« schrie sie jubelnd und lachend, indem sie ihr das Figürchen zeigte, und staunend blickte Hellanodike ihr reizendes Conterfei an.

»Myrtolaos« sagte sie, »du hast es gemacht?«

Chlenusa klatschte in die Hände. »Er hat es gemacht,« sagte sie, »er, der geschlummert hat und heute erst aufgewacht ist.« Sie riß die Figur aus Hellanodike's Händen an sich.

»Du wirst sie zerdrücken,« sagte Myrtolaos.

»Ich sie zerdrücken,« versetzte das Mädchen; »du glaubst, ich könnte solches zerbrechen?«

Mit einem Sprunge war sie an dem nächsten Olivenbaume, riß einen Zweig herab und schlang denselben zu einem Kranze zusammen. Beinahe feierlich trat sie zu Myrtolaos hin.

»Höre,« sagte sie, »wenn sie dereinst in ganz Hellas dich krönen werden mit dem heiligen Olivenkranze, dann vergiß nicht, daß Chlenusa es war, die dich zuerst gekränzt hat.« Das Mädchen war wie im Taumel, und Myrtolaos wußte nicht recht, ob es ihr Ernst oder Scherz sei mit ihren sonderbaren leidenschaftlichen Worten. Indessen ließ er es sich gefallen, daß sie sich auf den Fußspitzen erhob und den Olivenkranz auf sein Haupt drückte.

Chlenusa wandte sich zu Hellanodike.

»Soll er allein bekränzt sein?« sagte sie; »warte, ich werde dir einen Kranz von wilden Rosen flechten.«

»Rosen im Olivenwald?« fragte er.

»Wenn nicht im Wald, so am Rande des Waldes,« erwiderte sie. »Kommt, ich habe Euch Brombeeren gepflückt; eßt, derweile ich suche«

»Laß die Figur hier,« rief ihr Myrtolaos zu, als sie 101 sich eilend entfernte. Sie aber schwang das Figürchen wie eine Trophäe lachend empor und war bald im Dickicht verschwunden.

Hellanodike und Myrtolaos setzten sich dicht zu einander und verzehrten die Beeren, von denen ihnen das Mädchen einen ganzen Haufen mitgebracht hatte; sie sprachen nicht, denn ihre Gedanken waren niedergedrückt, indem sie der kommenden Stunden gedachten.

Wie Myrtolaos ihr prophezeit hatte, fand Chlenusa im Walde keine Rosen, und ebensowenig am Rande desselben, den sie herauf- und herabstreifte; aber in der Ebene zwischen Wald und Stadt glaubte ihr scharfes Auge das Gesuchte zu entdecken. Sie machte sich eilend in der Richtung auf den Weg, und erst als sie bis dicht an die Rosenhecken gelangt war, bemerkte sie, daß ein Graben und eine Umzäunung sie von denselben trennte.

Für das leichtfüßige Ding war dies Hinderniß gering; ohne sich zu besinnen sprang sie über den Graben, kletterte über den Zaun und pflückte sich den ganzen Schooß ihres Kleides voll Rosen.

Als sie in der besten Arbeit war, kamen schwerfällige Schritte des Weges daher getrottet und plötzlich fühlte sie sich unsanft von einer groben Faust am Arme gepackt.

»Habe ich dich, Spitzbübin,« sagte der Gärtner, »siehst du nicht, daß hier ein Garten und Besitzthum ist, in welchen Gelichter deiner Art nicht gehört?«

»Ich bin keine Diebin!« sagte das Mädchen und versuchte vergeblich, sich aus seiner Hand zu entwinden.

»Du keine Diebin?« und er sah auf das braune zigeunerhafte Geschöpf, das allerdings eine verzweifelte Aehnlichkeit mit einer Landstreicherin zeigte. »Mitgekommen; wir werden dir die Dornen zu deinen Rosen geben.« 102

Er schleppte sie mit sich, und erst jetzt sah sie, daß sie sich in einem großen wohlgeordneten Garten befand.

Auf einem der breiten reinlich gehaltenen Wege kam ihnen ein würdevoller Mann entgegen. Sein Haupt und Bart waren stark ergraut, und er ging, wie es schien, in tiefen Gedanken. Als er die Gruppe der Beiden auf sich zukommen sah, erhob er das Haupt.

»Wen bringst du da?« fragte er den Gärtner.

An der Unterwürfigkeit, mit welcher dieser ihm gegenübertrat, bemerkte Chlenusa, daß sie vor dem Herrn des Gartens stand.

»Herr,« sagte der Gärtner, »offenbar eine von den Diebsgesellschaften, die in neuester Zeit die Gegend hier so unsicher machen; ich ertappte sie beim offenen Diebstahl.«

»Nicht Diebstahl, Herr,« rief das Mädchen, »nur einige Rosen habe ich von den Hecken in deinem Garten gepflückt; dein Garten wird dadurch nicht ärmer.«

Zum Beweise für ihre Worte entfaltete sie den Schooß ihres Kleides und ließ die Rosen zur Erde rollen; bei dieser Gelegenheit fiel auch das Figürchen, das sie im Schooß getragen und mit den Rosen bedeckt hatte, zu Boden.

Rasch wollte sie sich danach bücken, aber der Gärtner kam ihr zuvor.

»Diebische Elster,« rief er triumphirend. »ist das auch eine Rose?«

Das Mädchen brach in Thränen aus.

»Faß es nicht so grob und roh an,« schrie sie dem Gärtner zu, »siehst du nicht, du Ungeschlachter, daß du es zerstörst?«

Der Herr des Gartens ward aufmerksam.

»Was ist das?« fragte er und nahm die Figur aus den Händen seines Dieners. Er hatte aber kaum einen Blick darauf geworfen, als die hohe Gestalt jählings zusammenzuckte. 103

»Wo hast du dieses her?« fragte er, »wo ist die, die es darstellt?«

Das Mädchen sah ihn mit den dunklen heißen Augen an und schwieg.

»Hörst du nicht, daß der Herr dich fragt?« polterte der Gärtner dazwischen.

»Wenn du sie kennst und Böses gegen sie im Sinne führst,« erwiderte Chlenusa langsam, »so sollst du mich eher tödten, bevor ich dir sage, wo du sie findest.« Er legte die eine Hand auf ihr schwarzes Lockenhaar, während die andere in zärtlicher Sorgfalt das Figürchen umspannte.

»Führe mich zu ihr,« sagte er, »und sei außer Sorge.«

Chlenusa fühlte, wie die Hand, die auf ihrem Scheitel lag, leise bebte.


Die Schatten der Bäume fielen lang durch den Wald, Myrtolaos sah zum Himmel auf; ein Seufzer hob seine Brust.

»Es wird spät,« sagte er; »wenn wir nach Tanagra kommen, wird es dunkel sein; wir müssen uns aufmachen, sonst lassen sie uns nicht mehr in das Thor der Stadt. Komm, Hellanodike.«

Sie band den Hut auf das Haupt, und ihr Herz zitterte vor Erregung; während dessen trat er an den Bach, zerpflückte den Olivenkranz Chlenusa's und ließ die einzelnen Blätter im Wasser hinabschwimmen.

»Du freust dich nicht, daß wir zu meinem Vater zurückkehren?« fragte sie, indem sie den Arm auf seine Schulter legte.

Er wandte sich schwermüthig zu ihr um.

»Du kehrst zurück zu ihm,« erwiderte er, »ich nicht.«

Sie erbleichte, und er schlang den Arm um sie. 104

»Myrtolaos!« rief sie erstaunt und erschreckt, denn sie hatte in ihrer Unbefangenheit an eine solche Möglichkeit nicht gedacht.

»Nein,« sagte er, »als ich mit dir von ihm entfloh und Schande auf sein greises Haupt brachte, war ich ein Knabe; jetzt habe ich gelernt, was ein Mann empfindet, dem man an dem, was er liebt, Schmach anthut, und daß ein Mann es nicht vergeben kann. Komm« – er nannte ihren Namen nicht, weil er fürchtete, daß der geliebte Klang seine ganze Kraft erschüttern würde – »wir müssen hier nun von einander Abschied nehmen.«

Schluchzend lag sie an seiner Brust. Es war ihr, als versänke ihr ganzes bisheriges Leben in einen schwarzen bodenlosen Abgrund, und Tanagra ohne ihn war nicht mehr Tanagra für sie.

»O daß Praxiteles nie zu uns gekommen wäre,« klagte sie.

»Still,« sagte er mit bebender Stimme, »sei still, nenne seinen Namen nicht mehr, du zerwühlst mir das Herz.«

So standen sie, Haupt an Haupt gelehnt, beide so jung, so schön und so unglücklich, von der Natur zu einander gefügt und durch das Verhängniß von einander gerissen.

Da ertönte hinter ihnen eine Stimme, bei deren Ton sie bebend auffuhren.

»Hellanodike!« klang es ernst und traurig, und als sie umblickten, stand des Myronides hohe Gestalt wenige Schritte von ihnen zwischen den roth angestrahlten Bäumen,

»Vater,« schrie das Mädchen auf; in diesem Augenblick war Alles Andere vergessen, und sie hing an seinem Halse und küßte ihn unter strömenden Thränen.

Er bog ihr das Haupt zurück und blickte ernst und prüfend in ihr Gesicht. Als er aber ihre Augen auf sich gerichtet sah, da erkannte er, daß sie noch sein Kind war, 105 sein reines unschuldiges Kind, und beinah wider seinen Willen zog ein Lächeln über seine strengen Züge.

Mit abgewandtem Haupte und in einem schrecklichen Zustande hatte unterdessen Myrtolaos gestanden, jetzt rief ihn Myronides heran.

Wie betäubt trat er einige Schritte näher und blieb dann stehen.

»Du fürchtest dich vor mir, Myrtolaos?« sagte Myronides; und bei dem Klange dieser Stimme, die wie ein weihevoller Ton über seiner ganzen Jugend geschwebt hatte, brach dem Jüngling das Herz, er fiel ihm zu Füßen und bedeckte des Myronides Hand mit Küssen und Thränen.

»Sieh dieses an,« sagte Myronides, und er zeigte dem Erstaunten das kleine Abbild Hellanodike's, »hast du das gemacht?«

Myrtolaos erröthete und nickte stumm.

»Hast du das in Athen gemacht?«

»Nein,« sagte Myrtolaos, »hier im Walde vor wenigen Stunden.«

Mit feuchtem Glanze ruhten die Augen des Mannes auf dem Jüngling, seine Hand legte sich milde auf sein lockiges Haupt und er beugte sich tief zu ihm herab.

»Man braucht also nicht in Athen zu leben,« sagte er, »um Solches schaffen zu können?«

»Ich weiß,« flüsterte er ihm zu, »du wolltest nicht zurückkehren in mein Haus – komm zurück zu mir, Myrtolaos, mein Sohn.«

»Mein Vater,« stammelte der Jüngling, »kannst du mir verzeihen, was ich an dir gethan?«

»Muß ich nicht,« sagte Myronides, »da du einen solchen Bundesgenossen mitbringst?« und er zeigte auf Hellanodike's Bild.

Ein Jubelschrei zweier glückseligen Menschen ertönte 106 und Hellanodike und Myrtolaos hingen am Halse des edlen Mannes.

»Laßt mich frei,« sagte er lächelnd, »hier ist noch jemand, der auf mich wartet.«

Er wandte sich um und winkte Chlenusa heran, die sich scheu im Hintergrunde auf einen Baumstumpf gekauert hatte.

»Die Rosen, die du heute pflücken wolltest,« sagte er, »sind verloren; von nun an sollst du im Garten des Myronides pflücken dürfen soviel Rosen, als du verlangst, du bist nun eine Tanagräerin.«

Sie sah ihn einen Augenblick an, als verstände sie ihn nicht, denn die Sprache eines väterlichen Herzens war ihrem einsamen Gemüth zu fremd; plötzlich aber schien sie zu begreifen; sie eilte zu Hellanodike, und indem sie sich in den Rasen zu ihren Füßen warf, brach sie in Schluchzen und Freudengeschrei aus und drückte das zitternde Gesicht in die Falten ihres Kleides.

Hellanodike beugte sich herab und küßte sie und dachte der Stunden, da sie keinen Trost und keinen Freund gehabt hatte, als das wilde braune Mädchen.


Ein Jahr war vergangen, als Praxiteles, in die Werkstatt eintretend, wo seine Schüler arbeiteten, diese in eifriger, aufgeregter Unterhaltung fand. Sie drängten sich um Polymakron zusammen und schienen einen Gegenstand zu betrachten, den dieser in Händen hatte.

»Was habt ihr?« fragte der Bildhauer.

»Du sollst entscheiden, Meister,« versetzte Polymakron. »Wir streiten über den Werth dieser Sachen, jedenfalls erscheinen sie uns neu und eigenthümlich.«

Er übergab Praxiteles mehrere Figürchen aus gebranntem Thon, die weibliche Gestalten in den 107 verschiedensten Haltungen, theils stehend, theils schreitend, theils auf einem Felsblock sitzend, darstellten. Die Gestalten waren bekleidet, und die Farben der Gewandung, unter denen ein sanftes Himmelblau am häufigsten wiederkehrte, auf das zarteste angedeutet.

Praxiteles nahm die sonderbaren kleinen Gebilde in die Hand und betrachtete sie. Plötzlich erweiterte sich sein Auge und ohne ein Wort zu sagen verließ er die Werkstatt. Die Schüler blieben zurück und sahen sich verdutzt an.

Mit hastigen Schritten begab er sich in seinen Arbeitsraum, stellte die Figürchen auf einen Tisch zu Füßen des Hermes-Modells, an welches, so schien es, lange keine Hand gerührt hatte, und setzte sich davor.

Lange saß er in tiefem Anschauen versunken, und wer ihn sitzen sah, hätte denken können, er läse in den Figuren.

Viel anders war es auch in der That nicht; denn die kleinen Gestalten dort vor ihm erzählten ihm eine Geschichte von Bangen und Leiden und endlicher wunderbarer Erfüllung, und er lauschte dieser Erzählung, die wie ein süßes duftendes Märchen an sein Herz wehte.

Nicht Gestalten waren es, sondern nur eine Gestalt und nur ein Gesicht, ein ihm wohlbekanntes, immer und immer wieder Hellanodike, aber die Phantasie der Liebe umspielte diese Gestalt und zauberte die eine Einzige in immer neue, immer reizendere Stellungen, und je länger er sie ansah, um so wärmer ward das Lächeln auf dem kleinen reizenden Gesicht, um so lebendiger jede Bewegung der zarten Glieder, und es war ihm, als hörte er sie sprechen, immer nur ein Wort, aber abwechselnd in allen Tonarten mit denen Liebe auf menschlichen Worten spielt: »Myrtolaos, Myrtolaos« und plötzlich sprang er auf und wußte, daß er inmitten des Paradieses stand, 108 das der Geist des großen Künstlers auf die Erde zaubert, und Myrtolaos hieß dieser große Künstler.

»Hermes von Tanagra,« sagte er, indem er vor das Unvollendete Modell des entflohenen Lieblings trat, »so habe ich mich nicht getäuscht, als ich zum ersten Male in deine Augen sah – Und so lange hast du suchen müssen, bis du fandest, was dir so nahe war?«

Die Schüler blickten auf, als Praxiteles ernst und beinah feierlich zu ihnen zurückkehrte.

»Ihr Jünglinge,« sagte er, »ich habe euch eine Nachricht zu bringen: ein Meister der Kunst ist in Griechenland aufgestanden; es ist der, dessen Werke Polymakron mir gezeigt hat.«

Ein erstauntes Flüstern ging durch die Reihen.

»Wer kann es sein?« fragte Polymakron.

»Ich glaube, wir kennen ihn,« sagte Praxiteles, »von wem hast du die Figuren?«

»Von einem Mädchen, das über Land gekommen zu sein schien, und das die Figuren, wie sie mir sagte, in der Werkstatt des Praxiteles zum Kauf anbieten wollte.«

»Von dieser da vielleicht?« fragte Praxiteles und zeigte auf Chlenusa, die in dem Augenblick hereintrat, um sich Bescheid zu holen.

»Allerdings, von dieser.«

Praxiteles winkte das Mädchen heran.

»Wir kennen uns, denke ich, und du also bist es, die die Werke des Myrtolaos in Athen verkauft?«

»Myrtolaos? Myrtolaos hätte das gemacht?« so ging es wie ein Sturm von Munde zu Munde.

»Fragt diese da,« versetzte Praxiteles lächelnd.

»Ja, Myrtolaos in Tanagra,« rief jetzt Chlenusa, indem sie stolz um sich blickte. »In Tanagra drängt jetzt alles Volk zum Hause des Myronides, in dem er wohnt 109 und schafft, denn Keiner will sein, der nicht eine Figur von seinen Händen besäße. Und weil er ein Träumer ist, und nicht weiß, was man thun muß, um ein berühmter Mann zu werden, so habe ich mich hinter seinem Rücken aufgemacht, um sie euch zu zeigen, die ihr so etwas versteht.«

Alles lachte, denn sie sah so drollig aus in ihrer selbstbewußten Mission.

»Du also willst ihn berühmt machen?« fragte Praxiteles.

»Ja,« erwiderte sie, »denn ich habe es Hellanodike versprochen.«

»Komm mit mir,« sagte er.

Er nahm das Mädchen in seine Werkstatt, setzte sich wieder vor die Figuren, und Alles was diese ihm erzählt hatten, die ganze Geschichte von Liebe und Glück und reichem künstlerischem Schaffen mußte ihm der lebendige Mund des Mädchens noch einmal erzählen.

Sie hatte geendet.

»Also Mann und Frau?« sagte er, »und – warum erröthest du?«

»Nun, es ist ja ganz natürlich,« sagte sie, »und er ist so niedlich und sieht beiden so ähnlich.«

Praxiteles lächelte und trat vor den Hermes. Ein Gedanke blühte in seiner Seele auf; es mußte ein anmuthiger Gedanke sein, denn er verklärte seine edle Stirn.

»Du mußt diese Nacht in meinem Hause bleiben,« wandte er sich zu Chlenusa; »denn du weißt, Mnemarch lebt noch. Morgen fahren wir zusammen nach Tanagra.«

Sie verstand ihn und zog sich zurück.

Von dieser Stunde an bis zum folgenden Tage arbeitete Praxiteles wieder mit der alten gewaltigen Freudigkeit, die ihm so lange, er wußte selbst nicht warum, abhanden gekommen war.

Was er aber geschaffen hatte, das barg er sorgfältig 110 unter schützender Umhüllung, als er am frühen Morgen des nächsten Tages mit Chlenusa den Reisewagen bestieg.

Und wieder rollte, wie einst, der Wagen auf der Straße von Athen nach Oropos und von Oropos nach Tanagra dahin; wieder rauschte das Euböische Meer hart an den Strand und sandte dem ernsten dunkellockigen Manne und seiner Begleiterin den erquickenden Hauch seiner schäumenden Wellen zu, und wieder flog der Stachelstock hastiger und immer hastiger auf die Rosse herab, je näher sie dem Ziele der Reise kamen. Rasselnd fuhr der Wagen am Thore des Myronides vor, stürmende Schritte eilten durch das Haus und im nächsten Augenblick ertönte in der Werkstatt, wo der junge Bildhauer über seinen Werken saß, ein lauter jauchzender Ruf und Myrtolaos lag in den Armen des geliebten Meisters.

Durch die weit geöffneten Pforten der Werkstatt blickte man in den grünen blühenden Garten, und über die Schwelle der Thür traten jetzt, von dem Freudenrufe gelockt, die übrigen Bewohner des Hauses.

Myronides, dessen Haar weißer und dessen Gang langsamer geworden, war dennoch der Erste, den Gast zu begrüßen, und dann kam ein leichtes Rauschen über die Schwelle und ein bläulicher Schimmer wie ein Gewölk, und erröthend in lieblicher Verwirrung trat eine reizende junge Mutter herein, Hellanodike. Mit ihr kam noch ein vierter kleiner Hausgenosse, den Praxiteles noch nicht kannte, der aber jetzt von den Armen der Mutter zappelnd nach dem hohen freundlichen Manne strebte, bis daß dieser ihn lächelnd an sich nahm und auf seinen Armen reiten ließ.

Myrtolaos trat heran.

»Sieh dieses kluge Bürschchen,« sagte er, »es ist als ob er wüßte, daß er deinen Namen trägt.« 111

»O ihr Glücklichen,« sagte Praxiteles, indem er das Knäblein in die Arme der Mutter zurücklegte, »was soll man euch noch schenken, da Ihr Alles besitzt? Dennoch gestattet, daß ich nicht mit leeren Händen in Euren Reichthum eintrete.«

Auf seinen Wink brachte ein Diener den verhüllten Gegenstand, den er aus Athen mitgeführt hatte; vor den Augen der Erwartungsvollen löste er die Hüllen ab – und ein Ruf der Ueberraschung ertönte.

Vor ihnen stand, im kleinen Maßstabe ausgeführt, das vollendete Modell des Hermes.

Es war der alte, und dennoch war er ein anderer, denn aus dem düster blickenden war ein glücklich träumerischer Hermes geworden, auf seinem linken Arme schaukelte sich ein reizendes Bübchen und die erhobene Rechte des Gottes trug nicht mehr den Stab, mit dem er die Todten zur Unterwelt geleitet, sondern eine volle schwellende Traube, die er dem kleinen Wildfang verlockend vor die Augen hielt.

»Und nun,« sagte Praxiteles lachend, »gehen wir zum Geschäft.«

Alle sahen ihn erstaunt an.

»Ja,« fuhr er fort, »du sollst mir den Preis nennen, für den ich diese hier verkaufen kann,« und er zog aus dem Busen seines Gewandes die Thonfigürchen, die Chlenusa nach Athen gebracht hatte.

»Du kennst sie?« rief Myrtolaos.

»Mehr als das,« erwiderte Praxiteles, »ich besitze sie, um sie nie mehr von mir zu geben.«

»Myronides,« sagte er mit ernstem Tone, und er legte die Arme um Myrtolaos' und Hellanodike's Schultern und trat mit ihnen vor den Gastfreund, »ich riß diesen jungen Baum aus deinem Garten und es kam, wie du sagtest, die Erde blieb an seinen Wurzeln haften; er hat 112 fremde Sonne und fremden Boden gekostet, und wenn sie für ihn zu grell und zu hart waren, so waren die Schmerzen, die er dadurch litt, heilsame Schmerzen, denn sie lehrten ihn den Boden kennen, dessen er zu seiner Entfaltung bedarf. Sei glücklich, Myronides, du wirst ihn nicht mehr verlieren, denn zunächst an deinem Herzen ist der Ort, wo dieser edle junge Baum Wurzeln schlagen muß, damit er erwachse. Und wachsen wird er,« rief er begeistert, »und wenn je diese Stadt vom Boden der Erde verschwinden sollte, so wird über ihren Trümmern wie ein duftender Traum vergangener Zeiten der Geist dessen schweben, der diese Werke schuf, der Geist des Meisters von Tanagra –.«

Als man sich spät am Abende, um die Ruhe aufzusuchen, trennte, standen Myrtolaos und Praxiteles einen Augenblick allein.

»Und Phryne?« fragte Myrtolaos.

»Frage nicht nach ihr,« sagte Praxiteles, »sie ist jetzt in Rhodus beim Apelles.«

 


 


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