Ernst von Wildenbruch
Der Meister von Tanagra
Ernst von Wildenbruch

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»Wir haben nicht mehr weit bis Tanagra, und der schönere Theil unseres Weges liegt vor uns,« sagte ein schwarzlockiger, schlankgebauter Mann, der sich am nördlichen Ausgange von Oropos, einem Städtchen, das hart auf der Grenze von Attika und Böotien lag, zu dem harrenden Gefährten auf den Reisewagen schwang.

Der Stachelstock flog auf die Pferde herab, und klappernd rollte das leichte Gefährt unter dem niedrig gewölbten Stadtthore hinaus in's Freie.

Mit einer Leidenschaftlichkeit, die seiner Geberde etwas von der Bewegung eines Panthers verlieh, schnellte der Mann vom Wagensitze empor und trank mit halb geöffneten Lippen den Strom erquickender Morgenluft, der in breiter duftender Welle den beiden Reisenden entgegenschlug. Der Wind war frisch und feucht, denn er kam von dem Euböischen Meere herüber, das zur Rechten des Weges, in langen Wogen an das Ufer spülte; und mit dem Hauche des Meeres vermischte sich der berauschende Duft blühender Olivenbäume, die rechts und links die Straße umsäumten und nach Norden zu, soweit der Blick reichte, die Hügel des böotischen Landes mit dichter Waldung bekleideten.

»Dort blicke hin, Mnemarchos,« rief der Dunkellockige, indem er nach rechts über das Meer hinzeigte, wo hinter den verschwimmenden Küsten Euböas die ersten Strahlen 2 der Sonne gleich den Zacken eines ungeheuren Diadems emporflammten, »sieh', wie Helios sein geliebtes Attika begrüßt! Und wie die Wellen heranschäumen, einem schreitenden Heere gleich, Mann für Mann mit silbernem Helm und Schild; und dort zur Linken, Parnes und Kithäron, die ihre kahlen Bergeshäupter in die Lüfte recken, und vor uns das silbern strömende Band des Asopos – siehe das Alles, athme, trinke, das ist Freiheit, das ist Schönheit, und das Alles zusammen ist Hellas!«

In den dunklen Augen des Mannes brannte ein verzehrendes Feuer; dichter flogen die Streiche auf die Pferde herab, sodaß sie schließlich in gestrecktem Galopp dahinsausten, und mit rauhen abgebrochenen Zurufen feuerte er sie zu immer größerer Eile an. Endlich fiel sein Blick auf den Gefährten, und indem er in ein schallendes Gelächter ausbrach, zwang er die Rosse nun zu ruhigerer Gangart.

Den Mantel bis unter das Kinn zusammengezogen, den Ausdruck besorgten Aergers auf dem Gesichte, saß Mnemarchos stumm und blaß da. »Ich Unvorsichtiger,« sagte er, »der ich vergessen konnte, daß mit Praxiteles dem Bildhauer reisen, sich einem Rasenden bedingungslos in die Hände geben heißt. Es ist ausgemacht, daß Ihr Künstler Freunde der Götter und Feinde der Menschen seid; Eure Sinne sind heiß und Eure Herzen kalt.«

»Du könntest recht haben,« sagte Praxiteles, indem ein eigenthümliches Zucken über sein Gesicht dahinflog.

»Ich weiß, daß ich recht habe,« versetzte der Andere. »Noch immer aber weiß ich nicht, zu welchem Zwecke ich eigentlich diese halsbrecherische Fahrt mit dir unternehmen muß.«

»Meine Augen sind durstig geworden,« rief der Bildhauer, »und verlangen nach neuen Gestalten.«

»Seine Augen sind wieder einmal durstig,« erwiderte 3 achselzuckend Mnemarchos, »wann werden die sich satt trinken.«

»Es ist dir bekannt,« sagte Praxiteles, »daß die Sikyonier dem Zeus in Olympia ein Standbild des Hermes gelobt und daß sie mich beauftragt haben –«

Jetzt kam die Reihe des Lachens an Mnemarchos.

»Und darum,« rief er, »eine Reise über Hals und Kopf nach Tanagra. Darum muß ich abscheulichen sauren Landwein trinken, ungesalzenen Ziegenkäse in mich hineinstopfen, damit Praxiteles unter glattköpfigen, dickbäuchigen Böotischen Bauern ein Modell zu seinem Olympischen Hermes suche.«

»Vielleicht,« entgegnete der Andere, »führt mich ein richtiger Instinkt. Die Tanagräer, mußt du wissen, feiern heute das Fest des Hermes, welcher vor Zeiten die Stadt Tanagra von einer schweren Seuche dadurch befreit haben soll, daß er einen Widder um die Mauern derselben herumtrug.«

»Hatte Hermes nichts vernünftigeres zu thun, als die einfältige Stadt zu retten?« murrte der Andere.

»Die Bürger sammeln sich vor den Thoren, der schönste Jüngling der Stadt übernimmt die Rolle des Gottes und trägt auf seinen Schultern den Widder um die Mauern, worauf das Thier in feierlichem Opfer geschlachtet wird.«

»Ich fange an zu begreifen,« antwortete Mnemarch, »o Bildhauer meiner Seele, Praxiteles, deine Freundschaft ist der Ruhm meines Daseins, aber die Götter wissen, dieser Ruhm muß theuer erkauft werden.«

Bei diesen Worten rollte der Wagen aus einem dichten Olivenhaine in die offene Landschaft hinaus, und »Tanagra« riefen die beiden Reisenden wie aus einem Munde.

Heiß und grell lag die Morgensonne auf den weißen Mauern der Stadt, welche den Gipfel eines nicht unbeträchtlichen, grade vor den beiden Athenern aufsteigenden 4 Berges krönte, an dessen Abhängen die Fahrstraße sich emporschlängelte. Das Fest schien bereits im Gange zu sein, denn auf den obersten Abhängen des Berges lagerten in dichten Schaaren buntgekleidete Menschen, welche dem farblosen Kalkgesteine ein heiteres Aussehen verliehen. Der Stachelstock mußte wieder seine Pflicht thun, und so rasch als es der steile Weg erlaubte, klommen die Pferde den weinbergumgrünten Pfad empor. Sie hatten kaum die oberste Fläche erreicht, als mit Brausen, Jauchzen und Klingen der festliche Zug geradenwegs auf sie zugeschritten kam. Eröffnet wurde er von Flötenbläsern, deren eintönig feierliche Weise den Rhythmus für die im Zuge sich Bewegenden abgab; dann folgten Festordner, welche das herandrängende Volk abhielten, und nachdem diese vorüber waren, erhob sich ein allgemeines tobendes Freudengeschrei: »Heil dem Hermes von Tanagra, Heil dem schönen Myrtolaos!« Zugleich wälzte sich die ganze Masse des zuschauenden Volkes auf denjenigen zu, dem dieser Zuruf galt, und umringt, beinahe getragen von einem Gewölk von Menschen kam ein blühend schöner, hoch und schlank gewachsener Jüngling des Wegs herangeschritten. Das leichte Gewand, das auf der linken Schulter durch eine Agraffe gehalten wurde, ließ den rechten Arm frei, mit dem er einen schneeweißen, an Vorder- und Hinterbeinen gefesselten Widder auf der Schulter trug, während die linke Hand das Attribut des Gottes, den Hermesstab regierte. Leicht und frei bewegte er sich unter der mächtigen Last des Thieres, das Haupt war zurückgeneigt, so daß die dunklen von einer Goldschnur über der Stirn zusammengehaltenen Locken in den Nacken herabflossen, und indem er so, nicht rechts noch links blickend, sondern die Augen in träumerischer Selbstvergessenheit in den tiefblauen Himmel richtend bei den Fremden vorüberschritt, gewährte er diesen ein ebenso 5 neues wie anmuthiges Bild. Kaum daß sie jedoch Zeit gehabt, den Eindruck der schnell vorüberrauschenden Erscheinung in sich aufzunehmen, so verrieth ihnen das Nachdrängen des Volkes, daß das Fest noch nicht zu Ende sei, Mit einem schnellen Rucke der Zügel warf Praxiteles die Pferde in der Richtung hinter dem Abgehenden herum und indem er aus der Masse der Fußgänger herauslenkte, bog er in raschem Trabe um die nächste Ecke der vorspringenden Stadtmauer. Auf dem weiten freien Platze, der sich hier vor seinen Augen aufthat, sollte offenbar der Haupt- und Schlußakt der Festlichkeit vor sich gehen. Die Mitte des Platzes nahm ein breiter Felsblock ein, zu dem einige flache Stufen emporführten, und rings um denselben herum waren steinerne Sitze angebracht, auf denen Greise und angesehene Männer der Stadt in beschaulicher Ruhe saßen. Der Platz war für gewöhnlich den Volksversammlungen Tanagras bestimmt, heute jedoch mußte er andern Zwecken dienen, denn an Stelle eines Redners, der mit kühnen Augen die Versammlung zu seinen Füßen beherrscht und sie durch den Klang seiner Rede bewegt hätte, stand heute mit schamhaft gesenktem Haupte eine zarte jugendliche Mädchengestalt auf dem Felsen. Sie war nach der kleidsamen Art der Thebanischen Frauen gekleidet; von den entblößten Schultern floß ein weißes, langes, nach hinten in einer Art von Schleppe endigendes Gewand; das dunkelbraune Haar war über dem Scheitel zu einem zierlichen Knoten emporgewunden, und aus Sandalen von feinem rothen Leder blickten die Füße nackt hervor. In den Händen trug sie eine goldene mit Erdbeeren gefüllte Schaale.

»Was bedeutet das, und wer ist dieses Weib?« fragte Mnemarch einen der nahestehenden Tanagräer.

»Du scheinst fremd zu sein« erwiderte dieser, »sonst würdest du wissen, daß Hermes, nachdem er den Widder 6 um die Mauern der Stadt getragen, von den Frauen Tanagras mit Erdbeeren erquickt wurde. Zur Erinnerung daran wird jährlich die schönste von unseren Jungfrauen ausersehen, den Hermes-Jüngling mit der heiligen Frucht zu speisen.«

»Und wer ist diese schönste von euren Jungfrauen?«

»Hellanodike, die Tochter des reichen Myronides, den du dort drüben sitzen siehst.«

Hermes Myrtolaos war unterdessen bis an den Fuß der Felsenstufen gelangt; er warf den Widder, der sogleich von den Händen der Festordner ergriffen und zur Opferung getragen wurde, von den Schultern und bestieg die erste Stufe. Das Mädchen wandte die Augen auf ihn, und eine tiefe Röthe überfloß ihr liebliches Gesicht und breitete sich in purpurner Welle über Hals und Nacken aus, als der Jüngling vollends die Stufen erstieg und die Hände nach der Schaale in ihren Händen ausstreckte.

»Näher heran!« rief Praxiteles seinem Genossen zu, welcher die Zügel der Pferde an sich genommen hatte, da sie dem in tiefes Anschauen versunkenen Künstler entglitten waren.

»Wir können mit dem Wagen nicht weiter,« sagte Mnemarch, »das Volk steht zu dicht.«

»So bleibe beim Wagen,« gab der Andere zur Antwort, und mit einem jähen Sprunge war er mitten unter der Menge, durch die er sich mit Armen und Ellenbogen hindurchkämpfte, bis daß er am Fuße des Felsblockes zu stehen kam.

Dort oben waren sie nun dicht beieinander, die beiden schönen jugendlichen Gestalten, und wenn zwei Götter zur Erde herabgestiegen wären, so hätten sie nicht anders aussehen können als diese Zwei. Von der Anstrengung des Weges war das Antlitz des Jünglings dunkel erglüht und die schwarzen feurigen Augen hingen in tiefer 7 verzehrender Traumseligkeit an den lieblichen Zügen des Mädchens, das sich über ihn herabbeugte. Ein glückseliges Lächeln umspielte dabei ihre Lippen und ihr Antlitz zeigte den Ausdruck eines freudig befriedigten Stolzes. Leise bewegten sich ihre Lippen, und der Athenische Bildhauer, der mit weit vorgebeugtem Oberleibe und brennenden Augen jeden Zug und jeden Laut des entzückenden Gemäldes einsog, vernahm wie sie flüsternd sagte:

»Hast du gefunden, Myrtolaos?« Und ebenso von ihm zu ihr zurück:

»Noch nicht, Hellanodike.«

Noch einen Augenblick standen die Beiden, des Volkes um sie her nicht achtend, ganz nur für sich und in einander versunken, dann erhoben sich aus der Menge, die ungeduldig zu werden begann, Zurufe.

»Speise den Hermes, Hellanodike,« hieß es von hier, und »iß, Hermes« von dort. Die Angerufenen fuhren aus ihren Träumen auf; Myrtolaos griff in die Schaale und führte ein paar Erdbeeren zum Munde. Dann nahm er das Gefäß aus Hellanodike's Händen und stieg die Stufen herab, um den Inhalt desselben an die Zunächststehenden zu vertheilen; denn der Gebrauch des Festes schrieb dies vor, weil der Glaube den Früchten eine besondere heilsame Wirkung beilegte. Einer der Ersten, zu denen er hierbei gelangte, war der Athener. Die Augen träumend zur Erde gesenkt, reichte er ihm die Schaale, als er fühlte, daß diese festgehalten wurde und zugleich vernahm, wie eine Stimme »ich grüße dich, Hermes« flüsterte. Er blickte auf, und in demselben Augenblick durchzuckte ihn ein unbeschreibliches Gefühl; er empfand sich unter dem Banne einer fremden gewaltigen Persönlichkeit, durchlodert von dem Feuer der strahlenden Augen, die wie zwei durstige Sonnen sein ganzes Wesen zu zerschmelzen und in sich aufzunehmen schienen. Einen 8 Augenblick starrte der schöne Tanagräer den wunderbaren Fremdling sprachlos an, dann öffneten sich seine Lippen, als wollten sie einen Laut, ein Wort hervorbringen, doch bevor dies geschehen konnte, hatte ihn die Welle des umdrängenden Volkes erfaßt und hinweggerissen. Praxiteles schaute ihm nach. Noch einmal tauchte Myrtolaos aus dem Schwarme auf, noch einmal wandte er das Haupt, und noch einmal begegneten sich die Augen beider; dann schlug das Gewühl über und hinter ihm zusammen. Als der Bildhauer sich nach Hellanodike umwandte, hatte diese ihren Standort bereits verlassen – das Fest des Hermes war beendet. –

Im Hause des reichen Myronides zu Tanagra sollte sich, wie es schien, ein häusliches Fest an das öffentliche anschließen. Sclaven waren damit beschäftigt, an den Säulen und Giebeln des Vorhofes Kränze und Gewinde zu befestigen, und der Lärm, den ihr Gelächter und Geschwätz dabei verursachte, war so groß, daß sie es gänzlich überhörten, wie ein Wagen an dem Thore vorfuhr und eine ungeduldige Stimme nach Myronides, dem Herrn des Hauses, fragte. Es waren die Reisenden aus Athen, deren Ankunft nunmehr dem im Inneren verweilenden Gebieter mitgetheilt wurde. Als dieser, ein stattlicher Mann mit stark ergrautem Haupt- und Barthaare, auf der Schwelle erschien, traten ihm die Athener mit vornehm höflichem Anstande entgegen und Praxiteles überreichte ihm die Hälfte eines durchgefeilten Goldringes.

»Sei gegrüßt, Myronides,« sagte er dazu, »dies sendet dir Dexippos aus Athen.« Mit schnellem, scharfem Blicke prüfte Myronides das dargebotene Wahrzeichen, dann sagte er:

»Und wen begrüße ich in euch, ihr Fremden?«

»Dies hier,« sprach der Bildhauer, »ist Mnemarchos aus Athen, und ich bin Praxiteles.« 9

»Praxiteles, der Bildhauer?«

»Der Bildhauer.«

»So sei Dexippos gesegnet,« rief Myronides, indem er beide Hände des Atheners ergriff, »daß er meinem Hause den Ruhm verleiht den Stern von Attika beherbergen zu dürfen. Tretet ein, werthe Gäste, und laßt euch verrathen, daß ihr zu guter Stunde kommt. Ich erwarte einige Freunde meines Hauses zum Mittagsmahle, damit sie mit mir den Tag begehen, der unserer Stadt Freude und meinem Hause Ehre gebracht hat.«

»Da er Hellanodike, dein liebliches Kind, zur Königin des heutigen Hermesfestes machte?« fragte Mnemarchos.

"Wißt ihr es schon?« erwiderte der Hausherr mit zufriedenem Lächeln; »kommt, ein Bad nach ermüdender Fahrt wird euch wohlthun, nach demselben findet Ihr uns im Speisesaale.«

Der Raum, dahin die Ankömmlinge geführt wurden, nachdem sie Hitze und Ermüdung der Reise abgespült hatten, war festlich geschmückt, die Gäste waren versammelt und theilweise bereits auf den Polstern, die den Speisetisch umgaben, gelagert. Als jedoch der Name Praxiteles genannt wurde, fuhr es wie ein Schlag durch alle Anwesenden, es entstand ein allgemeines Aufspringen und Alles umdrängte den berühmten Mann. Aus einer entfernten Ecke des Saales aber richteten sich zwei dunkle Augen mit großem staunendem Blicke auf den, der diesen Namen trug. Praxiteles fühlte sich von diesem Blicke getroffen, sah auf und erkannte Myrtolaos. Mitten durch die übrigen Gäste ging er auf den Jüngling zu, faßte den Erröthenden an beiden Händen und sagte:

»Hermes von Tanagra, der du einst wohnen wirst bei dem Olympischen Zeus, ich grüße dich zum zweiten Male.«

Die Gäste sahen sich bei diesen seltsamen Worten 10 fragend an; bevor sie aber noch Zeit gehabt, ihre Gedanken flüsternd auszutauschen, erschienen auf einen Wink des Hausherrn Sclaven, die an silbernen Stäben Kränze von weißen und rothen Rosen trugen, die sie den Gästen auf das Haupt setzten. Eben näherte sich Einer von ihnen dem Athenischen Künstler, als Myrtolaos, der bis dahin mit seiner Schüchternheit gekämpft hatte, plötzlich herantrat und, nachdem er Praxiteles einen Augenblick wie prüfend mit den Augen gemustert hatte, einen Kranz von purpurrothen voll aufgeblühten Rosen wählte, mit dem er zu jenem herankam.

»Gesegnet seien meine Hände,« sprach er mit bebender Stimme und so leise, als wollte er seine Worte vor den Ohren der übrigen hüten, »daß sie dich kränzen dürfen, großer, herrlicher Praxiteles.« Dabei drückte er ihm den Kranz auf die Locken und der Athener fühlte, wie die Hände des Jünglings auf seinem Haupte zitterten. Er wollte etwas erwidern, indem er jedoch in die großen dunklen Augen blickte, die sich voller Bewunderung zu ihm erhoben und dennoch so ganz im eigenen Reiche ihrer Träume zu leben schienen, verstummte er und ließ den Jüngling schweigend gewähren. Myrtolaos trat bescheiden zurück und als man sich an der Tafel niederließ, nahm er an deren unterstem Ende seinen Platz.

Die Mahlzeit war reichlich und währte lange. Endlich ging sie zu Ende, und in großen Mischkrügen ward der Wein zum Nachtisch aufgetragen. Myrtolaos erhob sich und verließ den Saal, die Männer sich und ihren Gesprächen überlassend.

Sobald er hinausgegangen, wandte sich Praxiteles an den Hausherrn.

»Sage mir,« so begann er, »du überreicher Myronides, sind diese beiden jungen Rosen, Hellanodike und Myrtolaos, in deinem Garten gewachsen? Sind sie beide deine Kinder?«

»Ich betrachte sie beide als solche,« versetzte der Tanagräer, »wenngleich nur Hellanodike mein leibliches Kind ist.« 11

»Und wer und woher ist dieser Jüngling, den ich beim Hermesfeste bewundert und in deinem Hause wiedergefunden habe?«

»Es sind nun zehn Jahre her,« sagte Myronides, »als in unserer Stadt, von Norden kommend, ein Greis erschien, in dessen Gesellschaft ein auffallend schöner Knabe sich befand.

Der Alte, von langer mühseliger Wanderung erschöpft, brach zusammen, und da es grade vor meiner Schwelle war, so nahm ich ihn in mein Haus und pflegte ihn in seinen letzten Stunden. Als er keine Rettung mehr vom Tode sah, ließ er mich an sein Lager rufen, der Knabe saß neben ihm, und mit unendlicher Zärtlichkeit streichelte die welke Hand des Sterbenden die dunklen Locken des jungen Hauptes.

»Geh hinaus,« sagte er zu ihm, »Myrtolaos, mein Liebling, bis daß ich dich wieder rufen lasse« – er hat ihn nicht wieder rufen lassen.

»Ich sterbe,« wandte er sich dann zu mir, »und kann dir nichts zum Danke für deine Wohlthat hinterlassen, da ich wie ein Bettler in dein Haus gekommen bin; nur ein Kleinod besitze ich, und ich lasse es gern in deinen Händen, da ich dich für einen edlen Mann halte: es ist jener Knabe. Glaube mir – es ist etwas Wunderbares mit ihm. Ich bin aus Lokris, er aber stammt aus Athen, von wo seine Eltern zu der Zeit, als die dreißig Tyrannen daselbst regierten, mit ihm entflohen waren. Seinem Vater gab ich Arbeit auf meinem Felde, und sie wohnten in einer Hütte, die auf dem Felde lag; es war eine elende Hütte; aber ich war arm und hatte nichts besseres. Der Vater starb, und das Weib blieb wohnen, zur Arbeit zu schwach, mir eine Last. Ich bekümmerte mich wenig um sie. – Da kam mir in einer Nacht ein wunderbarer Traum: Ich sah das Innere jener Hütte, und mitten darin stand, von Staub bedeckt, ein erhabenes Marmorbild. Die Augen des Bildwerks waren 12 auf mich gerichtet, seine Lippen öffneten sich und mit feierlichem, klagendem Tone sprach es zu mir:

»So lässest du den Schatz verkommen, den dein Haus besitzt?«

»Ich erwachte, und sobald der Tag gekommen war, begab ich mich in die Hütte, die sie bewohnten. Ich fand die Frau todt auf ihrem Lager ausgestreckt und ihr zur Seite stand der Sohn. Als ich eintrat, wandte der Knabe das Haupt und sah mich an – und in jener Stunde beschloß ich, ihn nie mehr zu verlassen. – Du hast gehört, fuhr der Greis fort, daß in alten Zeiten die Götter des Olymps zur Erde herabgestiegen sein sollen; du hältst es für Sage; und so that auch ich. In jenem Augenblicke aber sah ich, daß es geschehen könne, denn vor mir stand leiblich und wahrhaftig einer der Bewohner des Olymp. Nicht heiter, nicht fröhlich, wie wir uns die Bewohner der ewigen Heiterkeit denken; ein träumender junger Gott, und sein Antlitz verrieth das Leiden ob seiner Verbannung in die Qualen des Menschenlebens.

»Myrtolaos,« sagte ich, und mir war als berührte ich ein Heiligtum, indem ich die Hand auf sein junges Haupt legte, »willst du bei mir bleiben und daß ich dein Vater sei?«

Er hob die Augen zu mir auf, dann neigte er das Haupt, und ohne Zudringlichkeit und ohne Scheu ergriff er meine rechte Hand. Ich schlug meinen Mantel um ihn, denn es war Winter, und die Winter in den Lokrischen Bergen, weißt du, sind kalt, und führte ihn, indem ich ihn an mich drückte, über die Straße in mein Haus, wo mir nicht Weib noch Kinder lebten. Sieh dieses Haus, sagte ich zu ihm, da wir eintraten, du wirst es bewohnen, solange du willst, und du wirst wissen, daß es dir gehört. Darauf schlang er die Arme um meinen Hals, und lautlos flossen zwei große Thränen über die edlen vom Schmerze nicht verzerrten 13 Züge des schönen Angesichts herab. Ich bereitete ihm ein Lager, denn er kämpfte mit der Müdigkeit, und bettete ihn so weich ich vermochte und hüllte ihn warm in schützende Decken. Dann, nachdem er eingeschlummert, stand ich lange Zeit vor ihm und staunte über das Menschenschicksal, das diese edle Blume vom heimathlichen Boden losgerissen hatte, damit sie in meiner fernen bescheidenen Hütte neue Wurzeln schlüge. Fünf Jahre, fuhr der Alte fort, haben wir nun zusammengelebt, und in dieser Zeit war keine Stunde, in der er mich betrübt hätte. Er half mir in allen Handtirungen des alltäglichen Lebens, ging mir zur Hand im Hause und auf dem Felde und erfreute mich durch alle jene unscheinbaren und doch so wohlthuenden Liebesbezeugungen, mit denen ein edles Menschenherz uns zu beschenken weiß. Nur einen Kummer bereitete er mir, er ward nicht fröhlich, und die Schwermuth wollte aus seinen Augen nicht weichen. Auch bemerkte ich wohl, daß er ein zwiefaches Leben führte, denn immer, wenn die Arbeit des Tages vollbracht war, trieb es ihn in die Einsamkeit hinaus, und er war dann stundenlang ganz mit sich allein. Ich störte ihn nicht, aber einstmals folgte ich ihm und beobachtete ihn, ohne daß er es ahnte. Ich fand ihn auf einer vorspringenden Klippe des Gebirges, die einen weiten Umblick nach Süden gewährte. Dort saß er, anfänglich in tiefer Träumerei; dann erhob er sich und aus einer nahebei gelegenen Thongrube sah ich, wie er sich mit den Händen Thon brach, mit dem er zu seinem Lieblingsplätzchen zurückkehrte.« – Praxiteles, der dem Erzähler mit tiefem Ernst gefolgt war, lauschte bei diesen Worten auf.

»Er brach sich Thon?« fragte er.

»So erzählte mir der Alte, und mit dem Thon begann er zu spielen, er drückte und knetete ihn, und ich bemerkte. 14 daß seine Augen während dieser Thätigkeit ihren träumerischen Ausdruck verloren und den der gespanntesten Aufmerksamkeit annahmen; von Zeit zu Zeit ließ er die Hände ruhen, blickte hinaus, als suche er sich die Linien des Vorbildes zusammenzustellen, das er nachahmen wollte, und dann kehrte er zu seiner Thätigkeit zurück. Er betrachtete das Gebilde seiner Hände, schüttelte wie unwillig das Haupt und warf alles über die Klippe hinweg in die Tiefe. Ich hütete mich, ihm zu verrathen, daß er beobachtet worden; doch als er in das Haus zurückgekehrt, und die Abendmahlzeit eingenommen war, sagte ich sanft: »Nichtwahr, Myrtolaos, du bist unglücklich. daß du hier bei mir wohnen mußt?« Er sah mich groß und ernst an. »Nein, sprach er, nicht unglücklich, aber ich sehne mich.« »Du sehnst dich? Und wonach?« »Ich kann es dir nicht sagen, erwiderte er, denn ich weiß es nicht zu beschreiben, aber manchmal zieht es durch meine Seele, dann glaube ich es zu wissen, und dann ist es mir, als hätte ich einstmals vor langer Zeit einen Traum gehabt von wunderbaren und wundervollen Dingen. Männer stehen um mich her und Frauen, schön wie ich sie hier niemals gesehen, doch es sind, glaube ich, keine wirklichen Menschen, denn sie stehen immer stumm, immer regungslos – du meinst Bildwerke, unterbrach ich ihn, wie sie die Künstler gestalten? Sein Auge leuchtete heiß auf und er rückte dicht zu mir heran: Sage mir, mein Vater giebt es Menschen, die es vermögen?« »Gewiß, sagte ich, die großen Bildhauer in Athen sind dafür berühmt. O, rief er, so hat mich meine Ahnung doch nicht getäuscht.« – »Möchtest du diese Kunst erlernen? fragte ich ihn. Er bebte vor innerer Erregung, und so leise, als vertraute er mir ein heiliges Geheimniß an, sagte er: ja, mein Vater, ich glaube, ich möchte es gerne. Denn wenn jener Traum kommt, siehst du, dann stellen sich die Gestalten um mich her, ich sehe sie ganz 15 nahe, ganz deutlich, und dann erfaßt es mich – ich weiß nicht, was es ist – es legt sich mir schwer auf die Brust, bis daß ich versuche sie nachzubilden.« – »In geknetetem Thon? unterbrach ich ihn forschend, –ja, ja, rief er, sich selbst ganz vergessend, weißt du es auch? hast du es auch versucht? Ach nicht wahr, wie das seltsam ist und herrlich, wenn man den Thon so in den Händen fühlt, wenn man fühlt, daß man daraus Menschen und Thiere und die ganze Welt bilden könnte, wenn man die Kunst nur verstände – o mein Vater – und er umklammerte plötzlich meine Kniee – lehre mich diese Kunst!« – Ich mußte lächeln, fuhr der Alte fort, obschon mir sehr ernst zu Muthe war. Diese Kunst, sagte ich zu ihm, vermag ich dich nicht zu lehren.« Er sah mich erstaunt an und mit einem Ausdrucke, als begriffe er nicht, warum ich ihm den Wunsch seines Herzens nicht erfüllen wolle.« –

»Er soll ihm erfüllt werden,« rief plötzlich Praxiteles, der mit schwer athmender Brust den Worten des Erzählers gefolgt war, »und er ist da, der sie ihn lehren wird.« Vom Sitze aufspringend ging er im Saale auf und nieder, sein großes Auge leuchtete wie ein glühender Brand und das Herz schlug ihm schwer an die Brust.

»Ruf' mir den Knaben herein, Myronides,« wandte er sich an diesen, »ich will ihm sagen, daß Praxiteles selbst es sein wird, der ihn die ersehnte, die heilige Kunst lehrt!« Der Anblick des leidenschaftlichen Mannes, seine stürmischen Worte wirkten zündend auf die übrigen Gäste. Alle sprangen auf, drängten sich um Myronides und den Athenischen Künstler, und es entstand ein summendes Geräusch von glückwünschenden Stimmen. Nur ein Einziger hielt sich ferne und beobachtete mit scharfen Blicken die Entwickelung der Dinge. Es war ein jüngerer Mann von wenig einnehmendem Gesichte, der sich während 16 der ganzen Mahlzeit schweigsam und verschlossen gezeigt hatte.

»Laß mich zu Ende erzählen,« sagte lächelnd Myronides. Ungeduldig aber fiel ihm Praxiteles in das Wort.

»Was ist noch zu erzählen – Zukunft ist alles Uebrige. Der Greis, von dem du uns erzählt, war mit ihm auf der Reise nach Athen, nicht wahr? und unterwegs überfiel ihn der Tod?«

»Du hast es errathen,« erwiderte der Hausherr.

»Heil seinem Angedenken,« rief der Bildhauer, »daß er die Stimme der Götter verstand, und Heil dir, Myronides, daß du dem Knaben ein gastlich Dach gewährtest – aber von nun an,« und die Stimme des Künstlers ward langsam und feierlich, »ist er nicht mehr der deine, er hat dir gehört, Myronides, von nun an gehört er den Göttern und mir.« Es lag etwas so königlich beherrschendes in der Geberde, welche diese Worte begleitete, diese Worte selbst, der Ausbruch einer gewaltigen Natur, trugen so das Gepräge siegreicher innerer Berechtigung, daß sie überwältigend auf Alle wirken mußten, die sie vernahmen. Dennoch stand Myronides einen Augenblick in tiefen Gedanken versunken. Nun trat der schweigsame Gast an den Wirth heran und indem er ihn einige Schritte von den Uebrigen hinwegführte, sagte er leise und eindringlich:

»Was überlegst du? Ist auf diese Weise nicht Allen am besten geholfen?« Myronides sah ihm prüfend in das Gesicht.

»Dir, Phayllas,« sagte er ebenso leise, »freilich wohl.«

»Und dir nicht?« fragte dieser scharf zurück, »und Hellanodike, deiner Tochter, nicht?« Ohne zu antworten, senkte Myronides das Haupt, dann trat er auf Praxiteles zu.

»Du forderst viel von mir, Praxiteles,« sagte er, und in seiner Stimme war ein leises Zittern, »ich lasse ihn nicht leicht ziehen, er ist mir an das Herz gewachsen und 17 hat Wurzeln geschlagen in diesem Hause, und wenn du ihn herausreißest, wird Erde an den Wurzeln bleiben, und mehr als Einer wird es schmerzlich spüren. Denn wenn er auch nicht selber einer der Göttlichen ist, so ist er doch einer ihrer Lieblinge, und sie gaben ihm das Geschenk, das sie ihren Lieblingen geben, den unsichtbaren Zauber, Beliebtheit bei den Menschen. – Laß« – sagte er, als Praxiteles ihn unterbrechen wollte, »ich weiß, was du mir sagen willst und fühle, daß ich seinem Schicksal nicht in den Weg treten darf. Aber vergieb dem älteren Manne seine Frage, Praxiteles, wirst du ihn glücklich machen?«

»Ja,« rief der Athener mit feierlich erhobener Hand, »ist er das, was ich glaube, daß er ist, so werde ich ihn glückselig machen.«

»So sprichst du,« entgegnete der Andere, »weil du Praxiteles, der von den Göttern begnadigte Künstler bist, aber was weißt du von ihm? Einige Worte eines phantasirenden Greises, sind sie dir Gewähr, daß er das besitzt, was einzig das Leben des Künstlers erträglich macht, wahrhafte Begabung?« Praxiteles sah ihm mit tiefer Rührung in die Augen.

»Du fragst mich zuviel, Myronides,« sagte er, »kann ich dir mehr sagen, als dies: ich glaube an ihn? Ich glaube an mein Gefühl, das mich ergriff, als ich die dunklen sehnsüchtigen Augen zum ersten male heute sah, ich glaube an ihn, seit ich die Geschichte seiner Jugend kenne.«

»Wohlan,« entgegnete Myronides, »so will ich ihn zu dir führen, und er selbst soll über sein Schicksal entscheiden.«

Mit seinen übrigen Gästen verließ Myronides den Saal, Praxiteles blieb allein zurück. In tiefen Gedanken durchmaß er den Raum, während die Sclaven beim Scheine der Fackeln die Ueberreste der Mahlzeit sammt den Tafeln abzuräumen begannen. 18

»Hört,« sagte Praxiteles, als der letzte von ihnen den Saal verlassen wollte, »habt ihr Thon in eurem Hause?«

»Thon?«

»Ja, Töpferthon.« Es fand sich, daß zufällig ein Haufe davon im Hofe lag, und Praxiteles befahl dem Sclaven eine Schüssel voll zu bringen. Erstaunt folgte dieser dem Befehle. Sobald das Gewünschte erschienen war, winkte der Bildhauer den Sclaven hinaus, dann warf er das Oberkleid ab und mit leidenschaftlicher Hast griff er mit beiden Händen in die weiche Masse hinein. Er knetete und formte, seine Augen gingen über seine Hände hinweg, als wollten sie den Gegenstand festhalten, nach dem er arbeitete, und mit erstaunlicher Geschwindigkeit entstand unter seinen Händen ein menschliches Haupt. Ganz in sein Werk versunken, mit zuckenden Lippen und brennenden Augen schaffte er unablässig an seinem Werke fort, so daß es bald soweit gediehen war, daß er den in Lebensgröße geformten Kopf, dem er einen Ansatz des Halses angefügt hatte, aufstellen konnte. In diesem Augenblick kam Myronides mit Myrtolaos und Mnemarch zurück; hinter ihnen trat Phayllas ein. Ueberrascht blieben sie stehen, denn das erste, was sich ihren Blicken bot, war, vom flackernden Lichte der Fackeln beleuchtet, das Werk des Praxiteles. – Myrtolaos aber stieß einen lauten Schrei aus, stürzte bis dicht an die Tafel, auf welcher der Bildhauer sein Werk aufgestellt hatte, und blieb dort lautlos und mit wogender Brust stehen.

Trotz der Schnelligkeit, mit der er entstanden, war der Kopf in der That von wunderbar ergreifender Schönheit. In sanfter Neigung beugte der Hermes, den das Werk darstellte, das Haupt vornüber, und die Züge des Antlitzes erinnerten, in himmlischer Verklärung, an die Züge des Hermes von Tanagra. 19

Praxiteles stand hinter der Tafel und betrachtete mit scharfen prüfenden Blicken den Jüngling, dem er Zeit ließ, sich von seinem Erstaunen zu erholen. Dann wandte er sich lachend zu den Anderen.

»Ich habe mir in eurer Abwesenheit ein wenig die Zeit vertrieben,« sagte er, und er machte eine Bewegung, als wollte er sein Gebilde wieder zerdrücken. In dem Augenblick stürzte Myrtolaos auf ihn zu und sagte mit flehender Stimme: »nicht zertrümmern, – o, nicht vernichten!« In den Augen des Atheners flammte es heiß und seltsam auf.

»Myrtolaos,« sagte er mit tiefer Stimme, »möchtest du solche Dinge selbst schaffen können?« Der Jüngling sah ihn an, unfähig eines Wortes.

»Willst du es lernen, Myrtolaos? Willst du es von Praxiteles, dem Athenienser, lernen?«

»Lehre mich deine Kunst,« rief der Jüngling, und wie von einer übermächtigen Gewalt ergriffen, sank er vor dem großen Meister in die Kniee, »lehre mich deine Kunst, herrlicher, großer Praxiteles.«

»Wenn du mein Schüler sein willst,« sagte Praxiteles, »so mußt du mir nach Athen folgen – bist du bereit?«

»Ich bin bereit, laß mich dir folgen, wohin du gehst.«

»Du mußt dies Haus, Myronides deinen Vater und Alles, was sonst dir lieb gewesen in diesem Hause, verlassen, willst du?«

»Ich will,« sagte Myrtolaos, und sah den Bildhauer mit leuchtenden Augen an.

»Wohlan,« rief Praxiteles, indem er die Hand auf des Jünglings Haupt legte, »so nehme ich von dir Besitz, Myrtolaos, und weihe dich dem Dienste der Götter, die deine junge Brust unverstanden und unbegriffen bewohnt haben; ich will deine Augen öffnen, damit du deine Götter erkennst.« 20

Myronides hatte mit keinem Worte den feierlichen Auftritt unterbrochen. Als er nun alles entschieden sah, trat er auf Myrtolaos zu, breitete schweigend die Arme aus, und der Jüngling warf sich an die Brust des edlen Mannes.

»Er ist nun dein,« wandte sich Myronides an Praxiteles, »nimm ihn mit dir, wann es dir gefällt.«

»Dann also morgen,« sagte der Bildhauer.



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