Ernst von Wildenbruch
Der Meister von Tanagra
Ernst von Wildenbruch

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Es war spät geworden; die Insassen des Hauses begaben sich zur Ruhe, auch Praxiteles suchte sein Gemach auf.

Mnemarchos aber trat, ehe er dem Beispiele der Anderen folgte, in den Garten, der sich weitläufig hinter dem Hause ausbreitete. Die Nacht war warm, ein leichter Wind jedoch, der von dem fernen Meere aus Südosten herüberwehte, kühlte die schwüle Luft und trug den Duft der Olivenbäume aus der Landschaft daher. Von dem hochgelegenen Garten hatte das Auge einen weiten Umblick in die Ferne; der beinahe volle Mond stand in der lautlosen Luft und ließ die nackten Häupter der Gebirge glänzend hervortreten, während er die Olivenhaine zu ihren Füßen mit dämmernden Schatten umwob. Nicht das schöne schweigende Landschaftsbild aber war es, was die Gedanken des Mannes erfüllte, der mit heißen Schläfen den Garten durchwandelte, ein anderes lebendigeres Bildniß trat vor seine Seele und indem es sich tiefer und tiefer in seine Phantasie drängte, machte es sein Blut in heißer Gährung wallen. Er dachte an Hellanodike. Seit dem Augenblicke, da er sie heute beim Hermesfeste gesehen, verließ ihn das Bild nicht mehr und ein wildes Begehren nach dem schönen, jungen, blühenden Weibe wuchs in seinen Sinnen empor.

Da, als er einen dunklen Laubgang beinah bis zum Ende durchschritten hatte, vernahm er ein Geräusch von 21 Stimmen und vor sich, vom hellen Mondschein beleuchtet, sah er zwei jugendliche Gestalten, die sich mit umschlungenen Armen hielten; es waren Myrtolaos und die Tochter des Myronides. Der Athener drängte sich in das Dunkel des Gebüsches.

»So hast du nun gefunden, was du suchtest, Myrtolaos?« sagte das Mädchen mit ernster, beinahe trauriger Stimme zu ihrem Begleiter.

»Ja, Hellanodike,« gab der Jüngling zur Antwort, »meine Ahnung, daß ich an diesem Tage die Erfüllung meines Lebens finden würde, hat mich nicht getäuscht; ich habe gefunden.« Hellanodike blickte stumm in die dämmernde Landschaft hinaus.

»Siehe, wie der Kithäron im weißen Mondlicht schimmert,« sagte sie, »das ist die Pforte Attikas – und dahinter, weit weit dahinter liegt Athen und dort wirst du nun sein – und ich hier.« Ein Schluchzen quoll in ihrem Busen empor und indem sie in Thränen ausbrach, schlang sie die Arme um den Nacken des geliebten Jünglings und die Lippen beider fanden sich im langen schmerzenssüßen Kusse.

Mnemarch drückte die Stirn an den Baum, der ihn verbarg. Er hörte nicht das rührende Stammeln des Herzens, das in seinem Liebeskummer brach, er war nur heißer entflammter Sinn, und er sah nur, wie das leichte Gewand von den erhobenen Armen zurückfiel, daß sie leuchtend im Mondlichte ihre weiche Fülle enthüllten, sah nur, wie das losgebundene Haar in den herrlichen Nacken hinabfloß, sein Begehren wurde Verlangen und er begann über Pläne zu sinnen, wie er sein Verlangen sättigen könnte.

»Myrtolaos,« rief das Mädchen mit erstickter leidenschaftlicher Stimme, »du, dessen Wünsche meine Wünsche waren, bei dessen Trauer ich trauerte, muß es sein, daß du mich verläßt? mußt du gehen?« 22

»Hellanodike,« erwiderte er zitternd, und drückte sie heiß und wild an sich, »warum haben es mir die Götter auferlegt, daß ich die Menschen, die ich liebe und die mich lieben, unglücklich machen muß durch diesen dunkeln Drang, der mich beseelt? Hellanodike, ich kann nicht bleiben, ich muß mit ihm nach Athen gehen, ich muß!«

»Ich weiß wohl,« gab sie klagend zurück, »du kannst nicht leben wie die andern Menschen allhier, sonst weißt du, hätte der Vater dir seine Tochter nicht versagt; aber du hast es mir gesagt, die engen Mauern Tanagras ersticken dich, darum mußt du hinaus in das große strahlende Athen – dort wirst du unter deinen Göttern und Göttinnen leben und schaffen und über ihnen derer vergessen, die deiner hier gedenken. Und Hellanodike wird nun das Weib des Phayllas werden – o Phayllas,« rief sie schauernd und barg ihr Antlitz an der Brust des Geliebten. – In stummer Qual stand Myrtolaos neben ihr, er vermochte ihr nichts zu sagen, denn in seiner eignen Seele dämmerte, vielleicht zum ersten male, ein Bewußtsein auf, welche Fülle von Schönheit, Liebe und sicherem Lebensglück er dahin gab für ein dunkles in Zukunft gehülltes Leben – und dennoch, während er das süße lebendige Herz an seiner Brust klopfen fühlte, war es ihm, als schwebte aus Attika ein feierlicher Zug erhabener Gestalten daher, als winkten sie mit den ernsten Häuptern und flüsterten ihm zu: Du gehörst zu uns; und er schwieg, und vermochte nicht zu sagen: »Hellanodike, ich will bleiben.«

In diesem Augenblicke knisterte es im Gebüsch und zu den Zweien, die erschrocken auffuhren, trat ein Dritter. Es war Mnemarchos.

»Erschreckt nicht,« sagte er zu ihnen, »es ist ein Freund, der euch naht; erkennt ihr mich?«

»Mnemarchos, der Athener,« sagte leise Myrtolaos, »der Freund des Praxiteles.« 23

»Und euer Freund,« wiederholte jener, »der euch zu sagen kommt, daß ihr unnöthig klagt, da ihr eurer Beider Wünsche erreichen und dennoch ungetrennt bleiben sollt.«

Hellanodike sah ihn staunend mit den großen unschuldigen Augen an:

»Wie meinst du das, fremder Mann?« sagte sie zögernd.

»Ich meine,« erwiderte Mnemarch, »daß Phayllas, den du nicht liebst, dein Gatte nicht werden soll, daß du mit uns hinweggehen sollst von hier, hinüber nach Athen.«

Sie zuckte auf; »aber mein Vater,« sagte sie schüchtern.

"Das, was ich dir vorschlage,« sagte der Athener, »wird deinem Vater in erster Zeit freilich einigen Schmerz bereiten, denn da er seine Einwilligung nicht geben würde, muß es ohne sein Wissen geschehen. Aber er ist ein edler Mann und ein Freund der Kunst; und hierauf baue ich meinen Plan: Wenn Myrtolaos ein Künstler und Bildhauer wird, wie wir es hoffen – und aus der Werkstatt des Praxiteles ist noch keiner als Stümper hervorgegangen – wenn ihm sein erstes großes Werk gelungen, dann wird er mit dir vor deinen Vater treten, ihm sein Werk zu Füßen legen und sprechen: ich that Unrecht an dir, Myronides, aber ich that es, weil ich nicht lassen konnte von meiner Kunst und nicht von Hellanodike, deinem Kinde, und hier ist der Preis, mit dem ich deine Vergebung und dein Herz mir zurückerkaufen will; und Myronides wird ihm und dir verzeihen.« Diese Worte waren mit solcher überzeugenden Beredsamkeit gesprochen, daß sich die jungen Leute tief davon ergriffen fühlten.

»O Hellanodike,« flüsterte Myrtolaos, indem er sie sanft an sich drückte, »hättest du dazu den Muth?«

»Sie wird den Muth haben,« nahm Mnemarch statt ihrer das Wort, »wenn sie wahrhaft liebt und wenn sie in Wahrheit will, daß du ein Künstler werdest; denn nur in 24 der Nähe der Geliebten gehen dem Künstler die Sinne zum großen lebendigen Kunstwerk auf – oder glaubt ihr, daß Praxiteles und die andern großen Meister ohne die belebende Nähe ihrer Geliebten zu schaffen vermocht hätten, was sie schufen?« Unwillkürlich klang ein cynischer Laut durch diese letzten Worte, aber die beiden keuschen jungen Seelen hörten und verstanden ihn nicht.

»Welchen Freund haben uns die Götter zu guter Stunde gesandt,« rief der Jüngling; »o Hellanodike, Geliebte, sein Plan ist schön und verheißungsvoll, sage, daß du willst?« Sie schauerte und bebte und von einem unbestimmbaren Gefühl getrieben, drängte sie sich fester in seine Arme.

»Aber mein Vater,« sagte sie leise, »wird mich suchen und finden?« Mnemarch schien einen Augenblick zu überlegen.

»Auch hierfür,« sagte er, »ist gesorgt. Ich weiß einen Ort, wo er dich nicht suchen wird; wohne bei mir, in meinem Hause.«

»In deinem Hause?« und sie trat unwillkürlich einen Schritt zurück.

»Du mußt nicht erschrecken,« versetzte er mit einschmeichelnder Stimme; »ich wohne allein mit meiner Mutter, du wirst in ihrer Obhut sein.«

»Laß deine Sorgen fahren,« rief Myrtolaos, der zu neuem Leben erwacht schien; »hörst du nicht, daß dieser Mann uns wirklich Rath ertheilt wie ein Freund? Sage, daß du mit uns gehen willst!« Ein letzter stummer Kampf schien ihre Seele zu bewegen, als sie stumm, mit überströmenden Augen zum Hause ihres Vaters zurückschaute, dann sprach sie mit klarer ruhiger Stimme:

»Ja, Myrtolaos, ich will.« Und indem sie sich zu Mnemarchos wandte, fügte sie leise hinzu: »und so begebe ich mich in deinen und deiner Mutter Schutz – bis daß wir zum Vater zurückkehren, nicht wahr, Geliebter?« 25

»Bis daß wir zu ihm zurückkehren,« rief dieser frohlockend, und küßte ihr die Thränen aus den Augen. –

Es ward nun beschlossen, Praxiteles vorläufig nichts von dem Plane mitzutheilen, und zugleich wurde ein Tag in der nächsten Zeit festgesetzt, an welchem Hellanodike sich in den am Fuße des Stadtberges belegenen Olivenhain begeben sollte; in dem Haine würde Mnemarch mit einem Wagen ihrer warten und sie nach Athen entführen.

»O komm du auch,« sagte sie zu Myrtolaos, als sie diesen letzten Vorschlag hörte, und es klang wie Angst aus ihren Worten. Mnemarch biß sich auf die Lippen.

»Er soll mich begleiten,« sagte er rasch, »und du sollst mit uns beiden zusammen die Reise machen.«

So trennte man sich, und Mnemarch suchte sein Gemach auf.

Als Hellanodike und Myrtolaos schüchtern die Schwelle des Hauses überschritten, in dem kein Laut sich regte, sank das Mädchen in plötzlicher Bewegung in die Kniee.

»Komm,« sagte sie und zog den Geliebten zu sich hernieder; »es war uns so lange ein gütiges Haus – wir wollen zu den Göttern beten, daß es dereinst uns wieder aufnehme in seine Arme.« –


Wie goldne Schmetterlinge kamen die ersten Strahlen der Frühsonne in die Werkstatt des Praxiteles zu Athen herein gehüpft. Sie huschten umher, vertheilten sich, fanden sich wieder zusammen und umflatterten, als getrauten sie sich nicht heran, die Blumen dieses Gartens, Bildwerke, Statuen und Büsten, die ausgeführt oder im Werden begriffen, an den Wänden entlang zwischen den Säulen verstreut in unendlicher Fülle standen. Endlich faßte ein kleiner vorwitziger Sonnenstrahl sich ein Herz und setzte 26 sich mitten in das krause Lockengewirr auf dem Haupte eines träumerisch holdseligen jungen Faun, ein zweiter, schon etwas begehrlicherer Sohn der Sonne hing sich naschend an die blühenden Lippen der schönen Aphrodite daneben, ein dritter warf sich der Göttin an den Busen und sog sich mit glühendem Kusse zwischen ihren quellenden Brüsten fest. Und die holde Göttin fühlte in ihrem marmornen Leibe die süße Gluth der küssenden Lippen; sie lächelte, und an ihrem Lächeln entzündeten sich die steinernen Angesichter rings umher, eine göttliche Heiterkeit wallte und wogte durch den kunstgeschmückten Raum, es sah aus, als höben sich die Glieder, als reckten sich die Arme, und die Geschöpfe des Praxiteles begrüßten ihre und ihres Erzeugers himmlische Mutter, die strahlende junge Sonne von Athen.

Mitten unter allen diesen Herrlichkeiten stand Myrtolaos, ganz in staunendem Anschauen verloren. Räthselhafte Gefühle mischten sich in seiner Brust. Die Traumgebilde seiner jungen Tage hatten Körper und Gestalt gewonnen; aber das, was er um sich her erblickte, war so überwältigend, erschien ihm als der Ausdruck einer Natur, die so übermächtig über seiner eigenen stand, daß er sie wie eine fremdartige empfand und daß ein Gefühl lähmender Bewunderung vorläufig jede andere Empfindung erdrückte. Ganz besonders war dies der Fall gegenüber einem Werke, das, wie es schien, soeben erst unter dem Meißel hervorgegangen war und das sich von den übrigen etwas abgesondert unweit der Stelle erhob, wo einige Stufen aus der Werkstatt in die Wohnräume des Künstlers hinausführten. Es stellte eine Aphrodite dar, die sich anschickte, in das Bad hinabzusteigen, und was noch kein Bildhauer gewagt hatte, hier war es vollbracht: die Göttin war jeglicher Gewandung entledigt, und der weibliche Körper bot sich in unverhüllter Nacktheit dem Auge dar. Welche Ströme lodernder 27 Sinnlichkeit mußten die Brust durchrauschen, die diesen im Licht der Schönheit gebadeten Leib zu erwecken vermocht; und zugleich, welche allmächtige Selbstbeherrschung mußte das Haupt regieren, das von dieser Schönheit jeden Hauch niederer Lüsternheit fern zu halten gewußt hatte. Unwillkürlich schüttelte er das Haupt – es war ihm, als richte sich eine unüberwindliche Schranke vor ihm auf, als blickte er in ein Land hinein, das er nie betreten würde.

Da plötzlich erweckte ihn ein leises Geräusch; ihm gerade vor die Füße fiel eine voll aufgeblühte dunkelrothe Rose, die von hinten her über sein Haupt geworfen sein mußte, und während er sich erstaunt danach bückte, erscholl hinter seinem Rücken ein silberhelles schelmisches Lachen. Er wandte sich und blickte in die schönen Augen eines reizenden Weibes, welches Arm in Arm mit Praxiteles auf den Stufen stand, die zu des Bildhauers Gemächern führten.

Die Beiden mußten den Träumer schon eine Zeit lang beobachtet haben, denn nur so ließ sich der schalkhafte Muthwille erklären, mit dem die fremde Schöne den erröthenden Myrtolaos ziemlich keck und prüfend musterte. Aber auch das Gesicht des Praxiteles zeigte einen anderen Ausdruck als früher: der feierliche Ernst, wie ihn Myrtolaos im Hause des Myronides an ihm gesehen, war dahin, und aus den dunklen Augen sprühte heißer lachender Frohsinn.

Mit unnachahmlicher Grazie schlang das Weib den schönen Arm um den Nacken des Bildhauers und indem sie sich an seine Brust schmiegte, sagte sie:

»O Praxiteles, du Vielgepriesener, jeder Tag beginnt mit einer Huldigung für dich; und wenige, glaube ich, werden so innig empfunden sein, wie die stumme verschwiegene, die wir hier belauschten. Komm her, du schöner Knabe,« wandte sie sich zu Myrtolaos, und streckte ihm, der sich schüchtern näherte, die Linke entgegen. Sobald er 28 ihre Hand berührt hatte, hielt sie dieselbe fest, beugte sich von den Stufen herab und drückte einen herzhaften Kuß auf die Lippen des schönen Tanagräers. Dieser zeigte ein so erstauntes Gesicht, daß Praxiteles und seine Freundin unwillkürlich in helles Gelächter ausbrachen.

»Fürchte dich nicht,« sagte das Weib; »es ist keine Schande, von Phryne, der Aphrodite von Knidos geküßt zu werden.« Myrtolaos wandte sich nach der Aphrodite um und dann mit einem leisen Rufe der Ueberraschung zurück: das Urbild der schönen Göttin stand leibhaftig vor ihm.

»Erkennst du sie?« rief Praxiteles mit freudig triumphirendem Lächeln, »und ist sie würdig, daß die Bewohner von Knidos, bei denen sie fortan wohnen wird, zu ihr aufblicken und sprechen: sie stammt aus dem Olymp?« Phryne verschloß ihm den Mund, indem sie die üppigen Lippen auf die seinigen drückte.

»Du unheiliger Prometheus,« rief sie, »der du nicht nur Menschen, der du Götter aus so unheiligen Stoffen zu schaffen vermagst« –

»Nein, sprich nicht so,« rief Myrtolaos plötzlich, »nenne diesen Leib, der Vorbild zu solchem Bildwerk geworden, nicht unheilig!« Seine Augen leuchteten, und wie zu einem höheren Wesen blickte er zu Praxiteles empor.

»Wie ernst er redet und wie ernst er blickt,« sagte Phryne. »Das Weib, das er dereinst seine Geliebte nennt, wird anders sein müssen, als deine Phryne, Praxiteles, denn er wird sie anbeten und von ihr heischen, daß sie anbetungswürdig sei. Oder wie« – unterbrach sie sich, als sie Myrtolaos heiß erröthen sah – »sollte der junge Schmetterling schon die Blume gefunden haben, in deren Kelch er sich fing? Heraus mit der Sprache, du Selbstverräther, hier steht Praxiteles, dein Meister, vor dem du keine Geheimnisse haben darfst.« Myrtolaos wandte sich 29 ab; ein unerklärliches Gefühl machte es ihm unmöglich, Hellanodikes Namen vor Phrynes Ohren zu nennen.

In diesem Augenblicke theilte sich der Vorhang, der die Werkstatt schloß, und Mnemarch trat grüßend ein. Er hatte, sobald er die Reisekleidung abgelegt, die Gewohnheiten seines atheniensischen Lebens wieder aufgenommen und erschien in ziemlich stutzerhaftem Anzuge. Die übertrieben jugendliche Tracht ließ freilich die Verwelktheit seines Gesichtes um so schärfer hervortreten.

»Laß mich deinen Fuß küssen, göttliche Phryne,« sagte er, »seitdem Praxiteles ihn auf den Olymp gestellt hat, ist es ein frommes Werk.«

»Da ich weiß, wie sauer dir das Bücken wird, will ich dich beim Worte nehmen,« sagte lachend Phryne – »küsse mir den Fuß.« Sie schob den Saum des Gewandes ein wenig zurück und zeigte den klassisch geformten nackten Fuß. Mnemarch beugte sich und drückte flüchtig die Lippen darauf.

»Nun, Myrtolaos,« wandte er sich an diesen; »der Tag ist gekommen und Hellanodike erwartet uns; bist du bereit?«

»Was bedeutet das?« sagte Praxiteles, aufmerksam werdend, während Myrtolaos den Sprecher mit einem vorwurfsvollen Blicke traf.

»Ei, bei den Göttern,« sagte leichthin Mnemarchos, »du brauchst nicht zu erröthen, Tanagräer, daß du Künstlerblut in den Adern hast, und Praxiteles wird nicht zürnen, wenn er hört, daß du sie beredet hast, dir nach Athen zu folgen, damit du ein würdiger Schüler deines Meisters werdest«

»Und wußte Myronides hiervon?« fragte Praxiteles ernst.

»Er wird es erfahren,« rief jetzt Myrtolaos; »wenn 30 ich vor ihn hintrete mit dem ersten Werke, das ich unter deinen Augen gefertigt, Praxiteles.«

»So habt Ihr Euch ohne sein Vorwissen beredet?« sagte der Bildhauer, »Eure Liebe ist also sehr mächtig und tief?«

»Hört ihn an,« rief lachend Phryne dazwischen. »Praxiteles setzt sich auf den Philosophen-Stuhl. O, du gehörst nicht dahin, aber mich, das verlange ich, sollst du abbilden als Pythia, auf dem prophetischen Dreifuß sitzend, denn ich habe recht prophezeit, als ich diesem da in das Gesicht sah.« Ihr Scherz fand aber diesmal kein Echo, denn Praxiteles blieb sinnend und ernst.

»Hat sie Befreundete in Athen?« wandte er sich an Myrtolaos, »wo und bei wem wird sie wohnen?«

»Bei deinem Freunde, bei Mnemarchos,« erwiderte schüchtern der Jüngling, »der ihr freundlich sein Haus zum Wohnen angeboten hat.« Praxiteles zuckte unwillkürlich auf, und eine Falte legte sich zwischen seine Augen. Es schien, als wollte er etwas sagen; Mnemarch hatte sich in scheinbarer Gleichgültigkeit abgewandt und machte sich an einem Satyr zu schaffen, der seine ganze Aufmerksamkeit zu fesseln schien; Praxiteles blieb stumm. In seltsamer Erregung ging er in der Werkstatt auf und nieder, dann trat er zur Mnemarch, und beide unterhielten sich eifrig und leise. Unter Mnemarchs eindringlichen Worten verlor sich allmählich der düstere Zug in Praxiteles' Gesicht, und endlich trat er, lächelnd wie vorher, auf Myrtolaos zu,

»Du hast deine neue Laufbahn,« sagte er, »mit einem kecken Streiche begonnen; und mich soll der Zorn des Myronides nicht treffen, da ich von deinem Vorhaben nichts wußte – indessen, wenn sie aus freien Stücken dir zu folgen beschloß, so will ich nicht hindernd zwischen Euch treten; zeige nun, daß du ein Künstler bist, denn an dem 31 edlen Hengste liebt man, was man an dem gemeinen Rosse bestraft.«

»Gut gesprochen,« rief Phryne, »und recht gehandelt, Tanagräer! Bringe diese Spange von Phrynes Arm Hellanodike, deiner Geliebten, sie soll ihr ein Einlaß-Zeichen sein, wenn sie anklopft an den Thoren, wo die Götter wohnen.«

»In Athen wohnen sie,« rief Myrtolaos, und beim Anblicke des herrlichen Weibes, das eine breite Goldspange vom Oberarm gelöst hatte und sie in seine erhobenen Hände gleiten ließ, überkam ihn ein Gefühl von Lebensfreudigkeit, wie er es nie zuvor geahnt hatte. Wie ein Blitz schlug es in seine Seele, und in dem heißen Feuer, das sein ganzes Wesen bis in das Innerste durchströmte, war es ihm, als gingen ihm jetzt erst die Augen auf für die Werke des Meisters, dem er sich gelobt hatte.

»Gebt mir Kraft, ihr Götter,« rief er, die Arme erhebend, »laßt diese Gluth, die mich jetzt durchlodert, stark bleiben in mir, dann, o Praxiteles, ringe ich dereinst mit dir selbst.«

»Komm, du Schwärmer,« sagte Mnemarch; und wie im Rausche befangen ging Myrtolaos mit ihm hinaus.

Zwei Tage später setzte vor dem Hause Mnemarchs ein Reisewagen seine Insassen ab, den Hausherrn, Myrtolaos und eine Dritte, die mit bangem klopfenden Herzen die fremde Schwelle überschritt, Hellanodike.

Bittre Stunden waren es gewesen, als sie, mit dem Bewußtsein der Täuschung im Herzen, sich wie zu harmlosem Spaziergange ankleidete; die Thränen, die sie aus ihren Augen fern halten mußte, hatten ihr fast das Herz abgestoßen, als sie die Schwelle des Vaterhauses verließ und nun, zum letztenmale vielleicht, den altgewohnten Pfad am Berge hinabwandelte; aber ihr Herz blieb muthig in seinem Leiden; sie hatte versprochen zu kommen und sie kam. 32

In dem Olivenhaine am Fuß des Stadtberges wartete, der Verabredung gemäß, der Wagen, Mnemarch, der sie von fern hatte kommen sehen, eilte ihr entgegen. Ein Schauer überlief sie, als sie ihn gewahrte, sie lehnte schweigend die dargebotene Hand ab, und ihr pochendes Herz begann erst ruhiger zu werden, als sie Myrtolaos erblickte, der beim Wagen geblieben war und die Pferde hielt.

In ihrem langen bis zu den Füßen niederwallenden Kleid, das sich dem lieblichen Wuchse in weichen Falten anschmiegte, den Kopf mit einem flachen Hute, der das Gesicht weit beschattete, bedeckt, so kam sie langsam zwischen den Bäumen heran. Dem Jüngling war es, als sähe er sie zum erstenmale, und in der That sah er sie zum erstenmale neben einer Anderen, denn unsichtbar trat ihm Phrynes Bild neben Hellanodike. – Wie schön beide, und wie ganz verschieden.

Es war ein schweigendes Wiedersehen; denn Myrtolaos erkannte an den thränenverschleierten Augen, daß sie noch zu tief im Kampfe begriffen war, um sprechen zu können; zudem war Vorsicht und Schweigen geboten. Mnemarch ergriff die Zügel und hastig, als gälte es, einen Raub in Sicherheit zu bringen, trieb er die Rosse zu geschwindestem Laufe an.

Die Fahrt ging schnell, aber stumm von Statten. Was sollte sie auch sprechen, da die rollenden Räder laut genug sagten, daß eine Meile nach der anderen sich zwischen sie und zwischen den schob, der heute Abend in Schmerzen ihrer warten würde, Myronides, ihren Vater.

Endlich war man in Athen, und die lärmende Menge des Volkes auf den Gassen, die Pracht der öffentlichen Gebäude, die Fülle nie gesehener Herrlichkeit, die sich ihren staunenden Augen überall darbot, wirkten überwältigend 33 auf die Tochter des stillen Tanagra. Sie schmiegte sich an Myrtolaos.

»Ich ängstige mich,« sagte sie leise, »ich glaubte Athen sei eine andere Stadt als die unsere; aber es ist eine andere Welt.«

Das Haus, in welches Mnemarchos seinen schönen Gast einführte, war geräumig und deutete auf den Reichthum des Besitzers. Sobald sie eingetreten waren, kam ihnen aus dem Inneren desselben ein altes Weib entgegen, das mit schmeichelnder Geschäftigkeit Hellanodikes Hände ergriff, sie an das Herz drückte und sich eifrig nach dem Ergehen der »süßen Taube« erkundigte, wie sie Hellanodike in aufdringlicher Zärtlichkeit betitelte.

»Nun, Mutter,« sagte Mnemarch laut, »ist alles besorgt, was ich befahl? hast du die Frauengemächer für unsere holde Besucherin wohl eingerichtet und geschmückt?« Bei dem Worte »Mutter« zuckte ein widriges Lächeln über die Züge des alten Gesichts, um eben so rasch vor dem drohenden Blicke Mnemarchs zu verschwinden.

»Alles besorgt,« sagte sie, »so wie es dem süßen Täubchen gefallen wird; es wird ihr behagen, Mnemarchos, und sie wird sagen, daß die alte Timoessa weiß und versteht, was die süßen jungen Herzen sich wünschen.« Sie kicherte, und Hellanodike entzog unwillkürlich ihre Hände den knochigen Fingern, welche dieselben wie die Krallen einer Eule umspannt hielten. War ihr Mnemarchos wenig angenehm gewesen, so erschien ihr dessen Mutter unheimlich.

»Die Nacht bricht herein,« sagte Mnemarchos, »und Hellanodike wird der Ruhe bedürfen; wir wollen sie der Sorgfalt meiner Mutter überlassen und morgen fragen, wie sie die erste Nacht in Athen verbracht hat.« Mit diesen Worten wollte er Myrtolaos mit sich 34 hinausziehen; Hellanodike aber hielt diesen an der Hand fest.

»Bleibe noch,« sagte sie, und ihr Blick war angstvoll auf ihn gerichtet.

»Er wird bleiben, so lange du es wünschest« versetzte Mnemarchos, »nur bedenke, daß meine Mutter eine strenge Wächterin ist.« Er winkte der Alten und verließ mit ihr den Raum.

»Habe Acht,« sagte er draußen zu ihr, »daß er nicht zu lange bleibt und beobachte sie unterdessen genau; du wirst mir jedes Wort wiederholen, das sie gesprochen.«

Sie rieb sich die Hände.

»Thust du doch, als wäre ich ein unerfahrenes Püppchen und wüßte nichts von den Winkeln und Winkelchen deines Hauses, wo Platz für ein Paar aufmerksame Ohren ist.«

»Und übrigens,« sagte er unwirsch, »halte dein Gesicht besser im Zaum! Du lachtest vorhin, als ich dich Mutter nannte.«

»Man ist die Ehre noch nicht gewöhnt,« gab sie häßlich kichernd zur Antwort.

Sobald Hellanodike sich allein mit dem Geliebten sah, verließ sie ihre lang bewahrte Kraft, und sie brach in einen Strom von Thränen aus.

»Es ist nicht gut in diesem Hause,« rief sie, »und es bringt uns kein Heil, daß ich darin wohne! In den Gesichtern dieser Menschen, in der Luft hier um mich her ist etwas, das mir ein Grauen einflößt, vor dem ich mich nicht zu retten vermag.« Sie hatte die Arme um seinen Hals geschlungen und sah ihn an wie eine Gazelle, die von Panthern verfolgt wird.

»Das ist die Angst der Neuheit,« erwiderte Myrtolaos beschwichtigend, »sind diese Leute nicht freundlich und 35 wohlwollend zu dir? Du wirst dich hier zurecht finden, Hellanodike, wie ich mich gefunden habe.« Sie blickte ihm fragend in die Augen.

»Hast du dich hier zurecht gefunden, Myrtolaos?«

»Ja,« rief er, und vor seiner Seele erschien Phrynes lachender Mund, »und damit du siehst, daß man dich hier freundlich erwartet, nimm dies,« und er reichte ihr Phrynes goldene Armspange.

»Von wem kommt das?« fragte sie erstaunt.

»Von Phryne, der Freundin des Praxiteles.« Sie legte die Spange um den Arm.

»Sie ist zu weit« sagte sie mit traurigem Lächeln, »und paßt nicht für mich.«

Es war so, wie sie sagte; der Abstand zwischen den zarten Formen des jungfräulichen Mädchens und den entwickelten des vollerblühten Weibes war zu groß. –

»So bewahre sie als Geschenk,« sagte Myrtolaos, »denn dazu ward sie mir gegeben.« Sie hielt den goldenen Zierrath nachdenklich in den Händen.

»Die Freundin des Praxiteles?« fragte sie, »wie verstehst du das, Myrtolaos?« Er wußte keine rechte Antwort und schwieg.

»Sind sie Mann und Frau?«

»Nein,« gab er kurz zur Antwort.

»Aber sie werden es künftig werden?«

»Ich weiß nicht,« sagte er, »aber ich glaube nicht.«

Sie sah ihn schweigend und erstaunt an.

»Die Freundinnen der Künstler,« sagte er erröthend, »sind durch Geistesband mit ihren Freunden verknüpft; sie nehmen theil an ihrem Schaffen, sie begeistern ihre Gedanken und bereichern ihre Augen, die nach Schönheit verlangen.«

Sie lächelte. 36

»Schön müssen sie also sein, die Frauen, von denen du sprichst?«

Er umfaßte ihren schlanken Leib, zog sie an sich und küßte sie.

»Und bist du nicht schön, Hellanodike?« rief er. Ihre Wange lag an der seinen und ihre Lippen waren dicht an seinem Ohre.

»Myrtolaos,« flüsterte sie, und es war, als fürchte sie sich vor ihm, als sei in dem Kusse, den er auf ihre Lippen gedrückt, eine fremdartige Gluth gewesen, »ich möchte deine Freundin nicht sein.« Er trat zurück.

»So möchtest du nicht, daß ich ein Künstler werde, den man rühmt in Griechenland?« Sie sah ihn mit stummem Vorwurfe an, und die ganze Gluth seiner Liebe kam über ihn.

»Nicht meine Freundin sollst du sein,« stammelte er, »meine Geliebte bist du und mein Weib sollst du werden.« Das alte süße kindliche Lächeln kehrte auf ihr Antlitz zurück und sie ließ es gerne geschehen, daß er sie, Abschied nehmend, noch einmal an das Herz drückte und auf die Augen küßte. Dann verließ er sie. Im nämlichen Augenblick erschien Timoessa, um sie in die für sie bestimmten Frauengemächer zu führen.

Diese lagen um einen kleinen viereckigen Hof herum, der zum Garten gemacht war und in dessen Mitte eine aus künstlichen Felsen hervorsprudelnde Quelle ihr gleichmäßig melodisches Geplätscher hören ließ. Ein offener, von bunt bemalten Säulen getragener Gang lief im Viereck herum und bildete den Vorflur zu den Zimmern, die durch leichte Binsenmatten gegen den Hof, von dem sie Luft und Licht empfingen, verschlossen werden konnten. Zur warmen Jahreszeit aber, die jetzt herrschte, standen sie offen, und aus einem derselben floß ein 37 sanft gedämpftes Licht, das von einer Ampel ausging, die von der Decke des Gemachs herniederhing. An der Schwelle dieses Zimmers stand ein junges schlankes Mädchen, das mit großen neugierigen Augen der Kommenden wartete.

»Auf, Chlenusa,« rief ihr die Alte zu, »hier ist deine neue Gebieterin; pflege sie wohl, denn deine Pflicht wird es sein, daß es ihr wohlgefalle in diesem Hause. Hast du das Lager bereitet?« Das Mädchen wies stumm in das Zimmer. Beim Scheine der Ampel sah man, daß es mit allem ausgestattet war, was der Luxus damaliger Zeit zu ersinnen vermochte; in der Mitte des Raumes, mit weißen Linnen und leichten Decken bedeckt, stand das Lager bereitet.

Timoessa zog sich zurück, und Hellanodike setzte sich auf das Bett, indem sie träumerisch in den dunklen Garten hinausblickte und den süßen Duft athmete, der von dort hereinzog.

Mit heißen schwarzen Augen blickte Chlenusa, die am Thürpfosten lehnte, zu ihr hinüber.

»Soll ich dir ein Lied singen?« fragte sie, ohne ihre Stellung zu verändern; »ich weiß deren viele und schöne.« Hellanodike wandte die Augen auf sie. »Oder soll ich dir in der Hand lesen?« rief sie, und mit einer jähen Geberde kniete sie zu Hellanodikes Füßen nieder. Mit leiser Hand strich diese über ihr dunkles weiches Haar.

»Verstehst du solche Kunst?« fragte sie.

»Ich verstehe es wohl; und ich werde Gutes in deiner Hand lesen und ich möchte es dir verkünden.«

Hellanodike lächelte ungläubig.

»Gutes? Glaubst du das? möchtest du das?«

»Weil du so schön bist,« sagte das Mädchen, dessen Augen wie schwarze Diamanten glühten; »die Schönen sind glücklich in Athen! Ihnen streut man Blumen auf den Weg 38 und Reichthum und Ruhm; ihnen erlaubt man, was man Anderen verbietet; ihnen beugen sich die Gesetze und ihnen die Richter selbst!« Hellanodike hörte staunend zu.

»Bist du eine Athenerin?«

»Ich weiß es nicht,« sagte das Mädchen und schüttelte das Gewirr ihrer Locken, daß sie dunkel über das gebräunte Antlitz herabfielen; »sie sagt es zwar, denn sie ist aus Athen und nennt sich meine Mutter – aber ich glaube ihr nicht.«

»Wer? von wem sprichst du?« fragte Hellanodike.

»O still,« rief Chlenusa, wie in plötzlichem Erschrecken und drückte Hellanodikes Kniee an ihr pochendes Herz – »wie du schön bist,« rief sie, »und wie ich dich liebe! O daß ich auch so schön wäre, nur halb so reizend, so schön wie du!«

»Du Sonderbare,« sagte Hellanodike, die bei dieser leidenschaftlichen seltsamen Huldigung schamhaft erröthete.

»Es giebt viele schöne Frauen in Athen,« fuhr jene fort, »aber sie blicken verachtend auf die Anderen herab, und darum hasse ich sie, hasse sie!« Sie sprang empor, und ihr Gesicht war, wie ihre Worte, von Haß und Zorn erfüllt; »aber deine Augen, sind so schön und so sanft,« und sie kniete wieder zur Erde nieder, »du wirst die braune Chlenusa nicht verachten, schöne Gebieterin? du wirst nicht zürnen, wenn Chlenusa dir sagt, daß sie dich liebt?«

»Ich liebe Alle, die mich lieben,« versetzte Hellanodike, »und ich glaube wohl, daß du mich liebst; wir werden Freundinnen sein.«

Das Mädchen sprang empor, ergriff ein in der Ecke des Gemachs stehendes Tambourin und indem sie ein jauchzendes Lied, das den Liebesgott Eros verherrlichte, zum Klange der Schellen anstimmte, begann sie vor den Augen der staunenden Hellanodike einen wilden Tanz, in dem der geschmeidige Körper ein wunderbares Gliederspiel 39 entwickelte. Sie sprühte ein dämonisches Feuer und schüttelte die Locken wie eine Bachantin. Dann schleuderte sie das Instrument in die Ecke und kehrte in ihre vorige Stellung zurück.

»O wie ich dir dienen will« sagte sie, noch athemlos von dem Tanze, »wie ich dir zeigen will, was alles ich weiß und kann – komm, komm, laß mich lesen und dir sagen, was in deiner Hand geschrieben steht.« Abermals griff sie nach Hellanodikes Hand, und diese vermochte sich dem räthselhaften Wesen nicht zu entziehen.

Chlenusa öffnete die kleine weiße Hand, die in ihren fieberglühenden Händen lag und beugte sich tief auf die Linien in deren innerer Fläche. Sie murmelte halblaut vor sich hin abgerissene hastige Worte, dann blickte sie Hellanodike von unten auf in das Gesicht.

»Wie du berühmt werden wirst vor allen Frauen deiner Vaterstadt,« sagte sie mit beinah ehrfürchtigem Tone, »aber du bist nicht aus Athen?«

»Lasest du das in meiner Hand?« fragte Hellanodike. Das Mädchen senkte das Haupt; »ich sehe es aus ihr. Und wie er dich liebt,« fuhr sie langsam fort.

»Wer?« rief Hellanodike plötzlich, »wer ist der, von dem du mir sagst? Wer liebt mich?«

»Nicht einer allein liebt dich; es sind ihrer viele; aber zwei stehen voran; sie ringen mit einander um dich – laß mich sehen« – und sie beugte sich tiefer, und es war Hellanodike, als zittere die Hand, die die ihrige hielt – »laß mich sehen, wer den Sieg davontragen wird –« Hellanodike entriß ihr die Hand.

»Willst du aus meiner Hand lesen,« rief sie, »was in meinem Herzen geschrieben steht? Willst du mir prophezeien, was ich selbst entschied?«

Das Mädchen blieb kauernd am Boden und bedeckte das Gesicht mit den Händen. 40

»Zürnst du Chlenusa?« fragte sie nach einer Pause, und als sie die Hände sinken ließ, hatten ihre leidenschaftlichen Augen einen flehenden Ausdruck angenommen und schwammen in feuchtem Glanz. Hellanodike fühlte sich unter dem Banne des unerklärlichen Wesens.

»Kannst du mir die Beiden nennen?« fragte sie zögernd. Wieder ergriff Chlenusa ihre Hand.

»Ich kann ihre Namen nicht finden,« sagte sie, »aber der eine ist ein Künstler – o was ist das,« unterbrach sie sich plötzlich – »kennst du Praxiteles?« Hellanodike lächelte trotz des Schauers, der bei der geheimnißvollen Handlung sie überkam.

»Praxiteles? meintest du den?«

»Nein,« stammelte sie, »doch ist es ein so großer Künstler, daß ich meinte, es müsse der göttliche Praxiteles sein?«

»O Myrtolaos,« seufzte Hellanodike in seligem Selbstvergessen, »und er liebt mich?« flüsterte sie, indem sie die süßen Lippen tief zum Haupte der Wahrsagerin ihr zu Füßen niederbog. Chlenusa blickte nicht auf.

»Ja,« sagte sie, »aber es ist Einer, der dich noch mehr liebt, als er.«

»In meiner Vaterstadt lebend?« fragte Hellanodike leise, und dachte an Phayllas.

»Nein, denn Athen ist deine Vaterstadt nicht, und er lebt in Athen.« Jene ward aufmerksam.

»In Athen?«

»Ja, – ich kann ihn nicht näher beschreiben, – nur eins sehe ich, du fürchtest dich jetzt vor ihm, – obschon er dir gutes sinnt; er liebt dich heiß, verzehrend; er ist dir treuer als der Andere, denn zwischen diesem und dir steht ein Weib, dessen Schönheit ihn bestrickt.« – Hellanodikes Augen begannen zu funkeln. – 41

»Eine Andere? die er mehr lieben könnte als mich?«

»Ja,« sagte das Mädchen, und ihre Worte wurden immer hastiger, »denn sie ist eine Zauberin, wer sie gesehen, muß in ihrer Schönheit versinken, – hast du nie von Phryne gehört?«

»Phryne? die Freundin des Praxiteles?« schrie Hellanodike auf, indem sie an die Spange dachte, die Myrtolaos ihr gebracht.

»Es ist so, es ist so,« flüsterte Chlenusa, »aber der Andere denkt nur an dich, sucht und verlangt keine Andere als dich, und wenn du seine Liebe erwiderst, wirst du herrlich, glänzend und glücklich werden.«

»Geh hinweg von mir, bestochene Betrügerin, der ich zu meinem Schaden vertraute,« rief Hellanodike, zornig aufflammend. Sie riß ihre Hand aus Chlenusas Händen und hob den Fuß, als wollte sie das Mädchen hinwegstoßen; dann sank sie auf das Bett zurück und brach in Thränen aus. Plötzlich fühlte sie ihre Füße umschlungen, Chlenusas heiße Lippen drückten sich in leidenschaftlichen Küssen darauf und sie fühlte, wie die Thränen des Mädchens darauf niederfielen.

»Weine nicht,« stammelte sie, »weine nicht, süße Gebieterin! Wenn Chlenusa dir weh gethan, wird sie es büßen; in deinen Händen steht Glück geschrieben, du wirst einst leben in Frieden und Glückseligkeit.« Sie lag am Boden und krümmte sich, wie ein tödtlich getroffenes, schönes wildes Thier. Hellanodike winkte ihr schweigend, hinweg zu gehen; gehorsam erhob sie sich und verschwand in dem dunklen Garten.

In schmerzlichen Gedanken blieb Hellanodike zurück.

Was ihr ein dunkles Gefühl vom ersten Augenblicke gesagt hatte, war ihr durch die Worte des Mädchens zur Gewißheit geworden; denn wenn jene auch keinen Namen 42 genannt hatte, so wußte sie, daß Mnemarch es war, der sie mit seiner Liebe verfolgte. Sie dachte daran, gleich am nächsten Tage das Haus wieder zu verlassen, zum Vater zurückzukehren, aber dort trat ihr Phayllas' abstoßendes Gesicht entgegen und flößte ihr neues Entsetzen ein; und wenn sie ging, und wenn es denkbar war, was jene angedeutet hatte, wenn sie ihn allein ließ mit Phryne, – sie wagte und vermochte nicht zu Ende zu denken, denn sie fühlte etwas wie Wahnsinn bei diesem Gedanken aufsteigen. Als sie so, das Haupt in den Händen bergend, zurückgesunken lag, erhob sich aus dem Garten ein leiser wehmüthiger aber unendlich lieblicher Gesang. Es konnte niemand anders sein als Chlenusa, und das Lied, das sie gewählt, stimmte wunderbar zu Hellanodikes trauriger Verfassung, es war ein altes Lied des Simonides und sein Inhalt die Klage der von ihrem Vater verstoßenen, Danae. Eine tiefe Traumseligkeit überkam Hellanodike, indem sie der alten Weise mit geschlossenen Augen lauschte dann endigte der Gesang, und sie hörte, wie Chlenusa vorsichtig in das Zimmer hineinschlüpfte. Sie behielt die Augen geschlossen und stellte sich, kaum wußte sie selbst weshalb, schlafend. Nun fühlte sie, wie jene ihr mit äußerster Sorgfalt die Schuhe von den Füßen löste und vorsichtig und sanft eine Decke über sie hinbreitete; dann trat das Mädchen näher an sie heran, ihre Lippen hauchten einen leisen Kuß auf ihre Stirn, und sie hörte, wie sie flüsterte: »schlaf', du Unschuldige, die Sünde wird dich beschützen.« Mit diesen sonderbaren Worten huschte Chlenusa hinaus und verschwand wie ein Schatten in den Schatten des Gartens.

Kaum hatte sie die Thür hinter sich geschlossen, die aus den Frauengemächern in die vorderen Räume des Hauses führte, so kam ihr Timoessa mit brennender Lampe entgegen. 43

»Nun, du wilde Schlange,« sagte sie, »hast du deine Eier in ihr Herz gelegt? Ihr seid ja lange zusammen gewesen?« In den finstern Augen des Mädchens zuckte ein unheimliches Feuer auf, dann aber schien sie sich eines Anderen zu besinnen.

»Es ist alles geschehen, was du verlangtest,« sagte sie kurz.

»Hast du sie empfänglich gefunden? Zappelte das Böotische Püppchen?«

»Höre,« sagte Chlenusa mit heiserer Stimme, »wenn du Fische fangen willst, so rathe ich dir, wähle einen besseren Köder.«

»Wen meinst du damit?« fragte die Alte giftig.

»Nun wen, Mnemarch; hältst du sie für so einfältig, solchen Mann zu lieben?«

»Zügle deine vorwitzige Zunge,« versetzte Timoessa, »vergiß nicht, daß ich jetzt seine Mutter bin.« Das Mädchen brach in häßliches Lachen aus.

»Du hast Uebung darin, Mutter von Menschen zu sein, die deine Kinder nicht sind, nicht wahr?«

»Was soll das?« fragte die Alte drohend und trat auf Chlenusa zu, mit halb erhobener Hand, als ob sie zuschlagen wollte. Das Mädchen stand ihr wie eine Tigerkatze gegenüber; ihre Augen rollten in dem todtbleichen Gesicht und ihre Hände öffneten sich wie Krallen. So standen die beiden Frauen einige Minuten lautlos; dann trat die Alte brummend zurück.

»Wenn ich nicht an Wichtigeres zu denken hätte,« sagte sie, »solltest du nicht ungestraft mir deine Frechheiten ins Gesicht sagen.« Mit kaltem Hohne lächelte Chlenusa; sie schien an derartige Auftritte und Drohungen gewöhnt.

»Daß du uns nicht unser Spiel zerstörst« sagte Timoessa, indem sie die knochige Faust ballte, »du weißt, 44 worauf es ankommt und was für uns zu gewinnen ist, wenn es so gelingt, wie Mnemarch es wünscht.«

»Wäre es das erste Mal, daß ich dir die Netze gestellt habe, in denen du dein Wild fingst?« erwiderte Chlenusa mit der Ueberlegenheit eines Verbündeten, der seine Unentbehrlichkeit für den anderen kennt.

»Schon gut; ich weiß, daß du eine listige Schlange bist,« murrte die Andere, »aber Schlangen traut man nicht; hast du ihr in den Händen gelesen und so prophezeit, wie ich es dir befahl?«

»Ich hab' es dir gesagt,« erwiderte das Mädchen indem es, wie widerwillig, die schwarzen Locken schüttelte.

»Es ist eine Böotierin,« fuhr Timoessa, über ihren Schlachtplan nachsinnend, fort, »hübsch genug, das ist wahr, und wenn sie eine Athenerin wäre, so müßte sie bald die Erste aller Hetären sein; aber dazu fehlt ihr der Geist; sie wird ewig zu stumpf dazu bleiben; sie hat keinen Ehrgeiz. Also bleibt nur die Angst; durch Furcht muß sie kirre gemacht werden, bis daß sie nicht mehr anders zu wollen wagt, als Mnemarchos will. Laß dir das gesagt sein,« wandte sie sich wieder an Chlenusa, »und nun zu Bett und spionire mir nicht im Hause umher.« Sobald sie hinausgegangen, stürzte Chlenusa hinter ihr her bis zur geschlossenen Thür, und indem sie die geballten Hände schüttelte, spie sie auf die Stelle aus, wo Timoessa zuletzt gestanden. Der Ausdruck maßlosen Hasses verzerrte ihr Gesicht.

»Du Diebin,« flüsterte sie mit bebenden Lippen, »du Kröte, willst du wieder den Saft deiner schmutzigen Seele in das Herz eines Menschen spritzen, bis du es in deinen räuberischen Fingern zusammenpressen kannst wie einen Schwamm, aus dem Goldstücke in deinen Sack träufeln? O, alle Flüche auf dich, du Verderberin meiner Seele, 45 die du dich meine Mutter nennst, was du nicht bist! Nein« ächzte sie, indem sie zur Erde fiel und die Hände flehend erhob, »laßt es nicht also sein, ihr Götter, laßt es nicht wahr sein, was sie sagt, daß sie, dieses Weib, meine Mutter sei!« Sie lag, wie gebrochen, am Boden, und ihre Augen suchten unwillkürlich den Weg zu dem Gemache, wo das schöne gefahrbedrohte Mädchen aus Tanagra lag. Das wilde Gesicht war sanft, und Thränen flossen darüber hin. In Timoessas kupplerischem Gewerbe zu den schnödesten Handlanger-Diensten gemißbraucht, war sie bisher wie eine wilde Katze Allem nachgeschlichen, was Schönheit und Glanz hieß, den Haß, den sie dafür erntete, hatte sie mit Haß vergolten und ihre Seele war ganz von Neid gegen Alles vergiftet, was sie über sich empfand. Heute beim Anblick des schönen vertrauensvollen Wesens, das sie wieder aus ihrer reinen Welt in den Koth hinabziehen helfen sollte, der sie selbst umgab, erfaßte sie ein Gefühl, das sie nicht begriff und dem sie sich doch nicht entziehen konnte, weil es sie mit einer dunklen ungeahnten Wonne erfüllte. Sie schüttelte, wie über sich selbst erstaunt, das Haupt, als suchte sie nach einer Erklärung, denn sie wußte noch nicht, daß Liebe sich nicht erklären läßt.



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