Christoph Martin Wieland
Ueber den freien Gebrauch der Vernunft in Glaubenssachen
Christoph Martin Wieland

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Beilagen
zu der vorhergehenden Abhandlung

An Herrn v. *** zu Br**.

Sie wünschen zu wissen, was ich von der Unterscheidung zwischen Preßfreiheit und Preßfrechheit denke, welche (wie Sie mir melden) vor Kurzem bei einer durch die Zeitungen schon bekannt gewordenen Gelegenheit geltend gemacht worden und einen kleinen panischen Schrecken in Ihren Gegenden verbreitet haben soll. Da das Recht, über alles Denkbare zu denken und das Gedachte Andern mitzutheilen, so gut man Beides kann, unter die Rechte gehört, die mit der Ehre, ein Mensch zu seyn, nothwendig verbunden sind: so nehme ich keinen Anstand, Ihnen freimüthig zu eröffnen, wie ich die Sache ansehe.

Ich halte mich versichert, daß der Urheber dieser Unterscheidung etwas ganz Bestimmtes dabei gedacht und einen ganz guten Zweck dabei gehabt haben oder zu haben vermeinen konnte (welches, wie Sie wissen, in Absicht des Willens auf Eins hinaus läuft), und daß es eben daher schwerlich seine Meinung war, sie jemals gegen die Freiheit der Presse geltend zu machen. Caius oder Titius könnte ja wohl (wie uns 83 Allen im Eifer etwas Menschliches begegnen kann) in einem an sich gerechten, aber zu leidenschaftlichen Eifer für das, was er für Wahrheit und Recht und also für Sache der Menschheit erkannte, – in einer zu raschen Bewegung der Lebensgeister und der Einbildungskraft, wovor ein Schriftsteller, der mit beiden reichlich versehen ist und über eine äußerst interessante Sache schreibt, sich nicht immer genug hüten kann, – ich sage, dieser Cajus, oder wie er heißt, könnte ja wohl in einer solchen Stimmung hier und da, gegen seinen Vorsatz, ein wenig über die aristotelische Linie der Höflichkeit und des Respects hinüber gekommen seyn, ein wenig hyperbolisirt und mehr gesagt haben, als etwa ein seine Ruhe liebender Römer einem Augustus oder Titus – geschweige einem ihrer Diener (die es natürlicher Weise mit Beleidigungen immer schärfer nehmen als die Auguste selbst) – hätte ins Gesicht sagen mögen, wiewohl man jenen Cäsaren mitunter ziemlich starke Sachen ins Gesicht sagen durfte. Caius könnte es also einem Asinius Pollio oder Lucius Piso (oder wen Sie ihm sonst gegenüber stellen wollen) mit Recht nicht sehr verdenken, wenn dieser Minister Augusts solche leidenschaftliche (wiewohl gar nicht übel gemeinte) Ertravasationen, insofern sie über die gewöhnlichen Grenzen der Freiheit merklich hinaus gehen, mit einem Namen belegte, womit nach Adelungs Wörterbuche diejenigen bezeichnet werden, welche sowohl die Gefahr unbesonnener Weise verachten, als die Gesetze des Wohlstandes und der Ordnung ohne Scheu verletzen. Cajus würde selbst nicht leugnen können, daß es Fälle gibt, wo dergleichen Unbesonnenheiten und Uebereilungen eine verhältnißmäßige Rüge nach sich zu ziehen pflegen. Freilich könnte er sich mit seinem gerechten Eifer für die Sache der Menschheit entschuldigen; aber man würde ihm 84 antworten, ein weiser Mann müsse seine Leidenschaften, wie gerecht und gut auch ihr Gegenstand und Zweck seyn möge, in den gehörigen Schranken zu halten wissen. Vielleicht würde es ihm nicht an einer scheinbaren Gegenantwort fehlen; aber auf alle Fälle bleibt es eine große Regel, seinem Gegentheile keine Blöse zu geben.

Nichts ist indessen natürlicher, als daß so leidenschaftliche Wesen, wie wir arme Menschlein, bei Gelegenheiten, wo unser Eifer gar zu stark gereizt wird, uns mehr erhitzen, als nöthig oder räthlich war. In vorliegendem Falle scheint wohl – wie allemal, so oft die Menschen in partes gehen – die Horazische Bemerkung Statt zu finden:

Iliacos intra muros peccatur et extra.

Der Mann (sagt ein Sprichwort meiner Landsleute) zerbricht die Schüsseln, und die Frau die Töpfe. Gewöhnlich kommt bei einer solchen Wirthschaft nichts heraus – als Scherben. Uebrigens, mein Freund, werde ich immer dabei bleiben, daß man auch die stärksten Wahrheiten ungestraft sagen könne, wenn man sie in einem gelassenen Tone und ohne persönliche Beleidigung der anders Denkenden vorbringt. Ich will nicht, daß man Wahrheiten, von denen das Wohl der Menschheit abhängt, kalt und gleichgültig sage: aber man kann sie mit aller Wärme des Gefühls, im Ton der eignen Ueberzeugung und des reinen Wohlwollens und doch mit Ruhe und Mäßigung sagen, und man wird Niemand dadurch beleidigen; oder, falls Jemand eigensinnig und unbillig genug wäre, sich durch einen bescheidenen Widerspruch beleidigt zu finden, würde man die ganze vernünftige Welt auf seiner Seite haben. Es ist unsäglich, wie viel der besten Sache durch eine heftige, trotzige und die Eigenliebe der Gegner kränkende Art, sie zu behaupten, geschadet wird. Schadeten 85 wir blos uns selbst dadurch, so möchte es hingehen; wir hätten wenigstens den Trost, uns als Märtyrer der Wahrheit zu betrachten: aber die gute Sache leidet darunter. – Doch, verzeihen Sie mir eine Moral, die, wiewohl man sie nie genug predigen kann, derjenige, den sie trifft, uns immer mit dem Terenzischen Tu si hic esses aliter sentias zurückzugeben pflegt.

Sie sehen, mein Herr, daß ich die besagte Unterscheidung, welche Vielen so anstößig gewesen ist, in einem Sinne nehme, worin sie für sehr unschuldig gelten kann, welches sie keineswegs wäre, wenn ich ihr den gefährlichen Sinn zutraute, den man darin zu finden glaubt; nämlich, als ob es darauf abgesehen sey, um deßwillen, weil dieser oder jener sich der Freiheit zu denken mit einiger Unbescheidenheit bedient habe, die Schriftsteller überhaupt einer Art von Inquisition zu unterwerfen und der Preßfreiheit, unter dem Vorwande, die Preßfrechheit zu verhindern, willkürliche Fesseln anlegen zu wollen.

Ich weiß nicht, was manche wackere Leute für Ursache haben mögen, so Arges in ihrem Herzen zu denken; aber das bin ich gewiß, daß Augustus oder Titus es sehr übel genommen haben würden, wenn ihnen Jemand nur den Gedanken zugetraut hätte, die Freiheit zu reden und zu schreiben, um des allzu kühnen Gebrauchs willen, den ein Laberius davon gemacht hatteDer römische Ritter und Mimendichter wurde von Cäsar genöthigt, seinen Mimus selbst aufzuführen. In dem Prolog sagte er:

                              – – So geschah es denn,
    Daß nun, nach zweimal dreißig ohne Tadel
    Verlebten Jahren, ich, der meinen Herd
    Als röm'scher Ritter eben jetzt verließ,
    Nach Haus als Mimus wiederkehren werde.
    Um einen einz'gen Tag also hab' ich
    Zu lang gelebt!

In dem Stücke selbst kam mehr als eine Anspielung auf Cäsar vor, z. B. wo ein gepeitschter Sklave dem Volke zurief: O weh, ihr Römer! unsere Freiheit ist dahin! Bei der Stelle: »Der hat vor Vielen sich zu fürchten, der von Vielen gefürchtet wird!« schaute das ganze Volk auf Cäsar.

, unterdrücken zu wollen. Was würde man von der Weisheit eines Solon gedacht haben, wenn er seinen Athenern täglich bei Unzen und Scrupeln hätte vorwägen lassen wollen, wie viel sie essen sollten, weil die leidige Erfahrung lehrt, daß der Eine oder der Andere zuweilen mehr ißt, als recht ist? Und glauben Sie, daß Solon selbst (falls er die Vorsicht so weit zu treiben fähig 86 gewesen wäre) mit der Distinction zwischen Eßfreiheit und Freßfreiheit bei den Großvätern der Sokraten und Aristophanen durchgekommen wäre?

Ich hoffe, Sie durch diese kleine Betrachtung völlig beruhigt zu haben. Wer die Eßfreiheit zur Fresserei gemißbraucht hat, muß sich gefallen lassen, ein Digestivpulver oder ein Brechmittel zu schlucken; wer die Preßfreiheit zur Frechheit gemißbraucht hat, verdient nach Beschaffenheit des Vergehens eine verhältnißmäßige Züchtigung: aber die Preßfreiheit bleibt dessen ungeachtet, so gut wie die Eßfreiheit, so uneingeschränkt als zuvor – oder – – desto schlimmer!


An Ebendenselben.

Wer einen Erfahrungskreis von vierzig bis fünfzig Jahren um sich her hat, wie Ihr gehorsamster Diener, findet sich alle Tage mehr überzeugt, daß es keinen goldnern Spruch in der Welt gibt, als das berühmte Ne quid nimis des weisen Chilon. Mich dünkt, alle praktische Weisheit der ganzen Welt sey in diesen drei Wörtchen, »nichts zu viel,« oder in dem einzigen Wörtchen »mäßig« enthalten; und ich bin vollkommen überzeugt, daß man – mit allen Eigenschaften, welche erfordert werden, um der größte Feldherr, Staatsmann, Finanzminister oder der größte Dichter, Maler, Tonkünstler oder der erste aller Schneider und Schuster, kurz in jedem Fach und jeder Profession der Erste zu seyn – in jedem Fach und jeder Profession nur ein Pfuscher ist, wenn man sich den tiefen Sinn dieses mehr als goldnen Sprüchleins nicht ganz eigen gemacht und sich gewöhnt hat, es nie aus den Augen zu verlieren. Ein einziger Moment, wo 87 uns dieses Unglück begegnet, ist hinlänglich, das schönste Leben, so wie das schönste Werk, zu verunstalten.

Ich gestehe Ihnen gern, daß so ein Sprüchlein leichter zu sagen als auszuüben ist, und daß nicht Jedermann ein so abgekühltes Blut haben kann als der alte Chilon und seine fünfzigjährigen Bewunderer. Aber der alte Chilon hat darum nicht weniger Recht; und gewiß würde er, wenn er noch lebte, auch Ihren beiden Parteien sein Ne quid nimis! zurufen. Mag doch jede glauben, daß sie allein Recht habe, daß ihre Sache die gute Sache sey: wenn die Leute nur auch glauben könnten, daß die beste Sache durch Unbescheidenheit, Uebereilung und Uebertreibung endlich zu einer sehr schlechten Sache wird. Ein Wort zu viel kann eine sonst wahre Behauptung falsch machen; ein zu starkes Wort, ein Grad von Hitze über dem Temperirten kann etwas zur Beleidigung machen, was, mit Mäßigung gesagt, den Gegner, wo nicht gewonnen, doch nicht erbittert hätte. Aber, in Leidenschaften noch gar philosophiren wollen, ist eine große Unweisheit; und wer die Sache der Vernunft auch in den wichtigsten Dingen nicht so ruhig und gelassen führen kann, als ob es um die Auflösung einer arithmetischen Aufgabe zu thun wäre, der thäte immer besser, er schwiege.

Ueberhaupt gibt es, wie Salomo sagt, eine Zeit zu reden und eine Zeit zu schweigen. Schweigen nützt der guten Sache oft mehr, als declamiren wie ein Cicero, und immer unendliche Mal mehr, als sich erhitzen und in dem Feuer, in welches man sich selbst hineingeschrieben hat, Wahres und Falsches unter einander mengen und, um sich recht stark und kräftig auszudrücken, mehr sagen, als man verantworten kann. Was halfen Cicero's Philippicae der Republik? Nichts. Aber ihm selbst kosteten sie seinen grauen Kopf.

88 Mit Leuten, die ihre Partei ein für allemal genommen haben, oder die so weit getrieben sind, daß sie sich nicht überwunden geben können, ohne ihre ganze Existenz zu verlieren, ist nicht rathsam zu streiten; oder, wenn man ja unglücklicher Weise in einen solchen Streit gerathen ist, so thut man wohl, in dem Augenblicke aufzuhören, wo man merkt, daß die Galle rege wird. Und auch bei dem vernünftigsten und kaltblütigsten Manne kann und muß endlich die Galle rege werden, wenn er es entweder mit ausgemachten Schwärmern zu thun hat oder mit Leuten, die sich nur durch Sophismen und Sykophantenstreiche retten können. Denn gegen die Einen und gegen die Andern hilft kein Raisonniren. Zudem spielt der größere Theil des Publicums bei solchen Gelegenheiten immer die Rolle des Volkes bei einer Execution. Dieses läuft herbei, um einem interessanten Schauspiele zuzusehen, und schwebt, indem es zusieht, in einer nicht unangenehmen Bewegung zwischen dem Gefühl der Billigkeit, daß dem Verbrecher sein Recht angethan werde, und den sympathetischen Regungen der Menschlichkeit. Aber, sobald es glaubt, dem armen Sünder geschehe zu viel, so hört auf einmal alles Schweben auf; das Gefühl der Unbilligkeit und Grausamkeit fällt in die Schale des Mitleidens, sie sinkt zu Boden, alle Hände heben sich mechanisch auf, die beleidigte Humanität an dem Handlanger der Gerechtigkeit zu rächen, und wehe ihm, wenn man Ursache zu der Meinung zu haben glaubt, daß er den armen Sünder nicht aus Ungeschicklichkeit, sondern vorsätzlich, härter und länger habe leiden lassen, als recht und billig war. – Ich überlasse Ihnen, die Anwendung dieses Gleichnisses selbst zu machen, und bin u. s. w.

 


 


 << zurück