Christoph Martin Wieland
Ueber den freien Gebrauch der Vernunft in Glaubenssachen
Christoph Martin Wieland

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Sendschreiben des Verfassers
an Herrn P. X. Y. Z.

Sie melden mir, daß meine Aufsätze über den freien Gebrauch der Vernunft in Glaubenssachen und die Freiheit, die ich mir selbst darin genommen, meine Gedanken über Religion, Dämonismus, Priesterkünste, reines und verfälschtes Christenthum, Toleranz und andere unter diese Rubrik gehörige Dinge offenherzig mitzutheilen, von Vielen freundlich aufgenommen worden seyen; und man wünsche, setzen Sie hinzu, daß ich mich entschließen möchte, sie aus der Monatsschrift, worin sie zuerst erschienen, heraus zu heben und durch eine eigene Ausgabe in die Hände mehrerer Leser zu bringen, für welche sie sonst ein Licht unter einem Scheffel bleiben würden.

Was soll ich Ihnen hierüber sagen, lieber Z***? Hoffentlich trauen Sie mir zu, daß ich den guten Willen, womit meine Freunde aufnehmen, was ich aus gutem Willen gebe, in sein gehöriges Fach zu legen wisse und von der Entbehrlichkeit meiner Gedanken über dergleichen Gegenstände so überzeugt sey, als es der strengste meiner ungeneigten Leser 5 (denn ich kann doch nicht lauter geneigte verlangen) nur immer seyn kann.

Schwerlich kann Jemand besser wissen, als ich selbst, wie wenig es möglich ist, über diese Dinge, zumal in unsern Tagen, wo seit mehrern Jahren von so Vielen so Vieles davon geschrieben worden, etwas Neues zu sagen. Indessen ist auch wahr, daß verständige Leser über Gegenstände dieser Art nichts Neues erwarten, sondern – aus innerm Gefühl, daß sie eine der wesentlichsten Anliegenheiten der Menschheit betreffen und daher nie zu viel beherzigt, nie zu oft von allen ihren Seiten und in jedem möglichen Lichte gezeigt werden können – zufrieden sind, wenn sie entweder in der Vorstellungsart oder dem Vortrage dessen, der sich darüber hören läßt, etwas finden, das diesen Dingen, worüber man immer geschrieben hat und immer schreiben wird, weil sie immer interessant waren und ewig interessant bleiben werden, einigen Anstrich von Neuheit zu geben scheint. Immer wird man dem Manne gern zuhören, der sich darüber, als einer Sache, woran ihm und uns gelegen ist, unbefangen und offenherzig mit uns unterhält und, wiewohl er uns nichts Neues offenbaret, wenigstens nichts sagt, als was er selbst gedacht oder empfunden hat.

Bei Allem dem, lieber Freund, gibt es einem ein unfröhliches Gefühl, wenn man nicht umhin kann, sich selbst zu sagen: daß man, mit allem guten Willen, durch Bekanntmachung seiner besten Gedanken über gewisse Gegenstände etwas zum gemeinen Wohl der Menschen beizutragen, am Ende doch immer nur leeres Stroh dresche, Wasser mit einem Siebe schöpfe, in den Sand schreibe, Böcke melke und Mohren bleiche.

Was haben sich, nur blos in diesem unserm Jahrhundert, die hellesten und gesundesten Köpfe in Europa nicht 7 zerarbeitet, um die schädlichen und schändlichen Ueberreste der alten Barbarei, wenigstens unter den cultivirtesten Völkern unsers Welttheils wegzuräumen! Um hier nur ein Beispiel zu geben: Wer wird jemals etwas allgemeiner Gelesenes über die Toleranz schreiben, ihre Vortheile lebhafter darstellen, die Entwürfe, die man gegen sie macht, gründlicher widerlegen, die Verbindlichkeit zu derselben unwidersprechlicher darthun, die abscheulichen Folgen der Intoleranz und des Fanatismus nachdrücklicher durch auffallendere und schrecklichere Beispiele schildern, als Voltaire? Sollte man nicht denken, Wahrheiten, von denen mit solcher Evidenz, solcher Energie bewiesen wird, daß es Wahrheiten sind, und daß das Wohl der Staaten und des menschlichen Geschlechts auf ihnen beruhet, müßten nun – wenigstens von Allen, die nicht ein handgreifliches Interesse haben, sich ihnen entgegen zu setzen – allgemein anerkannt werden und tausendfache Früchte tragen? Und doch wurden wenige Jahre, nachdem die Welt so trefflich belehrt, gerührt und erbaut worden war, die Abrahamiten in unsern Tagen mit Knitteln aus dem Schooß Abrahams heraus in den Schooß unserer heiligen Mutter Kirche hinein geprügelt! wurde in unsern Tagen zu Parma eines der fürchterlichsten Inquisitionstribunale errichtet! wird in einer der ersten deutschen Reichsstädte der Tag, an dem durch die eminenteste Majorität beschlossen wurde: »daß die Protestanten kein Bethaus in dieser Stadt haben sollten,« gleich als ob die Republik an diesem Tage vom Verderben gerettet worden sey, mit Sang und Klang und allgemeinem Jubel gefeiert! – Wozu ein unverständiger Religionseifer viele der angesehensten Personen in Frankreich, bei Gelegenheit der armseligen Toleranz, die man den Protestanten aus blosen Finanzrücksichten angedeihen lassen wollte, hingerissen 8 hat, ist bekannt. Und doch rühmen wir uns der Aufklärung unserer Zeit! Und Voltaire selbst glaubte das große Werk zu Stande gebracht zu haben, rasselte mehr als einmal auf dem windigen Triumphwagen der Vana gloria über die Dummköpfe seines Zeitalters weg, schleppte die Bilder des Aberglaubens, der Intoleranz, der Religionswuth, an die Räder desselben gefesselt, hinter sich her – und glaubte diese Ungeheuer selbst auf ewig entwaffnet und gefesselt zu haben!Traité sur la Tolérance, à l'occasion de la mort de Jean Calas 1763. Uebersetzt von Riem, Berlin 1789. – Gleichzeitig mit dieser Schrift erschien aber eine andere unter dem Titel: L'accord de la Réligion et de l'Humanité, worin die Verfolgung der Ketzer, als Feinde Gottes mit Stellen des alten Testamentes vertheidigt wurde. – Der Verfasser hätte mit Recht auch behaupten können, daß Intoleranz ganz unbezweifelt ein patristisches Dogma sey; würde er aber darum ein größeres Recht zu ihrer Vertheidigung gehabt haben? Diese Frage muß jedem Verständigen ganz überflüssig scheinen und würde es auch seyn, wenn es nicht eine Classe von – protestantischen – Theologen gäbe, welche seit der Zeit, wo die Aufklärung den Reiz der Neuheit verloren hatte, ihren Ruhm in neuer Aufstutzung des Alten sucht und unter dem Vorwande, das Positive zu stützen, dogmatisch aufstellt, was nur historisch aufgestellt werden dürfte. – Wohin führt aber dieß? – Man denke an Herrn Claus Harms und seine 95 Theses.

Und lieferte nicht unsere Zeit zu jedem Beispiele der Intoleranz, welches Wieland anführte, neue Belege? Hat man nicht auch jetzt die Juden entweder in das Christenthum hinein oder aus der christlichen Welt hinaus prügeln wollen? Kam nicht das Inquisitionsgericht ebenfalls wieder zum Vorschein? Nur ein Unterschied scheint stattzufinden, daß nämlich die Katholiken während dieser Zeit toleranter geworden sind als die Protestanten. Man denke nur an Wien und Bayern im Gegensatz mancher preußischer Synoden bei Gelegenheit der Vereinigung beider evangelischen Religionsparteien! Daß die alten Zionswächter auch junge Mannschaft gestellt haben, hat der erneute Streit über Supranaturalismus und Rationalismus bewiesen.

Welche Zeit aber hat mehr Veranlassung zu gegenseitiger Toleranz gegeben als die unsrige? Im Jahr 1799 stand eine russisch-türkische Escadre vor Ancona zur Befreiung des Kirchenstaates von katholischen Eroberern, und im Jahr 1814 waren es ein katholischer Kaiser, ein Kaiser von griechischer Religion und ein evangelischer König, die den Papst nach Rom zurückbrachten.

»Wozu hälf' es dir, dich täuschen zu wollen? flüstert mir mein guter Genius zu. Nie, solange die Menschen – Menschen bleiben, wird das Licht die Finsterniß völlig verschlingen! Nie wird die Vernunft einer kleinen Anzahl über die Unwissenheit, den Stumpfsinn, die taumlige Imagination, die Anmuth des Geistes und die Schwäche des Herzens der größern Anzahl die Oberhand gewinnen! Nie werden ganze Völker anders, als nach den gräulichsten Erschütterungen, und auch alsdann nur in einzelnen Stücken und selbst hierin nur eine Zeit lang ihr wahres Interesse einsehen lernen und dieser Einsicht getreu bleiben. Immer wird jeder große Mann einen Zeitgenossen oder Nachfolger haben, der wieder einreißt, was jener gebaut hat. Schon keimen im Schooße der Zukunft neue Vandalen, neue Sarazenen und TürkenWer denkt hierbei nicht unwillkürlich an den jetzigen Kampf zwischen Griechen und Türken?, neue Gregore von Nazianz und Gregore von Rom, um die Werke der menschenfreundlichen Musen wieder zu vernichten und die Welt in die finstere Barbarei zurück zu stürzen, woraus diese Schutzgötter der Humanität sie gezogen hatten.Gregorius von Nazianz in Kappadocien, wo sein Vater Bischof, und in dessen Nähe er zu Anfange des vierten Jahrhunderts geboren war, wurde selbst mehrmals Bischof, ja selbst auf kurze Zeit Patriarch von Constantinopel, zog sich aber immer wieder in die Stille zurück um ruhiger seiner Wissenschaft zu leben. Man nannte ihn vorzugsweise den Theologen, und mit Recht zählt man ihn zu den berühmtesten Kirchenlehrern. Seine erste Bildung hatte er in Kappadocien und Palästina erhalten; nachher trieb er lange Zeit die Rhetorik zu Athen, und nicht fruchtlos, wie seine zahlreichen Schriften in Prosa und Versen beweisen. Unter den fünfzehn Päpsten, welche Gregor hießen (Gregore von Rom), läßt Wieland dem Leser die Wahl, in der Ueberzeugung, daß sie kaum einen andern als den ersten oder siebenten (Hildebrand) treffen könne. Wahrscheinlich bezieht sich auf jenen und diese nur der zweite Nachsatz, daß sie die Welt in die finstere Barbarei zurückgestürzt hätten, was sich von Gregor von Nazianz schon in so fern behaupten ließe, als er oft sehr heftig gegen anders Meinende zu Intoleranz auffordert. Dieß scheint er jedoch nur gethan zu haben, wenn er besonders gereizt war; denn an andern Stellen räth er zu Duldung und Liebe so vernünftig, als man nur vermag. Darum konnte der hier ihm gemachte Vorwurf zu hart scheinen. Vielleicht aber dachte Wieland an seine abergläubische Verehrung der Mönche und an die verächtlichen Seitenblicke, die er auf die griechischen Philosophen wirft, oder gar an die allerdings eines Finsterlings würdige Antwort, die er dem Hieronymus auf dessen Frage, was der After-Sabbath sey? gab. »Das, erwiederte er, will ich dir in der Gemeine beantworten, und du sollst gestehen, daß du wissest, was du nicht weißt, oder, falls du schwiegest, allein von Allen für den Unwissenden gehalten werden.« Hieronymus schildert ihn daher als einen Redner, den man gerühmt, wenn man gleich nicht gewußt habe, was er eigentlich wolle. – Daß dieß das rechte Mittel sey, um zu verfinstern, beweisen noch heutiges Tags manche Theologen und Philosophen, denen es auch keineswegs an Gregors Stolze fehlt, den kaum irgend ein Papst größer hatte. Die neuen Gregore nennen uns, wenn wir gern begreifen möchten, gemeine Seelen und, wenn wir anders meinen, gar – wie ein gesitteter Mensch nicht nachsagt.

»Aber diese Umwälzungen der immer in andern Gestalten wiederkehrenden Vergangenheit, dieser ewige Kampf des Guten und Bösen, dieses Zerstören dessen, was da ist, um dem, was werden soll, Platz zu machen, gehört nun einmal zu der 9 großen Ordnung der Dinge, deren Plan eben so unübersehbar, als die Hand, die seine Ausführung leitet, verborgen ist. Euch Sterblichen gebührt es, euch in die Nothwendigkeit zu fügen und ohne Ungeduld oder Lässigkeit zu thun, wozu ihr euch berufen fühlt. Wie Lucian, da er in seinem Traumgesichte mit der Pädeia auf ihrem Wagen durch die Lüfte fuhr, oder wie in der Fabel Triptolemus auf dem Drachenwagen der Ceres, streue du allerlei guten Samen auf die Erde herab, unbekümmert (denn du säest nicht für dich selbst), was für Früchte er bringen, und ob er auf gutes Erdreich oder auf Sand, ins Wasser oder auf nackte Felsen fallen werde.Lucian erzählt seinen Landsleuten einen Traum, den er in seinem Knabenalter geträumt zu haben vorgibt, und wodurch er bestimmt worden sey, bei der Wahl seiner künftigen Lebensweise sich für die Pädeia zu entscheiden, d. i. für die durch Wissenschaft zu erlangende Bildung. Pädeia führte ihn in ihrem Wagen durch die Lüfte, wo er eine Menge Städte, Völker und Reiche unter sich sah und überall etwas herunter streute, wie ein zweiter Triptolemus. Dieser Königssohn von Eleusis war ein Günstling der Ceres und ein Apostel ihrer auf Ackerbau gegründeten Religion. Die bildenden Künstler stellten ihn dar, wie er auf einem Drachenwagen über die Erde fuhr und Samen herab streute. Etwas davon wird immer aufgehen, vielleicht durch irgend einen Wind oder eine fortwälzende Welle in einen ganz andern Boden getragen, als wohin der Same zuerst fiel, – vielleicht erst lange, wenn du nicht mehr bist.«

Weg also mit jenem unfröhlichen Gedanken! Und da wir nun doch (unsern kleinen häuslichen Cirkel ausgenommen) der Welt mit nichts als unserm guten Willen dienen können, so laßt uns immer von Zeit zu Zeit etwas ausstreuen, wovon wir uns (wenigstens so gewiß, als Menschen von etwas gewiß seyn können), überzeugt halten, daß es gute Samenkörner sind – und der Himmel lasse sie gedeihen oder nicht gedeihen, wie es die große Pepromene vorher bestimmt hat! 10

 


 


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