Christoph Martin Wieland
Sympathien
Christoph Martin Wieland

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1.

Schöne Celia, du kennest deinen zärtlichsten Liebhaber noch nicht. Deine reizende Gestalt hat einen Schwarm von kriechenden Seelen um dich her versammelt; aber sie lieben nicht dich. Wie wenig müßtest du deinen Werth kennen, wenn du auf sie stolz wärest! Sie lieben dich nicht, Celia, sie gelüsten dich. Ein jeder deiner Reize verspricht eigne Freuden, eigne Entzückungen; diese lieben sie, wie Eva die Frucht liebte, die ihr lieblich zum Anschauen und noch lieblicher zum Kosten schien. Aber ich, der dich nie mit körperlichen Augen sah, kann dich nur mit geistigen betrachten, und diese entdecken unter deiner irdischen Form etwas, das noch schöner als die Schönheit ist. Blumen, Statuen, Gemälde kann ich bewundern; aber dieses Göttliche, das deine sichtbare Gestalt so weit über alle andere Schönheiten erhöht, als ein Engel über einen Sommervogel erhaben ist, nimmt mein Herz ein. Ohne dir zu schmeicheln (denn warum sollte ein unsichtbarer Liebhaber, ein Genius, schmeicheln?), will ich dir stolzere Dinge vorsagen, als die unermüdeten Lobredner deiner jugendlichen Reizungen dir sagen können. Ich möchte dein Herz mit einem heiligen Stolze begeistern, der dich über jene rosenwangigen Mädchen hinwegsetzte, an denen die Natur oder die Kunst das Vornehmste auszuarbeiten vergessen hat; deren ganze Geschichte ist, daß sie blühen, gepflückt werden und verwelken.

9 Siehe, du reifest zu einem Alter heran, da die Welt dich mit schmeichelnden oder tadelsüchtigen Blicken beobachtet; deine Schönheit zieht dir eine Achtung zu, welche die blose Schönheit nicht verdient. Es ist Zeit, daß du deine Bestimmung kennen lernst. Wenn mir anders die Gewalt der Sympathie recht bekannt ist, so wird eine geheime Stimme in diesem Augenblick deiner Seele sagen, was ich jetzt denke. – »Schöne Celia, alles Sichtbare ist ein Schatten, ein Wiederschein des Unsichtbaren, welches allein ewig und göttlich ist. Deine Seele ist ein Bildniß der Gottheit, deine Gestalt ein Bild deiner Seele. Diese Farben, diese Grazien sind der Glanz, den sie über den Leib ausgießt, durch welchen sie wirken soll. Schönheit ist ein Versprechen, wodurch sich die Seele verbindet, groß, edel, nachahmenswürdig zu handeln. Sie ist der Reiz, wodurch wir auf die lehrende Tugend aufmerksam gemacht werden sollen. Denn eine Schöne soll eine Lehrerin seyn, eine Lehrerin durch die Beispiele, die sie gibt. Die Tugend, die, in Schönheit gehüllt, mitten unter die Menschen tritt, mit ihnen Umgang pflegt und vor ihren Augen handelt, gefällt mehr, rührt zärtlicher, drückt tiefere Spuren in die Herzen, als in den Regeln der Weisen, ja in den reizendsten Dichtungen eines RichardsonSamuel Richardson, geb. 1689 in Derbyshire, gest. 1671 zu London, wo er Eigenthümer einer Buchdruckerei war, ist der eigentliche Begründer der Familienromane. Seine Pamela, Clarissa und Grandison, die dem Verfasser den ehrenvollen Namen des Shakespeare unter den Romandichtern erwarben, erschienen alle kurz vor Wielands ersten Schriften (in den Jahren 1740–1753) und blieben auf diesen nicht ohne großen Einfluß. – Miß Byron und Shirley, deren weiter unten gedacht wird, sind Personen aus Richardsons Romanen.. Die Sittsamkeit scheint einnehmender, wenn sie auf schönen Wangen erröthet; die Empfindungen, welche Ordnung und Güte des Herzens zeuget, tönen lieblicher von schönen Lippen; und wie entzückt uns ein schönes Auge, das sich voll andächtiger unverstellter Andacht gen Himmel hebt und die göttlichen Gedanken, die in der frommen Seele aufwallen, durch einen hellern blendendern Glanz entdeckt! Wenn Weisheit, wenn Unschuld, wenn Demuth, wenn die großen Gesinnungen 10 welche der Glaube der Christen einflößet, auf Herzen, die durch die sichtbare Schönheit schon erweicht und bildsam geworden, in aller ihrer Stärke wirken, wie können sie anders als diese höhere Schönheit bewundern? Und bei jeder edeln Seele wird aus Bewunderung Liebe, aus Liebe Nacheiferung entstehen. O Celia, wie könntest du eine Wohlthäterin der Menschen werden! Wie viele Thoren könntest du beschämen, welche nicht glauben wollen, daß eine Tugend, die man prüfen darf, in einem zärtlichen Busen zugleich mit der Jugend wohnen könne! Wie viele könntest du zwingen, die Tugend wider ihren Willen zu ehren! wie viele, die sich sonst vor ihr fürchteten, würden, von deinen Reizungen angezogen, sie in der Nähe sehen und liebenswürdig finden! Wie würde die blose Ungewöhnlichkeit der Sache aufmerksam machen! Man würde glauben, es sey ein Engel unter den Menschen erschienen, sie durch Thaten zu lehren, ob vielleicht Schönheit und Weisheit, wenn sie zusammen verwebt wären, diese Unachtsamen rühren möchte, welche zu sinnlich sind, die Tugend in ihrer eigenen Gestalt zu lieben. O Celia, betrüge nicht die Absichten des Schöpfers, der dich gebildet hat! Mache deine Grazien nicht zu Sirenen, die uns zum Tod einladen! – Vergib, vergib, schöne Freundin, meinem redlichen Eifer! Ich weiß, du würdest lieber diese glänzenden Farben verlieren, als eine sittliche Häßlichkeit unter einer so reizenden Larve, eine Schlangenseele unter diesen Blumen verbergen wollen. Ich sehe noch mehr! Ein edles Bewußtseyn glüht in deinen Augen; eine Empfindung deiner selbst, eine heilige Ahnung erschüttert dein Herz. Du verschmähest die tändelnde Aufwartung menschlicher Insecten, in was für Farben sie auch zu schimmern belieben. Du sehnest dich nach dem Beifall des Königs und Richters 11 der Welt, der bis in die Irrgänge unsrer Neigungen sieht und jede unsrer Thaten abwägen wird. Mit welch einer Schönheit wirst du unsre so verunstaltete Welt vermehren! Wie werden dich alle Freunde der Tugend lieben! Welch einen Himmel wird in deinem Besitz der Glückliche finden, dem dich die Vorsicht zur Belohnung seiner Tugend schenken wird! Wie selig werden die seyn, die du an deinem mütterlichen Busen zur Unschuld bilden wirst! Du wirst eine Byron in deinen blühenden Tagen und eine verehrungswürdige Shirley seyn, wenn silberne Haare dein Haupt decken, und das Alter deinen Wangen ihre Rosen, aber nicht deinem Gesicht die harmonischen Züge wird entwendet haben.«



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