Christoph Martin Wieland
Die Natur der Dinge oder Die vollkommenste Welt
Christoph Martin Wieland

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Inhalt des sechsten Buchs.

Alle empfindenden Wesen sind zur Glückseligkeit bestimmt. Gott allein ist die Quelle der Glückseligkeit. Das Anschauen Gottes. Die Geschöpfe, die dazu noch unfähig sind, werden stufenweise dazu vorbereitet. Alles Schöne und Gute ist als etwas Göttliches unsrer Neigung werth. Anrede an die Menschen, die durch Irrthum und Leidenschaft betrogen werden. Gemälde der drei Hauptleidenschaften; wobei im Gegensatz gezeigt wird, daß die Tugend allein erfülle, was die Leidenschaften betrüglicher Weise versprechen. Das Laster störet die Ordnung und das allgemeine Wohl, ohne diejenigen glücklich zu machen, die es ausüben. Die Tugend allein verbindet unser Privatglück mit dem allgemeinen. Ursprung des sittlichen Uebels. Die daraus entstehenden Zweifel werden durch die bekannte Hypothese des Origenes aufgelös't, welche, ungeachtet sie von der Kirche verworfen worden, wenigstens in einer poetischen Kosmologie, wo das ganze System blos als eine wahrscheinliche Dichtung anzusehen ist, geduldet werden kann. 127

 


 

Sechstes Buch.

          O Muse, die durch mich Gott und die Welt besang,
Hoch überm niedern Schwarm, der an des Berges Hang,
Wo sich der Lorbeerhain in tiefe Hecken endet,
Die musikal'sche Luft mit rauhen Halmen schändet:
Misch' deine Symphonie in meine Saiten ein,
Und laß des Liedes Schluß des Vorwurfs würdig seyn.

Dieß All ist Gottes Werk, ein Schauplatz solcher Wesen,
Die seine Güte sich zum Gegenstand erlesen.
Dieß ist der hohe Zweck, nach welchem alles strebt;
Was fühlen kann, fühlt Gott, sich selbst, die Welt und lebt
Die Ewigkeiten durch, auf gipfellosen Leitern
Sein immer steigend Glück, Gott nahend, zu erweitern.

Du Herr! stets gleich dir selbst, du blickst uns segnend an,
Da wir, wie Ströme, dir aus unsern Ufern nahn.
Mit göttlich süßer Lust siehst du bei deinen Kindern,
Die dir verhaßte Pein, der Wesen Schuld, sich mindern.
Du, weise Liebe, führst, mit niemals müder Hand,
Dein niedriges Geschöpf, das noch ein irdisch Land
Fern unter dir enthält, umschränkt von Fleisch und Blute
Auf tausendfachem Pfad zu dir, dem höchsten Gute. 128
O lehre mich den Weg, durch den, von dir gelenkt,
Dein Volk zur Wonne eilt, die deinen Liebling tränkt.

Gott ist der Quell der Lust. Denn aus Vollkommenheiten
Strömt alle Wollust aus in alle Geistigkeiten,
Und beider Quell ist Gott. Des Seraphs reine Brust
Schöpft ganz allein aus ihm die höchste Himmelslust,
Nach der, was uns vergnügt, von fern' nachahmend, zielet.
Ein Augenblick, den er in Gottes Anschau'n fühlet,
Ist süßer als die Lust, so himmlisch sie auch ist,
Die in zwei zärtlichen vereinten Herzen fließt,
Wenn sie, getreu umarmt, nach viel genoss'nen Jahren,
Ein sanfter Tod, zugleich, zu höherm Glück läßt fahren.
Er sieht der Wahrheit Licht in ihrem ersten Quell
Entzückend schön und rein und unbewölkbar hell;
Da jene Ströme, die zu niedrern Welten fließen,
Ihr Glanz je mehr verläßt, je weiter sie sich gießen.
Es wallt sein glühend Herz in unstörbarer Ruh'
Anbetend, sehnsuchtsvoll, dem nahen Schöpfer zu.
Wie ein äther'scher Strom in schimmernden Gestaden
Sanft wellend fließt, bewohnt von himmlischen Najaden,
Der Engel Freundinnen. Wie schwimmt sein froher Blick
In hoher edler Lust bei seiner Brüder Glück!

Dieß ist die höchste Lust, die Gottes Schau'n gewähret,
Geringrer Freude Ziel, die unsern Durst vermehret
Und nie ersättiget. Denn nur ein kleines Heer
Gottgleicher Cherubim lebt in der ersten Sphäre
Mit Gott, und fühlte nie die Schranken die uns zwingen.
Die andern, welche noch mit Macht und Schwäche ringen,
Sind noch nicht reif zum Glück, das jenen Helden lacht,
Die ihre Herrlichkeit zu Gottes Freunden macht.
Zwar ist ihr ew'ger Trieb nach unvermischter Wonne 129
Der Hoffnung sichres Pfand, daß, wenn noch manche Sonne
Wird abgelaufen seyn, sie einst die Folgezeit
Entführt der niedern Welt, mit Engelspeise weid't.
Doch jetzt erträgt ihr Aug' noch nicht das hohe Glänzen
Des göttlichen Gesichts; bezirkt von engen Gränzen
Labt sie ein irdisch Gut, und täuschet, bald bereut,
Die hungernde Begier mit Schein und Eitelkeit.
Doch soll es unser Herz zu größern Seligkeiten,
Auf die kein Ekel folgt, nachahmend vorbereiten.
Drum mischte Gott der Lust, die aus der Körperwelt
Uns zuströmt, etwas ein, das aus ihm selber quellt,
Verschlämmt mit trübrer Flut. Was unsern Sinn vergnüget,
Scheinbare Trefflichkeit, die uns nicht lang betrüget,
Noch mehr, ein wirklich Gut, das unser Herz erfüllt,
Ist dem Ursprünglichen von fern' nur nachgebild't.
Sein reiner Nektar ist's, der unsre Lust versüßet;
Was von Vollkommenheit hier unser Herz genießet,
Was uns durch Anmuth reizt, und schöne Symmetrie
In edeln Zügen zeigt; der Töne Harmonie,
Der Farben süßes Spiel, kurz was uns hier entzücket,
Ist jenem Urbild matt und stumpf nur abgedrücket.
Hier ist's, wo alle Zier, wo alle Trefflichkeit
In ew'ger Blüthe strahlt und keine Schranken leid't;
Kein Flecken trübt sein Licht, obgleich die reinsten Sphären
Sich noch mit Dunkelheit und mattem Glanz entehren.
Kurzsichtiges Geschlecht, das unbesorgt vergißt,
Was dir für Hoffnung keimt, wozu du ewig bist,
Häng' nicht ein Herz, gemacht den Engeln gleich zu fühlen,
An Blasen ohne Dau'r, womit nur Kinder spielen.
Sprich du, der Wollust Sklav', im buhlerischen Arm
Der schnöden Ueppigkeit, von wilden Trieben warm, 130
Von halb gefühlter Lust, und mehr von Sehnsucht, trunken;
Und du, der mit Silen in Weinlaub hingesunken!
Sprecht, was ist eure Lust? Wie lang vergnüget sie?
Lohnt ihr Genuß euch auch die dran verschwend'te Müh'?
Vergilt sie den Verdruß, den Ekel und die Schmerzen,
Die, angenehm verlarvt, um eure Scheitel scherzen?

Dem Freund der Tugend nur strömt mit der Seelenruh'
Sogar die Sinnenlust ganz rein und lauter zu.
Ihm pranget die Natur mit tausend Lustbarkeiten,
Ihm lächelt Luft und Flur, ihm schmücken sich die Zeiten
Des wandelbaren Jahrs, ihm duftet dort im Thal
Manch schönes Frühlingskind, ihm singt die Nachtigall,
Und Doris reiner Kuß, unfühlbar thier'schen Seelen,
Weiß seinem ernsten Glück auch Anmuth zu vermählen.
Die Tugend ist's allein, die uns den ächten Werth
Der Güter dieser Zeit, und sie genießen lehrt.
Die Lust, die sie für uns aus ird'schen Gütern ziehet,
Stärkt unsre Sehnsucht nur, die nach der Zukunft siehet.
Sie labt nur unsern Geist, wenn er, von Muth belebt,
Mit angespannter Macht der Wahrheit nachgestrebt,
Und ihm, bei strenger Müh', die matten Kräfte weichen:
So wie ein hauchend Oel, das von arab'schen Sträuchen
Balsamisch abgeträuft, den schwachen Pilgrim stärkt,
Der bald am kürzern Weg sein heilsam Wirken merkt.

Und du, noch größrer Thor, vom Ehrgeiz umgetrieben!
O schmeichle ja dir nicht ein besser Gut zu lieben,
Als jener Knecht der Lust. Du siehst ihn höhnend an:
»Mich, prahlst du, reizt allein die dornenvolle Bahn,
Nur Helden unversagt; die Macht der schönsten Blicke
Prallt kraftlos von mir ab; dem feindlichsten Geschicke
Trotzt mein gestählter Muth, und Arbeit, Schmerz und Tod 131
Sind mir, was Wollust dir! Wo Mavors donnernd droht,
›Da grünen Lorbeern mir, da ist das Feld der Ehre,
›Wo ich im Vorgenuß bereits die Hymnen höre,
›Die mir die Nachwelt singt, wo mir die Krone strahlt
›Die all mein Herzensblut zu wohlfeil noch bezahlt.‹«

Gepriesen seyst du, Held, und wird's dein Erbe zahlen,
So soll in Bavens Lied dein blut'ger Name strahlen!
Empfindungslos zur Lust, die zärtre Herzen reizt,
Hast du nach theurem Nichts und unserm Blut gegeizt.
Verächtlich's Lob für dich (Sokraten mag es gleißen!),Unter die Stellen, welche den künftigen Wieland wie im Keime zeigen, gehört gewiß auch diese voll starker Ironie. Besonders bemerkenswerth scheint mir die Gedankenkürze in der Parenthese mit dem hiezu wohl von Wieland eigens gebildeten Worte gleißen statt: einen gleißnerischen Firniß anstreichen.

Bavius und Mävius haben seit Virgils Zeiten alle elenden Versemacher repräsentirt.

Philaret, Griechisch gebildeter Name, Tugendfreund.


Wie Gott, nur wohl zu thun, der Menschen Freund zu heißen!
Wenn sich um Philaret ein Heer von Wünschen drückt,
Die manch' erkenntlich Herz für ihn zum Himmel schickt,
Wenn Wittwen für ihn stehn, und Waisen für ihn girren;
Um dich soll rühmlicher ein Schwarm von Seufzern irren,
Der Mutter Jammerton, die Todesangst der Braut,
Die den Geliebten sich im Blute wälzen schaut,
Der Kinder Angstgeschrei, schallt lieblicher für Helden!
Und warum fließt dein Blut? Soll einst ein Dichter melden,
Die Welt und dein Geschlecht, dir kaum zum Tödten werth,
Hab' jenen Tag verflucht, der sie mit dir entehrt?

Auch uns spornt edler Muth, ein Trieb nach hohen Ehren,
Des Geistes Trefflichkeit durch Tugend zu verklären.
Wir ringen, ohne Blut, den edeln Lorbeern nach,
Die einst ein Antonin im Schooß der Weisheit brach.
Uns ist Sokrat ein Held! Der Brüder Heil zu mehren,
Erwirbt uns größern Ruhm, als dir, es zu zerstören.
Die Weisheit glänzt um uns, und breitet unsern Preis
In ferne Welten aus, wo man von dir nichts weiß.
Und soll uns ja der Tod den Ruhm der Helden geben,
So ströme unser Blut für unsrer Brüder Leben! 132

Ach! ist es nicht genug, daß Stolz und schnöde Lust
Uns selbst und andre quält, und schändet unsre Brust;
Muß auch die stinkendste von allen Lasterquellen,
Der Triebe schändlichster, der Menschheit Glück vergällen!
Elender, der du dort aus hohlen Augen schielst
Und in verfluchtem Gold, dem Blut der Armen, wühlst,
So gibst du Seelenruh' und Tugend und Vergnügen
Um Klumpen, die verbannt in tiefen Klüften liegen!
Sprich, Stax, wem sammelst du? Vielleicht der Ewigkeit,
Vielleicht ein dauernd Gut, das noch im Tod erfreut,
Das mit dir übergeht, wenn du dieß Haus wirst sehen
Sich, fern von deinem Blick, zu deinen Füßen drehen?
Vielleicht ein heilsam Gut, wovon die Welt genießt,
Das auf dein Vaterland zum Dienst der Tugend fließt,
Wovon du Arme nährst, und im verlass'nen Waisen
Einst einen Bürger ziehst, den späte Söhne preisen?
O nein! so ungeschickt brauchst du den Reichthum nicht!
Es sey, daß dem Philet erseufztes Brod gebricht,
Es sey, daß dort im Staub ein dürftig Kind verschmachtet;
Du hast den schwachen Trieb schon längst voll Muth verachtet,
Der uns zu Brüdern neigt, die, uns an Rechten gleich,
Ihr härtres Glück verläßt; du bist nicht andern reich.
Wie? den errungnen Preis von so viel falschen Schwüren
Sollst du zu Fremder Brauch aus seinem Kerker führen?
Nein! Ungenützt schließ' ihn, bewachter Kasten, ein!
Ein wenig klügrer Sohn mag ihn dereinst zerstreu'n!

Betrogner! wüßtest du, wie reich die Tugend machet,
Du hättest wahrlich nie bei einem Schatz gewachet,
Der dir nur Rauschgold ist, weil der ihn nur besitzt,
In dessen kluger Hand er tausend andern nützt.
Die Tugend nur macht reich, sie folget uns in Welten, 133
Wo Ahnen-Ruhm und Gold kaum bunte Schalen gelten.
Sie darf des Reichthums nicht, die ganze Welt ist ihr,
Der silbergleiche Bach, der Auen goldne Zier;
Und der, durch dessen Fleiß das Wohl der Welt sich mehret,
Darbt nie verdientes Brod, das ihn den Menschen nähret.

Die ihr ein täuschend Gut, nach dem ihr brünstig lauft,
Mit wahrer Lust, ja oft mit fremdem Blut erkauft,
Wie thöricht, ohne Rast nach eiteln Schatten jagen,
Und dem vollkommnen Gut aus eigner Schuld entsagen!
›Doch nein! Ihr gleicht dem Fisch, der nach der Fliege springt,
›Und, wie er sie erhascht, den Angel mit verschlingt;
›Zu rasch bald in der Wahl und bald im Maß der Freuden,
›Ergreift, an ihrer Statt, ihr oft verkappte Leiden;
›So wie Irion dort, von Götterwein berauscht,
›Die Himmelskönigin mit einer Wolke tauscht.

›Doch immer möchtet ihr für eure Thorheit zollen!
›Allein daß, was ihr fehlt, wir andern büßen sollen,
›Daß Millionen oft durch eines Einz'gen Schuld
›Unglücklich sind, erregt des Edeln Ungeduld.
›Und nur zu oft, wenn Gram das Blut in seinen Adern
›Vergället, fühlt er sich versucht mit Gott zu hadern.‹

O du, so ruft er aus, wenn du die Liebe bist,
Wie, daß in deiner Welt, ein Wesen elend ist?
Wie, daß ein ganz Geschlecht, weil's ihm an Weisheit fehlet,
Sein eigner Henker wird und andre mit sich quälet?
›Vergebens hast du mit Vernunft uns ausgeziert!
›Was hilft ein Führer uns, der stets uns irre führt?
›Wofür zu Menschen uns, das ist, zu Thoren schaffen?
›Warum zu Engeln nicht, und wenigstens zu Affen?
›O! sage lieber gleich, der Mensch soll gar nicht seyn!
›Soll, in der ew'gen Reih' der Möglichen, allein 134
›Nur er, dieß einz'ge Glied der ganzen Kette, fehlen!
›»Warum nicht? Besser, als sein Daseyn hinzuquälen,
›Viel besser gar nicht seyn!« – Unsinniger! bedenkst
›Du auch, was du so rasch mit deinem Seyn verschenkst?
›Wie kannst du im Gefühl des Augenblicks vergessen,
›Daß Sonnenalter selbst nicht unser Daseyn messen,
›Und dieses Lebens Noth so schnell vorüber streicht,
›Als strenge Mittagsglut dem kühlen Abend weicht.
›Kommt denn nicht eine Zeit, da jedes Drangsal schwindet,
›Das deine Ungeduld zu schwer zum Tragen findet?
›Ja wär' ein krankes Herz zur Bess'rung ungeschickt,‹
Blieb' ein verirrter Geist im Irrthum stets verstrickt,
Wär's ewig ihm verwehrt ins Reich des Lichts zu dringen,
Und endlich sich dem Pfuhl des Lasters zu entschwingen:
Dann wär's beklagenswerth, daß ihn die ew'ge Macht
Aus dem unfühlbar'n Nichts zur Qual hervorgebracht.
Doch also schuf uns nicht die Huld, die uns erwählte
Uns ewig wohlzuthun, uns darum nur beseelte,
Und darum nur ihr Ziel (nach unserm Wahn) vergißt,
Weil, was uns Zukunft heißt, ihr gegenwärtig ist.
O ihr, die ihr für uns, mehr Mitleid werth als Rache,
Ein ewig Qualreich baut, ihr führt der Gottheit Sache
Mit ungeschickter Hand! Wißt, daß sie anders denkt,
Sie, deren Güte ihr in wenig Jahre schränkt.
›Ach nur zu sehr gestraft sind die, die Gott verlassen!
›So haßt kein Feind, wie sich die Bösen selber hassen.‹
Das Laster straft sich selbst. Der himmlische Genuß
Der Tugend, die ihr Herz aus Schuld entbehren muß,
Straft sie unendlich mehr, als wenn, so lang die Kreise
Der uns sichtbaren Welt sich drehn in ihrem Gleise,
Ein ewig Feuer sie, stets unzerstörbar, nagt. 135
Der Durst, der Tantaln dort im neid'schen Wasser plagt,
Das lieblich um ihn perlt und lad't den Mund zum Trinken,
Der sich umsonst bemüht, zu ihm herabzusinken,
Ist nur ein matter Schmerz (wie ein verlöschtes Bild
Von längst empfundner Pein, die bald das Glück gestillt),
Verglichen mit der Qual im nagenden Gewissen,
Der furchtbar'n Qual, daß wir für unsre Thorheit büßen,
Und mit verklärtem Blick die Seligkeiten sehn,
Die uns vielleicht wohl gar Aeonen lang entgehn.
›Doch, legte auch Gott selbst, als Richter, neue Plagen
›Den Wunden zu, die sich die Sünder selbst geschlagen,
›So wär's aus Güte nur: wie, zum Verzeihn geneigt,
›Ein Vater im Gesicht verstellte Härte zeigt,
›Und, weit entfernt die Straf' aus Rache zu vergrößern,
›Aus bloßer Liebe zürnt, und züchtigt um zu bessern.
›Oft ist des Kranken Qual der einz'ge Weg zur Cur;
›Doch quälen ohne Noth kann ein Busiris nur.
›Kein Sterblicher begeht unendliche Verbrechen,
›Und ein gerechter Gott straft nicht, nur sich zu rächen.
›Er, der das Räderwerk der Welt, die er gebaut,
›Der Wesen Innerstes, mit Einem Blick durchschaut,
›Und selbst die Kette zog, an der sich alles schließet
›Und in einander greift und aus einander fließet,
›Weiß daß dem Guten nichts den ew'gen Fortschritt wehrt,
›Und daß das Uebel sich allmählich selbst verzehrt.
›Seyd unbesorgt! Zuletzt muß seine Weisheit siegen,
›Und um der Schöpfung Zweck wird ihn kein Feind betrügen!
›Nur macht erst lange Pein und tiefgefühlte Reu'
›Die Sünder aller Art aus ihrem Kerker frei.‹

Dort, wo in kalter Fern' Saturn sich wolkicht drehet,
Und unzugänglichs Licht vom weißen Ring empfähet, 136
Der dumpficht ihn umfaßt, wie uns ein blasser Mond
Aus herbstlichem Gewölk vom grauen Horizont
Unkräft'ge Strahlen send't: dort quält die strafbar'n Seelen,
Ungleich gemess'ne Pein, in martervollen Höhlen.
Einsame Stille streckt mit Angst und kaltem Graus
Verbreitend über sie die furchtbar'n Flügel aus.
Hier seufzen in der Brust bekümmernde Gedanken,
Die, zitternd, ungewiß, den matten Geist durchwanken,
Beraubet jener Lust, ach ewiglich beraubt,
Die das berauschte Herz vom Ende frei geglaubt,
Um die es Seelenruh' und Hoffnung bess'rer Freuden
Bezaubert gab, und rang nach theu'r erkauften Leiden.

›In einer finstern Gruft, von Felsen eingezwängt,
›Durch deren struppigt Haar kein Sonnenstrahl sich drängt,
›Liegt auf verfaultem Moos, von tiefem Gram verzehret,
›Ein Lüstling, gleich gequält durch was er jetzt entbehret
›Und was er einst genoß. Mit Sehnsucht, Scham und Reu'
›Wird jede Scene ihm von seinem Leben neu.
›Vergebens strebt er, noch am Schatten jener Freuden,
›Worin er einst geschwelgt, sich wenigstens zu weiden;
›Umsonst! zum Geyer wird der Lasterhaften Lust
›Erinnerung und nagt an seiner blut'gen Brust.
›Das schreckliche Gemisch von Ekel und Begierden,
›Die, selbst befriedigt, ihn nur schärfer quälen würden,
›Befördert, schmerzlich zwar, der Seele Reinigung,
›Bis sie vollendet ist, und nun mit mächt'gem Schwung
›Sein neugeborner Geist der Kerkerluft entrinnet
›Und einen neuen Lauf zu seinem Ziel beginnet.‹

So schwindet nach und nach das Uebel aus der Welt,
Das jetzt die Ordnung stört und unser Glück vergällt;
So wird die Zukunft erst des Schöpfers Güte preisen. 137
Dann lös't sich alles auf; dem zweifelreichen Weisen,
So wie dem Grübler, der vor Witz die wahre Bahn
Verfehlte, wird das Buch des Schicksals aufgethan;
Wer jetzt im Dunkeln tappt, wird dann im Lichtmeer schwimmen,
Und jeder Mißton rein, zum Klang der Sphären stimmen;
Dann wird von jeder Noth, die jetzt die Welt noch drückt,
Im allgemeinen Glück die Spur nicht mehr erblickt;
Die ganze Schöpfung wird von ew'gem Dank erschallen,
Und du, Unendlicher, wirst Alles seyn in Allen!

 


 


 << zurück