Christoph Martin Wieland
Die Natur der Dinge oder Die vollkommenste Welt
Christoph Martin Wieland

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Inhalt des dritten Buchs.

Widerlegung derer, welche die Materie aus Atomen zusammen setzen. Die Monaden des Herrn v. Leibnitz bestritten. Vortrag einer Hypothese, nach welcher die Materie ihrer Natur nach unendlich theilbar seyn, und jedes einfache Wesen mit einem unsichtbaren, unvergänglichen, und von ihm unzertrennlichen Leibe, verknüpft seyn soll. Widerlegung der drei bekannten Hypothesen, über die Art des Zusammenhangs der Seele mit dem Leibe. Vortrag einer neuen Auflösung dieses Problems, von welcher es einigen Lesern scheinen wird, daß sie ihrem Erfinder nicht viel begreiflicher sey, als ihnen. Dieses Buch endet sich mit Behauptung des Satzes, daß die kleinsten Theilchen (Samen, Stamina, Molecules) der Körper aus den oben gedachten unvergänglichen ätherischen Leibern einfacher Substanzen bestehen; und daß nicht mehr Materie sey, als zu dieser Verhüllung der einfachen oder geistigen Wesen nöthig ist; eine Meinung, aus welcher folget, daß der Stoff bis in seine kleinsten Theile organisirt sey. 55

 


 

Drittes Buch.

              Der Weisheit ersten Zeit, dem klugen Griechenland,
War, was vom Stoff sich trennt, ganz fremd und unbekannt.
Kein Anaxagoras, so scharf sein Geist sonst richtet,
Kein Plato, was er auch von Ur-Ideen dichtet,
Schied je den Geist vom Stoff; der ernste Stagirit,
Und der von Citium folgte ihm und irret mit.
Und muß nicht ihr Begriff von körperlichen Dingen
Daher mit Dunkelheit und Vorurtheilen ringen?
Aus Stäubchen ohne Geist fügt Epikurus Zunft
Die ganze Geisterwelt, und trotzet der Vernunft;
Leucipp macht sie gezackt, sie leichter zu verbinden,
Und dem von Agrigent gefällt es, sie zu ründen.
Ein Thales baut die Welt aus samenvoller Flut,
Die Wahrheit stimmt ihm bei, und heißt den Grundsatz gut;
Doch auch dieß Element theilt er bloß in Atomen,
Und läßt aus ihrem Fluß der Dinge Formen kommen.Daß hier Wahres und Falsches gemischt sey, erkannte und bekannte Wieland bei der Ausgabe von 1770 sehr klar. So bemerkt er zu Z. 4: »Es scheint, hier sey dem guten Platon zu viel geschehen. Unser Poet war freilich, als er dieses Gedicht schrieb, der Mann nicht, der einen Platon kennen oder beurtheilen konnte; und ich zweifle, ob es zu seiner Entschuldigung genug ist, daß es noch immer Magistros ab alta Platea gibt, welche mit gleicher Unwissenheit, zum wenigsten eben so cavalierisch, von den Alten zu sprechen pflegen.« Welcher Billige wird aber den siebzehnjährigen Verfasser tadeln, daß er zu der Zeit, wo er dieses Gedicht schrieb, nicht höher stand als Brucker! Zur Berichtigung dieser Stelle mögen wenige Worte hinreichen. – Es ist allerdings richtig, daß man anfangs in Griechenland, so wie im ganzen Orient, zwischen Materie und Geist keinen solchen Gegensatz machte, wie wir; denn man ging nicht von der todten, sondern von einer lebenvollen Natur aus (nicht von einer atomistischen, sondern dynamischen Physik, von Hylozoismus), unterschied nicht zwischen Lebensprincip und Seele, und fand daher die Natur von Seele durchdrungen (Weltseele), die Materie wirkend durch Geist, durch Gotteskraft. Es gab mithin nichts als Pantheisten. Mit Anaxagoras, dem Lehrer des Sokrates, änderte sich dieß, und alles schien sich vereinigt zu haben, diesen seltenen Menschen dazu zu bilden, daß die Philosophie durch ihn auf einen andern Standpunkt gestellt würde. Er zuerst dachte die Natur als ein Analogon der Kunst, verglich die Naturwerke mit Kunstwerken, und dadurch entsprang ihm der Gedanke an eine Intelligenz als Formenschöpfer und Welturheber, nicht mehr bloße Weltursache, die nur Naturwirkungen hervorbringt. Indem er die Gottheit dachte als eine selbstständige, freie, von der Welt unabhängige Intelligenz, die mit Absicht und zweckmäßig wirke, wurde er der Schöpfer der ersten Vernunftreligion. Zweierlei wichtige Folgen mußte dieß haben: daß man nun in der Naturforschung von dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit ausging (teleologisch verfuhr), und das Physische von dem Psychischen abgesondert dachte. In der That hob er zuerst das Unbestimmte in dem Begriff der Psyche (Seele) auf, und erklärte sie für den bloßen Grund der Empfindung und Bewegung (Princip der Animalität), nahm sie aber nicht für einerlei mit dem Intellectuellen, sondern setzte ein Höheres über sie (den νους), als Grundursache des Denkens und Wollens, der freien Absicht und der zweckmäßigen Selbstthätigkeit. Er befaßte also darunter alle sogenannten höhern Geisteskräfte. Nur nach einer so bestimmten Vorstellung des Geistesprincips war es möglich, auch ein Weltprincip als Intelligenz zu denken, und es von der Welt abzusondern, dahingegen die Psyche als Seele auch die Welt durchdringend gedacht ward. – Durch Anaxagoras sind also zwei Welten sich entgegengesetzt, die materielle und die Geisteswelt, so wie Natur und Gott. – Wenn also auch den Griechen vor Anaxagoras, was vom Stoff sich trennt (Geist) unbekannt war, so kann dieß doch weder von ihm noch von seinen Nachfolgern behauptet werden. Zu diesen gehören vornehmlich Sokrates und dessen bewundernwürdiger Schüler Platon, welcher weit entfernt war, mit dem, was Anaxagoras geleistet hatte, sich zu begnügen. »Ich freute mich, sagt er, als ich bei Anaxagoras las, der Geist (νους) sey die weltbildende Ursache, denn ich erwartete, er werde nun zeigen, wie der Geist nach Ideen und Zwecken alles aufs beste eingerichtet habe, und darin den letzten Grund suchen von allem, was ist. Allein wie sehr fand ich mich hernach getäuscht, als ich sah, daß er von der Idee einer Intelligenz keinen Gebrauch mache, noch aus ihrer Ursachlichkeit irgend eine Erscheinung der Welt ableite, sondern vielmehr alles durch den Aether, die Luft, das Wasser und alle andern materiellen Dinge entstehen lasse.« Platon tadelt hier eigentlich, daß Anaxagoras nicht ein reiner Metaphysiker war, sondern als ein consequenter Physiker verfuhr, der von allen Erscheinungen die nächsten Ursachen aufzusuchen hat. Diesen Weg hatten bisher alle Naturphilosophen betreten, und man nannte sie mit Recht Physiker. An ihrer Spitze stand in Griechenland Thales von Milet. Was ihn Wieland von Atomen sagen läßt, hat keinen Grund. Er kannte nur eine Weltseele der sinnlichsten Art, die er in das befruchtende und belebende Wasser setzte, welches er als das Urwesen annahm, aus dem alles entstanden sey, denn das Wasser sey durch und durch veränderlich, und (durch Verdichtung oder Verdünnung) fähig, jede Beschaffenheit anzunehmen. Wie sehr auch seine Nachfolger in Bestimmung des Urwesens wechselten, so verfuhren sie doch alle auf seine Weise, sie suchten das Urwesen auf chemischem Wege zu entdecken und eine dynamische Physik zu begründen. An deren Stelle trat erst durch Leucippus, Demokritus und Epikur eine atomistische, bei welcher aber doch Kraft und Bewegung vorausgesetzt werden müßten. Es schien nun aber gleich ungereimt, einen chaotischen Zustand der Materie anzunehmen, wenn in ihr selbst die bildende Kraft lag, und eine Bewegung ohne eine Ursache derselben zu setzen. Jenes bewog den Anaxagoras, eine Intelligenz nach Zwecken dabei wirken zu lassen, dieses den Aristoteles, nachdem die Gottheit als außerweltliche Intelligenz in der Sokratischen Schule, besonders bei Platon, angenommen war, diese Gottheit zu erklären als die oberste Ursache der Bewegung des Himmels, durch welche alles Uebrige bewegt wird. Allerdings trennte also auch Aristoteles den Geist vom Stoffe, was schon daraus hervorgeht, weil seit Platon und Aristoteles, dem ernsten Stagiriten, Metaphysik und Physik sich von einander trennten. Hat nun der von Citium, d. i. Zenon, geirrt, so hat er wenigstens nicht jenen folgend geirrt. Was er aufstellt, ist neu, wenn gleich nur aus der Verbindung des Vorigen entstanden. An die alles durchdringende Weltseele der sinnlichsten Art (Psyche) tritt das intellectuelle Weltprincip des Anaxagoras, der Weltgeist der Stoiker, aber ganz so wie die Weltseele der Physiker, d. h. nicht als außerweltliches, sondern die Natur durchdringendes und ihr einwohnendes Wesen. Die Gottheit war den Stoikern materielles und Vernunftwesen zugleich, Naturgesetz und Vernunftkraft, und darum das Naturgesetz zugleich der Wille Gottes. – Hier wäre also freilich wieder vereinigt worden, was man vorher abgesondert von einander dachte, – Geist und Stoff. War es indeß nöthig, beide abgesondert zu denken, um die Natur des Stoffes deutlicher zu erkennen, so fehlte es den Griechen wenigstens hiezu nicht an Gelegenheit; und wenn sie hier nicht tief genug eingedrungen sind, so kann es doch hieran nicht liegen. Der von Agrigent Z. 12 ist Empedokles.
Statt auf den ersten Grund der Dinge fortzugehn,
Verfängt er sich im Kleid, und bleibt bei Farben stehn.
Auch mich erhitzt der Trieb, den jene Dichter fühlten,
Als sie von dir, Natur, auf höhern Saiten spielten,
Die Wahrheit lockt auch mich (und o! wie ist sie schön!)
In Akademus Wald ihr forschend nachzugehn.Nach des Horatius: inter sylvas Academi quaerere verum. Ein Grundstück des athenischen Bürgers Akademos, am Ende einer Vorstadt Athens gelegen, und durch seinen stillen Hain den einsamen Denker anziehend, war auf Platon übergegangen, und er errichtete daselbst eine Schule der Philosophie. Man nannte sie die Akademie, welchen Namen die späte Nachwelt aus Verehrung Platons auf die höheren Lehranstalten übertrug.
Voll Muthes wird mein Geist sich in ihr Dunkel wagen,
Und bis ins Mark des Stoffs verwegne Blicke tragen.

Die erste Eigenschaft die uns der Stoff entdeckt, 56
Und die, in welcher auch sein ganzes Wesen steckt,
Ist, daß er ausgedehnt, und solche Theile heget,
Die gleiches Wesens sind. Wer dieß bei Seite leget,
Daß auch das kleinste Stück des Stoffs gedehnt muß seyn,
Gesteht durch seinen Satz die Ungereimtheit ein,
Daß selbst die geist'ge Schaar empfindender Substanzen
Aus dichtem Stoff besteht, als Theile eines Ganzen.

Hier ruft die Muse mich von deinen Pfaden ab,
O Schmuck Germaniens, den ihr der Himmel gab,
Der Wahrheit alte Spur in neuem Licht zu zeigen,
Und fremder Völker Stolz beschämt vor ihr zu beugen.
Zwar hat dein heller Geist, von unsrer Nacht befreit,
Ein ungewohntes Licht in die Natur gestreut;
Doch da kein kluger Fuß der Wahrheit nachgestrichen,
Ist vom verirrten Pfad er seitwärts abgewichen.
Wie rühmlich ist uns hier ein kleiner Irrthum nicht,
Wo selbst des Engels Blick mit Dunkelheiten ficht,
Und nur den höchsten Geist, der in sich alles siehet,
Des Irrthums Möglichkeit und unser Nebel fliehet!
Der Stoff weicht scheu vor dir; die gränzenlosen Weiten
Des leergewordnen Raums füllst du mit Geistigkeiten;
Ausdehnung und Figur machst du bloß zur Idee,
Die Farb' und Bildung nimmt, weil ich verworren seh'.
Zu viel war dieß gewagt! An zweifellosen Gründen
Soll dein Monaden-Heer siegreiche Feinde finden.

Gesetzt, der wahre Stoff löst in des Weisen Geist
In Elemente sich, die kein Begriff zerreißt,
Die völlig einfach sind, und nur durch innre Regung
Vom Unding ferne stehn: so muß auch die Bewegung,
Der Dinge steter Fluß, in den Monaden seyn:
Aus ihnen quillt sie aus, in sie gießt sie sich ein. 57
So gibt dein Lehrbegriff den Geistern Eigenschaften,
Die ihre Art nicht leid't, die nur an Körpern haften.

Sprich, ist dein heller Geist von allen Bildern frei,
Fällt bei der Monas nicht ein sinnlich Bild ihm bei?
Schließt nicht die Phantasie den geistigen Gedanken
Dir, unbegreiflich schnell, in eines Pünktchens Schranken?
Einheiten will man sehn, ein Stäubchen zeigt sich dir,
Aus beiden bildest du ein neues Wunderthier.
Nie hat der braune Sand, der Zara's Wüsten füllet,
Ob ihn gleich jeden Tag ein neues Wild durchbrüllet,
Solch eine Frucht geheckt; so seltsam füget nicht
Horaz mit einem Fisch ein reizendes Gesicht;
Ja die Monaden selbst, als sie sich voll Verlangen,
Der ernsten Pallas gleich, aus deinem Haupte drangen,
Erstaunten ganz beschämt, sahn sich verwundernd an,
Da sie in deiner Hand sich so verwandelt sahn.
Was sich, dem Wesen nach, vom Körper unterscheidet,
Kennt auch die Wirkung nicht, die nur ein Körper leidet;
Was wirklich einfach ist, ist schon den Seelen gleich,
Zum Fühlen aufgelegt; ein Glied vom Geisterreich.
Von Gott nur hängt es ab, es schöpfrisch anzuhauchen,
Und wann wird seine Huld die Allmacht nicht gebrauchen?
Kann, der die Liebe ist, ein fühlbar Wesen sehn,
Gleich dem entseelten Tod vor seinen Augen stehn?
O! nein was einfach ist, nimmt Theil an seiner Güte,
Und fühlt in seinem Schooß ein denkendes Gemüthe.
Wie aber? soll ein Geist zwei Kräfte, die sich fliehn,
In seinem Wesen sehn, und doppelt sich bemühn?
Leid't dieses die Natur entkörperter Substanzen?
Kann Gott in einen Geist ungleiche Kräfte pflanzen?
Komm, ehre die Vernunft; gesteh', von ihr besiegt, 58
Daß deine Monas sich zum Element nicht fügt;
Viel eher schnitzest du aus zähem Feigenbaume
Den göttlichen Mercur, und baust aus leichtem Schaume
Die schöne Cypria, die stolz der Zephyr küßt,
Da sie, durch seinen Hauch belebt, die Nymphen grüßt,
Als daß ein Stoff entstünd' aus tausend Myriaden
Von unbeschaulichen geistähnlichen Monaden.

Sprich, der du sie verfichtst, damit kein Zweifel bleibt,
Wie macht's die Monas dir, wenn sie die andre treibt?
Geschieht es durch den Stoß? Wie kann sie sie berühren?
Wie kann sie fremden Druck, unausgedehnet, spüren?
O! flieh zur Schule hin, flieh zur verborgnen Kraft,
Und hilf dir dichterisch durch dunkle Eigenschaft!
Mit gleicher Kunst läßt Bav, den Knoten zu entschlingen,
Den unversehnen Gott aus einer Wolke springen.

Noch eine Eigenschaft, die keine Monas schmückt,
Noch ein Beweis, wie oft der Witz den Geist berückt!
Das niedrigste Geschlecht der regen Geistigkeiten
Sind die, aus denen sich die Körper ihm bereiten.
In diese leget er ein idealisch Bild,
Des unmeßbaren Alls, in Dunkelheit gehüllt;
Sie fühlen nichts davon; nach träger Austern Weise
Durchschlafen sie den Lauf der ewig regen Kreise.
So wie Cytherens Bild und Nebenbuhlerin,
Der Stolz der Knidier, doch Marmor, ohne Sinn,
Beim liebestrunknen Kuß des JünglingsLucian erzählt von einem Jüngling zu Knidos, der für die berühmte marmorne Bildsäule der Venus, welche den Tempel dieser Göttin daselbst allen Reisenden merkwürdig machte, eine eben so heftige Leidenschaft gefasset, als nur immer eine lebende Venus entzünden kann. nichts empfindet,
Der sich verzweiflungsvoll um ihren Busen windet;
Vergebens schließt er sie in glühnden Armen ein,
Die Göttin fühlt es nicht und bleibt ein schöner Stein;
So wenig fühlt in sich die schlafende Monade
Das Bild der fremden Welt und ihres Wesens Grade; 59
Sie würde für sich selbst nicht minder glücklich seyn,
Schlöss' Ariostens MondDer Mond ist, nach der Dichtung dieses eben so anmuthigen als abenteuerlichen Italienischen Poeten, der Ort, wohin alle Sachen fliegen, die auf unsrer Erde verloren werden. Der Ritter Astolfo machte deßwegen auf dem Hippogryphen eine kleine Reise dahin, um den verlornen Verstand seines Freundes Orlando wieder zu holen, den der Anblick der Liebkosungen, die seine geliebte Angelica in einer gewissen Grotte an einen unbärtigen und unritterlichen Nebenbuhler verschwendete, rasend gemacht hatte. und Platons Staat sie ein.
Wozu dann hilft es ihr das Bild der Welt zu tragen?
»Sie mehrt die Pracht der Welt« – Wie wenig heißt das sagen!
Wenn ihr und andern nicht ihr Daseyn wirklich nützt,
Was hilft es, daß sie todt bei regen Wesen sitzt?
Doch hier läßt man getrost der Phantasie den Zügel,
Sie sind, erzählt man uns, unkörperliche Spiegel,
In welche sich die Welt mit seinen Zügen drückt,
Wohin ein jedes Ding sein geistig Bildniß schickt,
Ob dunkle Nebel gleich es unserm Blick verhüllen!
Wie sinnreich! doch wozu die Welt mit Spiegeln füllen?
Wozu, fragt ihr? Vielleicht gibt's in der Geisterwelt
Narcisse, denen auch des Spiegels Lob gefällt;
Zu geistig, wie Narciß, in Quellen sich zu sehen,
Find't man, von sich entzückt, sie vor Monaden stehen.
Wohin sie schauen, strahlt ihr werthes Bild zurück;
Ihr Selbst erfüllt die Welt, und sättigt ihren Blick.

O Wahrheit, welche hier dein Liebling selbst verfehlet,
Sey du zur Richterin in diesem Streit erwählet.
Lehr' uns der Körper Grund, und trenn' mit weiser Hand
Das Geist'ge und den Stoff, die er zu eng verband.

Das was den todten Stoff vom Geist unendlich trennet,
Ist, daß er keine Zahl in seinen Theilen kennet;
Daß auch sein kleinster Theil, so sehr man ihn zerschneid't,
Doch stets ein Körper bleibt, und stete Theilung leid't;
Dieß gibt ihm Fähigkeit, sich selber zu bewegen,Im Jahr 1770 bekannte Wieland, daß er, aller angewandten Bemühung ungeachtet, sich nicht erinnern könne, was er bei dieser seltsamen Folgerung gedacht haben möge.
Und andre Körper auch durch Druck und Stoß zu regen.
Dieß scheidet ihn vom Geist, der ohne Dehnung ist,
Unfähig der Figur, worein der Stoff sich schließt,
Und bloß dadurch geschickt, Ideen zu empfinden, 60
Zu l.eben und zu fliehn, zu trennen, zu verbinden.
Zwar wirft der Gegner uns die Theilung ohne Ziel
Als widersinnig vor; doch wagt er nicht zu viel?
Die Meßkunst widerspricht. Theilt nicht gebrochne Zahlen
Bernoulli's scharfer Geist zu unzählbaren Malen?
Zwar steift man sich getrost auf den bestimmten Grund.
Doch, sprich, wo findst du ihn im uferlosen Schlund
Der steten Ewigkeit? Wirst du sie wohl ergründen,
Und zum Unendlichen uns einen Maßstab finden?
Die endliche Figur, wirft man noch ferner ein,
Heißt offenbar den Stoff nicht ewig theilbar seyn.
Welch übereilter Schluß! weil unvollkommne Classen
Der Geisterwelt den Stoff in Form und Schranken fassen,
So muß er meßbar seyn – wie? lehret deinen Geist
So manches Beispiel nicht, das die Natur ihm weis't,
Daß eben das, was wir mit Recht in Gränzen ziehen,
In einem andern Sinn, kann Gränz' und Maßstab fliehen?
Der hellste Seraphim fühlt, daß er endlich ist,
Ob seine Dauer gleich kein Lauf der Sterne mißt.
Die allgemeine Sucht ist, trotzig zu verschmähen,
Was unbegreiflich ist! Was ist's, das wir verstehen?
Ist nicht das ganze All von dunkeln Wundern voll,
Die man empfinden nur, und nicht begreifen soll?
Wer mißt die Ewigkeit? Kann d'Alembert bestimmen,
Wie viele Welten dort im tiefen Aether schwimmen?
Sprich, was ist Zeit und Raum? Wo ist der Born des Lichts?
Welch eine Marche trennt die Schöpfung und das Nichts?
O du, der Nichts begreift, und Alles will erklären,
Wann wird die Weisheit dich Sokratisch zweifeln lehren?

Der Körper wirkt und leid't, sein Stoff bleibt stets gedehnt,
So sehr ihn HalleyEdmund Halley, geb. b. London 1656, ist berühmt durch seine Reise nach St. Helena, von welcher er als Ausbeute ein Verzeichniß der südlichen Sternbilder und eine Karte über die Abweichung der Magnetnadel mitbrachte, so wie durch seine Theorie des Mondes und der Kometen. Von der außerordentlichen Theilbarkeit der Materie, deren Wieland gedenkt, steht eine Abhandlung von ihm in den Philos. Transactions v. J. 1695 S. 540 fgg., worin er angibt, daß ein Kubikzoll Gold sich in 47,619,047 sichtbare Theile theilen lasse. theilt, und wird nie ganz zertrennt, 61
So wie der Geist sich nie in einen Körper wandelt,
Die Denkungskraft verliert, und gleich Maschinen handelt.
Der Geist, der denken zwar, nicht sich bewegen kann,
Nimmt andrer Eindruck auch unmittelbar nicht an;
Hingegen kann der Stoff aus innerem Vermögen,
Das ihm der Schöpfer gab, sich selbst und andre regen.
Doch ist sein Wesen gleich von aller Einheit frei,
So zeigt doch die Natur, daß sie nicht fähig sey,
Auch seinen kleinsten Theil unendlich fortzutheilen,
Und Sonnenstäubchen stets in kleinere zu feilen.
Nein! endlich bleibet sie bei solchen Splittern stehn,
Die vor dem Diamant an fester Härte gehn.
Schon Moschos,Der Phönizier Moschos (aus Sidon) soll der eigentliche Urheber des Atomensystems seyn, und die Entstehung des Weltalls aus dem blinden Zusammenstoß der Atomen gelehrt haben. Von den Griechischen Atomistikern ist bereits früher gesprochen worden. Peter Gassendi, einer der scharfsinnigsten Gegner von Descartes (geb. 1592 in der Provence, gest. 1655), erneuerte die Lehre jener Griechen, vertheidigte die Atomen und den leeren Raum, wurde deßhalb von den Theologen angefochten, wußte sich aber sehr geschickt zu vertheidigen. Man hatte überhaupt Unrecht, ihn selbst des Epikurischen Atheismus zu zeihen, denn er bewies das Daseyn Gottes aus der Nothwendigkeit einer absolut ersten Ursache und aus der Ordnung und Zweckmäßigkeit der Welt, welche eine Intelligenz als Ursache voraussetzen. Wieland beurtheilt ihn also sehr richtig. sagt man, hat die Tyrer sie gelehret;
Der Beifall nährte sie, bis sie Leucipp entehret,
Der sie mit Epikur dem Zufall dienen macht,
Von dessen Joch sie erst Gassendi frei gemacht.

Wie dort ein irrend Schiff die schwarze See durchpflüget,
Auf deren breiter Brust ein Heer von Wolken lieget,
Der brausende Aeol bläht falsche Segel auf,
Kein leitendes Gestirn bestimmt den blinden Lauf;
Bestürzt sieht PalinurPalinur, der Steuermann des Aeneas bei Virgil, statt jedes Steuermanns. nach den gestirnten Höhen,
Und wünscht den hellen Bär, das treue Licht zu sehen,
Bis endlich lang genug durch Sturm und Nacht geschreckt,
Sein unverwandter Blick den fernern Strahl entdeckt,
Er blitzt die Wolken durch, die sich gemach erhellen,
Und weiset ihm den Weg durch zweifelhafte Wellen;
So sucht der Weise auch der Wahrheit dunkle Spur,
Und irret, führerlos, auf unbekannter Flur;
Wie froh, wenn durch die Nacht von wolkichten Begriffen,
Ein treuer Strahl ihn lehrt dem Hafen zuzuschiffen!

O Wahrheit leuchte du durch unsre Dunkelheit, 62
Und zeige wie man hier die falschen Pfade meid't.
Welch eine Menge hat des rechten Wegs verfehlet,
Die OkkamsDie Scholastiker, unter denen Wilhelm Okkam, ein Englischer Minorit, im 14ten Jahrhundert einen großen Mann vorstellte, und den Titel des unüberwindlichen Doctors erhielt. finstre Schaar zu Führern sich erwählet?
Vergessend, daß ein Geist vom Stoff nicht leiden kann,
Nimmt man vom Stagirit mißkannte Sätze an;
Läßt sich den Nervensaft bis in die Seel' ergießen,
Und umgekehrt die Seel' in ihren Körper fließen.
Die Bilder drücken sich in unsre Sinnen ein,
Hier formt ein flüchtig Naß der Dinge Widerschein,
Der unbegreiflich schnell in unsre Seele strahlet,
Und ein empfindbar Bild ins Ungedehnte malet.

So hat der Stagirit, der Schule Gott, gedacht;
Doch, hat er nicht den Geist aus zartem Stoff gemacht?
Sein fünftes Element,Aristoteles theilte die Welt ein in die Welt unter und über dem Monde. In dieser ist alles unveränderlich und unvergänglich, in jener entsteht alles aus den vier Elementen und kehrt wieder in sie zurück. Das Element der Himmelskörper aber ist der ewige, unveränderliche Aether, das unvergängliche Licht und Feuer, welches aber nicht wie das irdische verlöschen und wieder entbrennen kann. Es gehört darum nicht zu den Elementen unserer Erde, sondern ist ein fünftes Element, die quinta essentia, woher noch unser Ausdruck Quintessenz stammt, womit wir das Allerfeinste bezeichnen. – Daß Aristoteles auch die vernünftigen Seelen für Theile jener fünften Natur gehalten habe, beruht auf einem bloßen Mißverstand Cicero's (Tusc. Qu. I, 10 26.), welcher Mißverstand durch die Stelle bei Aristoteles de generat. animal. 2, 3. gehoben werden muß. Wieland folgte der noch gewöhnlichen Meinung. woraus er Seelen bauet,
Ist ein astralisch Licht (das zwar kein Auge schauet),
Da ihm hingegen das nur Stoff und Körper heißt,
Was durch die Sinne sich der innern Seele weis't.
Der aber, der den Geist vom Stoffe weiß zu trennen,
Wie wird er ungestraft dem Griechen folgen können?
Sag an, der du dem Leib die Seele mischen willt,
Wie drücket sich in sie ein körperliches Bild?
Wie kann was Theile hat das Ungedehnte rühren?
Wie kann der Nervensaft sein Wesen selbst verlieren?
Entkörpert sich des Hirns äther'sche Flut vielleicht,
Und wird schnell zur Idee, wenn sie die Seel' erreicht?
Und wenn der Nervensaft auch durch geheime Gänge,
Die kein Verstand entdeckt, bis in die Seele dränge;
Wie kann sein Eindruck doch so oft verändert seyn,
Als Bilder andrer Art sich in die Sinne streu'n?
Dich trägt ein hoher Wald von Jovial'schen Eichen,
Mit luft'gem Laub umkränzt und duftenden Gesträuchen, 63
Der Sonne wallend Gold wirft dort ein zitternd Licht
Auf grüne Wipfel hin, und blendet dein Gesicht;
Ein perlenfarbner Bach durchmurmelt hier die Auen,
Erfreut, die junge Zucht der Flora zu bethauen;
Der Rosen holdes Roth, zwar reizend, doch so schön
Als Chloens Lippen nicht, wenn Zephyrn sie umwehn,
Lacht deine Augen an, und hauchet süße Düfte
Den feinsten Nerven zu, durch die erwärmten Lüfte;
Dieß siehst, dieß fühlest du, der ganze Hain regt sich,
Und jedes Blatt wird Ton, und singet froh um dich;
Sprich, wie fällt dieses Bild, das du im Augenblicke
Von allen Sinnen nimmst, in deinen Geist zurücke,
Der gänzlich einfach ist? Muß nicht zu gleicher Zeit
(Gesetzt, dein Satz sey wahr, den die Vernunft verbeut)
Ein ungezähltes Heer von körperlichen Bildern
Durch tausendfachen Druck des Safts in ihm sich schildern?
Wer dieß mit der Natur der Seele reimen kann,
Der malt mit gleichem Witz den Wellen Eber an,
Läßt Hirsche sich mit Lust in dünnen Wolken weiden,
Und heißt den trunknen Fisch das Wasser ewig meiden.

Jedoch, was halten uns erträumte Lehren auf?
Dich, Leibnitz, hat zuerst ein adlerschneller Lauf
Zur neidischen Natur in ihren Sitz getragen,
Die Decke war umsonst, die sie um sich geschlagen,
Du zogst die Decke weg, und hast sie selbst gesehn.
Erröthend, so entkleid't vor deinem Blick zu stehn,
Versuchte sie es zwar, mit zauberischen Künsten,
(Beinahe glückt' es ihr) dein Auge zu umdünsten.
Doch bleibt die Harmonie die du ihr abgesehn,
Von ihren Flecken frei, soll sie mein Lied erhöhn.

Die Seele fühlt durch sich, ihr Wesen ist im Denken, 64
Ihr Körper kann kein Bild entfließend in sie senken.
In jedem Geiste liegt ein idealisch Bild
Von allem, was das Reich der Wirklichkeiten füllt;
Sogar die niedrige stets schlummernde Monade
Trägt dieses Bild in sich, in ihrem eignen Grade;
Mit Wolken zwar bedeckt und angeborner Nacht,
Bis ihre Kraft sich stärkt und zum Gefühl erwacht:
Indeß den Cherubin, so herrlich als er glänzet,
Nach Ewigkeiten selbst noch Dunkelheit umgränzet.

Am äußersten Gestad der weiten Geisterwelt
Wird der Monaden Schaar von Leibnitz hingestellt.
Auch sie erfüllt ein Riß der Sammlung aller Wesen!
Wozu? Für sie umsonst, sie können ihn nicht lesen.
Kein Strahl erleuchtet sie, und mischt den Schatten Licht,
Selbst kein behender Blitz, der aus den Wolken bricht;
Von fremder Hülf' entblößt, zu schwach sich zu erheben,
Verschlummern sie wie todt ihr ungefühltes Leben.

Die andre Class' empfind't; zwar ist's bei ihr noch Nacht,
Doch leuchtet ihr ein Mond, der Seele schlaffe Macht
Dehnt schon sie jugendlich, erweitert ihre Schranken,
Ob sie gleich, ungeschickt zu geistigern Gedanken,
Nur durch die Sinne sich mit schlechtem Stoffe speis't.

Die dritte kennt den Tag, dem sie entgegen reis't,
Doch in verschiednem Grad. Uns, an den äußern Gränzen,
Scheint nur ein dämmernd Licht von ferne anzuglänzen.
Wir hoffen erst den Tag, der höhern Wesen strahlt,
Und ihren Weltbegriff mit vollem Glanze malt.

So wird in jedem Geist, vermengt mit Licht und Schatten,
Die sich verschiedentlich in tausend Arten gatten,
Dieß Ganze nachgeahmt. Stets dringt ein neuer Glanz
Die Nebel durch, und mehrt die Kräfte der Substanz. 65
Was je die Seele fühlt, liegt schon in ihr verstecket,
Und wird nur durch die Zeit entwickelt und erwecket.

Der Leib in seiner Art ist wie der Geist gebild't,
Weil was er thut und leid't aus seinem Wesen quillt,
Und mit der Seele stimmt. Von seiner Fibern Regung,
Von innrer Räder Lauf, erhält er die Bewegung.
›Der Geist befiehlt ihm nicht; doch durch des Schöpfers Wort
›Geht beider Wirken stets in Parallelen fort,‹
Wie wenn in waldichten entgegenstehnden Klippen
Des Jägers frühes Lied mit unsichtbaren Lippen
Die Nymphe wieder gibt, wie jenes schallet, ruft
Der Widerhall, und schlägt mit gleichem Ton die Luft.
So steht die Aenderung des Leibs mit der Empfindung
Stets in harmonischer geselliger Verbindung;
Wie diese will und fühlt, so wirkt der Leib und leid't,
Ein jedes thut sein Amt, ob keines gleich gebeut.
Sobald nur Brutus Geist den Augenblick beschlossen,
Den patriot'schen Dolch in Cäsars Brust zu stoßen,
Sobald streckt sich die Hand, vom Geiste nicht regiert,
Durch innerlichen Trieb, und zückt den Dolch und führt
Den mörderischen Stoß, den Cäsars Seele fühlet;
Ob der geweihte Stahl gleich nur den Leib durchwühlet.

Dieß ist ein schwacher Riß von jenem Wunderwerk
Der spielenden Vernunft, dem ernsten Augenmerk
Der Grübler seiner Zeit – »O Geist von seltnen Gaben,
Werth einer bessern Zeit, dein Licht gegönnt zu haben.
O du, in welchem sich uns Platons Geist verjüngt,
Der Zeiten werth, die uns kein Wunsch zurücke bringt;
Da einen Aristid die edle Armuth ehrte,
Den Hof ein Dion floh und Platons Hof vermehrte,
Da Tugend Uebung war, und der ein Weißer hieß, 66
Der, wie man leben soll, in seinem Leben wies;
Dort, Leibnitz, hätte sich für deiner Tugend Kräfte
Ein Schauplatz aufgethan, voll würdiger Geschäfte;
Dort hätte dieser Geist, der jetzt, vom Joch gedrückt,
Mit Syllogismen spielt, ein freies Volk beglückt;
Und statt zum Haupte sich von Secten zu erheben,
Wie Phocion gewußt Plutarchen Stoff zu geben.«Auch diese Apostrophe an Leibnitz befindet sich nicht in der ersten Ausgabe, und kam erst in der vom Jahr 1770 hinzu.

Der SextusNach Sextus Empirikus, einem berühmten Skeptiker des Alterthums, der zugleich sehr interessant darstellt und viel Interessantes aufbewahrt, wird hier sehr treffend Bayle benannt. unsrer Zeit, der in so mancher Schlacht
Die Schaar, die alles weiß, bestürzt zur Flucht gebracht;
Vor dem der trotzige Dogmatiker erzittert,
Hat, stolz auf seinen Witz, Leibnitzens Bau erschüttert,
Und unter manchem Pfeil, der stumpf zu Boden fällt,
Auch manchen abgedrückt, der seinen Zweck erhält.
O! Klio, sage mir, wo ist er durchgebrochen,
Und wo hat ihm den Sieg die Wahrheit abgesprochen?

Zuerst bestürmt sein Witz des Körpers Wunderuhr;
Doch Felsen fällt er an, mit Halmen ficht er nur.
Seht seinen Einwurf an, wen täuscht sein blödes Schimmern?
»Wie sollt es möglich seyn, fragt er, ein Schiff zu zimmern?
Das, ohne Steuermann, der seinen Lauf bestimmt,
Aus innerm Trieb, den Weg zum fernen Hafen nimmt;
Es weichet Klippen aus, die es nicht vorgesehen,
Nimmt frisches Wasser ein, belauscht der Winde Wehen,
Es wittert unbelehrt der Stürme fernes Dräu'n,
Wirft jetzt den Anker aus, zieht jetzt die Segel ein;
Von keinem Geist regiert, von keines Menschen Händen,
Weiß es sich von sich selbst zu richten und zu wenden:
Wer zweifelt, daß dieß Schiff ein Werk der Phantasei,
Ein unreif Hirngespenst und Feenmährchen sey?
›Obgleich mit Cäsars Leib (nach euers Leibnitz Lehre)
›Verglichen, solch ein Schiff ein Kinderspiel nur wäre.«
›Doch dieser Pfeil, wie scharf auch unsers Zweiflers Witz 67
›Ihn zugespitzt, ist nur ein Bärenlappenblitz.
›Beweis't er etwa, daß, bewegt von innern Rädern,
›Ein künstlich Automat harmonischreger Federn,‹
Das mit der Seele stets in seiner Wirkung stimmt,
Ein Unding sey, das sich den Glauben selbst benimmt?
Im schweifenden Gepräng von blendenden Gedanken,
Entdeckt er weiter nichts als seines Geistes Schranken.
Er spricht: kein Mensch begreift's. – Das läugnen wir ihm nicht,
Doch gilt sogleich der Schluß: drum ist es ein Gedicht?
Zudem, so zeigt ja schon der Künstler Unternehmen,
Wie leicht der Kunst es sey, den Zweifler zu beschämen,
ArchytasArchytas von Tarent, soll unter andern mechanischen Kunstwerken eine hölzerne Taube, die eine Zeit lang habe fliegen können, verfertigt haben. A. Gellius Noct. Attic. X. c. 12. Taube selbst, und Alberts redend Bild,Von diesem wunderbaren Bilde, welches dem Albertus M. zugeschrieben wird, und wie es von dem heil. Thomas von Aquino zerbrochen worden, und von andern kurzweiligen Wundergeschichten, s.Gabriel Naudé, Apologie des grands Hommes accusés de Magie, chap. 18.
Wer weiß nicht, daß man sie für Zauberwerke hielt?
Und kann es unserm Witz, so schwach er ist, gelingen,
Den Gränzen seiner Kraft sich manchmal zu entschwingen;
Wie thöricht zwingest du den unumschränkten Geist
In Schranken, denen sich ein VaucansonVaucanson war ein berühmter Mechaniker, dessen Automate, z. B. sein Flötenbläser, nach der Mitte des vorigen Jahrhunderts allgemeine Verwunderung erregten. entreißt!
O lern' von einem Gott mit größrer Ehrfurcht denken,
Der mit gewalt'gem Arm die Himmel weiß zu lenken!

Mit größerm Glück hat Bayl' den schwächsten Ort bemerkt,
Und da mit neuem Muth des Angriffs Macht verstärkt.
Ist nicht der schwächste Theil der göttlichen Erfindung
Des Platons unsrer Zeit, die Quelle der Empfindung,
Die Seele, die er selbst ein geistig Uhrwerk heißt,
Und, was in ihr geschieht, aus ihrer Form erweist?
Sie läßt (so lehrt er uns) die sinnlichen Ideen
Durch's ewige Gesetz der Ordnung bloß entstehen;
Ein jeder Zustand sieht im vor'gen seinen Grund,
Und macht vom folgenden uns die Bewandtniß kund:
Die schönste Harmonie muß stets die Bilder knüpfen,
Der Geist, wie die Natur, kann nicht gesetzlos hüpfen. 68

Wie aber, widerspricht ihm die Erfahrung nicht?
Wie oft vertauschen wir schnell mit der Nacht das Licht?
Wie oft entsteht ein Stand und heißt den vor'gen schwinden?
Worin's unmöglich ist des Folgers Grund zu finden?
Berauscht von Lieb' und Wein, an seiner Phyllis Brust,
Vertauscht Anakreon schnell mit dem Tod die Lust;
Kaum labt den alten Gaum der Nektarsaft der Trauben,
So muß ein Kern die Lust ihm mit dem Leben rauben.
Wie schickt sich schneller Tod zu Cyperns süßem Wein
Und Phyllis süßerm Kuß? Wer sieht das Band hier ein?
Umkränzt sitzt Cäsar dort im Rath bezwungner Väter,
Der unterdrückte Staat begrüßt ihn seinen Retter,
Doch kaum empfind't er sich den Herrn vom Vaterland,
So fühlt er schon den Tod und seiner Mörder Hand.
Sprich, du, der Cäsars Geist läßt als Maschine handeln,
Wie kann ein Bild so schnell ins Gegentheil sich wandeln?
Wie gründ't sich das Gefühl des Dolchs, der ihn entseelt,
In dem, daß zum Monarch die Kron' ihm kaum gefehlt?
Kaum sieht er sich umarmt von seinem Brutus küssen,
So sieht er schon sein Blut durch seinen Brutus fließen.
Wie gründete sich dieß in Cäsars Seele bloß?
›Unmöglich ist der Sprung, der Abstand allzu groß!

›Das Ungereimt'ste muß, wer dieß glaubt, glaublich finden!‹
Kann (fragt ihr) Leibnitz sich aus dieser Schlinge winden?
Ein Witz, wie seiner, kann's. Er dichtet, daß ein Bild
Des ganzen Weltalls sich in jeder Seel' enthüllt,
Und daß zu jeder Zeit, was wir in uns empfinden,
Sich nicht nur in uns selbst, auch in der Welt muß gründen.
O, spricht er, drängest du bis in der Geister Schooß,
Und schautest ihre Form vom äußern Kleide bloß,
Gewiß, dann würde dich die schönste Ordnung rühren, 69
Wo deine Augen jetzt in Nebel sich verlieren.
Wie ein harmonisch Band den Geist dem Leib vertraut,
So ist ein jeder Geist dem Ganzen nachgebaut,
Und läßt die ganze Welt in Reihen von Ideen,
Die mit dem Urbild stets zusammen stimmen, sehen.

›Ein schöner Hirngespenst ward nie im Traum geküßt;
›Wie Schade, daß es nicht so wahr als reizend ist!
›Allein es wird gar bald, wenn wir's nur leicht betüpfen,
›Nach Hirngespenster Art, uns durch die Finger schlüpfen.‹

Dieß Bild, das Leibnitz sich in jedem Geiste denkt,
Ist größtentheils, nach ihm, in tiefe Nacht gesenkt;
Ja die Monaden hält ein ew'ger Schlaf umfangen,
›Und niemals werden sie zum Selbstgefühl gelangen.‹
Wo bleibet hier die Spur vom göttlichen Verstand,
Der alles, was er schuf, an eine Absicht band,
Und jedes Körnchen Sand, das dort am Ufer lieget,
Den größten Sternen gleich, nach weisen Zwecken wieget?
›Noch mehr! Dieß Weltbild wird Idee von ihm genennt,
›Wiewohl der Geist davon den kleinsten Theil nur kennt.
›Wie? Babel, Ninive und Balbeks Prachtruinen
›Stellt meine Monas vor, mir sind sie nie erschienen.
›Die Welten alle, die um andre Sonnen gehn,
›Und jene Himmel selbst, die unsre Sonnen drehn,
›Sie spiegeln sich in mir, und nicht die kleinsten Spuren
›Erkenn' ich in mir selbst von diesen Mignaturen?
›Und diese Galerie, vor der ich ewig steh'
›Und nichts erblicken kann, die nennest du Idee?
›Ist's möglich? Konnte dir von Bildern und Ideen,
›Die hier dein Witz vermengt, der Unterschied entgehen?‹
Die Venus, die Apell durch Farben fast belebt,
Und die, die seinem Geist im Malen vorgeschwebt, 70
Die beide Bilder sind, und Einen Vorwurf zeigen;
Was unterscheidet sie, und was ist jedem eigen?
Das eine wirft die Kunst auf flache Leinwand hin,
Es ist ein Körper selbst, und wirkt auf unsern Sinn:
Das andre hängt im Geist, den Theil und Dehnung fliehet,
Und wo kein äußrer Sinn es ohne Zeichen siehet.
Das eine ist von dem, der es entwirft, getrennt,
Und wird auch außer ihm und ohne ihn erkennt;
Das andre läßt sich nicht von seinem Meister scheiden,
Es lebt in ihm und schwind't, sobald es ihn soll meiden;
›So wie das Bild wobei Narciß sich selbst vergißt,
›Sobald er sich entfernt, mit ihm verschwunden ist.
›Das ein' ist bloßer Schein; es kann, zu innerm Leben,
›Seyn oder Nichtseyn ihm nichts nehmen und nichts geben;
›Säh' es kein Kenner an, formt' es kein Künstler ab,
›Es stünd' im Bildersaal wie eine Leich' im Grab:
›Das andre fühlt sich selbst, bedarf nicht fremder Zeugen,
›Und kann, sich zu beschau'n, sich auf sich selber beugen.‹

Doch, noch ein stärkrer Grund! Das ganze Weltall ist
Ein uferloses Meer, das kein Erschaffner mißt;
Nie fing es an zu seyn, nie hört es auf zu dauern,
Und seinen ew'gen Raum umschließen keine Mauern;
Was folgert sich hieraus? Daß sich das All der Welt
Nur dem, der es erschuf, ganz vor die Augen stellt –
Kein endlicher Verstand umfaßt sie in Gedanken,
Der größte Cherub fühlt hier seines Wesen Schranken.
So wenig Grönlands Fisch den Ocean verschlingt,
Ob er der See gleich dräut und ganze Flüsse trinkt;
Die Ströme, die er jetzt aus seiner Nase dränget,
Sind gegen sie ein Tropf, der noch am Eimer hänget:
So wenig faßt ein Geist, wie hell er immer denkt, 71
Das Meer des ew'gen Alls, das kein Gestad' umschränkt.
Gott zählt die Summ' allein der ewigen Ideen,
Und ihm nur kommt es zu, sein Werk zu übersehen!

So fällt die Antwort hin, die Baylens Zunge band,
Und allzu früh den Sieg ihm aus den Händen wand.
Es wankt die Harmonie, und ihre Pfeiler beben;
O Muse, hilf mir nun sie wieder zu erheben.

Des Schöpfers weise Hand hat jede Geistigkeit
In einen Leib gehüllt. Ein unsichtbares Kleid,
Von seinem Stoff gewebt, der bloß dazu erlesen,
Umhüllt unabgelegt die ideal'schen Wesen.
Der äußern Körper Druck, der unsre Sinne rührt,
Wird unbegreiflich schnell in diesen Leib geführt.
Hier bildet sich sodann der Vorwurf der Ideen,
Und läßt dem innern Geist die Gegenstände sehen,
Die seinen Leib gerührt. Der Geist ist ohne Licht,
In steter Nacht, wenn ihm des Leibes Dienst gebricht:
Und doch stößt nicht der Leib die Bilder in die Seele,
Den Vorwurf zeigt er nur, und führet die Befehle,
Die sie ihm zuwinkt, aus. Sobald der Gegenstand
In diesem Leib sich malt, den Gott dem Geist verband,
Sobald empfind't der Geist, und hätte nicht empfunden,
Hätt' er in seinem Leib den Abdruck nicht gefunden.
Du sprichst, wer faßt denn dieß? O Freund, besinne dich,
Verstehe mich zuerst, und dann so richte mich!
Mein Satz erklärt zwar nicht die Zeugung der Ideen,
Und wie sie aus dem Schooß der Geistigkeiten gehen;
Allein er meidet doch die Fehler, welche man
Mit Recht am Stagirit und Leibnitz tadeln kann.

Wem ist doch unbewußt, was längst die Weisen lehren,
Daß außer unsrer Welt, in andern Himmels-Sphären, 72
Zehntausend Arten noch von Sinnen möglich sind,
Durch deren Mittel man vielleicht daselbst empfind't?
Wer faßt, wie es geschieht? Wer kann mit unsern Bildern,
Die Art der Möglichkeit von fremden Sinnen schildern?
Kein Widerspruch gebeut, daß es unmöglich sey,
Daß Seelen, ob gleich ganz vom Druck des Leibes frei,
Doch ohne ihren Leib nicht denken, nicht empfinden;
Weiß gleich die Phantasie das Wie? nicht zu ergründen.

So stehet dann der Satz, der unsern Lehrbau trägt,
Zu welchem Leibnitz selbst den ersten Grund gelegt.
Doch dieser zarte Leib, der jede Seele kleidet,
Und den der Moder scheut, wie ist er zubereitet?
Er ist das größte Werk der Weisheit und der Macht,
Die mit vereinter Hand die Welt hervorgebracht;
Kein Werk erhöht sie mehr, auch selbst nicht jene Sonnen,
Die aus dem ersten Licht zur Festigkeit geronnen,
Als diese Wunderuhr, die durch sich selber schlägt,
Und nach des Geistes Stand harmonisch sich bewegt.
Sie stellt die Bilder dar, die sie von außen rühren,
Und weiß sogleich den Schluß des Geistes auszuführen.
Pamphil liebt Sylvien; sie kommt, er sieht sie gehn,
Er will ihr nach, sogleich muß auch der Leib sich drehn;
Er thut's aus innerm Trieb, der Geist kann nicht befehlen,
Der Federn Wunderbau lehrt ihn der Seele Wählen,
Und lehrt ihn es vollziehn. Die Schöne und Pamphil
Empfinden beid' in sich das reizende Gefühl
Der Liebe, die sie ruft; der Leib nährt ihre Regung,
Und folgt dem Grundgesetz harmonischer Bewegung;
Es naht sich Mund zu Mund, da sich die Seelen nahn,
Und facht die holde Glut durch tausend Küsse an, 73
Die, wie ätherisch Oel, die zarten Flammen mehren,
Bis man, berauscht, vergißt im Küssen aufzuhören.

So stimmt der feine Leib mit der Empfindung ein,
Die seine Seele rührt; muß, was sie hasset, scheu'n,
Und suchen, was sie liebt, und wird in ew'gen Tagen
(Dieß ist des Schöpfers Schluß)! nach gleichen Regeln schlagen.
Denn Gott, vor dem entdeckt die dunkle Zukunft liegt,
Hat für die Ewigkeit den Geist ihm zugefügt.
Nie nützt das Werk sich ab, nie stockt der Trieb der Federn,
Nie fehlt die Richtigkeit den stets gewälzten Rädern.
Der Stoff, aus welchem sie der Schöpfer werden hieß,
Ist in den Theilen gleich, und leidet keinen Riß.
Woher entsteht der Tod, als wenn sich Theile scheiden,
Die die Natur nicht mehr kann bei einander leiden?
Doch hier ist alles gleich und unzerstörbar fest?
Kein Fels, so sehr er auch den Steinmetz schwitzen läßt,
Kein ew'ger Diamant, den Indostan uns schicket,
Kein Schild, den Peru send't, wird weniger zerstücket.
Schon Platon und Plotin gab längst vor unsrer Zeit,
Dem Geist aus dem Gehirn ein unsichtbares Kleid,
Das immer, wo er ist, ätherisch um ihn fließet,
Und das er nie, beim Tod des gröbern Körpers, misset.

Nun zeigt sich der Gebrauch des Stoffs, der selbst nicht denkt,
Und doch Gefühl und Lust den geist'gen Wesen schenkt.
So kann der helle Brunn, in dessen glatten Gründen
Sich Phyllis oft beschaut, zwar selber nicht empfinden
(Sonst, Phyllis, liebt' er dich), und doch säh' ohne ihn,
Den schmeichlerischen Brunn, sich keine Schäferin.
Der Stoff dient bloß dem Geist, er bildet den Ideen
Den ersten Abriß vor, und läßt die Seele sehen,
Was außer ihr geschieht! er leiht ihr seine Kraft 74
Und bringt bewegend sie in andre Nachbarschaft.
Er weiß Ideen selbst und körperlosen Dingen
Figur und Farben und Beleuchtung beizubringen.
Durch ihn entdeckt sich oft der Seelen Heimlichkeit.
Selindens spröde Furcht, die sich der Wirkung freut,
Färbt er Auroren gleich, und malt sie auf die Wangen;
O Schäfer, wie wirst du der Schönen Gunst erlangen,
So lang du schüchtern schweigst, und siehst sie schmachtend an,
Lockt dich ihr Auge nicht, das sie kaum zwingen kann?
Und kann sie es, so zeigt ein zitternd Roth dein Glücke,
Und lockt und widerspricht dem streng gezwungnen Blicke.

Doch, da nicht um sein selbst der Stoff die Welt vermehrt,
Da er nur wirklich ist, weil ihn kein Geist entbehrt,
So muß die Weisheit nur so viel aus ihm bereiten,
Als unentbehrlich ist, die stillen Geistigkeiten
In Wirksamkeit zu sehn. Was dieses All umfängt,
Ist bloß die ew'ge Schaar, die sich empfind't und denkt,
Von der sich jedes Glied in einem Leibe zeiget,
Durch den es nach und nach auf höh're Stufen steiget.
Die Sonnen, die sich dort in leichten Wirbeln drehn,
Planeten, Luft und Meer, und alles, was wir sehn,
Ist nicht ein bloßer Stoff, der unbeseelt veraltet;
Beseelte Wesen sind's, die uns ihr Leib gestaltet.
Gott, der, was er erschuf, in weise Ordnung zwang,
Vertheilt der Wesen Heer in tausendfachen Rang,
In Classen ohne Zahl, die sich zusammen drängen,
Und den gemeinen Raum zu gleicher Zeit verengen.
So wird die Form der Welt, die sich in jedem Geist,
In jeglichem Geschlecht, in anderm Lichte weis't,
Und, wie die Geisterwelt sich immer höher schwinget,
Zugleich verschönert wird, und ewig sich verjünget. 75

 


 


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