Christoph Martin Wieland
Moralische Briefe
Christoph Martin Wieland

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Neunter Brief.

Qui lit, et ne lit point pour devenir meilleur,
Perd son tems, sa lecture, et n'est qu'un vil lecteur.
Convainquons par nos mœurs, et par nos habitudes,
Tous les Anti-savans du prix de nos études.
Epitres Diverses.
          Glückselig, wessen Herz schon in der ersten Jugend
Der Weisheit Reiz gefühlt und die Gewalt der Tugend!
Eh' noch ein Vorurtheil das neue Auge trügt,
Und Alcibiades den Aristid besiegt.Ehe die Ansichten des Weltmanns und die Neigungen des Weltlings in uns entstehen und uns bereden, Streben nach reiner Tugend sey chimärisch.
O Kindheit! schönste Zier von der Gelehrten Leben,
Da vorm erstaunten Blick noch jene Helden schweben,
Die man, weil uns die Kraft sie zu erreichen fehlt,
Zur Schande unsrer Zeit, jetzt kaum für möglich hält;
Da sich ins weiche Herz die schönen Bilder drücken,
Die im Plutarchus und im Nepos uns entzücken.

O Lehrer jener Zeit, die, aller Sorgen bloß,
Mir wie ein sanfter Bach, voll stiller Freuden, floß!
Wie? soll ich euch vielleicht, um einen Duns zu fassen,Nachdem die alte classische Literatur im neueren Europa wieder auflebte, erstarb von selbst jener scholastische Wust, der allerdings für den gesunden Menschenverstand und den Geschmack gleich verderblich war.
Den Afterweisen gleich, den Schulen überlassen?
Soll ich, taub für Horaz und blind für Tacitus, 201
Im hochgelehrten Staub, den Stax verschlucken muß,
Aus allen Pansophis und Encyklopädien,
Wie aus dem tiefsten Schacht, die Wahrheit mühsam ziehen?
Lauft immer, wenn ihr wollt, versteckten Pfützen nach,
Durch Blumen fließt mir hier der Wahrheit lautrer Bach;
Und bin ich nicht gelehrt, und mess' ich nicht die Seelen,
Bei Sokrates wird mir kein Glück des Weisen fehlen.
Der träume Kirchern gleich, der steig' auf Newtons Bahn,
Dir, o Cassini, nach, den reize Konring an;Cassini, einer der berühmtesten Astronomen des 17ten Jahrhunderts, welchem seine Wissenschaft wichtige Entdeckungen verdankt. Vielleicht ist aber hier der Sohn gemeint (César François), dessen berühmte Vermessungen Frankreichs in die Zeit dieser Briefe fallen. – Hermann Conring, ein großer Polyhistor des 17ten Jahrhunderts, soll seiner Braut überlassen haben, in welcher Facultät er zum Doctor promoviren solle. Erst Professor der Philosophie zu Helmstädt, dann Leibarzt der Königin Christine von Schweden, wurde er häufig auch in Staatsangelegenheiten gebraucht, und hat sich durch philologische, historische, literarische und publicistische Schriften einen Namen erworben.
Mir schimmert dort Athen von alter Tugend Bildern;
Den ich nachahmen will, soll Xenophon mir schildern.

Ihr Dichter! wählet euch nur Helden auf dem Thron;
Wer Esel einst besang, singt leicht vom Hieron.Bezieht sich auf Pindar, der den Hieron über die Gebühr lobte, gelegentlich aber den Preis der – Maulesel sang.
Erhebt an Königen was ihr am Irus tadelt,
Weil seine Tugenden kein Fürstenmantel adelt;
Vergöttert den August, damit einst Julian,Anspielung auf die Cäsarn dieses Kaisers (welcher, in dieser Satyre auf die Kaiser, seine Vorfahren, alle Alexander, Cäsare und Auguste entlarvt).
Was ihm zum Menschen fehlt, der Nachwelt zeigen kann:
Mein Held borgt seinen Glanz nicht von gefärbten Steinen,
Dem Pöbel würd' er nur im Purpur größer scheinen.
Zwar deckt sein kahles Haupt kein Kranz, den Julius
Um Bürgerblut erwarb; kein namenloser Fluß
Sah ihn in Indien, der Siege Zahl zu mehren,
Die angestammte Ruh' verborgner Völker stören.
Doch laß Eroberern den heuchlerischen Schein!
Wie die Natur gefällt, so nimmt die Tugend ein.
Ihr Glanz verspricht nicht viel, und schimmert nicht von ferne,
Wie oft ein Kind des Sumpfs, ein Irrlicht, bleichre Sterne
Zu überstrahlen meint; ein feineres Gesicht
Find't ihre Schönheit nur, den Pöbel blend't sie nicht.

Mein Lehrer Sokrates! dich will ich nicht erheben;
Kein Lob, so groß es sey, erreicht dein göttlich Leben; 202
Dieß redet kräftiger von deiner Trefflichkeit
Als Pythia, die dir der Weisheit Preis bescheid't.
Sein mattester Entwurf wird edle Herzen rühren,
Und Helden andrer Art des Vorzugs Preis entführen.
O Muse von Athen! o reizt' in meinem Lied
Die Anmuth, die das Herz zu deinen Schriften zieht!Um der Schönheit und Anmuth seiner Schreibart willen wurde Xenophon von Dichtern seiner Zeit die Attische Muse genannt.

Kein Stamm, mit dessen Ruhm PökileSo hieß die vornehmste öffentliche Galerie in Athen, von den verschiedenen Schildereien, womit sie von den großen Meistern Polygnotus, Pandämus, Mykon, ausgezieret war. Sie stellten meistens die Thaten des Theseus und einiger berühmten Athenienser vor, wie Pausanias in Atticis weitläufig erzählt. sich geschmücket,
Hat meinen Sokrates in seinem Schooß erblicket.
Ihn über Könige durch sich nur zu erhöhn,
Ließ aus unedlem Blut ihn die Natur entstehn.
Die ihr uns Ahnen zeigt, wenn wir euch sehen wollen,
Glaubt ihr, daß wir in euch Aemile ehren sollen,Eine berühmte und an großen Männern fruchtbare Familie unter den Römischen Patriciern. – Der Dichter hat hierbei an Juvenal gedacht, Sat. 8. zu Anfang.
Die euer Leben schänd't? Der läugnet sein Geschlecht,
Der seiner Ahnen Glanz mit eignen Lastern schwächt.
Die Tugend adelt nur; nur sie gab den CorvinenCorvinus und Corvus (der Rabe), war ein Beiname des Valerischen Geschlechts, welchen Marc. Valerius Maximus, bei der Gelegenheit, als er sein Vaterland vom Einfalle der Gallier rettete, zuerst erhielt. Warum? darüber s. Liv. 7, 26.
Die Lorber, die am Haupt der Enkel jetzt vergrünen.
Mein Held entlehnet nichts von seines Stammes Glück,
Sein Vorzug glänzt vielmehr auf sein Geschlecht zurück.

Das Alter, dessen Brauch des Menschen Werth entscheidet,
Um welches oft, zu spät, der Greis sich selbst beneidet,
Des Lebens Lenz, worin die üppige Natur,
Verschwendrisch mit sich selbst und auf Vergnügen nur
Erhitzt, dem süßen Hang sich blindlings oft ergiebet,
Hat in Enthaltung ihn und Wissenschaft geübet.
Zu jedem Lehrenden zog ihn der Wahrheit Schein;
Da führt' Archelaus ihn bei der Weisheit ein,
Weckt die Ideen, die in seiner Brust noch schliefen,
Ein AnaxagorasAnaxagoras und Archelaos, welche beide Sokrates in seiner früheren Zeit hörte, werden zu den Ionischen Naturphilosophen gerechnet, mit denen jedoch eine neue Epoche beginnt. Anaxagoras war der Erste, welcher die Einheit eines außerordentlichen Gottes behauptete, und dadurch der eigentliche Stifter der Religion der Vernunft wurde. Spuren davon findet man auch bei Archelaus, der jedoch den Ursprung von Recht und Unrecht noch in der positiven Gesetzgebung aufsuchte, von welcher Vorstellung sich vielleicht auch Sokrates nie ganz freigemacht hat. eröffnet ihm die Tiefen
Der wirkenden Natur; ein andrer zeigt ihm an,
Wie Suadens Obermacht die Seelen fesseln kann.
Des Lebens rechten Brauch, die süße Kunst zu lieben 203
(Doch keuscher als Ovids, und schwerer auszuüben),
Lehrt ihm Diotima;Die Seherin Diotima und die Theorie der höheren Liebe, die ihr Platon in den Mund legt, sind aus dessen Gastmahl bekannt. die Herzen auszuspähn,
Sich und die Weisheit selbst nach jedes Trieb zu drehn,
Und die Gefälligkeit, die seinen Umgang schmückte;
Die Künste, sonder die es keinem Zeno glückte,
That dem gern Lernenden der schönen Freundin Mund
(Der, Doris, deinem glich) mit süßer Anmuth kund.
Sie lehrt ihn das Gesetz, von dem in allen Reichen
Die folgsame Natur sich scheuet abzuweichen,
Die einen schönen Geist dem Leibe, der gefällt,
Bei Thieren und Gewächs, harmonisch zugesellt.

Die wahre Schönheit wird uns selten hintergehen;
Sie läßt die Seel' im Aug', als wie im Spiegel, sehen.
Ihr Schönen, schränkt euch nicht auf kleine Ansprüch' ein,
Erkennt euch selbst, und seyd zu stolz, nur schön zu seyn!
Sogar Armidens Reiz verblühet im Genießen;
Der Seele Schönheit nur legt Seelen euch zu Füßen.
Seht wie Diotima der äußern Reize Macht
Durch Geist und Wissenschaft unwiderstehlich macht.
Wie glänzend ist ihr Ruhm! die spätste Welt wird lesen,
Ihr Freund, ihr Schüler sey ein Sokrates gewesen.

In solchen Schulen schrieb sich dieser Jüngling ein,
Den die Natur erlas, der Menschheit Zier zu seyn.
Die Tugend, die zertheilt an andern Wesen scheinet,
Zu einem einz'gen Strahl war sie in ihm vereinet.
›Sein bester Lehrer war ein richtiger Verstand
›Der seines Lebens Norm in seinem Busen fand.
›Der war sein Genius! den Geist von seltnen Kräften,
›Den unerschöpfbar'n Fleiß in würdigen Geschäften,
›Die herrschende Vernunft, die kein Gespenst betrügt,
›Kein blinder Sinnentrieb, kein Zufall überwiegt,‹ 204
Den unbesiegten Muth, den Neid und Schmach nicht dämpfet,
Der für ein Vaterland, das einst ihn tödtet, kämpfet,
Ein menschenfreundlich Herz, das fremdes Leiden theilt,
Nicht mit den Thoren zürnt, sie lieber schonend heilt,
Und das nur leben heißt, für andrer Wohl zu leben;
Dieß gibt kein Unterricht, dieß muß der Himmel geben.

Er, dem nicht eine Kunst zu lernen übrig blieb,
Die Anaxagoras und Demokrit beschrieb,Wie Wieland späterhin von dem eben so übertriebenen Lobe des Sokrates als dem übertriebenen Tadel der Sophisten zurückkam, zeigen am besten die Briefe Aristipps und der Lais. – Der Sophist Gorgias ist dort ebenfalls geschildert. – Melitos war einer von den Anklägern des Sokrates, und steht hier statt jedes Urhebers von Chicanen.
Entdeckte bald den Tand der prahlerischen Weisen,
Die, unbekannt zu Haus, in fremde Welten reisen,
Zu sehr uneingedenk, daß zum gemeinen Wohl
Des Weisen edler Fleiß allein sich üben soll.
Was hilft's wie Gorgias des Pöbels Lob zu haschen,
Mit langem Wortgepräng' gelehrt von nichts zu waschen?
Entflösse deinem Mund Hymettens Süßigkeit,
Wenn deine Redekunst sich nicht der Tugend leiht,
So bist du ein Melit. Was sind die stolzen Künste,
Die man von Memphis holt?Man stand damals in Griechenland in der Einbildung, daß bei den Aegyptischen Priestern tiefe Geheimnisse der Welt verborgen lägen, deren Ruf den Anaxagoras, Demokritus, ja sogar den Plato, dessen Wissensdurst die reine Lebensweisheit seines großen Meisters nicht zu stillen vermochte, nach Memphis und Sais zog. Gefärbte Wasserdünste,
Die im Beschau'n vergehn? wie Iris bunter Kreis!
Die ganze Wissenschaft, die mit demantnem Fleiß
Der weise AbderitDemokritus. von aller Welt entlehnet,
Durch eignes Forschen noch in tausend Bücher dehnet,
Stärkt sie das Herz? Macht sie, wie Agathenors Sohn,
Ein Bild der Mäßigkeit aus einem Polemon?Ein üppiger Athenischer Jüngling, an welchem Xenokrates, Agathenors Sohn, ein ächt Sokratischer Nachfolger Platons in der Akademie, das berühmte Wunder von einer plötzlichen Bekehrung wirkte. Mit Rosen bekränzt, von Salben triefend, und in einer seinen losen Sitten gemäßen Kleidung, taumelte Polemon in die Schule des ehrwürdigen Alten, um seiner Ernsthaftigkeit zu spotten. Xenokrates fing, sobald er ihn erblickte, von der Mäßigkeit zu reden an, und machte in kurzem den Jüngling so aufmerksam, daß er seine Rosenkränze wegwarf, bald darauf seine Kleider zusammenzog, sich unter die Lehrlinge des Xenokrates begab, und von Stund' an ein so eifriger Schüler der Weisheit und Tugend wurde, daß er seinem Lehrer in der Akademie folgen konnte.
Was weiß Hipparchus dann, wenn er von tausend Sternen
Stand, Größen und Bezirk, Verhältnisse und Fernen
In Ziffern uns entdeckt, da er die Kraft nicht sieht
Die ihre Federn rührt, da ihn ihr Innres flieht?
Was sieht der, der vielleicht uns vom Saturn betrachtet?
Ein Stäubchen, das er kaum aus Millionen achtet.
So siehst du Welten an, die in entwölkter Nacht 205
Dir ein entkräftet Licht als Punkte sichtbar macht.
Welch eine Finsterniß vermischt sich unsrer Klarheit!
Kaum thun wir einen Schritt in dem Gebiet der Wahrheit,
So endet sich der Schein, den unsre Dämmrung gab.
Wen seine Kenntniß bläht, dem fehlt der wahre Stab
Zum Maß der Wissenschaft; das Nichts von seinem Wissen,
Wird, will er weise seyn, Sokrat ihn lehren müssen.

Die Weisheit, die, vor ihm, die Himmel nur durchspürt,
Hat Sokrates zuerst zur Erden abgeführt.Socrates mihi videtur primus a rebus occultis et ab ipsa natura involutis, in quibus omnes ante eum Philosophi occupati fuerant, avocavisse philosophiam et ad vitam communem adduxisse, ut de virtutibus et vitiis quaereret etc. Cicero, Acad. quaest. L. I. c. 4.
Er lehrte, wie das Herz den Quell in sich verschließet,
Aus dem, nicht aus der Welt, uns alles Uebel fließet.
Er, ein erklärter Feind von Wahn und Vorurtheil,
Zeigt uns das ächte Gut, und macht die Herzen heil,
Die jede Leidenschaft, von Weisheit nicht gereinigt,
Mehr als das stärkste Gift des wilden Fiebers peinigt.
Die Tugend, die Kleanth in eine Larve hüllt,
Die leicht ein zartes Herz mit Furcht und Ekel füllt;
Die Pflicht, die Aristipp von allem Ernst befreiet,
Und, ohne roth zu seyn, in Lais Arm entweihet,Dieser höfische Philosoph antwortete einem, der ihm die Lais vorrückte: Lais besitzt mich nicht, ich besitze sie.
Zeigt er uns wie sie ist, streng jeglicher Begierd',
Die von der Pflicht uns lockt, und dann die Reu' gebiert;
Doch lächelnd für ein Herz, das seine Würde fühlet,
Und auf dem engen Pfad nach wahrem Glücke zielet.
Die Gottheit, die der Wahn, zum Spott der klügern Welt,
In tausend Götzen schneid't und eingekerkert hält,
Lehrt er, von Bildern frei, die unsrer Ehrfurcht wehren,
In ihren Schöpfungen entdecken und verehren;
Sie laß Parmenides des Weltbaus Krone seyn,Bezieht sich auf das, was der Epikuräer Vellejus (Cic. N. D. I, 11.) von dem Gott des Parmenides sagt, er sey eine Krone, ein rings umher brennender, den Himmel umgebender, Lichtkreis. – Alkmäon von Krotona scheint, nach derselben Stelle, eine allgemeine Weltseele, besonders in den Gestirnen, als Gottheit angenommen zu haben.
Alkmäon gieße sie in die Gestirne ein;
Dem Weisen, der das Nichts von unserm Wissen kennet,
Ist, sie zu ehren nur, nicht sie zu sehn, vergönnet. 206
Wie? dienet der dem Herrn, den uns die Schöpfung zeigt,
Der sein entheiligt Knie in Marmortempeln beugt?
Der kennt und ehret Gott, der ihm zu gleichen trachtet,
Und seine Stimme nie in der Natur verachtet!

So lehrte Sokrates!– Glückseliges Athen!
Du hast den Mund gehört! du hast den Mann gesehn!
Du hast der Pflichten Bild in seinem Thun erblicket,
Du sahst in ihm den Geist, der selber sich beglücket;
Den Redlichen, den Freund, den Menschen, der die Welt
Für seine Vaterstadt und uns für Brüder hält;
Den Richter, den kein Drohn des Kritias beweget,
Den Ehmann, der mit Huld der Gattin Fehler träget,Unsere Zeiten, welche mehrern fälschlich angeklagten und verschreiten Alten Gerechtigkeit widerfahren lassen, haben auch die bekannte Xantippe unschuldiger befunden, als man ehedem glaubte. Indessen zeigen uns Stellen aus dem Xenophon, daß sie eben nicht den zärtlichsten und sanftmüthigsten Charakter gehabt; denn Sokrates heirathete sie, um sich an ihr in der Geduld und Menschenliebe zu üben.
Den Freund, der in der Schlacht, von gleicher Noth bedroht,
Doch seinen Leib zum Schild der Brust des Freundes bot.Sokrates rettete, nach der unglücklichen Schlacht bei Potidäa, seinen jungen verwundeten Freund Alcibiades, indem er ihn sammt seinen Waffen mitten durch einen feindlichen Haufen davon trug.
Ihr, deren Saiten nur von Weltbezwingern klingen,
Seht meinen Helden an, und schämt euch fortzusingen!
Bleibt neben Sokrates ein Alexander groß?
Beglückter Xenophon! du warst in seinem Schooß
Zum Helden ausgebild't; die Kunst erhabner Seelen,
Die dich unsterblich macht, dem Glücke zu befehlen,
That dir sein Beispiel kund, und rief die edle Lust
Sein Ebenbild zu seyn in deine junge Brust.
Wer hätte seinem Werth sich nicht ergeben müssen?
Selbst Alcibiades ward von ihm hingerissen!
Sein Antlitz, wo sich Ernst in Anmuth sanft ergoß,
Nahm schon die Seelen ein. Von Venus Gaben bloß,
Verschönt er die Natur, die ihn dem DelphinIn der Sammlung der Bilder der Helden und großen Männer des Alterthums, welche Johann Angelus Canini gemacht, und de Chevrières ins Französische übersetzt zu Amsterdam 1731 herausgegeben hat, ist ein Jaspis abgezeichnet, in welchen der Kopf des Theätetus geschnitten ist, der statt der Mütze eine Larve hat, die von der einen Seite einen Delphin, und von der andern den Sokrates vorstellet. Die Haare des Jünglings machen den Bart des Alten aus, und die Aehnlichkeit, welche der kahle Kopf und die gebogene Nase dem Sokrates mit einem Delphin gibt, widerlegen die Gelehrten genugsam, welche diesen Weisen mit Gewalt verschönern wollen, ob ihnen gleich die Augenzeugen Platon und Xenophon zuwider sind. Auf diesen Stein, wo Theätetus, Sokrates und der Delphin alle drei einander ganz gleich sehen, welches auch mit dem Zeugnisse der Alten übereinkommt, folgen zwei andere, wo Sokrates und Silenus einander so ähnlich sind, als ob sie Zwillinge wären. gleichte,
Mit Mitteln ohne Kunst, die ihm die Weisheit reichte;
Bei aufgeklärter Stirn und lächelndem Gesicht
Beleidigt unsern Blick die Faunennase nicht: 207
Und darf er nicht beim Mahl, obgleich die Gäste lachen,
Dem schönen Kritobul den Vorzug streitig machen?Dieser scherzhafte Streit des Weisen mit dem schönen Kritobulus ist, so wie ihn Xenophon in seinem Gastmahl erzählt, eines von den schönsten Beispielen von dem, was die Attische Urbanität und das Attische Salz genannt wurde, so uns aus diesen glücklichen Zeiten übrig geblieben ist.

Im Schooß der Armuth hat die Weisheit ihn beglückt.
Vom Reichthum unbeschwert, vom Mangel nicht gedrückt,
Vergnügt' er die Natur, die nie zu viel begehret,
Und unterm Schieferdach des Marmors leicht entbehret.
Nie, Vorsicht, hat er dich mit eitlem Flehn ermüd't;
Was fehlt dem, der sein Glück in sich gegründet sieht?
Nie hat er euch beneid't, ihr Thoren auf den Thronen;
Dem fehlt's an Lorbern nicht, der misset keine Kronen,
Der in sich selber herrscht, und die Begier besiegt,
Zu deren Füßen selbst der Weltbezwinger liegt.

Gefällt mein Lehrer dir? Erkennest du den Weisen,
Den Plato, Xenophon der tauben Nachwelt preisen?
Ist er der Sorgen werth, die meinen Geist bemühn,
Und, ähnlich ihm zu seyn, mir Scherz und Schlaf entziehn?
Doch, Freundin, könnt' ich dir von einem solchen Leben
Den würdigsten Beschluß mit Platons Zunge geben,
Da würdest du den Mann in seiner Größe sehn,
Den Kerker und Anyt mehr als Apoll erhöhn;
Sehn, mit Entzückung sehn, wie nun der Mensch vergehet,
Und stufenweise sich zu einem Gott erhöhet.
Zwar weintest du vielleicht, von frommer Wehmuth voll,
Daß hier das Laster siegt, die Tugend leiden soll;
Doch welche Wollust ist so süß als solche Schmerzen?
Sie sind das Eigenthum von tugendhaften Herzen.
Ja, Freundin, traure nur, wenn Kerker, Gift und Tod
Dem Besten seiner Zeit, dem Stolz der Menschheit droht!
Wenn ein Aristophan in spotterfüllten Scenen
Es kecklich wagen darf den Weisen zu verhöhnen;
Wenn einen Sokrates Melit zum Urtheil führt,Schon hier hat Wieland sein Urtheil über Aristophanes, in Vergleichung gegen die früheren Ausgaben, sehr gemildert: späterhin schrieb er eine eigne Abhandlung darüber; für besser hielt er noch das in den Briefen Aristipps darüber Gesagte. 208
Und was Belohnung heischt, Stoff zur Verdammung wird;
Wenn seine Freund' ihm nun zum Kerker folgen müssen,
Wer tadelt sie und uns wenn unsere Thränen fließen?

Jedoch ein Sokrates will nicht bejammert seyn;
Bei eines Weisen Tod soll sich sein Freund erfreu'n.
Er fleht den Richtern nicht, die ihn zu beugen hoffen,
Beim Urtheil lächelt er, die Kläger stehn betroffen.
Er schlägt die Lösung aus, die ihm die Freundschaft bot,
Und fliegt dem Kerker zu, und segnet seinen Tod,
Ihn, der das Göttliche, in unserm Leib verschlossen,
Zurück zur Quelle führt, aus der es ausgeflossen.
Dort sieht im reinen Licht, das um die Gottheit fließt,
Sein nebelfreier Geist das was wahrhaftig ist;
Dort liegt der Plan vor ihm, wornach die Vorsicht handelt;
Dort findet er, die ihm zum Himmel vorgewandelt,
Die Edeln, deren Ruhm noch in Verdiensten lebt,
Die Weisen, denen er zu gleichen sich bestrebt.

So hofft mein Sokrates, und lässet mit Vergnügen
Weit unter seinem Fuß die kleine Erde liegen;
Er nimmt den Schierlingskelch, so frei von Angst und Gram,
Wie dort Anakreon den Rosenbecher nahm,Ode XXVI.
Reizt seine Freunde, sich nach seinem Glück zu sehnen,
Und lächelnd scheidet er von ihren frommen Thränen. 209

 


 


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