Christoph Martin Wieland
Moralische Briefe
Christoph Martin Wieland

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Fünfter Brief.

Nil admirari prope res est una, Numici,
Solaque quae possit facere et servare beatum.
Horat. Epist. VI. L. I.
            Der meisten Plagen Heer, das unsre Ruh' bekriegt,
Zeugt die Verwunderung. Nur der lebt recht vergnügt,
O Freundin, der den Werth der Dinge richtig schätzet,
Und den nicht jeder Glanz gleich in Erstaunen setzet.
Gleichgültig, wenn ein Geck von Wunderdingen spricht,
Lobt er was Lob verdient, doch er bewundert nicht.
Nichts ist ihm unverhofft, und in des Weisen Ohren
Hat Zufall, Unglück, Glück, die Deutung ganz verloren.

Der Dummheit Erstgeburt war die Verwunderung.
Kaum daß die Erde neu sich aus dem Chaos schwung,
So deckte sie der Wahn mit Tempeln und Altären,
Man sah die Götter sich, mehr als die Frösche, mehren;
In der bewölkten Luft, in den gestirnten Höhn,
Wo etwas schlimmerte, da ward ein Gott gesehn.
Es donnert, Luft und Erd' hüllt sich in falbe Schatten,
Der Frühling und sein West verschwinden auf den Matten,
Der Vögel Lied verstummt, die scheue Schwalbe flieht,
Die Wolken stürzen sich, der ganze Himmel glüht; 174
Ein solches Schauspiel muß den ersten Hörer schrecken;
Er läuft, sich, gleich dem Wild, in Höhlen zu verstecken;
Er staunt, er sinnt, und find't daß nichts gewisser ist,
Als daß ein Donnergott den Blitz aus Wolken schießt.
So wird, wenn den Verstand die wahren Gründe fliehen,
Uns die Verwundrung bald aus aller Unruh' ziehen.
Das ganze Geisterreich, und mehr als Hesiod
Gottheiten ausgeheckt,Die Götter, welche Hesiodus in seiner Theogonie anführt, waren nicht seine Erfindung, sondern in dem Volksglauben vorhanden, ehe ein Dichter daran denken konnte, ihr Geschlechtsregister zu entwerfen. die stehn ihr zu Gebot.
Sie rufet Engel ab von den entfernt'sten Himmeln,
Und lässet Luft und Erd' und Flut von Sylphen wimmeln.
Dem Pöbel, der sich nie zu denken unterwind't,Der Pöbel hat sich nie zu denken unterwunden. — Haller.
Verzeihe diesen Wahn. Allein wenn Helden sind,
Die, wie Pygmalion, sich selber Götzen schnitzen,
Und sich, dem Pöbel gleich, um einen Schein erhitzen,
Den von gemeinem Tand nur dieser Vorzug trennt,
Daß oft die halbe Welt, ihn zu erhalten, brennt:
Mag ein gedungnes Lob sie bis zum Himmel heben,
Gewiß, kein JulianAnspielung auf die Cäsarn dieses Kaisers (welcher, in dieser Satyre auf die Kaiser, seine Vorfahren, alle Alexander, Cäsare und Auguste entlarvt). wird ihnen dieß vergeben!

Wie klein ist nach dem Maß der Weisen ein August,
Nennt sein und mein Horaz ihn gleich der Völker Lust!
Wie weit treibt Philipps Sohn die tolle Sucht zu siegen?
Er fand Auroren selbst in Tithons Armen liegen,d. h. er drang bis zum äußersten Osten vor, wenigstens weiter als je einer vor ihm, bis Indien.
Und brach sich Lorbern ab am fernsten Ocean.
Ein Cäsar sieht erstaunt des Helden Thaten an,
Den Diogen verlacht.Diogenes der Kyniker hatte vom Welteroberer nichts zu erbitten, als daß er ihm aus der Sonne gehen möge; Jul. Cäsar soll geweint haben, daß er seinem Ideal in Alexander so wenig gleiche. Er sieht im Ueberwinden
Was Großes, das ihn reizt, es selber zu empfinden.
Gebundne Könige zu seinen Füßen sehn,
Ein Herr der Erde seyn, wie groß (denkt er), wie schön!
Unseliger Gedank', was Blut hast du vergossen?
In seine eigne Brust hast du den Dolch gestoßen!
Der Fürsten Königin, der Helden Vaterstadt, 175
Der Götter größtem Werk, das weder Mithridat,
Noch Pyrrhus, noch Jugurth, noch Hannibal bezwungen,Namen von Königen und Helden, die gegen die Oberherrschaft Roms kämpften. Mithridates der Große, König in Pontus, führte drei Kriege gegen Rom, und würde auch den vierten begonnen haben, wenn er nicht darüber entthront worden wäre. – Pyrrhus, König von Epirus, war schon bis Präneste vorgerückt, mußte aber am Ende doch wieder unverrichteter Sache zurückkehren. – Jugurtha, König von Numidien, ein gefährlicher Feind Roms, wurde am Ende daselbst im Triumph aufgeführt; – selbst Hannibal, der durch seine Eroberung Sagunts die Veranlassung zum zweiten punischen Kriege gab, und eine Zeit lang der Schrecken Roms war, mußte am Ende unterliegen.
Hat die Bewunderung die Freiheit abgedrungen.

Der Herr von seinem Herrn, der glänzende Sejan,
Vor dem das Rathhaus bebt, den niemand schrecken kann,
Der uns in seinem Blick den Gott der Erde zeiget,
Vor dessen goldnem Bild sich schon der Römer beuget,
Vor dem die Tugend flieht, der alle Laster nährt,
Und schon mit einem Wink das Recht in Unrecht kehrt,
Erzittert wenn es blitzt, verspottet seine Götter
So lang der Himmel lacht, und bebt im Donnerwetter.

Der bei Octavien und Tugend fühllos war,
Läuft bei der Buhlerin Kleopatra Gefahr.Der wegen seiner Herrschsucht und Wollust berüchtigte Triumvir M. Antonius verließ um der buhlerischen Kleopatra willen die Schwester Octavians, die tugendhafte Octavia.
Den rührt die Hoheit nicht, die edle Seelen schmücket,
Den eine LamiaLamia, eine Flötenspielerin, besaß noch in ihrem Alter Reize genug, um sich bei Demetrius Polyorketes in außerordentlicher Gunst zu erhalten. Plutarch in dessen Leben. mit falschem Reiz entzücket.
Ein Aug' voll wilder Glut, ein grazienvoller Mund,
Fällt einen Helden oft, der gegen Helden stund.

Sieh den Bewunderer von Crassus Millionen;
Trotz dem Pythagoras begnügt er sich an Bohnen,Zu der Lebensweise der Pythagoräer gehörte die Enthaltung von den Bohnen, ohne Zweifel nach der Sitte der ägyptischen Priester, den Vorbildern des Pythagoras, welche alle blähenden Speisen für verunreinigend hielten. Der Geizige hält sich ans Schlechteste, ohne sich um Verunreinigung zu kümmern.
Und findet ungebraucht sein Gold bewundernswerth,
Das ihn vom Anblick bloß, zur Qual der Erben, nährt:
Wie der Chamäleon, wenn der Bericht nicht lüget,
Sich ohne Speis' und Trank bloß an der Luft begnüget.
Stax wacht und sinnt und läuft und streitet und gewinnt,
Er rechnet auch im Traum, und guckt stets nach dem Wind;
Doch, würde seinem Wunsch kein Gold aus Peru fehlen,
Was hat er dann davon? Er darf es sehn und zählen.

Zwar der scheint noch beglückt, dem, was er wünscht und liebt,
Aus Güte oder Zorn sein Stern gefällig gibt.
Doch, Freundin, sollt' ich dir den armen Thoren malen,
Der fast vor Neid zerplatzt, wenn reichre Thoren strahlen, 176
Der Werke alter Kunst, Gemälde, Elfenbein,
Japanisches Geschirr, Tapeten, Edelstein,
Bewundert und entbehrt; die stolze Adelheide,
Der eine Nachbarin in einem reichern Kleide
Geduld und Farbe nimmt, und die ein Diamant,
Ja nur ein Pflästerchen, das Chloen besser stand,
Um alle Ruhe bringt; die schönen Dulcineen,
Die Schwestern des Narciß, die fast vor Gram vergehen,
Daß Phyllis mehr gefällt, daß sie der Geck, Amynt,
Sie für so schön nicht hält, als sie im Spiegel sind!
Sie malen? und wofür? wer sieht sie nicht im Leben?
Und würde mir Horaz dazu den Pinsel geben?

Glückseliger Horaz, du sahst, entwölkt vom Wahn,
Die Größe jedes Dings im rechten Fernpunkt an.
Wer Sonnen und Gestirn verwundrungsfrei beschauet,Hunc solem et stellas et decedentia certis
Tempora momentis, sunt qui formidine nulla
Imbuti spectent; quid censes munera Terrae? — Horat. Ep. VI. L. I.

Wem vor Kometen nicht noch vor Aspecten grauet,
Wer wie in seinem Feld in neuen Himmeln streift,
Von Welten angestrahlt, die keine Zahl begreift;
Wie, sprichst du, wird wohl dem die Pracht der Erde scheinen?
Der Perlen schwacher Glanz, das Licht von bunten Steinen?
Gefäße von Korinth, ein marmorner Koloß,
Ein Badhaus von Mäcen, dem Pöbel sey dieß groß!Das Korinthische Erz ist im Alterthum sehr berühmt und wurde besonders von den Römern sehr geschätzt. Aus diesem Erze hatte man Statuen, Helme und Gefäße aller Art, welche wegen der Schönheit, und vielleicht auch der Seltenheit des Materials, zu den gesuchtesten Luxusartikeln der Großen und Reichen gehörten. – Zu den Villen der Römer gehörten, besonders seit der Zeit der Cäsaren, Bäder, und machten einen vorzüglichen Theil derselben aus, die man je länger je mehr auf alle mögliche Weise ausschmückte. Mäcenas, weichlich und kunstliebend wie er war, gab dazu den Ton mit an.
Für Weise hat es nichts, was ihren Sinn entzücket.
Die Unschuld, ohne Kunst, mit Blumen ausgeschmücket,
Dünkt ihm weit reizender, als der MetellenS. Horat. L. II. Sat. III. (Diese Metella war eine Geliebte des schwelgerischen Sohnes des Aesopus, eines berühmten Mimen; sie trieb, nach Horaz, ausschweifende Pracht in Schmuck und Edelsteinen.) Pracht,
Die sie nur blendender, nicht angenehmer macht.
Der Frühling weiß sein Kleid weit prächtiger zu zieren,
Hier muß der größte Schmuck der Schönheit Preis verlieren.
Die Nelke, die Viol, wie schön ist sie gemalt!
Wer zeigt mir den Rubin, der Rosen überstrahlt?
Ja wohl, ruft Polyanth,Polyanth, übertriebener Blumenfreund. mit Recht strafst du die Thoren, 177
Wo gleicht ein Edelstein dem ersten Kind der Floren,
Der frühen Hyacinth? – Sehr wohl, Herr Polyanth!
Doch was dir Blumen sind, ist dem ein Diamant.
Wenn du dein Amt versäumst, die Nelken zu beschneiden,
Und Frau und Kind und Magd indessen Hunger leiden
Daß deine Tulpen blühn: was dünket dich, du Thor!
Geht dir ein reicher Narr mit seinen Steinen vor?

Wie lang, ihr Sterblichen, wollt ihr nach Schatten laufen,
Und um ein schimmernd Nichts das wahre Gut verkaufen?
Stabér, was schrecket dich? was nimmt dir Schlaf und Ruh'?
Was Sokrates erwählt, die Armuth, fürchtest du,
Schämst du dich, dem Arist an Tugend nicht zu gleichen?
O Thor! dieß schändet dich! Das Mark von allen Reichen,
Gold, Purpur, Kronen selbst, vertheilt des Glückes Hand,
Und größern Thoren oft; doch Tugend und Verstand
Schenkt dir kein Zufall nicht, die mußt du selbst dir geben.
Durch sie weiß Epiktet im Mangel wohl zu leben.

Wie edel dacht' Ulyß zum Beispiel für die Welt?
Er ist des Lebens werth, das ihm Homer erhält!
Herr eines Reichs, wohin kein Tyrus Schiffe schicket,
Von langem Irren müd', vom Zorn Neptuns gedrücket,
Zog er sein Ithaka, entblößt von aller Zier,
Kalypsens Paradies und ihrer Liebe für,
Und einer Ewigkeit von wollustreichen Tagen.
Wem hat mit solchem Reiz das Glück sich angetragen?
Kein lachend Tempe war der Nymphe Wohnung gleich,
Kein traubenvoll Tarent, noch Aphroditens Reich.
Hier schüttelt' Amor stets auf junge Myrtenäste
Und Florens weichen Schooß ein Heer verbuhlter Weste
Von Rosenflügeln ab; ein nie entblößter Wald
Umschattet und bekränzt der Göttin Aufenthalt, 178
Den Proknens Schwestern stets mit ihrem Lied beleben;Die Schwester Prokne's war Philomele, deren Verwandlung in die Nachtigall wenigstens die Römer angenommen zu haben scheinen, die unter Philomele die Gesangfreundin verstanden. – Bei der ganzen Stelle hat dem Dichter die Odyssee vorgeschwebt V. 83 fgg.
In einem ew'gen Herbst wind't seine Nektarreben
Der Weinstock um ihn her; ein Feld, wo Veilchen blühn,
Von jungen Westen voll, verbreitet sich um ihn;
Hier rauschen nachbarlich mit abgemess'nen Fällen
Durchs blumichte Gefild vier perlenfarbne Quellen:
Selbst ein Unsterblicher, der dieß Elysium
Im Flug ersah, hielt ein, und sah noch oft sich um.
Doch für Ulyssen war in diesen Götterauen
Kein Reiz, der seinen Blick, nicht in die See zu schauen,
Vom hohen Ufer rief, wo er nur Ithaka,
Und seinen Telemach und Penelopen sah.
Wo sind die Helden jetzt, die wie Ulysses denken?
Göttinnen, ohne Macht Unsterblichkeit zu schenken,
Und ohn' ein Zauberreich voll Freuden, Spiel und Scherz,
Sind, mit gemeinem Reiz, zu stark für unser Herz.

Ach, Freundin, jene Zeit von der Homere melden,
Der Tugend Monarchie, die fruchtbar war an Helden,
Flog mit der Muse fort, die jene Dichter trieb,
Vor deren starkem Lied oft Alpheus stehen blieb.
Wo ist dein Schimmer hin, Zeit der Olympiaden?
Wo ist Leonidas? wo sind die Miltiaden?
Wo bist du, Phocion? wo ist mein Sokrates?
Da wo Euphranor ist, da wo Euripides!Zeit der Olympiaden, die Zeit der eigentlichen Blüthe Griechenlands, aus welcher der Dichter eine Anzahl der berühmtesten Namen nennt, Helden des Vaterlands, der Tugend, der Wissenschaft und Kunst.
Der Frühling ist verblüht, der einst die Erde schmückte,
Der Pfad von Dornen starr, den einst der Weise drückte,
Die scheue Tugend wich von Söhnen fremder Art,
Und hat Asträen sich im Sternenfeld gepaart.Dike, die Göttin der Gerechtigkeit, wohnte im goldenen Weltalter unter den frommen Menschen; im ausgearteten silbernen kam sie nur selten einmal von den Gebirgen herab; als aber das eherne Geschlecht sich Waffen schmiedete, und den Pflugstier erschlug, da flog sie zum Himmel, wo sie im Thierkreis als Asträa, Sternjungfrau, leuchtet.
Itzt nennt man ohne Kraft der wahren Helden Namen,
Kein Trieb beseelt uns mehr, Fabrizen nachzuahmen.Fabricius, das Gegenstück zu Crassus, war in eben so großem Grade arm als edel, und die Römer, die noch Geist und Tugend gebührend zu achten wußten, fanden in seiner Armuth kein Hinderniß, den würdigen Mann, dessen Töchter vom Staat ausgestattet wurden, zu den höchsten Würden zu erheben. Seine ganze Seelengröße leuchtet besonders bei seiner Gesandtschaft an Pyrrhus hervor, wo weder Gold noch Schrecken ihn zum Abfall bewog.
Der Arme, wär' er auch Sokratens Ebenbild, 179
Schleicht unbemerkt vorbei. Sobald in Gold verhüllt
Ein reicher Narr erscheint, bedeckt mit Diamanten,
Trägt Rhodope den Raub geplünderter Amanten
Vor aller Welt zur Schau, ihr folgt des Pöbels Blick,
Und ungeachtet weicht SulpiciaRhodope, eine der namhaftesten Hetären aus Thracien, eine Zeitlang Sklavin, dann von der Sappho Bruder zu ungeheuerm Preis erkauft, wurde am Ende so reich, daß sie, der Sage nach, auf ihre Kosten eine bedeutende Pyramide konnte aufführen lassen, was bisher nur Könige vermocht hatten.

Sulpicia wurde von zehn ihres Geschlechts, die aus hundert andern auserlesen wurden, für die keuscheste Matrone ihrer Zeit zu Rom erklärt, und erwählt, das Bild der Venus Verticordia einzuweihen. Sie steht hier für jede, die, ohne die äußerlichen Vortheile des Glücks, allein das stille Verdienst der Tugend besitzt.

zurück.

Kommt, Freundin, laß die Welt vor ihren Götzen knieen;
Kein schimmernd Kind des Sumpfs soll uns von Höhen ziehen,
Wo sich vor unserm Blick der Wahn umsonst verdeckt,
Kein Glück uns Wünsche raubt, kein Unfall uns erschreckt.
Die Güter miss' ich leicht, die Thoren angehören.
O Freundin, nur dein Herz, dieß kann ich nicht entbehren! 180

 


 


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