Christoph Martin Wieland
Erzählungen
Christoph Martin Wieland

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Selim und Selima.

            Unendliche Natur, der Gottheit Spiegel,
Wie reich bist du an Schönheit und Vergnügen!
Wie unerschöpflich ist dein Meer von Freuden!
Zwar trinken Myriaden von Erschaffnen,
Die Engel und die geistigen Bewohner
Der bessern Welten, mit dem erdgebornen,
Dem Thier verwandten Menschen, alle Bürger
Von Luft und See, bis zum bewohnten Sandkorn,
Bis zu den Welten, die uns LeuwenhoeckLeeuwenhoeck (Anton von, geb. 1632 zu Delft, gest. 1725 das.), war ein berühmter Physiker, der durch seine mikroskopischen Entdeckungen die Naturkunde sehr bereicherte. Seine Arcana naturae delecta verdienen in der That diesen Namen, denn er entdeckte eine unbekannte Welt voller Leben, wo man vorher nur todten Stoff gesehen hatte. Berühmt war sein System der Samenwürmer.
Im Staub und Wassertropfen zeigt, sie alle,
Zahllose Schaaren, trinken deine Bäche
Mit vollen Zügen. Doch je mehr sie trinken,
Je stärker strömt dein Ueberfluß sie an.
So schöpfen sie Vergnügen, ihre Nahrung,
Und stillen die besänftigte Begierde.
Der Mensch allein, obgleich von deinem Reichthum
Umflossen, klagt und fliehet den Genuß,
Entflieht der Freude, die ihn selber sucht,
Und sucht sie, wo sie nie zu finden war.
Vergeblich gab der Schöpfer ihm die Sinnen,
Dich, o Natur, zu fühlen, und von dir 353
Auf Flügeln der Empfindungen zu ihm
Emporzufliehn; vergeblich stimmtest du
Die Schönheit, die aus deinen Werken strahlt,
Mit seiner Seele leichtbewegten Saiten
In Harmonie; der Thor, er achtet's nicht,
Und höret im Getümmel seiner Lüste
Dein sanftes Locken, noch dein Warnen nicht.
Die ihr euch Menschen nennt, wann werdet ihr
Den Unsinn euers eiteln Thuns erkennen?
Wie lange noch, vom sichern Pfad der Weisheit,
Der sanft empor euch trägt, entweder in die Tiefe
Zu Thieren taumeln, oder in die Wolken
Zu untersagten Sphären schwindelnd steigen?
Bald seyd ihr Vieh und wälzt, der Ewigkeit
Vergessend, euch im Staub und Schlamm der Erde,
Bald ahmet ihr mit lächerlichen Flittern
Dem Glanz der Engel nach. O lernet erst
Das, was ihr fähig seyd, lernt erst genießen,
Und im Genuß der Himmel würdig werden,
Wo sich die Wahrheit, die ihr hier vergeblich
Im Nebel suchet, euch im Sonnenschein
In unverhüllter Schönheit zeigen wird.

O dreimal selig warst du, heil'ge Zeit,
Von Dichtern oft besucht, fruchtbare Mutter
Der schönen Bilder, deren mächt'ge Wahrheit
Noch jetzt, noch in der Zeiten trübster Hefe,
Auf jede Seele wirkt, die menschlich fühlt.
Du goldne Zeit, in die den Dichter oft
Ein Traum entzückt, wo er die Wunder sieht,
Womit dein Paradies, Homer der BrittenHomer der Britten, Milton. – – Bodmer hatte damals mehrere epische Gedichte aus dem Kreis der biblischen Patriarchenwelt herausgegeben, unter denen seine Noachide das meiste Glück machte. Bodmer zog Wielanden selbst in diesen Kreis; daher dessen Prüfung Abrahams.,
Die Weisen reizt; wo ihm die Schönen lächeln, 354
Die Töchter der Natur, die Bodmer uns,
So liebenswürdig als den ersten Frühling
Der Vorwelt, zeigt; die aber unsern Zeiten
Noch fremder sind als Klopstocks Seraphim.
Komm, Muse, komm, begleite mich noch einmal
In diese Welt, in die ich oft mich rette,
Wenn der Triumph der Thoren mich ermüdet.
Entwöhne mich mit Menschen umzugehen,
Die nur von fern es sind; hingegen führe,
Wenn ich im heil'gen Schatten der Betrachtung
Mich selbst genieße, holde Träum' herbei,
Und die beliebten redlichen Gestalten
Der Menschen, die Natur und Tugend säugte;
Damit ich dann die dichtrischen Gesichte
Den Freunden wieder schildre, die mit mir
Gefühlvoll sind, und sich der Weisheit weihen;
Und denen ich itzt noch erzählen will,
Was sich mit Selim ehmals zugetragen.

In eines freien Thales stillem Busen
Lebt' Selim einst, ein liebenswerther Jüngling.
In seiner schönen Bildung hatte die Natur
Gefühl und Geist und alle Tugenden
Des Herzens ausgedrückt; nichts mangelt' ihm
Als das Gelicht; nur diese Gabe hatte
Der Himmel ihm versagt. Nie zeigten ihm
Der Körper wandelnde Gestalten sich
Im Sonnenglanz, dem Quell der feinsten Freuden.
Doch nie beschwerte sein zufriedner Sinn
Mit Klagen die Natur. Ihm war genug
In seiner Sphäre, war sie gleich umschränkter,
Die ihm vergönnten Freuden zu genießen. 355

Doch über alles, was sein nächtlich Leben
Ihm lieblich macht, ist Selima, die Perle
Der Töchter ihrer Zeit, mit ihm verwandt,
Und von der Kindheit an für ihn bestimmt.
Sie liebten sich, so wie die Unschuld liebt,
Die, ungelehrt in Zwang und Sprödigkeit,
Die falsche Scham nicht kennt, das auszudrücken,
Was sie zu fühlen nicht erröthen darf.
Was je an einem Mädchen für den Sinn
Des Auges reizend war und schön,
Vereinte Selima. Ein süßres Licht,
Als das der Mond auf Frühlingsnächte gießt,
Ein Widerschein der schönsten Seele leuchtet
In ihrem blauen Aug', ein schöner's Roth,
Ein sanftres Weiß, als Lilien und Rosen,
Von höherm Roth des kleinen Munds erhoben,
Vermischet sich auf ihren zarten Wangen.
Allein für Selim glänzte diese Pracht
Der Farben, ungeliebt und ungenossen
An Selima; doch liebt' er sie nicht minder,
Obgleich begierig, diese unbekannten
Gepries'nen Reizungen an ihr zu kennen.

Einst eines frohen Tags, aus dem Gefolge
Des blumenvollen Mai, rief er die Freundin:
»Komm, meine Traute, weil der West uns lockt!
Ein warmer Einfluß macht die Lüfte heiter,
Die Fröhlichkeit singt aus den Luftbewohnern,
Und laue Zephyr wehen mir den Balsam
Des blühenden Orangenbaums entgegen:
Komm, Selima, laß uns im offnen Felde
Die Lieblichkeit der Frühlingslüfte trinken. 356
Dir wird die Nachtigall in süßerm Ton
Entgegen singen; wo dein zarter Fuß
Die Blumen leicht berührt, da werden sie,
Vor Wollust zitternd, dich mit süßern Düften
Wetteifernd grüßen; jedes sanfte Kraut
Wird weicher sich um deine Sohlen schmiegen.«

So sprach er. Selima begleitet' ihn
In wohl bekannte Fluren, wo den Rand
Des musikal'schen Baches grüne Lauben
Von Geißblatt oder Rosenhecken zierten;
Hier saßen sie, und fühlten dich, o Lenz,
Und deinen Einfluß, der die Liebe nährt.
Ein blumichter Granatbaum streckte sich
Weit über sie, und hörte wie sie sich
Mit unverhaltner Zärtlichkeit besprachen.

Wie lieblich ist des heitern Himmels Wonne,
Spricht Selima, sein Anblick strahlt ins Herz
Ein geistig Licht, das es mit Ruh' erfüllet,
Und Aug' und Stirn mit freiem Lächeln schmückt.
Welch holder Glanz, der auf den Auen zittert!
Wie lieblich blitzt der Abendsonne Gold
Durchs helle Grün der neubelaubten Büsche!
O! könntest du, mein Freund, die Freuden fühlen,
Die das Gesicht von Licht und Farb' empfängt!

Wie süß muß die Empfindung seyn, sprach Selim,
Die dich so sehr entzückt! Zwar fühl' ich nichts,
Wenn du von Licht und Schatten, von der Farben
Anmuth'gem Wechsel, von der Büsche Grün,
Und von dem Schmelz der bunten Wiesen sprichst;
So sehr ich mich bestreb', empfind' ich nichts
An Blumen, als den lieblichen Geruch 357
Der duftenden, und ihrer Blätter Formen,
Mehr oder minder seidenartig, glatt,
Gefirnißt, oder sanft behaart und weich,
Die dem Gefühl durch angenehmen Wechsel
Harmonisch vielfach, wie die Töne, schmeicheln.
Die Sonne, was es seyn mag, das ihr andern
Die Sonne nennt, erquickt mich durch die Wärme,
Die meine Haut umwallt, und sanftes Leben
Ins Blut ergießt. Was ist's denn, Selima,
Was du den Schimmer nennst, den du so reizend
Mir oft beschreibst? Kann er noch lieblicher
Als der Geruch bethauter Rosen seyn?
Und könnt' er eine süßre Wärme durch
Die Adern gießen, als ich fühle, wenn
Du deine sanfte Hand auf meine legest?
Wie wünschenswürdig wäre da, Geliebte,
Was ihr das Sehen nennt! Wiewohl ich nicht
Begreifen kann, wie andre oder süßere
Gefühle möglich sind, als die ich kenne.
Wenn ich, von dir entfernt, am kühlen Ufer
Des Baches ruhe, wie vergnüget mich
Sein klatschend Rieseln! Lange hör' ich ihm
Halbschlummernd zu, dann schlüpft ein warmer Zephyr
Aus einem Blumenthal, sich abzukühlen,
Mit leichten Füßen auf des Grases Spitzen,
Und fächelt mit ambrosial'schen Flügeln
Mir Wollust zu; mich dünkt, ich taumle trunken
In einem Wirbel reizender Gerüche,
Gefühllos anderm Eindruck, bis die Lieder
Der Nachtigall, aus eines Haines Tiefe
Mich schnell aus dem beliebten Staunen wecken. 358
Nun bin ich lauter Wohlklang; alle Triebe,
Gedanken und Empfindungen der Seele,
Stimmt süße Harmonie; ich fühle mich
Der Erd' entzogen und in Paradiese
Verzückt, ich hör' in Engelsharfen rauschend
Der Sphären Symphonie, und fühle stärker,
Der Gottheit Gegenwart. –
Allein bezaubernder als alle andern Freuden,
O Selima, sind die Entzückungen,
Die mich in deinem sanften Arm ergreifen.
Wie wallet schon mein Herz, wenn ich von fern
Still lauschend deiner Füße Tritt vernehme!
O! was empfind' ich, wenn du liebevoll
Die weichen Arme küssend um mich schlingest!
Was gleichet deinem Kuß? was deiner Stimme,
Wenn sie mit Tönen, die die Seele selbst
In Liebe schmelzen, sagt: du liebest mich?

Wie rührst du mich, sprach Selima entzückt,
Und werd' ich stets so liebenswerth dir scheinen?
Wirst du mich immer lieben? – O wie traurig
Ist mir der Schatten nur des Gegentheils!
Doch ja! du liebst mich ewig! die Natur,
Der Himmel hat mit unaussprechlichen,
Den Seelen nur empfindbar'n Sympathien
Uns Liebende verknüpft; wir lieben ewig!
Doch sage mir, Geliebter, was es war,
Das dich zuerst an mir gereizt, was war es,
Womit mein Glück dein theures Herz gewann?
Bei andern schleicht die Liebe durch die Augen sich
Ins Herz; du selber hörtest unsre Dichter oft
Die Macht der siegenden geliebten Augen preisen. 359
Den einen fängt der Wangengrübchen Zauber;
Ein Mund, der lächelnd Küsse lockt, den andern.
Was war es denn, womit ich dich zuerst
Zu rühren wußte? Stille meinen Vorwitz.

So lang ich mich, erwiederte der Jüngling,
Erinnern kann, hat mich der Töne Wohlklang mehr
Ergötzt, als alles, was den andern Sinnen,
Die die Natur mir gönnte, schmeicheln kann.
Ich liebte, noch ein Kind, im dichten Busch
Oft Stunden lang den zärtlichen Gesängen
Der Vögel, die sich lockten, zuzuhören.
Der Quellen Sprudeln, lispelnde Gebüsche,
Des Tannenwaldes wellengleiches Rauschen,
Der Bienen schwärmendes Gesums, und was
Sonst das Gehör zur Frühlingszeit vergnüget,
Ergötzte mich, mehr als ich's sagen kann.
Einst als ich, wie ich pflegt', in einer Grotte
Des Haines lag, allein, doch von Ideen
Und Schöpfungen der Phantasie umgeben –
Es war im Lenz, und nie hatt' einen Abend
Der stille Mond mit sanftern Influenzen
Beseliget – da tönte aus der Stille
Des Hains, so dacht' ich, eine Engelsstimme
In mein entzücktes Ohr, und weckte meine Seele
Aus ihrem Traum. Du warst es, Selima,
Die, wie du glaubtest, nur allein von Nymphen
Des Hains vernommen, deiner schönen Seele
Empfindung sangst. Die meine schien auf einmal
Ganz Ohr zu werden, alle andern Sinnen
Verstummeten; ganz aus mir selbst entzückt
Sog' ich mit offnem Mund die süßen Töne, 360
Wovon ich, als sie schwiegen, noch den Nachklang
In meinem Innersten zu hören glaubte.
Jetzt schwiegest du – Wie seufzt' ich, da du schwiegest!
Mir war als hört' ich auf zu seyn, ich sänke
Ins Nichts zurück, und fühlte mich nicht mehr.
Zuletzt erwacht' ich wieder, drehte lauschend
Mein Ohr umher, die Harmonie zu hören
Die mir das Herz entführt; umsonst! sie schwieg,
Und öde Stille herrschte durch den Hain.
Doch war es mir, als säuselte sie immer
Um meine Ohren, und ein geistig Echo
Gab sie unzählig in der Seele wieder.
Noch wußt' ich nicht, ob eine Sterbliche,
Ob nicht vielmehr ein Sänger aus den Wolken
Mich so entzückt; doch liebt' ich unaussprechlich
Die holde Stimm', und jeder süße Ton
Blieb fest in meiner Phantasie verschlossen.
Jetzt fühlt' ich tausend neue Regungen,
Ein ungewisses strebendes Verlangen
Nach einem unbekannten Gut,
Geheime Ahnungen und Wünsche, die
Nicht eher als in deinen Armen schwiegen.
Bei Tag und Nacht umschwebte mich das Bild
Der Stimme, die mein Herz in seiner Schwärmerei
Mit einem Leib umgab. Im Träumen selbst
Besuchte mich die holde Sängerin,
Nahm meine Hand, zog sanft mich zu sich hin,
Und sang das Lied: ich saß zu ihren Füßen
Und horchte still entzückt, bis Traum und Bild
Verschwand. Wehmüthig irrte dann der arme
Verlass'ne durch den Hain und rief 361
Der holden Unbekannten und beschwor
Rings um sich her die schweigende Natur,
Sie ihm zu geben. Aber wie mir ward,
Als ich dich fand, und diese Melodie
Der Stimme, die mich im Gesang bezaubert,
In deiner Rede sanftem Klang entdeckte;
O, wie mir da zu Muth war, Selima,
Spricht keine Zunge aus! Was weiter folgte,
Wie unsre Herzen sich erkannten, sich
Erschaffen für einander fühlten, wie
Dich Selim liebet, und, in deiner Liebe
Befriediget, kein ander Glück begehrt,
Kein ander's kennt, als ewig dich zu lieben,
Wem, Theu'rste, ist dieß mehr bekannt als dir?
Indessen kann ich doch ein heimliches
Verlangen nach dem Vorzug, den euch die Natur
Vor mir gegönnt, nicht immer unterdrücken.
Ja, Selima, um deinetwillen, nur
Dich anzuschauen, wünsch' ich mir zu sehen.
Ich wollte leicht der Morgenröthe Schimmern,
Der Wolken Farben, das Gepräng' des Frühlings,
Des Himmels Blau, und was du sonst mir rühmst,
Dieß alles wollt' ich missen – Aber, sage,
Ist's strafbar, daß ich dich zu sehen wünsche?
Wie gern ich auch von unsern Hirten dich
Besingen höre, immer macht es mich
Ein wenig traurig, daß ich kaum das dritte Wort
Von deinem Lob mir selbst erklären kann.
Die rabenschwarzen Locken, deren Nacht
Des Nackens Alabasterglanz erhebt,
Die blauen Adern, die durch Lilien 362
Und Rosen dir um Hals und Busen spielen,
Der Lippen Nelkenroth, das warme Licht
Der seelenvollen Augen – alle diese Worte
Entzücken mich doch, fass' ich nichts davon.
Ich sinne nach, ob in den tiefsten Falten
Der Seele nicht dazu die Bilder liegen:
Ich steh' und träum', unzählige Phantomen
Umschweben mich, und schwinden wieder plötzlich
In dünne Luft; doch, wie ich mich bestrebe,
So bleibt mir, was ihr Glanz und Farben nennt,
Was Unerforschliches. – O Selima,
Wie wär' ich glücklich, wenn ich, wie du oft
Zu können rühmst, dein Herz in deinen Mienen
Zu lesen wüßte? Wenn ich schon von ferne,
Eh' mich dein Arm, eh' mich dein Mund erreicht,
Dich gegenwärtig fühlte; deine Blicke
Voll Liebe, deine ausgestreckten Arme
Den meinigen entgegen eilen fühlte!
Welch eine Gunst des Himmels muß das seyn,
Mit diesen Augen aus des andern Blicken,
Bloß durch das Ansehn, ohne Mund und Ohr,
Einander zu verstehn, sich zu besprechen,
Und, sonder Schall, die innersten Gedanken
Der Seelen anzuhören! Welche Wunder
Von leisen Harmonien müssen nicht
Dem Aug' entfließen, das zu gleicher Zeit
Des Mundes und des Ohres Dienste leistet!

Vielleicht, sprach Selima, und seufzte zärtlich,
Daß eine Gottheit deine Wünsche hört;
Vielleicht sind diese unbekannten Freuden
Dir näher als du hoffest. – So besprachen 363
Die Liebenden sich zärtlich mit einander,
Bis sich die Sonne hinter die Gebirge
Hinabgesenkt, und sie die kühle Nacht
Zur Wohnung, in des Schlummers Arme, rief.

Noch lag das Mädchen auf dem weichen Lager
Von sanfter Ruh' umfangen, als ihr Schutzgeist
In Traumgestalten, die er ihrer Seele
Aus leichter Luft gebildet vorstellt,
Vor ihr erscheint. Der Jugendglanz des Himmels
Umfließt sein Haupt, aus dessen hellen Locken
Nektarne Rosen nie verblühend athmen.
So stand der Genius vor ihr, und sprach
Mit wundersüßer Stimme: dein Verlangen,
O Erdentochter, flog nicht ungehört
Vor meinem Ohr vorüber. Siehe den in mir,
In dessen unsichtbaren Armen du
Dich von der Kindheit an entfaltet hast.
Da du geboren wurdest, ging ich hin,
Dein Genius zu seyn. Ich habe dich
Mit mehr als mütterlicher Zärtlichkeit
Vom ersten Augenblick geliebt. Ich war's,
Dem du, ein Kind noch, an der Mutter Busen
Zulächeltest, wenn ich den glühnden Wangen
Mit Rosenflügeln Lust und Schlummer zugoß.
Ich hört' es, wenn dein Herz mit offner Unschuld,
Geliebt zu sein, am Frühlingsmorgen seufzte.
Ich war's, der dich in jene Schatten rief,
Wo Selim deine Stimme hört' und liebte.
Vollkommen sey es denn, das Glück, das ich
Euch zugedacht, ihr seyd des Glückes würdig.
Dein Freund soll sehen! – Selima, du selbst 364
Sollst zu der Seligkeit, dich zu besitzen,
Auch das Gesicht ihm schenken. Im Gebirge,
Das ostwärts diese Flur umthürmt, da rauschet
Ein schneller Bach von seinem Ursprung weg.
An dessen Krümmen gehe durch die Reihen
Der Weiden fort, bis du den Quell entdeckest,
Dem er entspringt. Dort blühet ein Gewächse
Von weichen Blättern, gleich der Balsamstaude.
Der Blüthe Gold, der stärkende Geruch
Verräth es gleich; doch grünt es unbemerkt,
Wie viele Kräfte, die im Schooß der Erde
Dem Menschen, der die Schöpfung auszuspähen
Verdrossen ist, und lieber Hirngeburten
Und Schattenwelten träumt, verborgen bleiben.
Von diesem brich zwei junge Blätter ab,
Und lege sie des Abends auf die Augen
Des Jünglings hin. Kaum wird ihr seidnes Haar
Sie sanft berühren, so entweicht ein Häutchen,
Und gibt dem Licht den lang verwehrten Durchgang.

So sprach er und verschwand. Das Mädchen fuhr
Unruhig auf, und sann erstaunt und zweifelnd
Dem Traumgesichte nach; doch däucht' es ihr
Mehr als ein Nachtgeschöpf der Phantasie;
Bald machte die Begier, es wahr zu finden,
Die scheinbare Vermuthung zur Gewißheit.
Nun eilte sie beim ersten Morgenroth
Dem Berge zu, den ihr der Geist beschrieb,
Fand den erwünschten Bach, und ging so lange
Mit froher Furcht an seinen Hörnern fort,
Bis sich die Klippe zeigte, wo er sprudelnd
Aus einer Ritze quoll. Ein sanfter Wind 365
Trug ihr die süße Kraft der heil'gen Pflanze
Von ferne zu; sie zitterte vor Freuden,
Sucht' und erblickte sie, und sprang hinzu,
Und brach, wie ihr der Geist befohlen, schaudernd,
Zwei Blätter ab. Jetzt flog sie hoffnungsvoll
Zurück, und sah schon die Entzückungen
Des Freundes, wenn er nun durch sie die Welt
Und sie erblickte; frohe Thränen perlten
Von ihren Wangen. Unter diesen Träumen
Betrog sie die Beschwerlichkeit des Weges.
Es war schon Abend, da sie wieder kam.
Mit ungeduld'gen Armen wartet Selim
Auf ihre Ankunft. Weil sie unbemerkt
Entwichen war, erschöpfte sich sein Herz
In traurigen, selbstquälenden Gedanken.
Doch desto freudiger war die Umarmung
Der Wiederkommenden, die kaum die Ursach',
Warum sie heimlich floh, verbergen konnte.
Sie wandte vor verirrt zu seyn, da sie,
Zum Kranz ihm Morgenblumen abzubrechen
Ins Feld gegangen, und ein fremder Vogel,
Mit hohen Farben, schüchtern vor ihr hüpfend,
Sie nachgelockt. Nun gingen sie im Paar,
Die Abendsonne zu genießen, nach dem Hügel,
Der des Besuchs gewohnt sich lieblicher
Als andre schmückte. Beide nahm ein Oelbaum
In seine Dämmrung. Jetzt sprach Selima
Zu Selim, dem sein nahes Glück nicht schwante:

Wie, meinst du, Selim, da der Erde Frühling
So lieblich ist, wie muß des Paradieses
Aether'sche Schönheit seyn, womit die Tugend 366
Den Seelen schmeichelt, die ihr hier getreu sind?
Welch süßer Schauer wird uns dann ergreifen,
Wenn, wie aus einem Traum erwachend, wir
Ins wahre Leben uns versetzet sehn;
Die Wollust, die uns hier entzücken konnte,
Wie klein und kindisch wird sie dann uns scheinen?
Kaum werden wir, zu größrer Lust erweitert,
Es glauben können, daß wir Menschen waren.

So sprach sie. Selim hört sie mit Verwundrung.
Sie rafft sich auf, umarmt ihn fröhlich bebend,
Und drückt die Blätter auf sein Auge; gleich
Entweicht das Häutchen, und sie tritt zurück.

Der Jüngling sieht. Ein nie empfundner Schauer
Erschüttert mächtig seine ganze Seele,
Da in der aufgeblühten Pracht des Frühlings
Die schöne Welt sich ihm zum erstenmal
Im Sonnenglanz, in ihrer Färbung, zeigt.
Lang steht er starr und sprachlos, außer sich
Hinweggezückt – Zuletzt nach langem Schweigen
Bricht die Verwundrung aus den offnen Lippen:

Wie ist mir? Bin ich's selbst? In welche Welt
Bin ich verzückt? Wo ließ ich meinen Körper?
Was für Gestalten, was für neue Wunder
Umzittern mein noch furchtsam Aug'? O Himmel!
Ist dieses das Gesicht? Sind dieß die Farben?
Ist dieß der Sonne Schimmer, den ich dort
Durch jene Büsche wallend lodern sehe?
O! was für neue namenlose Freuden
Umströmen mich! Ein Augenblick gab mir
Ein neues Wesen, und ein zweites Leben!
Bin ich vielleicht in einer andern Welt? 367
Im Paradies? – Doch warum hör' ich nichts?
Ward mir für diesen neuen Sinn der übrigen
Genuß entzogen? Oder duften hier
Die Blumen nicht? Tönt hier kein Hain von Liedern?
Doch nein! ich fühle noch – dieß ist mein Leib,
Dieß ist der Boden, wo ich stand; die Farben,
Die ich erblicke, sind die Blumen selbst,
Die ich betrete; schon empfind' ich wieder
Bekannte Düfte mir entgegenwallen.
Ich bin's – und Selima – sie drückt', ich weiß nicht was
Auf jedes Aug', und schnell entfloh sie mir.
Ich seh', und sie entflieht! – O Selima,
Hörst du mich nicht? Soll ich nur dich nicht sehen?
Was nützte mir alsdann der Augen Licht?
Bist du vielleicht der Preis für das Geschenk,
Das mir ein Gott gemacht? Die Welt zu sehen,
Soll ich dich seinen Armen überlassen?
Ach! Selima, so schön die Welt auch ist,
Wo du mir fehlst, um die ich Welten gäbe,
Ist keine Welt für mich! – Was seh' ich? Welche
Erscheinung! Welche göttliche
Gestalt ist dieß? – Welch ein Gefühl von Wonne
Durchwallt mit süßen Schauern meine Adern?
Soll ich dir glauben, mein entzücktes Herz?
Ist Selima die Göttin, die ich sehe?
Doch diese Majestät – Ja Selima, du bist's,
Ich fühl's, die Liebe ist, was mir so rührend
Aus deinem sanften Aug' entgegen strahlet;
Du bist's – Hier fällt der dichterische Pinsel
Mir aus der Hand – Nur Thomson oder Tasso
Vollendete das schmelzende Gemälde. 368

Nachdem sie aus den stärksten Wallungen
Der Freude sich erholt, und Selima
Dem Wundernden die himmlische Erscheinung,
Die ihres Glückes Ursach' war, berichtet,
Sagt Selim, und umarmet sie, und drückt
An seine Brust des Mädchens sanfte Hand:

O Selima, jetzt leb' ich erst, jetzt fühl' ich's,
Mein vorig Leben war vom wirklichen
Ein Schatten nur! Nun bin ich erst erschaffen!
Dich seh' ich jetzt! O gönne mir die Wollust
Dich anzusehen! unersättlich immer
Dich anzuschauen! – So ist dieß die Stirn,
Um die sich sanft das braune Haar verliert!
Sind dieß die Augen – welch ein süßer Glanz!
Gewiß hier wohnt der Geist, hier strahlet er
In Blicke aus! O! wende deine Augen,
Ihr Feuer blendet mich! – Doch, Schönste, nein,
Verbirg sie nicht, sie, die ein süßer's Licht
Als Sonnenschein in meine Seele strahlen.
Ich zittre, wenn sie, auch nur Augenblicke,
Mir nicht die Zärtlichkeiten deines Herzens
In ihrer holden Sprache, meinen Augen
Nur hörbar, sagen. – Ja, hier nähert sich
Mein Geist dem deinen, hier durchschau'n sie sich,
Hier fließen die zerschmolznen Seelen selbst
In liebestrunkner Zärtlichkeit zusammen!

So ruft er, dann durchzählt sein gieriger
Entzückter Blick die Reizungen von einer
Zur andern, die zum erstenmale sich
Verschämt dem unverwöhnten Auge zeigten:
Den Nelkenmund, der unter seinen Küssen 369
Zu höhrer Röthe schwillt, die Rosenwangen,
Den edeln Hals, um dessen Marmorweiße
Die Locken ihren braunen Schatten werfen,
Die schöne Brust, die halb verhüllt schon blendet,
Den runden Arm, die kleine weiße Hand,
Untadelhaft ist was er sieht; so schön,
Nicht schöner stand die Göttin von Cythere,
O Tizian, vor deiner Phantasie:
Jetzt wurde wahr, was einst ein Weiser sprach:
Das Auge sieht, und wird nicht satt vom Sehen.

Doch endlich wirft er den geblendeten,
Noch ungeübten Blick auf andre Gegenstände,
Auf Hügel, die im Abendroth noch glühten,
Erhabne Cedernhaine, stille Thäler,
Wo Silberbäche sich durch Myrten wanden,
Und Gärten, wo ein jeder Hauch des Zephyrs
Den Grund mit einem Schnee von Blüthen deckte.
Er irrt in einem Labyrinth von lieblichen
Gesichten, jede Wendung, jeder Blick
Eröffnet der Bewundrung neue Scenen.
Doch allgemach verdoppeln sich die Schatten,
Ein lieblich dämmernd Braun verhüllt die Farben
Der bunten Flora, und die ferne Landschaft
Verliert sich schon im blauen Duft der Nacht.
Schon steigt der Mond herauf, und seltne Sterne
Durchirren schon mit mattem Strahl die Tiefen
Des dunkeln Aethers. Selim sieht erstaunt
Den Schauplatz der Natur so schnell verwandelt;
Ein süßer Ernst, ein anmuthsvolles Grauen,
Bemächtigt sich der sanftbestürzten Seele 370
Des Schauenden; er schweigt, ein fei'rlich Staunen
Zieht seinen Geist mit seinem Blick empor.

Nach langem Schweigen sieht er, wie erwachend,
Nach Selima sich um, er drückt sie zärtlicher
An seine Brust, und Freudenthränen rollen
Auf ihre Wangen, die an seinen ruhen.
O Selima, so ruft er voll Entzückung,
Welch ein Gedanke war's, zu dem mein Geist
Erhöhet ward! – Wie groß, wie liebenswürdig,
Ist er, der uns und diese Welt erschuf!
Mich dünkt, ich seh' ihn hier im Widerscheine,
Wie dort der Mond im stillen See sich spiegelt.
Ja, Schöpfer! ich empfinde heiligschauernd
Dich gegenwärtig! Du erscheinest mir
Im lichten Glanz des farbenreichen Frühlings;
Dich hör' ich in den freien Melodien
Der Nachtigall; ich fühle dich im Säuseln
Der Abendluft, die meine Stirne kühlt.
O Selima, laß uns das Leben brauchen,
Ihn stets zu loben, ihn durch unsre Freude,
Durch unser Glück und ein zufriednes Herz
Zu loben! ihn, den Schöpfer unsers Glückes.

So sprach der Jüngling, voll zufriedner Inbrunst,
Und sank ans Herz der zärtlichen Geliebten,
Und küßte die entzückten Thränen auf,
Die, als er sprach, in ihren Augen blinkten;
Geliebte Thränen, Zeugen von der Hoheit
Der Seele, die sich überirdisch fühlt!
So, Doris, hat dein seelenvolles Auge
Vor überwallender Empfindung oft 371
Mir zugeweint; in deinem Antlitz waren
Des Himmels Mienen – Laß dein eignes Herz
Dieß Bild vollenden, dessen Angedenken
Nun, fern von dir, bis uns der Tod vereinet,
Mein traurend Herz mit süßen Schmerzen füllt.

 


 


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