Christoph Martin Wieland
Erzählungen
Christoph Martin Wieland

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Zemin und Gulindy.

                O Göttin Liebe! Königin der Geister,
Was sind wir, wenn nicht du des Lebens Werth
Uns fühlen lehrst? Du bist's, die unsre Triebe,
Die Winde, die uns wie die Welt beseelen,
In süße Harmonien wiegt. Wie schmachtet
Das leere Herz, bis du dich drein ergießest?
Wie rufen dich die nie entschlafnen Stimmen
Der ew'gen angeschaffnen Triebe her?
Sanfttönend, gleich dem schwachen Laut der Seufzer,
Die einer unerfahrnen Schäferin
Den jungen sehnsuchtsvollen Busen heben.
O du, mit deiner lächelnden Gespielin,
Der Unschuld, lehrest uns ein himmlisch Leben!
Ihr, die ihr lebt, o segnet euer Schicksal,
Umarmt euch zärtlicher und dankt's der Liebe,
Dankt's ihr nur, daß ihr lebt. Der Menschenfeind,
Der Unempfindliche, der Böse, dem der Himmel
In seinem Zorn ein liebend Herz versagt:
Er lebet nicht! Vergnügen, Wonn', Entzückung,
Sind ihm, dem Unglücksel'gen, leere Töne.
Doch daß ihr stärker fühlt, wie unentbehrlich 284
Die Lieb' uns ist, die angeschaffne Sehnsucht
Nach Lust und Ruh' in unsrer Brust zu stillen,
So höret, was von Zemin und Gulindy
Ein Dichter aus Arabien erzählt!
―――
Vor grauer undenkbarer Zeit beherrschte
Ein guter Geist, des höchsten Gottes Liebling,
Die Elementengeister (Firnaz nennen ihn
Arabiens Dichter), Luft und Erd' und Meer
Gehorchten ihm mit ihrem geist'gen Volke,
Den Gnomen, Nymphen, Sylphen und Sylphiden.
Durch einen innern Hang zog diesen Geist
Die Menschheit an; vor allen übrigen
Geschlechtern war er Adams Kindern hold,
Und, ihnen wohlzuthun, sein stündliches
Geschäfte. Kindern, die nur erst zu athmen
Begannen, gab er geist'ge Hüter zu,
Die ungesehn um ihre Häupter schwebten,
Und vieler pflegt' er selbst, in deren Zügen
Er eines edlern Sinnes und der höhern
Bestimmung Spuren fand. Er bildete
Des künft'gen Dichters Herz, der seinen Brüdern
Den hohen Reiz der Tugend singen sollte;
Sorgfältig wacht' er für die junge Schöne,
Bei der sich Zärtlichkeit mit Leichtsinn paarte,
Und rettete, noch auf dem jähen Rand
Des Abgrunds, oft des feur'gen Jünglings Unschuld.

Vor allen aber, die er liebte, waren
Ihm Zemin und Gulindy an sein Herz 285
Gebunden, beide Königskinder, jedes
Die Hoffnung eines Volkes, dessen Fleiß
Des glücklichen Arabiens Fluren baute. –
›Wer über andre herrschen soll (sprach Firnaz)
›Muß selbst der Beste seyn, und wer sich selbst
›Nicht glücklich fühlt, wie sollt' er andrer Glück
›Zu Herzen nehmen?‹ Ja – so fuhr er fort,
Aus einer goldnen Wolk' auf seine beiden
Erkornen Lieblinge die Strahlenaugen
Mit Wohlgefallen heftend, – dich, mein Zemin,
Dich soll kein Adamskind an Tugend, dich
An Liebenswürdigkeit, Gulindy, keine
Von Evens schönsten Töchtern übertreffen!
Und euch so glücklich, als ein Kind des Staubes
Es werden kann, zu machen, und, durch euch
Auf Myriaden Glück und Lebensfreude zu
Verbreiten, soll die schönste Liebe
Die ganze Fülle ihrer Seligkeiten
Auf euch ergießen! Glücklich sollt' ihr seyn,
Wie noch kein liebend Paar auf Erden war!

So sprach der Geist, und nun vernehmet, welch
Ein Mittel, seinen Vorsatz auszuführen,
Ihm seine Weisheit zeigte. Zemin wurde,
Von Kindheit an, der weiblichen Umarmung
Entrissen, und von aller Frauen Anblick
Geschieden. Seiner Mutter selbst war, ihn
Zu sehen, nicht erlaubt. So weit vom Hof
Entfernt als möglich, ward er, durch Vermittlung
Des Geisterkönigs, in der Stille eines
Einsiedlerischen Waldes auferzogen.
Hier wuchs und stärkte sich durch Uebungen 286
Sein Leib, entfaltete an deinem Busen,
Natur, sich sein Gefühl, und nährte
Durch Unterricht mit Wahrheit sich sein Geist.
Von weiser Lehrer Lippen floß sie rein
Ihm zu, und lieblich, ohne Schaum und Hefen.
Hier lernt' er, wie der Mensch, für etwas mehr
Als dieses Erdelebens Glück geboren,
Den Ewigkeiten lebt; hier lehrt die Klugheit
(Nicht jene falschberühmte, die jetzt herrschet)
Die edle Kunst ihn, Völker zu beglücken.
Man zeigt ihm früh (die Weisheit liebt die Jugend)
Der Künste Werth und großer Geister Würde.
Zwei Weise, die mit himmlischen Gesängen
Sich Nymphen oft im Hain zu Hörern machten,
Liebt' er vor andern, und ergötzte sich
Beim frohen Mahl und bei der Becher Rosen
An ihren Hymnen, die der Helden Thaten
Und ihren Nachruhm in die Leyer sangen.

So ward der Geist gebildet, welcher einst
Ein zahlreich Volk und sich beglücken sollte.
Der Leib, des Geistes Werkzeug, ward zugleich,
Durch tausend Uebungen, geformt, gehärtet.
Ihm wichen bald die trefflichsten Gespielen.
Ein hoher Geist, in jeder Miene sichtbar,
Ein Wesen, das beim ersten Blick den Helden,
Den Menschenfreund, den tapfern, edeln, guten,
Großherz'gen Menschen (der nur ist ein Held!)
Verkündiget, beseelte was er that.
So wuchs und blüht' er unter Firnaz Augen,
Bis sechzehn Sommer hingeflossen waren.
Noch war ihm unbekannt, daß ein Geschlecht 287
Vom unsrigen verschieden und, für uns
Mit jedem Reiz begabt, erschaffen sey.
Wer ihn umgab, war ernstlich angewiesen,
In diesem Punkt unwissend ihn zu lassen.
Auch hört er niemals von der Freunde Lippen
Noch von der Leyer, die gern Liebe tönt,
Die Seligkeit der Liebenden. Sein Herz
Beruhigte sich immer noch im Arme
Des edeln Sittim, den er, ihm an Tugend
Und an Gestalt den ähnlichsten, vor andern
Zum Freunde sich erwählt' und inniger,
Als Brüder sich zu lieben pflegen, liebte.

Indeß nun Zenim, mit der schönsten Hälfte
Der Menschheit unbekannt, einsiedlerisch
Im Schooß der Weisheit wuchs, ward ihm Gulindy
Von Firnaz selbst sorgfältig zugebildet.
Auf sein Verordnen wurde auch von ihr
Der Männer Anblick stets entfernt. Sie lebte
Ihr erstes Pflanzenalter unter Spielen
Mit rosengleichen jugendlichen Mädchen,
In einem einsamen Palast, den Firnaz
Für sie erbauen ließ, in Unschuld hin.
So waren kaum acht Jahr' in ihrer Mutter
Umarmungen vorbeigeflohn, als Firnaz
Sie heimlich stahl, da sie mit ihrer Sirma
(So hieß von ihren Freundinnen die schönste)
In einem Labyrinth des Gartens irrte.

Er brachte sie, auf einer Silberwolke,
In eine Insel, die, dem Blick der Schiffer
Verborgen, unter ew'gen Wolken ruht.
Zwölf Nymphen, schöner als die Morgenröthe, 288
Begrüßten sie an dem beglückten Ufer,
Und führten sie durch lange Myrtenreihen
In einen glänzenden Palast, wo Firnaz
Sich oft verbarg, wenn ihn der Menschen Unart
Undankbare zu lieben müde machte.

Hier blühte, wie der Mai bekränzt mit Rosen
Vor andern Monaten, Gulindy auf,
Sich unbewußt die Nymphen übertreffend.
Nie wallt' ihr junges Herz von andern Trieben
Als von Empfindungen der reinen Unschuld.
Der Geist, der ihr in weiblicher Gestalt,
Minerven gleich, stets gegenwärtig war,
Vergaß kein Mittel, ihren sanften Busen
Der Liebe, die sie einst empfinden sollte,
Vorauszuweihn. Oft führt er sie und Sirma,
Beim Zauberschein des Monds, in stille Thäler,
Und spielt ihr auf der goldnen Cither Lieder,
Von der Geburt der Seele, von der Schönheit
Der seligen Natur, und ihrer Unschuld,
Und von der Süßigkeit der heil'gen Freundschaft.
Dann floß das ganze weiche Herz des Mädchens
In himmlische zufriedne Harmonien;
Oft perlten die Empfindungen der Seele
In stillen Thränen von den Rosenwangen.
Dann schmiegte sie sich sanft an ihre Sirma,
Und fühlt in ihrem Arm die Freude doppelt,
Und träumt' in ihrer jugendlichen Einfalt
Nichts von noch höhern Freuden. Denn es nahm
Die Freundschaft noch in ihrem freien Herzen
Der Liebe Platz, und alle ihre Wünsche,
Und ihre zärtlichsten Verlangen waren 289
Für Sirma nur. Der strebt sie zu gefallen;
In ihren Mienen sucht sie öfters furchtsam
Die holden Zeichen der Zufriedenheit.
Sie zittert ängstlich, wenn sie Sirma blässer
Zu sehen glaubt als sie gewöhnlich ist,
Und jede kleine Freude wird mit ihr
Getheilt, und lieblicher, so wie das Licht
Vom Widerschein, von ihr zurück empfangen.

Indessen naht, gleich einem klaren Bach,
Der, kaum ein Quell, aus Marmorklippen sprudelnd,
Durch Blumen floß, und nun mit andern Bächen
Verstärkt, sich schwellt und eilt ein Strom zu werden,
Die Zeit der vollen Jugendblüth' heran.
Die Wünsche wachsen nun mit ihrem Busen
Zugleich, und oft, wenn sie allein ist, fühlt
Sie wundernd in sich selbst ein großes Leeres,
Und eine Sehnsucht, die der Freundin Kuß
Nicht stillen kann. Oft wenn sie durch den Hain
In Schatten irrt, voll angenehmer Schwermuth,
Bricht unvermuthet ein geheimer Seufzer
Hervor, und wird in ihrem Mund zur Rede.

»Wie wird mir? welche neue Rührungen?
Was fühlest du, Gulindy, welche Seufzer?
Was will dieß Schauern, diese Bänglichkeit,
Die ohne Ursach' dich so oft ergreift?
Was heben dich, mein Herz, für leise Wünsche,
Wenn du in Sirma's Arme zärtlich sinkst?
Ich such' in ihrem Blick, ob sie mich liebt,
Und finde nicht dieß Feuer, das ich suche.
Ihr ruhig Aug' ist matt und wenig sagend,
Und ihren Küssen scheinet was zu fehlen. 290
Warum, so oft die Saiten Firnaz rührt,
Zerschmilzt im Busen mir das Herz, und fühlt
Ich weiß nicht was, verliert in dämmernde
Gesichte sich und süße Träumerei?
Sonst war es nicht so! warum jetzt? was ist
Das Unaussprechliche, das in mir klopft,
Wenn ich, im Mondschein, einsam, den Gesang
Der Nachtigall im dunkeln Busch behorche?
Sie scheint zu klagen, – ich empfind' ihr Leid,
Mein Blut quillt wärmer durch die Adern hin,
Mir ist als sollt' ich mit ihr klagen, und
Doch weiß ich nicht, warum ich klagen soll.«

So spricht sie laut, und wundert sich, da sie
Sich sprechen hört. Jetzt naht sie einem Brunnen,
Bückt sich herab auf seine glatte Flut
Und stutzt, und sieht, begierig und erstaunt,
Zum erstenmal ihr unbekanntes Bild.Die Leser Miltons wissen, daß diese Stelle der schönen im vierten Gesange des verlornen Paradieses nachgebildet ist, wo Eva zum erstenmal in einem Wasserspiegel ihr Bild erblickt.
Wie? ruft sie, welche liebliche Gestalt!
Sieht aus der Flut mir eine Nymph' entgegen?
Wie glänzt ihr Auge! wie erblaßt die Rose
Vor ihrer Wangen süßer Röthe! welch
Ein zaubrisch Lächeln wallt um ihre Lippen!
Doch wie? Dieß Wasserbild regt sich mit mir,
Weicht, wenn ich weiche, naht sich wenn ich nahe,
Und ist, wenn ich's umarmen will, verschwunden.
Weß ist dieß Bild? wie wenn es meines wäre?
Ja, ja, so malen sich die Blumen hier,
So bückt sich der Jasminstrauch in die Wellen.
Es ist mein Bild, in meinen Augen strahlt
Dieß Feuer, meinen Mund umfließt dieß Lächeln;
Ich seh' es, Sirma hat mir nicht geschmeichelt. 291

Allein für wen sind alle diese Reize?
Wem blühen diese Wangen? dieser Mund
Wem ist er schön? Vergeblich? – – Jene Rose
Winkt mir, an meiner Brust zu blühn, und kühlend
Mir süße Balsamwirbel zuzuathmen.
Wem aber winken diese Rosenwangen?
Wem schmückte dich, Gulindy, die Natur
So reizend aus, daß du dir selbst gefällst?
O wäre doch ein Wesen mir geschaffen,
Das stark und zärtlich fühlte, dessen Wünsche
Den Wünschen dieser Brust antworteten!
Zwar liebt mich Sirma, zärtlicher vielleicht
Als andre Freundinnen, doch meinem Durst
Nach Liebe nicht genug. O Firnaz, sprich,
Ist in der Schöpfung ganzem Umkreis denn
Kein Herz, das mir entgegen schlägt, und mich
So lieben könnte, wie ich's lieben wollte?
Kein Wesen, das mich sucht, und, fänden wir
Uns endlich, so in meine Arme sänke,
Wie ich an seine Brust? O wär's für mich,
Und nur für mich allein, erschaffen! Kennte
Kein Glück als mich zu lieben, mir zu leben;
Wie ich ihm leben würde, ihm allein!
Wie wollt' ich, von der Morgenröth' erweckt,
Am frischen Bach die schönsten Blumen lesen,
Dein Haar, du Liebenswürdige, zu schmücken!
Wie wollt' ich, am Granatbaum neben dir
Gelagert, in die Wette mit der Nachtigall,
Dir unermüdet meine Liebe singen!
Wie wollten wir ein himmlisch Leben leben!
Doch welche eitle thörichte Begierden! 292
Gulindy, was verlangst du? was gebricht
In diesem stillen Sitz des Friedens dir?
Bist du nicht glücklich unter Firnaz Flügeln?
Warum denn schwindet dir die heitre Freude
Der Kindheit, die noch keine Wünsche kannte?
Warum vermehrt sogar der Lenz, der sonst
So süßer Freuden Quelle war, jetzt nur
Den schmerzlichsüßen namenlosen Drang?

So sprach sie mit sich selbst, in schöner Unruh',
Indem durch des Instinctes Macht die Liebe
Sie zu dem unbekannten Jüngling zog,
Dem Sympathie und Schicksal sie bestimmte.
Stilllächelnd hörte sie der Geister König,
In einer nahen Wolke, hochvergnügt
Daß jede Regung ihres jungen Herzens
Unwissend sich in seinen Anschlag fügte.

Indeß war Zemins Brust von gleichen Wünschen
Noch mehr empört, und seine Stirne glich
Dem Sommertag, den nach dem schönsten Morgen
Gewölk und graue Regen überziehn.
Er ist nicht mehr das Bild des muntern Scherzes,
Er sucht die Einsamkeit, er flieht den Freund,
Er flieht in öde lichtberaubte Wälder.
Das neue Grün, das Lachen junger Fluren
Verdrießt ihn jetzt: sie sollten traurig seyn,
Und seiner Seele düstre Farben tragen.
So ward ein ganzes finstres Jahr bereits
Verträumt. Zwar liebt er seinen Sittim,
Noch wie zuvor, noch leidenschaftlicher
Sogar; allein sein unbefriedigt Herz
Verlangt noch mehr, verlangt mit Ungestüm 293
Mehr als des Freundes Liebe geben kann.
Oft sinnt er nach, und quält sich zu ergründen,
Wie die Bewegungen in ihm entstanden,
Die ihm die Ruhe raubten, und verfolgt
Den neuen Trieb durch alle Labyrinthe
Des sich selbst unergründlichen Gemüthes.

Einst ging er vor des Morgenrothes Anbruch
Im Garten des Palasts allein nmher.
Die Dämmerung, die allgemeine Stille,
Der Flor, der noch die Reize der Natur
Verhüllte, alles stimmt' zu seiner Schwermuth.
Er irrte lang gedankenvoll umher,
Und brach zuletzt in diese Reden aus:

Nein! nicht vergebens pochen diese Triebe
So stark in mir; vielleicht weissagen sie
Mir noch ein unbekanntes größres Glück.
Wie heftig wünsch' ich oft noch mehr von Sittim
Geliebt zu seyn? Ich eil' ihn zu umarmen,
Und tausend Zärtlichkeiten, die ich fühle,
In seinen Busen auszuschütten. Aber kaum
Erblick' ich ihn, so wird mein Herz versteint.
Nein, Sittim ist es nicht, dem diese Triebe
Bestimmt sind, lieb' ich ihn gleich mehr als alle.
Wem sind sie also? Ach! Vielleicht so zwecklos
Und eitel wie der Träumenden Entschlüsse,
Wie Wolkenbilder, die der Ost zerwehet.
Doch die Natur, wo schafft sie was vergebens?
Sie, deren Werke mir der weise Mirza
Voll Richtigkeit, voll Harmonien zeigte,
Wird sie umsonst ins Herz zukünft'ger Götter
Allmächt'ge Wünsche senken? – Nein, gewiß! 294
Und dennoch, wäre dieß, warum ist Sittim
Von diesem Unmuth, der mich peinigt, frei?
Stets sitzt die Ruh' auf seiner Stirn, er scheint
Von keinem ungestillten Wunsch gedrückt,
Und lebt mit sich und mir und aller Welt
Im Frieden und vergnügt. Bin ich allein,
Nur ich allein der nie Befriedigte,
Der stets begehrt, und, nie genug geliebt,
Für eine Sehnsucht, die ihm selbst ein Räthsel ist,
Den Gegenstand von allen Wesen fordert?
O hättest du, Natur, ein solch Geschöpf,
Wie meine Phantasie in Morgenträumen
Sich oft erschafft, wenn sie die ganze Schönheit
Der Schöpfung in die menschliche Gestalt
Verschwendrisch gießt! Dann steht vor meinen Augen
Ein himmlisch Bild, als wie ein Gott. Ich gebe
Des Sommermorgens Glanz dem blauen Auge,
Der jungen Rose sanfte Glut den Wangen,
Dem schönen Leib des Alabasters Weiße;
Ich seh' an seinem zartern Gliederbau
Ein feiner Ebenmaß, mehr Zierlichkeit,
Und sanftre Rundung als an meinesgleichen;
Seh' seine Blicke, schönern Feuers voll
Als Sittims Blicke, mir entgegen lächeln.
Ganz außer mir umarm' ich dann entzückt
Dieß schöne Nichts; es schmiegt sich sanfterröthend
In meinen Arm, und bebt an meiner Brust.
O himmlische bezaubernde Gestalt,
Wo find' ich dich? Bewohnest du vielleicht
Ein besser's Erdreich? Bist du eine Blume
Des Paradieses? Höhrer Wesen Liebling?Hier schwebte Wielanden offenbar wieder Klopstocks künftige Geliebte vor. 295
Was sag' ich? – Nein! du bist dieselbige,
Nach der ich oft in Mitternächten weinte!
Bei deinem Anblick schwiegen alle Wünsche,
Aus deinen Blicken strömten Ruh' und Wollust
Und nie empfundne Freuden in mein Herz.
Du bist's, dich such' ich, meine Seufzer fordern
Dich, Göttliche! – O sage mir, Natur!
Wo hast du sie vor meinem Blick verschlossen?
Wo fließt der Himmel, den ihr Aug' erheitert?
Erziehst du sie vielleicht an Rosensträuchen,
Die rings um sie, von ihr beschämt, verblühen?
O bringe sie dem Liebenden entgegen!
Ihr, die ihr um sie scherzt, o Weste, lispelt
Mir zu und schwebt voran, wenn sie sich naht!
O leitet mich, ihr schnellen Silberbäche,
Zum holden Ort, wo sie an euerm Rand
Auf zarte Blumen hingegossen ruht!

So rief er, und ihn hört vom Wipfel einer Ceder
Der Geisterfürst, und malt ein Schattenbild
Der göttlichen Gulindy unversehens
Vor seine Augen hin; dem folgte Zemin
Durch tausend Büsche, bis es allgemach
In einen leichten Nebel sanft zerfloß.
Und dennoch eilt, mit Flügeln an den Füßen,
Er immer noch, auf unbekannten Pfaden,
Schwerathmend, dem geliebten Schatten nach,
Und wähnt, er sehe bald den Saum von seinem
Gewand, bald seinen Schleier durch die Büsche flattern.

Jetzt ist es Zeit, sprach Firnaz zu sich selbst,
Die Herzen, die sich suchen, zu vereinen.
Ihm soll Gulindy, deren Ebenbild 296
Er allenthalben nachflieht, unvermuthet
Begegnen. – – O wie werden beide zittern!
Mit welcher Wollust werd' ich aus den Wolken
Auf sie herunter sehn, wenn sie erstaunt
Sich finden, fliehen wollen und doch bleiben,
Und thränenvoll sich kennen und umarmen.

Gleich schwang sich Firnaz auf des Westwinds Fittig
Der Gegend zu, wo noch Gulindy schlief.
Ihr war, von ihm gesandt, in Traumgestalten
Des Jünglings Bild erschienen, wie er irrend
In Hainen lief, als ob er einen Freund
Mit zärtlich ungeduld'ger Liebe suchte.
Sie sah ihn, und ein neuer süßer Schauer
Erschüttert' ihre hochgeschwellte Brust;
Sie fühlte sich von innerer Gewalt
Zu diesem holden Bilde hingerissen.
Doch eben da der Fremdling sie entdeckte,
Sie staunend ansah, wie an sie geheftet,
Dann ihr mit offnen Armen voll Entzückung
Entgegen eilt', entfloh das Traumgesicht,
Und, eh' sie der Bestürzung und dem Schlummer
Sich noch entwand, ward sie im Augenblick,
So schnell wie ein Gedank' die Zeit durcheilt,
Von Firnaz auf dieselbe Spur gebracht,
Wo Zemin traurig ihren Schatten suchte.

Auf einmal wacht sie auf und sieht sich um,
Und wundert sich, wie sie hieher gekommen.
Allein, wie wird ihr, da sie Zemin sieht,
Das Urbild des geliebten Traumgesichtes,
Der ihr entgegen kommt? Wie wird dem Jüngling,
Als er die Göttliche, die er so lang 297
Umsonst erseufzt', vor seinen Augen sieht!
O, ihr Gefühl spricht keine Zunge aus.
Nur Seelen fassen es, die die Natur
Einander ewig zuerkannt, wenn sie
Sich endlich finden, und im ersten Blick
Einander ew'ge Liebe schwören.

Sie standen beide stumm und unbeweglich,
Und sahn entzückt sich an, doch schlug Gulindy
Sogleich mit holder Scham die Augen nieder,
Da sie in Zemins Blick das Feuer sah,
Das sie gewünscht. O lehnte Thomson mir
Nur diesesmal den seelenvollen Pinsel,
Des Jünglings tiefe Rührung abzuschildern,
Als er in ihrer aufgeblühten Jugend
Der ganzen Schöpfung Reiz verschwendet sah!
Was für Empfindungen, was für Begeistrung
Sog seine trunkne Seel' aus ihren Blicken?
Lang' hielt die tiefe zitternde Bewundrung
Das Wort zurück im halbgeschloss'nen Munde.
Doch endlich brach die Liebe triumphirend
Das ehrfurchtsvolle Schweigen; furchtsam nähernd
Sprach er zu ihr: »O du, zu der mein Herz
In voller Sehnsucht wallt, wie nenn' ich dich?
Mit welchen würd'gen Namen grüß' ich dich?
Unsterbliche, der Schöpfung schönster Schmuck!
Nein, du bist nicht der Erde Schooß entsprossen,
Der Himmel lacht aus deinen milden Augen,
Vor deinem Reiz verlischt des Frühlings Schimmer.
Was für Entzückung fließt aus deinem Blick!
Welch neues Leben, welche neue Seele
Hauchst du mir ein! – Ja, ja, du bist's! Dich suchte 298
So lange schon in trüben Mitternächten
Mein sehnend Herz; du bist's, dein bloßer Anblick
Gibt meiner Brust des Lebens Freuden wieder,
Die ich so lang' entbehrt. O Göttliche,
Wie lieb' ich dich? – Doch wie? Du weichst, dein Auge
Flieht meinen Blick und sieht sich zaghaft um.
O fliehe nicht! Wie könnt' ich ohne dich
Nur einen Augenblick noch leben? Komm
Zu dem, der außer dir nichts liebt noch wünschet!
So sagt' er, und von heißer Sehnsucht zitternd,
Eilt' er sie zu umarmen, da sie zweifelnd
Und in Empfindungen verloren stand.
Sie hatt' ihn oft, indem er sprach, mit Wunder
Und zärtlich furchtsam angeblickt; sein Ansehn
Voll männlich schöner Pracht, der Mienen Adel,
Die freie Stirn, die palmengleiche Länge,
Sein blitzend Auge, das ihr seine Liebe
Beredter noch als seine Lippen sagte,
Dies alles zog ihr zärtlich Herz zu ihm.
Sie bebt', unschuldig blöd, als er voll Inbrunst
Sie zu umarmen kam, und wollte fliehen;
Allein der Liebe stärkere Gewalt
Hielt ihren Fuß zurück, er naht sich ihr,
Und beide zittern. O wie klopft' ihr jetzt
Das Herz, wie schmiegte sie sich in sich selbst,
Da er den Arm um ihren Rosenhals
Sanftschauernd wand! In unaussprechlichen
Entzückungen zerflossen ihre Augen,
Da jedes seine eigensten Gefühle
Im andern las. Das holde Mädchen sank,
Der neuen Lust zu schwach, in süßer Ohnmacht 299
In seinen Arm. Die Liebe selber stieg
Aus ihrem Himmelskreis herab und sah
Mit Firnaz aus azurnen Wolken, segnend
Die heiligen Umarmungen der ersten
Unschuld'gen Liebe. Nektarblumen
Entquollen, um sie her, dem Boden, und
Ein allgemeines Lächeln floß ums Antlitz
Der fröhlichern Natur. – Jetzt wollten sie,
Da sich die Seelen aus dem ersten Taumel
Der gränzenlosen Freuden wieder fühlten,
Einander frei und zärtlich sich erklären,
Als sie ein plötzlich blendend weißes Licht,
Der Sonne gleich, mit lichtgefärbten Wolken
Umfaßt, erschreckt. In himmlischer Gestalt
Trat Firnaz aus dem hingefloss'nen Glanze
Hervor, und sprach mit göttlich mildem Anblick:

Ihr Glücklichen, die ihr der Liebe folgsam
In Freuden schwimmt, die euch unsterblich machen,
Seht, Kinder, hier den Schöpfer euers Glückes.
Daß ihr euch mehr als andre lieben könnet,
Daß euern zärtlichen Umarmungen
Die Seligkeit der Himmlischen entsprießt,
Dieß ist mein Werk. Ihr waret vom Geschick
Einander zugedacht; ihr solltet lieben.
Ihr fühltet euch einander unentbehrlich;
Die Stimme der Natur, die mein Bemühn
Vernehmlicher gemacht, rief euch zusammen.
Nun, meine Kinder, habt ihr euch gefunden,
Und eures künft'gen Lebens schönste Pflicht
Und süßestes Geschäft ist, euch zu lieben.
Seyd selig! mischet eure Tugenden! 300
Der Muth, das Feuer, das aus deiner Brust
Heroisch athmet, tempreIn den älteren Ausgaben: mildre sich. Warum Wieland den undeutschen Ausdruck tempere vorgezogen hat, ist nicht wohl abzusehen sich, o Zemin,
Zu dieser sanften Himmelsmilde, die
Dir aus Gulindy's blauem Auge lächelt.
Und du, zephyr'sche Blume, blühe sicher,
Von Zemins Liebe vor der Stürme Neid
Und vor des dürren Mittags Glut bewahret!
Der Liebe schönste Frucht, die Menschenhuld,
Lehr' euch auf diese, deren Wohl das Schicksal
Euch anbefahl, die Ausflüss' eures Glückes
Mit edler Zärtlichkeit herabzuleiten.
Die Tugend, der ich eure weichen Triebe,
Noch eh' ihr euch recht fühltet, bildete,
Sie, die an heiliger Liebe reinen Küssen
Gefallen hat, wird nie von eurer Seite weichen,
Und nun, statt meiner, euer Schutzgeist seyn.
So sprach er, segnete sie, und verschwand. 301

 


 


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