Christoph Martin Wieland
Erzählungen
Christoph Martin Wieland

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Balsora.Daß der Stoff dieser Erzählung aus Addisons Spectator genommen sey, braucht, da ein so treffliches Buch in jedermanns Händen ist oder seyn sollte, kaum erinnert zu werden.

                In jener Zeit, da sich die Morgenländer
Noch vor dem Thron der Abbassiden bückten,Abbasiden, Nachkommen des Abbas, gab es: in Arabien unter den Kalifen und in Persien unter den Schachs. Der ersteren regierten 37 von 754 bis 1258 n. Chr. in Bagdad. – – Sicilien hatte das Unglück, eine Reihe von Regenten auf seinem Throne zu sehen, – Hieron, Thrasibulos, Dionysios II – deren immer einer den andern an Grausamkeit und Blutdurst übertraf.
Herrscht' ein Kalif in Bagdads stolzen Mauern
Der die Sicilischen Tyrannen selbst
An Grausamkeit zu übertreffen strebte.
Sein Leben war ein steter Todesschauer,
Den Furcht und schwarzer Argwohn unterhielten.
Auf wen sein Auge fiel, in dessen Antlitz
Entdeckt' er gleich die Mienen des Verbrechers.
Schon bebte sein Gewissen, wenn er Freunde
Sich traulich sprechen sah; ein leises Wort
Schien wider ihn sich zu verschwören,
Und den Verdacht versöhnte nichts als Blut.
So hatt' er oft vom unbesorgten Lager
Den Ehmann, der, kein nahes Uebel träumend,
An seiner Gattin Brust der Ruhe pflegte,
Zum Richtplatz hingeschleppt; so mordete
Sein Schwert zwei Freunde, deren einziges
Verbrechen ihre Freundschaft war, und sie
Empfindlicher zu quälen trennt' er sie
Im Tode noch, den sie umarmt verlachten. 269
Doch niemand traf sein Argwohn und die Rache
Mit größrer Wuth, als seine Günstlinge;
Er sah das Blut von dreißig Königinnen
Sein Mordschwert färben; eben so viel Söhne
Entriß sein Grimm, noch in der ersten Blüthe,
Den schönen Hoffnungen der spätern Jahre.

Ein junges kaum der Brust entwöhntes Paar
War noch allein von dieser Anzahl übrig,
Als er, den Stamm der herrschenden Kalifen
Dem Throne zu erhalten, sich entschloß,
Dieß Paar, des Hauses Rest, vom Hof entfernt
Und sicher vor Verdacht erziehn zu lassen.

Er läßt den Helim, seinen Leibarzt, rufen,
Von allen Weisen, welche Persis nährte,
Den weisesten. Ihm war in allen Reichen
Der Schöpferin Natur, so weit Erfahrung
Und tiefes Forschen reicht, nichts unbekannt
Was wissenswürdig ist; vornehmlich hatte
Der Sterne Lauf, des Leibes Wunderbau,
Und mancher unerkannt wohlthät'gen Pflanze
Geheime Tugend viele Jahre schon
Bei Tag und Nacht den Forschenden beschäftigt.
Groß war sein Geist, doch größer noch sein Herz.
Selbst der Kalif, dem niemand redlich hieß,
Nahm ganz allein den weisen Helim aus
Und ehrte seine wohlgeprüfte Tugend.
Dem trug er auf, die Söhne zu erziehn,
Damit sie fern vom höfischen Gepränge,
Der Klippe, wo so oft die Unschuld scheitert,
Mit Wissenschaft und Arbeit sich bemühten, 270
Und, ohne sie dem Vater abzudringen,
Von Herrschsucht frei der Krone würdig würden.

Der Weise führt die königlichen Söhne
In seine Wohnung, wo er sie, geschieden
Von Hof und Welt, in einem stillen Hain
Zur Einsamkeit verschloß. Hier zieht er beide
Im Schooß der Weisheit und der Tugend auf.
In Unschuld und an sanften Freuden reich
Fließt ihre Jugendzeit unmerklich hin.

Der weise Helim hatt' ein einzig Kind,
Ein reizend Mädchen, zärtlich wie die Liebe,
Schön wie der Mai, gefällig wie die Unschuld;
Das beste Herz schlug in der schönsten Brust,
Die schönste Seel' erschien im sanften Feuer
Der Augen, und dem holden Mund entfloß,
Wie Thau aus Rosen trieft, die süße Rede.
Gleich alt als wie die Prinzen, blüht Balsora
Mit ihnen auf. Sie liebten beide sie
Wie ihre Schwester. Nur Abdallah fühlte
Noch etwas mehr; ihn nahm ihr stiller Reiz,
Ihr Herz nach seinem Herzen ausgebildet,
Ihr ganzes Thun, der Klang von ihrer Stimme,
Ihr Blick, ihr Gang, mehr als den Bruder ein.
Sie fühlten beid', im Lieben unerfahren,
Doch für einander von der Lieb' erschaffen,
Mehr, als Geschwister, wenn sie sich umarmten.
Für sie nur übte sich sein Mund in Liedern,
Die ihren Namen durch die Palmen tönten;
Für ihn brach sie in ihrer frohen Unschuld
Am Rosenbach neu aufgeblühte Blumen.
Oft ruhten sie in zärtlicher Umarmung, 271
Wie in der goldnen Zeit der jungen Welt
Die Unschuld am geliebten Herzen ruhte;
Oft sah die Liebenden in Myrtenlauben
Der Mond sich küssen und ihr Schicksal segnen.

Wie selig waren sie, von keiner Ahndung
Des Unglücks, das ob ihrem Haupte schwebte,
Gestört, in ihrem süßen Traum von Wonne!

Balsorens Schönheit, floh sie gleich den Ruhm,
War viel zu groß, um unbekannt zu bleiben.
Ihr Ruf drang auf den Flügeln des Gerüchtes
Durchs ganze Land bis zu des Fürsten Ohren.
Sogleich erwacht in ihm die alte Glut;
(Er war zu wenig Mensch zur sanften Liebe)
Er fliegt, von ungestümer Neugier glühend,
Sie selbst in ihrer Einsamkeit zu sehen.
Der Vorwand seine Kinder zu besuchen,
Deckt seinen Zweck. Er sah die Schöne heimlich,
Und kam, entbrannt von ihrem Reiz, zurück.

Man holt den Helim plötzlich ins Serai.
Ihm schwant sein Unglück; zitternd höret er
Gebückt, im Staube, zu des Thrones Füßen,
Des Sultans Wort: dein lang geprüfter Eifer
Für meinen Dienst verdiente längst Belohnung.
Empfang' auf einmal mehr, als sich dein Stolz
Im kühnsten Flug zu hoffen je vermaß!
Von Stund an, Helim, theile deine Tochter
Den heil'gen Thron des Mahomed mit mir!

Bestürzt vernimmt der Greis dieß Donnerwort.
Er kennt Balsorens Herz, doch muß er schweigen.
Ihr Schicksal ängstigt ihn, kaum hält sein Muth,
Der nie gewankt, die väterliche Zähre 272
Zurück im Auge. Dennoch lispelt ihm
Sein guter Genius schnell die Antwort zu:
Fern sey von dir, o Herr, mit meinem Blute
Der Abbassiden heil'gen Quell zu trüben!

Er spricht's umsonst. Nichts hemmt des Sultans Willen;
Die Fiebergluth, die aus Balsorens Augen
Sein Herz erhitzt, gährt schon in allen Adern,
Und glüht in jedem Blick. So glüht ein Löwe
Vor heißer Brunst, es lechzt der dürre Schlund,
Die Flammen schießen funkelnd aus den Augen,
Die Mähne strotzet, und mit Wuth im Blick
Sucht er die junge Löwin brüllend auf.

Balsora muß sogleich vor ihm erscheinen.
Der Vater selbst soll ihr das Todesurtheil,
Des Fürsten Vorsatz, vor dem Thron entdecken.
Sie kommt. Man führt sie vor. Ihr matter Blick
Verräth die Sorgen der beklemmten Brust.
Jetzt zittert Furcht auf ihren bleichen Wangen,
Jetzt färbet sie die jugendliche Scham.
Mit Wunder staunt der Fürst sie an; so schön
Sind, däucht ihn, kaum des Paradieses Nymphen,
Die der Prophet den Gläubigen verspricht.

Doch kaum vernahm die Unglückselige
Das zugedachte Glück, so brechen ihr
Die Kniee, kalter Schweiß steht auf der Stirn,
Und, todtenbleich, sinkt sie am Throne hin.
Der Vater schwichtigetSchwichtigen (zum Schweigen bringen, besänftigen) war im Jahre 1751 außerhalb Niedersachsen ein noch unbekanntes und unerhörtes Wort. Man hat aber lieber diesen Anachronismus begehen, als den Grimm des Sultans zufrieden sprechen lassen wollen; welches auch damals nicht das rechte Wort war. des Fürsten Grimm,
Der aus den Augen droht, mit heißem Flehn.
Die Ehre, spricht er, die mein Mund so rasch
Ihr kund gethan, der nicht vorher dazu
Bereiteten, ist allzu blendend, und 273
Zu schwach ihr Herz, ein solches Glück zu tragen.
Doch willst du mir zwei Tage nur gestatten,
So will ich sie nach deinem Willen bilden,
Und würdiger in deine Arme liefern.

Der Fürst gesteht es zu. Man trägt Balsoren
In ihres Vaters Haus. Nach langer Mühe
Schleicht wieder sich das fast erloschne Leben
Durch die entnervten welken Glieder hin.
Sie fühlt sich wieder selbst; doch sie von neuem
Langsamer nur zu tödten, wacht zugleich
Bewußtseyn ihres Unglücks auf mit ihr.
Wie? ruft sie aus, und ringt die zarten Hände,
Du, der du mich, den ich so zärtlich liebe,
Dir soll die Hoffnung deiner stillen Seufzer,
Der reinsten Treue Lohn, entrissen werden?
Ich, die ich dein zu seyn mein einzig Glück,
Mein Leben nannt', ich, deiner Seelen Hälfte,
Soll, dir geraubt, in fremden Armen leben?
O nein! eh' soll dieß Auge, das nur dich
Zu sehen liebet, sich auf ewig schließen!
So jammerte die Arme Tag und Nacht,
Sich selbst verzehrend, bis ein tobend Fieber
Sie niederwarf, und nah dem Tode brachte.

Es wird bekannt; man klagt sie überall;
Selbst der Tyrann erzittert von der Botschaft.
Indessen schärft Gefahr und Angst des Alten
Erfindsamkeit, und, sicher seiner Kunst,
Spricht er zufriednen Muth der Tochter ein;
Indem ein Trank, ein Wunder seiner Kunst,
Des Fiebers Wuth und die Gefahr des Todes 274
In einen Schlaf, der auf gewisse Zeit
Vom Tod ihr nur die Miene gibt, verwandelt.

Drauf eilt er voll verstelltem Schmerz, mit Asche
Das Haupt bestreut, und mit zerriss'nen Kleidern,
Balsorens Tod dem Sultan anzuzeigen.
Der Fürst, der menschlich nie gefühlt, vernahm
Mehr zürnend als gerührt die Trauerpost.
Drauf sprach er: weil in allen meinen Reichen
Schon ruchtbar ward, wozu ich sie bestimmte,
Soll man der Braut die gleiche Ehr' erweisen,
Die der Gemahlin widerfahren wäre.
Ihr Leichnam werd' ins schwarze Haus gebracht!

Dieß schwarze Haus war, seit uralten Zeiten,
Ein königlicher Dom, aus schwarzem Marmor
Gebaut mit grauenvoller Pracht. Hierher
Trägt man, sobald der letzte Athem sie
Verlassen hat, die herrschenden Kalifen
Und was zum königlichen Hause
Gehört, um Mitternacht, mit stillem Trauerpompe.
Dann werden sie vom ersten Arzt gesalbet,
Und auf Porphyr in ihren Reihn gelegt.
Der Tod und ew'ge Nacht herrscht in den Wänden
Der einsamen erhabenen Gewölbe;
Doch zittert um die glänzend schwarzen Pfeiler
Der bläulich weiße Schein von tausend Lampen.
Kein Sterblicher, selbst der Kalife nicht,
Darf dieses Tempels heil'ge Nacht besuchen,
Dem ersten Arzt allein bleibt dieses Recht;
Von hundert wohl bewehrten Mohren wird
Der hundert Thore Eingang stets bewacht.

Hieher ward Helims Tochter auch getragen. 275
»Doch wie? so fragt man, warum wird uns nichts
Von ihm gesagt, der sie so innig liebte?
Nichts von Abdallah? wußt' er nicht sein Unglück?
Konnt' ihm Balsorens Tod verborgen bleiben?«
Er war entfernt, als sie der Fürst berief.
Doch hört er kaum des Vaters Schluß, so eilt,
Vom Schmerz gespornt, er nach der Hauptstadt hin.
Die erste Zeitung ist Balsorens Tod,
Er hört sie selbst aus Helims Mund. Der Arme!
Wie tödtend war sein Schmerz! Wie unbeschreiblich!
Kein Schreckbild, wär's auch von der Schwermuth selbst
In einer bangen Mitternacht geträumt,
Drückt seinen Jammer aus. Sein fühlend Herz
Erliegt darunter, droht vor Angst zu brechen.
Doch Helim, den des Ausgangs Hoffnung sichert,
Gibt von dem Trank, durch den Balsorens Fieber
Sich in wohlthät'gem Schlaf verlor, auch ihm;
Nur sagt er ihm von seiner Wirkung nichts.
Man glaubt den Prinzen todt. Das ganze Reich
Weint die verschwundne Hoffnung seines Glückes;
Selbst den Tyrannen rührt der neue Schlag,
So schnell dem ersten folgend. Trostlos klagt
Den treusten Freund, den Bruder, Ibrahim;
Die Burg erschallt von jammerndem Geheul,
Und der entschlafne Prinz wird, still beweint,
Um Mitternacht ins schwarze Haus getragen.

Jetzt kommt die Zeit, da sich des Schlaftrunks Kraft
Verliert. Balsora wacht zuerst und staunt,
(War ihr die List des Vaters gleich bekannt)
In diesen furchtbaren Gewölben sich
So einsam wieder findend, hebt sich dann 276
Und sieht mit süßem Schrecken den Geliebten
In sanftem Schlaf an ihrer Seite liegen.
Halb zaghaft küsset sie den blassen Mund,
Und mit Entzücken fühlt ihr Mund auf seinen
Leisathmenden und immer wärmern Lippen
Des Lebens Wiederkehr. Die Holde legt
Sich neben ihn, auf sein Erwachen harrend.
Schon schlägt an ihrer Brust sein Herz, sein Mund
Bebt unter ihren Küssen. Freudig schauernd
Fährt sie zurück und lehnt, in kleiner Ferne,
Sein erstes Staunen heimlich anzusehn,
Sich an die Seiten eines Pfeilers an.

Wie wird mir, ruft Abdallah, halb erwachend,
Mit schwachem Laut, vor dem er selbst erschrickt:
So bin ich noch! wo bin ich? welcher Tempel?
Welch stiller Glanz? – Wie? seh' ich, oder trügt
Ein süßer Traum mein ängstlich liebend Herz?
Seh' ich nicht hier Balsora mir zur Seiten?
Ja, ja, sie ist's, die Göttliche, sie ist's!
Dieß sind des Paradieses stille Grotten,
Und dieß der Schatten des geliebten Mädchens –
So ruft er, außer sich, die Arme gegen sie
Verbreitend, aus; und, länger sich nicht haltend,
Fliegt sie, indem die süße Freudenthräne
Aus ihrem Aug' auf seine Wange strömt,
Mit offnem Arm in seine offnen Arme.
O Wonne, unbeschreiblich, wie der Schmerz
Mit dem sie dich, du Himmelslust, erkauften!
Mit welchen Wallungen des treuen Herzens
Sank er an ihren Mund, sank sie
In sanfter Ohnmacht hin an seine Brust! 277
Euch himmlische, euch namenlose Freuden,
Euch kennt und fühlt die reine Liebe nur;
Kein Dichter schildert euch, und hätt' er gleich
Im vollsten Ueberschwang euch selbst erfahren.
Balsora sagt ihm jetzt, sobald die Freude
Ihn hören läßt, wie sie hieher gekommen,
Des Königs Vorsatz, den verstellten Tod,
Und die Erfindungen des treuen Vaters.
Indeß vergaßen sie, noch von der Wonne
Des Wiedersehens trunken, dran zu denken,
Wie sie aus diesem öden Todestempel
Sich retten wollten, und das Grauen selbst,
Hatt' in Balsorens Armen für Abdallah
Was Festlicher's als helle Paradiese,
Und mischte Schauer in Entzückungen.

Doch der Erhalter ihrer Liebe hatte
Für dieses auch gesorgt, und einen Weg,
Sie unentdeckt durch die bewachten Thore
Heraus zu führen, glücklich ausgesonnen.
Der Vollmond naht' herbei. Nun ging im Volke
Seit grauer Zeit die allgemeine Sage,
Daß, die der Tod dem Fürstenhause raubt,
Am nächsten vollen Mond um Mitternacht,
In glänzender unsterblicher Gestalt,
Aus einer von den Pforten gegen Morgen
Hervorgehn und zum Paradiese wallen.
Man nannte drum die Pforte insgemein
Das Thor zum Paradies. Und diese Sage
Half unserm Paar aus dem verhaßten Kerker.

Der Weise, dessen steter Aus- und Eingang
Ins schwarze Haus ganz unverdächtig war, 278
Weil er die Leichen balsamiren sollte,
Sorgt' vor dem Tag, auf den der Vollmond folgte,
Für alles, was sie zur Verkleidung brauchten.
Ein langes Kleid von glänzend weißem Sindon
Legt er um ihren Leib, darüber wallt
Von himmelblauer persian'scher Seide
Ein niederfließendes Gewand, die Schleppe
Aus einem Silberstück kriecht auf dem Boden
Hellschimmernd nach. Ein Myrtenkranz durchschlingt
Abdallens Haar, und um Balsorens Stirne
Blühn lieblich duftend stolze volle Rosen.
Ihr fliegendes Gewand haucht Specereien
Und Indische Gerüche von sich aus,
Und balsamt weit und breit die Gegend ein.

Sie kommt, die frohe Nacht. Es eilt erseufzt
Der Mond, der gern der Liebe Weg beleuchtet,
In vollem Glanz herauf; der weise Vater
Eröffnet still das Thor zum Paradiese.
Sie gehn heraus. Ihr festliches Gewand,
Vom Mond beglänzt, strahlt seinen stolzen Schimmer
Weit von sich aus, ambrosische Gerüche
Verrathen stracks die himmlische Erscheinung
Den Wächtern, die, vor ihrem Glanz erstarrend,
Sie für die Geister der Verstorbnen halten.
Sie fallen zitternd auf ihr Antlitz hin,
Bis die Unsterblichen, durch sie hinwandelnd,
Dem langsam kühnen Blick entgangen sind.
Nunmehr kommt Helim von der andern Seite,
Und führet sie, umschattet von der Nacht,
In ein verlass'nes Thal des Berges Khakan,
Wo die Gesundheit in den reinern Lüften, 279
Und auf den kräuterreichen Hügeln wohnte.
Ihm hatte der Kalife, den er einst
Auf diesen Höhn von einer Krankheit heilte,
Die ganze Flur zum Eigenthum geschenkt.

Kaum trat der Tag aus seinen goldnen Pforten,
So eilten schon die Wächter, die Erscheinung
Dem Hofe kund zu thun; doch niemand war,
Der dem Berichte glaubt; ihn hielt ein jeder
Für ein Gedicht, womit dem Hof gewöhnlich
Um einen kleinen Lohn geschmeichelt wurde.

Indeß gelangt mit den geliebten Kindern
Der weise Greis auf Khakan glücklich an.
Hier schloß die Einsamkeit sie von der Welt
In selige vergnügte Thäler ein.
Hier, Liebe, schenktest du dem besten Paar
In stiller Ruh' die Fülle deiner Wonne.
Abdallah, welch ein göttlich Glück war deines!
Dir blüht Balsora, dir entwickelt sich
Ihr schöner Geist; ihr unbeflecktes Herz,
Mit allem Reiz der anmuthsvollen Unschuld,
Mit aller Pracht der jugendlichen Schönheit,
Mit allen Himmeln voller Lust, ist dein.
So wie ihr euer heitres Leben lebtet,
So lebten, in der Zeit der ersten Lenze,
An LadonsLadon, ein Fluß in Arkadien im Peloponnes. Da der ländliche Pan die Hauptgottheit Arkadiens war, dessen musikliebende Bewohner von Viehzucht und Ackerbau lebten, wobei die Sitten einfacher blieben, so hat die neuere Idyllen-Poesie, besonders die Geßner'sche, die meisten ihrer Scenen hieher verlegt. Strand die guten Hirten, die
Den Grazien und ihren Zöglingen
Mein Geßner singt. Ihr war't, was nicht zu seyn
Auf ihrem Thron die Könige beseufzen,
Was alle wünschen, wenige nur kennen,
Und der nur fähig ist, den die Natur 280
Sanft und gefühlvoll schuf, ihr waret glücklich
Und euers Glückes werth! –

Indeß starb der Tyrann, und Ibrahim,
Der Völker Lust, bestieg den Thron, wozu
Des Bruders allgemein geglaubter Tod,
Wiewohl er jünger war, das Recht ihm gab;
Und, im Genuß der neuen goldnen Zeiten,
Vergaß das Land der vor'gen Thränen ganz.

Einst da der neue Sultan auf der Jagd
Von seinen Leuten sich verloren hatte,
Führt' ihn der Zufall, oder war es nicht
Vielmehr ein guter Genius? unvermerkt
Bis an des Berges Khakans Fuß. Er folgt
Dem Fluß, der ihn durch anmuthsvolle Thäler,
Die ringsum in der Abendsonne glänzen,
Zu einer Reihe stiller Hütten führt.
Er eilt hinzu. Doch, denkt euch sein Erstaunen,
Da er im Schatten eines Mandelbaums
Balsoren mit Abdallah sitzen sieht!
Kaum wagt er's dem entzückten Blick zu glauben,
Bis er zuletzt des Bruders Stimm' und Bildung,
Als wie erwacht aus einem Traum, erkennt,
Und freudenvoll in seine Arme sinkt.
»So seh' ich euch, die ich so lang beweint,
Ihr zärtlichen Gespielen meiner Jugend!
Wird mir die größte Freude meines Lebens,
Abdallen in Balsora's Arm zu sehn?
Welch ein Geschick, welch eine Gunst der Gottheit
Hat euch zurück in diese Welt geführt?«

Sie sagten ihm, was Helim ihm, die Wonne
Des Wiedersehens zu erhöhn, verschwiegen; 281
Den ganzen Labyrinth der Fügungen,
Durch die das Schicksal sie zum Ziel geleitet,
Das Angedenken der vergess'nen Schmerzen
Wird allen neu, und mischt sich in die Freude.

Kaum hatte Ibrahim, des Hofs vergessend,
Zwei Tag' in ihrer neidenswerthen Einfalt
Das zärtliche geliebte Paar genossen,
Als der Gedank' ihm kommt, dem ältern Bruder
Das Reich, das ihm gebührte, abzutreten,
Und da Abdallah unbeweglich dessen
Sich weigert, ihm zum wenigsten davon
Die Hälfte aufzudringen. Doch vergebens
War alles, was er sagte, bat und flehte.
Abdallah fand nichts neidenswerth an Kronen,
Und sichre Freiheit an des Gatten Seite,
Fern von der Welt, im Schooß der Ruhe, war
Des Glückes Gipfel in Balsorens Augen.
Sie zeigten dem Kalifen, von der Spitze
Des fruchtbarn Khakans, ihrer Thäler Glück.

»Die ganze Flur war, eh' wir sie bewohnten,
So sprachen sie, nur eine schöne Wildniß;
Sieh', welche Zier ihr unser Fleiß gegeben!
Sieh', wie die Anger lachen, wie die Wiesen
Von dichtem blumenvollem Grase strotzen,
Und von der lüft'gen Ceder überschattet
Der Oelbaum und die jugendliche Palme
In stolzen Ordnungen die Hügel krönen.
Hör' das Geblöck von ungezählten Heerden
Sich durch die Thäler hundertfältig brechen.
Sieh', wie, den Hirten unschuldsvoll entfliehend,
Die Schäferinnen an den Bächen weiden. 282
Wie lieblich ist die ungekünstelte
Natur, wie rein ihr unerkanntes Glück!
Wie sollten wir mit dem Geräusch des Hofes
Die Hütten, wo die Liebe wohnt, verwechseln?
Wie thöricht würden wir dem Land entfliehn,
Um Schmeichlern und langweiligem Gepränge
Des wahren Lebens Freuden aufzuopfern?
Wie schlecht vertauschten wir um Sängerinnen
Den Waldgesang der freien Nachtigallen?«
So sprachen sie in ihrem Glück gesättigt.

Voll stiller Wünsche kehrt der kluge Fürst
Aus ihrem Arm in seinen goldnen Kerker
Und eilet jeden langerseufzten Mai
Zurück in die Elysischen Gefilde,
Bei seinen Lieben wieder aufzuleben.
Balsora und ihr Freund genossen bis
Ins höchste Alter ihres stillen Glücks
Und sahn die Ebenbilder ihrer Tugend
In edeln Kindern lieblich um sich blühn.
Noch jetzt wünscht man in Khakans Gegenden
Den Liebenden, sie recht beglückt zu wünschen:
Seyd glücklich wie Abdallah und Balsora! 283

 


 


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