Christoph Martin Wieland
Gespräche im Elysium
Christoph Martin Wieland

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III.

Phaon, Nireus, hernach Sappho, zuletzt noch Anakreon.

Die Scene ist in einem Haine, der mit Spaziergängen und Lauben durchschnitten ist.

Phaon. Schöner Unbekannter – höre mich nur einen Augenblick.

Nireus. Was verlangst du von mir?

Phaon. Sage mir aufrichtig, wo bin ich? wer bin ich? und was soll ich hier?

Nireus. Welche Fragen! Du bist im Elysium, wiewohl noch kein Elysier – wer du bist, solltest du selbst am besten wissen – und was du hier sollst, wird sich geben, wenn du eine Zeit lang da gewesen bist.

Phaon. Ein seltsamer Ort! das muß ich gestehen, und seltsame Einwohner! Wenn ich mir nicht noch ganz genau bewußt wäre, daß ich Phaon bin, so müßt' ich glauben, jemand hätte mir meine eigene Person abgetauscht.

Nireus (für sich). Der Mensch ist noch ganz neu, wie ich sehe, und hat viel abzustreifen. (Zu Phaon.) Und wer glaubtest du denn auf der Oberwelt zu seyn?

Phaon. Ich glaubte nichts zu seyn als was ich war. Ich wurde einhellig für den schönsten Jüngling meiner Zeit gehalten.

Nireus (sieht ihn lächelnd an). Du? – Du warst vermuthlich ein Skythe?

Phaon. Eine feine Vermuthung, bei Cythereen! Was für Augen habt ihr im Elysium? Gleichwohl, schön wie du selbst bist, solltest du einen Hellenen, und, so wahr mir Amor gnädig sey! dein eigenes Bild in mir erkennen.

Nireus. Erkennst du das deinige in mir?

Phaon. (sieht ihn an und verwirrt sich). Das ist doch nicht auszuhalten! Lieber wollt' ich dem Sisyphus seinen Stein wälzen, oder den Danaiden ihr Faß füllen helfen!

Nireus. Was hast du, daß du so unruhig scheinst? Deine Farbe wird immer düstrer, und deine Bildung immer ungestalter!

Phaon. Und das Schlimmste ist, sobald ich dir in die Augen sehe, so komm' ich mir selbst so vor. Ja, der erste beste, der mir in diesem unbegreiflichen Lande begegnet, wirkt das Nämliche. Ich begreife nichts von dieser seltsamen Bezauberung. Wo ich hinblicke, bin ich von Spiegeln umgeben, die mich häßlich machen; und es gibt einige, deren Anblick ich gar nicht aushalten kann. Gleichwohl bin ich der nämliche Phaon, der noch vor kurzem der schönste unter allen Griechen hieß.

Nireus Das will ich dir wohl glauben, weil du mir's versicherst.

Phaon. Du würdest es dir selbst geglaubt haben, wenn du mich gesehen hättest. Ich war so schön, daß die Leute nicht begreifen konnten, wie einer, den weder ein Unsterblicher gezeugt noch eine Göttin geboren, ohne Wunder so schön seyn könne, und daher auf die Einbildung verfielen, die Mutter der Liebesgötter selbst habe mich zur Belohnung eines ihr geleisteten Dienstes mit übernatürlichen Reizungen begabt. Die Menge meiner Liebhaber war so groß, daß sie mir zur Last wurde. Alle Maler malten nur mich. Alle Weiber verloren ihre Ruhe um meinetwillen, und Sappho, die berühmte Sängerin von Lesbos, sogar ihren Verstand. Das arme Mädchen stürzte sich aus Verzweiflung, weil sie alle ihre feurigen Lieder an mir verschwendet sah, vom Leucadischen Felsen herab, um dessen Klippen, wie man sagt, ihre lieblich wehklagende Stimme noch immer in stillen Nächten umher irret, und mit schwachem in Thränen ersticktem Tone, Phaon, Phaon! ruft.

Nireus. Dafür hat sie büßen müssen!

Phaon. Mir selbst gereichte meine Schönheit endlich zum Verderben. Ein brutaler Eifersüchtiger. der mich fand wo er nicht erwartet war, versetzte mich mit einem Dolchstoß hierher – wo ein feindseliger Dämon mich angeblasen, und (wie ich nicht mehr zweifeln kann) alle Augen, ohne meine eigenen auszunehmen, zu meinem Nachtheil bezaubert hat. Es ist eine sehr unangenehme Veränderung, das kannst du mir glauben!

Nireus. Armer Phaon, ich begreife wie dir zu Muthe ist. Was du jetzt erfährst, hab' ich ehemals, da ich hierher kam, auch erfahren. Ich bin Nireus. –

Phaon. Wie? Du bist Nireus?

    Nireus, Charopos Sohn, des Herrschers, und der Aglaja,
    Nireus, der schönste Mann, der gegen Ilion auszog
    Unter den Danaern, nach dem tadellosen Achilleus?

Nireus.
    Aber unstreitbar er selbst, und klein die Schaar, die ihm folgte.

Phaon (mit einer selbstgefälligen Miene). Nun, so unbescheiden bin ich nicht, daß ich mich mit dir vergleichen sollte – wiewohl mir's, beim Kastor! nicht an Schmeichlern gefehlt hat, die mich den Nireus meiner Zeit, den zweiten Hyacinth, und den wieder ins Leben zurückgerufenen Adonis nannten. Und ich will dir sogar gestehen, daß es Augenblicke gab, wo ich mir selbst kaum getraute in einen Brunnen zu sehen, ohne vor dem Schicksal des Narcissus zu erzittern.

Nireus (für sich). Der widerliche Mensch!

Phaon. Laß dich umarmen, schöner Nireus! Mir ist, ich erkenne mich selbst wieder in dir – laß dich umarmen!

Nireus (zurückweichend). Du übereilst dich, Phaon!

Phaon (als ob er vor sich selbst zurückfahre). Weh mir! Welch eine plötzliche Verwandlung! So wahr mir Venus helfe, ich begreife nichts davon.

Nireus. Ich begreif' es sehr wohl.

Phaon. Aber sagtest du nicht, du hättest, als du hierher kamst, eben das erfahren? Gleichwohl hast du deine ganze Schönheit wieder erhalten. O sage mir, schöner Nireus, ist denn keine Hoffnung für mich, daß ich wenigstens nur wieder werde was ich gewesen bin?

Nireus. Davor mögen die guten Götter dich bewahren!

Phaon. Du bist grausam.

Nireus. Und du verstehst mich nicht.

Phaon. Ich frage bloß, ob kein Mittel ist, wodurch ich meine natürliche Gestalt wieder erlangen könnte?

Nireus. Allerdings gibt's ein Mittel. Hier im Elysium gibt's Mittel für alles: denn die Unheilbaren, wenn dergleichen sind, kommen nicht zu uns.

Phaon. So beschwör' ich dich bei den Grazien, entdeck' es mir! Ich vergehe vor Ungeduld, bis du mir sagst was ich thun muß.

Nireus. Für dich weiß ich nur Ein Mittel – suche den Aesopus auf, liebe ihn und gewinne seine Gegenliebe!

Phaon. Wie? den kleinen buckligen glatzköpfigen Zwerg mit der breiten vorgedrückten Stirne? mit den tiefliegenden Augen? mit der Faunennase, und dem weiten Seehundsrachen? – der vorhin, an die schöne Rhodope gelehnt, bei mir vorbeischlenderte?

Nireus. Wie du ihn beschreibst! Er wird dir wohl schöner vorkommen, wenn du genauer mit ihm bekannt wirst.

Phaon. Du spottest meiner. Ich habe solche Mißgeschöpfe nie leiden können. Es ist als ob alles um sie her von ihrer Häßlichkeit angesteckt würde. Ich versichre dich, da er im Vorübergehn nur einen Blick auf mich warf, war mir einen Augenblick lang als ob ich in einen Affen verwandelt wäre.

Nireus. Das ist schon ein gutes Zeichen, Phaon.

Phaon (ungehalten). Der Vorzug, den du über mich zu haben glaubst, macht dich übermüthig. Ich dächte doch nicht, daß ich dir Ursache gegeben hätte mir so zu begegnen.

Nireus (gelassen). Du kannst dich hier noch in nichts finden. Gedulde dich! Es wird besser gehen, wenn du erst bei uns eingewohnt bist. Ich dachte gleich, daß dir mein Mittel widersinnig vorkommen würde. Aber du wolltest es wissen, und, ich wiederhole dir's, ich weiß kein andres. Fahr wohl.

(Nireus entfernt sich.)

Phaon (ihm nachsehend, für sich). Wie schön er ist! Wenn er sich in dieser Gestalt zu Olympia zeigte, die Hellenen würden ihn für den Mercur oder den ewig jungen Apollo ansehen. – Ich möchte rasend werden! Mit jedem Augenblicke komm' ich mir ungestalter vor. Es muß mit Zauberei zugehen, anders ist's nicht möglich – Ich kann's nicht länger ertragen. (Er geht tiefer in den Hain; indem begegnet ihm Sappho, die aus einer Laube hervorkommt.) – Aber, wer ist die Nymphe, die mit so reizendem Anstand, eine Lyra von Elfenbein im schönen Arm, aus jener Laube hervorgeht? – Wie? seh' ich recht? – Wahrlich, beim Kastor! es ist die Lesbische Sängerin, es ist Sappho selbst! – Ich muß ihr ausweichen. – Aber sie geht auf mich zu – sie lächelt mir – O gewiß liebt sie mich noch! – So ist doch wenigstens Eine Person hier, in deren Augen ich noch der schöne Phaon bin! – Ich will ihr entgegen gehen –

Sappho. Wie? der schöne Phaon auch im Elysium!

Phaon (für sich). Dacht' ich's nicht! – Willkommen, Dichterin. Du hast mich wohl nicht so bald in diesen Gegenden zu sehen gehofft?

Sappho (lächelnd). Hat sich vielleicht eine Grausame gefunden, die mich an dir gerochen hat? Hast du dich auch vom Leukadischen Felsen herabgestürzt?

Phaon. Vergib mir deinen Tod, reizende Sappho – ich glaubte nicht, daß dich die Liebe zu einer so ernsthaften Verzweiflung treiben würde.

Sappho. Es war ein kindischer Zustand, was wir da oben Leben nannten! Wenn ich jetzt an meine Lieder denke, Phaon –

(Sie hält die Hand vors Gesicht.)

Phaon. Laß sie dich nicht gereuen, schöne Sappho! Phaon sieht dich jetzt mit ganz andern Augen an –

Sappho (ihm schnell ins Wort fallend). O gewiß nicht mit verschiednern, als womit Sappho den schönen Phaon ansieht.

Phaon (erschrocken). Wie so? Was willst du damit sagen? (Für sich.) Götter! ich werde mir doch nicht zu viel geschmeichelt haben?

Sappho. So gefalle ich dir hier wirklich besser als zu Mitylene?

Phaon. Und du – findest du mich so verändert von dem was ich war, als du mein Herz – Aphrodite mußt' es in ihrem Zorne verhärtet haben! – durch so feurige Lieder in Liebe zu zerschmelzen suchtest?

Sappho. Erinnere mich nicht mehr daran! Mir wird gleich so wunderlich hier – (Sie legt die Hand auf den Magen.) Ich finde dich gar nicht verändert.

Phaon (lebhaft, indem er sie bei der Hand nehmen will). Wirklich nicht?

Sappho (die Hand zurück ziehend). Ich finde dich noch eben so blond, eben so krauslockig, blauäugig, lilienwangig, kirschlippig, noch eben so weich und zart und wie mit lauter Rosen und Küssen ausgefüttert, als ehemals – Kurz, Phaon, du bist so schön, daß – mir ganz übel davon wird. (Sie bricht einen Zweig von einem blühenden Citronenbaum ab, und hält ihn vor den Mund.)

Phaon. Mir sollen die Grazien den Rücken kehren, wenn ich dich verstehe!

Sappho. Ich dächte, ich erklärte mich. – Siehst du, schöner Phaon – ich kann mich nicht lange aufhalten – Aber so schöne Herren wie du – sind nun, seit ich hier bin, meine tägliche Gesellschaft. Es sind ihrer nicht weniger als sieben, und immer einer blonder, süßer, zarter, lilienwangiger, geistloser, unbedeutender, leerer, ströherner als der andre. Und denke, ich muß sie, schon sieben ganzer Monden lang, den ganzen Tag um mich herflattern lassen, ihre gefühllosen Schmeicheleien, ihren ewigen eintönigen Grillengesang, ihr gedankenloses Elstergeschwätz anhören, und – darf mir weder die Augen verbinden, noch die Ohren verstopfen, noch davon laufen – und das alles, schöner Phaon, zur Strafe, weil ich – so ein albernes Ding war, mich, aus Ungeduld darüber, daß du so wenig Seele hattest, von dem Leukadischen Felsen zu stürzen. Ich versichre dich, mein Zustand würde ärger als ein Platz im Tartarus gewesen seyn, wenn nicht alle sieben Tage einmal der eisgraue Nestor, und der alte Simonides, und der weise Solon, und andre solche hübsche Leute Erlaubniß gehabt hätten, mich zu besuchen und meines Leides zu ergötzen.

Phaon (für sich). Ich möchte von Sinnen kommen!

Sappho. Du glaubst nicht, wie viel dieser alte Homerische Nestor über mein Herz gewonnen hat! Das nenn' ich einen Mann, bei dem einem die Stunden zu Augenblicken werden! Wenn ja noch einer ist, der ihm den Vorzug in meiner Liebe streitig machen kann, so ist's Anakreon – der liebenswürdigste, natürlichste, munterste, angenehmste, jugendlichste Greis im ganzen Elysium. Mein guter Phaon! das sind die Männer, von denen ein Mädchen im Elysium geliebt zu werden stolz seyn mag!

Phaon (für sich). Was sie schön wird, indem sie von den alten eisbärtigen, hohläugigen Flußgöttern spricht! (Laut.) Wenn du das alles nicht bloß sagst um mich rasend zu machen, so hat der Sturz vom Leukadischen Felsen eine mächtige Veränderung in dir gewirkt.

Sappho. Das ist auch noch das einzige, weßwegen ich dir von Herzen gut bin, lieber Phaon; und sobald du deine Quarantäne überstanden, und dich zu einem Menschen, der in guter Gesellschaft einen Platz behaupten kann, abgestreift haben wirst, sollst du keine Ursache finden, mich der Undankbarkeit zu beschuldigen. Inzwischen fahr' wohl! (Sie wendet sich von ihm ab, um wegzugehen. Für sich.) Ich kann's nicht länger bei dem widerlichen Menschen aushalten.

Phaon. Du bist ja sehr eilfertig. – Suchst du etwa deinen alten Anakreon, oder den Großvater Nestor auf? – so ersparst du eine Mühe – denn, wenn ich recht sehe, so kommt dir der alte Bacchusbruder von Teos, seine Glatze mit Rosen umkränzt, und den vollen Becher in der Hand, aus jenem Seitengang entgegen. (Er weicht auf die Seite.)

Sappho. Du hast recht gesehen. – Woher, o Sänger der Grazien, diese unverhoffte Erscheinung?

Anakreon. Die seligen Bewohner Elysiums senden mich, schöne Dichterin, dich in ihre Versammlung einzuführen. Deine Buße ist vorbei – und in diesem goldnen Becher, mit Wasser aus Lethe gefüllt, bring' ich dir ein ewiges Vergessen aller Thorheiten und Plagen deines Erdenlebens.

Sappho. Reiche her – Dieß trink' ich den schönen Lesbierinnen, dem goldlockigen Phaon und den Nymphen des Leukadischen Felsens zu! (Sie trinkt aus und wirft sich dem Anakreon in die Arme.)

Anakreon. Komm, meine Liebe. –
        Er singt:
    Αἱ Μουσαι τον Ἐρωτα
    δησασαι στεφανοισι
    τῳ Καλλει παρεδωκαν
u. s. w.

Phaon. Und was aus mir werden soll, darum bekümmert sich niemand – Ein feines Elysium!

 


 


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