Christoph Martin Wieland
Gespräche im Elysium
Christoph Martin Wieland

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II.

Lucian, Diokles, hernach Panthea.

Lucian. Nun, wie gewohnst du in deinen neuen Zustand ein? Bist du nun besser mit dir selbst zufrieden?

Diokles. Immer besser mit andern, und immer schlechter mit mir selbst. Es geht noch nicht recht, wie du siehst.

Lucian. Im Gegentheile, du bist auf dem nächsten Wege zur Genesung. In deinem vorigen Leben war's gerade umgekehrt, nicht wahr?

Diokles. Ich kann's nicht läugnen.

Lucian. Damals verglichst du immer die andern mit dir, und glaubtest dabei zu gewinnen, weil du dich selbst in dem täuschenden Spiegel des Eigendünkels sahst. Was du dich selbst nanntest, war nur deine Meinung von dir selbst; ein Gewand, aus tausend bunten glänzenden erborgten Lappen zusammengeflickt, das du dir, so gut du konntest, anzupassen suchtest. Nun, da diese Lappen einer nach dem andern von dir abfallen, schämst du dich deiner Nacktheit; aber mehr, weil du nicht gewohnt bist dich nackt zu sehen, als weil du dich deiner eigenthümlichen Gestalt zu schämen hättest. Daher die Unzufriedenheit mit dir selbst. Die Veränderung ist noch zu neu. Du bist wie einer, der den Arm, den er verloren hat, instinctmäßig immer noch gebrauchen will, weil er immer wieder vergißt daß er ihn nicht mehr hat. Deine Lappen sind, durch den Mechanismus der Gewohnheit, Theile von deinem vermeinten Selbst geworden, und es geht dir jetzt wie jenem nackten Indier, da er zum erstenmal einen Europäer sich entkleiden sah.

Diokles. Du wirst mir doch gestehen. daß es nicht angenehm ist, sich auf einmal so arm zu finden; zu sehen, daß beinahe alles, was man für Eigenthum, Vorzug, Vorrecht, Verdienst ansah, nur Täuschung war. Du wirst mich schwerlich überreden, daß ich durch die Entdeckung meiner Nacktheit gewonnen habe; und ich begreife nicht, wie ihr andern Einwohner des Elysiums glücklich seyn könnet. Ihr müßt ein Geheimniß besitzen, zu welchem man mich noch nicht zugelassen hat.

Lucian. Ganz und gar keines. Alles, was wir haben um glücklich zu seyn, hast du auch.

Diokles. Und bin doch nicht glücklich!

Lucian. Das wird sich geben, Bruder. Du bist noch wie ein Kind, das zwar Augen und Ohren, Hände und Füße so gut wie ein Erwachs'ner hat, aber sie nur noch nicht zu gebrauchen weiß.

Diokles. Es muß wohl so seyn; aber ich sehe noch nicht, wie es so ist. Sage mir nur Eins, Lucian. Wie könnt ihr einander lieben, da, wie du sagst, jeder den andern ohne alle Täuschung sieht, folglich gerade so arm und nackt, als es seyn muß, wenn er von dem allem entkleidet ist, was du fremde Lappen nennst. Z. B. der Diogenes, den du einst bewundertest –

Lucian. Daran that ich freilich unrecht! Ich hätt' ihn nicht bewundern sollen. – Oder, richtiger zu reden, ich hätte mir nicht einbilden sollen, daß ich ihn bewundere. Dafür bin ich aber auch jetzt von dergleichen Einbildungen von Grund aus geheilt.

Diokles. Was ist er dir denn jetzt?

Lucian. Ein Mensch wie ein anderer.

Diokles. Du liebest ihn also auch nicht mehr als jeden andern, der weiter nichts als ein Mensch ist?

Lucian. Als ob das nicht das Beste und Herrlichste wäre, was einer seyn kann der kein Gott ist! Siehst du, guter Diokles, wir sind hier alle nichts als Menschen, und die Menschheit ist das Einzige was wir an einander hochachten und lieben.

Diokles. Die Vorzüge also, die ein Mensch in seinem Leben gehabt, die Verdienste, die er sich um die Welt gemacht hat, helfen ihm hier nichts?

Lucian. Wenn er einmal hier ist, nicht einen Deut.

Diokles. Das ist mir unbegreiflich.

Lucian. Das glaube ich gerne! Wenn du länger unter uns gewesen seyn wirst, wird dir's nicht mehr unbegreiflich vorkommen.

Diokles. Also, deine Panthea, sogar diese Panthea, die wenn du ihr nicht abscheulich geschmeichelt hast, so schön, so gut, so vollkommen war, –

Lucian (lächelt).

Diokles. – daß du, um ihre Gestalt zu schildern, nicht nur die größten Bildner und Maler, ja die göttlichsten der Dichter, Homer und Pindar selbst, sondern, um alle Schönheiten und Gaben ihrer Seele darzustellen, sogar die Aspasien und Theanos und Sapphos und die Sokratische Diotima herbeirufen mußtest, um aus allem, was an den schönsten Bildern und den schönsten Charaktern, die jemals gewesen sind, das Schönste war, wie ein andrer Zeuxis, das Bild dieser vollkommnen Frau zusammenzusetzen – diese deine Panthea also gilt hier nicht mehr als die erste beste Bürgersfrau von Smyrna, ihre Landsmännin, von der sich weiter nichts sagen laßt, als daß sie eine gute ehrliche Frau war?

Lucian. O gewiß, wenn die Bürgersfrau von Smyrna das alles war, wozu die Natur das Weib bestimmt hat, und wodurch sie ihrem Hauswesen nützlich seyn konnte, ihrem Manne hold und treu, die Mutter schöner und gutartiger Kinder, eine verständige Hauswirthin, eine gute Spinnerin, Wirkerin, Stickerin, – wenn sie, wie Homers göttliche Penelope, lieber in ihrem Gynäceon unter ihren Mägden oder Töchtern saß und arbeitete, als schalen Ergötzlichkeiten nachlief, oder ihre Zeit in zwecklosen Gesellschaften, mit Plaudern und Verleumden und Müßiggang tödtete u. s. w. – kurz, wenn sie jede Tugend ihres Geschlechtes und Standes besaß, mehr war als scheinen wollte, und in ihrem engen Kreise von Thätigkeit vielleicht nur desto mehr Gutes stiftete, welches alles, wie du siehst, ein sehr möglicher Fall ist: so hat Panthea, mit allen ihren Gaben, hier keinen Vorzug vor ihr; und, was dir vielleicht noch seltsamer vorkommen wird, so maßt sie sich auch keinen an.

Diokles. Da muß etwas seyn, worin wir uns nicht verstehen. Aber, ich glaub' es zu ahnen. Deine Panthea war nicht – so vollkommen als du sie darstelltest. Du hast die Erlaubniß, die man den Portraitmalern gibt – zu verschönern ohne unkenntlich zu machen – ein wenig weiter getrieben als recht ist. Nicht so?

Lucian. Daß das ganze Spielwerk, in Zeuxis Manier, aus lauter Bildern zusammengesetzt, folglich ein Ideal seyn sollte, sagt die Ueberschrift. Aber um dem Ganzen doch eine Art von poetischer Wahrheit zu geben, suchte ich mir das vollkommenste Weib dazu aus, das ich kannte; und dieß Weib war Panthea. Sie war wirklich eine sehr schöne, und (was nicht alle Schönen sind) eine sehr liebenswürdige Frau; und das war schon viel. Aber sie war noch überdieß die Geliebte eines Kaisers. Dieß stellte sie in einen Lichtstrom, worin auch Flecken zu Schönheiten werden: wie vielmehr mußte der Glanz so vieler Vortrefflichkeit dadurch erhöht werden! Aber auch dieß war noch nicht alles. Ich hatte freien Zutritt bei ihr; sie schätzte meine Talente, zählte mich unter ihre Freunde. Rechne nun den Grad der Täuschung zusammen, den so vielerlei zugleich wirkende täuschende Ursachen machen müssen! Der Reiz einer Schönen ist an sich selbst schon ein so mächtiges Filtrum! Ihre Gunst, auch der kleinste Antheil daran, ein noch mächtigeres! Nimm noch dazu die geheimen Hoffnungen, die mit der Gewogenheit der Großen verbunden sind, und unvermerkt zu leisen Triebfedern eines Selbstbetruges werden, den wir um so weniger gewahr werden, weil wir ihn nicht sehen wollen. – Ich rede jetzt als ob wir noch da oben lebten, wo man betrügt und betrogen wird. – Wir hielten uns nicht für Schmeichler, weil wir in einem verfälschenden Helldunkel die Vollkommenheiten wirklich zu sehen glaubten, die wir anpriesen. Gleichwohl, so viele täuschende Umstände auch hier zusammentrafen, war meine Verblendung doch nicht groß genug, daß ich mir nicht hätte bewußt seyn sollen, daß Panthea weder ein überweibliches noch überirdisches Wesen sey. Aber, ich wollte mir eine Art von Verdienst um sie machen, und ich wußte ungefähr, wie viel die Eitelkeit einer schönen Frau ertragen kann. Panthea war eine so bescheidne Schöne, als vielleicht wenig andre in ihren Umständen gewesen wären; und doch –solltest du es glauben? – hatte sie gegen eine Schilderung, worin sie als das Urbild aller Vollkommenheiten, die in einem weiblichen Wesen beisammen gedacht werden können, aufgestellt wird, nichts Ernstlicher's einzuwenden, als – die abergläubische Furcht, »die Göttinnen, mit denen ich sie verglichen hatte, möchten ihr, die doch nur eine Sterbliche wäre, die Vergleichung übel nehmen, und es ihr entgelten lassen.«

Diokles. Wahrlich ein wohl angebrachter Zug von Gottesfurcht!

Lucian. Glücklicherweise kommt sie dort selbst hinter den Myrten hervor. – Wir wollen ihr entgegengehen! – Du wirst sehen, daß sie kein Bedenken tragen wird, noch freiere Geständnisse zu thun, als ich in ihrem Namen hätte thun dürfen. – Wir sprachen eben von dir, Panthea.

Panthea. Von mir?

Lucian. Die Wahrheit zu sagen, nicht sowohl von dir, als von dem Ideal einer vollkommnen Schönen, dem ein gewisser Lucian von Samosata, der sich für mich ausgab, deinen Namen lieh – weil das Bild doch einen Namen haben mußte, und weil er im ganzen Reich der Cäsarn keinen andern fand, der ihm mehr Ehre und Beglaubigung geben konnte.

Panthea. Und, wenn mir recht ist, lebte damals eine gewisse Panthea von Smyrna, die sich für mich ausgab, und sich sehr geschmeichelt fand, ihren Namen unter das Meisterstück eines so berühmten Redekünstlers gesetzt zu sehen?

Diokles (für sich). Wie ich höre, sind die hübschen Leute sogar im Elysium noch nicht ganz von der Schwachheit frei, einander Schmeicheleien zu sagen.

Panthea. Aber wir waren doch beide sehr alberne Kinder: du, da du mich bereden wolltest, deine Panthea für mein Bildniß zu halten? Ich, da ich mir einbildete, daß du es wohl selbst dafür halten könntest?

Lucian. Du verschweigst doch noch das Beste, Panthea.

Panthea. Wie so?

Lucian. Daß die Dame, die sich für dich ausgab, sich wirklich überreden ließ, das Götterbild für das ihrige zu halten.

Panthea. Siehe, lieber Lucian, wir haben hier keine Geheimnisse mehr für einander. Eine schöne Frau auf der Oberwelt hört sich wenigstens eben so gern loben als ein Philosoph, oder ein witziger Schriftsteller. Lob, wie unverdient es auch seyn mag, klingt in jenem Lande der Täuschungen immer angenehmer als der heilsamste Tadel. Und dann mußt du auch bedenken, daß es nur von dir abhing, anstatt der witzigen Lobschrift eine eben so witzige Satyre auf mich zu machen – und daß ich dieß wußte. Dir kostete das eine nicht mehr Witz als das andre, und der Welt würde der Spötter Lucian unfehlbar mehr Vergnügen gemacht haben als der Schmeichler Lucian. War es nicht billig von mir, dir das Opfer, das du mir dadurch brachtest, zum Verdienst anzurechnen?

Lucian. Es war mehr als billig, schöne Panthea, es war sogar großmüthig. Denn es kam doch nur auf dich an, zu sehen, daß ich ziemlich gewiß berechnen konnte, das, was ich mit diesem Opfer bei dir gewann, sey mehr werth, als was ich bei der Welt dadurch verlor.

Panthea. Am Ende wird denn wohl herauskommen, daß wir uns beide in unsrer Rechnung betrogen.

Lucian. Oder, daß wir gerade so handelten, als ob wir einander ins Spiel guckten. Denn, ungeachtet des Verdienstes, das die schöne Panthea mir so hoch in Rechnung brachte, erinnere ich mich doch nicht, daß ich vielmehr dadurch bei ihr gewonnen hätte, als ich mit ein paar Versen um einen Blumenstrauß zu ihrem Geburtstage hätte gewinnen können.

Panthea. Und Lucian würde sein schönes Ideal nicht um ein Haar schlechter gemacht haben, wenn er auch weniger auf meine Dankbarkeit gerechnet hätte. Denn, er machte es doch mehr sich selbst zu Gefallen, als mir.

Diokles (für sich). Sie sind offenherziger als ich dachte!

Lucian. Wie dem auch seyn mag, das solltest du uns doch gestehen, daß du nicht ganz aufrichtig warst, als du mir wissen ließest, »du wärest gar keine Freundin von übertriebenen Schmeicheleien.«

Panthea. Da irrest du dich doch wohl ein wenig, Lucian.

Lucian. Wer war denn die Dame, die mir sagen ließ: »Sie sey versichert, ich würde sie nicht so sehr gelobt haben, wenn es mir nicht von Herzen gegangen wäre?«

Panthea. Und gerade daraus solltest du geschlossen haben, daß ich aufrichtig war. Allerdings war ich keine Freundin von übertriebenen Schmeicheleien; aber ich hielt die deinigen nicht für übertrieben.

Lucian (lachend). Oh, oh, daran dacht' ich freilich nicht! Das verschließt mir den Mund auf einmal.

Panthea. Was willst du, Lucian? Ich war ein Weib –

Lucian. Und, aufrichtig zu seyn, meine Schmeicheleien waren wenigstens (lächelnd) so scheinbar, so wahrscheinlich –

Panthea. Spötter! – wenigstens mit so viel Witz und Feinheit angebracht, so neu und gefällig eingekleidet, so schön gesagt! – Das Vergnügen, von einem Manne, der so loben kann, gelobt zu werden, ist ein zu berauschender Trank, um das bißchen Vernunft nicht zu übertäuben, das der Eitelkeit in dem Kopfe eines schönen Weibes die Wage halten soll. – Doch, vergib, Lucian, daß ich dir nicht länger das Vergnügen machen kann, dich und deinen neuen Freund hier auf Kosten meiner ehemaligen Thorheit zu belustigen. Ich muß einen kleinen Flug nach der Oberwelt thun. (Sie verschwindet.)

Diokles (zu Lucian). Einen Flug nach der Oberwelt? Sie wird doch nicht spuken wollen? Wenigstens habe ich nie gehört, daß sich jemand gerühmt hätte, ein so liebliches Gespenst gesehen zu haben.

Lucian. Das ist ein Räthsel, das ich dir vielleicht ein andermal auflösen darf. Sage mir jetzt, wie gefiel dir Panthea? Ist sie nicht schön?

Diokles. Noch liebenswürdiger als schön, wie du sagtest. Aber noch immer sehr schön, wiewohl der Contour ihrer Wangen nicht ganz so sanft abgeründet ist, als an der Venus des Alkamenes. Und, wenn ich dir's frei gestehen darf, der Zug ihrer Augenbrauen däuchte mich gerade darum desto geistreicher, weil er nicht so mit dem Cirkel gezogen ist, wie an dem Meisterstücke des Praxiteles. Auch ihre Stirn schien mir merklich breiter, als sie seyn müßte, um der Knidischen Venus so gleich zu seyn, und ihre Lippen länger und schmaler, als die den Kuß herausfordernden Lippen der Roxane des Aetion. Und doch däuchte mich, andre Lippen und eine andre Stirn würden ihrem Gesichte nicht so gut anstehen als ihre eignen.

Lucian. So, daß du also findest, ich habe ihr gerade dadurch Unrecht gethan, daß ich sie schöner malen wollte als sie ist?

Diokles. Ich denke, dieß mag beim Verschönern öfters der Fall seyn.

Lucian. Da hast du Recht. – Aber wie gefällt dir die Aufrichtigkeit, die unter uns eingeführt ist? Dünkt dich nun nicht, daß wir sehr angenehm zusammen leben? Und fühlst du nicht, daß du die schöne Panthea lieben könntest, wiewohl du sie ohne irgend eine Art von Täuschung siehst? Denn du wirst vermuthlich wahrgenommen haben, daß die Begierde, die dort oben die natürliche Wirkung der Schönheit hindert, unter die Dinge gehört, die wir zurückgelassen haben.

Diokles. Ich hatte immer gehört, die Schönheit sey das, was die Begierde reize. Itzt erklärt mir meine eigene Erfahrung, warum du sagtest, die Begierde hindre die natürliche Wirkung der Schönheit. Ich denke du hast vollkommen Recht. Schönheit für sich allein wirkt bloßes Wohlgefallen, und gewährt reinen ruhigen Genuß. Begierde hingegen ist körperlicher Reiz, der, auch ohne von der Schönheit erregt zu werden, für sich selbst wirken kann, und durch die unruhige Bewegung, wodurch er die Heiterkeit der Seele trübt, der reinen Wirkung des Schönen nothwendig hinderlich ist.

Lucian. So ist's, denke ich: wiewohl in jenem sterblichen Leben geheime Triebfedern, von der Natur zu gemeinnützlichen Endzwecken angebracht, auch die Schönheit zu einem natürlichen Mittel machen, die Begierde zu erwecken. Daher ist es zwar unschicklich, Reiz und Schönheit zu verwechseln; aber eben so unläugbar, daß Schönheit reizt, als daß Reiz verschönert. Da dieß letzte aber bloß Täuschung ist: so erscheint uns Elysiern nichts schöner als es wirklich ist, und die Schönheit erzeugt in uns reine Liebe, ohne fremdes Zugemisch. Kurz, die berühmte Platonische Liebe, die auf der Oberwelt den meisten lächerlich, bei manchen betrügerische Anmaßung, bei einigen schuldloser Selbstbetrug, bei andern verdienstlose Wahrheit, und nur bei sehr wenigen verdienstlose Täuschung ist – diese Platonische Liebe ist die einzige, deren wir fähig sind – das Schwärmerische ausgenommen, welches, als fremder unreiner Zusatz, von ihr abgeschieden wird.

Diokles. Aber gerade diese Schwärmerei, diese schöne Seelentrunkenheit, die uns die Gegenstände unsrer Bewundrung, unsrer Liebe, unsers Verlangens, in einem so zauberischen Lichte zeigte, machte die höchste Wonne unsers vorigen Zustandes aus. –

Lucian. Und seine bittersten Qualen. Denn die unglücklichsten Menschen die ich je gekannt habe, waren gerade diese so leicht zu berauschenden Seelen, die in ihrer Trunkenheit sich, wie Bacchanten, stark genug fühlten Eichen zu entwurzeln, und, wenn der Taumel vorüber war, von einem Strohhalm zu Boden fielen; die jeder Genuß zu Göttern machte, und jeder Verlust an Ixions Rad heftete.

Diokles. Aber kannst du läugnen, daß es eine Art von Schwärmerei gibt, die uns wirklich veredelt und glücklich macht?

Lucian. Glücklich? Ja, so glücklich als ein Bacchusfest machen kann! Denn was auch die Ursache seyn mag die uns berauscht, die Trunkenheit selbst ist – Trunkenheit, und die Wirkungen sind ungefähr die nämlichen.

Diokles. Ich hatte Unrecht, mich eines Wortes zu bedienen, das mich unverständlich machte. Ich wollte sagen, gibt es nicht eine Art von Begeisterung, wo das Anschauen der Schönheit, der Vollkommenheit, des Göttlichen, wo es auch sey, – die Seele ergreift, erhebt, über alles Irdische, Körperliche, Beschränkte und Vergängliche empor reißt; sie, so lange dieß Anschauen dauert (wär's auch nur auf Augenblicke) ganz durchglüht, verherrlicht, beseligt, vergöttert?

Lucian. Aus meinem Munde sollte es dich wohl befremden Ja zu hören? Aber bilde dir ein, daß es Pythagoras oder Plato sey, der dir durch mich antwortet. Ja, Diokles, es gibt einen solchen Zustand; und er ist uns Bewohnern des Elysiums viel weniger fremd, als er's dort oben ist, wo ein Becher Wein von Chios, der Kuß einer Glycerion, das Lächeln eines Großen – freilich nur Narren, aber wer ist dort nie Narr gewesen? – zu Göttern machen kann. Nur, was bei den Sterblichen fast immer ganz, oder doch zum Theil bloßes Spiel der Sinne und des wallenden Blutes, oder Blendwerk der Einbildungskraft und Ueberspannung der Seele ist, ist hier Wahrheit: und wenn dort oben jeder, der etwas von dieser Art erfahren zu haben meint, nicht laut genug krähen, nicht hyperbolisch genug davon schwatzen kann, so sind hier die heiligsten Augenblicke der Freundschaft, der rein gestimmtesten Sympathie, kaum heilig genug, von Empfindungen oder Erscheinungen dieser Art, auch nur in abgebrochnen Lauten, zu reden. Es sind Mysterien, in welchen wir alle initiirt sind, wiewohl nicht in einerlei Graden – Aber aus dem Heiligthum der Menschheit plaudern nur Schwätzer, die kaum hineingeblickt haben, und werden dafür gestraft, daß sich die Thür vor ihnen zuschließt, ehe sie hineingekommen sind.

Diokles. Aber woran erkennt ihr, daß es nicht auch bei euch Täuschung ist, was ihr in einem Zustand, wovon sogar zu reden verboten ist, zu erfahren glaubt?

Lucian. In jedem gesunden Zustande der Seele – wie vielmehr in der tiefen Stille und reinen Klarheit, worin die Weisen im Elysium leben – ist nichts untrüglicher als das Kennzeichen, wodurch sich Wahres und Falsches unterscheidet. Licht und Finsterniß sind einander nicht mehr entgegen. Wahres Gefühl des Göttlichen unterbricht die Stille der Seele nicht – es macht sie vielmehr noch stiller, kehrt sie noch unverwandter in ihr Innerstes. Derjenige, dem dieser Sinn aufgeschlossen ist, spricht nicht von dem was er sieht, was er fühlt: aber sein ganzes Wesen, seine ganze Art zu seyn und zu wirken spricht davon. Etwas diesem Aehnliches findet sich schon an jenen erhabenen Sterblichen, denen die Natur das Geheimniß der Künste entsiegelt hat. Homer schrieb kein Buch von der Dichtkunst, aber er machte seine Ilias; Phidias, Praxiteles, Apelles schrieben keine Theorien, definirten das Erhabne, die Schönheit, die Grazie nicht, aber ihre Werke spiegeln die Idee des Göttlichen zurück, die sich ihrer Seele eingesenkt hatte. Sie schwatzten eben darum nicht davon, weil sie gesehen hatten, was die Schwätzer nie sahen; versuchten eben darum nicht, es zu erklären, weil sie es als unerklärbar fühlten; sie machten es, und stellten es dar – denen welche sehen können. Dieß ist der Charakter des Dichters, des wahren Machers; und in diesem Sinne ist jeder ächte Künstler Dichter – ein kläglich entweihtes, beinahe schambares Wort, aber ehrwürdig dem, der seinen Sinn umfassen kann, wie es unsern Alten war! – Bloß aus diesem Grunde läßt sich das, was in der Kunst das Höchste ist, was der wahre Künstler selbst mehr fühlt als erkennt, oft nur vorüber blitzen sieht, nur von fernher ahnet, eben darum läßt sich das nicht lehren. Kein Fleiß, keine Nachtwachen, keine Nachahmung, kein Studium, wird es dem erforschlich noch erreichbar machen, dem es die Natur nicht offenbart. Und aus eben diesem Grunde können alle Schriften eines Plotin und Jamblich wohl eine Menge theosophischer Schönredner und Großsprecher – vielleicht auch einige Schwärmer, Träumer und Narren – aber keinen Apollonius machen. Dieß ist alles, Diokles, was ich dir jetzt über diese Sache sagen kann.

Diokles. Und ist genug.



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