Christoph Martin Wieland
Gespräche im Elysium
Christoph Martin Wieland

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I.

Diokles. Lucian.

Diokles (noch allein). Wie ist mir? Wo bin ich? Ist dieß Elysium? Die schönste Insel der Seligen, »wo goldne Blumen glühen? wo ein ewiger Frühling von Früchten aller Arten überfließt? – Wo sind die reinen Krystallbäche? Wo die immergrünen blumenvollen Wiesen, die mir von Dichtern und Weisen versprochen wurden? Wo die Sonne, die Tagen und Nächten immer gleich leuchtet?« – Nichts als Dämmerung und Dämmerung! – und eine Stille, so still, so still, daß ich das wiegende Schwanken einer Lilie auf ihrem Stängel hören könnte. Ein wahres Schattenland! – Und bin ich denn auch ein Schatten? – Ich? Was nennest du dich? Ich kenne dich nicht mehr! – Ach! welch ein seltsames Drängen und Winden und Schneiden und Absondern fühl' ich in mir? – Mich däucht, ich bin mir das nicht mehr bewußt was ich mir kaum noch bewußt war, und doch fühle ich noch daß ich Diokles bin. – Wunderbar! mir ist als falle alle Augenblicke etwas von mir ab, bald wie Schuppen, bald wie ein Nebel den die Sonne niederdrückt. – Ein seltsamer Zustand! so leer! so leicht! so durchsichtig! Es ist nicht ganz recht mit mir – gar nicht, wie ich mir's dachte – und doch bin ich eher wohl als übel. – Aber, seh' ich nicht dort einen Schatten gegen mich herschweben? Sein Ansehen ist frei, und ruhig und edel. Gewiß einer von den Weisen eines bessern Zeitalters! – Ich will ihn anreden; er soll mir sagen, ob dieß Elysium ist.

Darf ich dich anreden? Darf ich dich fragen, wie du genannt wirst?

Lucian. Du darfst alles was du kannst. Wir sind hier alle gleich, und haben wie die alten Atlanten, keine besondern Namen, außer wenn wir uns von unserm vormaligen Leben unter einander besprechen. Da ich noch auf der Oberwelt war, nannten sie mich Lucian.

Diokles (ein wenig zusammenfahrend). Lucian? – So bitte ich dich, schone meiner!

Lucian. Warum bittest du mich das?

Diokles. Weil du mich ohne Zweifel noch schärfer sehen wirst als ich mich selbst sehe. Ich bin gar nicht mit mir selbst zufrieden.

Lucian. Du bist also ein neuer Ankömmling? Habe Muth! es wird immer besser mit dir werden.

Diokles. Sage mir doch, bin ich wirklich im Elysium? Kann dieser Ort, wo wir jetzt sind, Elysium seyn?

Lucian. Du bist im Elysium; aber deine Sinne sind noch nicht ganz gereinigt.

Diokles. Das muß es seyn! Nun versteh' ich's. Der Fehler muß an mir liegen, daß mir alles so trübe, so schattenmäßig, so öde und todt vorkommt.

Lucian. Du wirst ja diesen Augenblick erst geboren! Deine Augen sind noch dunkel, deine Ohren noch schlaff; du bist unsrer Luft, unsers Lichts noch ungewohnt. Aber das wird sich bald geben.

Diokles. Sage mir doch, was ist das, das sich fast alle Augenblicke – eben jetzt da ich mit dir rede – wie von mir ablöst, und, wie Lappen eines zerissenen wollichten Nebels, seitwärts an mir niederwallt?

Lucian. Dünkt dich nicht, du werdest bei jeder dieser Abschälungen leichter, freier, dir selbst durchschaulicher?

Diokles. So däucht mich – aber nur gar zu leicht, gar zu durchsichtig! Denn ich merke wohl, es wird vor lauter Abschälungen, wie du es nennst, beinahe nichts von mir übrig bleiben.

Lucian. Sey unbekümmert! Es wird sich nichts abschälen, um was du dich nicht desto besser befinden wirst. Es sind nur die Täuschungen des Eigendünkels, die dich bisher umwickelten, und die Ursachen deiner meisten Leiden und Freuden waren.

Diokles. Hilf Himmel! Wenn dieß ist, was für ein Puppen- und Fratzenspiel von Täuschung und Blendwerk war das, was ich mein Leben nannte!

Lucian. Merkst du das? – und doch wird es dir nicht an einem Lebensbeschreiber fehlen, der eine gar feine Composition daraus zu machen wissen wird.

Diokles. O das ist häßlich! meine Vorzüge, meine Tugenden, meine Freuden, beinahe alle – vielleicht gar alles zusammen – lauter Täuschungen!

Lucian. Dafür waren es aber deine Leiden auch.

Diokles. Desto schlimmer! desto schlimmer! Ich fühlte mich so stark, so groß, wenn ich sie standhaft, edel, wie ein Weiser zu tragen glaubte. – Wie lächerlich ich dir vorkommen muß!

Lucian. Gar nicht! Die Last, die ein Mann kaum auf seinen Schultern fühlt, würde ein Kind niederdrücken. Hierin liegt die Täuschung nicht, Bruder. Aber, wenn du deine Leiden so standhaft, so edel, so heldenmüthig zu tragen glaubtest, davon geht nun wohl etwas ab.

Diokles. Ich litt freilich nur – was ich nicht ändern konnte, und ächzte, klagte, schrie, so gut wie ein gemeiner Mensch, wenn mich niemand hörte, vor dem ich mich schämte nur ein gemeiner Mensch zu seyn.

Lucian. Das ist wohl die dickste und häßlichste von allen Schuppen, kein gemeiner Mensch seyn zu wollen, wenn man im Grunde doch nur ein gemeiner Mensch ist. Siehst du, was für ein Klumpen wieder von dir fällt!

Diokles. Hilf mir! Ich zerfalle! ich zerfließe in Dunst und Schlacken.

Lucian. Das Aergste wird nun bald vorüber seyn. Sey ruhig. Wir waren alle nur gemeine Menschen. – Mehr oder weniger Häute, schlechtere oder buntere Schuppen, machten den ganzen Unterschied.

Diokles. Und die großen, die herrlichen Menschen sollten keine Ausnahme machen?

Lucian. Frage sie selbst, wenn du einst zu ihnen gekommen seyn wirst.

Diokles. Ihr lebt also hier frei von allem was die Sinne der Sterblichen fälscht? Jeder erscheint dem andern wie er ist?

Lucian. Und sich selbst wie er war.

Diokles. Und ihr seyd glücklich?

Lucian. Eben darum! In unserm vorigen Zustande war es freilich anders. Aber hier, wo alles im vollkommnen Gleichgewicht, alles in Ruhe ist, wo keiner von dem andern was zu fürchten noch zu hoffen hat, wo keine Schiefheit, keine Vorurtheile, kein Neid, keine Schelsucht, keine Rachgier mehr Platz hat, – wo also schlechterdings keine Ursache ist, was andres oder besseres scheinen zu wollen, oder zu müssen, als man ist: hier kann man niemand täuschen wenn man auch wollte, und nicht täuschen wollen wenn man auch könnte. Auch sich selbst nicht; denn man ist nur falsch gegen sich selbst, wenn man nicht wahr gegen andre seyn darf. Kurz, bei uns ist alles wahr, und eben darum sind wir glücklich.

Diokles. Mich däucht, es wird Mühe kosten, bis ich mich an eure Glückseligkeit werde gewöhnen können.

Lucian. Warst du etwa ein König?

Diokles. Ein König? – Zuweilen, ja, aber nur in der Einbildung; und das endigte immer damit, daß ich Satyren auf die Könige machte die es wirklich waren.

Lucian. Hast du jemals gehört, daß ein Günstling, eh' er in Ungnade fiel, oder ein Officier, wenn er ein Regiment erwartete, oder ein Poet, wenn er eine Pension erhielt, eine Satyre auf die Könige gemacht habe?

Diokles^ Ich verstehe dich: aber das war doch bei mir die Ursache nicht.

Lucian. Nimm dich in Acht!

Diokles. Ich war zum Glück in einer Lage, daß ich ihrer Gnade entbehren konnte.

Lucian. Du wähntest also vielleicht, du würdest es an ihrem Platze besser gemacht haben?

Diokles. Das war freilich auch eine häßliche Täuschung. Aber mein Haß gegen die Könige floß wahrlich aus einer reinern Quelle.

Lucian. Nimm dich in Acht, Bruder!

Diokles. Es war wirkliches Mitleiden mit dem armen Menschengeschlechte –

Lucian. Und aus wirklichem Mitleiden mit dem armen Menschengeschlechte – hättest du selbst König seyn mögen?

Diokles. Ich läugn' es nicht – aber bloß um Gutes zu thun.

Lucian. Hättest du Herr über den ganzen Erdboden seyn mögen?

Diokles. Bloß um desto mehrern Gutes zu thun.

Lucian. Und unumschränkter Selbstherrscher?

Diokles. Bloß um das Gute desto ungehinderter zu thun.

Lucian. Ernstlich, das konntest du dir einbilden?

Diokles. O weh! –

Lucian. Da schuppte sich wieder eine garstige dicke Haut ab!

Diokles. Ach! was wird aus allen den Tugenden werden, in deren Bewußtseyn ich mir oft so gütlich that!

Lucian. Das war wohl eine sanfte Schaukel?

Diokles. Wie glücklich ich mich dann fühlte! – Nein! Ich bin nicht im Elysium. – Mir ist hier ganz anders –

Lucian. Du büßest hier für – deine Tugenden.

Diokles. Die ich zu haben wähnte und nicht hatte, meinst du?

Lucian. Und die dir weder Anstrengung noch Opfer kosteten. – Du warst da oben wohl ein Dichter, nicht so?

Diokles. Und liebte die Wahrheit über alles –

Lucian. Und belogst dich selbst und die Welt dein ganzes Leben lang?

Diokles. Du bist noch immer Lucian, wie ich höre.

Lucian. Bruder, es steht noch nicht recht mit dir. – Gehe dem schlängelnden Fußpfade zwischen diesen Platanen nach; er wird dich zu einer Grotte führen, in deren Vertiefung du eine Art von warmem Bade bereitet finden wirst. Bediene dich dessen ungescheut; es wird dich erweichen, und dir eine gelinde Ausdünstung verschaffen, nach welcher du dich viel besser befinden wirst. Wenige kommen hierher, die dieses Bad nicht eine Zeit lang bedürften, und niemand, dem nicht gerathen würde, es zur Vorsicht wenigstens Einmal zu gebrauchen. Geh, weil es doch seyn muß! Wenn wir uns wiedersehen, wirst du fühlen daß du im Elysium bist.



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