Ernst Wichert
Der Schaktarp
Ernst Wichert

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Während der Überfahrt hielt Endrik sich schweigsam; seine Mutter aber plauderte von Julie, wie hübsch und gewandt und aufmerksam sie sei. Eine solche Tochter möchte sie wohl haben, und wer sie zur Frau bekomme, der könne sich Glück wünschen. Endrik meinte nur, soviel er wisse, gefalle sie einem schon gut genug – das sei der Jäger Görig. Dazu lachte Frau Grita und schnippte mit den Fingern. »Der arme Schlucker! Der Kapitän wird sich bedanken. Nein, da muß ein anderer kommen.« Endrik ließ es dahingestellt sein, wen sie etwa meinte; er hatte den Kopf voll von seinen eigenen Angelegenheiten.

Das Geschäft hielt sie im Kruge nicht lange auf. Bei der Rückkehr, als sie noch nicht auf die Mitte des Stromes angelangt waren, zog Endrik das Ruder ein und setzte sich auf den Bord des Kahnes, ganz in die Nähe seiner Mutter. »Bist du müde?« fragte sie verwundert. »Wir werden weit abtreiben.«

»Das will ich eben«, entgegnete er. »Ich habe etwas mit dir zu besprechen, Mutter, und es muß heimlich geschehen. Im Hause sind wir jetzt nicht allein.«

»Ja, das Fräulein . . .« Sie schien sich nicht sogleich in die Sache finden zu können, widersprach aber nicht.

Was sie nun zuerst hörte, gefiel ihr auch sehr wohl. Er ließ sich des breiteren darüber aus, daß er zwar noch jung, aber doch bereits in den Jahren sei, an einen eigenen Hausstand denken zu können. Vor kurzem habe er freilich gemeint, dazu sei noch Zeit; nun aber, nach des Vaters Tode, hätte sich doch vieles geändert, und wenn er der Wirt werden solle, müsse er eine Frau haben, die zu Hause seine Wirtschaft führe. Die Mutter nickte gar nicht unfreundlich dazu, und das machte ihm Mut; denn er hatte gefürchtet, sie würde Einwendungen wegen Abtretung des Grundstücks erheben. So war der Kahn hinausgetrieben, bis hinter die Mühle und in den jungen Aufschuß der Binsenkampen hinein, wo er nun festlag. Hier schöpfte Endrik ein wenig Atem, um zur Hauptsache zu kommen.

Sie aber nahm nun gleich das Wort. »Das ist alles ganz vernünftig gesprochen«, sagte sie, »und ich habe mir's auch schon überlegt gehabt. Denn wenn ich auch noch rüstig bin und nicht gerade nötig habe, mich zur Ruhe zu setzen, so ist mir das stille Leben doch zu gönnen, und da du der einzige Sohn bist, kann ja auch bei der Teilung kein Streit entstehen, wer das Haus übernimmt und mir den Altenteil reicht. Du hast aber zu bedenken, daß dein Vater ein Holzhändler war, und daß der Holzhandel, nicht die Fischerei uns zu Wohlstand gebracht hat. Der Holzhandel muß auch dein Hauptgeschäft werden; denn was du deinen Geschwistern herauszuzahlen hast, kannst du da leicht in wenigen Jahren einbringen. Damit man dich aber als einen Kaufmann anerkennt, und nicht wie einen Fischerwirt behandelt, der so nebenher Holz kauft und verkauft, ist es am besten, daß du dein Hauswesen ganz auf deutsche Art einrichtest. Dazu gehört eine deutsche Frau, und ich kann wohl sagen, wenn du eine deutsche Frau hast, so findet sich alles andere von selbst. Nun trifft es sich auch glücklich genug, daß sich uns eine gute Partie bietet. Bringt das Mädchen auch kein Geld ein, so ist der Vater doch ein vielvermögender Mann und in der ganzen Gegend angesehen. Er hat mir's zu verstehen gegeben, daß er nicht stolz ist, seine Tochter an einen Litauer zu verheiraten, der sich zu den Herren stellen darf, und das Mädchen ist hübsch und gutartig, so daß sie dir wohl gefallen kann und wir einander im Hause nicht den Weg vertreten werden. Fasse dir also nur Mut und leg's darauf an, daß sie die Augen auf dich richtet – dann soll sie ihre alte Liebschaft bald vergessen haben. Der Vater wird dir nicht hinderlich sein.«

»Von wem sprichst du, Mutter?« rief Endrik in höchstem Schreck, schon der Antwort gewiß.

Sein Gesicht mit den weit aufgerissenen Augen mußte ihr wohl selbst schreckhaft erschienen sein; denn sie wandte sich ab, schlug mit der Hand in die Luft und sagte: »Schrei mich doch nicht so an, als ob ich was Unrechtes gesagt hätte! Natürlich spreche ich von dem Fräulein.«

»Des Fischmeisters Tochter?«

»Ja doch! Ich denke mir, er hat sie deshalb bei uns zurückgelassen.«

Endrik sprang auf, daß der Kahn heftig schwankte, stieß mit dem Ruder, das er in der Hand behalten hatte, auf den Boden und rief: »Mutter, das wird nimmermehr geschehen – nimmermehr!«

Die Frau zuckte die Achseln und lächelte: »Habe dich nur nicht so! Ich sage dir, der Herr Kapitän wird euch nicht zuwider sein.«

»Aber ich will's nicht, Mutter – nimmermehr!«

»Du?« Sie wandte ihm wieder das Gesicht zu und prüfte ihn mit einem Blicke, der etwa sagen wollte: Du wirst doch kein Narr sein?

»Ich, Mutter!« bestätigte er eifrig. »Das Fräulein ist keine Frau für mich. Und wenn auch, es könnte doch nicht sein. Denn daß du's mit einem Worte weißt: Ich habe der Else versprochen, daß ich sie heiraten werde.«

Nun war die Reihe des Erstaunens an ihr. »Der Else?« rief sie auffahrend, »der Else Jurgeitis? Du hast der Else . . .«

Er nahm ihre Hände und hielt sie fest, wie sie auch immer zorniger daran zog, und sagte ihr, daß ihm das Mädchen schon seit Jahren lieb sei, und daß er sich eine bessere und tüchtigere Frau gar nicht gewinnen könne. Sie aber wurde feuerrot im Gesicht, hob und senkte die Arme wie ein Vogel, der mit den gebundenen Flügeln schlägt, und rief: »Kein Wort redest du mir von der Else, von der Bettlerin, von der Scheinheiligen, kein Wort, sage ich dir! Das hat man für seine Guttat, daß man sich fremder Kinder Nacktheit erbarmt – das ist der Lohn dafür! Deshalb ist der alte Jurgeitis wohl auch hier, daß er gleich bei der Verlobung dabei sein kann? Sein eigen Hab und Gut hat er verbracht – nun kommt an uns die Reihe! Aber ich will ihm heimleuchten auf den Moosbruch, und er soll das Wiederkommen vergessen!«

Endrik erklärte, weshalb Jurgeitis gekommen sei, so ruhig er's in seiner aufgeregten Stimmung vermochte.

»Also so viel Vernunft hat er doch noch?« fiel sie ein. »Gut, er kann die Else mitnehmen, das undankbare Geschöpf, gleich heute, wenn er will. Keine Nacht weiter schläft sie unter meinem Dache! Das hat nicht mit rechten Dingen zugehen können; behext hat sie dich, blind und toll gemacht. Bah – ich will ihr den Kopf zurechtsetzen!«

Seine eifrige Verteidigung machte sie nur um so hitziger. Der Streit zwischen Mutter und Sohn wurde immer heftiger und lauter. Er sagte ihr, daß er von Else nicht lassen werde, komme es, wie es wolle. Und sie antwortete: in das Haus solle die Else als ihres Sohnes Frau nicht, solange sie lebe. Jetzt scheine sie ihm noch etwas, da sie wie ein Kind vom Hause gehalten worden; vom Moosbruch werde er sie sich schwerlich holen wollen.

Als Endrik sah, daß er so bei seiner Mutter nichts ausrichtete und nur immer sein erstes Wort wiederholen konnte, schob er den Kahn aus den Binsen und ruderte mit kräftigen Schlägen in den Strom zurück. Sie verlangte, an dem Sandhaken abgesetzt zu werden, und er mußte ihr willfahren. Nun sah er sie mit eiligen Schritten die Dorfstraße entlang laufen, ihm zuvorzukommen. Als er im Hafen anlangte, hörte er sie im Hause lärmen. In der Halle kam ihm Julie entgegen, ganz verschüchtert.

»Ich mag nicht in der Stube bleiben«, sagte sie. »Ihre Mutter ist so aufgebracht gegen die arme Else – sie hat sie gar in der ersten Wut geschlagen.«

Endrik biß die Zähne zusammen: »Geschlagen . . .«

»Und das Ihretwegen! Warum haben Sie's aber auch nicht noch eine Weile stillgehalten?«

»Geschlagen?«

»Ich wollte die Frau beschwichtigen; aber sie hörte nicht auf mich.«

Endrik maß sie mit einem herausfordernden Blicke. »Ihnen zu Ehren tut sie das ja«, sagte er, »und sie rechnet noch auf Ihren Dank.«

Sie sah verlegen zur Erde. »Mir zu Ehren? Wie soll ich das verstehen?«

»Aber das sage ich Ihnen«, fuhr er fort, »zwischen mich und die Else soll niemand kommen, und wenn der Herr Kapitän sich einbildet, daß er uns auseinanderbringen kann, so tut mir seine Tochter leid. Ich hoffe, das Fräulein spielt da nicht mit!«

»Wie können Sie denken, Endrik . . .«

»Gut! Ich wollt's nur gesagt haben auf alle Fälle. Und nun vertreten Sie mir nicht weiter den Weg, Fräulein.«

»Gehen Sie nicht hinein, Endrik, jetzt nicht! Sie machen das Übel noch ärger.«

»Soll ich meine Braut schlagen lassen?« rief er so laut, daß man's innen hören mußte. Er schob das Mädchen zur Seite und trat ins Haus ein.

Else stand in der Kammer und packte ihre Sachen in ein Bündel zusammen. Die Tür war offen. Auf dem Flur ging Frau Endromeit hin und her und zankte unaufhörlich, obgleich ihr gar nicht geantwortet wurde. Als sie Endrik nach der Kammer hinübergehen sah, schlug ihr Zorn wieder in hellen Flammen auf.

»Schweig', Mutter!« herrschte er sie an. »Du kannst Else das Haus verbieten, aber du hast kein Recht, sie zu beschimpfen. Ist es wahr, daß du Else geschlagen hast?«

Seine Stimme bebte, und seine Augen rollten so zornig, daß sie doch nicht wagte, ihre Litanei fortzusetzen.

»Was ich getan habe, das habe ich getan«, sagte sie nur, »und darüber soll mich niemand zur Rede stellen, am wenigsten mein eigener Sohn.«

Endrik trat in die Tür. »Trag's in Geduld, Else«, bat er, »sie wird's bereuen, dich so weggeschickt zu haben.«

Dem Mädchen perlten die Tränen über die Wangen. »Ich wär' auch von selbst gegangen«, sagte sie. »Mein Vater ist ja gekommen, mich abzuholen – das wird die Frau doch glauben müssen! Du hättest mich gehen lassen sollen, Endrik; ich hab' dir alles vorausgesagt.«

»Und ich halte dir Wort«, rief er. »Was ich gesagt habe, dabei bleibt's.«

»Es wird sich ja finden«, meinte seine Mutter. »Womit will so einer Wort halten, der nichts ist und nichts hat?«

Er wollte heftig antworten, aber Else legte ihre Hand auf seinen Mund. »Sie ist deine Mutter«, mahnte sie. »Ich will ihr's auch nicht verdenken, daß sie gegen mich so hart ist. Es geschieht doch nur, weil sie glaubte, daß ich an deinem Unglück schuld bin, wenn du dich nicht nach ihrem Willen bekehrst. Sprich ihr jetzt nicht entgegen, Endrik. Mit Worten ist ja auch nichts zu erzwingen! Daß ich dir treu bleibe, weißt du! Wenn du dir's aber anders überlegst –«

»Nein, Else, nein!« versicherte er und wollte sie umfassen.

Sie aber trat zurück, nahm ihr Bündel auf und reichte ihm die Hand. »Leb' wohl«, sagte sie, »ich finde meinen Vater im Dorfe. Hier bleib' ich keine Minute länger, als ich muß – das wirst du selbst nicht wollen.«

Sie machte sich rasch los und ging an ihm vorüber zu der Witwe hin, auch ihr die Hand bietend. »Ich kann nichts dafür«, sagte sie, »daß der Endrik mir gut geworden ist. Kann er sein Herz wieder frei machen, so will ich ihn nicht halten. Bleibt er aber dabei, so kann ich ihn doch nicht hindern – das wirst du einsehen.«

Die Frau nagte im Ärger an ihrer Lippe und kehrte sich ab. Else wartete eine Weile, daß sie sich besinnen sollte; dann ging sie langsam weiter. Nun wurde sie aber zurückgerufen.

»Else«, sagte die Witwe mit merklicher Überwindung, »es tut mir leid, daß wir so voneinander kommen; ich hatte dir etwas Besseres zugedacht.«

»Mir tut's auch leid«, erwiderte das Mädchen. »Ich habe bisher alle Zeit in diesem Hause viel Gutes erfahren, und will das auch nicht vergessen.«

»Wenn du vernünftig sein wolltest, Else!«

»In welcher Art, Frau?«

»Es kommt ja doch nichts dabei heraus, Kind, wenn der Junge auch jetzt den Mund voll nimmt und trotzig auftrumpft, Haus und Hof wird er doch nicht dransetzen wollen!«

»Wer weiß?« rief Endrik hinein.

Seine Mutter zuckte nur die Achseln, gab ihm aber keine Antwort

»Wenn du vernünftig bist«, fuhr sie zu Else fort, »so schlägst du dir's aus dem Sinn und sagst ihm, daß du dir dein junges Leben von ihm nicht willst verkümmern lassen. Ein so tüchtiges Mädchen findet überall einen Mann, wenn ein paar hundert Taler in die Wirtschaft mitkommen. Na, und ein paar hundert Taler sollen mir nicht zuviel sein, wenn ich dafür Ruhe und Frieden habe. Verstehst du?«

Sie griff in die Tasche, als ob sie das Geld schon bei sich hätte. Else aber wurde im ganzen Gesicht rot und maß sie mit einem stolzen Blicke von oben bis unten. »Behalte nur dein Geld«, sagte sie, »abkaufen lasse ich mir mein Herz nicht! Will der Endrik sein Wort zurückhaben – das hat er umsonst.«

Damit entfernte sie sich eilig, ohne auch nur einmal zurückzusehen.

Eine halbe Stunde darauf saß sie in ihres Vaters Kahn und hatte ihr Bündel vor sich liegen. Jurgeitis fuhr auf der andern Seite des Stromes vorüber, und Else hatte das Gesicht abgekehrt. Erst als das Haus weit hinter ihnen war, blickte sie noch einmal um. Da stand jemand an der Ecke der Holzreihen und schwenkte die Mütze – den erkannte sie doch. Ihn aber blendete die Sonne, und er konnte nicht bemerken, ob sie ihm zunickte. Sie tat's aber gewiß.

*

Die Hütte auf dem Moosbruche gewann innen bald ein anderes Aussehen. Else mochte es nicht leiden, daß die Gerätschaften in allen Ecken herumstanden, wie sie gerade jeder aus der Hand setzte. Die Kartoffelkisten brachte sie hinaus und stapelte sie unter dem Dachvorsprunge auf. So gewann sie Raum. Dann schlug sie aus Brettern für sich eine Kammer ab, hing ihre Sachen an Holzpflöcken auf und deckte eine Matte darüber zum Schutze gegen den Rauch. Die Hühner trieb sie hinaus, und den Schweinestall verschloß sie besser. Von den Wänden wurde der Staub und Ruß abgefegt, und den Lehmboden bestreute sie mit Sand; die kleinen, grünglasigen Fensterscheiben reinigte sie mit Wasser, so daß nun die Sonne recht hell hindurchscheinen konnte, was ihr lange nicht mehr hatte glücken wollen. Der Kessel war immer blank geputzt, und das Irdenzeug stand nun sauber auf einem Wandbrett seitwärts von der Herdstelle.

Jurgeitis hatte seine stille Freude an dem Schaffen des Mädchens. Wo er konnte, war er zur Hand mit Nägeln und Hammer. Er bemerkte nun auch, daß das Dach schadhaft geworden war, und flickte es mit Stroh aus. Sogar ein Paar Pferdeköpfe schnitt er roh mit der Säge aus einem alten Brett und kreuzte sie am Giebel, der bisher diesen Schmuck entbehrt hatte. Wenn's auf seinem Lande nichts zu tun gab, ging er fleißig zu den Fischerwirten in Arbeit, und vom Verdienste kaufte er dies und das, was noch in der Wirtschaft fehlte: bei einer Auktion in Sophienbruch ein paar Stühle und rotstreifige Bettgardinen, die Else nun, so gut es ging, über ihrem Lager anbringen mußte. Mitunter blieb er auch in der Nacht fort und brachte dann gewöhnlich früh am Morgen ein schönes Gericht Fische mit. Woher er sie habe, wollte er nicht sagen, meinte nur, der liebe Gott lasse sie wachsen, und der Herr Fischmeister könne doch nicht überall sein. Einmal aber war ihm sein Kahn gepfändet, und er mußte beim Nachbar borgen, um ihn auszulösen. »Wenn's nur damit abgetan wäre!« knurrte er ärgerlich.

Auch auf dem Moosbruchlande schaffte Else ihr redlich Teil, so ungewohnt ihr diese schwere Arbeit auch war. Da ließ sich die Erde nicht ausheben wie im Endromeitschen Garten; der scharfe Spaten mußte bei jedem Stich Hunderte von weichen und zähen Wurzelfäserchen durchschneiden, aus denen eigentlich das ganze Erdreich bestand. Trat man auf, so drückte man den Spaten wie in ein Polster ein; bei zu tiefem Graben quoll das Wasser hervor und setzte um ihn eine klebrige Masse fest. Else hatte bald Blasen und dicke Schwielen an den Händen, durfte sie aber nicht schonen.

Eines Tages, als sie, hochaufgeschürzt und auf großen Holzschuhen, da draußen stand und bemüht war, eine tiefe Furche für den Wasserabfluß zu ziehen, kam Endrik vom Flusse her. Er war offenbar bemüht, ein recht heiteres Gesicht zu zeigen, und sein Gruß klang auch ganz munter, aber die Fröhlichkeit hielt nicht lange an. Else machte ihm keine Vorwürfe, daß er sich solange nicht hatte blicken lassen; er meinte indessen doch, sich entschuldigen zu müssen. »Von einem Tage zum andern habe ich gewartet«, sagte er, »daß meine Mutter sich besinnen werde; aber sie ist ganz verhärtet. Bitten und Drohungen – es ist alles umsonst. Es wäre vielleicht doch noch mit ihr zu reden gewesen, wenn der Kapitän sie nicht klug gemacht hätte. Eigensinnig ist sie immer gewesen, und jetzt nach des Vaters Tode fühlt sie sich obenauf; da soll jeder tanzen, wie sie pfeift. Der Kapitän hat ihr's wegen seiner Tochter so fest eingeredet, daß sie nun kein vernünftiges Wort mehr anhört. Der Hochmutsteufel ist in sie gefahren, und für eine Fischerfrau hält sie sich mit ihrem Gelde schon für zu gut. Die Nachbarn spotten über sie ganz laut; aber das freut sie, da sie doch nur den Neid aus ihnen sprechen hört. Kurz, es ist mit ihr nichts auszurichten.«

Else hatte sich auf den Spaten gestützt. »Ich habe dir's ja vorausgesagt«, bemerkte sie traurig, »daß deine Mutter nimmer einwilligen wird. Du hättest die Sache gar nicht anfangen sollen.«

»Wenn du das sagst, Else«, fuhr er auf, »so bist du mir nicht gut. Ich habe getan, was mir das Herz befahl, und es war gewiß recht so.«

Sie nickte ihm freundlich zu. »Aber es wird dir leid werden, Endrik. Du hast an solche Hindernisse nicht gedacht. Dann ist's am besten, du machst schnell ein Ende und fügst dich. Ich will sehen, wie ich's überwinde.«

Endrik schüttelte den Kopf, sah auf den Boden hinab und wühlte mit dem Fuß in der frisch aufgeworfenen Mooserde. »Ich füge mich so bald nicht«, sagte er unmutig. »Im Dorfe ist's herum, weshalb du aus dem Hause hast gehen müssen, ich hab's jedem, der's hören wollte, bestätigt, daß ich dir mein Wort gegeben habe. Wenn ich mich nun duckte, das gäb' ein schönes Gerede, und bei meiner Mutter käm' ich nie mehr auf. Nein, wie ich's angefangen habe, so muß ich's nun auch zu Ende bringen. Hinten hinaus kann ich nicht – da ist ein Riegel vorgeschoben, und mir ist das ganz recht. Wenn du nur warten kannst, Else!«

Sie lachte dazu: »Mich holt keiner fort.«

Er setzte sich auf die Grabenkante und zog sie zu sich nieder, indem er ihr den Spaten aus der Hand nahm. »Wer weiß?« sagte er, auf den Scherz etwas knurrig eingehend. »Ein so hübsches Mädchen –«

»Ach, das dauert nicht lange. Sieh nur, wie mich die Sonne in den wenigen Wochen verbrannt hat, und meine Hände –«

Er streichelte sie. »Die sind freilich recht rauh geworden von der schweren Arbeit. Es ist ein Jammer, daß du dich so zu strapazieren hast. Aber es soll bald anders kommen.«

»Wie soll's anders kommen?«

»Meine Mutter hat gemeint, ich würde mich zufrieden geben, wenn sie nur recht starr auf ihrem Stück bestände – da irrt sie aber. Ich hab' ihr angeboten, in Frieden Teilung zu machen; aber sie hat sich verschworen, daß sie nicht einen Pfennig herausgibt. Sie glaubt nicht, daß ich ans Gericht gehen werde, und ich gehe doch. Mündig bin ich; sie kann mir mein Erbteil nicht vorenthalten, und bekomme ich nicht das Haus, so muß ich doch eine Abfindung bekommen. Die Herren werden ihr schon ein Licht aufstecken. Ich will morgen nach der Stadt und mir gleich einen Anwalt annehmen. Wenn sie von dem einen Brief erhält, wird sie sich's wohl vernünftig überlegen, denke ich, ob sie mit ihrem Sohn prozessieren will. Gern tu ich's wahrhaftig nicht; aber sie zwingt mich, mein Recht zu suchen, wo jeder es findet.«

»Hast du schon mit deinen Schwestern gesprochen?«

»Ja. Die sind auf der Mutter Seite.«

»Das dacht ich wohl. Sie gewinnen dabei, wenn du das Haus aufgibst.«

Er seufzte: »Es kann doch nicht anders sein, Else!«

Sie legte den Arm um seinen Hals. »Ist dir das wirklich um meinetwegen nicht zu hart?« fragte sie.

Nun erst wurde er recht warm, küßte und herzte sie und versicherte einmal über das andere, er mache sich aus der ganzen Welt nichts, wenn er sie nur habe und behalte.

»Wenn's nicht besser sein kann«, rief er, »so pachte ich ein Stück Moosbruchland, baue mir auch so ein Häuschen, wie dein Vater eines hat, und führe dich hinein. Was du für ihn tust, wirst du ja auch für mich tun.«

Wie zur Bekräftigung nahm er den Spaten und fing an zu graben. »Ist's denn wirklich so schwer?« Bald perlten ihm die Schweißtropfen von der Stirn und brannten ihm die Hände. »Zum Teufel! – Ist das eine Arbeit für dich?«

Sie nahm ihm den Spaten ab und lachte ihn aus. »Beim Holzhandel hat man's leichter!« neckte sie.

Jurgeitis kam hinzu und schien nicht sonderlich erfreut über den Besuch. Als er hörte, wie die Sachen ständen, meinte er: »Bring's erst in Ordnung, so oder so, und dann frage bei dem Mädchen wieder an. Sehen dich die Leute hier, so schreien sie's herum, wir hätten dich verführt. Deine Mutter hetzt den Fischmeister gegen mich, und das fehlt mir gerade noch! Ich will Ruh' und Frieden haben.«

Da aber Else zu Endrik stand, lud er ihn doch zuletzt in sein Haus zum Essen ein. »Geht's einmal bergab«, brummte er vor sich hin, »so ist kein Halten. Aber guten Rat zur rechten Zeit will niemand annehmen.«

Abends fuhr Endrik, durch dieses Wiedersehen in allen seinen Entschlüssen bestärkt, nach Nemonien zurück und am andern Tage mit dem Dampfboot nach dem Städtchen Labiau. Dort war das Kreisgericht, bei dem er seine Anträge auf Erbteilung zu stellen hatte. Der Anwalt ließ ihn eine Vollmacht unterschreiben und sagte ihm, was für Atteste vom Pfarrer noch zu besorgen wären; die sollte er ihm schicken, dann würde die Sache bald in Gang kommen. Endrik erkundigte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis alles reguliert sei.

Wenn's glatt gehe, meinte der Anwalt, schwerlich länger als ein Jahr.

»Ein Jahr!« rief Endrik ganz verdutzt. Er hatte sich auf einen Monat gefaßt gemacht. »Und wenn's glatt geht! Ja, was kann denn aber –«

»Das Inventar muß aufgenommen und das Grundstück nebst der Fischereigerechtigkeit und den Holzvorräten taxiert werden«, belehrte ihn der Anwalt, »und wenn Ihre Mutter nicht gutwillig tut, was das Gesetz in solchem Falle vorschreibt, so kommen wir nicht einen Schritt weiter ohne Prozeß. Ein Prozeß aber läuft unter Umständen durch drei Instanzen, natürlich ohne sich die Beine allzusehr anzustrengen. Wir haben solche Sächelchen, die auch schon fünf Jahre alt geworden sind. Sie sind doch imstande, die erforderlichen Vorschüsse zu zahlen?«

Endrik versicherte etwas kleinlaut, er werde das Geld auftreiben können, und zahlte sofort auf den Tisch, was er bei sich hatte. Nur für die Rückreise sicherte er sich. Die Atteste schickte er ab, sobald er sie vom Pfarrer erlangen konnte, der ihm vergeblich ins Gewissen sprach, keinen Streit in der Familie anzufangen; auch sorgte Endrik dafür, daß seine Mutter den Brief zu sehen bekam. Sie sagte nichts darauf, beobachtete ihn aber seitdem mit mißtrauischen Blicken.

Aller mühsam verhaltene Groll entlud sich in schweren Gewittern, als nun die gerichtliche Vorladung anlangte. Sie zerriß das Papier und trat es mit Füßen. »Handelst du so schlecht gegen mich?« schrie sie ihm entgegen; »das will ich dir gedenken! Mit deinem Vater hab' ich schon Müh' und Sorge genug gehabt – du willst's noch ärger treiben. Aber ich will doch sehen, wer mir etwas wegnehmen kann bei Lebzeiten!«

»Mutter, gib mir die Else«, bat er, »und es kann alles bleiben, wie es ist.«

»Es wird alles bleiben, wie es ist«, antwortete sie giftig, »und die Else will ich nicht einmal nennen hören. Kommst du mir mit Gewalt, so will ich dir dein Erbteil schon klein machen. Was weiß das Gericht, wieviel Geld ich habe?«

»Du mußt es beschwören, Mutter.«

»Pah!« Sie schnippte mit den Fingern in die Luft, wie es ihre Gewohnheit war. »Du weißt es ja selbst nicht einmal! Und wenn du mich zum Schwure bringst, so ist's so gut, als ob du deine leibliche Mutter vor Gott in Schande bringst. Tu's doch!«

»Du zwingst mich zu solchen Schritten, Mutter!«

»Zwinge ich dich?« rief sie. »Gut! Wenn ich dich zwinge, so zwingst du mich auch, und was da geschehen wird, das wird dir noch unlieber sein. Kann ich mit meinem Sohn nicht wirtschaften, so muß ich zusehen, mit wem ich wirtschafte. So alt bin ich noch nicht, daß ich keinen Mann mehr fände. Zwingst du mich, so heirat' ich noch einmal. Wie groß dann dein Muttererbe wird, magst du dir selbst ausrechnen, wenn ich geschworen habe.«

Das war offenbar ganz ernst gemeint, und Endrik zweifelte nicht daran. Er wußte auch, daß sie ihm einen größeren Tort nicht antun könnte; das väterliche Haus war ihm dann für alle Zeit verloren. Aber er war nun einmal so weit gegangen und mußte weiter, kostete es, was es wollte. Die Else konnte er sich doch nicht aus den Gedanken bringen.

Es geschah nun, was immer in solchen Fällen zu geschehen pflegt, wenn ein Erbe gegen den Willen der übrigen das Gericht anruft, eine Teilung zu bewirken; alle geheiligten Bande der Blutsverwandtschaft und Familienangehörigkeit reißen; die Nächsten werden einander die Fernsten; der Streit um mein und dein entbrennt heftiger als zwischen Gegnern, die einander ganz fremd sind, und an Stelle des früheren Wohlwollens tritt Mißtrauen und Rachsucht; alle die traurigen Leidenschaften, die Menschen gegen Menschen aufbringen, wirken mit rücksichtslosestem Eifer. Dabei mußte doch der äußere Verkehr ungefähr in früherer Weise fortgesetzt werden, die Wirtschaft in Gang bleiben. Man konnte einander kaum ausweichen und begann doch sofort bei jedem Begegnen wieder den alten, bösen Streit. Die Witwe fühlte sich im Besitze und wachte eifersüchtig darüber, daß sie die Zügel in der Hand behielt. Aber auch Endrik hatte als Haussohn Rechte und wollte nicht weichen. Er meinte, seine Mutter überwachen zu müssen, daß sie nichts beiseiteschaffte. Das blieb ihr wieder nicht unbemerkt und stachelte sie zu höhnischen Ausfällen. Ob er antwortete oder nicht, sie erboste sich innerlich mehr und mehr. Wenn sie sich aber krank geärgert hatte, war mit ihr erst recht kein Auskommen.

Endlich hielt Endrik dieses Leben, das seinem weicheren Gemüt täglich mehr Qual brachte, doch nicht länger aus. Er räumte seiner Mutter das Feld, besuchte Else in sehr gedrückter Stimmung und reiste weiter nach der Stadt, um sich dort die notwendigen Existenzmittel zu beschaffen. Es lebten da Geldleute, die gern mit den Litauern Geschäfte machten, bei denen oft etwas zu riskieren, meist aber auch etwas zu verdienen war. Endrik hoffte, auf sein künftiges Erbteil ein Kapital aufnehmen zu können, mit dem sich der Holzhandel betreiben ließe, auf den er sich ja zu verstehen vermeinte. Den schlauen Füchsen erschien aber die Sicherheit zu ungenügend, und da sie ihn in Verlegenheit sahen, meinten sie ihn auch sonst schrauben zu können. Der eine erbot sich zu einer namhaften Summe, aber nur unter der Bedingung, daß er ihm seine ganze Erbschaft verkaufe. Darauf wollte Endrik sich unter keinen Umständen einlassen; er war überzeugt, daß nach Jahr und Tag für ihn das Vierfache ausgeteilt werden müßte. So blieb ihm nur übrig, Geld auf Wechsel zu nehmen, kleinere Summen zu hohen Zinsen, ungenügend, einen Geschäftsbetrieb damit anzufangen, wie er ihn im Sinne gehabt hatte.

Er begab sich nun nach Karolinenbruch und mietete sich dort in der Nähe des Jurgeitisschen Häuschens ein. Vielleicht daß sich ihm dort irgendeine Aussicht auf Erwerb öffnete. Die Hauptsache war ihm jedoch, abends mit Else auf dem Bänkchen vor der Tür sitzen oder mit ihr unter den Weiden am Fluß spazierengehen zu können. Sie war nun unbestritten sein Schatz, und wenn die Nachbarn die Köpfe zusammensteckten, einander in die Ohren zischelten und beim Gruße so eigen pfiffig lächelten, als wüßten sie ganz etwas Besonderes, das kümmerte sie so wenig als ihn. In das alte Fischererbe hatte er sie nicht einführen können, aber Haus und Hof hatte er ihretwegen verlassen, das sollte nicht ohne Dank bleiben.

Seine Mutter sah er nur, wenn sie zusammen in der Stadt Termin hatten. Er hoffte jedesmal, ihr Sinn würde sich erweicht haben, aber sie schien immer starrköpfiger zu werden.

»Treibe es nur so weiter«, sagte sie ihm vor dem Richter, »du wirst mir nichts abzwingen. Was aber schließlich auf deinen Teil fällt, das wirst du verzehrt haben, eh' es noch in deine Hand kommt. Willst du dich zum Bettler machen, so kann ich das nicht hindern. Dann warte ab, ob die Else Lust haben wird, mit dir im Lande herumzuziehen. Es ist eine Schande, wie man über euch spricht.«

Er aber gab es ihr nicht mit harten Worten zurück, sondern sagte nur: »Die Else ist treu; auf die kann ich mich verlassen, und eine Schande ist es uns nicht, daß wir in solchen Nöten zueinander stehen. Wenn aber mein Vater wüßte, wie unmütterlich du an mir handelst, ich glaube, der hätte nicht Ruhe im Grabe.«

Im Inventar hatte die Witwe alle Stücke zum geringsten Werte ansetzen lassen und viele ganz übergangen. Das bare Geld wollte sie gar nicht zur Teilung bringen; das sei »Ersparnis«. Den Eid zu leisten, weigerte sie sich mit aller Entschiedenheit. Das könnte nicht im Gesetz stehen, behauptete sie, daß der Sohn seine Mutter zum Schwur bringen dürfe. Der Anwalt hatte also richtig gesehen, daß es ohne einen langwierigen Prozeß nicht abgehen werde.

»Und wenn es nun erkannt ist, daß sie schwören muß«, fragte er, »und sie will doch nicht – was dann?«

Der Jurist zog die Achseln auf. »Ja, dann gibt's gesetzliche Zwangsmittel – im schlimmsten Falle die Haft.«

Er erschrak. Seine Mutter ins Gefängnis! Sie behielt am Ende doch in ihrer Weise recht, daß ein Sohn seine Mutter nicht zum Schwur bringen könne, was auch das Gesetz erlauben möge.

Nach solchen Verhandlungen kam er in recht verzweifelter Stimmung nach Karolinenbruch zurück. Meist dauerte es Tage, bis er sich vor Else sehen ließ. Und dann war er zerstreut und übler Laune, leicht gereizt und mit der ganzen Welt unzufrieden. Anfangs ging das schnell vorüber, aber das letztemal hatte sich der Unmut so festgesetzt, daß das Mädchen ihn lange vergeblich fortzuschmeicheln suchte.

»Tut dir's schon leid, Endrik?« fragte sie endlich, sein Herz ausforschend.

Nun brauste er auf und rief: »Nein, nein, nein und tausendmal nein! Was ich will, das will ich, und was ich verspreche, das geschieht. Aber zum Tollärgern ist's wahrhaftig!«

Er fing an, um Tagelohn zu arbeiten. Jetzt, im Spätsommer, gab es überall zu tun, und der Verdienst war auch nicht schlecht. Aber er verschaffte ihm doch nicht einmal die Mittel, zu leben, wie er es gewohnt war, und es mußten neue Wechsel zu schweren Bedingungen geschrieben werden. Jurgeitis meinte: »Ich wüßte wohl, was ich an deiner Stelle täte. Bist du nicht deines Vaters Sohn, und gehört zu seinem Erbe nicht auch die Fischereigerechtigkeit? Ich denke, du hast soviel Anteil daran als deine Mutter, und wer die Fische fängt, der hat sie. Wenn du einen Kahn ausrüstest und schreibst in die Fahne deinen Namen – wer will dir das wehren? Ich helfe dir gern auf den dritten Teil. Daß der Fischer sich einen Mann annimmt, ist allezeit erlaubt gewesen.«

Endrik hatte doch Bedenken: an der Rechnung war irgend etwas nicht richtig. »Ich bin nicht der Wirt«, wandte er ein.

»Auf diese Weise ist deine Mutter auch nicht die Wirtin«, deutete Jurgeitis. »Und man kann's doch darauf ankommen lassen. Es ist ja nicht durchaus nötig, daß wir bei hellem Tage ausfahren. Fischen wir in der Nacht, so dauert's eine Weile, bis der Fischmeister uns findet. Dann berufst du dich auf dein Recht und bleibst dabei steif und fest. Wir wollen sehen, ob sie dir's abstreiten können – das hat weite Wege.«

»Und glaubst du selbst, daß es mein Recht ist?«

»Gewiß glaube ich das. Bis sie dir's abstreiten, ist es dein Recht.«

Endrik widerstand nicht lange. Als er erst einmal ein Netz ausgeworfen und einen Fang gemacht hatte, gefiel ihm sein altes Handwerk so gut, daß es keines Zuredens mehr bedurfte. In den dunklen Herbstnächten waren die beiden Männer fast regelmäßig auf dem Wasser, und in der Schenke auf dem Moore verkehrten Fischhändler, die ihnen die Ausbeute gern heimlich abnahmen.

Man hätte sich einreden können, daß Grünbaum absichtlich nicht nur ein, sondern beide Augen zudrücke, um von diesem immer dreister werdenden Treiben nichts zu sehen. Als ihm aber endlich von des Jurgeitis neidischen Nachbarn Anzeigen gemacht wurden, die sich nicht überhören ließen, fahndete er ernstlicher auf die Kontravenienten und fing sie mit leichter Mühe ab. Nun brachte Endrik das Sprüchlein vor, das ihn Jurgeitis gelehrt hatte. Der Fischmeister antwortete: »Das sind litauische Finessen, die bei uns nicht gelten. Damit kommt ihr nicht durch, so schlaue Kerle ihr auch sein mögt.«

Am nächsten Tage kam er ans Land und suchte Endrik in seiner Wohnung auf. »Höre, mein Junge«, sagte er ihm, »du treibst mir's denn doch zu arg. Hast du dich in das Mädel vergafft, so ist dir das nicht groß übelzunehmen, und mich geht es weiter nichts an, als daß ich mir denke, du hättest wohl eine bessere Partie machen können. Läßt sich einer an eine Schürze binden, so muß man ihn laufen lassen, bis er's satt hat – gewöhnlich kommt er nicht weit über einen gewissen Punkt. Na, ich sage nichts davon! Aber daß der alte Spitzbube, der Jurgeitis, dich ins Schlepptau nimmt, das ist eine bedenkliche Sache. Kann das Mädel sich auch keinen andern Vater anschaffen, so ist's doch nicht gerade nötig, daß du mit ihm solche Freundschaft eingehst, bei der er dich in seine Spitzbübereien verstrickt, damit er dich hinterher fest hat. Schickt sich das für eines Ganzfischers und Holzhändlers Sohn, in der Nacht die Gewässer unsicher zu machen wie ein Vagabund, und mit allerhand diebischem Gesindel Verkehr zu haben, das kein Amtsschild sehen kann, ohne mit den Augen zu blinzeln? Mit der Ausrede, mein Junge, ist's dummes Zeug. Damit komme mir nicht zum zweitenmal, das sag' ich dir im voraus.«

Mit diesen Worten schnitt er die Erwiderung ab, zu der Endrik sich schon anschickte. »Ist's nicht ein Skandal«, fuhr er fort, »daß ein anständiger Mensch sich zu so etwas hergibt? Ich habe immer ein Auge auf dich gehabt und mich gefreut, wie alles an dir tüchtig und reell war, und deinem Vater hab' ich manchmal gesagt: ›Endromeit, der Junge kann werden!‹ Und nun machst du mir solche Geschichten, bringst dich mit dem alten Spitzbuben zusammen auf die Strafliste! Kreuzdonnerwetter! Ich hätte gewünscht, lieber zehn andere ergriffen zu haben.«

Endrik sah verlegen zur Erde nieder; es war ihm nicht ganz wohl zumut bei dieser gerechten Strafpredigt. »Wenn's nicht sein soll«, murmelte er, »so wird's ja auch fernerhin nicht geschehen.«

»Aber einen Schandfleck hast du weg«, sagte Grünbaum, »und abwischen läßt sich der absolut nicht mehr. Auf der Strafliste stehst du nun einmal; so gut ich dir bin, kann ich doch nicht gegen Pflicht und Gewissen. Na, viel hat's nicht gerade auf sich, aber für einen Denkzettel ist's hoffentlich genug.« Er legte ihm die Hände auf die Schultern. »Sei verständig, Endrik, tu's nicht wieder – das führt zu nichts Gutem. Himmelelement, so ein hübscher Bursche! Und könnte die besteingerichtete Wirtschaft haben und die Taschen voll Geld, wenn er nicht so ein Querkopf wäre. Es ist ein Skandal!«

Dem jungen Mann schoß das Blut in die Stirn. »Es macht mir keinen Spaß«, antwortete er mit dumpfer Stimme, »mit meiner Mutter zu prozessieren; aber sie nimmt ja keine Vernunft an.«

Grünbaum strich sich den grauen Bart. »Es ist jetzt eine wunderliche Zeit«, bemerkte er, »die Kinder wollen ihre Eltern Vernunft lehren. Es ist übrigens was dabei: unvernünftig ist die Alte noch mehr als du, wenn auch nicht gerade in dem Punkt, an den du denkst. Auf dem besten Wege ist sie, sich zu ruinieren. Weißt du denn, was in letzter Zeit zu Hause geschehen ist, mein Junge?«

Endrik schüttelte den Kopf. »Was sollte ich mich darum kümmern?«

»Zum Teufel, es geht dich doch an! Na, ich will's dir sagen, und du kannst glauben, daß es so ist. Du kennst doch den verlaufenen Schulmeister, den Labuttis, den sie vor Jahren wegen schlechter Streiche fortgejagt haben?«

»Was ist's mit dem?«

»Ja, was ist's mit dem? Bisher hat er sich von seiner Winkelschreiberei kümmerlich genug genährt und uns das Leben erschwert. Bei allen Behörden ist seine verdammte Handschrift bekannt. Seit kurzem lebt er in Gilge wie ein Baron. Wie kommt das? Weil er der reichen Witwe Grita Endromeit Sekretär geworden ist. Ja, sieh mich an! Deiner Mutter intimster Ratgeber und Sekretär ist er, und wenn es was zu schreiben gibt, das versteht natürlich kein Anwalt so gut wie er. Er schreibt nämlich alles, was sie will und wie sie es will. Beim Schreiben bleibt's aber nicht. Er hat sich so eingeschmeichelt, daß sie meint, ohne ihn gar nicht mehr fertig werden zu können. Das ganze Holzgeschäft hat sie ihm übergeben, von dem er soviel versteht wie ich, und in ihrem Auftrage reist er nun herum, kauft und verkauft, zahlt und zieht Geld ein, daß jeder sich darüber verwundert. Ich habe ihr freundschaftliche Vorstellungen gemacht, sie solle dem Pfiffikus nicht zu viel trauen, bin aber schlecht angelaufen. Es sei alles nur Neid und Mißgunst und böswillige Verleumdung; ein so ehrlicher und kluger Mann müsse noch gefunden werden; übrigens könne sie mit dem Ihrigen tun, was sie wolle, und wenn sie ihm Gutes erweise, so habe sie doch wenigstens einen schönen Dank davon. Kurz, sie ist ganz närrisch von ihm eingenommen, und da sie's auch offen ausgesprochen hat, daß sie wieder heiraten müsse, so bringen's die Leute im Dorf natürlich in Verbindung und nennen sie schon heimlich hinter ihrem Rücken nicht anders als die Madame Labuttis. Wer weiß, wie bald es Hochzeit gibt!«

Endrik war recht nachdenklich geworden. »Es ist gewiß nur so ein Gerede«, sagte er, wagte dabei aber gar nicht aufzusehen.

»Ein Gerede ist's«, meinte der Kapitän, »aber aus der Lust gegriffen haben sich's die Leute eben nicht. Heiratet sie der Schulmeister, so ist's vielleicht für die Wirtschaft noch am besten; hat er eine Hoffnung, da für's Leben versorgt zu werden, so wär' er ein rechter Narr, wenn er nicht den günstigen Moment benutzte und heraustrüge, soviel er zwischen den langen Schreiberfingern halten kann. Ich stelle dir das nur vor, damit du gewarnt bist; ein anderer geniert sich vielleicht. Willst du's so gehen lassen – meinetwegen, mich kränkt es nicht. Wenn ich einmal die Idee gehabt habe, daß meine Julie . . . ich segle nicht immer denselben Kurs! Und nun Gott befohlen, mein Junge. Ich habe noch ein ernstes Wörtchen mit dem Jurgeitis zu reden.«

Damit klopfte er ihm die Schulter, drehte ihm den Rücken und ging pfeifend zum Hause hinaus. Endrik ließ sich schwer auf den Holzstuhl niederfallen, stützte die Ellenbogen auf den Tisch und den heißen Kopf in die Hände und ächzte vor Ärger und Betrübnis.

Bei Jurgeitis hielt sich der Fischmeister nicht so lange auf. »Ich bin gegen dich nachsichtig gewesen«, sagte er ihm, »mehr, als ich's vor der Regierung verantworten kann. Wenn ich sonst einem drohe: ›Dies ist das letztemal‹, so kann er sich auf mein Wort verlassen. Dir hab' ich's wieder und wieder nicht angerechnet. Nun ist aus dem letzten Male ein allerletztes Mal geworden, da du nicht nur selbst bei deiner Schlechtigkeit verharrst, sondern auch noch einen ehrlichen Menschen verführst, das Gesetz für nichts zu achten. Dich geb' ich auf! Eher läßt sich ein schwarzer Rabe in eine weiße Taube umkakeln, als daß aus dir ein ordentlicher Kerl wird. Aber dem Endrik ist hoffentlich noch zu helfen, wenn er sieht, wohin solche Gottlosigkeit führt. Also sage ich dir allen Ernstes: Die Pacht ist dir zu Ostern gekündigt. Und wenn du im nächsten Termin das Zehnfache bietest, ich sorge dafür, daß sie dich bei der Regierung kennen. Sieh zu, wie du dein Haus am vorteilhaftesten losschlägst. Steht's über den zweiten Ostertag hinaus noch auf dem Moosbruch, so wird's von Amts wegen auf deine Kosten abgebrochen. Mit dem Förster bin ich in dem Punkte ganz einig! Du sollst ferner den Zeitpächtern nicht schlechtes Beispiel geben.«

Jurgeitis zitterte am ganzen Leibe. So wenig er den Fischmeister zu respektieren geneigt war, wenn er ihn hintergehen zu können meinte, so erfaßte ihn doch jedesmal ein heftiger Schreck, wenn er ihn vor sich sah und ihn sprechen hörte. Er fürchtete ihn ebensosehr, als er ihn haßte. Nun war's ihm zumute wie einem, dem die Gurgel zugeschnürt wird, bis ihm der Atem vergeht. Sein Moosbruchland verlieren – lieber sich aufs tiefste demütigen, wie einen Hund treten lassen! Er fiel auf die Knie nieder, küßte den Rockzipfel des erzürnten Herrn, weinte und bat um Gnade. »Ich hätte es gewiß nicht getan«, rief er, »wenn's nicht dem Endrik zuliebe geschehen wäre – gewiß nicht!«

Grünbaum lachte laut auf. »So hat der Endrik dich wohl verführt, alter Sünder, was?«

»Weil er der einzige Sohn ist und mit dem Grundstück die Fischereigerechtigkeit –«

»Schweig! Du hast ihn schändlich überredet und mit deiner Tochter angelockt.«

»So wahr Gott lebt, Herr Kapitän –«

»Versündige dich nicht noch, Spitzbube! Schwerlich wäre er dir ins Garn gegangen, wenn du an Else nicht einen so guten Köder hättest.«

Jurgeitis umfaßte seine Knie. »Was soll ich anfangen ohne das Land? Mein Schweiß und Blut steckt darin. Ich will die Else auswärts in Dienst schicken, daß sie dem Endrik gar nicht mehr vor die Augen kommt. Wenn er dem Fräulein gefällt, mir soll's nicht zuwider sein! Nur noch einmal, Herr . . .«

Der Fischmeister schüttelte ihn ab. »Es ist mein letztes Wort«, sagte er, ging eilig fort und schlug die Tür hinter sich zu.

Kaum aber war das geschehen, so sprang der Litauer auf, ballte die Fäuste und schlug damit wie toll gegen die Füllbretter. Die Augen traten ihm aus dem Kopf, der Schaum stand ihm vor dem Munde, jeder Muskel zuckte. »Hund, verfluchter Hund!« schrie er, »wenn ich das Land verliere, so kostet es dein Leben! Mein Schweiß und Blut – mein Schweiß und Blut! Vom Wasser hast du mich vertrieben, vom Lande vertreibst du mich auch! Kann ich wie ein Vogel in der Luft leben, kann ich das?« Er knirschte mit den Zähnen und hämmerte noch wütender gegen die Tür. »Die Regierung hat den Moosbruch gestohlen – hörst du, gestohlen hat sie ihn, dem lieben Gott fortgestohlen! Was wächst darauf? Nicht Halm, nicht Blatt. Der arme Mann muß ihn erst düngen mit seinem Schweiß und Blut, daß er Frucht trägt. Dem armen Manne gehört er für seine Arbeit, und wer ihm das Land nimmt, der stiehlt ihm seine Arbeit! Hörst du das, Judas: der stiehlt ihm seine Arbeit! Das Land, das ist seine Arbeit, das ist sein Schweiß und Blut! Mir das Land nehmen! Strafen kannst du mich nach deinem gottverfluchten Gesetz und auspfänden und ins Gefängnis werfen lassen – das muß ich ertragen. Aber das Land sollst du mir nicht nehmen, von dem ich lebe! Hüte dich vor mir!«

So wütete er, bis er erschöpft zu Boden fiel. Die alte Frau fand ihn so, hob ihn auf und führte ihn ans Bett. Sie glaubte, er hätte zuviel getrunken, was doch sonst seine Gewohnheit nicht war.

An demselben Abend kam es auch zwischen Endrik und Else zur Aussprache. Er erzählte ihr, was er vom Fischmeister erfahren hatte, und sagte, so könne er's zu Hause nicht weitergehen lassen. Seine Mutter verderbe die ganze Wirtschaft, und den Schulmeister kenne er als einen schmeichlerischen und gewissenlosen Menschen.

»Ich hätte das Haus nicht verlassen sollen«, schloß er, »lieber die schwerste Unbill ertragen. In des Sohnes Gegenwart hätte das schwerlich geschehen können. Nun muß ich aufpassen, daß nicht noch mehr Schaden angerichtet wird. Leidet mich meine Mutter nicht im Hause, so will ich doch in der Nähe sein und ein wachsames Auge auf alles haben. Ich denke, die Schwestern werden nun wohl auch merken, woran sie sind, und auf meine Seite treten.«

Else mochte dagegen nichts einreden; sie sah ja, daß der Fischmeister seinen Sinn gewandt hatte. Aber sie war sehr traurig und sagte: »Du kommst nicht wieder, Endrik.«

Darüber wurde er aufgebracht und sprach zornige Worte, daß er ihr wohl gezeigt habe, wie er gesinnt sei, und daß er nicht gescholten sein wolle, wenn er nun dem Zwang der Umstände nachgebe. Sie schmiegte sich an ihn und küßte ihn zärtlich, wiederholte aber doch: »Du kommst nicht wieder!«

Sie schieden nicht guten Mutes wie sonst. Am andern Morgen, als Else zur Arbeit ging, war Endrik schon abgereist.

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